Anthropologische Analyse der Körpergräber

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Die Bestattungen aus der Fundstelle
„Lexmond“ (Zuid-Holland, NL)
Bericht über die anthropologische Auswertung
Für die Firma Synthegra Archeologie BV, NL
20.3.2014
Johanna Kranzbühler M.A., - physische Anthropologin Waldweg 2, 35423 Lich, [email protected]
1. Art und Umfang des Skelettmaterials
Das Skelettmaterial wurde Frau Johanna Kranzbühler am 24.02.2014 durch die Firma
Synthegra BV zur wissenschaftlichen anthropologischen Bearbeitung übergeben. Insgesamt
handelte es sich dabei um Skelettmaterial im Umfang von 14 Bestattungen und
Streuknochen im Umfang von ca. 2 Bestattungen. Bei den Bestattungen handelte es sich um
Körpergräber, es befand sich kein Leichenbrand in dem Befundkomplex. Es wurden keine
Tierknochen identifiziert.
Das Material wurde im gereinigten Zustand übergeben, es erfolgte keine Nachreinigung.
Ziel der Untersuchung war die die Erhebung der anthropologischen Basisdaten: Alter,
Geschlecht, Körperhöhe, Pathologien. An dem Skelettmaterial, das im Umfang von ca. 2
Bestattungen vorlag sollte lediglich eine „Quick Scan“ -pathologische Untersuchung
durchgeführt werden.
2. Anthropologische Untersuchung
2.1 Erhaltungszustand
Der Erhaltungszustand der Knochen ist gut. Die Oberfläche ist wenig erodiert, Gelenkenden
und Spongiosa sind oft erhalten. Die Knochen sind nahezu durchgehend dunkel verfärbt,
was mit hoher Wahrscheinlichkeit auf das Liegemilieu zurückzuführen ist.
An einigen Knochen fand sich weißer Schimmelbelag.
2.2 Methoden
Die anthropologische Untersuchung erfolgte nach den in den Niederlanden
vorgeschriebenen Standards: G.J.R. Maat, A.E. van der Merwe, Th. Hoff, Manual for the
Physical Anthropological Report, Barges Anthropologica 6, Leiden Amsterdam 2012. Nach
telefonischer Rücksprache mit Herrn Edwin Hoven (A&S Archaeologie) wurden die
folgenden Formulare verwendet: Form 2, 3, 5, 7, 8, 9, 10, 11, 12, und 14.
2.3 Fotodokumentation und Datenverarbeitung
Von jedem Skelettindividuum wurde eine digitale Übersichtsfotografie angefertigt.
Ausgewählte pathologische Veränderungen und Besonderheiten wurden gesondert digital
fotografiert. Die Befundung wurde analog auf Erhebungsbögen dokumentiert.
3. Ergebnisse aus der Untersuchung der Bestattungen
3.1 Mindestindividuenanzahl
In den insgesamt 14 Befunden befanden sich 15 Skelettindividuen sowie beigemengte
Knochen von mindestens fünf erwachsenen und drei nicht-erwachsenen Individuen. V8 lag
als Doppelbestattung, bestehend aus einem erwachsenen und einem kindlichen Individuum,
2
vor. In den zur Quick-Scan-Pathologie übergebenen Befunden fanden sich mindestens
sechs Individuen.
3.2 Geschlechtsbestimmung
Die Geschlechtsbestimmung ergab sechs Männer und vier Frauen sowie ein indifferentes
Individuum. Zwei der männlichen Individuen (V2 und V17) konnten nur als „tendenziell
männlich“ bestimmt werden (Tabelle 1).
3.3 Altersbestimmung
Die Altersbestimmung ergab 12 erwachsene und 3 kindliche Individuen. Die kindlichen
Individuen erreichten ein Alter von 3-6-, 6-11 und 8-11 Jahren. Unter den Erwachsenen
dominieren Individuen der adulten-maturen Altersklasse, in einem Fall liegt ein jungadultes
Individuum vor (V4), in einem Fall ein adultes (V13) und in einem Fall ein matur-seniles
Individuum (V16) (Tabelle 1).
3.4 Körperhöhenrekonstruktion
Eine Körperhöhenrekonstruktion konnte an vier Individuen erfolgen. Sie ergab für das
vorliegende Material Körpergrößen zwischen 172,2 und 185,3 cm für die beiden männlichen
Individuen (V2 und V6) und 150,3 und 167,2 cm für das weibliche Individuum (V16). Das
indifferente Individuum war entweder 165,4 bis 180,2 cm oder 162,3 bis 177,1 cm groß.
3.5 Pathologische Veränderungen und Traumata
3.5.1 Erkrankungen und Besonderheiten der Zähne und des
Zahnhalteapparates
An einem Individuum (V13) fanden sich mehrere Zahnwurzelabszesse: Zahnwurzelabszesse
werden in der Regel von Kariesbakterien ausgelöst, wenn die Karies den Zahnnerv erreicht
hat und von dort aus auf den Kiefer übergegriffen hat. Der entstehende Eiter höhlt dann den
Kieferknochen aus.
An drei Individuen fand sich ein Zahnverlust zu Lebzeiten (intravitaler Zahnverlust). In zwei
Fällen (V17, V20) waren nur die Backenzähne betroffen, in dem dritten Fall war es zu einem
vollständigen Zahnverlust gekommen, in Verbindung mit dem in diesen Fällen
charakteristischen Knochenabbau (Greisenkiefer). Zahnverlust kann eintreten in Folge von
Karies, von fortgeschrittener Parodontose oder in Folge eines Traumas. Welche der
möglichen Ursachen hier vorlag kann nicht mehr gesagt werden.
An einem weiteren Individuum (V17) konnte eine Kieferfehlentwicklung festgestellt werden:
die Frontzähne (Schneide- und Eckzähne) sowohl im Ober- als auch im Unterkiefer weisen
einen so genannten Engstand auf, d.h. sie sind voreinander geschoben. Der Grund hierfür ist
ein Missverhältnis der Proportionen im Kiefer, die Folge einer Fehlentwicklung in der
Kindheit.
3
3.5.2 Arthrose
In vier Fällen fanden sich degenerative Wirbelsäulenveränderungen, an zwei weiteren
Individuen fanden sich degenerative Veränderungen der übrigen Gelenke (Arthrose):
In Befund V2 fand sich eine leichte Arthrose am 5. Lendenwirbel mit Anbaureaktionen am
Wirbelkörper, (Osteophytenbildung), das Individuum in V6 zeigte Arthrose der Hals- und
Lendenwirbelsäule in Form von Schmorl’schen Knorpelknötchen und ebenfalls
Osteophytenbildung, in Befund V15 ließen sich eine Bandscheibenentzündung (Diszitis) und
Schmorl’sche Knorpeknötchen der Hals- und Brustwirbelsäule feststellen und in Befund V16
eine Arthrose der Lendenwirbelsäule, ebenfalls mit Osteophytenbildung.
Osteophyten an den Wirbelkörpern entstehen, wenn altersbedingt die Flüssigkeit in der
Zwischenwirbelscheibe abnimmt, ihre Elastizität geringer wird und dadurch das
Kräfteverhältnis zwischen den einzelnen Wirbeln nicht mehr ausgeglichen ist. Die Wirbel
werden gegeneinander beweglich und vergrößern, um der Belastung entgegenzuwirken, ihre
Oberfläche. Schmorl’sche Knorpelknötchen entstehen ebenfalls altersbedingt, wenn die
Bandscheibe in die Wirbeldeckplatte eindrückt und dort kleine Frakturen auslöst. Eine
Bandscheibenentzündung kann primär durch eine Infektion ausgelöst werden oder sekundär,
in Folge einer degenerativen Bandscheibenveränderung entstehen. Das gemeinsame
Auftreten der Bandscheibenentzündung mit weiteren degenerativen Veränderungen in
Befund V15 lässt den Schluss auf letzteres als Ursache zu.
In Befund V2 ließ sich eine ausgeprägte Arthrose der linken Hüfte feststellen, die sogar zu
Schleifspuren (Eburnisation) geführt hatte. Arthrose entsteht aus einem Missverhältnis aus
Belastbarkeit und Beanspruchung der Gelenke, oft im fortgeschrittenen Erwachsenenalter.
Der Gelenkknorpel verliert seine Elastizität, trocknet ein und geht schließlich ganz zu
Grunde. An diesem Punkt kommt es dazu, dass Knochen auf Knochen reibt und es
entstehen die genannten Schleifspuren (Abbildung 1).
Abbildung 1: fortgeschrittene Arthrose der linken Hüfte an Befund V2.
4
An Individuum V16 fand sich eine weniger fortgeschrittene Arthrose an Kreuzbein und
Schlüsselbein.
3.5.3 Traumata
In Befund V10 fand sich eine in Fehlstellung verheilte Fraktur des linken Oberschenkels. In
Fehlstellung verheilte Frakturen entstehen, wenn die Frakturenden nicht oder nur
unzureichend eingerichtet (reponiert) werden und/oder wenn die Frakturenden während der
Heilung zu viel Spiel haben (nicht imobilisiert sind). Im vorliegenden Fall kam es durch die
Fehlstellung zu einer Verkürzung des betroffenen Beins und durch die hieraus resultierende
Fehlbelastung des Muskelapparates zur Vergrößerung der Ansatzstelle (Entheseopathie) für
die heranführenden Oberschenkelmuskeln (Oberschenkeladduktoren) (Abbildung 2).
Abbildung 2: in Fehlstellung verheilte Fraktur mit Anbaureaktion.
3.5.4 Tumore
In zwei Fällen fanden sich gutartige Knochengeschwülste: Befund V6 wies ein solches an
seinem rechten 2. Mittelfußknochen auf, in Befund V4 fanden sich insgesamt drei gutartige
Geschwulste (Botton Osteome) am Scheitelbein (Os parietale). Botton Osteome treten nur
am Schädel auf, messen 1-3 cm im Durchmesser und sind grundsätzlich gutartig.
3.5.5 Belastungsspuren (Entheseopathien)
Entheseopathien entstehen aus einem Missverhältnis aus Belastbarkeit und Beanspruchung
des Muskel- und Bandapparates, und zwar an den jeweiligen Muskelansatzstellen am
Knochen. Der Knochen begegnet auch hier, ähnlich wie bei der Osteophytenbildung der
Wirbelkörper, den Zug- und Druckkräften in dem er einerseits die Oberfläche des
entsprechenden Areals vergrößert, gleichzeitig kann es zu entzündlichen Veränderungen
kommen, die wiederum mit Auflösungserscheinungen einher gehen. Im vorliegenden
5
Material war dies in zwei Befunden der Fall: In V13 zeigten sich ausgeprägte
Belastungsspuren am Schlüsselbein (Entheseopathie des Ligamentum Costaclaviculare)
(Abbildung 3), in V20 war das Hinterhauptsbein betroffen (Entheseopathie an der
Protuberantia occipitalis externa).
Abbildung 3: Belastungsspur am Schlüsselbein.
3.5.6 Infektionserkrankungen
In Befund V20 fanden sich Anbaureaktionen in Folge einer chronischen Entzündung
(Exostosen) am äußeren Gehörgang. Ob es sich hier um die sekundäre Ausbreitung einer
Mittelohrentzündung handelt oder um eine primäre Infektion des äußeren Gehörgangs kann
nicht beurteilt werden.
3.5.7 Weitere
An dem Skelettindividuum in Befund V2 fanden sich zwei weitere Besonderheiten: zum einen
war der erste Kreuzbeinwirbel abgespalten und lag einzeln vor (Lumbalisation), eine
harmlose Varietät, die wahrscheinlich genetisch bedingt ist. Zum andern war das linke
Schienbein an seiner Vorderkante verdickt. Die Ursache hierfür ist nicht eindeutig zu klären.
Möglich wäre eine verheilte Fraktur oder eine Knochenentzündung (Ostitis).
3.6 Zusammenfassung
Eine Altersbestimmung war in allen Fällen möglich, sie ergab drei kindliche Individuen und
zwölf erwachsene Individuen. Eine Geschlechtsbestimmung war in zehn Fällen möglich, sie
ergab sechs männliche, vier weibliche und ein indifferentes Individuum. Die
Körperhöhenberechnung ergab Größen zwischen 150,3 und 185,3 cm. An Pathologien
ließen sich Zahnverlust, Zahnwurzelabszesse, Karies, Arthrose, gutartige Geschwulste, eine
Gehörgangsentzündung, eine Wirbelsäulenfehlbildung, Belastungsspuren, ein verdicktes
Schienbein und eine verheilte Fraktur feststellen.
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3.7 Tabellarische Ergebnisse der Basisbefundung
Tabelle 1: Übersicht über die Ergebnisse der einzelnen Befunde
Befund
Alter Jahre Geschlecht
Körperhöhe cm
Pathologien
V2
erwachsen
tendenziell
159,4-175,6
- Arthrose mit
(ca. 30-60)
männlich
Anbaureaktion
(Osteophytenbildung)
Lendenwirbel 5;
- 1. Kreuzbeinwirbel
abgespalten
(Lumbalisation)
- Fortgeschrittene Arthrose
der linken Hüfte
(Hüftpfanne und
Gelenkkopf) mit
Eburnisation
(Schleifspuren) (siehe
Abbildung 1);
- Schienbein: verdickte
Vorderkante;
V4
19-28
männlich
- insgesamt drei gutartige
Geschwulste (Botton
Osteoma) am Hirnschädel
(Scheitelbein);
V5
8-11
keine
V6
erwachsen
(ca. 30-60)
männlich
172,2-185,3
V8 I
30-60
indifferent
165,4-180,2
[162,3-177,1]
V8 II
V9
V10
6-11
38-52
30-60
weiblich
weiblich
-
V11
-
-
V13
erwachsen
(ca. 30-60)
23-40
weiblich
-
V14
V15
3-6
30-60
männlich
-
V16
40-80
weiblich
150,3 - 167,2 cm
- gutartiges Geschwulst
(Osteom) am 2.
Mittelfußknochen rechts;
- Arthrose an Hals- und
Lendenwirbelsäule
(Osteophytenbildung,
Schmorl’sche
Knorpelknötchen);
keine
keine
keine
- in Fehlstellung verheilte
Fraktur mit Anbaureaktion
(Osteophytenbildung)
(siehe Abbildung 2);
keine
- Zahnwurzelabszesse 1.
Vorbackenzahn links unten
und 1. Backenzahn links
unten (35+36);
- ausgeprägte
Belastungsspuren am
Schlüsselbein
(Entheseopathie
Ligamentum
Costaclaviculare) (siehe
Abbildung 3);
keine
- Arthrose (Diszitis und
Schmorl’sche
Knorpelknötchen)) der
Hals- und Brustwirbelsäule;
- vollständiger Zahnverlust
zu Lebzeiten;
Sonstiges
Streuknochen
von 2 weiteren
Individuen,
erwachsen und
nicht-erwachsen
-
Streuknochen
von 2 weiteren
Individuen,
erwachsen und
nicht-erwachsen
Streuknochen
von 1 weiteren
Individuum,
erwachsen
Streuknochen
von 1 weiteren
Individuum,
erwachsen
Streuknochen
von 1 weiteren
Individuum,
erwachsen
-
Streuknochen
von 1 weiteren
Individuum,
nicht-erwachsen
-
7
V17
30-60
tendenziell
männlich
-
V19
erwachsen
(ca. 30-60)
männlich
-
- Arthrose an Kreuzbein
und Schlüsselbein;
- Arthrose der
Lendenwirbelsäule
(Osteophytenbildung);
- Zahnverlust zu Lebzeiten:
3. Backenzahn oben rechts
und 2. Backenzahn oben
links (18 und 27);
- Engstand der Frontzähne
im Ober- und Unterkiefer;
keine
-
-
3.3 Ergebnisse der Quick-Scan-Pathologie
V0
V18
V20
V21
keine
- ausgeprägte Belastungsspur am Hinterhaupt (Entheseopathie an der Protuberantia occipitalis
externa);
- Zahnverlust zu Lebzeiten: 1. Backenzahn unten links (46);
- Äußerer Gehörgang: Anbaureaktionen in Folge einer Entzündung (Exostosen);
keine
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