Festkörperphysik I Prof. Klaus Ensslin HS 2016 Verteilung: 23. November 2016 Nachbesprechung: 30. November / 1. Dezember 2016 10. Übungsblatt: Lösungen Aufgabe 1: Der Hall-Effekt im Drude-Modell a) Die Gleichung für die zeitliche Änderung des Drude-Impulses m⃗v d(m⃗v ) =− + F⃗ dt τ (1) beinhaltet einen Kraftterm aufgrund der angelegten Felder (Lorentzkraft) ( ) ⃗ + ⃗v × B ⃗ F⃗ = −e E (2) und den Reibungsterm, der zuerst anschaulich hergeleitet werden soll. Zur Zeit t = 0 sind die Wellenvektoren ⃗k der Elektronen innerhalb der Fermi-Kugel gleichmässig verteilt (siehe Fig. 1a). Unter Einwirkung einer äusseren Kraft (hier: ein elektrisches Feld) über die Zeit t verschiebt sich die Fermikugel als Ganzes um den Vektor ⃗ δ⃗k = −eEt/~. (3) ky t=0 ky t kF kF kx kx k Fig. 1a F Fig. 1b Infolge der Stösse mit Verunreinigungen, Gitterfehlern und Phononen relaxieren die Elektronen im Mittel nach der Streuzeit τ . Bei abgeschaltetem Feld würden die Elektronen wieder den gleichverteilten Zustand in Fig. 1a einnehmen. Bei bestehendem Feld hingegen stellt sich ein stationärer Zustand ein, der durch eine um ⃗ /~ δ⃗k = −eEτ (4) verschobene Fermikugel im k-Raum beschrieben wird. Der angelegten elektrischen Kraft wirkt also eine gleich grosse Kraft entgegen, die Reibungskraft. Nur so gibt es einen stationären Zustand, d.h. das Elektron wird bei einer endlichen Geschwindigkeit stabilisiert. Die Reibungskraft ist damit gegeben durch ~δ⃗k/τ . Die Driftgeschwindigkeit ⃗v ist eine mittlere Geschwindigkeit der Elektronen in einem angelegten Feld. Die thermischen Grund-Geschwindgkeiten der Elektronen sind in alle Richtungen gleichverteilt und ergeben daher bei der Mittelung keinen Beitrag. Es gilt daher m⃗v = ~δ⃗k und es folgt der Reibungsterm in Gleichung (1). (5) B Ex ++++++++++++++++ Ey - - - - - - - - - - - - - - - jx b) Im stationären Zustand verschwindet die zeitliche Ableitung in den Bewegungsgleichungen und man erhält für die Impulskomponenten in der Ebene 0 = 0 = mvx , τ mvy , −eEy + ωc mvx − τ −eEx − ωc mvy − (6) (7) ⃗ wobei ωc = eB v liefert die Gleichungen für die Komm die Zyklotronfrequenz ist. Einsetzen von j = −ne⃗ ponenten der Stromdichte: 0 = 0 = mjx , τ mjy −ne2 Ey − ωc mjx + . τ −ne2 Ex + ωc mjy + (8) (9) Die in der y-Richtung gemessene Hallspannung erfolgt stromlos. Daher wird die Lorentzkraft aufgrund der vx -Komponent gerade durch das entstehende elektrische Feld Ey kompensiert. Wir setzen jy = 0 und erhalten aus der ersten Gleichung Ex m ρ(B) ≡ = 2 . (10) jx ne τ Dies ist nicht vom Magnetfeld abhängig. Im Gegensatz dazu beobachtet man in verschiedenen Materialien und Systemen eine wesentliche Abängigkeit ρ(B), wofür die Quantenmechanik eine bessere Beschreibung liefert. Mit jy = 0 liefert die zweite Gleichung RH ≡ Ey 1 =− . jx B ne (11) c) Der Hall-Koeffizient nach Drude ist unabhängig vom Magnetfeld, der Probenqualität (→ τ ) und der Temperatur (→ τ , es sei denn, die Elektronendichte hänge von der Temperatur ab). Somit liesse sich die Ladungsträgerdichte im Metall direkt bestimmen (und mit der Annahme vergleichen, dass es genau die Valenzelektronen aller Atome sind, die an der elektrischen Leitung teilnehmen). Experimente zeigen, dass in vielen Metallen RH sehr wohl abhängig vom Magnetfeld etc. sein kann. Darüber hinaus ist die Ladungsträgerdichte nicht immer konsistent mit der Anzahl der Valenzelektronen und die Ladungen können positive Vorzeichen annehmen (“Löcher”). Offensichtlich versagt in vielen Fällen das Drude-Modell der freien Elektronen. Die Wechselwirkung mit dem periodischen Gitterpotential im Festkörperkristall führt dazu, dass nur Elektronen in nicht vollständig besetzten Energiebändern zum Stromtransport beitragen können, und dass für mehr als halb besetzte Bänder der Strom von positiv geladenen Löchern getragen wird. Zudem können bei mehreren, unterschiedlich gefüllten Bändern beide Ladungsträgertypen gleichzeitig auftreten. Generell kann man sagen, dass eine isotrope Fermifläche die nur aus einem Band besteht gut durch das Drude-Modell beschrieben wird. Die folgende Graphik zeigt die (berechneten) Fermiflächen für Kalium, Kupfer, Magnesium und Aluminium. Die Fermiflächen der Alkalimetalle sind alle sehr ähnlich und fast perfekt kugelförmig. Die Fermiflächen der Edelmetalle (hier Kupfer) sind grösstenteils kugelförmig, weisen aber die charakteristischen Hälse auf. Die Fermiflächen von Magnesium und Aluminium, sind sehr anisotrop und bestehen aus verschiedenen Bändern (verschiedene Farben). Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Drude-Modell bei diesen Metallen versagt. K Cu Mg Al http://www.phys.ufl.edu/fermisurface/ Aufgabe 2: Leitwert in dünnen Filmen Im diffusiven Fall ist der spezifische Leitwert proportional zur mittlere freien Weglänge (siehe z.B. DrudeModell). Durch die “diffusive” Grenzfläche werden die Elektronen zufällig in alle Richtungen gestreut, bevor sie ihre mittlere freie Weglänge im Falle eines ausgedehnten Stück Metalls ausgeschöpft haben. Man betrachtet also ein Elektron, welches im Abstand x zur nächsten Grenzfläche elastisch gestreut wurde und zwar im Winkel θ bezüglich des Lots zur Grenzfläche. Die mittlere freie Weglänge wird neu eine Funktion von θ sein, λ(θ) und λ = λ0 nur wenn θ1 < θ < θ2 mit cos(θ1 ) = (d − x)/λ0 und cos(θ2 ) = −x/λ0 . Für 0 ≤ θ ≤ θ1 gilt: λ(θ) = (d − x)/ cos θ. Für θ2 ≤ θ ≤ π: λ(θ) = −x/ cos θ. Durch Mittelung über den Abstand x zur Oberfläche und den gesamten Raumwinkel erhält man ∫d ∫ ∫ ∫ 2π ∫ dx dΩ λ(Ω, x) 1 1 π 1 d dx dϕ d(cos θ) λ(θ, x), λ= = ∫d ∫ d 0 2π 0 2 θ=0 dx dΩ 0 ( ) ∫ d ∫ π 1 3d d λ0 λ= dx dθλ(θ, x) sin θ = + ln . 2d 0 4 2 d 0 0 Es folgt σ λ 3d d = = + ln σ0 λ0 4λ0 2λ0 ( λ0 d ) . Anmerkung: Die hergeleitete Formel gilt auch für den Fall, dass d ≈ λ0 . Dann kann man den Logarithmus bis zur zweiten Ordnung um 1 herum entwickeln. ( ) 1 λ0 3 λ = d + d log 4 2 d [( ) ( )2 ] 3 1 λ0 1 λ0 ≈ d+ d −1 − −1 4 2 d 2 d 1 λ20 4 d = λ0 + O (1/d) . = λ0 − Für d → ∞ erhält man damit das gesuchte Ergebnis. Mathematisch ist das nicht ganz sauber, da man zunächst annimmt, dass d ≈ λ0 und dann d → ∞; physikalisch kann man diese Vorgehensweise aber dennoch motivieren. Zusatzaufgabe: Semi-klassisches Modell für den Quanten Hall Effekt a) Der Hamiltonian ist der gleiche wie für den quantenmechanischen harmonischen Oszillators. Die Energieniveaus sind demensprechend ( ) 1 En = ~ωc n + . 2 b) Die maximale Anzahl an Zuständen pro Landau-Level mmax ist erreicht, wenn y0 = L. Daraus folgt L= ~ 2πmmax ~kxmax = eB eB L ⇒ mmax = eB A. h Die Entartung eines Landau-Levels beträgt also eB h A. Die Entartung pro Fläche ist damit Füllfaktor wird daher über ν = n/(eB/h) definiert. eB h , und der c) Einsetzen liefert ρxy = B B h = νeB = 2 . en e ν e h Damit haben wir schon den Ausdruck für den quantisierten Widerstand gefunden. Allerdings können wir damit nur einzelne diskrete Werte des Kurvenverlaufs richtig widergeben; eine Erklärung für die Ausbildung von Plateaus haben wir damit noch nicht gefunden. d) Die Berechnung der Zustandsdichte ergibt: DLL (E) = 1 dN (E) 1 d ∑ eB eB ∑ = AΘ(E − En ) = δ(E − En ). A dE A dE n h h n Die Zustandsdichte ist also durch δ-Peaks gegeben, die einen Abstand von ~ωc voneinander haben. Da die Temperatur im Experiment nicht 0 K beträgt, werden die Peaks verbreitert sein. Da En über ωc linear von B abhängt, kann man durch Veränderung des angelegten B-Feldes die Anzahl der besetzten Landau-Levels und damit den Füllfaktor verändern (siehe Bild). Wenn ν einen ganzzahligen Wert annimmt, ν ∈ N, dann liegt die Fermienergie genau zwischen den LandauNiveaus ν und ν + 1, also EF = ~ωc (ν + 1). Kleine Veränderungen des Magnetfeldes verschieben dann nur die Peaks in der Zustandsdichte relativ zur Fermienergie (siehe Bild), aber die “Ladungsträgerkonfiguration” bleibt gleich, da sich die Fermienergie in der Lücke zwischen zwei Landaulevels befindet. Für ein genaueres Verständnis muss man sich die Bewegung der Ladungsträger anschauen. In der Mitte der Probe führen die Ladungsträger Zyklotronorbits aus, das bedeutet, sie sind lokalisiert und nehmen nicht am Stromtransport teil. Am Probenrand dagegen stossen sie gegen die Begrenzung; statt Orbits bilden sich sogenannte Randkanäle aus. Pro Landau-Niveaus gibt es einen Randkanal, der einen Beitrag von h/e2 zum Hall-Widerstand liefert. Daher bildet sich ein Plateau in ρxy mit dem quantisierten Wert h/(e2 ν) aus. Aus dieser Überlegung lässt sich auch eine Maximaltemperatur zur Beobachtung des QHEs angeben, nämlich kT < ~ωc . Diese semi-klassische Erklärung des QHEs kann bei weitem nicht alle Phänomene, die den QHE auszeichnen, erklären. Sie gibt aber einen Einblick in eine der wichtigsten Entdeckungen in der Festkörperphysik überhaupt.