Deutsches Ärzteblatt 1979: A-3276

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Spektrum der Woche
Aufsätze • Notizen
FEUILLETON
Strenge Form
und kantable Schönheit
artig in ein unfruchtbares Exil nach
Halle an der Saale als Mühlenbauer.
Er starb dort 1528.
Hindemiths Konzeption
Neue Aufnahme der Hindemith-Oper „Mathis der Maler"
Hindemith hatte nie eine innige Vertrautheit mit der Lyrik (was die Zusammenarbeit mit Gottfried Benn
enttäuschend erläutert). Doch war
ihm ein hohes Sprachvermögen eigen, das ihn im Verein mit seinem
Bühneninstinkt schließlich zu seinem eigenen Librettisten und späteren Essayisten werden ließ. Für
„Mathis der Maler" ist dennoch zu
bedauern, daß die erste Anregung
zu diesem Stoff, die von Franz
Willms vom Schott-Verlag kam, in
der letzten Phase der Suche Benns
nach einem Opernstoff von Hindemith als zu wenig bühnenwirksam
abgelehnt wurde; sonst läge wohl
ein Textbuch von Gottfried Benn vor
(was den Rang dieser Oper wahrscheinlich ins Singuläre gesteigert
und sie vielleicht auf die Ebene des
„Rosenkavalier" von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss erhoben hätte).
Nachexpressionistisch
überladen
Dennoch: Hindemiths Libretto zu
„Mathis der Maler" (an dem seine
Frau maßgeblich mitarbeitete, die
später, unter dem Namen ihres Mannes, das Textbuch zu „Harmonie der
Welt" allein schrieb) erfüllt die Erfordernisse der Oper und nähert
sich mitunter sogar dichterischer
Diktion an. Insgesamt ist es erstaunlich gut, bringt zwar mitunter falsche
Bilder (z. B. „wider den Strom fechten") oder verwendet Worte, die sowohl für den Text wie für den Operngesang unangebracht sind („Ver„Parteiwirtschaft",
richtungen",
„Schlagkraft").
„Gleichgewicht",
Trotz dramatisch straff geführter
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Handlung ist der Text noch etwas
nachexpressionistisch überladen
(einige Beispiele: „dem Leben zurückerwacht", „Emporsteigen aus
matter Dumpfheit", „irres Rennen",
„Bezwinger alles Unentschiedenen", „sichtbares Formenleben"),
auch macht sich der Zeitgeist bemerkbar, dem niemand entgeht,
auch wenn er sich in politischer Opposition wähnt. Das Werk ist 1933/
34 in Berlin geschrieben und das
„Volk" und die „deutsche Glaubenskraft" spielen eine für diese
Jahre symptomatische Rolle.
Mathis: ein
zwiespältiger Künstler und Mensch
Hindemith hat Mathis Gothart Neithart (oder Nithart), den erst dessen
Enkelschüler Philipp Uffenbach
„Grünewald" nannte, zu seinem
Helden gemacht. Historisch ist, daß
Mathis (geboren um 1470) im Jahre
1516, nachdem der Isenheimer Altar
1514 bereits vollendet war, der Hofmaler des prachtliebenden Primas
deutscher Bischöfe, des Kardinals
Albrecht von Brandenburg in Mainz
wurde. Historisch ist auch, daß sich
Mathis dem Protestantismus zuwandte und nach 1520 von Albrecht
entlassen, um nicht zu sagen verjagt
wurde. Hindemith macht aus Mathis
einen zutiefst zwiespältigen Künstler
und Menschen, der zwischen seinem schöpferischen Auftrag und der
Forderung, für Luthers Sache mit
der Waffe in der Hand zu kämpfen,
zerrissen wird. Seine künstlerische
Resignation wurde freilich nicht —
wie in Hindemiths Oper — von der
bleibenden Huld Albrechts überglänzt, sondern sie führte ihn flucht-
Heft 49 vom 6. Dezember 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Dennoch ist Hindemiths Konzeption
auf einer höheren Ebene richtig: Er
hat sowohl die einzigartige künstlerische Größe Grünewalds als auch
seine Glaubensnot schöpferisch gedeutet und dramatisch in eine überzeugende Handlung gebracht. Daß
ihm dabei vor allem die Tafeln des
Isenheimer Altars vorschwebten, beweisen schon die — zur Symphonie
zusammengefaßten — Orchestereinleitungen oder -intermezzi: „Engelsgesang", „Versuchung des hl. Antonius" (nach der Opernpartitur frei
bearbeitet) und „Grablegung". Bewunderswert ist, daß Hindemith jedoch mehr gelang: die Einschaltung
einer mystischen Szene, einem Mysterienspiel ähnlich, in die realistisch-dramatische Handlung. In der
Versuchung des hl. Antonius verkörpert die Gräfin Helfenstein (die Mathis vor dem rohen Zugriff der Bauern rettete) die Üppigkeit; der Domdechant Pommersfelden den profitbedachten Kaufmann; Ursula, die
Tochter des reichen Mainzer Bürgers Riedinger, mit der der Kardinal
verheiratet werden soll, die Bettlerin, Buhlerin und Märtyrerin; Capito,
der Rat des Kardinals, den falschen
Gelehrten; Schwalb, der Bauernführer, den Kriegsherrn, und Kardinal
Albrecht den hl. Paulus, den Beichtiger des Mathis.
Die Vertrautheit Hindemiths mit seinem eigenen Libretto kam auch der
Musik zugute, die Elemente des späten Mittelalters, Gregorianik, zeitgenössische Lieder und Kriegsweisen
mit einer strengen Cantus firmusArbeit kombiniert. Man spürt die
Schule Bachs und Regers, am meisten aber Mozarts „Zauberflöte"
(Gesang der Geharnischten), und es
ist doch nichts epigonal, alles ist
reinster und bester Hindemith. Die
Kalligraphie seiner Notenschrift
weist auch die in die Oper investierte
Musik auf. Die Partitur ist nicht gedruckt, sondern eine Photokopie
seines wie gestochen wirkenden Au-
Spektrum der Woche
Aufsätze • Notizen
„Mathis der Maler"
tographs, ein Unikum in der Musikgeschichte. Hindemiths Musik ist
durch ihre gedankliche Kraft, ihre
elementare Wucht, ihre bei strenger
Form kantable Schönheit überwältigend. Rafael Kubelik, der Dirigent,
hat durch seine weiche und glättende Hand alle Härten, die z. B. in der
Symphonie-Fassung der Oper mit
Hindemith und den Berliner Philharmonikern etwa vom Jahre 1935 viel
rücksichtsloser bloßgelegt wurden,
behutsam in Wohlklang ausgeformt,
wobei ihm das überragende Sinfonie-Orchester des Bayrischen Rundfunks, dessen instrumentale Brillanz
Eugen Jochum geschaffen hat, zur
Verfügung stand.
Sänger und Sängerinnen
mit makelloser Intonation
Die zentrale und das Werk bestimmende Gestalt des Mathis singt Dietrich Fischer-Dieskau in exemplarischer Weise. In dieser Aufnahme
entspricht höchste sängerische Intelligenz einer in den letzten Jahren
auch im Volumen gereiften und gefestigten Stimme. Alle störenden Zutaten oder Unarten sind weggelassen: der Sänger enthält sich der
überprononzierten, oft artifiziellen
Deklamation und Artikulation, die
der musikalischen Linie zuwiderläuft, er enthält sich unmotivierter
plötzlicher Schwellungen, die vor allem in seinen Opernpartien manchem Hörer zum Mißvergnügen wurden, er meidet jede theatralische,
mit überzogenen Registern arbeitende „Gesangskultur". Hier hat ein
begnadeter Sänger seine Musikalität
und Stimmkraft in eine überzeugende, ja bewunderswerte Übereinstimmung gebracht.
Dem Hauptdarsteller stehen Sänger
zur Seite, die ebenfalls mit makelloser Intonation und schönen Stimmen singen; die namhaftesten sind
wohl James King als kraftvoller Kardinal, Peter Meven als stimmstarker
Riedinger und Trudeliese Schmidt
als Gräfin Helfenstein. Die Tenöre
unterscheiden sich alle durch ein
spezifisches Timbre, was der Aufnahme viel sängerische Farbigkeit
gibt.
Hilfen für den Hörer
Das Begleitheft ist für den Hörer eine unschätzbare Hilfe, vor allem,
weil das Libretto vollständig abgedruckt (und auch in englischer Fassung mitgegeben) ist. Abgedruckt
ist auch der erhellende Beitrag, den
Paul Hindemith für das Programmheft der Uraufführung 1938 in Zürich
schrieb, ferner ist aufschlußreich ein
Aufsatz von Dr. Dieter Rexroth, dem
Leiter der Paul Hindemith-Stiftung.
Die Bilddokumentation ist, was die
Photos der Künstler anbelangt, etwas ins Starhafte geraten, vor allem
bei Kubelik und Fischer-Dieskau.
Daß es für Trudeliese Schmidt nur
zu einer lobenden musikalischen
Kurzbiographie, aber zu keinem
Photo gereicht hat, ist unverständlich, zumal nur drei Sängerinnen beteiligt sind. Ist Trudeliese Schmidt,
die bevorzugte Darstellerin Karl
Böhms für die Dorabella und den
Cherubino von Mozart und den
Komponisten von R. Strauss in
„Ariadne auf Naxos" noch nicht prominent genug?
Es ist lobenswert, daß Szenenbilder
von der Uraufführung der Oper in
Zürich 1938 abgebildet werden. Die
Szenenentwürfe sind freilich nicht
von hohem künstlerischem Rang
und sie vermögen dem Hörer keine
glaubhafte Bühnenvorstellung zu
vermitteln. Die Verantwortlichen
hätten wohl besser daran getan, die
drei Tafelbilder „Engelsgesang" (in
der Kunstgeschichte meist „Weihnachtsbild" genannt), „die Versuchung des hl. Antonius" und „Grablegung" aus dem Isenheimer Altar
wiederzugeben.
Anregung zu einer
Hindemith-Renaissance
Es kann nicht zweifelhaft sein, daß
diese Aufnahme (Paul Hindemith:
Mathis der Maler, Electrola, Kassette
mit 3 Platten, Nr. IC 165-03515/17/0,
66 DM), die als das musikalische Ereignis des Jahres 1979 zu gelten hat,
eine Hindemith-Renaissance anregen oder besser gesagt, der Erkenntnis seiner säkularen Größe
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zum Durchbruch verhelfen wird.
Große Opernhäuser (insofern sie
diese Oper nicht schon im Repertoire haben) werden nicht länger am
„Cardillac" und am „Mathis der Maler" vorbeigehen können; in der Saison 1980/81 ist „Mathis der Maler"
z. B. auf dem Spielplan der Deutschen Oper am Rhein. Wer nicht so
lange warten will und den kostbaren
Besitz dieser Musik unverlierbar haben möchte, zögere nicht, dieses
preiswerte Album zu erwerben; er
wird mit Schönheit überschüttet.
Für viele Hörer wird sich ein Tor zu
einer unbekannten Welt auftun, von
der sie vielleicht nicht die mindeste
Ahnung besaßen. Aber das Unerwartete ist ja das Beglückendste unseres Daseins. A. Greither
Almanach 1980
deutscher
Ärzte-Schriftsteller
geplant
Der Herausgeber von neun
Anthologien deutscher ÄrzteSchriftsteller, Armin Jüngling,
beabsichtigt, 1980 wieder einen Almanach herauszugeben. Die Beteiligung setzt
nicht die Mitgliedschaft im
Bundesverband Deutscher
Schriftsteller-Ärzte voraus; es
sind vielmehr alle schriftstellerisch und malerisch tätigen
Ärzte und Zahnärzte eingeladen, sich durch Einsendungen von Lyrik, Essays, Kurzgeschichten, Grafik und Zeichnungen (schwarz-weiß) zu beteiligen. Einsendungen mit
frankiertem Rückumschlag
erbittet bis zum 1. Febi•uar
1980. Dr. med. Armin Jüngling, 8211 Unterwössen. Ferner erbittet er von allen
Schriftstellerkollegen die bibliographischen Angaben ihrer in den Jahren 1978 und
1979 erschienenen belletristischen Werke. AJ
Heft 49 vom 6. Dezember 1979
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