2 RUBRIK NEUIGKEITEN AUS DER IMMUNZELL-WERKSTATT Köln (gb) – Immuntherapien gelten als Waffe der Zukunft im Kampf gegen den Krebs. In Köln forscht Professor Dr. Hinrich Abken in einem von der Deutschen Krebshilfe geförderten Projekt daran, das körpereigene Abwehrsystem gegen Tumoren fit zu machen. FORSCHEN 5 „Wir haben das wissenschaftliche Know-how und die technischen Mittel, um herauszufinden, wie wir den Krebs mit unseren körpereigenen Waffen schlagen können.“ Professor Dr. Hinrich Abken New York, 1891: Der Krebsarzt William Coley spritzt einem Patienten Bakterien in dessen Tumor. Seine Idee: Die Keime wecken das Immunsystem des Betroffenen, das daraufhin nicht nur die Bakterieninfektion bekämpft, sondern – als erwünschte Nebenwirkung – gleich auch noch den Tumor mit dazu. Der Plan geht auf: Innerhalb weniger Wochen bildet sich der Krebs in dramatischer Weise zurück, der Patient erholt sich. Während der nächsten 40 Jahre gelingt es Coley, viele weitere Patienten mit diesem Therapieansatz zu heilen. Andere Ärzte können die Behandlungserfolge jedoch nicht erzielen, und die Wissenschaft scheitert daran, die Wirkungsweise dieser frühen Immuntherapie zu entschlüsseln. Als wenig aussichtsreicher Forschungszweig gerät das Konzept in Vergessenheit. Spannende Zeiten für Immunforscher Köln, 2015, 7:30 Uhr: Noch ist es still in den Räumen des Labors für Tumorgenetik und Immunologie der Uniklinik. Doch schon bald werden die ersten Wissenschaftler mit ihrer Arbeit beginnen. Der Leiter der Forschergruppe, Professor Dr. Hinrich Abken, sitzt bereits in seinem Büro und geht seine Notizen durch. Der Mediziner ist am Vortag aus den USA zurückgekehrt und hat sich dazu entschlossen, eine Frühschicht einzulegen. „Auf unserem Forschungsgebiet tut sich derzeitig sehr viel, und es sind spannende, jedoch auch hektische Zeiten“, erzählt er. Abken ist einer der führenden Köpfe auf dem Gebiet der Immuntherapie. In Los Angeles und Boston hat er sich mit Kollegen aus der ganzen Welt ausgetauscht – einer von vielen Terminen, die der Wissenschaftler wahrnimmt, um immer auf dem Laufenden zu sein. Fast 125 Jahre sind seit Coleys ersten Gehversuchen vergangen. Heute verstehen Krebsforscher die komplexe Biologie des Immunsystems immer besser. „Wir haben das wissenschaftliche Know-how und die technischen Mittel, um herauszufinden, wie wir den Krebs mit unseren körpereigenen Waffen schlagen können“, sagt Abken. Galt die Immuntherapie lange Zeit als wissenschaftliche Sackgasse, sehen viele Forscher die gezielte Nutzung der körpereigenen Abwehr nun als Konzept der Zukunft. Nicht umsonst hat das renommierte Magazin „Science“ die Immuntherapie zum wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres 2013 gekürt. Magazin der Deutschen Krebshilfe Nr. 3/2015 Intensiv erforscht werden verschiedene Strategien. Ein vielversprechender Ansatz ist die Nutzung von Antikörpern. Antikörper sind vom Körper produzierte Abwehrmoleküle, die Krebszellen erkennen und sich an diese anheften. So können sie die Schädlinge für die Zerstörung durch spezialisierte Abwehrzellen markieren oder wichtige biochemische Signalwege des Tumors blockieren, um dessen Wachstum zu stoppen und ihn auszuhungern. Einige Krebsarten – wie beispielsweise Leukämien – können bereits mit Antikörpern behandelt werden. Weitere Therapiekonzepte mit diesem Ansatz befinden sich derzeit in der klinischen Erprobung. In Köln sind mittlerweile die ersten Mitarbeiter im Labor eingetroffen. Jennifer Makalowski sitzt an ihrem Arbeitsplatz und begutachtet Zellkulturen, als Abken den Raum betritt und sein Team begrüßt. Makalowski ist Medizinerin und arbeitet seit einiger Zeit bei Professor Abken. Zusammen erforschen sie den sogenannten adoptiven Immuntransfer. Hierbei wird eine spezielle Gruppe von weißen Blutkörperchen – die zytotoxischen T-Zellen, auch Killerzellen genannt – aus dem Blut des Patienten entnommen, im Reagenzglas gegen die Krebszellen scharf gemacht und dem Patienten anschließend wieder zurückgegeben. „Killerzellen haben spezielle Sensoren auf ihrer Zelloberfläche, die Rezeptoren“, erläutert Makalowski. „Damit können sie zwischen gesunden und kranken Zellen unterscheiden. Treffen sie auf eine kranke Zelle, entladen sie ihre tödliche Jennifer Makalowski bereitet Killerzellen auf ihren Einsatz vor. 6 FORSCHEN Fracht: Botenstoffe, die die Zelle zum Selbstmord zwingen.“ Allerdings sind Krebszellen so gut getarnt, dass sie fast nicht von den Abwehrzellen erkannt werden. Um das zu umgehen, statten die Kölner Forscher ihre Killerzellen mit künstlichen Sensoren aus, die bestimmte Oberflächenmoleküle von Krebszellen erkennen. „So können wir das Immunsystem gezielt auf den Tumor abrichten.“ Werden die so gestärkten Killerzellen dem Patienten injiziert, fliegt die Tarnung der Krebszellen auf. Im Fokus der Kölner Forscher liegt das Maligne Melanom, der Schwarze Hautkrebs, an dem fast 30.000 Menschen jährlich in Deutschland erkranken. In einem von der Deutschen Krebshilfe mit 392.000 Euro geförderten Projekt wollen sie untersuchen, ob der adoptive Zelltransfer bei dieser Krebsart wirksam ist. Abkens Team hat zudem ein besonderes Ass im Ärmel: Die Wissenschaftler haben sich auf die Jagd nach den gefürchteten Tumorstammzellen spezialisiert. Tumorstammzellen sitzen an den Schalthebeln der Macht. Zwar machen sie nur ein bis zwei Prozent des Tumors aus, sind aber die Hauptverantwortlichen für das bösartige Wachstum des gesamten Geschwürs. Ein ehemaliger Mitarbeiter Abkens, der Biologe Patrick Schmidt, fand diese Zellen. „Wir konnten zeigen, dass die gezielte Abtötung der Tumorstammzellen ein Krebsgeschwür vollständig zerstören kann“, erläutert Abken. „Dies wollen wir nun genauer erforschen.“ Zudem wollen sie herausfinden, ob das Konzept ‚Immuntherapie gegen Tumorstammzellen‘ auch bei anderen Krebsarten eingesetzt werden kann. Zurück in Abkens Büro: Der Mediziner deutet auf einen Stapel Papier auf seinem Schreibtisch. „Das sind die wissenschaftlichen Veröffentlichungen der letzten Zeit. Die Immuntherapie macht rasante Fortschritte, und die Zahl der Forscher, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, wächst stetig.“ Abken warnt dennoch vor einer Euphorie. Trotz der Aufbruchstimmung stecke das Konzept Immuntherapie noch in den Kinderschuhen. „Wir haben noch viel Forschungsarbeit vor uns. Bisher können nur wenige Krebsarten mit den neuen Therapien behandelt werden, zahlreiche Methoden werden derzeit in klinischen Studien untersucht und viele Konzepte sind noch nicht gut genug erforscht, um sie überhaupt klinisch erproben zu können.“ Dennoch: Ob monoklonale Antikörper, adoptiver Zelltransfer oder andere vielversprechende Konzepte – die Krebsmedizin und -forschung scheinen sich auf dem richtigen Weg zu befinden. Mit dem Aufkommen von Strahlen- und Chemothera­ pien Mitte des 20. Jahrhunderts versiegte das Interesse an der Immuntherapie, doch „nun geht es mit großen Schritten voran“, sagt Abken. „Ich bin gespannt, was wir in Zukunft mit Immuntherapien alles erreichen können.“ Die Waffen des Körpers Professor Dr. Hinrich Abken, Leiter des Labors für Tumorgenetik und Immunologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln, und Zentrum für Molekulare Medizin, Universität zu Köln. Wie sieht die Krebstherapie der Zukunft aus? Grundsätzlich anders als heute. Wir werden Therapien haben, die speziell auf den Patienten zugeschnitten sind und die das Immunsystem an vorderster Front im Kampf gegen den Krebs mit einbeziehen. Ärzte werden die Fähigkeit des Immunsystems nutzen, ein Gedächtnis gegen den Krebs auszubilden, um eine langfristige Kontrolle der Erkrankung zu ermöglichen. Wir werden lernen, wie wir die Immuntherapie am effektivsten einsetzen und in welcher Kombination mit anderen Therapien wir anhaltende Erfolge erzielen können. Wann wird sich die Immuntherapie in der Krebsmedizin etabliert haben? Antikörper werden inzwischen routinemäßig bei einigen Leukämien und Lymphomen eingesetzt, zunehmend auch bei anderen Krebsarten. Die T-Zell-Therapie feiert Erfolge in der Behandlung des Melanoms und bei Leukämien, bisher allerdings noch in frühen Studien. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob sich die frühen Erfolge wiederholen lassen und sich die zelluläre Immuntherapie in der klinischen Praxis etablieren kann. Dies erfordert einen erheblichen Forschungsaufwand, aber wir sind auf einem guten Weg – auch durch die Unterstützung der Deutschen Krebshilfe. Welche Hürden gibt es zu nehmen? Die nächsten Schritte werden sein, andere Krebserkrankungen zu behandeln: Brust-, Darmund Pros­tatakrebs etwa. Alle diese Tumoren haben gemeinsam, dass sie sich sehr gut tarnen und gegen Angriffe des Immunsystems schützen. Es ist deshalb von besonderer Bedeutung, den Schutzschild der Krebsherde­ zu überwinden und die Killerzellen des Immunsystems in den Tumor eindringen zu lassen. Wenn uns dies gelingt, werden wir einen großen Sprung getan haben. Professor Abken und sein Team haben noch viel Forschungsarbeit vor sich. Magazin der Deutschen Krebshilfe Nr. 3/2015