Adolescent Identity Treatment (AIT): ein integrativer Ansatz zur Behandlung von Persönlichkeitspathologie in der Adoleszenz Pamela A. Foelsch, PhD Weill Medical College of Cornell University Basel October 2014 Ätiologie von Persönlichkeitspathologie Komplexe Ätiologie: nicht monokausal Genetische Dispositionen: Neurotransmitter Systeme Abnorme Affektivität: Negative Affekte, Aggressionen und abnorme Affektkontrolle Temperament Objektbeziehungen Chronisch chaotische Beziehungen und Verwischend er Generationsgrenzen Vernachlässigung Trauma / Missbrauch Bindungsstörungen Pamela Foelsch, PhD: Weill Cornell Medical College Entwicklung der inneren Welt Pamela Foelsch, PhD: Weill Cornell Medical College S + S S + o + S - o o S + Severe S S + o S + - o o O +- Less Severe Pamela Foelsch, PhD: Weill Cornell Medical College Normal S+- O+o -- Identität (Erikson; Paulina Kernberg) ein fundamentales Organisationsprinzip, das es Menschen ermöglicht, unabhängig von anderen zu funktionieren Organisiert die Selbstwahrnehmung Pamela Foelsch, PhD: Weill Cornell Medical College Beschreibung zur Identität (spätere Adoleszenz 15-18 Jahre) „Ich bin 16 Jahre alt und gerade in die Oberstufe gekommen. Ich habe braune Haare und blaue Augen. Ich spiele Tennis, außerdem spiele noch Violine und Cello und ich singe auch. Meine ganze Familie ist ziemlich musikalisch und so ist Musik ein Teil meines Lebens geworden und ich hoffe, dass sie es auch bleiben wird. Ich mach die Schule ganz gut, bin besser als der Durchschnitt, aber Herausforderungen außerhalb der Schule mag ich doch sehr viel mehr. Ich kann nett sein und zuverlässig, wenn ich es will. Ich habe drei Schwestern, zwei ältere und eine jüngere. Ich kann für mich selbst eintreten, wenn es notwendig ist, und achte immer auf meine jüngere Schwester, auch wenn wir nicht einer Meinung sind. Ich werde von meinen Freunden als die „Mama“ der Clique angesehen, sowohl in der Schule als auch in der Freizeit, weil ich mich immer verantwortlich fühle für meine Freunde, ihnen immer helfe, wenn es irgendwie möglich ist. Ich neige dazu, meine Lehrer zu korrigieren, nicht aus Boshaftigkeit, sondern nur, wenn ich weiß, dass ich Recht habe und nicht will, dass die anderen es falsch mitkriegen. Ich mag Kinder und freue mich schon, wenn ich irgendwann selbst welche haben werde und eine Familie gründe. Insgesamt bin ich eine witzige, temperamentvolle Person, es sei denn ich schlafe nicht genug oder wenn ich hungrig bin, dann will keiner so gern in meiner Nähe sein.“ Identitätskrise • Diskrepanz zwischen rasch sich verändernden physischen und psychologischen Erfahrungen • Diskrepanz zwischen der Selbstwahrnehmung des Adoleszenten und der Wahrnehmung durch andere • Die Auflösung von Identitätskrisen führt zu einer gut integrierten Identität. Identitätskrisen Entstehen bei • Körperlicher Intimität • Berufswahl/Studienwahl • Aktive Konkurrenz • Psychosozialer Selbstdefinition Identitätsdiffusion • Chronisch fehlende Integration des Konzepts von sich Selbst und bedeutsamen Anderen (unsichere Selbst- und Objektrepräsentanz) • Führt zu einer disorganisierten Selbstwahrnehmung Beispiel für eine Identitätsdiffusion (17j. Mädchen) • “Aufrichtig, schlecht im Lügen und Dinge spüren. Ich zeige immer meine Gefühle - und ich kann das nicht immer als Vorteil sehen. Kreativ. Ich erfinde Geschichten, zeichne gerne, dekoriere gerne mein Zimmer. Ich habe kein richtiges Selbst-Gefühl. (?) Ich kenne mich nicht wirklich, ich weiss nicht. scheu. Ich habe Schwierigkeiten, Gespräche zu beginnen. Wenn Du die richtige Person bist, dann gehts. Ich denke, dass ich unterbewusst die richtigen Leute auswähle. Extrem unreif, extrem energievoll. Die Leute sagen mir, dass ich mich wie eine 2jährige benehme[sic]. oberflächlich. Die Leute sagen, ich sei eine Kriecherin, deshalb habe ich beschlossen, eine zu sein. Ich sage merkwürdige Dinge.” • Dies illustriert einen Mangel an: Kontinuität über die Zeit hinweg, Aufrichtigkeit(obwohl dieses Wort benützt wird), konsistente Einstellungen und Verhaltensweisen, subjektives Gefühl, sie selbst zu sein, … mangelhafte Integration und Regulation Pamela Foelsch, PhD: Weill Cornell Medical College Identitätsdiffusion vs. -krise Bei Identitätskrisen bleibt eine Kontinuität des Selbst über Situationen und die Zeit hinweg erhalten, obwohl mit verschiedenen Rollen experimentiert wird. Lösung der Krise führt zu einer gut integrierten Identität. Pamela Foelsch, PhD: Weill Cornell Medical College Diagnostischer Prozess Pamela Foelsch, PhD: Weill Cornell Medical College Arbeit mit Familien Warum? Differenzierung, wo die zentrale Störung liegt Primäre Pathologie beim Adoleszenten (mit Auswirkung auf das Familiensystem) oder bei einem Familienmitglied (Adoleszenter als Symptomträger) Zur Vermeidung von Behandlungsabbrüchen (Eltern sollen die Einzeltherapie des Jugendlichen unterstützen) Ankündigen, dass sich Familie verändern wird Auffangen von Beschlüssen, die die Behandlung stören Hilfestellung für die Eltern, die optimale Entwicklung des Adoleszenten zu unterstützen Angemessene Grenzen aufrechterhalten (Rollen / Beziehungen) Tolerieren / auffangen / modulieren von affektiven Dysregulationen Unterstützung der Loslösung von der Ursprungsfamilie Erhaltung von Grenzen der Behandlung … um dem Therapeuten Raum zum Denken zu geben Auffangen der Eltern (Erwartungen, Affekte, Acting-out) Gegenübertragungsreaktionen der Eltern managen Pamela Foelsch, PhD; Weill Cornell Medical College Psychoedukation Benennen der Entwicklungsaufgaben • Entwicklung der Identität • Entwicklung von Autonomie / Unabhängigkeit • Herstellen von Intimität • Entwicklung des Selbstwertgefühls • Etablierung eines stabilen Körperbilds • Leistungsbereitschaft • Veränderungen in der Eltern-Kind-Beziehung Erläuterung von relevanten Statistiken: Experimentieren mit Alkohol und Drogen, sexuelle Aktivität, etc… Pamela Foelsch, PhD; Weill Cornell Medical College Strategien für Eltern Kommunikation und Aufbau/Aufrechterhaltung einer Beziehung Setzen von Grenzen Sicherheit / Rettung / Beurteilung / Autonomie Management von Affekten Pamela Foelsch, PhD; Weill Cornell Medical College Technik und Entwicklungsaufgaben Verstärkter Einsatz von Klärungen Verlangsamt den Prozess, ermöglicht dem Adoleszenten, sich zu entwickeln Indentifizierung von Affekten Differenzierung von Affekten Reflective Functioning (wodurch die “top-down Regulation” verbessert wird) Ermöglicht es, dass Konfrontationen (und eventuell auch) Deutungen toleriert, verstanden und akzeptiert werden können Beginn der therapeutischen Arbeit in Beziehungen ausserhalb der Übertragung Hilft zur Etablierung einer therapeutischen Beziehung, wenn der initiale Focus auf andere gerichtet ist, bevor direkt an der Übertragung gearbeitet wird. Die Intensität von Affekten wird zunächst “ausserhalb” gemanaged, danach erst in den therapeutischen Raum gebracht (ausser in Krisen) Therapeut muss die Implikationen der extratransferentiellen Beziehungen auf die Übertragung im Blick haben; ebenso, was dadurch in der Übertragung aktiviert wird Schlussendlich werden dem Jugendlichen diese Beobachtungen im Hier und Jetzt direkt bewusst gemacht. Pamela Foelsch, PhD: Weill Cornell Medical College AIT Behandlungsstruktur Pamela Foelsch, PhD: Weill Cornell Medical College AIT-Therapieprozess Therapeut Patient Haltung Setzt Rahmen durch Vertrag Erlebt einen sicheren Ort, um auftauchende Gefühle reflektieren zu können Ausdruck von Affekten beinhaltet Interaktionen, die auf impliziten Objektbeziehungen basieren versucht, zugrunde liegende Objektbeziehungen zu identifizieren Klärung Konfrontation Deutung bessere Reflexionsfähigkeit besseres interpersonelles Funktionsniveau bessere Affektmodulation 18 Ziele der Klärung Affekte Identifizierung (Benennung) Differenzierung des Ursprungs (mein, nicht mein) Tolerierung (Verstehen & managen, nicht Ausagieren) Perspektive Zeit (Vergangenheit, Gegenwart & Zukunft) Blickwinkel (Selbst & Anderer) Objektbeziehungen Differenzierung zwischen Selbst und Gegenüber (Grenze) Integration von Selbst-Repräsentationen und den Repräsentationen von Anderen (“good-enough”) Pamela Foelsch, PhD: Weill Cornell Medical College Konfrontation die “Columbo” Technik Wenn Affekte toleriert werden können und erste Klärungen der Affekte stattgefunden haben … und der Behandlungsrahmen wiederhergestellt worden ist Klären, ob Patient die Wechsel oder Widersprüche in seinem Verhalten wahrgenommen hat Falls ja, wird Exploration fortgesetzt; Falls nein, dem Patienten vermitteln, was wir beobachtet haben. Wenn sie zustimmen, wird weiter gegangen. Falls nicht, wird festgehalten, dass man “darin übereinstimmt, nicht übereinzustimmen”. Der Gegensatz der Sichtweisen wird dann weiter exploriert. Erklären, dass nach einem Weg gesucht wird, diese Wechsel / Widersprüche zu verstehen Den Patient auffordern dem Therapeuten helfen zu verstehen/klären, was möglicherweiese im Zusammenhang mit diesem Verhalten noch passiert. Zu beachten: Konfrontationen kehren oft zur Klärung zurück (Kreislauf). Genauso kann eine Konfrontation aber auch zur Deutung führen, wenn der Jugendliche offen dafür ist oder wenn eine Krise vorliegt, die eine schnelle Bewegung von der Oberfläche zur Tiefe erfordert. Pamela Foelsch, PhD: Weill Cornell Medical College Deutungen Deutungen werden als “Hypothesen” gegeben, über die der Jugendliche nachdenken soll, wenn sich wiederholende Muster vom Jugendlichen (an)erkannt und verstanden sind Damit soll den Jugendlichen geholfen werden, ihre eigenen Gedanken und Handlungen zu organisieren und ihnen eine Bedeutung zu geben Deutungen fokussieren auf konflikthafte Affekte und Verhaltensweisen, die Manifestationen von abgespaltenen intrapsychischen internalisierten Objekten Schaffen von Verbindungen für Inhalte, die durch Klärung und Konfrontation angesprochen worden sind Bennenen der Verbindung zwischen bewussten und unbewussten Inhalten, die einen Einfluss auf Motivation und Funktionsfähigkeit des Jugendlichen haben Verbindung zwischen Sprache, nonverbalem Verhalten und Gegenübertragung Generell zunächst im Kontext von Beziehungen zu Familie und Peers, dann erst in Beziehung zum Therapeuten. Nur bei einem Affektdurchbruch wird die Deutung direkt auf die Übertragung bezogen. Pamela Foelsch, PhD: Weill Cornell Medical College Zusammenfassung der AIT-Techniken Festlegung des Rahmens für Patient und Familie Priorität von Klärungsprozessen, bevor Konfrontationen und Deutungengegeben werden Arbeit an den Übertragungen ausserhalb der Beziehung, bevor an der Übertragung selber gearbeitet wird Bei der Gege¨übertragung wird nicht nur der Jugendliche, sondern auch die Eltern und die Familie als Ganzes einbezogen (wobei Objektivität gewahrt bleibt) “Konfrontation” als Einladung, sich Widersprüche anzuschauen (z.B. “Columbo” Technik) “Deutungen” beziehen “spielerisch” den Jugendlichen ein bei der Entwicklung von “Hypothesen”. Dabei wird speziell auf die Verbindung von nonverbalen Zeichen, Affekt und Denken geachtet. Pamela Foelsch, PhD: Weill Cornell Medical College Adolescent Identity Treatment Kontaktinformation: [email protected] Adolescent Project Information: www.adolescentproject.org Diese Präsentation darf ohne schriftliche Erlaubnis weder kopiert, verteilt noch veröffentlicht werden. Vielen Dank Adolescent Study Description: http://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT00571571 Pamela Foelsch, PhD: Weill Cornell Medical College