Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen FEUILLETON Strenge Form und kantable Schönheit artig in ein unfruchtbares Exil nach Halle an der Saale als Mühlenbauer. Er starb dort 1528. Hindemiths Konzeption Neue Aufnahme der Hindemith-Oper „Mathis der Maler" Hindemith hatte nie eine innige Vertrautheit mit der Lyrik (was die Zusammenarbeit mit Gottfried Benn enttäuschend erläutert). Doch war ihm ein hohes Sprachvermögen eigen, das ihn im Verein mit seinem Bühneninstinkt schließlich zu seinem eigenen Librettisten und späteren Essayisten werden ließ. Für „Mathis der Maler" ist dennoch zu bedauern, daß die erste Anregung zu diesem Stoff, die von Franz Willms vom Schott-Verlag kam, in der letzten Phase der Suche Benns nach einem Opernstoff von Hindemith als zu wenig bühnenwirksam abgelehnt wurde; sonst läge wohl ein Textbuch von Gottfried Benn vor (was den Rang dieser Oper wahrscheinlich ins Singuläre gesteigert und sie vielleicht auf die Ebene des „Rosenkavalier" von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss erhoben hätte). Nachexpressionistisch überladen Dennoch: Hindemiths Libretto zu „Mathis der Maler" (an dem seine Frau maßgeblich mitarbeitete, die später, unter dem Namen ihres Mannes, das Textbuch zu „Harmonie der Welt" allein schrieb) erfüllt die Erfordernisse der Oper und nähert sich mitunter sogar dichterischer Diktion an. Insgesamt ist es erstaunlich gut, bringt zwar mitunter falsche Bilder (z. B. „wider den Strom fechten") oder verwendet Worte, die sowohl für den Text wie für den Operngesang unangebracht sind („Ver„Parteiwirtschaft", richtungen", „Schlagkraft"). „Gleichgewicht", Trotz dramatisch straff geführter 3276 Handlung ist der Text noch etwas nachexpressionistisch überladen (einige Beispiele: „dem Leben zurückerwacht", „Emporsteigen aus matter Dumpfheit", „irres Rennen", „Bezwinger alles Unentschiedenen", „sichtbares Formenleben"), auch macht sich der Zeitgeist bemerkbar, dem niemand entgeht, auch wenn er sich in politischer Opposition wähnt. Das Werk ist 1933/ 34 in Berlin geschrieben und das „Volk" und die „deutsche Glaubenskraft" spielen eine für diese Jahre symptomatische Rolle. Mathis: ein zwiespältiger Künstler und Mensch Hindemith hat Mathis Gothart Neithart (oder Nithart), den erst dessen Enkelschüler Philipp Uffenbach „Grünewald" nannte, zu seinem Helden gemacht. Historisch ist, daß Mathis (geboren um 1470) im Jahre 1516, nachdem der Isenheimer Altar 1514 bereits vollendet war, der Hofmaler des prachtliebenden Primas deutscher Bischöfe, des Kardinals Albrecht von Brandenburg in Mainz wurde. Historisch ist auch, daß sich Mathis dem Protestantismus zuwandte und nach 1520 von Albrecht entlassen, um nicht zu sagen verjagt wurde. Hindemith macht aus Mathis einen zutiefst zwiespältigen Künstler und Menschen, der zwischen seinem schöpferischen Auftrag und der Forderung, für Luthers Sache mit der Waffe in der Hand zu kämpfen, zerrissen wird. Seine künstlerische Resignation wurde freilich nicht — wie in Hindemiths Oper — von der bleibenden Huld Albrechts überglänzt, sondern sie führte ihn flucht- Heft 49 vom 6. Dezember 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Dennoch ist Hindemiths Konzeption auf einer höheren Ebene richtig: Er hat sowohl die einzigartige künstlerische Größe Grünewalds als auch seine Glaubensnot schöpferisch gedeutet und dramatisch in eine überzeugende Handlung gebracht. Daß ihm dabei vor allem die Tafeln des Isenheimer Altars vorschwebten, beweisen schon die — zur Symphonie zusammengefaßten — Orchestereinleitungen oder -intermezzi: „Engelsgesang", „Versuchung des hl. Antonius" (nach der Opernpartitur frei bearbeitet) und „Grablegung". Bewunderswert ist, daß Hindemith jedoch mehr gelang: die Einschaltung einer mystischen Szene, einem Mysterienspiel ähnlich, in die realistisch-dramatische Handlung. In der Versuchung des hl. Antonius verkörpert die Gräfin Helfenstein (die Mathis vor dem rohen Zugriff der Bauern rettete) die Üppigkeit; der Domdechant Pommersfelden den profitbedachten Kaufmann; Ursula, die Tochter des reichen Mainzer Bürgers Riedinger, mit der der Kardinal verheiratet werden soll, die Bettlerin, Buhlerin und Märtyrerin; Capito, der Rat des Kardinals, den falschen Gelehrten; Schwalb, der Bauernführer, den Kriegsherrn, und Kardinal Albrecht den hl. Paulus, den Beichtiger des Mathis. Die Vertrautheit Hindemiths mit seinem eigenen Libretto kam auch der Musik zugute, die Elemente des späten Mittelalters, Gregorianik, zeitgenössische Lieder und Kriegsweisen mit einer strengen Cantus firmusArbeit kombiniert. Man spürt die Schule Bachs und Regers, am meisten aber Mozarts „Zauberflöte" (Gesang der Geharnischten), und es ist doch nichts epigonal, alles ist reinster und bester Hindemith. Die Kalligraphie seiner Notenschrift weist auch die in die Oper investierte Musik auf. Die Partitur ist nicht gedruckt, sondern eine Photokopie seines wie gestochen wirkenden Au- Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen „Mathis der Maler" tographs, ein Unikum in der Musikgeschichte. Hindemiths Musik ist durch ihre gedankliche Kraft, ihre elementare Wucht, ihre bei strenger Form kantable Schönheit überwältigend. Rafael Kubelik, der Dirigent, hat durch seine weiche und glättende Hand alle Härten, die z. B. in der Symphonie-Fassung der Oper mit Hindemith und den Berliner Philharmonikern etwa vom Jahre 1935 viel rücksichtsloser bloßgelegt wurden, behutsam in Wohlklang ausgeformt, wobei ihm das überragende Sinfonie-Orchester des Bayrischen Rundfunks, dessen instrumentale Brillanz Eugen Jochum geschaffen hat, zur Verfügung stand. Sänger und Sängerinnen mit makelloser Intonation Die zentrale und das Werk bestimmende Gestalt des Mathis singt Dietrich Fischer-Dieskau in exemplarischer Weise. In dieser Aufnahme entspricht höchste sängerische Intelligenz einer in den letzten Jahren auch im Volumen gereiften und gefestigten Stimme. Alle störenden Zutaten oder Unarten sind weggelassen: der Sänger enthält sich der überprononzierten, oft artifiziellen Deklamation und Artikulation, die der musikalischen Linie zuwiderläuft, er enthält sich unmotivierter plötzlicher Schwellungen, die vor allem in seinen Opernpartien manchem Hörer zum Mißvergnügen wurden, er meidet jede theatralische, mit überzogenen Registern arbeitende „Gesangskultur". Hier hat ein begnadeter Sänger seine Musikalität und Stimmkraft in eine überzeugende, ja bewunderswerte Übereinstimmung gebracht. Dem Hauptdarsteller stehen Sänger zur Seite, die ebenfalls mit makelloser Intonation und schönen Stimmen singen; die namhaftesten sind wohl James King als kraftvoller Kardinal, Peter Meven als stimmstarker Riedinger und Trudeliese Schmidt als Gräfin Helfenstein. Die Tenöre unterscheiden sich alle durch ein spezifisches Timbre, was der Aufnahme viel sängerische Farbigkeit gibt. Hilfen für den Hörer Das Begleitheft ist für den Hörer eine unschätzbare Hilfe, vor allem, weil das Libretto vollständig abgedruckt (und auch in englischer Fassung mitgegeben) ist. Abgedruckt ist auch der erhellende Beitrag, den Paul Hindemith für das Programmheft der Uraufführung 1938 in Zürich schrieb, ferner ist aufschlußreich ein Aufsatz von Dr. Dieter Rexroth, dem Leiter der Paul Hindemith-Stiftung. Die Bilddokumentation ist, was die Photos der Künstler anbelangt, etwas ins Starhafte geraten, vor allem bei Kubelik und Fischer-Dieskau. Daß es für Trudeliese Schmidt nur zu einer lobenden musikalischen Kurzbiographie, aber zu keinem Photo gereicht hat, ist unverständlich, zumal nur drei Sängerinnen beteiligt sind. Ist Trudeliese Schmidt, die bevorzugte Darstellerin Karl Böhms für die Dorabella und den Cherubino von Mozart und den Komponisten von R. Strauss in „Ariadne auf Naxos" noch nicht prominent genug? Es ist lobenswert, daß Szenenbilder von der Uraufführung der Oper in Zürich 1938 abgebildet werden. Die Szenenentwürfe sind freilich nicht von hohem künstlerischem Rang und sie vermögen dem Hörer keine glaubhafte Bühnenvorstellung zu vermitteln. Die Verantwortlichen hätten wohl besser daran getan, die drei Tafelbilder „Engelsgesang" (in der Kunstgeschichte meist „Weihnachtsbild" genannt), „die Versuchung des hl. Antonius" und „Grablegung" aus dem Isenheimer Altar wiederzugeben. Anregung zu einer Hindemith-Renaissance Es kann nicht zweifelhaft sein, daß diese Aufnahme (Paul Hindemith: Mathis der Maler, Electrola, Kassette mit 3 Platten, Nr. IC 165-03515/17/0, 66 DM), die als das musikalische Ereignis des Jahres 1979 zu gelten hat, eine Hindemith-Renaissance anregen oder besser gesagt, der Erkenntnis seiner säkularen Größe DEUTSCHES ÄRZTEBLATT zum Durchbruch verhelfen wird. Große Opernhäuser (insofern sie diese Oper nicht schon im Repertoire haben) werden nicht länger am „Cardillac" und am „Mathis der Maler" vorbeigehen können; in der Saison 1980/81 ist „Mathis der Maler" z. B. auf dem Spielplan der Deutschen Oper am Rhein. Wer nicht so lange warten will und den kostbaren Besitz dieser Musik unverlierbar haben möchte, zögere nicht, dieses preiswerte Album zu erwerben; er wird mit Schönheit überschüttet. Für viele Hörer wird sich ein Tor zu einer unbekannten Welt auftun, von der sie vielleicht nicht die mindeste Ahnung besaßen. Aber das Unerwartete ist ja das Beglückendste unseres Daseins. A. Greither Almanach 1980 deutscher Ärzte-Schriftsteller geplant Der Herausgeber von neun Anthologien deutscher ÄrzteSchriftsteller, Armin Jüngling, beabsichtigt, 1980 wieder einen Almanach herauszugeben. Die Beteiligung setzt nicht die Mitgliedschaft im Bundesverband Deutscher Schriftsteller-Ärzte voraus; es sind vielmehr alle schriftstellerisch und malerisch tätigen Ärzte und Zahnärzte eingeladen, sich durch Einsendungen von Lyrik, Essays, Kurzgeschichten, Grafik und Zeichnungen (schwarz-weiß) zu beteiligen. Einsendungen mit frankiertem Rückumschlag erbittet bis zum 1. Febi•uar 1980. Dr. med. Armin Jüngling, 8211 Unterwössen. Ferner erbittet er von allen Schriftstellerkollegen die bibliographischen Angaben ihrer in den Jahren 1978 und 1979 erschienenen belletristischen Werke. AJ Heft 49 vom 6. Dezember 1979 3277