Descartes lässt grüßen Vorschnelle Gleichsetzungen Lernen durch

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L eser b r i e fe
Descartes lässt grüßen
Laut dem Neurowissenschaftler Giovanni
­Frazzetto lassen sich menschliche Emotionen mit
Labormethoden nicht vollständig erfassen
iStockphoto / Michael Kemter [M]
(»Was es heißt zu fühlen«, Heft 11/2012, S. 56).
Ernst Grewel, Velbert: Ich habe Giovanni Fraz­
zettos Artikel über das Thema Neurophilosophie
mit Misstrauen und Enttäuschung gelesen. In
der Spalte »Auf einen Blick« heißt es: »Viele Men­
Hormonen und Hirnarealen gleich.« Woraus sol­
len denn geistige Vorgänge sonst entstehen,
Wenn Erstklässler Wörter
wenn nicht aus Hirnvorgängen? Geht Frazzetto
spiegelverkehrt schreiben,
tatsächlich von der descartesschen dualistischen
ist das kein Grund zur
Vorstellung eines biologischen Körpers im Ge­
Beunruhigung, erläuterte
gensatz zu einem irgendwie immateriell ge­
der französische Psycho-
arteten Geistigen aus? Das legt zumindest sein
loge Jean-Paul Fischer
folgender Gedanke nahe: »Emotionen entfalten
(»Rätsel Spiegelschrift«,
sich zwar als biologischer Prozess, sie verdichten
Heft 12/2012, S. 22).
sich aber letztlich zu einer komplexen, persön­
Stefan Plenert, Hen-
lichen Angelegenheit.«
nigsdorf: »Er ist ja noch
Meint der Autor wirklich, das »Persönliche«
Neuffer-Design
Lernen
durch Fehler
schen setzen Gefühle sogar mit der Aktivität von
Vom Herz zum Hirn
Wird das romantische Liebesideal heute von
der nüchternen Sicht­weise der Hirnforschung
abgelöst?
klein!« Damit wurden
sei nicht mehr biologisch? Eine solche Hypothe­
in meiner Zeit Fehler von
se wird ja im weltanschaulichen Diskurs von
Und welche Rolle spielt in diesem Zusammen­
Kindern entschuldigt.
manchen Philosophen vertreten, und es wäre
hang die Philosophie, wenn – mit Martin Heideg­
Sie sind noch unvoll­
höchst begrüßenswert, wenn der Autor Ross und
ger – auf einmal Angst als nützliches Erkenntnis­
kommen – zum Beispiel
Reiter nennen würde und erklärte, aus welcher
mittel angepriesen wird? Das beträfe allenfalls
beim Laufenlernen: Das
Substanz das so genannte Persönliche besteht.
die Psychologie, von der im gesamten Text nicht
Kind fällt hin, steht
Darüber erfahren wir aber kein Wort.
einmal die Rede ist. Gefühle wie Angst spielen im
auf und strahlt über das
Offenbar versteht Frazzetto das Thema Neu­
Gesamtsystem Mensch eine bedeutsame Rolle.
ganze Gesicht. Der
rophilosophie hauptsächlich als Nachweis eines
Es wäre verdienstvoll gewesen zu zeigen, dass
Fehler löst ein Depressi­
unüberwindlichen Gegensatzes zwischen »biolo­
in der Philosophie über ein solches Einzelbei­
onsgefühl aus. Doch das
gischen Laborstudien« und »subjektiver Innen­
spiel hinaus über Menschen- und Weltbilder dis­
Alleineaufstehen bringt
sicht«. Er brauchte doch nur zu erläutern, dass
kutiert wird, die entweder in Übereinstimmung
ihm neue Kenntnisse
praktische Lebensberatung Aufgabe der Psycho­
mit der Evolutionstheorie stehen und dabei das
und Erfahrungen. Ein
logie ist, nicht der Neurologie. Letztere erforscht
Geistige auf biologische Vorgänge zurückführen,
Erfolgserlebnis!
bekanntlich als Grundlagenwissenschaft – frei
oder aber rein intuitive Vorstellungen von dem
nach Immanuel Kant – die Bedingungen der
Besonderen einer Person vertreten, ohne sich in
oft schon über kleine
Möglichkeit auch von Gefühlen, Gedanken und
der Lage zu sehen, dieses näher zu erklären. Scha­
Dinge freuen. Ein Kind
Verhalten.
de – das wäre ein interessantes Thema gewesen
Kinder können sich
stellt sich die Aufgabe,
Immer wieder trägt der Autor mit dem bloßen
für einen Wissenschaftler, der sich mit Fragen
einmal in Spiegelschrift
Hinweis auf Kultur, Moral, Kunst oder Philoso­
zu schreiben. Es geht,
phie Argumente vor, die nachweisen sollen, dass
und der Kleine freut
»Laborstudien« die »mentale Dimension« nicht
sich. Spiegelschrift ist
vollständig erfassen. Fairerweise müsste man
Vorschnelle
Gleichsetzungen
zwar falsch, doch vieles
aber hinzufügen, dass auch psychologische The­
Über häufige psychische Störungen in der Puber-
lernen Kinder durch
rapiemethoden nicht Gedanken lesen können.
tät auf Grund von Umbauarbeiten im Gehirn
solche Spielerei.
Wozu also das Verächtlichmachen neurowissen­
berichtete Christian Wolf (»Labil im Sturm und
schaftlicher Forschungsmethoden?
Drang«, Heft 12/2012, S. 52).
6
der Neurophilosophie auskennt.
GuG 3_2013
Vera Spillner, Heidelberg: Der Artikel von Chris­
­innerem und äußerem Wissen auf. Mit anderen
tian Wolf weckte mein Interesse – leider aber
Worten: Die verschiedenen Sichtweisen unter
wurde ich enttäuscht, als ich den darin vorkom­
den Betrachtungswinkeln des semiotischen
menden Teil über Schizophrenie las. Zunächst
Dreiecks werden dargelegt. Sri Aurobindo, Jean
unterscheidet der Autor nicht zwischen dem Be­
Gebser, Ken Wilber, Susanne Cook-Greuter und
griff einer Ursache und einer Korrelation. Es gibt
andere haben versucht, diese Diskrepanz durch
zwar erste Studien, wonach die Verminderung
die ­»integrale Theorie« zu überwinden. Zahl­
der kortikalen grauen Substanz in verschiedenen
reiche Anhänger der integralen Bewegung war­
Hirnregionen bei Patienten mit Schizophrenie
ten wohl auf einen entsprechenden GuG-Artikel.
stärker ausgeprägt sein soll als bei anderen Pa­
tienten. Nicht richtig ist, dass die Verminderung
Autosuggestion
der Hirnsubstanz daher als Ursache der Schizo­
Warum wir zwar kraft unserer Gedanken unse-
phrenie anzusetzen ist. Erstens sind die Ursa­
ren Appetit zügeln können, aber dennoch nicht
chen hierfür nach allem, was man aktuell weiß,
abnehmen, erklärte der Mediziner und Kaba­
ungleich komplexer und vielfältiger. Und zwei­
rettist Eckart von Hirschhausen (»Willensstärke
tens ist eine Korrelation eben keine Ursache – die
gegen Kartoffelstärke«, Heft 12/2012, S. 28).
Ursache mag an ganz anderer Stelle liegen.
Franz Josef Neffe, Pfaffenhofen: »Wollen«, so
Auch fand ich es schade, dass der Beitrag
blinkt es mir aus dem Herkunftswörterbuch ent­
­Schizophrenie ausschließlich als »Denkstörung«
gegen, kommt von »wählen«. »Ich will essen« be­
bezeichnet. In vielen Studien können wir lesen,
deutet also »Ich wähle zu essen«. Von »mehr
dass mathematisch Hochbegabte ebenfalls ein
wählen« oder »stärker wählen« oder von »sich
erhöhtes Risiko besitzen, Merkmale einer Schizo­
mehr anstrengen beim Wählen« wird beim Es­
phrenie aufzuweisen. Unter Umständen ist Schi­
sen keiner satt. Von einmal wählen plus einmal
zophrenie also lediglich eine andersartige Form
essen schon.
der Informationsverarbeitung – und ich möchte
Imagination und Autosuggestion können
mir nicht anmaßen zu bewerten, ob dies unter
mehr möglich werden lassen, als selbst Kabaret­
allen Umständen eine Krankheit sein muss oder
tisten glauben. Gerade der Text von Eckart von
ob es nicht zunächst schlicht eine Form ist, unse­
Hischhausen zeigt doch, wie wunderbar seine
re Welt wahrzunehmen. Meines Erachtens ist
Autosuggestion bezüglich Abnehmen funktio­
hier eine deutlich differenziertere Betrachtungs­
niert: Er konditioniert sich immer wieder, wo
weise gefragt.
und wem und wie er die M&M-Tütchen abneh-
Nicht zuletzt fühlte ich mich auch betroffen,
im Artikel »Anomalien im Erleben und Verhal­
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1-2/2013
men wird, und nichts kann sein Topprogramm
dann aufhalten. Einfach beispielhaft!
ten« in einem Atemzug mit der Bewertung wei­
terer »Erkrankungen in der Pubertät« zu lesen.
Ich denke, dass unsere Gesellschaft genau an
­solchen vorschnellen Identifikationen krankt –
Satt gedacht
Wer sich lebhaft vorstellt, Schokolade zu essen,
greift im wirklichen Leben seltener danach.
12/2012
schade für uns, wenn wir so konformistisch und
unkritisch denken: Wie viel kreatives Potenzial
verlieren wir dabei?
Integrale Theorie
Den charismatischen, aber umstrittenen Vor­
denker der Anthroposophie Rudolf Steiner
porträtierte GuG-Redaktionsleiter Steve Ayan
(»Zu Höherem berufen, Heft 1-2/2013, S. 20).
Urs Haller, Basel (Schweiz): Der Beitrag über
­Rudolf Steiner zeigt die Diskrepanz zwischen
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und wie viel Respekt gegenüber Andersartigkeit
11/2012
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