Psychoedukation bei schizophrenen Patienten mit komorbidem

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GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. Ein Integrativer Ansatz zur Therapie
von Patienten mit einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis und
komorbidem Substanzkonsum ................................................................................... 2
Zusammenfassung ..................................................................................................... 2
1. Einleitung................................................................................................................ 3
2. Ätiologische Modelle zur Komorbidität von psychotischen Störungen und
Substanzmissbrauch oder -abhängigkeit.................................................................... 7
2.1 Das Modell der gemeinsamen Faktoren ........................................................... 7
2.2 Modelle der sekundären Substanzstörung........................................................ 8
2.3 Das Modell der sekundären psychiatrischen Erkrankung ............................... 10
2.4 Das bidirektionale Modell ................................................................................ 11
2.5 Modell der Substanzstörung mit hoher und niedriger psychischer Belastung . 12
3 Grundlagen der integrativen Therapie von Patienten mit schizophrener Psychose
und Substanzkonsum ............................................................................................... 13
3.1 Allgemeine Therapieprinzipien des integrativen Ansatzes .............................. 13
3.2 Behandlungselemente im Rahmen der integrativen Therapie ........................ 16
3.3 Wirksamkeit der integrativen Therapie............................................................ 19
4. GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben: Das Behandlungskonzept für
Patienten mit Doppeldiagnose an der Universitätsklinik für Psychiatrie und
Psychotherapie des Saarlandes ............................................................................... 20
4.1 Grundlagen des GOAL Behandlungskonzeptes ............................................. 20
4.2 Die psychoedukative GOAL-Gruppe ............................................................... 25
5. Ausblick ................................................................................................................ 32
6. Literatur ................................................................................................................ 33
7. Anschrift der Verfasser ......................................................................................... 41
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A.
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
1
GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. Ein Integrativer Ansatz zur
Therapie von Patienten mit einer Psychose aus dem schizophrenen
Formenkreis und komorbidem Substanzkonsum
Roberto D´Amelio, Thomas Wobrock, Tobias Klein, Bernd Behrendt, Peter Falkai,
Martin Oest
Zusammenfassung
Schizophren Erkrankte stellen unter den Konsumenten von illegalen Drogen eine
bedeutende und in den letzten Jahren in der Zahl anwachsende Gruppe dar.
Patienten mit der Doppeldiagnose schizophrene Psychose und Substanzmissbrauch
lassen
sich
durch
ein
frühes
Auftreten
der
schizophrenen
Symptomatik,
Polytoxikomanie und unzureichender sozialer Integration charakterisieren. Die
Behandlung gestaltet sich schwierig, da die Therapie-Compliance in dieser
Patientengruppe besonders unzureichend ist. Hieraus resultiert im Vergleich zu
Patienten ohne Drogenproblematik ein erhöhtes Rückfallrisiko in Bezug auf die
schizophrene
Erkrankung.
Der
fortgesetzte
Missbrauch
von
psychoaktiven
Substanzen führt zu einer deutlich häufigeren Wiederaufnahme in die Klinik und zu
einem ungünstigen Verlauf der Erkrankung.
In der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Saarlandes wurde für
Patienten mit dieser Doppeldiagnose das "Gesund Ohne Abhängigkeit Leben"
(GOAL) Behandlungskonzept entwickelt. Wesentlicher Baustein dieses integrativen
Therapieansatzes ist die psychoedukative GOAL-Gruppe, mit dem Fokus auf
Krankheitsinformation
bezüglich
der
Doppeldiagnose-Problematik,
der
Rückfallprophylaxe und dem Rückfallmanagement (D’Amelio et al. 2002).
Im Rahmen dieser Intervention soll der Patient befähigt werden, rückfallgefährdende
Situationen zu erkennen und zu vermeiden bzw. Strategien zu erwerben, um solche
Situationen adäquat bewältigen zu können. Darüber hinaus soll über die kurz- und
langfristigen Auswirkungen des Drogenkonsums, unter besonderer Berücksichtigung
der psychotischen Grunderkrankung, informiert und die Motivation für eine
weiterführende Behandlung mit der Entscheidung zur Abstinenz gefestigt werden.
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A.
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
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1. Einleitung
Der Begriff Doppeldiagnose1 beschreibt das zeitliche Zusammentreffen eines
Missbrauches bzw. einer Abhängigkeit von einer oder mehreren psychoaktiv
wirksamen Substanzen und einer anderen psychischen Störung (Evans K & Sullivan
JM 1990). Um eine entsprechende Diagnose zu stellen, darf die psychische Störung
nicht ausschließliche Folge des Substanzgebrauches sein (Brodbeck 2002). Bei ca.
der Hälfte aller Patienten mit schizophrener Psychose wird ein komorbider
Substanzmissbrauch bzw. –abhängigkeit (Lebenszeitprävalenz) gefunden (Regier et
al. 1990, Kovanaszay et al. 1993, Miller et al. 1994, Addington & Duchak 1997,
Modestin et al. 1997, Dixon 1999). Insbesondere bei Patienten mit einer
Erstmanifestation
einer
schizophrenen
Psychose
lassen
sich
bereits
Komorbiditätsraten für Substanzmissbrauch oder –abhängigkeit von 22 - 37%
beschreiben (Hambrecht & Häfner 1996, Cantwell et al. 1999, Addington &
Addington 2001, Sevy et al. 2001). Insgesamt lässt sich in dieser Patientengruppe,
im Vergleich mit einer Durchschnittspopulation, ein 5fach bis 10fach höheres Risiko
zur Entwicklung eines Alkoholmissbrauchs und ein 8fach höheres Risiko zur
Entwicklung eines Missbrauchs von einer anderen psychotropen Substanz feststellen
(Regier et al. 1990, Miller et al. 1994, Krausz & Haasen 1999, Chambers et al. 2001).
Zum Vergleich können Daten von der bislang größten Untersuchung des
amerikanischen National Institute of Mental Health (NIMH) herangezogen werden
(„Epidemiologic
Catchment
Area
Study“).
Diese
Studie
hatte
in
der
Allgemeinbevölkerung der USA, anhand einer repräsentativen Stichprobe von über
20.000 Personen, eine Lebenszeitprävalenz von 13,5% für Alkoholmissbrauch und –
abhängigkeit und 6,1% für Missbrauch bzw. Abhängigkeit von einer anderen
Substanz festgestellt (Regier et al. 1990). Die Daten im europäischen Raum sind
diesbezüglich vergleichbar (EMCDDA 1999).
Soziodemographisch
lassen
sich
Patienten
mit
dieser
Doppeldiagnose
als
überwiegend männlich, jünger als der Altersdurchschnitt der schizophren Erkrankten,
mit geringerer Schulbildung und niedrigem Ausbildungsstand charakterisieren
(Mueser et al. 1990, Mueser et al. 2000, Cantor-Graae et al. 2001, Duke et al. 2001).
1
In diesem Beitrag wird der Begriff Doppeldiagnose ausschließlich auf die Gruppe der Patienten mit
schizophrener Psychose und komorbidem Substanzmissbrauch bezogen
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Diese Merkmale sind generell in der Allgemeinbevölkerung mit dem Auftreten eines
Substanzmissbrauches bzw. einer -abhängigkeit assoziiert (EMCDDA 1999).
Bezüglich
der
konsumierten
Substanzen
sind
schizophren
Erkrankte
mit
entsprechender Doppeldiagnose überwiegend als „normale“ Drogenkonsumenten
einzustufen. Das bedeutet, dass Art, Anzahl und Menge der konsumierten
Substanzen zu einem großen Anteil über Verfügbarkeit der Droge, vorhandenen
Geldmittel, Vorlieben der Peer-Group und persönlichen Möglichkeiten in der
Beschaffung der betreffenden Substanz gesteuert wird (Lambert et al. 1997,
Lammertink et al. 2001). So wird von dieser Patientengruppe im europäischen Raum
hauptsächlich Alkohol konsumiert, gefolgt von Cannabis (Mueser et al. 1990,
Lambert et al. 1997, Schütz & Sokya 1997). Betrachtet man allerdings die
Altersgruppe der jüngeren Doppeldiagnose-Patienten (< 35 Lebensjahren), so steht
der Cannabismissbrauch an erster Stelle (Lambert et al. 1997, Duke et al. 2001,
Löhrer et al. 2002). Hier fällt auf, dass Cannabismissbrauch und -abhängigkeit im
allgemeinen hauptsächlich ein Phänomen der jüngeren Generation darstellt: sie wird
in der Gesamtbevölkerung von Europa auf 4 % beziffert, in der Subpopulation der 18
- 29jährigen Personen allerdings auf 14 % (Kessler et al. 1994; EMCDDA 1999).
Dies ist auch die Altersgruppe, in der ein Häufigkeitsgipfel der Erstmanifestationen
schizophrener Erkrankungen liegt.
Des weiteren lässt sich eine starke Korrelation zwischen der Höhe des
Cannabiskonsums
und
der
Wahrscheinlichkeit
einer
späteren
stationären
Behandlung aufgrund einer schizophrenen Störung feststellen (Andreasson et al.
1987).
Diese Befunde sind – wie später noch ausgeführt wird - vor allem aus ätiologischen
Überlegungen interessant (s. Abschnitt 2). Zunehmend spielen in der jüngeren
Patientengruppe mit entsprechender Doppeldiagnose auch Kokain und Amphetamin,
atropinerge Substanzen (bspw. Engelstrompete) und Halluzinogene eine Rolle
(Soyka et al. 1993, Lammertink et al. 2001). Prinzipiell ist unter diesen Patienten ein
zunehmender „Trend“ zur Polytoxikomanie festzustellen: die aktuellen Daten
sprechen diesbezüglich von einer Lebenszeitprävalenz von bis zu 72% (Lambert et
al. 1997, Lammertink et al. 2001).
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Bezogen auf die Krankheitsausprägung und den Krankheitsverlauf haben Patienten
mit Schizophrenie und gleichzeitiger Substanzabhängigkeit eine schlechtere
Prognose, da ein Fortbestehen des Substanzkonsums den Verlauf der Psychose
deutlich negativ beeinflusst (Smith & Hucker 1994, Lehmann & Dixon 1995). Häufige
Rezidive und Rehospitalisierungen machen Doppeldiagnose-Patienten im Vergleich
mit anderen Patienten zu einer kostenintensiveren Patientengruppe (Bartels et al.
1993, Dickey & Azeni 1996). In einigen Untersuchungen weisen diese Patienten
psychopathologisch mehr Positivsymptomatik und einen ausgeprägteren Grad an
Desorgarnisiertheit auf (Drake & Wallach 1989, Hambrecht & Häfner 1996, Häfner et
al. 2002). Zusätzlich leiden sie häufiger an ernsthaften somatischen Erkrankungen
(insbesondere
HIV-
und
Hepatitis-Infektionen)
und
sind
öfter
von
einer
Exazerberation der schizophrenen Psychose betroffen (Smith & Hucker 1994, Drake
& Brunette 1998). Vereinzelt wurde auch über eine stärkere Ausprägung depressiver
Symptomatik berichtet (Strakowski et al. 1994). Besonders dramatisch ist in diesem
Zusammenhang zu bewerten, dass in dieser Patientengruppe mehr Suizidversuche
und Suizide auftreten als bei schizophren Erkrankten ohne Drogenmissbrauch
(Kamali et al. 2000, Gut-Fayand 2001, Meltzer et al. 2002).
Bereits ein niederfrequenter Konsum von illegalen psychotropen Substanzen ist ein
Faktor, der mit unzureichender bzw. fehlender Medikamenten-Compliance, häufigen
Behandlungsabbrüchen und dem schnelleren Auftreten eines Rezidivs korreliert:
Rezidive bei Doppeldiagnose treten im Durchschnitt nach 5 Monaten auf, gegenüber
10 Monaten bei einer Vergleichgruppe von schizophren Erkrankten ohne
Substanzmissbrauch (Owen et al. 1996, Hunt et al. 2002, Meltzer 2002). Allerdings
führt Drogenkonsum auch bei zuverlässigerer Medikamenteneinnahme zu einem
schnelleren Wiederauftreten der schizophrenen Psychose und damit verbundener
erneuter Klinikaufnahme (Hunt et al. 2002). Die Patienten mit schizophrener
Psychose scheinen auch sensibler bzw. stärker auf kleine Mengen psychoaktiv
wirksamer Substanzen zu reagieren (Drake & Mueser 2000).
Insofern scheint sich die erhöhte Rezidivrate bei diesen Doppeldiagnose-Patienten
aus der Kombination von direktem Effekt der konsumierten Substanzen und der
schlechteren Behandlungs- und Medikamenten-Compliance zu ergeben (Owen et al.
1996, Dixon 1999, Häfner et al. 2002). Erschwert wird die Behandlungscompliance
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bzw. Abstinenzmotivation zusätzlich durch die Tatsache, dass Patienten auch über
positive Effekte durch den Konsum von Drogen berichten, z.B. über Verringerung
dysphorischer Gefühle (insbesondere Depression und Angst) und der Verbesserung
von Vitalität, Antrieb und Kontaktverhalten (Mueser et al. 1990, Dixon et al. 1991).
Unserer Erfahrung nach berichten Patienten auch immer wieder von der Sehnsucht
„high“ zu sein, oft verbunden mit dem Wunsch nach „Abschalten“ bzw. „Urlaub vom
Alltag“. Die dabei auftretenden drogenbedingten Halluzinationen werden - im
Gegensatz zu den psychosebedingten - durchaus als angenehm bezeichnet. Im
Rahmen der Selbstmedikationshypothese wird auch postuliert, dass Patienten
dopaminerge
Drogen
Negativsymptomatik)
einsetzen,
und
um
krankheitsbezogene
medikamenteninduzierte
Symptome
Nebenwirkungen
(z.B.
(z.B.
extrapyramidale Symptome, Hypotension und Sedierung) zu lindern (Schneier & Siris
1987, Goff & Evins 1998). Oft ist den Patienten der Zusammenhang von
Drogenkonsum und Krankheitsfolgen aufgrund kognitiver Beeinträchtigungen und/
oder wegen unzureichender Einsicht nicht klar oder er wird von ihnen abgestritten
(Drake et al. 1998, Brodbeck 2002).
Hinzu kommt, dass der Drogenkonsum bei schizophrenen Patienten häufig nicht
sofort erkannt und dementsprechend auch nicht behandelt wird. Das liegt zum einen
daran, dass die auftretenden kognitiven, emotionalen, verhaltensbezogenen und
sozialen Dysfunktionen oft der psychotischen Störung zugeordnet werden und dass
es zum anderen an validen substanzsspezifischen Erhebungsinstrumenten für diese
Patientengruppe mangelt (Shaner et al. 1993, Carey & Correia 1998). Derzeit lässt
sich die höchste Zuverlässigkeit in der Identifikation von komorbidem Drogenkonsum
mit der Kombination von laborchemischen Parametern einschließlich eines
Drogenscreenings und fremdanamnestischen Angaben erreichen (Drake & Mueser
2000).
Dahingegen
sind
Eigenangaben
der
Patienten,
insbesondere
bei
krisenbedingter Einweisung in die Klinik, als eher unzuverlässig einzustufen,
wohingegen sich im ambulanten Setting und bei gutem Rapport durchgängig hohe
Übereinstimmungen finden lassen (Weiss et al. 1998, Drake & Mueser 2000).
Die
berichteten
vielfältigen
negativen
Konsequenzen
der
Interaktion
von
schizophrener Psychose und Drogenkonsum machen es besonders notwendig,
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diese Patienten frühzeitig zu identifizieren und einer angemessenen Behandlung
zuzuführen.
2. Ätiologische Modelle zur Komorbidität von psychotischen Störungen und
Substanzmissbrauch oder -abhängigkeit
Für die erhöhte Komorbidität von psychotischen Störungen und Substanzkonsum
sind im wesentlichen vier unterschiedliche Modelle postuliert worden (Überblick bei
Mueser et al. 2002):
das Modell der gemeinsamen Faktoren
das Modell der sekundären Substanzstörung
das Modell der sekundären psychiatrischen Erkrankung
das bidirektionale Modell
das Modell der Substanzstörung mit hoher und niedriger psychischer Belastung
Die genannten Modelle werden in den nächsten Abschnitten näher beschrieben.
2.1 Das Modell der gemeinsamen Faktoren
Das
Modell
der
gemeinsamen
Faktoren
postuliert,
dass
die
hohen
Komorbiditätsraten in dieser Patientengruppe als Folge spezifischer Risikofaktoren
betrachtet werden können. Diese sind voneinander unabhängig und erhöhen i.S.
einer individuellen Vulnerabilität die Wahrscheinlichkeit zur Entwicklung beider
Störungen (Mueser et al. 2002). Bislang sind das Vorliegen einer genetischen
Belastung und einer antisozialen Persönlichkeitsstörung als prädisponierende
Risikofaktoren zur Ausbildung einer
entsprechenden Doppeldiagnose näher
untersucht worden.
In der Ausbildung von schizophrenen Psychosen wie auch von Substanzmissbrauch
scheinen genetische Einflussgrößen eine Rolle zu spielen. Es gibt Studien, aus
denen hervorgeht, dass sich bei Patienten mit Doppeldiagnose im Vergleich zu
Patienten ohne diese Komorbidität häufiger Verwandte mit Substanzstörungen finden
lassen (Tsuang et al. 1982). Allerdings korreliert das genetische Risiko bei Patienten
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mit Schizophrenie nicht generell mit einem erhöhten Risiko einer Substanzstörung
bei deren näheren Verwandten: Zwillingsstudien zur Heredität von Schizophrenie
und
Alkoholabhängigkeit
konnten
keine
erhöhte
Konkordanzrate
dieser
Störungsbilder bei monozygoten im Vergleich zu dizygoten Zwillingen belegen
(Kendler 1985, Mueser et al.1998, Blanchard et al. 2000). Dies unterstützt die
Hypothese, dass die postulierte Vulnerabilität zur Entwicklung einer Schizophrenie
und eines komorbiden Substanzkonsums wahrscheinlich durch unterschiedliche
genetische Faktoren bedingt wird, die beide in einem Patienten vorhanden sind.
Das Vorliegen einer antisozialen Persönlichkeitsstörung (APS) scheint deutlich
mit einer erhöhten Komorbiditätsrate für eine Substanzstörung, wie auch für eine
schizophrene Psychose zu korrelieren (Mueser et al. 1998, 1999, Hambrecht &
Häfner
2000).
Diese
Patientengruppe
mit
der
(Dreifach-)
Diagnose
APS,
Schizophrenie und Substanzstörung lässt sich durch einen ungünstigeren Verlauf der
Psychose, einen exzessiver betriebenen Substanzmissbrauch und eine größere
familiäre Belastung mit Suchterkrankungen charakterisieren (Mueser et al. 1997). Es
konnte auch gezeigt werden, dass Patienten mit Doppeldiagnose in der Kindheit
signifikant häufiger Vorläufersymptome der antisozialen Persönlichkeitsstörung
aufweisen (Cannon et al. 1993, Kessler et al. 1997). Aufgrund der Datenlage kann
aktuell die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die APS zumindest bei einer
Subpopulation
von
Patienten
die
erhöhte
Rate
von
Drogenkonsum
bei
Schizophrenien erklärt (Mueser et al 1998).
2.2 Modelle der sekundären Substanzstörung
In den Modellen der sekundären Substanzstörung wird davon ausgegangen, dass
schwere psychische Erkrankungen, wie z. B. das Vorliegen einer Schizophrenie, die
Wahrscheinlichkeit für die Entstehung einer Substanzstörung erhöhen.
Unter diesem Ansatz lassen sich das Modell der psychosozialen Risikofaktoren, das
Modell einer biologisch erhöhten Sensitivität von schizophrenen Patienten für
Suchtmitteleffekte (Supersensitivitätsmodell) und das Modell der iatrogenen Faktoren
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(antipsychotische Medikation mit Wirkung auf das dopaminerge Belohnungssystem)
subsummieren.
Ein Aspekt bei den psychosozialen Risikofaktoren ist die Selbstmedikation zur
Linderung schmerzvoller Affekte (Khantzian 1985, 1997), so dass auch die Substanz
„passend“ zum abzumildernden dysphorischen Affektzustand gewählt wird. Diese
Überlegungen konnten bisher durch Studienergebnisse nicht entscheidend gestützt
werden, da die Suchtmittelwahl häufig nicht im Zusammenhang mit der Diagnose
steht, sondern eher mit deren Verfügbarkeit korreliert ist (Regier et al. 1990, Mueser
et al. 2002). Dennoch ist hervorzuheben, dass Patienten mit Doppeldiagnose ein
höheres Depressions- und Dysphorieerleben und niedrigeres Toleranzniveau in
Bezug auf diese Emotionen aufweisen (Hambrecht & Häfner 2000). Es kann
vermutet werden, dass diese Patienten durch Selbstmedikation ihre Dysphorie zu
vermindern
suchen.
Möglicherweise
nimmt
hierbei
aufgrund
der
sozialen
Einschränkungen bei der Beschaffung bestimmter Substanzen, die Verfügbarkeit der
Droge eine höhere Wertigkeit als deren Wirkungsspektrum auf die entsprechenden
Affekte ein.
Neben der Dysphorieverringerung werden eine Reihe weiterer psychosozialer
Risikofaktoren diskutiert, die in der Folge einer schizophrenen Erkrankung auftreten
können und die Bereitschaft, Drogen einzunehmen, erhöhen. Dabei handelt es sich
um Faktoren wie soziale Isolation, ungenügende interpersonale Fertigkeiten,
schwache kognitive Fähigkeiten, Armut, Ausgrenzung und Einsamkeit, fehlende
Tagesstruktur, und das Leben in einer Nachbarschaft mit hoher Drogenverfügbarkeit
(Dixon et al. 1990, 1991, Drake et al. 1998).
Beim Supersensitivitätsmodell wird auf der Grundlage des Vulnerabilitäts-StressBewältigungs-Modells (Zubin & Spring 1977; Liberman et al. 1986) vermutet, dass
bei schizophrenen Patienten aufgrund einer biologisch bedingten Sensitivität bereits
bei kleinen Substanzmengen klinische Symptome (Wahn, Halluzination) bzw.
negative Wirkungen (Abhängigkeit, Rezidiv) auftreten. Dies belegen Studien die
zeigen, dass schizophrene Patienten im Durchschnitt niedrigere Substanzmengen
als Patienten mit anderen schwerwiegenden psychischen Störungen konsumieren,
was auch durch die niedrigere Rate von organischen Folgeschäden unterstützt wird,
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dafür aber mehr Rückfälle und Episoden von Rehospitalisierung aufweisen (Lehman
et al. 1994, Swofford et al. 1996, Mueser et al. 1999). Diese Befunde stützen die
Annahme, dass bei diesen Patienten eine deutlich geringere Substanzmenge bereits
zu typischen Symptomen einer psychischen und physischen Abhängigkeit führt.
Unter dem iatrogenem Vulnerabilitätsmodell wird die verminderte Aktivität des
dopaminergen
mesolimbischen
Belohnungssystems
verstanden.
Es
wird
angenommen, dass die erhöhte Vulnerabilität für den Gebrauch von Suchtmitteln auf
einer
reduzierten
Aktivität
dieses
Systems
beruht
und
Patienten
Drogen
konsumieren, um positive Gefühle hervorzurufen. Die Behandlung mit Neuroleptika
reduziert über Blockade der D2-Dopaminrezeptoren zusätzlich die verfügbare Menge
dieses Neurotransmitters und macht die Patienten so anfälliger für Substanzen, die
dieses dopaminerge mesolimbische Belohnungssystem stimulieren. Es liegen erste
Ergebnisse vor, dass Patienten unter der Behandlung mit atypischen Neuroleptika
mit reduzierter D2-blockierender Wirkung eine niedrigere Rate an Komorbidität mit
Substanzstörungen und eine höhere Medikamentencompliance aufweisen (Noordsy
et al. 2001).
Insbesondere
das
Modell
der
Dysphorieverringerung
und
das
iatrogene
Vulnerabilitätsmodell unterstreichen die Bedeutung einer adäquaten Medikation
dieser
Patientengruppe
als
Voraussetzung
zur
Herstellung
einer
Behandlungscompliance und zur Entwicklung einer Abstinenzmotivation.
2.3 Das Modell der sekundären psychiatrischen Erkrankung
Bei den Modellen, die psychotische Störungen als Folge eines anhaltenden
Substanzkonsums sehen (Modell sekundärer psychiatrischer Erkrankungen), spielt
das im Tierversuch wiederholt replizierte Kindling und die Verhaltenssensibilisierung
eine
entscheidende
Rolle.
Diese
beiden
Mechanismen
werden
über
die
überschiessende Katecholaminausschüttung für die Auslösung von Schizophrenien
und affektiven Störungen verantwortlich gemacht. Damit wird die Psychose als Folge
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eines Substanzmissbrauchs aufgefasst, was insbesondere auf den Konsum von
Cannabis zutrifft.
So konnte im Rahmen einer prospektiven Untersuchung bei schwedischen Rekruten
zum
Zeitpunkt
der
Einberufung
und
einem
späteren
Abgleich
mit
dem
Aufnahmeregister der psychiatrischen Kliniken eine dosisabhängige Risikoerhöhung
bei Cannabiskonsumenten für die spätere Schizophrenieentwicklung festgestellt
werden (Andreasson et al. 1987). Es zeigte sich, dass das Risiko für eine
schizophrene Störung bei einer Konsumhäufigkeit von mehr als 50 Episoden um das
6fache erhöht war. Nach der Kontrolle von Einflussvariablen wie Schulleistung,
Familienbedingungen und vorbestehenden psychiatrischen Problemen blieb immer
noch
eine
relative
Risikoerhöhung
um
das
2,9fache
bestehen.
Eine
Subgruppenanalyse zeigte, dass die Cannabis konsumierenden Rekruten einen
früheren Beginn der Psychose und mehr positive Symptome aufwiesen (s.a.
Addington & Addington 1998).
Erkenntnisse der psychopharmakologischen Forschung weisen darauf hin, dass ein
ansteigender
Tetrahydrocannabinolspiegel
Entladungsfrequenz
dopaminerger
Neurone
(THC)
führt
zu
und
einer
zu
einer
erhöhten
erhöhten
dopaminergen Aktivität im limbischen Vorderhirn (Navarro et al. 1993). Bei
schizophrenen Patienten wurden im Vergleich zu Kontrollprobanden erhöhte Spiegel
von endogenen Cannabinoiden im Liquor cerebrospinalis gefunden (Leweke et al.
1999), so dass dem zerebralen endogenen Cannabinoidsystem (CB1-Rezeptor)
vermutlich eine Rolle bei der Entstehung oder Aufrechterhaltung psychotischer
Störungen zukommt. Möglicherweise kann so bei psychobiologisch erhöhter
Vulnerabilität für eine psychotische Störung durch zusätzliche biologische Stressoren
wie Drogenmissbrauch eine Psychose ausgelöst werden. Diese kann nach
Manifestation nicht mehr von einer psychotischen Störung differenziert werden, die
auf andere Faktoren zurückzuführen ist.
2.4 Das bidirektionale Modell
Das bidirektionale Modell postuliert, dass eine - bei einer erhöhter biologischen
Vulnerabilität - durch einen Substanzgebrauch ausgelöste psychotische Störung
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wegen des fortgesetzten Substanzkonsums aufrecht erhalten wird (Graham 1998).
Eine ausreichende empirische Validierung dieses Modells steht allerdings noch aus.
2.5 Modell der Substanzstörung mit hoher und niedriger psychischer
Belastung
Von Mueser et al. (2002) wurde die Einteilung der Patienten mit Doppeldiagnose in
zwei Subtypen vorgeschlagen. Dabei wurden das APS-Modell (aus dem Modell der
gemeinsamen Faktoren) und das Supersensitivitätsmodell (aus dem Modell der
sekundären Substanzstörung) berücksichtigt, für die derzeit die höchste Evidenz
vorliegt. Diese Einteilung ist auch deshalb interessant, da sie mit therapeutischen
Konsequenzen verbunden wird.
Patienten nach dem APS-Modell haben eine ausgeprägte Substanzstörung bei
hoher psychischer Belastung. Sie lassen sich charakterisieren durch einen früheren
Beginn der Substanzstörung, den Gebrauch einer hohen Anzahl von Suchtmitteln,
einer
stärkeren
körperlichen
Abhängigkeit,
einer
häufigeren
positiven
Familienanamnese für Substanzkonsum, einem früheren Erstmanifestationsalter der
psychotischen Erkrankung, einer schlechteren prämorbiden sozialen Funktion, mehr
psychiatrischen Symptomen, einer höheren Neigung zu Aggressivität und einer
ungünstigeren Prognose. Diese Patienten brauchen eine umfangreiche Betreuung
z.B. durch stationäre Therapie, aufsuchende Strategien und dichtes Monitoring
(Mueser et al. 2002).
Die Patienten mit Supersensitivität, die nur gelegentlich Drogen konsumieren, eine
niedrigere psychische Belastung und eine günstigere Prognose aufweisen, scheinen
dagegen von psychoedukativen Maßnahmen und einer Behandlung im ambulanten
Setting zu profitieren (s. Abschnitt 4.2: Behandlungselemente der integrativen
Therapie).
Bezieht man zusätzlich das Selbstmedikationsmodell bei den therapeutischen
Überlegungen mit ein, dann sollten darüber hinaus Strategien zur Verringerung des
Dysphorieerlebens und zur Verbesserung der Stressbewältigung erarbeitet werden.
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Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
Es sollten Fertigkeiten vermittelt werden, um negative Gefühle wie Angst, Ärger und
Depression anders als durch den Konsum von Suchtmitteln zu bewältigen
(Rosenthal & Westreich 1999, Mueser et al. 2002).
3 Grundlagen der integrativen Therapie von Patienten mit schizophrener
Psychose und Substanzkonsum
3.1 Allgemeine Therapieprinzipien des integrativen Ansatzes
Patienten mit der Doppeldiagnose schizophrene Psychose und Substanzmissbrauch
sind innerhalb einer Institution im Rahmen eines spezifischen - auf die Bedürfnisse
und
Besonderheiten
dieser
Patientengruppe
zugeschnittenen
-
Interventionsprogramms zu behandeln. (Drake et al. 1989, Drake & Mueser 2000).
Dies wird als integrativer Ansatz bezeichnet (Minkoff 1989) und bedeutet, dass in
einem Setting und durch ein Therapeutenteam angemessene Interventionen für
beide Störungen angeboten werden. Dadurch wurden die weitgehend ineffektiven
„traditionellen“ Modelle der sequentiellen oder parallelen Behandlung dieser
Patientengruppe in voneinander getrennten Institutionen aufgegeben, die in der
Regel auf folgender „Arbeitsaufteilung“ beruhten: Stabilisierung und Behandlung der
schizophrenen Symptomatik in einer Psychiatrischen Klinik und parallele oder
nachfolgende Behandlung des Missbrauch in einer suchtspezifischen Einrichtung
(Ridgely et al. 1990, Ridgely & Jerrel 1996). Ein Grund für die beschriebene
Ineffektivität der Therapie in einem suchtzentrierten Setting ist darin zu sehen, dass
schizophrene Patienten mit Substanzmissbrauch mit dem dort vertretenen eher
konfrontativen
Interaktionsstil
und
der
Betonung der Eigenverantwortlichkeit
überfordert sind. Die Folgen davon sind häufige Behandlungsabbrüche, Rückfälle
und/ oder Exacerberation der psychotischen Störung (Dickey & Azeni 1996, Owen
1996, Owen et al. 1997).
Im Rahmen eines integrativen Ansatzes erfolgt das therapeutische Angebot aus
einer Hand und kann entsprechend dem Konzept der niederschwelligen, langzeitlich
angelegten Behandlung individuell auf den Gesundheitszustand, die aktuelle
Motivation, die Ressourcen und die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt werden
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 13
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
(McHugo et al. 1995, Carey 1996). Dabei sollte jede Behandlung „individualisiert“
ablaufen i.S. der Erstellung eines persönlichen Störungs- und Veränderungsmodells
unter Berücksichtigung der Biografie und der aktuellen Lebensumstände des
Patienten (Rosenthal & Westreich 1999).
Im einzelnen werden folgende übergeordnete therapeutische Ziele verfolgt (vgl.
Bachmann et al. 2002):
Maßnahmen
zur
Behandlung
der
Schizophrenie:
i.S.
Förderung
von
Krankheitseinsicht und Compliance bezüglich der regelmäßigen Einnahme von
Medikamenten, dem Erkennen von psychotischen Frühwarnsymptomen und dem
Rückfallmanagement
Maßnahmen zur Behandlung der Abhängigkeitsproblematik: i.S. des Erkennen
und Akzeptieren des Missbrauch, der Förderung von Abstinenzzuversicht bzw. –
Motivation, der Rückfallprophylaxe und Rückfallmanagement und der Schaffung
von „gesunden“ Alternativen zum Substanzmissbrauch
Maßnahmen zur Behandlung der „Doppel-Problematik“: i.S. des Erkennens und
Akzeptierens der Zusammenhänge zwischen Substanzkonsum und Verlauf der
schizophrenen Psychose und der Förderung von Lebensqualität
Tabelle 1: Therapeutische Ziele im Rahmen eines integrativen Ansatzes, nach Bachmann et al. 2002
Prinzipiell soll der Patient mittels therapeutischer Intervention dazu befähigt werden,
mit beiden Erkrankungen konstruktiv und rückfallverhütend umzugehen, um dadurch
langfristig mehr Lebensqualität und auch –perspektive zu bekommen (Mead &
Copeland 2000, Drake et al. 2001).
Da viele Patienten Schwierigkeiten haben, sich von vornherein auf eine langfristige
abstinenzorientierte Therapie einzulassen (Owen et al. 1997), bietet sich folgender
gestufter Behandlungsablauf an: beginnend mit einer Kontaktaufnahme, mit
Schwerpunkt auf die Gestaltung einer vertrauensvollen therapeutischen Interaktion
und Arbeitsbeziehung; gefolgt von einer Phase, in der die Entwicklung von
Behandlungsmotivation für eine abstinenzorientierte Therapie im Vordergrund steht;
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 14
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
der „eigentlichen“ Therapiephase mit Fokus auf das Management der schizophrenen
Psychose,
Rückfallprävention
und
Rückfallmanagement;
mit
anschließender
Stabilisierungsphase, in der die Abstinenz gefestigt und die individuelle berufliche
und lebensbezogene Perspektive des Patienten bearbeitet und umgesetzt wird
(McHugo et al. 1995, Carey 1996, Rosenthal & Westreich 1999).
Diese kurz skizzierten Behandlungsstufen sind nicht als starrer linearer Ablauf zu
verstehen.
Der
Patient
könnte
bereits
initial
mit
einer
fortgeschrittenen
Behandlungsstufe beginnen, aber auch - nach einem Rezidiv der schizophrenen
Psychose, einem Rückfall bezüglich des Substanzmissbrauchs oder anderen
kritischen Lebensereignissen - auf eine vorherige Behandlungsstufe eingeordnet
werden. Aus diesem Grund sind Ablauf und Inhalt der Intervention in Abhängigkeit
von dem aktuellen Gesundheitszustand und der Motivationslage des Patienten
flexibel zu handhaben (Rosenthal & Westreich 1999).
Das bedeutet auch, dass Abstinenz keine zwingende Voraussetzung zur Aufnahme
in die Therapie darstellt. Erstes und dringlichstes Therapieziel ist nach dem
Grundsatz der „harm reduction“ (Schadensbegrenzung), das Verbleiben des
Patienten in der Therapie und die Stabilisierung seines gesundheitlichen Zustandes
(Drake & Mueser 2000, Torey & Wizek 2000, Bachmann et al. 2002). Mittel- bis
langfristig soll im Rahmen einer fortgesetzten Behandlung, durch therapeutische
Interaktion und dem Aufzeigen von Perspektiven und Alternativen, eine Motivation
zur Einschränkung bzw. Reduktion des Substanzgebrauchs und schließlich zur
Abstinenz geschaffen werden (Levy 1993). Dieses Konzept berücksichtigt, dass die
meisten Patienten mit komorbider schizophrener Psychose aus vielen Gründen ihren
Substanzmissbrauch zunächst nicht nennenswert reduzieren können, da sie z.B.
damit
krankheitsbezogene
Symptome
(beispielsweise
Negativsymptomatik,
dysphorische emotionale Zustände) oder unangenehme Nebenwirkungen (bspw.
etrapyramidale Zeichen, Hypotension, Sedierung) der antipsychotischen Medikation
bekämpfen (Schneier & Siris 1987, Dixon et al. 1991, Goff & Evins 1998). Hinzu
kommt, dass sie wenig Zuversicht haben, ihren Drogenkonsum eigenständig
kontrollieren zu können. Aufgrund fehlender Ausbildung, Langzeitarbeitslosigkeit
bzw. Erwerbsunfähigkeit entwickeln sie zudem nur bedingt abstinenzförderliche Ziele
(Mueser et al. 1990). Oftmals können diese Patienten auch nicht auf ein soziales
Umfeld zurückgreifen, welches konstruktiven „Behandlungsdruck“ erzeugen oder auf
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 15
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
andere Weise in dem Vorhaben unterstützen könnte, den Substanzkonsum deutlich
zu reduzieren bzw. langfristig ganz einzustellen (Mueser et al 1990, Modestin et al.
2001). Des weiteren glauben viele dieser Patienten nicht an eine negative und sich
gegenseitig
bedingende
Interaktion
von
fortgesetztem
Drogenkonsum
und
schizophrenen Rezidiven (Levy 1993, Ziedonis & Trudeau 1997). Weit verbreitet ist
aus unserer Erfahrung auch, insbesondere in der Kerngruppe der jungen
schizophrenen Drogenkonsumenten, die irreführende Unterteilung in „harte“ d.h. zu
vermeidende
„gesundheitsschädigende“
Amphetamine
oder
Morphium-Derivate
Substanzen,
und
„weiche,
wie
beispielsweise
relativ
unbedenkliche“
Substanzen, wie etwa Alkohol (i.d.R. aus sog. Mixgetränken) und Cannabis. Das
unterstreicht die Bedeutung von Krankheitsinformation bzw. der Vermittlung von
störungsrelevantem Wissen in der Therapie dieser Patientengruppe als ein Baustein
für die Induktion von zielbezogener Einstellung- und Verhaltensänderung (Crump &
Milling 1996, Roberts et al. 1999, Gouzoulis-Mayfrank 2003). Darüber hinaus
müssen dem Patienten lebensbezogene und zukunftgerichtete soziale Perspektiven
(z.B. Praktikum, tagesstrukturierende Beschäftigungen, Verdienstmöglichkeiten)
aufgezeigt und mit ihm gesundheitsförderliche Alternativen zum Drogenkonsum
erarbeitet werden. Dies ist als „erweiterte“ Rückfallprophylaxe zu verstehen
(Bachmann et al. 2001). In Verbindung mit der Identifikation und Prävention von
rückfallgefährdenden Situationen und dem Management bzw. der Bewältigung des
Rückfalls (i.S. einer möglichst frühzeitigen Beendigung des Drogenkonsums, mit
sofortiger
Wiederaufnahme
der
Therapie),
sind
die
genannten
Themen
unverzichtbare Elemente in der integrativen Behandlung dieser Patientengruppe
(Roberts et al. 1999, Rosenthal & Westreich 1999).
3.2 Behandlungselemente im Rahmen der integrativen Therapie
In der integrativen Behandlung werden Interventionsstrategien und -verfahren
eingesetzt, die sich in der Versorgung von Suchtpatienten und Patienten mit
Schizophrenie
bewährt
haben
(Drake
et
al.
1998).
Die
verwendeten
Interventionsstrategien sind zum Teil modifiziert und auf die speziellen Bedürfnisse
dieser Patientengruppe zugeschnitten worden. So wird beispielsweise das Training
sozialer Kompetenzen einerseits zur Erhöhung der interaktiven Kompetenz (z.B. zum
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 16
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
Aufbau von „drogenfreien“ Kontakten), wie auch zur Rückfallverhütung (z.B. um die
Fertigkeit zu schulen, angebotene Drogen abzulehnen) eingesetzt (Bellack &
DiClemente
1999,
Barrowclough
et
al.
2001).
Ein
erfolgreiches
Behandlungsprogramm berücksichtigt bei der Wahl der therapeutischen Ziele
(Schadensbegrenzung,
Konsumreduktion
und
Abstinenz)
den
aktuellen
motivationalen und gesundheitlichen Zustand des Patienten und richtet die
Interventionen darauf aus (Ziedonis & Trudeau 1997, Drake & Mueser 2000). Des
weiteren müssen Behandlungselemente eingesetzt werden, die zur Erhöhung der
Therapiemotivation, Verbesserung der Compliance und zur dauerhaften Einbindung
der Patienten und ihrer Bezugspersonen in das Therapieprogramm führen (MercerMcFadden et al. 1997, Barrowclough et al. 2001). So ist beispielsweise zu Beginn
der Therapie und bei auftretenden Krisen eine aufsuchende Arbeit im Rahmen der
häuslichen Umgebung des Patienten vorgesehen (Ho et al. 1999, Mercer-McFadden
et al. 1997). Des weiteren soll mittels Familienintervention bei den Angehörigen
größere Akzeptanz für die Doppeldiagnoseproblematik und eine störungszentrierte
interaktive bzw. Problemlösekompetenz geschaffen werden (Hahlweg & Dose 1998).
Dies erscheint auch vor dem Hintergrund bedeutsam, dass Substanzkonsum negativ
und Medikamentencompliance positiv mit dem Ausmaß der emotionalen und
sozialen Unterstützung korreliert (Hahlweg et al. 1995, Dixon et al. 2000, Clark
2001). Generell gilt als gesichert, dass sich das therapeutische Ergebnis durch die
Einbindung relevanter Bezugspersonen in die Behandlung günstig beeinflussen lässt
(Drake & Mueser 2000, Mueser & Fox 2002). Aus den genannten Gründen ist die
Familienintervention fester Bestandteil einer integrativen Therapie von Patienten mit
Doppeldiagnose.
Ein
weiteres
wirksames
Behandlungselement
ist
die
Vermittlung
von
störungsrelevantem Wissen an Patienten und deren Bezugspersonen. Dies
geschieht im Rahmen von psychoedukativen Interventionen, in denen zusätzlich ein
funktionaler Umgang mit Krankheitsanzeichen und rückfallverhütende bzw. –
bewältigende Strategien vermittelt und erarbeitet werden (Drake et al. 1998, Drake &
Mueser
2000).
Während
es
für
die
schizophrene
Störung
eine
Reihe
psychoedukativer Manuale gibt (z.B. Behrendt 2001 a; Übersicht in Buttner 1995,
Hornung
2000,
deutschsprachiges
Behrendt
Manual
2004),
ist
bislang
(Gouzoulis-Mayfrank
nur
2003)
ein
für
entsprechendes
Patienten
mit
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 17
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
Doppeldiagnose veröffentlicht worden. Publikationen (z.B. Roberts et al. 1999) und
Daten aus dem englischsprachigem Raum belegen allerdings eindrücklich, dass sich
der Behandlungsverlauf durch Psychoedukation, die auf die Erfordernisse und
Bedürfnisse dieser Patientengruppe ausgerichtet ist, positiv beeinflussen lässt
(Crump & Milling 1996, Drake et al. 1998, Drake & Mueser 2000).
Als weiteres Behandlungselement nutzen integrative Therapieprogramme eine
Vielzahl von Techniken aus der kognitiv-behavioralen Psychotherapie. Dabei wird,
aufgrund der häufig eingeschränkten kognitiven Funktionen bei diesen Patienten, der
Schwerpunkt auf übende Methoden gelegt (Ziedonis & D´Avanzo 1998, Roberts et
al. 1999). Neben dem bereits erwähnten adaptierten sozialen Kompetenztraining
(Übersicht bei Ziedonis & Trudeau 1997), beziehen sich weitere verhaltensbezogene
Behandlungselemente
beispielsweise
auf
den
Aufbau
gesundheitsdienlicher
Aktivitäten (i.S. positiver Verstärker), auf die Identifikation und das Management von
Auslösern, die Verlangen nach Drogenkonsum („craving“) auslösen und der
Veränderung dysfunktionaler Kognitionen und Einstellungen (Übersicht bei Beck et
al. 1993, Schaub & Brenner 1995).
Eine weitere Säule der integrativen Therapie von Patienten mit Doppeldiagnose ist
die
psychiatrische
Versorgung
mit
Schwerpunkt
auf
der
Optimierung
der
Pharmakotherapie (Übersicht bei Krausz et al. 1998, Pfeifer & Müller 2002). Einige
Belege sprechen dafür, dass sich durch den Einsatz atypischer Neuroleptika
kognitive Defizite verringern lassen, Depressivität und Suizidalität stärker abnehmen
und die Menge der konsumierten Drogen deutlich reduziert wird (Meltzer & Okayli
1995, Harvey & Keefe 2001, Drake et al. 2001, Lee & Meltzer 2001). Bei der
medikamentösen Therapie der Suchtkomponente mittels „anticraving“- Substanzen
oder Substitutionstherapie deutet sich aus klinischen Studien an, dass hier prinzipiell
eine Behandlung wie bei nicht-psychotischen Patienten indiziert ist (Sernyak et al.
1998, Maxwell & Shindermann 2000). Diese Behandlungsempfehlungen müssen
aufgrund der kleinen Datenmenge bislang als vorläufig betrachtet werden. Dies
bedeutet, dass bis auf weiteres entsprechend restriktiv und vorsichtig mit diesem
therapeutischen Ansatz umgegangen werden muss.
Die psychotherapeutische Betreuung soll den Betroffenen durch Bearbeitung von
aktuellen Problemen und Anliegen stützen und entlasten. Darüber hinaus kann die
Psychose und der Substanzmissbrauch in einen lebensgeschichtlichen Kontext
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 18
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
gestellt, damit in die eigene Biographie integriert und besser verarbeitet werden
(Bachmann et al. 2002).
3.3 Wirksamkeit der integrativen Therapie
Neuere Studien belegen die Effektivität und Überlegenheit von integrativen
Therapieprogrammen in der Behandlung von Patienten mit Doppeldiagnose, wenn
sie langfristig angelegt sind und durch geringe Anforderungen zu Beginn der
Therapie möglichst vielen Patienten einen Zugang zu dem Programm ermöglichen
(Drake et al. 1997, Ho et al. 1999, Brunette et al. 2001). Es handelt sich dabei in der
Regel um multimodale Therapieprogramme, in der bewährte und zum Teil
modifizierte Interventionen aus der Behandlung von Sucht und Psychose zum
Einsatz kommen (Bellack & DiClemente 1999, Barrowclough et al. 2001; s. a.
Abschnitt
3.2).
Einen
besonderen
Stellenwert
nehmen
aufsuchende
und
motivationale Stategien ein, zudem wird die Behandlung an der aktuellen
motivationalen Lage des Patienten ausgerichtet (Mercer-McFadden et al. 1997,
Ziedonis & Trudeau 1997, Drake & Mueser 2000).
Die erreichten Effekte liegen in der Verbesserung von Behandlungs- und
Medikamentencompliance, der Reduktion des Drogenkonsums, der Verringerung
von Exacerberation der schizophrenen Symptomatik, der Verbesserung des
kognitiven und sozialen Funktionsniveaus und der Zunahme an Lebensqualität
(Harvey & Keefe 2001, Drake & Mueser 2000, Drake et al. 2001).
Die drop-out Rate ist in diesen integrativen Programmen gering und die
Remissionsrate bezogen auf die Suchtproblematik ist im Langzeitverlauf deutlich
höher und befindet sich auf vergleichbarem Niveau wie das von Suchtpatienten ohne
psychotische Störung (Bartels et al. 1995, Drake et al. 1997).
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 19
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
4. GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben: Das Behandlungskonzept
für Patienten mit Doppeldiagnose an der Universitätsklinik für Psychiatrie und
Psychotherapie des Saarlandes
4.1 Grundlagen des GOAL Behandlungskonzeptes
GOAL ist ein spezifisches Behandlungskonzept für Patienten mit Doppeldiagnose
innerhalb
des
Gesamtangebotes
der
Universitätsklinik
für
Psychiatrie
und
Psychotherapie des Saarlandes zur klinischen Versorgung von Menschen mit
schizophrener Psychose.
Einen Überblick über die Ziele der Intervention bietet folgende Tabelle:
Information: Der Patient soll über die kurz- und langfristigen Auswirkungen des
Drogenkonsums,
unter
besonderer
Berücksichtigung
der
schizophrenen
Grunderkrankung, informiert werden
Rückfall:
Der
Patient
soll
lernen,
rückfallgefährdende
Situationen
zu
identifizieren, diese nach Möglichkeit zu vermeiden oder sie mittels geeigneter
Strategien zu bewältigen
Alternativen: Beim Patienten sollen Einstellungen und Verhaltensweisen
angestoßen werden, die alternativ zum Drogenkonsum sind und dazu dienen,
Gesundheit und Lebenszufriedenheit herzustellen bzw. zu erhöhen
Behandlung: Der Patient soll zu einer weiterführenden und kontinuierlichen
Behandlung der Psychose und der Drogenproblematik motiviert werden
Abstinenz: Beim Patienten soll die Entscheidung zur Abstinenz gefestigt werden
Tabelle 2: Interventionsziele
Der Gesamtablauf der Behandlung dieser Patientengruppe mit Doppeldiagnose
gestaltet sich idealtypisch nach folgendem Schema (s. Abbildung 1). Nach einer
Aufnahme im Rahmen einer psychotischen Krise oder nach einer Intoxikation durch
Drogenkonsum erfolgt zunächst eine stationäre Behandlung der bestehenden
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 20
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
Akutsymptomatik, gefolgt von einer Entgiftung und Stabilisierung des Patienten.
Natürlich werden auch Patienten in das Programm einbezogen, die ohne akute
Exacerberation der Psychose in der Klinik vorstellig werden. An diese Initialphase
schließt sich eine zeitlich variable Motivationsphase an, in dem durch die jeweiligen
Bezugstherapeuten im Einzelkontakt mit dem Patienten die weiterführende
Behandlung der Doppeldiagnose-Problematik erarbeitet wird.
Die weiterführende Behandlung und Bearbeitung der Doppeldiagnose-Problematik
erfolgt dann schwerpunktmäßig im Rahmen der psychoedukativen „GOAL-Gruppe“
(s. Abschnitt 5.2). Das notwendige Wissen über Verursachung, Symptomatik,
Behandlung,
Rückfallprophylaxe
und
Rückfallmanagement
bezüglich
der
schizophrenen Psychose wird zuvor in einer anderen psychoedukativen Gruppe - der
„Warnsignal-Gruppe“ - vermittelt (s. Behrendt 2001 a).
Stationäre Entgiftung und Psychiatrische Akutbehandlung
Motivationsphase
Warnsignal-Gruppe
als
psychoedukatives Behandlungsmodul
der schizophrenen Symptomatik
GOAL-Gruppe
als spezifisches
psychoedukatives Behandlungsmodul
der Doppeldiagnosesymptomatik
Weiterführende Behandlung
[optional]
- Schul- und berufsvorbereitende
Maßnahmen
- Medizinische Reha
- Arbeitstraining-- ArAr
- Arbeitstraining
- Schulische Ausbildung
- berufliche Ausbildung
- Geschütze Wohnform
- Eigenständige Wohnform
Fachklinik für Patienten
mit der Doppeldiagnose
Schizophrenie und
Drogenabusus
Abbildung
1:
Ablauf
der
klinischen
Versorgung
von
Patienten
mit
schizophrener
Psychose
und
komorbiden
Substanzmissbrauch an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Saarlandes
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 21
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
Im Sinne eines niederschwelligen Angebotes ist die Teilnahme an der Therapie
grundsätzlich im ambulanten (Institutsambulanz), teilstationären (Tagesklinik) und
stationären (offene Station) Status möglich. Dieses Procedere ermöglicht sowohl die
kurzfristige stationäre Aufnahme, z.B. im Rahmen einer Krisenintervention, wie auch
die Weiterführung der Intervention im teilstationären bzw. ambulanten Setting bei
entsprechender Stabilisierung des Patienten. Dadurch wird die Kontinuität der
Behandlung durch ein interdisziplinäres Team gewährleistet und darüber hinaus
kann relativ kurzfristig auf krankheitsbedingte Schwankungen durch Intensivierung
der Betreuung reagiert werden. Gerade für die stationären Patienten ist die Aussicht
auf Fortführung der Betreuung in einem teil- bzw. ambulanten Setting – unter
Beibehaltung der bekannten therapeutischen Ansprechpartner - eine wichtige
Motivation, die Behandlung durchzuhalten. Dabei können die Teilnehmer, die diesen
Entwicklungsschritt bereits erfolgreich vollzogen haben, als positive Modelle wirken.
Es wird angestrebt, die Patienten langfristig und möglichst kontinuierlich in einem
ambulanten Setting zu betreuen. Dadurch können sie mittels therapeutischer
Unterstützung in ihrer „natürlichen“ Lebensumwelt einen adaptiven Umgang mit
potentiell rückfallgefährdenden Situationen bzw. konsumassoziierten Auslösern
lernen.
Tabelle 3: Langfristige Betreuung im einem ambulanten Setting
Zu Therapiebeginn wird vereinbart, dass bei entsprechendem Anlass (z.B. um sich
einen
Überblick
über
die
häusliche
Situation
zu
verschaffen
oder
bei
unentschuldigtem Versäumen von Untersuchungs- bzw. Behandlungsterminen), die
Patienten auch in ihrem häuslichem Umfeld aufgesucht werden können. Dies erfolgt
in der Regel durch die Bezugstherapeuten. Bei erhöhtem bzw. intensiverem
Betreuungsbedarf im ambulanten Setting wird mit dem Patienten die Möglichkeit
einer zusätzlichen ambulanten Betreuung durch außerklinische Institutionen erörtert
und vermittelt. Nach Absprache mit dem Patienten bemühen wir uns um eine enge
Kooperation mit den entsprechenden niedergelassenen Fachkollegen.
Nach dem Grundsatz des GOAL-Behandlungskonzeptes ist Abstinenz das langfristig
angelegte Ziel, wobei realistischerweise mit erneutem Substanzgebrauch während
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 22
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
der Therapie gerechnet werden muss. Voraussetzung zur Aufnahme in das GOALBehandlungsprogramm ist allerdings die ernsthafte Absicht des Patienten, zumindest
während der Teilnahme abstinent zu sein. Die Aufgabe des Behandlungsteam ist es,
den Patienten in seinem Abstinenzvorhaben zu unterstützen und mit ihm
Bewältigungsstrategien und gesundheitsdienliche Alternativen zu erarbeiten.
Kommt es dennoch zu einem Substanzgebrauch, wird dies im Rahmen der
einzelpsychotherapeutischen Betreuung und in der GOAL-Gruppe thematisiert und
bezüglich der Dimensionen Beweggrund (z.B. „Wie kam es dazu? Welches waren
die internen bzw. externen Auslöser?“) und Ablauf (z.B. „Wie hat sich das ganze
entwickelt? Was waren die Alarmzeichen?“) besprochen. Damit sollen beim
Patienten Einsichts- und Analysefertigkeiten geschult und Möglichkeiten zur
Prävention weiterer Rückfälle bzw. zur Reduktion des Substanzkonsums erarbeitet
werden. Falls im Laufe der Behandlung gravierende Compliance- oder interaktionelle
Problemen auftreten, werden (erneut) motivationale Strategien eingesetzt und es
wird nach Möglichkeit ein Verbleiben in der Therapie erarbeitet.
Bei Intoxikation oder Exacerberation der schizophrenen Psychose erfolgt eine
Weiterführung der Therapie auf der entsprechenden Behandlungsstufe (Entgiftung,
Psychiatrische Akutversorgung, motivationale Intervention; s. Abbildung 1).
Neben der psychoedukativen „GOAL-„ und „Warnsignal-Gruppe„ werden im Rahmen
des Behandlungskonzepts der Klinik für die Patienten mit Doppeldiagnose weitere
Interventionen im Einzel- bzw. im Gruppen- Kontext angeboten (s. Abbildung 2):
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 23
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
Abbildung 2: Behandlungselemente für Patienten mit der Doppeldiagnose schizophrene Psychose und Substanzmissbrauch an
Psychiatrische
Behandlung
EinzelPsychotherapie
Außerklininische
Aktivitäten
Warnsignalgruppe
Ergotherapie
Sportgruppe im
Fitness-Studio
Kunst- und
GestaltungsTherapie
FreizeitAktivitäten
Kognitives
Training
Arbeitstraining
Alltagpraktisches
Training
Soziale
Kompetenzgruppe
GOAL
Gruppe
der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Saarlandes
Der überwiegende Anteil der Behandlungsangebote findet in einem Gruppensetting
statt. Damit soll den Patienten ein möglichst breites Übungs- und Erprobungsfeld
zum
sozialen
(Interaktions-
und
Beziehung-)
Lernen
in
Kombination
mit
„drogenfreien“ Aktivitäten angeboten werden. Die Aufnahme in die jeweiligen Gruppe
und Aktivität erfolgt nach individueller Absprache mit dem Patienten, unter
Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Verfassung und seines motivationalen
Zustandes.
Die psychiatrische Grundversorgung mit dem Schwerpunkt auf einer Optimierung der
medikamentösen Therapie und die psychotherapeutischen Sitzungen werden aus
nachvollziehbaren Gründen im Einzelsetting durchgeführt.
Wie aus der obigen Abbildung ersichtlich ist, kann der Patient bereits während des
stationären
Aufenthaltes
außerklinische
Angebote
wahrnehmen
und
damit
schrittweise und kontrolliert an ein ambulantes Setting herangeführt werden. So wird
einmal pro Woche ein betreutes Training in einem Fitness-Studio in der Stadt
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 24
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
angeboten. Hinzu kommen regelmäßige gemeinsame soziale Aktivitäten (z.B.
Besuch eines Kinofilmes, einer Diskothek oder einer Ausstellung), die nach
Mehrheitsbeschluss von den Patienten während der wöchentlich stattfindenden
„Vollversammlung“ bestimmt werden. Im Rahmen der Ergotherapie werden in
verschiedenen
Schwerpunktangeboten
kognitive
Funktionen
gefördert,
alltagspraktische Fertigkeiten (z.B. Haushaltstraining; Selbstversorgung) eingeübt
und relevante persönliche Themen (z.B. „Zukunft“; „Emotionen“) mit gestalterischen
Mitteln bearbeitet. Im Rahmen der Sozialen Kompetenzgruppe können die Patienten
mit Doppeldiagnose ihre zwischenmenschlichen Fertigkeiten verbessern. Dies
erscheint insbesondere vor dem Hintergrund sinnvoll, dass nach unserer Erfahrung
in dieser Patientengruppe Drogen auch konsumiert werden, um Kontaktstörungen
und
interaktionelle
Hemmungen
abzubauen.
Durch
das
Arbeitstraining
in
klinikeigenen Institutionen (z.B. Werkstätten) und in kooperierenden Betrieben
können die Patienten ihre berufliche Perspektive erproben und aufbauen.
Ein Kernpunkt in der Behandlung von Patienten mit Doppeldiagnose besteht in der
Vermittlung der negativen Zusammenhänge zwischen Substanzkonsum und Verlauf
der schizophrenen Psychose. Des weiteren soll Abstinenzzuversicht bzw. –
motivation gefördert und insbesondere Rückfallprophylaxe und Rückfallmanagement
geschult werden. Darüber hinaus sollen gesundheitsdienliche Alternativen zum
Drogenkonsum geschaffen werden. Dies findet schwerpunktmäßig im Rahmen der
GOAL-Gruppe statt.
4.2 Die psychoedukative GOAL-Gruppe
Die GOAL-Gruppe stellt eine Adaption des Konzeptes von Roberts et al. (1999) dar.
Neben der Übermittlung von doppeldiagnosespezifischem Wissen sollen Fertigkeiten
zur Vermeidung, Prävention und Begrenzung eines Rückfalls (sog. konsumbezogene
„skills“) verbessert werden. Das Basiswissen über Verursachung, Symptome und
Behandlungsmöglichkeiten einer schizophrenen Psychose zuvor in einer anderen
psychoedukativen Gruppe, der sogenannten „Warnsignalgruppe“ (Behrendt 2001 a)
vermittelt.
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 25
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
Die Aufnahme in die GOAL-Gruppe erfolgt – bei entsprechender Indikation und
Zustimmung durch den Patienten – wenn die akuten Krankheitssymptome soweit
zurückgegangen
sind,
dass
die
Teilnahme
an
einer
regelmäßigen
Gruppenbehandlung gewährleistet ist. Des weiteren sollte keine Opioid- oder
Alkohol-Abhängigkeit im Vordergrund stehen.
Tabelle 4: Indikation zur Aufnahme in die GOAL-Gruppe
Formal ist die GOAL-Gruppe als halboffene Gruppe mit 6-8 Teilnehmern unter der
Anleitung von zwei Therapeuten konzipiert. Die Gruppenleiter achten auf die
Herstellung einer vertrauensvollen, veränderungszentrierten und lösungsorientierten
Arbeitsatmosphäre. Die therapeutische Haltung ist dabei als unterstützend und nicht
wertend zu charakterisieren. Es wird auf einen interaktiven und von Diskussion
geprägten Kommunikationsstil geachtet. Frontalunterricht bleibt auf die kurz
gehaltenen Informationsblöcke beschränkt, die zumeist auf Folie bzw. Flipchart
dargeboten und dem Patienten zur Vertiefung des Wissens als Handout mitgegeben
werden.
Insgesamt sind für die GOAL-Gruppe 12 Sitzungen à 60 Minuten vorgesehen, die 2x
pro Woche durchgeführt werden. Die 12 Sitzungen sind auf 2 Blöcke mit jeweils 6
Sitzungen verteilt. Da der Einschluss in die Gruppe jeweils zu Beginn eines neuen
Blocks möglich ist (d.h. in Stunde 1 oder 7), können alle drei Wochen neue Patienten
in die GOAL-Gruppe aufgenommen werden. Das Konzept der halboffenen Gruppe
mit entsprechender Aufnahmeregelung stellt einen Kompromiss dar, zwischen der
Notwendigkeit, eine gute Arbeitsatmosphäre und Gruppenkohäsion herzustellen, und
dem Erfordernis, möglichst vielen Patienten in einem vertretbaren Zeitrahmen ein
Behandlungsangebot zu machen.
Die folgende Tabelle gibt einen schematischen Überblick über den Inhalt der
einzelnen Stunden:
Block 1
1
Fakten zu Drogenkonsum
Verlauf der Psychose
und Vermittlung relevanter Fakten über den
Zusammenhang von Drogenkonsum und
Psychose. Des weiteren können die
Teilnehmer
über
ihre
individuellen
Erfahrungen
mit
wiederholtem
Substanzkonsum
(z.B.
Entzugserscheinungen; Veränderung im
Denken – Fühlen – Handeln) berichten
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 26
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
2
3
4
5
6
Block 2
7
8
9
10
bis
12
Drogenkonsum
„Gewohnheit“
als
ungesunde Besprechung
der
individuellen
Beweggründe (i.S. von positiver bzw.
negativer
Verstärkung)
für
den
Drogenkonsum.
Einführung
des
Konzeptes von Substanzmissbrauch als
„ungesunde Gewohnheit“, die wieder
verlernt bzw. durch gesundheitsdienliche
Alternativen ersetzt werden kann
Schadensbegrenzung bei erneutem Verdeutlichung
des
Unterschiedes
Drogenkonsum
zwischen einem „Ausrutscher“ und einem
vollständigem Rückfall. Besprechung von
Maßnahmen zur Begrenzung eines
erneuten Substanzkonsums und zur
schnellstmöglichen Wiederaufnahme der
Behandlung
Besprechung
von
Hochrisiko- Analyse
von
Situationen,
die
Situationen
rückfallgefährdend sind und Entwicklung
von adäquaten Bewältigungs-Maßnahmen
Besprechung von Alarmsignalen
Identifikation von internen und externen
Triggern für Drogenverlangen bzw. –
Konsum
und
Besprechung
von
Möglichkeiten zur Craving-Kontrolle
Erstellung
einer
persönlichen Auf
der
Notfallkarte,
die
als
Notfallkarte
Erinnerungshilfe dient, werden - kurz und
prägnant - die individuellen Maßnahmen
zur Begrenzung bzw. Bewältigung von
rückfallgefährdenden Momente notiert
Gesundheitsförderliche Aktivitäten
Es
werden
nicht
Drogenkonsumkorrelierte Aktivitäten und Erlebnisse (i.S.
von positiven Verstärkern) besprochen,
als gesundheitsdienliche Alternativen zur
Erlangung „guter Gefühlszustände“
Abstinenz lohnt sich!
Mittels Erfahrungsaustausch und anhand
einer plus - minus Liste werden Nachteile
des Drogenkonsums und Vorteile für
Abstinenz erarbeitet
Benennung einer Vertrauensperson Der Patient kann eine Person in seinem
persönlichen Umfeld benennen. Diese soll
keine Drogen konsumieren und sein
Vertrauen genießen, so dass er relevante
Themen mit ihr besprechen kann. Im
Krisenfall (bezüglich der Psychose und/
oder des Drogenkonsums) soll sie den
Patienten dazu bewegen bzw. darin
unterstützen,
schnellstmöglich
therapeutische Hilfe in Anspruch zu
nehmen
Praktische
Übungen
in Anhand von geschilderten Erlebnissen der
Rückfallprävention
und Patienten
werden
im
Rollenspiel
Rückfallvermeidung
Fertigkeiten,
Strategien
und
Verhaltensweisen
geübt,
die
zur
Rückfallprävention
bzw.
Schadensbegrenzung
bei
erneutem
Substanzmissbrauch dienlich sind
Tabelle 5: Ablauf der GOAL-Gruppe und Inhalt der einzelnen Stunden
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 27
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
Im folgenden werden die einzelnen Themen und verwendeten Begrifflichkeiten der
GOAL-Gruppe kurz dargestellt und erläutert.
Zentrales Thema und Anliegen der GOAL-Gruppe ist mehr Kontrolle über den
Drogenkonsum zu bekommen, um schließlich langfristig abstinent leben zu können.
Eine vom Patienten bestimmte Vertrauensperson („...ist eine Person, die Einfluss
auf mich hat und auf die ich mich verlassen kann, wenn ich jemanden brauche“)
kann diesen Prozess als außerklinisch verfügbarer Berater und Begleiter zusätzlich
unterstützen.
Voraussetzung für die Ausbildung einer Abstinenzmotivation ist das Wissen über die
negative Interaktion von Substanzkonsum und den Verlauf einer schizophrenen
Psychose. Das bedeutet, dass entsprechende Informationen im Rahmen der
GOAL-Gruppe vermittelt und – um wirksam zu sein - vom Patienten übernommen
werden müssen.
Ein erster Schritt, um mehr Kontrolle über den komorbiden Substanzkonsum zu
bekommen
beinhaltet,
dass
der
Patient
eine
aktuelle
Drogeneinnahme
schnellstmöglich beendet. Aus unserer Erfahrung erschwert häufig ein: „Alles-oderNichts-Denken“ bzw. die Einstellung „Jetzt ist es sowieso egal, dann kann ich auch
weiter Drogen nehmen“, die schnelle Beendigung eines erneuten Drogenkonsums.
Die Abstinenz wird damit als absolutes Ziel gesehen, einmal daneben – für immer
dabei (sog. Abstinenz-Verletzungs-Effekt). In diesem Fall kann eine zieldienliche
Verhaltensänderung
nur
über
eine
Modifikation
der
zugrundeliegenden
dysfunktionalen Haltung und über die Stärkung der internen Kontrollattribution des
Patienten erfolgen. Aus diesem Grund wird die (Schadens-)Begrenzung nach
erneutem Substanzkonsum mit Rückkehr zur Behandlung als Ausrutscher
bezeichnet.
Ein weiterer Aspekt ist die Fokussierung auf kurzfristige Konsequenzen, welche die
Motivation zum erneuten Drogenkonsum erhöhen. Aus diesem Grund werden mit
dem Patienten die langfristigen Konsequenzen von Drogenkonsum und die
Vorteile von Abstinenz erarbeitet (s. folgende Abbildung):
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 28
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
Abwägen- Warum besser ohne Drogen leben
Motto: Sag „Nein!“ zu Drogen und „Ja!“ zu Tätigkeiten die sicher sind
und deine Gesundheit erhalten
Vorteile weiter Drogen zu nehmen
Nachteile weiter Drogen zu nehmen
•
•
•
•
•
•
•
Für kurze Zeit fühl ich mich entspannt
und Cool
Für kurze Zeit verschwinden meine
Sorgen
Für kurze Zeit hab ich Spaß mit anderen
Für kurze Zeit fühl ich mich selbstsicher
und trau mich andere anzusprechen
Für kurze Zeit ist mir nicht langweilig
Für kurze Zeit denke ich nicht an die
Zukunft
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Verlust von Vertrauen und Respekt
der Freunde und der Familie
Verlust des Arbeitsplatzes
Verlust des Führerscheins
Verlust der Wohnung
Schulden und Klauen
Verletzungen bei Unfällen
Ausgeraubt werden
Verurteilt und eingesperrt werden
Wahn
und
Depression
und
Wiedererkrankung an Psychose
Selbstmordgedanken
Körperliche Beeinträchtigungen und
Krankheiten
Abbildung 3: Kurz- und langfristige Konsequenzen des Drogenkonsums
Des weiteren impliziert eine effektive Rückfallprävention, dass der Patient seine
persönlichen Hochrisikosituationen identifiziert, i.S. von Situationen, die es schwer
machen, keine Drogen zu nehmen und lernt, diese sofort zu verlassen bzw. zu
vermeiden. Zur effektiven Prävention eines erneuten Drogenkonsums wird darüber
hinaus eine Kenntnis der persönlichen Alarmsignale benötigt: das sind die
individuellen (Gefahren-)Anzeichen, die dem Patienten davor warnen können, dass
er in eine Hochrisikosituation geraten ist bzw. gerade dabei ist, diese aufzusuchen.
Folgende
Fragen
können
den
Patienten
dabei
unterstützen,
seine
rückfallgefährdenden Situationen bzw. Anzeichen zu identifizieren:
Habe ich Verlangen in bestimmten Situationen? In Anwesenheit bestimmter Leute?
Zu bestimmten Zeiten? Wenn ich etwas bestimmtes denke oder tue? Wenn ich in
einer bestimmten Stimmung bin?
Tabelle 6: Fragen zur Identifikation von individuellen Hochrisikosituationen und Alarmsignalen
Die folgende Abbildung aus der GOAL-Gruppe enthält einen Überblick über die von
den Patienten geschilderten Hochrisikosituationen und Alarmsignale:
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 29
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
Hohes Risiko- Was mich in große Gefahr
bringt:
•
Personen: Dealer, Menschen die Drogen nehmen, meine alten
‚Drogenfreunde‘, alle Menschen die keine Ahnung haben und Drogen
verharmlosen...
•
Orte und Plätze: Getränkehandel, Kiosk, Treffpunkte der Szene, Parks
in denen Drogen konsumiert werden, Plätze an denen Drogen verkauft
werden...
•
Gedanken: „Einmal schadet nicht“; „Noch ein letztes mal“; „Alle
anderen machen es genauso“; „Es kommt doch nur auf die Menge an“;
„Ich hab das unter Kontrolle“; „Wie schön es doch mit Drogen war“...
•
Gefühle: Langeweile, Traurigkeit, Unruhe, Angst, Einsamkeit, Freude...
•
Verhaltensweisen: mit Menschen zusammensein die Drogen nehmen,
mit ihnen zu telefonieren, sie zu besuchen, Drogen aufbewahren ...
•
Dinge: zu viel Bargeld in der Tasche haben, Alkohol oder Drogen mit
sich zu führen...
Abbildung 4: Hochrisikosituationen und Alarmsignale
Der Patient wird seinen Drogenkonsum langfristig nur dann reduzieren bzw. ganz
einstellen, wenn er stattdessen für sich „wirksame“ (z.B. interessante, „kick-“ oder
genussinduzierende) Alternativen zur Verfügung hat und er dadurch eine
Verbesserung seiner Lebensqualität und –Perspektive erreichen kann. Diese
gesundheitsdienlichen Aktivitäten werden mit ihm in der GOAL-Gruppe und im
Rahmen von anderen Behandlungselementen (s. Abbildung 2) erarbeitet und
ausprobiert.
Ein weiteres therapeutisch wirksames Element ist die Notfallkarte (s. folgende
Abbildung 5). Diese stellt einen taschenkompatiblen „Spick-„ bzw. „Notizzettel“ dar,
auf dem durch den Teilnehmer in einprägsamer Form relevante persönliche
Informationen zur Fortführung der Behandlung, zur Rückfallprophylaxe und dem
Management von krisenhaften Situationen notiert werden können.
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 30
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
•Name:
•Krisentelefon der
behandelnden Klinik:
Risiko-Situationen
Gefahrenhinweise:
Personen:
u. Was ich in einer RisikoSituation tun kann:
1.
Orte:
2.
•Vertrauensperson:
•Aktuelle Medikation:
Gedanken:
Gefühle:
Verhaltensweisen:
Angenehme Aktivitäten und
Erlebnisse:
1.
2.
3.
4.
3.
Auf Gefahrenhinweise
achten!
Nachlesen, was mich
in Gefahr bringt!
Risikosituation
verlassen!
Motto: „Immer umkehren
und weggehen wenn
ich in einer
gefährlichen Situation
bin!“
Ich
habe
beschlossen Was ich tun kann anstatt
aufzuhören, weil:
Drogen zu nehmen:
•Angenehme
Aktivitäten
ausführen!
•Meine Vertrauensperson
anrufen!
•Die Anspannung
aushalten!
•Nachlesen warum ich
aufhören will!
Abbildung 5: Vor- und Rückseite der Notfallkarte
Aus unserer Erfahrung wird dieser kurz gehaltene „Merkzettel“ aufgrund der häufig
auftretenden kognitiven Beschwerden von Doppeldiagnosepatienten als nützliche
Hilfe und sinnvolle Handlungsanleitung erlebt. So beobachten wir immer wieder,
dass die Notfallkarte als Erinnerungshilfe in kritischen Situationen, aber auch als
Gesprächsgrundlage in der Interaktion mit Freunden bzw. mit Interessenten
(Mitpatienten) für das GOAL-Behandlungskonzept verwendet wird.
Die Sitzungen zehn bis zwölf der GOAL-Gruppe sind zum praktischen Ausprobieren
und Einüben von bewältigungsorientierten Strategien und Verhaltensweisen
vorgesehen (z.B. angebotene Drogen ablehnen; Abstinenz gegenüber den
„Kumpels“ in der Peer-Gruppe begründen, mit der Vertrauensperson in Kontakt
treten, sich für drogenfreie soziale Aktivitäten verabreden, mit dem Arzt über die
Nebenwirkungen von Medikamente sprechen). Dies passiert in einem kontrollierten
Rahmen unter therapeutischer Anleitung in Form von Rollenspielen, in denen die
von den Patienten berichteten Erlebnisse bearbeitet werden.
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 31
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
Zusammenfassend kann der in diesem Abschnitt skizzierte Therapiefortschritt,
ausgehend von der Begrenzung eines Rückfalls bis hin zur dauerhaften Abstinenz,
folgendermaßen dargestellt werden:
Abstinenz
Gesunde
Gewohnheiten
Umkehr
Verlassen
Frühzeitig
Aufhören
Alarmsignale
HochrisikoSituationen
Ausrutscher
Rückfall
Abbildung 6: Clean bleiben. Kontrolle über den Drogenkonsum
Dem Patienten dies zu vermitteln, ihn mit entsprechenden Coping-Strategien
auszustatten um seinen Drogenkonsum in einem ersten Schritt einzuschränken und
mittel- bzw. langfristig abstinent zu leben, ist ausgewiesenes Behandlungsziel der
GOAL-Gruppe wie auch der anderen Behandlungsmodule im Rahmen des GOALBehandlungskonzeptes.
5. Ausblick
Patienten mit der Doppeldiagnose schizophrene Psychose und Drogenkonsum
stellen
eine
wissenschaftliche,
therapeutische
und
gesundheitspolitische
Herausforderung dar. Diese Herausforderung gilt es in den nächsten Jahren adäquat
zu bewältigen. Zentrales Anliegen wird es dabei sein, Interventionen auf die
spezifischen Bedürfnisse dieser Patientengruppe zu adaptieren und bestehende
Therapieprogramme zu optimieren. Das Ziel wird sein, die Lebensqualität und
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 32
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
Krankheitsbewältigung für die klinische Praxis. Tübingen: DGVT Verlag
langfristige Perspektive dieser Patientengruppe und deren Bezugspersonen zu
verbessern.
Es hat sich bereits gezeigt, dass integrative Therapieprogramme durchaus zu guten
Erfolgen führen. Voraussetzung dafür ist, dass sie niederschwellig und langfristig
angelegt sind und bestimmte Kernkomponenten beinhalten.
Ein weiteres Ziel wird in der Vernetzung von stationären und ambulanten
Versorgungseinheiten liegen, um Patienten mit Doppeldiagnose umfassend,
kontinuierlich und synergetisch zu versorgen.
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7. Anschrift der Verfasser
Dipl. Psych. Roberto D’Amelio
Dr. med. Thomas Wobrock
Dipl. Psych. Tobias Klein
Dr. rer. med. Dipl. Psych. Bernd Behrendt
Prof. Dr. med. Peter Falkai
Dr. med. Martin Oest
Psychiatrische Klinik und Poliklinik der Universität des Saarlandes
66421 Homburg/ Saar
e-mail: [email protected]
Tel.: 06841-1624211
R. D’Amelio et al. (2004) GOAL – Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben. In: B. Behrendt & A. 41
Schaub (Hrsg) Psychoedukation und Selbstmanagement. Verhaltenstherapeutische Ansätze zur
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