Inhalt Der Autor Leseprobe Uwe Saeger: Faust Junior

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Uwe Saeger: Faust Junior
Uwe Saeger
Faust Junior
Roman
Erscheinungsdatum: 10.03.2014
548 Seiten; Hardcover; 14,8 x 21 cm
ISBN: 978-3-943672-35-0
24,95 EUR (D)
(Auch als E-Book erhältlich.)
Der Autor
Inhalt
Leseprobe
Gützkower Straße 83, 17489 Greifswald • www.freiraum-verlag.de • Tel.: 03834/3506885 • [email protected]
Uwe Saeger
Lebenslauf
Lebenslauf
Foto: Walter Graupner
Uwe Saeger wurde 1948 in Ueckermünde geboren, studierte Pädagogik in Greifswald und
arbeitete sechs Jahre lang als Lehrer für Körpererziehung und Geographie. 1972 und 1973
absolvierte er seine Wehrpflicht in der NVA. Seit 1976 ist er freiberuflicher Schriftsteller.
Seitdem wurden von ihm zahlreiche Erzählungen, Romane, Drehbücher, Hörspiele sowie Beiträge in Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht. Für sein Schaffen wurde er
mehrfach ausgezeichnet – u.a. mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis (1987) sowie dem AdolfGrimme-Preis für sein Drehbuch Landschaft mit Dornen (1993) – und erhielt diverse Stipendien.
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Uwe Saeger
Bibliographie
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Grüner Fisch mit gelben Augen. Erzählungen (Rostock 1976).
NÖHR. Roman (Rostock 1980).
Warten auf Schnee. Novelle (Rostock 1981).
Sinon oder Die gefällige Lüge. Novelle (Berlin 1983).
Einer hat getötet. Erzählungen (Berlin 1984).
Das Überschreiten einer Grenze bei Nacht; Aus einem Herbst jagdbaren Wildes. Zwei
Novellen (München 1988).
Haut von Eisen. Erzählungen (München 1990).
Die Nacht danach und der Morgen. Ein Bericht (München 1991).
Landschaft mit Dornen. Fernsehfilm (1992).
Fragestunde Live. Hörspiel (HR 1992).
EndeAnfangEnde. Hörspielfassung des gleichnamigen Stücks (HR 1993; 1995 Uraufführung am Theater der Altmark Stendal).
Die Nacht in Gmünd. Filmtext – Versuch zu Franz Kafka (Neubrandenburg 1994).
Buntes Wasser. Fernsehfilm (Tatort 1996).
Prometheus Ende. Erzählung (Neubrandenburg 1998).
Verkleidungen. Sammlung Mythologemer Texte (Gifkendorf 1999).
Die schönen Dinge. Gedichtband (Gifkendorf 2001).
Laokoons Traum. Roman (Gifkendorf 2002).
Das Unerwartete. Texte aus 3 Jahrzehnten (Bibliothek M – V 2003).
Die gehäutete Zeit – Ein Judasbericht. Roman (Rostock 2008).
Ebeil oder die Rückseite der Liebe. Märchen (Berlin 2010).
Zettelein. Kunstbuch (Berlin 2012).
Ein Mensch von heute (Greifswald 2013).
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Faust Junior
Inhalt
Justus, Sohn eines scheinbar übermächtigen Mannes und Protagonist dieses Romans, verlässt die mütterliche Wohnung, um sich auf die Suche nach seinem Vater zu begeben. In einer schäbigen Kaschemme begegnet er drei Gesellen, die ihn nach einem anständigen Saufgelage in eine von seinem vermeintlichen Erzeuger geführte Irrenanstalt entführen. Justus
fühlt sich verwirrt: fragwürdige Patienten, durchgeknallte Angestellte, eine an ein Gehirn
erinnernde Architektur und absurde Vorkommnisse verhindern jede Orientierung. Er findet
einen Freund – Homunkulus, den er Nikolaus tauft –, irgendetwas entwickelt sich zwischen
ihm und Wagner – Famulus von Faust und Justus’ spätere Frau –, Faust und Mephisto –
überlistet und im Keller der Anstalt gefangen gehalten – söhnen sich aus und eine Idee reift
in ihm: Er will Superstar werden. Doch das bedeutet, jede Menge Irrsinn über sich ergehen
zu lassen, anspruchsvolle Prüfungen zu bestehen und den eigenen Charakter zu formen.
Er trifft Heiner Hohlen und tötet Goethe.
Uwe Saegers Faust junior ist verstörend, widerspenstig, brutal und zuweilen obszön. Eine
Abrechnung mit dem Irrsinn der Mediengesellschaft und ihren fragwürdigen Protagonisten, die für immer mehr Zusammenhänge und Menschen stilbildend scheinen. Ein Spiel mit
dem Faust-Stoff, der in der Schule und verschiedenen Texten begegnet. Eine Persiflage, die
es ganz sicher nicht in den Kanon schafft, aber dafür verschiebt, demontiert, zerstückelt und
sprachlos zurücklässt.
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Faust Junior
Leseprobe
XV
Wie’s konkret sich vollzog, kann ich nicht berichten. Ich war wie betäubt. Oder ist’s, dass die
Anatomie eines Entschwindens das Geheimnis ihres Vollzugs hütet gegenüber jeder Wahrnehmung? Die Stadt mochte unter uns gewesen sein, weil mir einmal war, wie es einem wiederkehrenden Zugvogel sein mag, wenn er nach der kalten, ihm widrigen Winterszeit wieder
einfliegt in sein Gefilde – ich glaubte, abzustürzen vor Glück. Einmal war’s auch, als würden
wir von unten in die Stadt gelangen, als stiegen wir aus der tiefsten Finsternis, getrieben
durch Schründe und Katakomben und ich würde bersten, weil der Druck des Gewesenen so
geschwind sich verlor, sodass ich erwartete, mich aufzulösen in restloser Entfesselung.
Und dann war’s in einem Park, wo wir festen Boden unter die Füße bekamen. Ein prächtiger
Sommertag. Nachmittags. Jede Menge Städter beim Sonntagsspaziergang. Männer. Frauen.
Kinder. Hunde. Jogger. Trinker. Ordnungshüter. Sonnenbader und Schattensucher. Kaffeerunden. Grillpartys. Klatsch, Streits um die besten Klingeltöne oder ob Schwarz-Gelb
oder Rot-Grün die beschissenere Politik machten. Musik jeder Stilrichtung. Ein dicker
Mann und eine dünne Frau bei einem Badmintonspiel. Ein fünfjähriges Mädchen auf dem
Schoß eines alten Mannes, der Faust ähnlich sieht. Er streichelte ihr Knie, sie steckte ihm ein
Stock in ein Ohr.
„Wo sind wir?“, fragte Faust.
Mephisto sagte: „Da kriegst du die Maulsperre bei so viel Paradies. Was Johann?“
Und ich erklärte ihnen: „Ein Stadtpark. Nichts für vermögende Menschen. Proletenwiesen.“
Ich zog die beiden zu einer Bank. „Als Kind war ich mit meiner Mutter einen Sommer lang
jedes Wochenende hier.“
„Warum nur einen Sommer?“ Mein Vater setzte sich auf die Bank. „Und was hattet ihr hier
zu treiben?“
„Das war der Sommer, der einzige allerdings, als sie die Nase voll hatte von Männern und
sie sich ganz mir widmete, wie sie’s sagte. Sie konnte ziemlich lästig werden, wenn sie auf anhänglich machte.“ Ich drückte Mephisto neben Faust auf die Bank. „Ihr wartet hier auf mich.
Ich geh mal was abchecken.“
„Nein“, sagte Faust. „Du gehst nichts abchecken und nichts zudecken. Wir bleiben zusammen.“
„Also ehrlich“, Mephisto schüttelte sich und blickte beunruhigt um sich, „ich habe Probleme. Dieser Bereich ist eine pralle Problemzone für mich.“
„Mach dich zur Töle und tobe dich aus mit den andern Kötern“, sagte Faust. Er atmete
schwer, sein Gesicht rötete sich. „Ich brauche eine Verschnaufpause!“
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Faust Junior
Leseprobe
„Das ist zu viel Licht.“ Mephisto kratzte an seiner Brust. „Verträgst du’s, Faust?“
„Das Licht ist’s nicht, was mich schwindelig macht.“ Faust knöpfte den Hemdkragen auf.
„Die Luft ist’s. Wir sind im Freien, aber es ist keine Luft wie im Freien.“
„Wahrscheinlich Feinstaubbelastungsstufe vier“, sagte ich. „Zu Abend bessert’s sich gewöhnlich.“
„Zum Abend bin ich verreckt, wenn’s sich nicht vorher bessert.“ Faust streckte sich auf der
Bank aus, schubste dafür Mephisto mit einem Fußtritt bis an den Rand der Sitzfläche. „Du
passt auf, Justus! Das sieht hier nur so friedlich aus wie zum Osterspaziergang.“
„Ich bin doch nicht aus der Anstalt raus, um woanders abzuhängen.“ Ich trommelte ein Crescendo auf den Gitarrenboden. „Wir müssen rauskriegen, wo das nächste Casting zum Superstar stattfindet.“
Mephisto saß da wie ein Häufchen Unglück, hielt die Hände zwischen die Knie verklemmt,
als hätte er eingemacht oder könne einem Juckreiz nur schwer widerstehen. „Stell dich mal
so“, sagte er zu mir, „dass ich etwas Schatten habe. So viel Licht, da zerreißt es mich bald.“
Aber da kam der Schatten schon angetrabt und das in doppelter Ausfertigung. Zwei, den
Kraftatzen in der Anstalt vergleichbare Typen standen neben der Bank. Sie waren uniform
dunkelblau gekleidet, nicht sichtbar bewaffnet, aber mit Funkgeräten ausgerüstet.
„Städtisches Ordnungsamt“, sagte der eine. „Qualwass mein Name.“ Er deutete auf den
Typen neben sich. „Das ist mein Kollege Unferfert.“
„Mir ist schlecht“, sagte Faust. „Die frische Luft, die keine frische Luft ist, macht mich
fertig.“
„Unsere Stadt“, sagte Unferfert, „hat die besten Smogwerte des Landes.“
„Also, Bürger“, sagte Qualwass, „nehmen Sie Ihre Füße von der Sitzfläche dieser Ruheinstallation. Auch die anderen Bürger haben einen berechtigten Anspruch auf Sauberkeit.“
„Und wir sind dafür da, das zu beaufsichtigen und gegebenenfalls durchzusetzen“, sagte
Unferfert.
„Lassen Sie es also nicht darauf ankommen“, ergänzte Qualwass, der sah, dass mein Vater nur
Bahnhof verstand. „Wir sind jederzeit in der Lage, eine Polizeistreife zu rufen.“
Mephisto spuckte aus, randscharf bis vor die blankgewichsten schwarzen Schnürstiefel der
beiden Ordnungshüter. „Das habe ich doch schon einmal gehört“, sagte er. „Und was, wenn
der Mann es darauf ankommen lässt?“
„Sie, Bürger, halten sich raus“, sagte Unferfert. „Sie sind mit keiner Verfehlung gegen die
Parkordnung auffällig geworden.“
„Dann geben Sie sie mir zur Kenntnis.“ Mephisto spuckt den beiden ein zweites Mal vor die
Füße. „Damit ich weiß, was ich anstellen muss, um auffällig zu werden.“
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Faust Junior
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„Spucken ist nicht aufgeführt, aber wir werden es bei der Behörde anregen.“ Qualwass ging
einen Schritt zurück. „Wir tun hier nur unsere Pflicht. Das sage ich, und ich bin dazu nicht
verpflichtet, damit wir uns nicht falsch verstehen.“
„Wenn Sie also nicht nur ihre Pflicht täten, würden sie auch auf Bänken rumlümmeln und in
die Gegend rotzen und sich mit Leuten, die nur Ihre Pflicht tun, anlegen?“ Mephisto stand
auf. Er war so groß, wie ich ihn noch nie erlebt hatte, größer als Qualwass und Unferfert, und
er rollte die Schultern, als ginge es für ihn in eine Rauferei. „Habe ich Sie richtig verstanden?
Sie wollten’s doch, dass wir uns nicht falsch verstehen.“
„Ihrer Papiere! Bitte!“ Qualwass machte sich kontrollbereit. „Von Ihnen beiden die Papiere.
Bitte!“ Er tippte Faust an, der am Einschlafen war.
„Häh?“ Faust hob den Kopf, blinzelte. „Jag sie zum Teufel“, sagte er zu Mephisto. „Wir sind
doch schon mit ganz anderen Banditen und Wegelagerern fertiggeworden.“
„Beleidigungen werden zur Anzeige gebracht“, sagte Unferfert. „Und für Bandit und Wegelagerer gibt’s eine saftige Geldstrafe, das kann ich Ihnen versprechen. Und in ganz schweren
Fällen sind auch schon Haftstrafen verhängt worden.“
„Also!“ Qualwass schlug seinen Formularblock auf. „Wenn die Herrschaften Lust auf eine
Justizvollzugsanstalt haben, dann müssen Sie sich nur weiter so große Mühe geben, kooperativ zu sein.“
„Ich gebe mir keine Mühe“, sagte Faust. „Ich will nur in Ruhe gelassen werden.“
„Melde die Herren doch bei den Kameraden vom Wachdienst an“, sagte Unferfert zu Qualwass. „Wozu haben wir eine Polizei?“
„Wenn ich was erklären darf “, wandte ich mich an Qualwass. „Das ist ein Missverständnis.
Mein Vater und …“, ich nickte Faust und ich nickte auf Mephisto „… sein Freund waren für
längere Zeit nicht unter uns, sie müssen sich erst eingewöhnen, dieses Leben hier ist komplett neu für sie.“
„Ihre Ausweise würden wir trotzdem gern sehen“, sagte Unferfert. Er schlug seinen Block
auf. „Ordnung muss sein.“
„Unsere Papiere sind im Hotel“, sagte ich.
Und Mephisto sagte und zeigte auf Faust: „Das ist Faust. Sagt euch das nichts? Jungs! Faust
ist’s. Der Faust, der sich mir verschrieb, um das Prinzip der Welt zu durchschauen. Faust! Der
einmalige Fall eines Mannes von Weltruf, der nicht zu ruinieren ist!“
Qualwass und Unferfert verständigten sich mit einem Blick. „Haben Sie getrunken?“, fragte
Unferfert? „Oder haben Sie Suchtmittel konsumiert?“
Und Qualwass sagte in sein Funkgerät: „An Zentrale. Hier OK Bürgerpark. Haben
drei Personen ohne Personaldokumente. Starkes Aggressionspotenzial. Brauchen
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Faust Junior
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Unterstützung. Ja, eine Streifenbereitschaft dürfte ausreichend sein.“
„Das ist ein Missverständnis“, wiederholte ich. „Lassen Sie es mich doch erklären!“
Es standen schon einige Gaffer um uns. Einer klopfte Qualwass auf die Schulter, sagte: „Lasst
den Brüdern nischt durchjehn. Habn wia uns jenuch jequält, dat wa Ruhe habn hier un Ordnung, wo et sonst inne Stadt nur so bumst von Klamauke. Schwul sehn se aus, aba wat uffem
Kerbholz habn se ooch.“
„Das ist mein Vater Johann Heinrich Faust“, rief ich und versuchte, ihn von der Bank hochzuziehen. „Er ist nicht mehr der Jüngste und ruht sich nur aus. Wir haben eine anstrengende
Reise hinter uns.“
„Und wo kommen wir her?“, fragte Unferfert.
„Aus der Anstalt meines Vaters“, antwortete ich spontan.
„Vom Stern der nackten Seelen kommen wir“, sagte Mephisto.
„Wer aus einer Anstalt kommt, hat, wenn er nicht getürmt ist, Entlassungspapiere“, sagte
Unferfert. „Die werdet ihr doch dabeihaben?“
Und Qualwass sagte ins Funkgerät: „Die Streife soll Gas geben. Unsere Klienten kommen
aus einer Anstalt und können ihre Entlassung nicht belegen. Checkt doch mal die
Fluchtliste.“
„Begreifen Sie’s denn nicht? Begreift’s hier keiner?“, schrie ich. „Das ist mein Vater. Und
mein Vater ist Faust. Faust!!! Nichts gelernt in der Schule? Nur auf Verweigerung gemacht
und Ausländerkinder gemobbt?“
„Bitte“, sagte Qualwass. „Ich habe das Abitur.“
„Und ich habe zwei Berufe und beide Lehren mit besten Noten abgeschlossen.“ Unferfert
musterte Mephisto. „Und als ich in der Schule war, gab’s noch nichts mit Verweigerung.“ Er
flüsterte Qualwass etwas zu. Der nickte, musterte Mephisto ebenfalls.
Von den Gaffern sagte eine Frau: „Wenn der Olle Faust is, denn is der, der vom andern Stern
jekommen sein will, Mephistopheles. Hah!“
„Und wenn det so is“, sagte ein anderer, „denn steht hier irjendwo ne versteckte Kamera und
det jiebt gleich wat zu lachen.“
Qualwass und Unferfert blickten in die Runde, waren verunsichert.
„Auf öffentliche Verarsche habe ich keinen Bock“, sagte Unferfert.
Qualwass hatte sich entschlossen, die harte Tour zu fahren. Er zog Faust von der Bank und
schnauzte ihn an: „Auch Ihr hohes Alter ist kein Freibrief für öffentliches Fehlverhalten,
Bürger. Sagen Sie mir Ihre Personalien, damit mein Kollege das von der Zentrale überprüfen
lassen kann.“
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Faust Junior
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„Ich heiße Faust und ich bin Faust.“ Mein Vater ballte erbost beide Hände, erhob sie drohend
gegen Qualwass. Der wollte mit einem Abwehrgriff parieren. Aber dazu kam er nicht. Denn
ein großer schwarzer Pudel sprang ihn an, biss in den Arm, der Faust am nächsten war, und
zerrte ihn zu Boden. Es war sofort Tumult. Qualwass schrie um Hilfe. Die Hälfte der Gaffer
schrie um Hilfe und die andere Hälfte verdünnisierte sich. Unferfert wusste überhaupt nicht,
was er tun sollte. Den Pudel anzufassen, wagte er nicht. Der hatte Qualwass’ Arm zwar nicht
weiter zwischen den Zähnen, stand aber knurrend über ihm, bereit, ihm beim nächsten Angriff, sollte der nötig werden, an die Kehle zu gehen.
„Wo ist der dritte geblieben?“, fragte Unferfert ein ums andere Mal, weil er Mephisto nicht
mehr sah.
Zugleich zog der Vorfall, oder war’s auch nur von den Lauten des Pudels bestimmt, zu hundertzwölf Prozent alle Hunde im Park an den Ort des Geschehens. Labradors, Retriever,
Collies, Terrier, Dackel, zwei Schäferhunde, eine Dogge und ein Pinscher kamen im vollen
Sprint gelaufen. Davor verzogen sich auch die letzten Gaffer. Und Unferfert flüchtete auf
die Bank und wäre wohl auf den Mount Everest gestiegen, hätte das die einzige Möglichkeit
geboten, in Sicherheit zu gelangen, dass er die in fünfzig Zentimeter Höhe auch nicht hatte, realisierte er nicht. Bis auf die Dogge, die sich dann doch betont vornehm abseits hielt,
machten die anderen Hunde, ohne dass es einer wagte, ihn zu beißen, gegen den Pudel Front.
Sie rochen’s, dass der nicht in ihre Meute gehörte und dass er nur deshalb das Unerhörte gewagt hatte, einen Menschen anzugreifen, und vielleicht solidarisierten sie sich auch, weil sie
ihren guten Ruf hier nicht durch dieses Vieh in Verruf bringen lassen wollten; auch Hunden
mag, geht’s um Privilegien und fettes Leben, der eigne Arsch näher sein als ihre Natur.
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