Das Journal Nr. 10 // Dezember 2013, Januar und Februar 2014 Die Staatstheater Stuttgart // Dezember 2013, Januar und Februar 2014 // Nr. 10 Das Journal Inhalt Vorwort Das Journal Dezember 2013 / Januar & Februar 2014 Vorbereitungen für Die Kameliendame auf der Bühne des Shanghai-Grand-Theatre beim China-Gastspiel des Stuttgarter Balletts im November 2012: Nikolay Godunov, Mariya Batman, Axel Schob und Tamas Detrich. (Foto: Roman Novitzky) 01. Ein ganz normaler Mittwoch // SEITE 4 Der Alltag am größten Dreispartentheater Europas 02. Simon Hewett // SEITE 8 Der neue Erste Kapellmeister der Oper Stuttgart 03. Marcos World // SEITE 10 Hauschoreograph Goecke über die Bretter, die ihm die Welt bedeuten 04. Flugziel: Nimmerland // SEITE 12 Uraufführung »Peter Pan« – eine Oper für die ganze Familie 05. Mit eigenen Worten // SEITE 14 Brent Parolin mit Pascal Wagner in der Maske (Foto: Roman Novitzky) Neue Erste Solisten: Elisa Badenes und Daniel Camargo 06. „Ein metaphysischer Roadtrip“ // SEITE 16 Uraufführung »wunderzaichen« von Mark Andre 07. Krabat – ein Gesamtkunstwerk // SEITE 18 Der Publikumsliebling kehrt zurück 08. Auf der Suche // SEITE 20 Sehr geehrte Leserinnen und Leser, liebes Publikum der Staatstheater Stuttgart! Wieder einmal möchten wir Sie mit unserem Journal hinter die Kulissen der Staatstheater Stuttgart blicken lassen. Diesmal können Sie einen Sänger, eine Tänzerin und einen Schauspieler durch den Probenalltag begleiten, den neuen Ersten Kapellmeister der Oper Stuttgart, Simon Hewett kennenlernen und über ein Flugtraining des »fliegenden Sängers« Iestyn Morris, der die Titelpartie in Peter Pan singt, staunen. Für die Uraufführung wunderzaichen begeben Sie sich mit dem Komponisten Mark Andre auf Klangspurensuche – es geht in die Wüste! Marco Goecke, Hauschoreograph des Stuttgarter Balletts, reflektiert über Themen, die ihn bewegen, und gibt Einblicke in Marcos World. Außerdem berichten die neuen Ersten Solisten des Stuttgarter Balletts, Elisa Badenes und Daniel Camargo, über ihre Liebe zum Tanz. Zu sehen sind beide u. a. in Krabat, diesem Publikumsrenner, der ab Januar wieder auf dem Spielplan steht. Der neue Intendant des Schauspiel Stuttgart, Armin Petras, bereitet sich auf seine erste Premiere im Schauspielhaus vor: Das kalte Herz von Wilhelm Hauff. Hier erfahren Sie mehr über Petras persönlich, über seine Gedanken zum Stück und unternehmen eine Reise in den Schwarzwald. Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre und viele anregende Theatererlebnisse! Die Staatstheater Stuttgart Porträt Armin Petras, neuer Intendant des Schauspiel Stuttgart 09. Die Suche nach dem Glück // SEITE 22 Auf den Spuren Wilhelm Hauffs durch den Schwarzwald 10. Die Leiden des jungen Peter // SEITE 24 Interview mit Armin Petras zu seiner Neuinszenierung »Das kalte Herz« Plus 10 Fragen an … // SEITE 26 Jan Andrae, Pförtner an den Staatstheatern Stuttgart 2 Karten und Informationen 0711.20 20 90 // www.staatstheater-stuttgart.de 01. Ein ganz normaler Mittwoch Der Alltag am größten Dreispartentheater Europas Wolfgang Michalek, Schauspiel Stuttgart Wolfgang Michalek studierte Schauspiel am Wiener Konservatorium. Er hatte unter anderem Engagements am Schauspielhaus Wien, dem Theater in der Josefstadt in Wien und dem Stadttheater Klagenfurt. Von 2000 bis 2009 war er am Schauspiel Hannover engagiert. Seit der Spielzeit 2009/2010 gehörte er zum Ensemble des Staatsschauspiels Dresden und ist seit der Spielzeit 2013/2014 im Ensemble des Schauspiel Stuttgart. Er war bereits in Inszenierungen von Johann Kresnik, Christina Paulhofer, Peter Kastenmüller, Nicolas Stemann, Lars-Ole Walburg, Sebastian Baumgarten, Matthias Hartmann, Stefan Bachmann, Sebastian Nübling und Armin Petras zu sehen. Für Urgötz arbeitete er erstmalig mit dem Regisseur Simon Solberg. Ingmar Volkmann im Gespräch mit dem Schauspieler Wolfgang Michalek im oberen Foyer des Schauspielhauses. (Foto: Jasha Bhadra) Morgens Urgötz, mittags Othello, abends Falstaff – hinter den Kulissen der Staatstheater Als Schauspiel-Abonnent, als Ballettfan, als Operngänger bekommt man meist nur große Kunst auf großer Bühne mit. Was aber passiert vor den Premieren? Wie proben, üben, trainieren die Künstler der Stuttgarter Staatstheater? Wie sieht der Alltag zwischen den Vorstellungen aus? Eindrücke eines ganz gewöhnlichen Probentags. 4 Wolfgang Michalek als Götz von Berlichingen in Simon Solbergs Inszenierung des Urgötz von Johann Wolfgang von Goethe (Fotos: Julian Röder) Morgens: Urgötz Es ist ein Mittwoch im Herbst, der sich als Spätsommer verkleidet hat. Kurz vor 9 Uhr morgens. Der Schauspieler Wolfgang Michalek sitzt kurz vor einer Urgötz-Probe, zehn Tage vor der Premiere, zu einer Schauspieler-inkompatibel frühen Uhrzeit etwas verknittert im menschenleeren Foyer des Schauspiels an der Bar. Der Coffee-2-go im Pappbecher ist noch gar nicht ganz leer, da ordert Michalek, der beim großen Schauspiel-Premieren-Reigen den Götz gibt, schon den nächsten Cappuccino. Michalek hat Schauspiel am Wiener Konservatorium studiert, war anschließend neun Jahre am Schauspiel Hannover engagiert und gehörte dann zum Ensemble des Staatsschauspiels Dresden. Das Abenteuer Stuttgart geht er wegen eines neuen Intendanten an den Staatstheatern Stuttgart ein: »Armin Petras ist einer der drei, vier spannendsten Regisseure in Deutschland. Er ist ein total obsessiver Regisseur, der mit großer Wucht, Leidenschaft und Seele in die Arbeit geht«, sagt Michalek in einer Klangfarbe, die auch nach 13 Jahren in Deutschland seine Wiener Herkunft nicht verleugnen kann. Selbst derbe Ausdrücke wie »Scheiß der Hund drauf!« wirken in Michaleks feinem Restwienerisch wie ein charmantes Kompliment. »Die Probenzeit mit Armin Petras ist sehr humorvoll. Manchmal hat das Theater eine Tendenz hin zum Verkrampften. Bei Petras nicht. Dabei legt er eine hohe Schlagzahl vor. Man weiß immer: Da ist jemand, der sucht! Arbeiten mit ihm hat Laborcharakter, man hinterfragt sich immer, warum machen wir Theater?« Der Armin-Petras-Fan-Monolog will gar nicht abreißen. Wolfgang Michalek erzählt, wie er sich unter Petras einmal einem Kleist-Stück nähern sollte. Statt zu schauspielern, sollten die Darsteller tanzen, denn schauspielern könnten sie schließDas Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014 lich. Michalek: »Das ist ein optimaler Laborversuch: Man stellt sich zur Verfügung, als Denkender, als Körper, und alles andere drumherum kann man ausschalten.« Dass Wolfgang Michalek auf der Bühne sehr schnell alles um sich herum ausblenden kann, zeigt er schließlich in der Urgötz-Probe. Eben noch reflektierend beim zweiten Kaffee, tobt er nun wie ein Berserker über die Bretter. Man sieht, dass er vor seiner Theaterlaufbahn auch eine Karriere als Sportler in Erwägung gezogen hatte. Als Fußballer spielte er einmal gegen Rapid Wien und den genialen österreichischen Fußballer Andreas Herzog, der auf dem Feld immer etwas von einem filigranen Theater-Regisseur hatte. Im Urgötz hat Michalek im jungen Regisseur Simon Solberg einen an Lässigkeit nicht zu überbietenden Partner. »Simon ist zwölf Jahre jünger, er liest andere Literatur, hört andere Musik, dieses Hip-Hop-Dingsbums, ist in allen Kampfsportarten zuhause, ein hochathletischer Typ, der keine Pausen braucht!«, hatte Michalek noch kurz vor der Probe geflüstert. Sitzt man hinter eben jenem jungen Regisseur im Schauspielhaus bei der Probe, fällt zuallererst der Geruch nach Gummibärchen auf. Solberg – weite Armee-Hose, schwarzes Biohazard-Shirt – trinkt einen Energy-Drink. Vor ihm steht ein MacBook, im Ruhezustand zeigt der Rechner die Alben-Cover von Cypress Hill, Method Man oder Nas an, alles Vertreter dieses Hip-Hop-Dingsbums’. Auf der Bühne steht ein Kreuz aus Kühlschränken auf der linken Seite, ein umgekippter Strommast auf der rechten. Wolfgang Michalek macht derweil Dehnübungen in Bademantel und Stiefeln. Simon Solberg befindet sich im Zwiegespräch mit mindestens zehn Menschen gleichzeitig. »Lass uns heute Nachmittag alles auf den Drachen kleben, was geht«, sagt er zu einer Mitarbeiterin der Requisite. Nebenbei bedient er den Soundtrack zum Urgötz, natürlich auf einer iTunes-Playlist. »Bitte nicht zu albern spielen am Anfang«, weist er die Schauspieler an, die sich in und um eine Badewanne gruppiert haben, die eigentlich ein Kühlschrank ist. Im nächsten Augenblick flüstert er der Technik eine Anweisung zu: »Kannst du der Videoabteilung mal hochfunken, dass sie ein paar Effekte drauflegen soll?« – »Video hat notiert«, lautet die Antwort, »das klappt aber erst für die nächste Probe.« Mittags: Othello Die bekommen wir nicht mehr mit. Der Zeitplan ist straff. Nächste Station in Europas größtem Dreispartenhaus: das Ballett. Staunen beim Training: 25 schlanke Frauen stellen unglaubliche Verrenkungen mit ihren Beinen an. Ist das noch Aufwärmtraining oder sind das schon die Olympischen Spiele in der Disziplin rhythmische Sportgymnastik? Der Ballettmeister im Damentraining heißt an diesem Vormittag Reid Anderson. Der Intendant bringt seine Tänzer höchstpersönlich zum Schwitzen. Zum ersten Mal seit zwei Jahren, schließlich hat Anderson Probleme mit seinem Rücken – fast vier Dekaden Ballett auf höchstem Niveau hält kein Körper aus. Dem großen Spiegel im Saal entgeht keine Ungenauigkeit, der große Anderson verzeiht keine Ungenauigkeit. Hier korrigiert er sanft, dort bestimmt: »It’s easy if you do it correctly.« Über Anderson und den beweglichen Körpern thront John Cranko auf einer Schwarz-Weiß-Fotografie an der Wand, auf der er aussieht wie der ältere Bruder von Steve McQueen. Training ist der »Great Democratizer«: Egal ob Erster Solist, der am Bolschoi gastiert, oder junger Eleve von der John Cranko Schule – beim Training ist jeder gleich. Unter den Tänzerinnen im grünen Top, der Gesichtsausdruck hochkonzentriert: Angelina Zuccarini. Sie stammt aus Michigan und kam bereits 5 01. 01. Angelina Zuccarini, Solistin des Stuttgarter Balletts im Ballettsaal (Foto: Jasha Bhadra) im Alter von 16 Jahren mit einem Stipendium an die John Cranko Schule. Im durchgetakteten Alltag zwischen Training, kurzem Mittagessen und Ballettprobe für den Othello nimmt sie sich Zeit für ein kurzes Gespräch. Zuccarini spricht ein fantastisches Deutsch mit weichem amerikanischem Einschlag. »In der Compagnie ist Englisch die Hauptsprache, auf der John Cranko Schule ist es aber Deutsch. Da ich ein Mensch bin, der gerne redet, habe ich schnell Deutsch gelernt, damit ich mich mit den anderen austauschen kann.« Der Alltag einer Balletttänzerin ist anstrengend. Um herunterzukommen, kocht Zuccarini gerne. »Am liebsten Italienisch! Es ist nämlich gar nicht wahr, dass Tänzerinnen nichts essen. Ich esse alles, was ich will. Wir bewegen uns aber eben sehr viel und verbrennen daher besser.« Elementar für alle Tänzerinnen: die Spitzenschuhe. »Wegen ihnen habe ich als Kind mit dem Tanzen angefangen!« Während des Interviews bestätigt sich das Gerücht, dass alle Tänzerinnen von ihrem Schuhwerk besessen sind. Angelina Zuccarini bearbeitet ein neues Paar, daneben hat sie zwei ältere Paare ausgebreitet. »Es gibt härtere und weichere Schuhe. Dieses Paar hier habe ich mit Lack behandelt, damit sie länger halten. Ein anderes muss ich überschminken, damit sie so matt wie meine Strumpfhose aussehen.« Schuhe sind im Ballett eben nicht nur Schuhe, sondern die Verlängerung des Körpers. Das Schuhwerk wird von Hand gemacht, Zuccarini spricht beinahe zärtlich vom Hersteller als »Maker«. Ist es Zufall, dass die englische Bezeichnung für den großen Schöpfer ebenfalls Maker ist? Genug philosophiert. Angelina Zuccarini muss zur Probe von Othello. Wieselflink eilt sie in den nächsten Saal. Man sieht nicht nur, dass hier auch Männer tanzen, man riecht es auch. Testosteron-Schweiß liegt in der Luft. Im Gegensatz zur Schauspielprobe am Vormittag gibt es hier keine Videos, keine Effekte, stattdessen nur Körper und Klavier. Sieben junge Herren werden zur menschlichen Pyramide. Die Synchronität ist faszinierend. Drei Körper werden auf Kommando zu einem, die Musik klingt auf einmal bedrohlich, ein Teil der Tänzer hält Gewehre im Anschlag. Im Gegensatz zum Training zuvor sind jetzt die Spiegel abgehängt, damit die Tänzer ihre Positionen und Platzierungen nicht kontrollieren können – auf der Bühne gibt es schließlich Heinz Göhrig, Oper Stuttgart auch keinen Spiegel zur Kontrolle. Der Schweiß tropft, die Gesichtsausdrücke sind unterschiedlich, der junge, naive Leutnant tänzelt um Othello herum, während der böse Jago ein furchteinflößendes »Tom-Cruise-Scientology-ist-doch-nichtso-schlimm-Lächeln« lächelt. Othello steht mittlerweile auf einem Stuhl, er leidet an Wahnvorstellungen. Was passiert hinter seinem Rücken? Heinz Göhrig, Tenor, geboren in Heidelberg. Gesangsstudium an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim. Seit 1988 Ensemblemitglied an der Oper Stuttgart, 1998 erfolgte die Ernennung zum Kammersänger. Göhrigs Repertoire umfasst u.a. Partien wie Dancaïro (Carmen), Corrado (Una cosa rara), Cassio (Otello), Pietro (Die Gezeichneten) und Mime (Siegfried). In Stuttgart war er zudem u.a. als Tenore (Sitten und Unsitten des Theaters), Hauk-Schendorf (Die Sache Makropulos), Beelzebuth/ Ein Student (Doktor Faust) und Gouverneur (Simplicius Simplicissimus) zu hören. Zu seinen jüngeren Partien zählen Steuermann (Der fliegende Holländer), Melot (Tristan und Isolde), Monostatos (Die Zauberflöte), Goro (Madama Butterfly) und Altoum (Turandot). Gastauftritte führten ihn an die Bayerische Staatsoper, nach Bonn und als Scaramuccio in Wieler/Morabitos Ariadne auf Naxos 2001 zu den Salzburger Festspielen. In der letzten Partie ist Heinz Göhrig 2013/14 erneut in Ariadne auf Naxos in Stuttgart zu erleben. Des Weiteren singt er Monostatos (Die Zauberflöte), Triquet (Eugen Onegin), Mime (Siegfried) sowie Dr. Cajus (Falstaff) und Smee (Peter Pan). Abends: Falstaff Wir würden ihm gerne helfen, können aber nicht, denn wieder ist unsere Zeit abgelaufen. Die letzte Station des Tages wartet: die Oper. 15.45 Uhr Interview mit Heinz Göhrig, der im Falstaff den Dr. Cajus singt. Der Kontrast zur jungen Ballettwelt zuvor könnte größer kaum sein. Hier die munter plappernde Zuccarini, dort der erfahrene Göhrig. Der Tenor wurde in Heidelberg geboren und hat Gesang an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Mannheim studiert. Seit 1988 ist er Ensemblemitglied an der Oper Stuttgart, 1998 erfolgte die Ernennung zum Kammersänger. Mit ganz feinem kurpfälzischem Einschlag parliert Göhrig Großes Bild links Heinz Göhrig in der Maske vor der HPO Falstaff in der Regie von Andrea Moses (Foto: Jasha Bhadra) oben Als Dr. Cajus in Falstaff (Foto: A.T. Schaefer) unten Heinz Göhrig im Gespräch mit Ingmar Volkmann im Opernhaus, Foyer I. Rang (Foto: Jasha Bhadra) Angelina Zuccarini , Stuttgarter Ballett Angelina Zuccarini wurde in Michigan, USA, geboren. Ihre Ballettausbildung erhielt sie in ihrer Heimat sowie an der John Cranko Schule in Stuttgart, wo sie ihre Ausbildung im Jahr 2005 beendete. In der Spielzeit 2005/06 kam Angelina Zuccarini als Elevin an das Stuttgarter Ballett, in der darauffolgenden Spielzeit wurde sie in das Corps de ballet aufgenommen. Ihre Beförderung zur Halbsolistin folgte zu Beginn der Spielzeit 2009/10. Zur Solistin wurde sie in der Spielzeit 2013/14. Sie übernimmt zahlreiche solistische Rollen im Repertoire des Stuttgarter Balletts, darunter Choreographien von Balanchine, Béjart, Clug, Cranko, Elo, Forsythe, Guerra, Kylián, Neumeier, Robbins und Spuck. Begehrt ist Angelina Zuccarini bei Choreographen, die neue Werke für das Stuttgarter Ballett schaffen. So arbeitete sie unter anderem bereits mit Bigonzetti, Elo, Goecke, McGregor, O’Day, Spuck und Volpi zusammen. Die beim Publikum sehr beliebte Tänzerin tanzt in nahezu allen klassischen, neoklassischen und modernen Werken, die auf dem Spielplan des Stuttgarter Balletts stehen, und verfügt daher über ein breites Repertoire. links Angelina Zuccarini als Myrtha in Giselle (Inszenierung: Reid Anderon und Valentina Savina), Foto: Stuttgarter Ballett rechts bei Proben zu workwithinwork (Choreographie: William Forsythe), Foto: Ulrich Beuttenmüller 6 im Foyer des herrschaftlichen Opernhauses über seine Funktion als Sprecher des Ensembles. »Sänger sind Memmen! Wir wollen gelobt werden. Ständig fragt einer: ›Wie klingt das?‹ – ›Immer gut‹, antworte ich dann.« Göhrig ist im positiven Sinne der Klassenclown des Ensembles. »Durch einen kleinen Spaß, durch Imitationen versuche ich, die Probenarbeit möglichst heiter zu gestalten. Ich will, dass jeder gerne zur Probe kommt, und nicht alles so tierisch verbissen ernst ist.« Bei allem Spaß nimmt Göhrig eines ganz besonders ernst: seinen wichtigsten Muskel, die Stimmbänder. Das A und O beim richtigen Umgang mit der Stimme: den Mittelweg zwischen Üben und Ruhen finden. »Als Sänger muss ich üben, üben, üben. Wenn ich längere Zeit gar nichts tue, tut das der Stimme nicht gut. Ich singe immer, egal wo. Wenn einer durchs Haus läuft und schreit, bin ich das – der Muskel verkümmert sonst.« Auf der anderen Seite müsse man den Stimmbändern auch mal eine Auszeit gönnen. »Sonst kriegt man einen Muskelkater am Kehlkopf«, flüstert Heinz Göhrig verschwörerisch und hustet einmal, zweimal mit Nachdruck, um zu verdeutlichen, wie empfindlich die Stimme eines Sängers ist. Heinz Göhrig ist nicht nur ein vielseitiger Sänger, er ist auch ein erstklassiger Schauspieler. Göhrig besucht so oft es geht das Schauspiel. »Als Sänger kann man da viel lernen und mitDas Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014 nehmen auf die Opernbühne.« Gleiches gelte für das Ballett. »Das Halten von Spannungen, ohne Worte, nur mit Körperausdruck, ist eine brillante Leistung, vor der ich meinen Hut ziehe.« Genug erzählt, die Hauptprobe des Falstaff wartet, Göhrig muss dringend in die Maske. »Mal sehen, wie man aus mir einen jungen Mann macht!« In Windeseile ist Heinz Göhrig umgezogen, in der Maske singt er oder liefert eine Pointe ab. »›Gelebte Lieder‹ wäre ein schöner Titel für eine Biografie«, heißt es in der einen Ecke. »›Verlebte Glieder‹, wäre in meinem Fall passender«, antwortet Göhrig, und schneidet Grimassen im Spiegel. »Die Rinnen im Gesicht habe ich, damit der Schweiß besser abfließen kann.« Über den Spiegeln in der Maske hängen lauter Autogramme und Grußkarten, die Perücken baumeln an Kleiderhaken, im Schränkchen neben Heinz Göhrig liegen Haarschneidemaschine, Rasierer und Föhn. Göhrig bekommt noch ein wenig Bronzepuder ins Gesicht geschmiert und einen hübschen Schnurrbart aufgeklebt, ehe die Verwandlung perfekt und der Dr. Cajus fertig ist. Die letzte ganz private Gesangsprobe findet schließlich zwischen Zigaretten und Hunderten von Autos statt. Heinz Göhrig steht an der Stadtautobahn Konrad-Adenauer-Straße, in der linken Hand die Zigarette, mit der rechten Hand hält er sich das Ohr zu und singt gegen den Straßenlärm an. Klarer Punktsieg im Duell Sänger gegen Autos für Heinz Göhrig, auf der anderen Straßenseite bleiben zwischen Staatsgalerie und Musikhochschule einige Passanten staunend stehen. Wir staunen kurz danach hinter der Bühne. Intendant Jossi Wieler schüttelt Hände, spuckt einem Ensemble-Mitglied dreimal über die Schulter und strahlt auch 60 Sekunden vor Beginn der Orchesterhauptprobe (HPO) eine Ruhe aus, die man patentieren sollte als Jossi-Wieler-Gedächtnis-Beruhigungsaura für ganz schwere Stunden. Den Rest der HPO verfolgen wir von einer Laube aus. Heinz Göhrig singt, als wolle er 25 Jahre Ensemble-Zugehörigkeit in jedem Moment unterstreichen. Die Schlussszene, bei der das ganze Ensemble gemeinsam auftritt, ist unfassbar. Nur wenige Male muss der Dirigent eingreifen und kleine Abschnitte wiederholen lassen. Es ist mittlerweile nach 21 Uhr. Zwölf Stunden am größten Dreispartenhaus Europas sind wie im Fluge vergangen. Für die Schauspieler, Tänzer und Sänger war es ein ganz gewöhnlicher Tag. Für den Beobachter aber ein außergewöhnlicher Blick hinter die Kulissen einer ganz eigenen Welt. Ingmar Volkmann 7 02. Simon Hewett 02. Der neue Erste Kapellmeister der Oper Stuttgart , e b u a r l e g h h c c s I i „ p y t n i e k n i b ich “ t n e g i Dir 2011 war es wohl Liebe auf den ersten Takt, als der Australier SIMON HEWETT in seiner Funktion als Erster Dirigent des Hamburg Balletts bei einem Gastspiel seines Ensembles das Stuttgarter Staatsorchester leitete. Er war der ausdrückliche Wunschkandidat des Orchesters für die Position des Ersten Kapellmeisters – und es gab ein Happy End. Dass die Dirigenten die Buchhaltertypen unter den Künstlern sind, ist ein Gerücht. Und doch: Dort, wo das Versinken in schöpferischen Tagträumen bei vielen Kreativschaffenden bisweilen ein etwas chaotisches Alltagsleben nach sich zieht, da sind Dirigenten stets organisiert, gewissenhaft und ausgesprochen pünktlich. Simon Hewett wird mit der Nachmittagsmaschine aus Berlin erwartet, und weil er zum vereinbarten Interviewzeitpunkt noch in der S-Bahn sitzt – »Ich verschätze mich immer, wie lang man vom Stuttgarter Flughafen tatsächlich in die Stadt braucht!« –, schickt er wie selbstverständlich eine SMS voraus. Nur zehn Minuten später lugt ein jungenhafter, großgewachsener Mittdreißiger durch die Tür. Fast könnte man ihn für schüchtern halten – wären da nicht sein verschmitztes Lächeln, die Sommersprossen und ein rötlich-brauner Lockenkopf. So ganz in Stuttgart angekommen sei er noch nicht, gesteht Hewett auf dem Weg zu einem doppelten Espresso. Seine Frau und seine zwei Kinder seien noch in Berlin und gleich nach dem Gespräch stehe ein weiterer Wohnungsbesichtigungstermin an. Ja, er vermisse seine Familie sehr – »aber wenn ich ehrlich bin, geht es mir manchmal so wie wohl vielen Menschen mit kleinen Kindern: Sie fehlen mir entsetzlich, aber mit einem Beruf, der es nicht immer erlaubt, um 22 Uhr schlafen zu gehen, um früh um fünf fit für zwei äußerst wache Kinder zu sein, empfindet man seine Arbeit bisweilen fast als willkommene Ruhephase!« Nach Jahren in Weimar, Hamburg und Berlin ist Deutschland längst Simon Hewetts zweite Heimat geworden, und auch seine beiden Kinder wachsen zweisprachig auf. Den Grundstein für sein perfektes Deutsch hat er in Süddeutschland gelegt: »Das Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, das mich im Alter von 20 Jahren nach Deutschland geführt hat, beinhaltete auch einen Sprachkurs in Freiburg, dem ich mich sehr gewissenhaft gewidmet habe. Die Tabelle mit den Fällen und Deklinationen der deutschen Sprache hat mich bis in meine Träume verfolgt. Anfangs allerdings ohne Erfolg: Bis ich mir im Kopf endlich einen deutschen Satz mit den richtigen Fällen und Formen zusammengebaut hatte, war das Gespräch, an dem ich mich beteiligen wollte, stets ganz woanders!« Liebe auf den ersten Takt Von der Klarinette ans Pult So mancher berühmte Dirigent hat erst im Laufe seines Studiums das Orchesterinstrument gegen den Taktstock eingetauscht – darunter der Perkussionist Simon Rattle, der Fagottist Mark Elder und der Posaunist Sylvain Cambreling. Bei Simon Hewett war es die Klarinette, die er an den Nagel gehängt hat. »Ich war schon als Jugendlicher äußerst neugierig auf diese enorme Fülle an unterschiedlichen Werken, mit denen man es als Dirigent zu tun bekommt – obwohl es ja für die Klarinette schon ein sehr großes Repertoire gibt, das mir die Türen zu dieser musikalischen Welt geöffnet hat.« Darunter auch Mozarts berühmtes Klarinettenkonzert in A-Dur, das am 8. und 9. Dezember auf dem Programm des 2. Sinfoniekonzerts steht, das Simon Hewett dirigiert: »Aber keine Angst, da spiele ich nicht selbst«, grinst der Australier, »das übernimmt die wunderbare israelische Klarinettistin Sharon Kam, die kann das viel besser!« Trotz seiner frühen Begeisterung für den Beruf des Dirigenten sei es ihm nicht leicht gefallen, von seinem Platz als Orchestermusiker ans Pult zu wechseln, fährt Hewett fort: »Ich glaube, ich bin kein typischer Dirigent: Ich fand es schwierig, von einem Tag auf den anderen meine Persönlichkeit als Orchestermusiker und Kollege einzustellen, um nun vom Dirigentenpult aus allen zu sagen, wie sie spielen sollen. Nicht, weil ich nicht weiß, was ich will: Ich habe natürlich eine sehr klare Vorstellung davon, wie etwas klingen soll. Aber ich wollte nie einfach nur sagen: ›Mir nach – so muss es sein!‹. Ich möchte Ergebnisse durch Überzeugungskunst erreichen, denn ich finde es enorm wichtig, dass die Musiker das, was ich ihnen erkläre, dann auch wirklich spielen wollen.« Genau aus diesem Grund habe es aber ein wenig gedauert, bis er es sich selbst erlaubt habe, als Dirigent wirklich ganz er selbst zu sein, bekennt Hewett nachdenklich: »Ich hatte wohl eine ganz bestimmte Vorstellung davon, wie man sich als Dirigent zu benehmen hat, die jedoch nicht mit meinem eigenen Naturell übereinstimmte. Und wenngleich ich schnell begriffen habe, dass dieses Klischee überhaupt nicht zu mir passt, musste ich erst das nötige Selbstvertrauen aufbauen, um zu sagen: ›Egal welche Klischees existieren – wenn es funktionieren soll, dann kann es nur auf meine Art und Weise funktionieren.‹ « Die Balance nicht zerstören ser singen. Mein Job als Dirigent ist es nicht nur, Kritik abzuliefern, sondern auch, den Sängern eine Stütze zu sein, ihnen zu folgen, sie aber ebenso zu führen und zu begleiten, und so ihre Leistungen zu beflügeln. Singen und Musizieren hat sehr viel mit innerer Balance zu tun: Man muss mit Musikern und Sängern einen Weg der Arbeit finden, der diese Balance nicht zerstört.« Und wenn Hewett mit diesem Satz seinen Blick hebt, den er bis jetzt so konzentriert auf den Kantinentisch geheftet hielt, als läge dort aufgeschlagen die unsichtbare Partitur dieses Gesprächs, dann bekommt man zum ersten Mal eine leise Ahnung davon, weshalb sich die Musiker des Staatsorchesters vielleicht tatsächlich auf den ersten Blick in diesen jungen Gastdirigenten verliebt haben könnten. Die Theorie vom »Alphatier Dirigent«? Simon Hewetts ganzes Wesen straft sie Lügen. Vertrauen und Respekt sind hingegen Worte, die sehr oft fallen, wenn er über seine Arbeit spricht. »Letztendlich kann ich als Dirigent keinen Klang erzeugen: Es muss sich immer ein Orchester bereiterklären mitzumachen. Und das funktioniert nur durch sehr viel gegenseitiges Vertrauen. Man sollte sich als Dirigent immer wieder daran erinnern, dass ein Orchester auch wahnsinnig viel alleine machen könnte. Die Musiker sind hochgebildet: Als Dirigent habe ich auch die Aufgabe, sie in den Proben so vorzubereiten, dass sie während des Konzerts vollkommen aufeinander eingehen können, und ich wirklich nur der Impulsgeber bin.« Ein Orchester ohne Dirigent? Dass das gelingen kann, bewies das Staatsorchester bei Simon Hewetts wirbelndem Auftritt als Dirigent des »Ad-Hoc-Konzerts« im Rahmen des diesjährigen Chor- und Orchestertags im September: Mit ganzem Körpereinsatz leitete er da den Gesang von mehr als 1000 begeisterten »Solisten« – sprich Besuchern – im großen Saal des Opernhauses, und konnte sich ganz auf sein neues Orchester verlassen, das genau wusste, was es tat. »Im Theater gibt es manchmal diese unbeschreiblichen, irrationalen Momente, wenn das Zusammenspiel aller plötzlich ineinander greift, wenn alles tatsächlich stimmt«, sinniert Hewett am Schluss mit leuchtenden Augen, »und dafür liebe ich meinen Beruf. Wenn dann auch noch die Besucher gepackt von all den Emotionen sagen: ›Wow, das war jetzt aber was!‹, dann weiß man, warum man das macht!« Babette Karner Zur Person Der Australier absolvierte ein Dirigierstudium an der University of Queensland und der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar. Von 2003 – 2005 war er Assistent des Generalmusikdirektors an der Opera Australia in Sydney, von 2005 – 2008 Kapellmeister und Assistent des GMDs an der Hamburgischen Staatsoper. Gastdirigate u.a. an der Komischen Oper Berlin, der Staatsoper Unter den Linden, der Opera Australia und der Oper Graz. Seit 2009/10 Erster Dirigent des Hamburg Ballett. In der Spielzeit 2013/14 dirigierte Simon Hewett bereits einige Nabucco-Vorstellungen. Er wird außerdem das 2. Sinfoniekonzert (8./9. Dezember), die Wiederaufnahme Eugen Onegin (ab 7. Februar), die Neuinszenierung La Bohème (Premiere: 30. Mai) sowie die Tosca-Vorstellungen (ab 18. Mai 2014) dirigieren. Es gebe einen analytischen und einen emotionalen Zugang zum Dirigieren, sagt Hewett: »Natürlich kann ich nach der Probe zu einem Sänger sagen: ›Da warst du zu hoch und da zu schnell und dort hat die Aussprache nicht gestimmt!‹ Nur: Was habe ich davon? So wird er beim nächsten Mal nicht bes- Foto: Martin Sigmund Wenn es Liebe auf den ersten Blick gibt, war der Funke, der 2011 im Rahmen eines Gastspiels des Hamburg Balletts in Stuttgart zwischen dessen erstem Dirigenten Simon Hewett und dem Staatsorchester übergesprungen ist, »Liebe auf den ersten Takt«? Hewett lacht: »Ja, dem Hamburg Ballett haben wir es zu verdanken, dass ich heute hier bin! Es hat mit John Neumeiers Choreografie Nijinsky in Stuttgart gastiert, und ich hatte so die Gelegenheit, mit dem Staatsorchester zusam- menzuarbeiten. Es war musikalisch ein sehr anspruchsvolles Programm, wir spielten Scheherazade von Nikolai RimskiKorsakov und die ganze 11. Sinfonie von Dimitri Schostakowitsch. Und es stimmt, ich habe mich mit dem Orchester auf Anhieb gut verstanden und mich hier sofort sehr wohl gefühlt.« Das Angebot aus Stuttgart, als Wunschkandidat des Staatsorchesters die Position des Ersten Kapellmeister anzutreten, sei für ihn Grund genug gewesen, nach Jahren der Festanstellung an der Hamburgischen Staatsoper und einer Zeit als freischaffender Dirigent – in der ihn seine Arbeit auch immer wieder in seine Heimat Australien zurückgeführt hat – wieder ein fixes Engagement anzunehmen, sagt Simon Hewett: »Diese außerordentlich familiäre Atmosphäre an der Oper Stuttgart kommt meinem Naturell und meiner Art, Dirigent zu sein, sehr entgegen.« Das Orchester spielt, der Dirigent dirigiert – das Publikum: Simon Hewett in Aktion beim Chor- und Orchestertag im September 2013. 8 Das Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014 Foto: A.T. Schaefer 9 03. Marcos World 03. Links Marco Goecke (Foto: Roman Novitzky) Unten Marco Goecke mit Ballettmeister Rolando D’Alesio bei Proben (Foto: Ulrich Beuttenmüller) Oben David Moore in On Velvet (Foto: Stuttgarter Ballett) David Moore, Ludovico Pace, Marijn Rademaker, Fabio Adorisio, Arman Zazyan in On Velvet (Foto: Stuttgarter Ballett) Bühne Hauschoreograph Marco Goecke reflektiert über die Bretter, die ihm die Welt bedeuten MARCO GOECKE ist seit September 2005 Hauschoreograph des Stuttgarter Balletts. Seine prägnante und avantgardistische Tanzsprache, das Ausloten und Sprengen der ästhetischen Grenzen schärfen das moderne Profil der Compagnie. Der heute weltweit gefragte Choreograph hat eine beachtliche Anzahl an Uraufführungen für international renommierte Compagnien und mehr als 12 Stücke für das Stuttgarter Ballett geschaffen. Die Bühne ist für mich der einzig wahre Ort. Ich würde sie niemals gegen einen SüdseeUrlaub eintauschen. Das ist der Raum, um den es geht. Die Bühne ist ein harter Ort, er verlangt viel von dir. Wenn man ein neues Stück zum ersten Mal vom Ballettsaal auf die Bühne verlagert, kann das vieles verändern. Manchmal ist es, als wenn man einen Apfel in Schokolade taucht. Die Bühne gibt den Dingen Erhabenheit, etwas Edles. Sie hinterfragt aber auch. Wirken die Bewegungen auf der Bühne anders als im Ballettsaal? Was war dort schön und verschwindet hier? Was ist zu groß, was zu klein? Manchmal muss man auf der Bühne vervielfältigen, manchmal aber auch vereinfachen. Ob ich zwei Tonnen Popcorn benutze oder zwei Körner, das ist doch ein großer Unterschied. Im Zweifelsfall verbiete ich mir aber, die Dinge für die Bühne aufzupeppen. Das Versuchhafte verdient sich selbst gegenüber Respekt. Zuschütten kann man immer. Und für Tänzer ist die Bühne natürlich der Ort, an dem sie sich ausleben können. Tänzer Die Tänzer sind für mich immer auch eine Art Familie, das gibt ein Gefühl der Geborgenheit. Andererseits sind alle ständig hungrig darauf, etwas zu tun. Ich muss sie mit Bewegungen und Parts in meinen Stücken füttern, aber niemand fragt, wie es mir dabei geht. Arbeitsverteilung ist ein heikler Punkt. Ich 10 habe mir sagen lassen, dass ich da viel brutaler vorgehen muss, aber ich will eigentlich immer alle glücklich machen und fair sein. Ich würde Tänzer niemals als Staffage, als Füllmaterial für meine Stücke benutzen. Jeder hat eine wichtige Aufgabe. Oft bleibt eine gewisse Distanz – auch meine Arbeiten sind ja distanziert –, obwohl einige mir natürlich näher sind als andere. Aber es ist meist nur ein Verhältnis für kurze Zeit, im Anfang steckt auch schon der Abschied. Sobald meine Arbeit an einem Stück beendet ist, muss ich sie wieder loslassen. Manche der Tänzer, mit denen ich im Ausland gearbeitet habe, habe ich nie wiedergesehen. Das ist traurig. Körper Der Körper muss in meinen Choreographien an seine Grenzen kommen. Ich sehe eine Sinnhaftigkeit in der Anstrengung. Als Tänzer habe ich diese Energie in den Stücken, die ich getanzt habe, sehr vermisst. Überhaupt hat meine Art, mit dem Körper umzugehen, viel damit zu tun, wie ich als Tänzer selbst gern getanzt hätte. Aber es war niemand da, der diese Stücke für mich hätte choreographieren können. Das war ja der Grund, warum ich angefangen habe, Stücke zu kreieren. Einflüsse Dass die Arbeiten von Pina Bausch mich sehr geprägt haben, ist bekannt. Viele wissen aber nicht, dass ich am Anfang meiner Karriere auch von Maurice Béjart beeinflusst wurde. Auf den ersten Blick wirken seine Stücke wie die Arbeiten vieler französischer Choreographen etwas kitschig, erfüllt von viel »Schischi«. Aber wenn man länger hinschaut, dann gibt es spannende Brüche. Vor allem Béjarts Mozart Tango werde ich nie vergessen. Er stellte den männlichen Tanz in den Vordergrund, ließ die Tänzer mit nackten Oberkörpern agieren. Das fand ich spannend, schön, subtil und sicherlich auch erotisch. Eine Inspiration für meine Ästhetik. Inspiration Inspiration hat für mich viel mit Sensibilität zu tun. Ich werde leicht von den Dingen überwältigt, lasse sie nah an mich heran und kann sie schlecht verarbeiten – sei es ein Gespräch mit Freunden, ein bestimmtes Fernsehprogramm oder gar eine dunkle Wolke, die sich vor die Sonne schiebt. Diese Sensibilität ist eine Bürde, aber es geht auch eine große Kraft von ihr aus. Sie ist Quelle und Feind zugleich. Ich muss sie aushalten und habe glücklicherweise einen Weg gefunden, daraus etwas zu formen. Gefühlsduseleien aber sind mir ein Gräuel. Sorgen, Schmerzen oder andere emotionale Statements werden in meinen Choreographien meist von einem hohen Tempo überrannt, übersprungen und aufgelöst. Meine Stücke sind eher Schatten von Befindlichkeit, sie zeigen das Weglaufen vor Emotionen. Ästhetik Schwarz ist meine Farbe, die Marke meiner Stücke. Ich würde nicht mit anderen Farben arbeiten, um zu gefallen, dafür müsste ich schon einen konkreten Anlass sehen. Man würde ja auch nicht grundlos den grauen Teppich bei Dior oder die blauen Schachteln von Tiffany & Co ändern. Rein ästhetisch empfinde ich eine große Sicherheit. Meine Ästhetik, mein Vokabular habe ich schon oft geprüft. Darauf kann ich mich verlassen – natürlich muss ich mich aber trotzdem weiter entwickeln. Tradition Alles, was ich tue, basiert ja auf dem, was ich sehe, was schon ist. Tradition ist das einzige, worauf man sich berufen kann. Ich war nie ein Zerstörer, habe die Tradition immer mitgetragen. Ich sehe mich nicht als typisches Kind meiner Generation, habe nicht jeden Hype mitgemacht. Die Dinge, die mich faszinieren, sind sowieso »altmodisch«: alte Filme, die Schauspieler des frühen 20. Jahrhunderts, französische Chansons oder die Lieder von Johnny Cash. Ich würde meine Stücke auch weder als Zeitgeist, noch als modernes Ballett bezeichnen. Eher als ehrlich. Ehrlichkeit mit sich und anderer Menschen ist eine Form von Brillanz, hinterlässt aber auch Leere und Trauer. Das Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014 Anspruch an sich selbst Dieses Thema beinhaltet eine große Tragik. Mir selbst gegenüber bin ich nicht besonders gnädig oder barmherzig. Es gab noch nie einen Moment, in dem ich mir gesagt habe »Das wird schon« oder »Ich bin stolz auf dich«. Jedes Stück ist für mich ein bitterer Kompromiss. Ich habe bisher 45 Stücke kreiert – der Anspruch an mich selbst wird natürlich immer höher. Aber eine Steigerung kann ich nicht erzwingen. Verstehen Wenn ein Kritiker über eines meiner Stücke schreibt, dass alles keinen Sinn mache, empfinde ich das als ein großes Kompliment. Natürlich kann ich das Bedürfnis, etwas zu verstehen, nachvollziehen. Den Menschen wird von Anfang an eingetrichtert, dass man alles verstehen soll und muss. Aber frag jemanden, ob er die Welt versteht, und er wird verneinen müssen. Ich verstehe ja selbst nicht alles, was ich tue. Ich umkreise in meinen Choreographien einen Raum oder Menschen, sie sind ein winziger Versuch, etwas sichtbar zu machen. Darauf muss ich mich einlassen und die Tänzer und das Publikum auch. Aufgezeichnet von Vivien Arnold und Kristina Scharmacher Marco Goeckes neueste Arbeit für das Stuttgarter Ballett On Velvet feierte am 8. November 2013 Uraufführung und ist noch im Dezember im Rahmen des Ballettabends FORT// SCHRITT//MACHER im Opernhaus zu sehen. Ballettabend: FORT//SCHRITT//MACHER workwithinwork Choreographie, Bühne & Licht: William Forsythe; Musik: Luciano Berio; Kostüme: Stephen Galloway; Uraufführung: 16. Oktober 1998, Ballett Frankfurt, Frankfurt am Main Frank Bridge Variations Choreographie: Hans van Manen; Musik: Benjamin Britten; Bühne und Kostüme: Keso Dekker; Licht: Bert Dalhuysen; Uraufführung: 18. März 2005, Het Nationale Ballet, Amsterdam; Erstaufführung beim Stuttgarter Ballett: 14. Januar 2011 On Velvet Choreographie: Marco Goecke; Musik: Johannes Maria Staud, Edward Elgar; Bühne und Kostüme: Michaela Springer; Licht: Udo Haberland; Musikalische Leitung: James Tuggle Vorstellungen im Opernhaus: So 01.12. // Sa 07.12. // So 08.12. // Di 10.12. So 15.12. (nm/abd) // Mi 18.12.2013 11 04. Uraufführung Peter Pan 04. Eine Oper für die ganze Familie : l e i z g Flu erland Nimm Wie geht das? Wie nur geht das? Mit offenem Mund starrt Wendy auf Peter Pan, der sich vor ihren Augen in die Lüfte schwingt. Es ist das, was James M. Barries berühmte Romanfigur vor allem anderen auszeichnet: Der Junge, der laut eigener Aussage am Tag seiner Geburt von zu Hause abgehauen ist und nun mit Elfen und Verlorenen Jungs auf Nimmerland wohnt, kann fliegen, ja man sagt ihm nach, dass er leicht sei wie eine Feder. Wie Fliegen geht? An etwas Schönes denken, etwas Elfenstaub und auf geht es! Sagt Peter. Wenn das so einfach wäre, würde der uralte Traum von Schwerelosigkeit das künstlerische und technische Team der Familienoper Peter Pan wohl kaum so sehr in Atem halten. »Als Kind bin ich auf einem Plateau spazieren gegangen, an einer Felsküste entlang, die etwa achtzig Meter in die Tiefe abfiel. Ich ging und schaute den Himmel und die Wolken an. Im letzten Moment hielt mich jemand fest und bewahrte mich vor dem Absturz. Doch diesen einen Moment zwischen Fallen und Stehen werde ich nie vergessen.« Für den britischen Komponisten Richard Ayres geht ein lange gehegter Traum in Erfüllung. In intensiver Zusammenarbeit mit der britischen Autorin Lavinia Greenlaw konnte er im Auftrag der Oper Stuttgart der faszinierenden Figur des Peter Pan nachspüren, der unsere zivilisierte Welt bodenlos verachtet und gleichzeitig so verletzlich und verloren zu sein scheint. Fliegen zu komponieren bedeutet für Ayres Luft zu kreieren: Gleichmäßig vibrierende Wellen in der Mitte, ziselierende Details darüber und eine raumschaffende Tiefe – drei akustische Lagen übereinander geschichtet, grollender Donner als Vorbote des Sturms. Der Flug, den die drei Kinder Wendy, John und Michael Darling Hals über Kopf vertrauensselig antreten, birgt vom Hochgefühl des Schwebens über die schreckliche Sturmnacht bis zur Bruchlandung alle Facetten. Und einen Widerspruch in sich selbst: man landet auf dieser Insel mit dem sprechenden Namen Nimmerland, auf der einen Peter zwar herrliche Abenteuer erleben lässt – der stolze Michael schlägt seinen ersten Piraten tot – auf der sich aber das Gedächtnis in Luft auflöst. Fliegen: Für Regisseur Frank Hilbrich, der selbst nicht gerne in Flugzeugen sitzt, bedeutet es völlige Freiheit mit allem, was dazu gehört: Absturzgefahr, Heimatlosigkeit. Im letzten Moment packt denn auch Wendy ihre beiden Brüder, heim wollen sie. Sie werden prompt von Peters Erzfeind Captain Hook gekidnappt. »Als Yuko Kakuta würde ich ja gar nicht erst mit Peter Pan mitgehen.« Entschlossen schüttelt die Sopranistin den Kopf. »Ich habe Mann und Kind, die würde ich nicht zurücklassen. Aber als Wendy: Sofort. Ohne Angst, mit großen Erwartungen!« Angst vor dem Fliegen im Bühnenhimmel hat sie aber auch als Yuko Kakuta nicht. Allenfalls davor, im Flug die Töne nicht mehr zu treffen. Doch »Fliegen ist wie Singen: Balance, Muskelarbeit und Emotion!« Der Countertenor Iestyn Morris alias Peter Pan trainiert seine Muskeln schon seit Monaten, insbesondere die Achillessehnen. Ein erstes Flugtraining im Sommer mit Fluginstruktor und Choreograph Ran Arthur Braun hat ihm gezeigt, wo das Training am nötigsten ist. Während Wendy, John und Michael mithilfe eines herkömmlichen Theater-Flugsystems fliegen, wirbelt Peter Pan an einem Bungee-Seil durch die Luft. »Ich bin überrascht, wie sicher man sich dabei fühlt. Du kannst stoppen und dich drehen wann du willst, hast deine Bewegungen und die Atemtechnik total unter Kontrolle.« Es ist Power Dancing in Schwerelosigkeit, was die für Bühne einzigartige Flugtechnik »GrossHopper« von Ran Arthur Braun und Tiina Gross ermöglicht. »Ich will mich selbst überraschen und zum Staunen bringen mit den Flug-Choreographien, die ich entwickle. Ich war selbst Sänger, weiß also was fliegende Sänger brauchen. Doch die Essenz des Fliegens ist etwas viel Intellektuelleres und Emotionaleres als die Techniken«, so Braun. »Es geht um Phrasierung, Musikalität, Freude und Emotion; eine Einladung ans Publikum mitzufliegen«. Natürlich gewinnt Peter Pan den Showdown: Er rettet die Kinder vor dem Haken des Piratenhäuptlings. Doch die Wege trennen sich erneut, Peter fliegt mit der Elfe Tinkerbell nach Nimmerland zurück, die Kinder werden erwachsen. Elfenstaub, an etwas Schönes denken? Fliegen kann man verlernen. Nicht nur in den konkreten Flug-Szenen wird es Regisseur Frank Hilbrich deshalb genau darum gehen: Das Fliegen als Lebensgefühl sichtbar, hörbar und fühlbar zu machen. Denn, so fasst es Dirigent Roland Kluttig zusammen: »Peter Pan ist die Idee, nicht landen zu müssen, nicht erwachsen werden zu müssen. Ich erinnere mich, dass für mich als Kind meine Vorstellung zu fliegen, beispielsweise auf dem Weg zum Kindergarten, so stark war, dass ich wohl teilweise glaubte, es tatsächlich zu können. Es war eher so ein Gleitflug, relativ knapp über dem Boden. Die Musik von Richard Ayres ist oft von so hoher Geschwindigkeit, dass sie tatsächlich abhebt«: Flugziel: Nimmerland. Barbara Tacchini Peter Pan von Richard Ayres Auftragswerk der Oper Stuttgart und der Komischen Oper Berlin in Koproduktion mit der Welsh National Opera Gemeinschaftsproduktion der Oper Stuttgart und der Jungen Oper Stuttgart Musikalische Leitung: Roland Kluttig / Willem Wentzel; Regie: Frank Hilbrich Uraufführung: 19. Dezember 2013 // 18:00 Uhr // Opernhaus Weitere Vorstellungen: 23.12.2013 // 05.01. (nm & abd) // 10.02.* (vm) // 11.02.* (vm) // 16.02. (nm & abd) // 25.02.* (vm) // 28.03. * (vm) // 05.04. // 10.04.2014 * Schulvorstellungen Mit freundlicher Unterstützung der Ernst von Siemens-Musik-Stiftung und des Fördervereins der Staatstheater Stuttgart Bilder (diese Seite) Der britische Countertenor Iestyn Morris (Titelpartie) beim Flugtraining zu Peter Pan Großes Bild (rechte Seite) Ran Arthur Braun (Aerial Director and Fight Choreographer) bei der Arbeit im Probenzentrum und Tiina Gross im Hintergrund Fotos: Christoph Kalscheuer 12 Das Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014 13 05. Mit eigenen Worten 00. 05. Mit eigenen Worten Elisa Badenes, Erste Solistin des Stuttgarter Balletts Daniel Camargo, Erster Solist des Stuttgarter Balletts Elisa Badenes: Verantwortung tragen 14 Daniel Camargo: Der Perfektionist Foto: Roman Novitzky Elisa Badenes wurde in Valencia, Spanien, geboren. 2008 gewann sie beim Prix de Lausanne ein Stipendium für die Royal Ballet School. In der Spielzeit 2009/10 wurde Elisa Badenes Elevin beim Stuttgarter Ballett. Ins Corps de ballet wurde sie in der Spielzeit 2010/11 aufgenommen, ihre Beförderung zur Halbsolistin folgte 2011/12. 2012/13 wurde sie zur Solistin ernannt, 2013/14 folgte die Ernennung zur Ersten Solistin. Foto: Roman Novitzky Ich kann meine bisherige Karriere in zwei Hälften teilen: Das Leben vor Schwanensee und das Leben nach Schwanensee. Die Rolle der Odette/ Odile hat mich in jeder Hinsicht verändert. Nicht nur, weil es die Traumrolle einer jeden Tänzerin ist und noch dazu technisch eine unglaubliche Herausforderung. Erst als ich zum ersten Mal als Odette/Odile auf der Bühne stand, habe ich begriffen, welch große Verantwortung ich trage, wenn ich im Mittelpunkt eines Ballettes stehe, wenn ein so bedeutendes Werk in meine Hände gelegt wird. Dass mir diese große Aufgabe ausgerechnet in John Crankos Fassung hier in Stuttgart anvertraut wurde, das war für mich etwas ganz Besonderes. Denn schon als kleines Mädchen, als Ballettschülerin in meiner Heimatstadt Valencia, habe ich viel vom Stuttgarter Ballett gehört: Mein damaliger Lehrer war nämlich ein Absolvent der John Cranko Schule. Seither wollte ich immer gern zu dieser Compagnie gehören, aber zunächst führte mich mein Weg nach London. Beim Prix de Lausanne gewann ich ein Stipendium für die Royal Ballet School. Es war nicht ganz leicht für mich, aus Valencia fortzugehen, meine Familie und meine zwei Schwestern zu verlassen – wir sind Drillinge und ergänzen uns eigentlich perfekt, umso mehr vermisse ich die beiden natürlich. Aber ich habe mich schnell in London wohl gefühlt. Genauso wie danach in Stuttgart. Die Menschen hier in der Compagnie haben es mir leicht gemacht, mich einzuleben. Wir haben uns im Theater unser internationales Zuhause geschaffen. Und nun bin ich hier Erste Solistin. Das kann ich noch immer kaum glauben und fühle mich eigentlich auch gar nicht anders als vor meiner Beförderung. Meine Kollegen und das Stuttgarter Publikum haben mich meine Karriere über begleitet, haben mich quasi heranwachsen sehen. Da mich alle unheimlich gut kennen, habe ich nicht das Gefühl, nun etwas beweisen zu müssen. Ich gebe einfach immer mein Bestes und bin durch die Vielfalt des Stuttgarter Repertoires wahnsinnig motiviert. Neben Traumrollen wie eben Odette/Odile oder Kitri in Don Quijote lerne ich hier Jahr für Jahr großartige Rollen in für mich noch ganz neuen Balletten kennen, zum Beispiel die Desdemona in Neumeiers Othello. Ein sehr wichtiger Mensch hier in Stuttgart ist für mich Demis Volpi. Er war der erste Choreograph, der eine Rolle eigens für mich kreiert hat, und seither hat mir unsere Zusammenarbeit ganz neue Welten eröffnet. Zum Beispiel mit dem Pas de Deux Little Monsters, das er für mich und Daniel Camargo kreiert hat. Damit sind wir zwei schon um die Welt gereist, haben es gefühlte 100 Mal getanzt und trotzdem entdecke ich es immer wieder neu. Ich bin erst 21 Jahre alt und denke noch nicht viel darüber nach, was nach meiner Karriere als Tänzerin kommen könnte. Ich habe viele Interessen, mag Musik und würde gern viel mit anderen Menschen zusammenarbeiten. Aber es wird sehr schwer werden, etwas zu finden, das ich so sehr liebe wie das Ballett. Aufgezeichnet und übersetzt von Kristina Scharmacher Wie viele Jungen bin ich durch meine älteren Schwestern zum Tanzen gekommen. Ich war neun Jahre alt, als sie mich mit zu ihrer Ballettschule nahmen, wo mich eigentlich vor allem der HipHop-Kurs interessierte. Man sollte allerdings zuerst Ballettunterricht nehmen, bevor man auch andere Tanzrichtungen ausprobieren konnte. Und das Ballett hat mir dann so gut gefallen, dass ich nie mehr etwas anderes gemacht habe. Gleich in meinem ersten Jahr an der Ballettschule habe ich einen brasilianischen Ballettwettbewerb gewonnen und so war mir schon früh klar, dass ich nicht nur wahnsinnig gern tanze, sondern dass daraus mehr werden könnte. Ich mag an dieser Kunst vor allem, dass man bis ins kleinste Detail an sich feilen muss, dass es auf Kleinigkeiten und Feinheiten ankommt. Man kann die Dinge nicht einfach irgendwie machen, es muss genau richtig sein. Das passt zu mir, ich bin ein Perfektionist. Egal was man tut, es geht immer noch besser. Dieser Gedanke motiviert mich. Außerdem fasziniert es mich, dass das Ballett eine so weit zurückreichende Tradition hat. Ich liebe die Werke von großen Choreographen wie Marius Petipa auch deshalb so sehr, weil sie schon seit Jahrhunderten immer weitergegeben werden, weil schon so viele Tänzer diese Rollen verkörpert haben und ich diese Reihe nun fortsetzen kann. Kein Wunder also, dass meine absolute Lieblingsrolle aus einem Petipa-Ballett stammt: Basilio in Don Quijote. Von dieser Partie habe ich schon immer geträumt und auch schon häufiger auf Galas den Grand Pas de Deux getanzt, bis ich sie im letzten Jahr hier in Stuttgart dann komplett einstudieren durfte. Diese Rolle ist wahnsinnig schwer und es war sehr aufregend, sie zu erarbeiten. Die Premiere, die ich gemeinsam mit Elisa Badenes getanzt habe, Das Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014 war etwas sehr Besonderes – die Stimmung auf der Bühne und im Publikum war sensationell. Nachdem ich ja nun zum Ersten Solisten befördert wurde, freue ich mich darauf, noch viel mehr tolle Rollen tanzen zu können. Das ist doch das, worum es in meinem Beruf geht. Mein Ziel war es ursprünglich gar nicht unbedingt, möglichst schnell Erster Solist zu werden, sondern vor allem, viele unterschiedliche Partien kennen zu lernen. Es macht Spaß, in einem Moment noch der gut gelaunte Basilio zu sein und im nächsten schon der ernsthafte Lenski in John Crankos Onegin. Ich bin überhaupt ein sehr neugieriger Mensch. Ich war auch wahnsinnig gespannt, was mich in Stuttgart erwarten würde, als ich mit 13 Jahren an die John Cranko Schule kam. Und habe festgestellt, dass hier einiges anders ist, als in Brasilien. Das Wetter natürlich. Und die stillen Sonntage. Trotzdem: Hierher zu kommen war wohl eine der besten Entscheidungen meines Lebens, wenn man bedenkt, wie schnell ich hier meinen Weg machen konnte. Aufgezeichnet von Kristina Scharmacher Daniel Camargo wurde in Sorocaba, Brasilien, geboren. Nach seinem Abschluss an der John Cranko Schule wurde er 2009 ins Corps de ballet des Stuttgarter Balletts aufgenommen. 2011/12 erfolgte seine Beförderung zum Halbsolisten, 2012/13 zum Solisten. Seit Beginn der Spielzeit 2013/14 tanzt er als Erster Solist. 15 06. Uraufführung „wunderzaichen“ von Mark Andre 06. Realisiert von Sylvain Cambreling, Jossi Wieler, Sergio Morabito und Anna Viebrock links Lagebesprechung vor der langen Nacht in der Grabeskirche: v.l. Mark Andre, Prof. Sr. Margareta Gruber OSF (Dekanin des Theologischen Studienjahres Jerusalem und Inhaberin des Laurentius-Klein-Lehrstuhls für Biblische und Ökumenische Theologie 2009 – 13) und Joachim Haas unten Wind in der Wüste: Mark Andre und Joachim Haas auf Klangspurensuche (Fotos: Patrick Hahn) Vier Mikrofone: Voraussetzung, um die Akustik der Grabeskirche zu vermessen. (Foto: Joachim Haas) Komponist Mark Andre, im Hintergrund die Ausläufer von Jericho (Foto: Joachim Haas) r e u e t n e b A s e ? h t i c e s i h s n y e h g p e l a t e e g n M A n e e h h c c i a s z i r n de h n c u e w t u z r ode es. Unterwegs Beid Am 2. März 2014 wird die erste Oper des Komponisten MARK ANDRE an der Oper Stuttgart Premiere feiern. Der Dramaturg PATRICK HAHN hat das Werk gemeinsam mit dem Komponisten konzipiert und sendet Kurznachrichten aus dem Prozess. Für lange Begrüßungen bleibt keine Zeit, als wir am israelischen Flughafen Ben Gurion erstmals in dieser Konstellation aufeinander treffen: Der Komponist Mark Andre, der Toningenieur Joachim Haas vom Freiburger SWR Experimentalstudio, unser israelischer Fahrer David und ich. Es dauert eine Weile, bis die Aufnahmegeräte und die Mikrophone durch den Zoll gewinkt sind, die Straßen sind um diese Tageszeit verstopft, wir müssen rechtzeitig Jerusalem erreichen und die unhandliche Technik durch die verwinkelten Gassen der Altstadt wuchten. Um 19 Uhr schließt sich das Tor der Grabeskirche bis zum nächsten Morgen um 4.30 Uhr. In dieser Nacht werden wir uns gemeinsam mit den Franziskanern, den Armeniern und den griechisch-orthodoxen Fratres in der klammen Kälte der seit Jahrtausenden umkämpften Pilgerstätte einschließen lassen, alle Aufnahmegeräte auf »ein«. Georg Blochmann, der Direktor des Tel Aviver Goethe-Instituts, dem wir die Möglichkeit zu dieser Reise verdanken, hat in einem Akt höherer Diplomatie eine Aufnahmegenehmigung für uns erwirkt: Solange wir die Mönche in ihren heiligen Handlungen damit nicht stören, dürfen wir in dieser Nacht den verwachsenen Körper der Grabeskirche vermessen, ihn unserer 16 Festplatte einverleiben, um so Daten zu sammeln für ein Abenteuer, das erst in einigen Jahren seinen Abschluss finden wird. Willkommen auf dem »metaphysischen Roadtrip«. Spurensucher in der Wüste: v.l. David Levy (Guide), Patrick Hahn, Mark Andre, Jörg Herkommer (NMZ-Media), Joachim Haas (SWR Experimentalstudio) / Foto: Katharina Herkommer (NMZ-Media) Patrick Hahn: Mark, warum hast Du Dich entschlossen, ins »Heilige Land« zu reisen, um Deine Oper zu komponieren? Mark Andre: Ich bin hier um akustische Fotos, Echographien zu machen. Nicht zu verwechseln mit Klangpostkarten. Ich sammle unterschiedliche Kategorien von Materialien, sie werden zugeordnet, analysiert und musikalisch entfaltet. Es geht also einerseits um Messungen, die mit Parametrisierung, mit akustischen Darstellungen von Gebäuden, von Klangsituationen zu tun haben. Andererseits geht es um meine Hoffnung, dass diese Räume, diese Situationen eine besondere Ausstrahlung haben – und wir diese einfangen und entfalten können. Es gibt immer etwas, das mit Computerklanganalysen nicht zu erfassen ist. Hier kommt das persönliche innere Erleben ins Spiel. Schon während unserer ersten Gespräche über sein Opernprojekt hat Mark immer wieder die Metapher vom »metaphysischen Roadtrip« verwendet, um zu beschreiben, was ihm vorschwebt. Ein Sinnbild für den Weg, den der Komponist selbst beschreitet im Prozess des Komponierens. Ein Hinweis darauf, was die Zuschauer in einigen Jahren erwarten wird, wenn sie sich durch das Stück bewegen. Aber eben auch: nackte Methode. Der Komponist verlässt den heimischen Schreibtisch in Berlin-Friedrichshain, um in der Auseinandersetzung und Begegnung mit einem fremden Ort die Grundlagen für ein neues Stück zu legen. PH: Wie nimmst Du einen Ort wie die Grabeskirche wahr? Mit den Ohren oder mit anderen Sinnen? MA: Bestimmt nicht nur mit den Ohren. Es geht mir um die Erfahrung von »Zwischenräumen«. Eine Episode aus dem Johannes-Evangelium kann man als Gleichnis dafür nehmen, eine Szene, die sich unmittelbar an dem Grab, das wir besucht haben, abgespielt haben soll: Maria erkennt Jesus an der Stimme, sie will ihn festhalten, doch er sagt: »Rühr mich nicht an«. Obwohl sie einander nicht berühren, geschieht etwas zwischen ihnen, die Nichtberührung entfaltet einen Zwischenraum. Es geht aus meiner Perspektive um einen vertikalen Raum, der nicht mehr mit einer Chronologie, einer Narration oder einer horizontalen Vision der Zeit zu tun hat. Als kompositorische Idee ist das für mich sehr inspirierend. Das Geräusch einer Plastiktüte, die sich in einem Gebüsch in der Wüste verfangen hat und nun von Sand, Wind und Sonne zerfetzt wird. Die Gischt des Sees Genezareth im Sturm. Schritte auf Stein, im Wasser, am Strand. Tage auf der Straße, ununterbrochen auf Empfang. Umwege, Fehlschläge, Begegnungen. Mal folgen wir dem Reiseführer, mal der Intuition. Erschöpft erreichen wir nach zehn Tagen wieder den Flughafen Ben Gurion nahe Tel Aviv. Joachim deklariert sein Equipment gerade beim Zoll, als israelische Grenzbeamten Mark und mich aus der Warteschlange winken. Sie befragen uns nach dem Grund unseres Aufenthalts. Mark schildert wahrheitsgemäß, dass die Komposition einer Oper der Zweck seiner Reise war. »Wir haben Aufnahmen gemacht von den Erscheinungsweisen des Heiligen Geistes. Laut der Bibel handelt es sich dabei um Wasser, Wind und Feuer.« Wir sind verdächtig. PH: Für viele Komponisten des 20. Jahrhunderts war die Idee der Guckkastenbühne eine Begrenzung – die Architektur eines Opernhauses schien ihnen überkommen um wirklich neue Stücke zu schreiben. Wie geht es Dir damit? MA: Über diese Frage sind wir, glaube ich, hinaus. Mir geht es um die intensive Auseinandersetzung mit einem bestehenden Raum und einem bestehenden Apparat und diesen zu transzendieren. Was ich suche, sind Metaräume. Ich habe jetzt nicht mehr das Gefühl, mich in einer ästhetischen, historischen Reflexion über das Musiktheater zu befinden. Mir geht es in meiner Musik darum, eine andere Kategorie von Kraft, von Zeiterlebnis und Präsenz zu erschaffen. Die ästhetische Situation auf der Bühne wird nur ein Ergebnis dieser Suche nach anderen Räumen sein. Das Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014 In seinen bisherigen Werken, wie seiner »Musiktheater-Passion« ... 22,13 ... , hat Mark meist Bibelfragmente, oft nur einzelne Worte, gelegentlich gar nur einzelne Buchstaben als bewusst kryptische Zeichen seiner Musik eingeschrieben: Text als Chiffre und als Trigger für eine ungemein zerbrechliche Musik, die ihre ganze Kraft aus ihrer Instabilität bezieht, ihre Präsenz aus dem Verschwinden. Musik, die in ihren kanonischen Strukturen wohl etwas von der ewigen Ordnung ausdrückt, die hinter den Dingen waltet und durch die akribische Untersuchung der spektralen Natur der Klänge zum Wesen der Erfahrung durchdringt. Musik schließlich, die mit ihrem Nuancenreichtum an Geräuschen und klangfarblichen Verbindungen etwas von der Vielfalt der Beziehungen nachzeichnen möchte, die sich zwischen den Dingen ereignen, die von dieser Welt sind, und jenen, die sie bereits hinter sich gelassen haben. Johannes: Ein einziger Ohrenzeuge ist mehr wert als zehn Augenzeugen wenn es darum geht, Menschen kennen zu lernen, die der Weisheit zugetan sind. Johannes Reuchlin begleitet Mark Andre als Gefährte im Geiste, seit die Oper Stuttgart ihm den Auftrag für eine abendfüllende Oper erteilt hatte. »Wie würde Reuchlin heute auf die Welt reagieren? Welche Erfahrungen würde er bei einer Reise nach Israel machen?«, spekuliert er seither. Die Beschäftigung des Komponisten mit Johannes Reuchlin hatte der heutige Chefdramaturg der Oper Stuttgart, Sergio Morabito, initiiert als er 2007 mit Kammermusik von Mark eine »szenische Collage« über den ersten deutschen Humanisten gestaltete: Johannes Reuchlin, der 1455 in Pforzheim geboren wurde und 1522 in Stuttgart starb. Goethe hat den Juristen und Schriftgelehrten, der in der Leonhardskirche am Rande des kleinen Rotlichtviertels im Herzen von Stuttgart begraben liegt, später ein »Wunderzeichen« genannt. Wie ein Wunder mutet bis heute an, welche Auseinandersetzungen und Kämpfe Reuchlin durchstanden hat, ohne seine Überzeugung zu verraten: dass die Kenntnis des Hebräischen und das Studium der jüdischen Literatur unerlässlich sei für die Vervollkommnung der geistigen Fähigkeiten des Menschen. Insbesondere interessierte Reuchlin sich für die Geheimnisse der Kabbala, jener mystischen Überlieferung, deren Lehre und Techniken nicht nur zur Auslegung der Heiligen Schrift und zur Erkenntnis der göttlichen Ordnung verhelfen, sondern gar Mittel aufzeigt, darauf einzuwirken. Reuchlin sah sich zu Lebzeiten aufgrund seiner Forschungen und seines Eintretens gegen die Vernichtung jüdischer Bücher durch die katholische Kirche schweren Anfeindungen ausgesetzt, die ihm schließlich gar eine Niederlage vor dem päpstlichen Gericht eingebracht und seiner Karriere schweren Schaden zugefügt haben. Johannes: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Die schwarz-weißen Ausdrucke der Computeranalysen, mit der zahlenmäßig aufgeschlüsselten Aura der Orte und Klänge, die wir während unserer Reise nach Israel gesammelt haben, liegen verstreut auf dem Flügel in Marks Arbeitszimmer in Berlin-Friedrichshain. Im Januar 2013 fand die erste Chorprobe für wunderzaichen statt. Die Weitergabe der kompositorischen Räume von Mark Andre ist längst im Gange. wunderzaichen von Mark Andre Ein Auftragswerk der Oper Stuttgart Unterstützt von: Ernst von Siemens-Musikstiftung, Goethe-Institut Tel Aviv, Wissenschaftskolleg zu Berlin und Stefan von Holtzbrinck In Koproduktion mit dem SWR Experimentalstudio Musikalische Leitung: Sylvain Cambreling; Regie: Jossi Wieler und Sergio Morabito; Bühne und Kostüme: Anna Viebrock Premiere: 2. März 2014 // 19:00 Uhr // Opernhaus März 2014: 07.03. // 16.03. // 22.03. // 25.03.2014 17 07. Der Publikumsliebling kehrt zurück 07. Krabat – ein Gesamtkunstwerk Im vergangenen Frühjahr feierte einmal mehr ein neues großes Handlungsballett am Stuttgarter Ballett seine Uraufführung. Der junge Choreograph Demis Volpi brachte Krabat nach dem Jugendroman von Otfried Preußler auf die Bühne des Opernhauses – ein ganz besonderes Werk, denn es ist das erste für die Stuttgarter Compagnie kreierte Ballett, das neben Erwachsenen vor allem auch junge Menschen ansprechen soll. Schnell entwickelte sich Krabat zum absoluten Publikumsrenner, sämtliche Vorstellungen waren binnen Stunden ausverkauft, die Live-Übertragung bei Ballett im Park zog tausende Neugierige an. Sicherlich rührt dieser gewaltige Erfolg nicht zuletzt daher, dass es sich bei Krabat um ein großes Gesamtkunstwerk handelt. Die Zutaten: Eine einfühlsam erzählte, bilderreiche Geschichte, detailliert gezeichnete Charaktere, bewegender Tanz, eine spektakuläre Ausstattung und ausdrucksstarke Musik. und Weise lebendig werden lassen, der Handlung die vom Choreographen erstrebte Atmosphäre verleihen. Das Staatsorchester Stuttgart nahm sich unter der Leitung von Dirigent James Tuggle der virtuosen, hoch anspruchsvollen Kompositionen von Pe-teris Vasks, Philip Glass und Krzysztof Penderecki an, die die drei musikalischen Säulen des Balletts bilden. Nach einer intensiven Suche, zu der auch das Anhören von etwa 800 Stunden Musik gehörte, hatten sich Demis Volpi und sein Team für diese drei zeitgenössischen Komponisten entschieden. Geschichte und Tanz Für Gefühle, Zauberei und Furcht stehen ihre Stücke in Krabat. Literatur in Tanz umzusetzen hat Auch die harte Arbeit der Geselin Stuttgart eine jahrzehntelanlen in der Mühle sollte natürlich ge Tradition. Seit John Crankos musikalisch passend untermalt Zeiten ist das Stuttgarter Ballett werden. Inspiriert von einer Beberühmt für seine Handlungssichtigung der nahe Stuttgart ballette nach großen literariMarijn Rademaker als Der Meister in Demis Volpis Krabat (Foto: Stuttgarter Ballett) gelegenen Mäulesmühle entschen Vorlagen – man denke nur stand die Idee der Mühlenmusik. an Crankos Onegin, John NeuDie Tontechniker der Staatstheater nahmen die Klänge der mahlenden Mühle auf, meiers Die Kameliendame, Christian Spucks Lulu oder Marco Goeckes Orlando. behandelten die Geräte wie die Instrumente eines Orchesters und führten die einAuch Demis Volpi hat sich daran gemacht, eine Kunstform, die von Sprache lebt, zelnen Tonelemente schließlich zu einer Surround-Sound-Komposition zusammen, in eine Kunstform, die von Bewegung lebt, umzuwandeln. Basierend auf einem gedie nun stets einsetzt, wenn in Krabats Welt schwer geschuftet wird. Neben Orchesmeinsam mit seiner Produktionsdramaturgin Vivien Arnold erarbeiteten Libretto, ter und Tontechnik steuerte auch der Kinderchor der Oper Stuttgart einen weiteren erweckt er Krabat und die anderen Figuren aus Otfried Preußlers gleichnamigem Baustein zu der vielfältigen Krabat-Musik bei. Immer wieder erklingt das von KinRoman zum Leben, gibt ihren Gefühlen, Gedanken und Taten im Tanz Ausdruck. derstimmen gesungene alte Volkslied »Die Gedanken sind frei«, das Krabats wachJeder Situation verleiht er eine ganz eigene Sprache: Ein sehr zeitgenössischer Stil sende Sehnsucht nach Freiheit illustriert. kommt zum Einsatz, wenn Krabat mit seinen eigenen Entscheidungen ringt, fließende klassische Bewegungen dominieren, wenn es um die Liebe zu seiner KantorGesamtkunstwerk ka geht, und rhythmische Schritte unterstreichen die harte Arbeit und den drögen Alltag der Müllergesellen. Angst vor Wiederholung hat Volpi dabei nicht, schließlich Choreographie, Musik und Ausstattung, Dramaturgie, Tänzer, Mitarbeiter – es spielt sich Preußlers Geschichte im Rahmen eines sich von Jahr zu Jahr wiederhobraucht viele Komponenten, viele helfende Hände, um ein Ballett entstehen zu lenden Zyklus’ ab. Natürlich ist es hier der Tanz, der im Mittelpunkt steht. Doch lassen. Die schönste Belohnung für die Mühen ist der große Erfolg, ein begeistertes für das Gesamtkunstwerk Krabat sind die liebevolle Ausstattung und facettenreiPublikum und im Fall des Balletts Krabat vor allem staunende Kinderaugen. che Musik mehr als nur ein Hintergrund, vor dem sich die Geschichte entfaltet. Sie Kristina Scharmacher schaffen Atmosphäre, führen uns die Welt vor Augen, in der die Protagonisten leben. Bühne und Kostüme Koraktor, so heißt in Otfried Preußlers Jugendroman Krabat das Buch, in dem die Geheimnisse der Schwarzen Magie niedergeschrieben wurden. Nur der Meister darf darin lesen, seinen Gesellen, allesamt seine Schüler auf dem Gebiet der Kunst der Künste, ist der Blick in das Buch streng verboten. Auch in Demis Volpis Ballett Krabat gibt es natürlich einen solchen Koraktor, der immer wieder wie von Zauberhand erscheint, wenn der Meister darin lesen möchte. Nur aus einiger Entfernung aus dem Zuschauerraum heraus zu sehen ist dieses Buch, und doch ist es von Mitarbeitern der Staatstheater Stuttgart liebevoll Seite für Seite gestaltet worden, beschriftet und bemalt nach dem Vorbild alter Zauberbücher. Das ist nur ein Beispiel für all die Details, mit denen Krabats Kosmos auf der Ballettbühne zu Leben erweckt wurde. Feder für Feder wurde eingefärbt und zu riesigen Rabenflügeln zusammengesetzt, über tausend Mehlsäcke wurden genäht, bedruckt und gefüllt, ganze Landschaften gemalt – sämtliche Werkstätten der Staatstheater Stuttgart arbeiteten mit riesiger Begeisterung daran mit, die Vision Demis Volpis sowie der Kostüm- und Bühnenbildnerin Katharina Schlipf zu verwirklichen. Musik Orchester, Gesang, Tontechnik – diese drei Komponenten braucht es, um die Ballettmusik zu Krabat erklingen zu lassen. Die musikalische Grundlage ist für das Gesamtkunstwerk Ballett natürlich ebenso wichtig wie die Ausstattung. Musik kann mit ihrer Kraft, Stimmungen zu schaffen, ein Geschehen auf eine ganz eigene Art Krabat Ballett von Demis Volpi nach Otfried Preußler - teris Vasks, Krzysztof Penderecki, Choreographie: Demis Volpi; Musik: Pe Philip Glass u.a.; Bühnenbild und Kostüme: Katharina Schlipf; Libretto und Dramaturgie: Vivien Arnold; Licht: Bonnie Beecher; Musikalische Leitung: James Tuggle Vorstellungen im Opernhaus: 14.01. // 18.01. // 19.01. // 21.01. // 23.01. (Schulvorstellung) // 26.01. // 14.02. // 22.02. // 23.02. // 09.03. // 14.03. // 15.03.2014 Handlung: Preußler erzählt in seinem Roman die Abenteuer des Waisenjungen Krabat, der in einer Mühle als Geselle aufgenommen wird. Bald darauf offenbart der Meister der Mühle Krabat, dass er sich eigentlich in einer »Schwarzen Schule« befindet, in der er die »Kunst der Künste« lernen kann. Krabat ist anfangs fasziniert von der Macht der Magie, doch bald lernt er nicht nur, welch furchtbarer Preis dafür bezahlt werden muss, sondern dass er eigentlich ein Gefangener des Meisters geworden ist. Durch die Liebe zu einem Mädchen – und ihre Liebe zu ihm – kann Krabat den Meister besiegen und sich und seine Mitgesellen befreien. links oben Sue Jin Kang als Herr Gevatter rechts oben Elisa Badenes als Die Kantorka und David Moore als Krabat unten Marijn Rademaker als Der Meister und Ensemble in Demis Volpis Krabat (Fotos: Stuttgarter Ballett) 18 Das Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014 19 08. Porträt Armin Petras Auf der Suche Ein neuer Intendant am Schauspiel. Ein Intendant, der vieles anders macht. Der Veränderung bringt. Die ist wichtig, keine Frage. Mit ARMIN PETRAS wirbelt jetzt ein Regie-Besessener durch das Staatstheater, dessen schnelles, aktuelles, aufrüttelndes Theater niemanden kaltlassen kann. Er gilt als der Rastlose. Der Regie-Workaholic. Der Kompromisslose. Charakterisierungen wie diese hat sich Armin Petras (49) in seiner über zwanzigjährigen Laufbahn zuhauf erarbeitet. Aber sind sie wirklich nach wie vor gültig? Gewiss, insbesondere in seinen sieben Jahren am Berliner Maxim Gorki Theater, das durch seinen eigenwilligen und bisweilen nicht unumstrittenen Stil zu einem vielbeachteten Haus wurde, ist es schwer, einen anderen Petras als den rastlosen Derwisch zu sehen. Der seinen Spielzeitbeginn 2006/07 an der kleinsten Schauspielbühne Berlins mit unglaublichen 46 Premieren begann. Der den Altersdurchschnitt von 50 auf 40 senkte. »Die Marxsche Definition von Glück besagt, Glück bedeute, sich nach seinen Fähigkeiten zu verbrauchen. Damit will ich nicht sagen, dass meine Fähigkeiten im Bereich der Regie liegen. Aber eben eher dort als woanders«, sagt er. Die andere Seite wird im persönlichen Gespräch, in seinen Hintergründen und seiner Geschichte deutlich. Im Gespräch offenbart Petras nämlich eine große Ruhe. Er spricht schnell, aber wohlüberlegt, schweift nicht ab, weilt ganz im Jetzt. Trotzdem werden das Tempo, das Spontane bleiben. Wenn es passt. »Die Stoffe entscheiden darüber, in welcher Geschwindigkeit man mit ihnen umgeht«, lautet seine Parole. Theater ist für ihn ein Spiegel der Welt. Und die ist nun mal oft unvorhersehbar, fragil, tückisch. Da passt ein atemloses Spiel eben perfekt dazu – ganz gleich, ob in Stuttgart oder Berlin. Eine klassische Flucht nach vorn, die er sich fast bei seinem Idol Heinrich von Kleist abgeschaut haben könnte. Die Zerrissenheit und seinen Hang zur Flucht mag er an ihm, findet jene Zerrissenheit auch bei sich. Und insbesondere in seinem Pseudonym Fritz Kater – ein Alter Ego, der fast eine eigene Existenz führt. »Stücke meines Freundes Fritz Kater« nennt Petras Inszenierungen wie sein apokalyptisches 5 morgen, die oft abgründig, gerne zynisch und immer halsbrecherisch von kleinen Verlierern und großen Katastrophen erzählen. „Die Marxsche Definition von Glück besagt, Glück bedeute, sich nach seinen Fähigkeiten zu verbrauchen.“ Das ist ein weiter Weg zu Kleist, zu Goethe oder Schiller. Doch Petras ist es gewohnt, ständig in Bewegung zu sein. »Genauso wie Kleist bin ich in meinem Leben an sehr vielen Orten und sehr vielen Stationen gewesen, und die Biografie, zumindest die typografische, ist wie ein Zickzackkurs – wie das Hakenschlagen eines Hasen.« In der Tat: Regie-Studium in Berlin, danach Frankfurt, München, Chemnitz, Magdeburg, Leipzig, Mannheim, Hannover, Hamburg, Berlin, jetzt Stuttgart. Das passt zu ihm, er ist drahtig, wirkt fit und agil, deutlich jünger als die knapp 50, die auf dem Papier stehen. Heinrich von Kleist kam übrigens nicht zufällig zu ihm. Er ist ihm auf den Kopf gefallen – im wahrsten Sinne des Wortes. Mit elf, aus dem Bücherregal seines Vaters. Die Folge war das Kleist-Festival am Gorki, ein weiteres Mammutprojekt, das in eine regelrechte Kleist-Überforderung mündete. Langweilig wird es unter Petras nie. Dafür hat er immer noch viel zu viel vor, ist beinahe dankbar über seine mindestens zwölf Stunden Arbeitszeit pro Tag. Die Schlagzahl jedoch soll eine andere werden. Das ist allein schon der Größe des Hauses geschuldet; das Gorki war deutlich kleiner, wendiger. Aus seiner heutigen Sicht inszenierte er in Berlin aber sogar zu viel, verlor vielleicht auch den roten Faden manchmal aus den Augen. Probieren geht eben über studieren, alles ist ein Lernprozess. Und ein Abenteuer ist Theater für ihn sowieso – eins, das zudem Lebensfreude geben soll. Da kann man durchaus mal riskieren, dass was danebengeht. Ja, Petras erwartet das sogar. »Mein Denken ist so stark von meinen Instinkten bestimmt, dass ich gar keine Möglichkeit habe, anders zu handeln«, beschreibt er seine Herangehensweise an neue Stoffe, von denen er jetzt 32 in die neue Stuttgarter Spielzeit bringt. »Das ist ein Abtasten, wobei ich ganz klar sagen muss, dass jedes einzelne der 32 Stücke genauestens durchdacht wurde. Ob es funktioniert, ist aber eine ganz andere Sache.« Noch weiß er nicht, wie sein Stil hier ankommen wird. Aber genau so mag er es. Es gibt ja immer ein 20 Das Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014 Morgen, ein weiteres Stück, eine weitere Möglichkeit. Jetzt eben nicht mehr in Berlin, sondern in Stuttgart. Also die Stadt, über die er schon in Berlin gesagt hat, dass es ohne sie kein Berliner Theater gäbe. Gemeint hat er damit zwar ganz Baden-Württemberg und den Länderfinanzausgleich, aber dennoch ... Es gibt ja immer ein Morgen, ein weiteres Stück, eine weitere Möglichkeit. Für ihn gilt die alte Maxime: Wann, wenn nicht jetzt? Veränderungen sind besonders gut zu Beginn einer neuen Intendanz möglich. Das hat Petras in Berlin bewiesen. Und das will er in Stuttgart wieder tun. Das atemlos hohe Tempo seiner bisherigen Inszenierungen war für ihn nie Mittel zum Zweck, war schlichtweg ein Ventil für seine Ideen. Und Petras hat eben mehr Ideen als andere. Das gilt auch in seiner ersten Spielzeit in Stuttgart. Er will das Theater jünger, volksnaher, menschlicher machen. Für ihn muss Theater lebendig sein, muss als »Verdichtung des täglichen Lebens« Realität abbilden ohne zu nah an selbiger zu sein. Außerdem ist er mit seinem neuen, teils aus Berlin mitgebrachten Ensemble auf Spurensuche in der Stadt – auf und abseits der Bühne. Er inszeniert Filmstoffe wie Fräulein Smillas Gespür für den Schnee, lässt die Schauspieler beim Autostück. Belgrader Hund durch Stuttgarts Nacht fahren, zeigt Bergmans Szenen einer Ehe, aber auch Klassiker wie Die Räuber, Effi Briest oder Urgötz. Insgesamt kommt er dennoch mit »nur« 32 neuen Stücken um die Ecke. Doch der gebürtige Sauerländer ist nicht hier, um neue Rekorde aufzustellen. Er will in Stuttgart eine »legendäre Theaterzeit« schaffen, hat dafür neben Teilen seines Ensembles auch sein Motto »Spurensuche« von Berlin mit nach Stuttgart genommen. Dabei ist Petras nicht nur ein Spurensucher, sondern auch ein Spurenleser. Also begibt er sich in der Fremde auf die Pirsch, spürt beispielsweise dem Stuttgarter Wilhelm Hauff hinterher, schaut sich ganz genau an, was und wer hier Spuren hinterlassen hat und setzt sich damit auseinander. Ost und West wird hier weniger eine Rolle spielen als noch am Gorki, gesellschaftliche Umbrüche und Soziales wird Stuttgart aber dennoch von ihm serviert bekommen. „Gutes Theater ist das, was mich nicht in Ruhe lässt.“ Weshalb sein Abschied in Berlin so betrauert wurde, macht seine Arbeitsweise deutlich. »Ich habe versucht, im Gorki-Theater auf den Proben und Versammlungen für alle Beteiligten und Künstler einen angstfreien Raum zu schaffen. Ich glaube, jeder, der mal beim Theater war, weiß, dass dies sich zwar nach sehr wenig anhört, aber eine ganze Menge bedeutet.« Vielleicht war das ja der Grund, weshalb ihn die Fachzeitschrift »Theater heute« mit einigen anderen Kandidaten zum obersten Repräsentanten der Kunstwelt vorschlug, eine Art Gegenstück zum Bundespräsidenten. Das passt, immerhin war Petras im Namen des deutschen Theaters schon in China unterwegs. Er macht Theater getreu seinem Leitspruch »Gutes Theater ist das, was mich nicht in Ruhe lässt«. Er muss immer unterwegs sein, Spuren lesen, »was daraus machen« und so selbst Spuren hinterlassen. Ein Abenteuer wird die Zeit mit ihm ganz gewiss. Der private Petras Ihre Lieblingskneipe? Zum Becher Ihre bevorzugte Fortbewegungsmethode in der Stadt? Mit dem Fahrrad Bilder oben Das neueste Stück seines »Freundes Fritz Kater« hat Armin Petras zur Eröffnung seiner Intendanz mit 5 morgen uraufgeführt (im Foto oben: Hanna Plaß). Daneben weiß er jedoch auch klassische Stoffe zu schätzen wie z.B. Dürrenmatts Das Versprechen (im Foto Mitte: Peter Kurth, Fritzi Haberlandt und Anja Schneider) oder Leben des Galilei von Bertolt Brecht (im Foto unten: Peter Kurth in der Titelrolle u.a.) Großes Bild links Armin Petras auf dem ersten Schauspiel-StuttgartFahrrad, ein Gemeinschaftsprodukt mit Fahrräder für Afrika e.V. Die Versteigerung findet am 8. Dezember um 16:30 Uhr im Foyer Schauspielhaus statt. (Fotos: Bettina Stöß, Matthias Horn, Robert Seidel) Ihr Leibgericht? Tintenfisch-Feldsalat Ihre bevorzugte Biermarke? Detmolder Schwarzbier Wo können Sie am besten entspannen? Beim Schwimmen Ihre Lieblingsstadt? Havanna Ihr Lieblingstheaterstück? Othello Ihr Lieblingsmusiker? Muddy Waters Ihr Lieblingsbuch? Malcolm Lowry »Unter dem Vulkan« 21 09. Armin Petras auf Schwarzwald-Reise 09. Die Suche nach dem Glück Es bleibt abzuwarten, ob sein Umzug von Berlin nach Stuttgart einen Kulturschock nach sich ziehen wird. Bislang sei das nicht der Fall gewesen, meint Petras, ist sich aber der Unterschiede deutlich bewusst. Dort das quirlige, schnelle, laute, aggressive Berlin, hier das ruhige, beschauliche, grüne, gewiss auch brave Stuttgart. Der neue Intendant ist ein Fremder in diesen Gegenden, ein Neuankömmling, der sich nun auf die Spuren ihrer Historie macht und dabei unweigerlich seine eigenen Spuren im Theatersand hinterlassen wird. Eine reizvolle Dynamik, für die es allerdings gilt, Probebühnen und Büros zu verlassen. »Ich stürze mich nicht nur in Sekundärliteratur, sondern bevorzuge, wie man hier auf diesem Tisch sieht, vor allem den Kontakt mit dem Stoff«, spricht Armin Petras und deutet auf seine Mitbringsel aus dem Schwarzwald. Zweige, Beeren, ein großer Pilz. Er will einen Stoff Was ist das eigentlich für eine nicht nur erlesen, sondern erfahren, mit allen Sinnen kosten. Geschichte, die in diesem Dazu gehört es für ihn, die Remystischen, romantischen gion kennen zu lernen, mit eigenen Augen, Ohren, Händen und Schwarzwald spielt? Füßen, aber auch mit der eigenen Nase zu erfassen. »Ich würde für Antigone nicht unbedingt nach Griechenland fahren, versuche aber dennoch, ein Gefühl für die Materie zu bekommen. Es muss ja irgendetwas geben, was mich interessiert, was mich reizt an diesem Stoff, sonst würde ich ihn ja nicht inszenieren. Für Fräulein Smillas Gespür für Schnee bin ich nach Dänemark gefahren und habe mir dort das Inuit-Museum angeschaut. Für ein Stück über Bitterfeld fahre ich dort natürlich auch hin. Ich bin ein großer Freund der LiveRecherche – und beim ›kalten Herz‹ ist es, dass die Vormoderne in einem Stoff anklingt, der ja eigentlich ›nur‹ ein Märchen ist.« Das hat den neuen Intendanten überrascht, sein Interesse war geweckt. Was ist das eigentlich für eine Geschichte, die in diesem mystischen, romantischen Schwarzwald spielt? Die Auseinandersetzung begann. »Ich merkte schnell, dass das Verhältnis zu Geld in dieser Region, die ja sehr reich ist, ein ganz anderes ist als jenes, das ich beispielsweise aus Berlin kenne. Ich glaube in der Tat, dass die Zeit des Frühkapitalismus, die in diesem Text herausgeahnt wird, für diese Region eine sehr wichtige Zeit war.« Sobald sich Petras einigermaßen in Hauffs Geburtsort und letzte Ruhestätte Stuttgart eingelebt hatte, ging es hinaus für ihn in den Schwarzwald, hinaus auf eine dreitägige Spurensuche. »Eine solche Reise wirkt eher unterbewusst«, bemerkt er. »Die Textfassung zu einem Stück entsteht bei mir meist viel früher, diese Reisen dienen dann der Feinarbeit. Wie sieht es da überhaupt aus? Wie fühlt es sich an? Welche Farben sind die vorherrschenden? Wie laufen die Menschen? Wie ist die Gesellschaftsstruktur? All diese Eindrücke geben Futter für die Arbeit mit den Schauspielern.« Diesmal war der Text noch nicht fertig, als sich Petras zur Live-Recherche aufmachte. Ein ungewöhnlicher Umstand für den Regisseur, aber nichts, was ihm schlaflose Nächte bereitet. Anfang Dezember starten die Proben, bis dahin muss Petras den Text fertig haben. Dass all jene Eindrücke seiner Reise bereits jetzt in den Text einfließen, ist gewiss alles andere als von Nachteil. Zumal der rastlose Regie-Sprinter aus den dunklen Wäldern dieser Region viel mitnehmen konnte. »Diese Tage waren ein neues Erlebnis. Ich war mit meiner Tochter unterwegs, und Das kalte Herz könnte der erste Stoff werden, den sie auch auf der Bühne sehen wird. 22 Sie ist acht Jahre alt, und aus ihrem Blick war sofort klar, was spannend, erstaunlich und neu war. Wir waren zum Beispiel in einem wunderschönen Flößermuseum, was für sie wie auch für mich überaus aufregend war. Ich habe den Blick durch ihre Augen auf dieser Reise sehr genossen.« Aller Interpretation zum Trotz ist und bleibt Das kalte Herz eben ein Märchen – ein Märchen, das durch einen Ausflug in den Schwarzwald mit seiner Kultur, Vergangenheit und Tradition sofort sehr viel greifbarer wird. Petras blickt auf die Route zurück: »Wir waren in Horb, Freudenstadt, Baiersbronn und in Lahr, fuhren dann wieder nach Stuttgart zurück. Wir waren drei Tage unterwegs, und immer wieder habe ich Gegenden gesehen, die sich die letzten 200 Jahre nicht verändert haben. Außerdem gibt es im Schwarzwald „Wir waren drei Tage im Schwarzan jeder Ecke ein Wirtshaus. Und auch das ist hochintewald unterwegs, und immer ressant für Das kalte Herz, wieder habe ich Gegenden gesehen, denn dieses Märchen ist ja die sich in den letzten 200 Jahren eingebettet in Hauffs Das Wirtshaus im Spessart. Ich nicht verändert haben.“ glaube, dass das nicht nur an der dichteren Besiedelung, sondern auch daran liegt, dass die Menschen hier geselliger sind als beispielsweise in Norddeutschland. Meine Tochter war außerdem total erstaunt, wie oft im Schwarzwald ein ›toter Jesus‹ hängt. All diese Beobachtungen sind immens wichtig für die psychosoziale Gestaltung der Figuren.« Diese Religiosität, oder zumindest der traditionsbedingte Bezug auf selbige, findet sich ebenfalls in Hauffs Märchen wieder. Der KohlenmunkPeter strebt so sehr nach Reichtum und Ansehen, dass er dafür sogar den sprichwörtlichen Pakt mit dem Teufel eingeht. Faust lässt grüßen. Armin Petras geht jedoch nicht davon aus, dass Hauff die Geschichte aufgrund des in dieser Gegend deutlich ausgeprägten Sinns „Hauff ist deutschlandweit ein für religiöse Symbolik im unterschätzter Autor.“ Schwarzwald angesiedelt hat. Wohl eher deswegen, weil er selbst dort gelebt und diese Region am besten gekannt hat. »Jeder Schriftsteller benutzt gerne Stoffe, die einem sehr nahe sind. Das merkt man dem ›kalten Herz‹ an, und deswegen ist es meiner Meinung nach sein bester Titel – weil er sehr präzise beobachtet und nicht von irgendwelchen Kalifen erzählt, die er gar nicht kennt.« Im Gespräch merkt man schnell, dass sich Armin Petras und Wilhelm Hauff nähergekommen sind. »Das fing aber schon vor der Reise an – mit dem Aufspüren Hauffs in Stuttgart, mit dem Lesen seiner Texte und der entsprechenden Sekundärliteratur, mit seiner Biografie.« Auffällig ist für ihn daran vor allem eines: »In der Region, und insbesondere im Schwarzwald ist das natürlich etwas ganz anderes, aber Hauff ist deutschlandweit ein unterschätzter Autor.« Schön, dass sich Armin Petras nicht davon abhalten lässt. Auf den Spuren Wilhelm Hauffs Wilhelm Hauff wurde nur 25 Jahre alt. 1802 in Stuttgart geboren, starb er 1827 ebenda, liegt auf Stuttgarts vielleicht schönstem Friedhof, dem Hoppenlau-Friedhof, begraben. Hauff studierte an der Tübinger Universität Theologie. Er reiste durch Frankreich und Norddeutschland, war eine Zeitlang auch in Baiersbronn ansässig. Mit »Lichtenstein« begründete Hauff 1826 den historischen Roman in Deutschland, ist heute aber vor allem für seine Märchen bekannt: »Zwerg Nase«, »Kalif Storch«, »Der kleine Muck« und natürlich »Das kalte Herz«, um das es auf der nächsten Seite gehen wird. Dieser Stoff ist auch eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Leben im Schwarzwald, der dortigen Industrie und Gesellschaft in den Berufszweigen der Flößer, Köhler, Glasmacher und Holzhändler. „Schatzhauser im grünen Tannenwald, bist schon viel hundert Jahre alt, dir gehört all Land, wo Tannen stehn, lässt dich nur Sonntagskindern sehn.“ Wilhelm Hauff Das Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014 Foto: Julian Marbach »Wer durch Schwaben reist, der sollte nie vergessen, auch ein wenig in den Schwarzwald hineinzuschauen.« – In den Schwarzwald hineinzuschauen, das hat ARMIN PETRAS gemacht. Er hat die Aufforderung des großen Wilhelm Hauff wörtlich genommen und sich für die Vorbereitung seiner Premiere Das kalte Herz hineingewagt in den Schwarzwald. Eine Spurensuche, die voller Erkenntnisse über das kommende Stück, aber auch über seine neue Arbeitsstätte war. 23 10. Interview „Das kalte Herz“ 10. Die Leiden des jungen Peter Ein Märchen als erste große Neuinszenierung in Stuttgart – für Armin Petras völliges Neuland. Sich und sein Publikum ins kalte Wasser werfen, das macht der neue Intendant gerne. Und auch wenn Wilhelm Hauffs »Das kalte Herz« von 1827 eigentlich eher Bildungsroman und Gesellschaftskritik denn klassisches Märchen ist: Die Reise vom Schwarzwald zur Premiere am 22. Februar 2014 ist für ihn ein großes Abenteuer. Kein Zweifel: Seine Reise durch den Schwarzwald hat Petras sensibilisiert. Für das Stück, für Wilhelm Hauff, für die Region an sich. Ein Fremder in der Fremde, ein Spurensucher war er, hat sich aufgemacht, nicht das Fürchten, aber sicherlich die Gepflogenheiten jener Region zu lernen, die der junge Hauff im »kalten Herz« so wohlbeobachtet beschrieben hat. Mitgebracht hat Petras einige Zweige, einen kuriosen Pilz, jede Menge Fotos und zahllose Eindrücke aus Landstrichen, die nicht besser für jene »Spurensuche« geeignet sein könnten, die Petras und sein Ensemble über die neue Spielzeit gesetzt haben. Wie er daraus die Geschichte des verzweifelten Kohlenmunk-Peter erzählen wird, der für Reichtum und Ansehen sogar sein Herz durch einen Stein ersetzen will, weiß er selbst noch nicht so genau. Doch genau das ist das Spannende für ihn. ich noch nie in meinem Leben ein Märchen inszeniert. Noch nie! Für mich ist es eine Herausforderung, ob dieser Stoff überhaupt inszenierbar ist. Gleichermaßen ist Das kalte Herz mein Versuch zu zeigen, wie unser Theater mit euren Stoffen funktionieren kann – und ich wage zu behaupten, dass wir versuchen werden, dieses Märchen für Erwachsene interessant zu machen. Es wird generell eher als kindlicher Stoff aufgefasst, aber ist er das wirklich? Spurensuche heißt eben auch, Steine umzudrehen und zu schauen, was sich im Moos darunter befindet. Was ist anders als ich es eigentlich erwartet habe? Ich behaupte, dass diese Irritation der Grund war, weshalb man mich nach Stuttgart geholt hat – und diesem Bestreben muss ich treu bleiben, sonst erschaffe ich falsche Kunst. Ein Fremder inszeniert einen heimatgebundenen Stoff. Ist das kein Widerspruch? Genießen Sie diese Reise ins Ungewisse? Natürlich kann der Vorwurf kommen, dass ich so etwas doch gar nicht erzählen kann. Dazu fallen mir jedoch zwei Dinge ein: Erstens geht es mir um eine Geste, die für mich auch eine Verbeugung vor der Region ist. Wir zeigen echtes Interesse an den Menschen dieser Region in all ihrer Vielfalt und kulturellen Historie. Dass wir Spuren suchen, ist keine Behauptung. Wir versuchen es wirklich. Das will ich in meiner Arbeit beglaubigen, denn das ist die einzige Form der Beglaubigung. Jedes dahingehende Lippenbekenntnis würde ein solches bleiben. Zweitens glaube ich an die Distanz zu einem Stoff. Bedeutende Soziologen und Philosophen hatten, gerade weil sie als Juden oder Immigranten fremd waren in einer Gesellschaft, einen anderen Blick auf die Region. Ein fremder Mensch erkennt viel mehr von dem, was in der Suppe schwimmt, als ein Einheimischer. Das Theater ist dazu da, immer wieder neu zu interpretieren. Die Zeit verändert unser Leben schließlich. 2013 ist anders als 2003. Alles andere wäre tragisch. Ein Märchen als ihre große Premiere scheint dennoch ungewöhnlich. Wir machen vieles anders. Bei uns gibt es eben nicht dreimal Schiller und vor Weihnachten die »Weihnachtsgeschichte«. Wir machen andere Stoffe, zwischen denen es ungewöhnliche Verknüpfungen gibt. Außerdem habe Ich kann gar nicht anders. Ich würde komplett versagen, wenn ich genau das machen würde, was ich letztes Jahr gemacht habe. Natürlich benötige ich eine Grundsicherheit im Denken, doch bei allem anderen gilt es, sich jeden Tag neu zu erfinden. Und wie erfindet man ein Märchen neu? Ich finde das Märchen hochemotional, will im Stück deswegen vermehrt mit Tanz und Musik arbeiten. Sie deuteten schon an, dass da auch eine Faust-Geschichte drinsteckt, es schimmert aber auch ein Bildungsroman daraus hervor. Für mich sind es die neuen »Leiden des Werther«. Ein junger Mann verzweifelt, steht kurz vor seinem Selbstmord und geht einen Pakt ein. Kann man dann noch glücklich werden? Und wie sieht Glück überhaupt aus? Das ist auch in unserer heutigen Gesellschaft eine wichtige Frage. Erst neulich las ich, dass der Hauptberufswunsch 17-jähriger Mädchen »Promi« ist. Wie wird man überhaupt »Promi«? In meiner Generation wäre das noch unmöglich gewesen, denn damals wusste niemand, was ein »Promi« ist. Der Anspruch, im Zentrum der Welt zu stehen, ist ein spannender Punkt für die Gegenwart. Wird auch der von Hauff angedeutete Frühkapitalismus einer ihrer Ansätze? »Wo kommt denn das her, was wir heute vorfinden?« Mit dem Blick des Fremden neue Dinge sehen: Armin Petras auf Spurensuche im Schwarzwald. (Fotos: Maleen Kugelmann, Julian Marbach) Für mich als Regisseur ist dieses Thema ein zentraler Punkt der nächsten zwei, drei Jahre meiner Arbeit. Ich finde es unglaublich spannend, zu schauen, zu forschen, zu recherchieren. Wo kommt denn das her, was wir jetzt vorfinden? Zumal wir in Stuttgart ein äußerst unausgeprägtes Utopiepotential haben. Extrem wenige Dinge sind hier wirklich neu und im Umbruch. Strukturell ist das hier eine erstaunlich durchorganisierte Gesellschaft. Ich frage mich, wie das gekommen ist, ob das schon immer so war und ob man daran noch etwas ändern kann. Ich finde es erstaunlich, dass eine Problematik wie Stuttgart 21 nach all den Jahren immer noch solch ein Thema ist. Und das wegen nur einer Baustelle! Auch erstaunlich ist, dass die Gesellschaft noch immer unter dem leidet, was Hauff beschreibt. Das gilt es jetzt zu inszenieren, und ich bin gespannt darauf, ob die Zuschauer diese Parallelen entdecken. Ich glaube, dass wir ein relativ historisches Outfit für das Stück wählen werden, um die zeitlose Relevanz nicht mit dem Holzhammer einzuprügeln. Bleiben dem Zuschauer diese Vorgänge verborgen? Wie reagiert er darauf? Der Stoff wurde oft interpretiert, verfilmt, dramatisiert. Auch 1950 von der DEFA ... tion der weiblichen Hauptfigur Lisbeth, wie es sie im Film gab, wird eine herausragende Rolle spielen. Was beeindruckt sie denn eigentlich an Hauff? Hauff pflegt eine unglaublich sinnliche Sprache. Er spricht von »Hüten so groß wie Wagenräder«. Das ist ganz sinnlich, ganz praktisch, direkt aus dem Alltag. Das ist keine metaphorische Sprache, die sich ein Lyriker oder Autor zurechtgelegt hat, sondern eine Lebenswirklichkeit. Und wenn man bedenkt, dass zur Hauff’schen Zeit noch Gold gewaschen wurde, wenn man sich die Lithografien der damaligen Zeit anschaut, in denen Frauen mit ihren kleinen Kindern an der Brust in einer Uhrenwerkstatt gearbeitet haben, merkt man, dass es sich hier um eine homogene Gesellschaft handelt. Das bedeutet nicht, dass es keine Probleme gab. Arm und reich gab es im Schwarzwald schon immer. Das treibt auch den armen Peter Munk zu seiner Verzweiflungstat: Er geht einen Pakt ein und sein Herz wird zu Stein, weil er so sehr danach strebt, reich und besonders, jemand anderes zu sein. Ein klassisches Problem, denn ist nicht jeder von uns irgendwann mal ein Peter Munk? Als junger Mann war das wohl jeder schon mal, aber auch als junge Frau. Die Grenze zum Erwachsenwerden ist der spannendste Punkt im Leben eines jeden Menschen. Was werde ich? Wohin wird es mich führen? Es ist das große Ungewisse. Gespräch und Text: Björn Springorum Das kalte Herz nach der Erzählung von Wilhelm Hauff Regie: Armin Petras; Bühne: Olaf Altmann; Kostüme: Katja Strohschneider; Choreografie: Berit Jentzsch; Musik: Miles Perkin, Dramaturgie: Jan Hein; Mit: Berit Jentzsch, Johann Jürgens, Caroline Junghanns, Manja Kuhl, Wolfgang Michalek, Rahel Ohm, Miles Perkin, Christian Schneeweiß Premiere: 22. Februar 2014 // 19:30 Uhr // Schauspielhaus Stuttgart × Blicke: Schwarzwälder Dorfgeschichten von Berthold Auerbach Werfen Sie mit uns einen Blick in die Geschichte des Schwarzwalds. Zu Lebzeiten galt der 1812 in Nordstetten geborene Berthold Auerbach als einer der führenden deutschen Schriftsteller. Weltautoren wie Honoré de Balzac, Lew Tolstoi und Mark Twain lasen ihn voller Bewunderung. Die erste Sammlung seiner »Schwarzwälder Dorfgeschichten«, 1843 in Mannheim erschienen, war, wie Gustav Freytag feststellte, »für Deutschland ein literarisches Ereigniß«. Sein Buch wurde als demonstrative Abkehr von der Romantik gelesen, seine Erzählungen galten als Beispiele für einen noch ungewohnten Realismus, der das Landleben zu Beginn des 19. Jahrhunderts ebenso thematisierte wie die Industrialisierung, den Eisenbahnbau, die Hungersnot des Jahres 1816, die Kriege und den Aufbruch zur Demokratie. Lesung: 11. Februar 2014 // 19:30 Uhr // Foyer Schauspielhaus Mit: Katharina Knap und Elmar Roloff Eintritt frei! Der DEFA-Film ist eine große Inspirationsquelle für das Stück und wird in Teilen auch in die Handlung einfließen. Die wichtige Funk24 Das Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014 25 Plus 10 Fragen an ... O R U M A M S C H L O S S PA R K Jan Andrae, Pförtner an den Staatstheatern Stuttgart „Informationsstelle und Psychologe zugleich“ MI 18. Dezember 2013 SA 25. Januar 2014 SA 22. Februar 2014 Dan Ettinger Nationaltheater-Orchester Mannheim Thomas Hampson Amsterdam Sinfonietta Thomas Hengelbrock Balthasar-Neumann-Ensemble Arnold Schönberg Verklärte Nacht op. 4 Johannes Brahms Vier ernste Gesänge op. 121 Samuel Barber Dover Beach op. 3 Hugo Wolf Italienische Serenade »Fußreise« | »Auf einer Wanderung« | »Der Rattenfänger« Franz Schubert »An die Leier« | »Memnon« Johann Sebastian Bach Orchestersuite Nr. 4 D-Dur BWV 1069 Georg Philipp Telemann Concerto D-Dur TWV 54:D3 Georg Friedrich Händel »Armida e Rinaldo« – Opernpasticcio Kate Lindsey, Sopran Steve Davislim, Tenor Nikolaj Rimskij-Korsakow Scheherazade op. 35 Pjotr Iljitsch Tschaikowskij Sinfonie Nr. 4 f-Moll op. 36 Jan Andrae an seinem Arbeitsplatz an der Pforte (Foto: Stuttgarter Ballett) 01 Seit wann arbeiten Sie an den Württembergischen Staatstheatern? Seit dem 1. September 1993. 02 Was macht man eigentlich als Pförtner? Ich sitze in der Pförtnerloge am Bühneneingang und achte darauf, welche Personen ins Haus gehen. »Diejenigen, die alle Mitarbeiter des Theaters kennen müssen, sind der Pförtner und der Intendant«, heißt es. Nur Mitarbeiter der Staatstheater haben freien Zutritt, Gäste müssen sich bei mir anmelden. Das hat Sicherheitsgründe: Wenn zum Beispiel ein Brand ausbrechen sollte, muss ich der Feuerwehr darüber Auskunft geben, wer sich noch im Haus befindet. Wenn ich Nachtschicht habe, mache ich außerdem einen Rundgang, laufe durch die Werkstätten, über die Bühne und durch die Gänge, um zu schauen, ob alles in Ordnung ist. Außerdem bin ich Informationsstelle und eine Art Psychologe zugleich. Viele Gäste und Anrufer bitten mich um Auskunft und für die Mitarbeiter bin ich die erste und die letzte Person, die sie an ihrem Arbeitstag sehen: Ich bin gerne da, wenn sie von ihrem Arbeitstag berichten möchten, egal, ob sie sich ärgern oder freuen. 03 04 07 Wie wird man Pförtner? Auf ganz unterschiedlichen Wegen. Ich zum Beispiel war ursprünglich Bühnentechniker. Als durch einen Unfall meine Wirbelsäule verletzt wurde, bin ich zur Pforte gekommen. Das war 1999. 05 Warum und wie kamen Sie ans Theater? Mein Vater hat 48 Jahre lang als Opernsänger auf der Bühne gestanden. Da war mir die Theaterliebe natürlich in die Wiege gelegt. Mich hat schon immer die Arbeit hinter den Kulissen interessiert, deshalb bin ich Bühnentechniker geworden. Das war in Döbeln, in meiner sächsischen Heimat. Übrigens habe ich trotzdem einige Male gemeinsam mit meinem Vater auf der Bühne gestanden: In Döbeln wurden wir Bühnenarbeiter nämlich als Statisten eingespannt. 06 Das schönste oder vergnüglichste Erlebnis? Davon gibt es viele. Das schönste ist für mich, dass ich hier im Laufe der Jahre so viele große Künstler begleitet habe – sei es Jonas Kaufmann oder Marcia Haydée. Ich kenne sie, sie kennen mich, und wenn sie nach Jahren einmal wieder ins Haus kommen, gibt es stets eine herzliche Begrüßung. Darüber freue ich mich. 08 Wie viele Pförtner gibt es an den Württembergischen Staatstheatern? 09 10 Das wünsche ich mir: Dass ich weiterhin ein so wunderbares Verhältnis zu allen Kollegen habe, von den Bühnentechnikern bis zu den Intendanten. Insgesamt 18, zwei davon sind Damen. beim Staatstheater Stuttgart för de rv e r e i n de r sta atst h e at e r st u t tg a rt e .v. P Landesbibliothek Konrad-Adenauer-Straße 10, 70173 Stuttgart SPITZENKUNST FÖRDERN – EXKLUSIVE VORTEILE GENIESSEN fach 10 43 45, 70038 Stuttgart. Hauptsponsor des Stuttgarter Balletts P Staatsgalerie 420 Plätze - Durchgehend geöffnet - Konrad-Adenauer-Straße 32, 70173 Stuttgart 123 Plätze Förderer des Stuttgarter Balletts Partner der Oper Stuttgart - Durchgehend geöffnet - jede angefangene ½ Stunde 1€ Tageshöchstsatz Die Stuttgarter Staatstheater bieten Oper, Ballett und Schauspiel auf höchstem Niveau. Private Förderung trägt dazu bei, dieses herausragende und umfassende Kulturprogramm aufrechtzuerhalten. 12 € Das Engagement des Fördervereins der Staatstheater Stuttgart reicht von der Unterstützung von Theaterprojekten an Schulen, der Finanzierung von Stipendien bis hin zur Förderung besonders wichtiger Produktionen. jede angefangene ½ Stunde 1€ Tageshöchstsatz 12 € Flanier-Pauschale Mo - Sa 15 - 6 Uhr max. 5€ Flanier-Pauschale Mo - Sa 15 - 6 Uhr max. 5€ Abend-Pauschale max. 4€ Abend-Pauschale max. 4€ max. 4€ Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr max. 4€ Mo - Sa 18 - 6 Uhr Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr Mo - Sa 18 - 6 Uhr Dauerparkberechtigung pro Monat inkl. USt. 115,61 €. Dauerparkberechtigung pro Monat inkl. USt. 115,61 €. P Landtag P Haus der Geschichte Konrad-Adenauer-Straße 3, 70173 Stuttgart 175 Plätze Konrad-Adenauer-Straße 3, 70173 Stuttgart 59 Plätze Als Mitglied oder Stifter sind Sie bei uns in bester Gesellschaft. Erleben Sie Theater hautnah – bei Proben, Sonderveranstaltungen und exklusiven Gesprächen mit den Künstlern der Staatstheater. Wir informieren Sie gerne: för derv er ei n der sta atsth e ater st u t tga rt e.v. Impressum: Herausgeber Die Staatstheater Stuttgart // Geschäftsführender Intendant Marc-Oliver Hendriks // Intendant Oper Stuttgart Jossi Wieler // Intendant Stuttgarter Ballett Reid Anderson // Intendant Schauspiel Stuttgart Armin Petras // Redaktion Oper Stuttgart: Sara Hörr, Claudia Eich-Parkin Stuttgarter Ballett: Vivien Arnold, Kristina Scharmacher Schauspiel Stuttgart: Meike Giebeler, Jan Hein, Rebecca Rasem // Gestaltung Anja Haas // Gestaltungskonzept Bureau Johannes Erler // Druck Bechtle Druck&Service // Titelseite Auf der Bühne des ShanghaiGrand-Theatre beim China-Gastspiel des Stuttgarter Balletts im November 2012. Foto: Roman Novitzky Redaktionsschluss 20. November 2013 // Hausanschrift Die Staatstheater Stuttgart, Oberer Schlossgarten 6, 70173 Stuttgart / Post- in der Kulturmeile Auch da gibt es einige. Zum Beispiel Lucia di Lammermoor in der Oper, Dornröschen im Ballett und Platonow im Schauspiel. ... eine Berufung. Der große Ball im Jahr 2002 [Anm. d. Red.: Veranstaltet zum 50-jährigen Jubiläum des Landes Baden-Württemberg von Oper Stuttgart und Stuttgarter Ballett]. Damals mussten die Zugangskontrollen besonders streng sein, bei all der Prominenz ... P Meine Lieblingsinszenierung …? Theater ist für mich… Was war bisher Ihre größte Herausforderung? Karten: (07141) 910-3900 | www.forum.ludwigsburg.de - Durchgehend geöffnet - - Durchgehend geöffnet jede angefangene ½ Stunde Am Hauptbahnhof 2, 70173 Stuttgart Telefon 0711.12 43 41 35 Telefax 0711.12 74 60 93 [email protected] www.foerderverein-staatstheater-stgt.de IBAN: DE66 6005 0101 0002 4130 04 BIC: SOLADEST Tageshöchstsatz Abend-Pauschale Mo - Sa 18 - 6 Uhr Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr 1€ jede angefangene ½ Stunde 12 € Tageshöchstsatz 4€ Abend-Pauschale 4€ Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr 1€ 12 € Mo - Sa 18 - 6 Uhr 4€ 4€ Ihr Partner rund ums Parken Huberstr. 3 · 70174 Stuttgart · [email protected] Parkraumgesellschaft Baden-Württemberg mbH Tel.: 0711/89255-0 · Fax: -599 · www.pbw.de 26 FFS13_3913_AZ_Journal_Oktober_2013_139,5x201mm_BEL_131022.indd 1 22.10.13 16:28 Mehr unter www.porsche.de oder www.facebook.com/porschekarriere Attitude. Cabriole. En face. Hier die schwäbische Übersetzung. Porsche freut sich über die bravouröse Partnerschaft mit dem Stuttgarter Ballett. Kraftstoffverbrauch (in l/100 km) innerorts 18,9–11,2 · außerorts 8,9–6,5 · kombiniert 12,4–8,2; CO2-Emissionen 289–194 g/km