Das Journal - Oper Stuttgart

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Das Journal
Nr. 10 // Dezember 2013, Januar und Februar 2014
Die Staatstheater Stuttgart // Dezember 2013, Januar und Februar 2014 // Nr. 10
Das Journal
Inhalt
Vorwort
Das Journal
Dezember 2013 / Januar & Februar 2014
Vorbereitungen für Die Kameliendame auf der Bühne des
Shanghai-Grand-Theatre beim China-Gastspiel des
Stuttgarter Balletts im November 2012: Nikolay Godunov,
Mariya Batman, Axel Schob und Tamas Detrich.
(Foto: Roman Novitzky)
01. Ein ganz normaler Mittwoch
// SEITE 4
Der Alltag am größten Dreispartentheater Europas
02. Simon Hewett // SEITE 8
Der neue Erste Kapellmeister der Oper Stuttgart
03. Marcos World
// SEITE 10
Hauschoreograph Goecke über die Bretter, die ihm die Welt bedeuten
04. Flugziel: Nimmerland // SEITE 12
Uraufführung »Peter Pan« – eine Oper für die ganze Familie
05. Mit eigenen Worten // SEITE 14
Brent Parolin mit Pascal Wagner in der Maske (Foto: Roman Novitzky)
Neue Erste Solisten: Elisa Badenes und Daniel Camargo
06. „Ein metaphysischer Roadtrip“ // SEITE 16
Uraufführung »wunderzaichen« von Mark Andre
07. Krabat – ein Gesamtkunstwerk // SEITE 18
Der Publikumsliebling kehrt zurück
08. Auf der Suche // SEITE 20
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
liebes Publikum der Staatstheater Stuttgart!
Wieder einmal möchten wir Sie mit unserem Journal hinter die
Kulissen der Staatstheater Stuttgart blicken lassen. Diesmal
können Sie einen Sänger, eine Tänzerin und einen Schauspieler durch den Probenalltag begleiten, den neuen Ersten Kapellmeister der Oper Stuttgart, Simon Hewett kennenlernen und
über ein Flugtraining des »fliegenden Sängers« Iestyn Morris,
der die Titelpartie in Peter Pan singt, staunen. Für die Uraufführung wunderzaichen begeben Sie sich mit dem Komponisten Mark Andre auf Klangspurensuche – es geht in die Wüste!
Marco Goecke, Hauschoreograph des Stuttgarter Balletts, reflektiert über Themen, die ihn bewegen, und gibt Einblicke in
Marcos World. Außerdem berichten die neuen Ersten Solisten
des Stuttgarter Balletts, Elisa Badenes und Daniel Camargo,
über ihre Liebe zum Tanz. Zu sehen sind beide u. a. in Krabat,
diesem Publikumsrenner, der ab Januar wieder auf dem Spielplan steht. Der neue Intendant des Schauspiel Stuttgart, Armin
Petras, bereitet sich auf seine erste Premiere im Schauspielhaus
vor: Das kalte Herz von Wilhelm Hauff. Hier erfahren Sie mehr
über Petras persönlich, über seine Gedanken zum Stück und
unternehmen eine Reise in den Schwarzwald.
Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre und viele
anregende Theatererlebnisse!
Die Staatstheater Stuttgart
Porträt Armin Petras, neuer Intendant des Schauspiel Stuttgart
09. Die Suche nach dem Glück // SEITE 22
Auf den Spuren Wilhelm Hauffs durch den Schwarzwald
10. Die Leiden des jungen Peter // SEITE 24
Interview mit Armin Petras zu seiner Neuinszenierung »Das kalte Herz«
Plus 10 Fragen an … // SEITE 26
Jan Andrae, Pförtner an den Staatstheatern Stuttgart
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Karten und Informationen 0711.20 20 90 // www.staatstheater-stuttgart.de
01. Ein ganz normaler Mittwoch
Der Alltag am größten Dreispartentheater Europas
Wolfgang Michalek, Schauspiel Stuttgart
Wolfgang Michalek studierte Schauspiel am Wiener Konservatorium.
Er hatte unter anderem Engagements am Schauspielhaus Wien, dem
Theater in der Josefstadt in Wien und dem Stadttheater Klagenfurt.
Von 2000 bis 2009 war er am Schauspiel Hannover engagiert. Seit der
Spielzeit 2009/2010 gehörte er zum Ensemble des Staatsschauspiels
Dresden und ist seit der Spielzeit 2013/2014 im Ensemble des Schauspiel
Stuttgart. Er war bereits in Inszenierungen von Johann Kresnik, Christina Paulhofer, Peter Kastenmüller, Nicolas Stemann, Lars-Ole Walburg,
Sebastian Baumgarten, Matthias Hartmann, Stefan Bachmann,
Sebastian Nübling und Armin Petras zu sehen. Für Urgötz arbeitete er
erstmalig mit dem Regisseur Simon Solberg.
Ingmar Volkmann im Gespräch mit dem Schauspieler Wolfgang Michalek
im oberen Foyer des Schauspielhauses. (Foto: Jasha Bhadra)
Morgens Urgötz,
mittags Othello,
abends Falstaff –
hinter den Kulissen
der Staatstheater
Als Schauspiel-Abonnent, als Ballettfan, als Operngänger bekommt man
meist nur große Kunst auf großer Bühne mit. Was aber passiert
vor den Premieren? Wie proben, üben, trainieren die Künstler der
Stuttgarter Staatstheater? Wie sieht der Alltag zwischen den Vorstellungen aus?
Eindrücke eines ganz gewöhnlichen Probentags.
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Wolfgang Michalek als Götz von Berlichingen in Simon Solbergs
Inszenierung des Urgötz von Johann Wolfgang von Goethe
(Fotos: Julian Röder)
Morgens: Urgötz
Es ist ein Mittwoch im Herbst, der sich als Spätsommer verkleidet hat. Kurz vor 9 Uhr morgens. Der Schauspieler Wolfgang Michalek sitzt kurz vor einer Urgötz-Probe, zehn Tage vor
der Premiere, zu einer Schauspieler-inkompatibel frühen Uhrzeit etwas verknittert im menschenleeren Foyer des Schauspiels an der Bar. Der Coffee-2-go im Pappbecher ist noch gar
nicht ganz leer, da ordert Michalek, der beim großen Schauspiel-Premieren-Reigen den Götz gibt, schon den nächsten
Cappuccino. Michalek hat Schauspiel am Wiener Konservatorium studiert, war anschließend neun Jahre am Schauspiel
Hannover engagiert und gehörte dann zum Ensemble des
Staatsschauspiels Dresden.
Das Abenteuer Stuttgart geht er wegen eines neuen Intendanten an den Staatstheatern Stuttgart ein: »Armin Petras ist
einer der drei, vier spannendsten Regisseure in Deutschland.
Er ist ein total obsessiver Regisseur, der mit großer Wucht, Leidenschaft und Seele in die Arbeit geht«, sagt Michalek in einer Klangfarbe, die auch nach 13 Jahren in Deutschland seine
Wiener Herkunft nicht verleugnen kann. Selbst derbe Ausdrücke wie »Scheiß der Hund drauf!« wirken in Michaleks feinem
Restwienerisch wie ein charmantes Kompliment.
»Die Probenzeit mit Armin Petras ist sehr humorvoll.
Manchmal hat das Theater eine Tendenz hin zum Verkrampften. Bei Petras nicht. Dabei legt er eine hohe Schlagzahl vor.
Man weiß immer: Da ist jemand, der sucht! Arbeiten mit ihm
hat Laborcharakter, man hinterfragt sich immer, warum machen wir Theater?«
Der Armin-Petras-Fan-Monolog will gar nicht abreißen.
Wolfgang Michalek erzählt, wie er sich unter Petras einmal einem Kleist-Stück nähern sollte. Statt zu schauspielern, sollten
die Darsteller tanzen, denn schauspielern könnten sie schließDas Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014
lich. Michalek: »Das ist ein optimaler Laborversuch: Man stellt
sich zur Verfügung, als Denkender, als Körper, und alles andere drumherum kann man ausschalten.«
Dass Wolfgang Michalek auf der Bühne sehr schnell alles
um sich herum ausblenden kann, zeigt er schließlich in der
Urgötz-Probe. Eben noch reflektierend beim zweiten Kaffee,
tobt er nun wie ein Berserker über die Bretter. Man sieht, dass
er vor seiner Theaterlaufbahn auch eine Karriere als Sportler
in Erwägung gezogen hatte. Als Fußballer spielte er einmal
gegen Rapid Wien und den genialen österreichischen Fußballer Andreas Herzog, der auf dem Feld immer etwas von einem
filigranen Theater-Regisseur hatte.
Im Urgötz hat Michalek im jungen Regisseur Simon Solberg
einen an Lässigkeit nicht zu überbietenden Partner. »Simon ist
zwölf Jahre jünger, er liest andere Literatur, hört andere Musik,
dieses Hip-Hop-Dingsbums, ist in allen Kampfsportarten zuhause, ein hochathletischer Typ, der keine Pausen braucht!«,
hatte Michalek noch kurz vor der Probe geflüstert.
Sitzt man hinter eben jenem jungen Regisseur im Schauspielhaus bei der Probe, fällt zuallererst der Geruch nach
Gummibärchen auf. Solberg – weite Armee-Hose, schwarzes
Biohazard-Shirt – trinkt einen Energy-Drink. Vor ihm steht ein
MacBook, im Ruhezustand zeigt der Rechner die Alben-Cover
von Cypress Hill, Method Man oder Nas an, alles Vertreter dieses Hip-Hop-Dingsbums’. Auf der Bühne steht ein Kreuz aus
Kühlschränken auf der linken Seite, ein umgekippter Strommast auf der rechten. Wolfgang Michalek macht derweil Dehnübungen in Bademantel und Stiefeln.
Simon Solberg befindet sich im Zwiegespräch mit mindestens zehn Menschen gleichzeitig. »Lass uns heute Nachmittag
alles auf den Drachen kleben, was geht«, sagt er zu einer Mitarbeiterin der Requisite. Nebenbei bedient er den Soundtrack
zum Urgötz, natürlich auf einer iTunes-Playlist. »Bitte nicht
zu albern spielen am Anfang«, weist er die Schauspieler an,
die sich in und um eine Badewanne gruppiert haben, die eigentlich ein Kühlschrank ist. Im nächsten Augenblick flüstert
er der Technik eine Anweisung zu: »Kannst du der Videoabteilung mal hochfunken, dass sie ein paar Effekte drauflegen
soll?« – »Video hat notiert«, lautet die Antwort, »das klappt
aber erst für die nächste Probe.«
Mittags: Othello
Die bekommen wir nicht mehr mit. Der Zeitplan ist straff.
Nächste Station in Europas größtem Dreispartenhaus: das
Ballett. Staunen beim Training: 25 schlanke Frauen stellen
unglaubliche Verrenkungen mit ihren Beinen an. Ist das noch
Aufwärmtraining oder sind das schon die Olympischen Spiele
in der Disziplin rhythmische Sportgymnastik?
Der Ballettmeister im Damentraining heißt an diesem
Vormittag Reid Anderson. Der Intendant bringt seine Tänzer
höchstpersönlich zum Schwitzen. Zum ersten Mal seit zwei
Jahren, schließlich hat Anderson Probleme mit seinem Rücken – fast vier Dekaden Ballett auf höchstem Niveau hält
kein Körper aus.
Dem großen Spiegel im Saal entgeht keine Ungenauigkeit,
der große Anderson verzeiht keine Ungenauigkeit. Hier korrigiert er sanft, dort bestimmt: »It’s easy if you do it correctly.«
Über Anderson und den beweglichen Körpern thront John
Cranko auf einer Schwarz-Weiß-Fotografie an der Wand, auf
der er aussieht wie der ältere Bruder von Steve McQueen.
Training ist der »Great Democratizer«: Egal ob Erster Solist,
der am Bolschoi gastiert, oder junger Eleve von der John Cranko Schule – beim Training ist jeder gleich. Unter den Tänzerinnen im grünen Top, der Gesichtsausdruck hochkonzentriert:
Angelina Zuccarini. Sie stammt aus Michigan und kam bereits
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01.
01.
Angelina Zuccarini, Solistin des
Stuttgarter Balletts im Ballettsaal
(Foto: Jasha Bhadra)
im Alter von 16 Jahren mit einem Stipendium an die John
Cranko Schule. Im durchgetakteten Alltag zwischen Training,
kurzem Mittagessen und Ballettprobe für den Othello nimmt
sie sich Zeit für ein kurzes Gespräch.
Zuccarini spricht ein fantastisches Deutsch mit weichem
amerikanischem Einschlag. »In der Compagnie ist Englisch
die Hauptsprache, auf der John Cranko Schule ist es aber
Deutsch. Da ich ein Mensch bin, der gerne redet, habe ich
schnell Deutsch gelernt, damit ich mich mit den anderen austauschen kann.«
Der Alltag einer Balletttänzerin ist anstrengend. Um herunterzukommen, kocht Zuccarini gerne. »Am liebsten Italienisch! Es ist nämlich gar nicht wahr, dass Tänzerinnen nichts
essen. Ich esse alles, was ich will. Wir bewegen uns aber eben
sehr viel und verbrennen daher besser.«
Elementar für alle Tänzerinnen: die Spitzenschuhe. »Wegen ihnen habe ich als Kind mit dem Tanzen angefangen!«
Während des Interviews bestätigt sich das Gerücht, dass alle
Tänzerinnen von ihrem Schuhwerk besessen sind. Angelina
Zuccarini bearbeitet ein neues Paar, daneben hat sie zwei ältere Paare ausgebreitet. »Es gibt härtere und weichere Schuhe.
Dieses Paar hier habe ich mit Lack behandelt, damit sie länger halten. Ein anderes muss ich überschminken, damit sie so
matt wie meine Strumpfhose aussehen.«
Schuhe sind im Ballett eben nicht nur Schuhe, sondern die
Verlängerung des Körpers. Das Schuhwerk wird von Hand gemacht, Zuccarini spricht beinahe zärtlich vom Hersteller als
»Maker«. Ist es Zufall, dass die englische Bezeichnung für den
großen Schöpfer ebenfalls Maker ist?
Genug philosophiert. Angelina Zuccarini muss zur Probe von
Othello. Wieselflink eilt sie in den nächsten Saal. Man sieht
nicht nur, dass hier auch Männer tanzen, man riecht es auch.
Testosteron-Schweiß liegt in der Luft. Im Gegensatz zur Schauspielprobe am Vormittag gibt es hier keine Videos, keine Effekte, stattdessen nur Körper und Klavier. Sieben junge Herren werden zur menschlichen Pyramide. Die Synchronität ist
faszinierend. Drei Körper werden auf Kommando zu einem,
die Musik klingt auf einmal bedrohlich, ein Teil der Tänzer hält
Gewehre im Anschlag.
Im Gegensatz zum Training zuvor sind jetzt die Spiegel abgehängt, damit die Tänzer ihre Positionen und Platzierungen
nicht kontrollieren können – auf der Bühne gibt es schließlich
Heinz Göhrig, Oper Stuttgart
auch keinen Spiegel zur Kontrolle. Der Schweiß tropft, die Gesichtsausdrücke sind unterschiedlich, der junge, naive Leutnant tänzelt um Othello herum, während der böse Jago ein
furchteinflößendes »Tom-Cruise-Scientology-ist-doch-nichtso-schlimm-Lächeln« lächelt. Othello steht mittlerweile auf
einem Stuhl, er leidet an Wahnvorstellungen. Was passiert
hinter seinem Rücken?
Heinz Göhrig, Tenor, geboren in Heidelberg. Gesangsstudium an
der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst
Mannheim. Seit 1988 Ensemblemitglied an der Oper Stuttgart, 1998
erfolgte die Ernennung zum Kammersänger. Göhrigs Repertoire umfasst u.a. Partien wie Dancaïro (Carmen), Corrado (Una cosa rara),
Cassio (Otello), Pietro (Die Gezeichneten) und Mime (Siegfried). In
Stuttgart war er zudem u.a. als Tenore (Sitten und Unsitten des
Theaters), Hauk-Schendorf (Die Sache Makropulos), Beelzebuth/
Ein Student (Doktor Faust) und Gouverneur (Simplicius Simplicissimus) zu hören. Zu seinen jüngeren Partien zählen Steuermann
(Der fliegende Holländer), Melot (Tristan und Isolde), Monostatos
(Die Zauberflöte), Goro (Madama Butterfly) und Altoum (Turandot).
Gastauftritte führten ihn an die Bayerische Staatsoper, nach Bonn
und als Scaramuccio in Wieler/Morabitos Ariadne auf Naxos 2001
zu den Salzburger Festspielen. In der letzten Partie ist Heinz Göhrig
2013/14 erneut in Ariadne auf Naxos in Stuttgart zu erleben. Des
Weiteren singt er Monostatos (Die Zauberflöte), Triquet (Eugen Onegin), Mime (Siegfried) sowie Dr. Cajus (Falstaff) und Smee (Peter Pan).
Abends: Falstaff
Wir würden ihm gerne helfen, können aber nicht, denn wieder
ist unsere Zeit abgelaufen. Die letzte Station des Tages wartet:
die Oper. 15.45 Uhr Interview mit Heinz Göhrig, der im Falstaff
den Dr. Cajus singt. Der Kontrast zur jungen Ballettwelt zuvor
könnte größer kaum sein. Hier die munter plappernde Zuccarini, dort der erfahrene Göhrig. Der Tenor wurde in Heidelberg geboren und hat Gesang an der Staatlichen Hochschule
für Musik und Darstellende Kunst in Mannheim studiert. Seit
1988 ist er Ensemblemitglied an der Oper Stuttgart, 1998 erfolgte die Ernennung zum Kammersänger.
Mit ganz feinem kurpfälzischem Einschlag parliert Göhrig
Großes Bild links Heinz Göhrig in der Maske vor der HPO Falstaff in der
Regie von Andrea Moses (Foto: Jasha Bhadra)
oben Als Dr. Cajus in Falstaff (Foto: A.T. Schaefer)
unten Heinz Göhrig im Gespräch mit Ingmar Volkmann im Opernhaus,
Foyer I. Rang (Foto: Jasha Bhadra)
Angelina Zuccarini , Stuttgarter Ballett
Angelina Zuccarini wurde in Michigan, USA, geboren.
Ihre Ballettausbildung erhielt sie in ihrer Heimat sowie
an der John Cranko Schule in Stuttgart, wo sie ihre Ausbildung im Jahr 2005 beendete. In der Spielzeit 2005/06
kam Angelina Zuccarini als Elevin an das Stuttgarter
Ballett, in der darauffolgenden Spielzeit wurde sie in
das Corps de ballet aufgenommen. Ihre Beförderung zur
Halbsolistin folgte zu Beginn der Spielzeit 2009/10. Zur
Solistin wurde sie in der Spielzeit 2013/14.
Sie übernimmt zahlreiche solistische Rollen im Repertoire des Stuttgarter Balletts, darunter Choreographien
von Balanchine, Béjart, Clug, Cranko, Elo, Forsythe,
Guerra, Kylián, Neumeier, Robbins und Spuck. Begehrt
ist Angelina Zuccarini bei Choreographen, die neue
Werke für das Stuttgarter Ballett schaffen. So arbeitete
sie unter anderem bereits mit Bigonzetti, Elo, Goecke,
McGregor, O’Day, Spuck und Volpi zusammen.
Die beim Publikum sehr beliebte Tänzerin tanzt in nahezu allen klassischen, neoklassischen und modernen
Werken, die auf dem Spielplan des Stuttgarter Balletts
stehen, und verfügt daher über ein breites Repertoire.
links Angelina Zuccarini als Myrtha in Giselle (Inszenierung: Reid
Anderon und Valentina Savina), Foto: Stuttgarter Ballett
rechts bei Proben zu workwithinwork (Choreographie: William
Forsythe), Foto: Ulrich Beuttenmüller
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im Foyer des herrschaftlichen Opernhauses über seine Funktion als Sprecher des Ensembles. »Sänger sind Memmen! Wir
wollen gelobt werden. Ständig fragt einer: ›Wie klingt das?‹
– ›Immer gut‹, antworte ich dann.« Göhrig ist im positiven
Sinne der Klassenclown des Ensembles. »Durch einen kleinen
Spaß, durch Imitationen versuche ich, die Probenarbeit möglichst heiter zu gestalten. Ich will, dass jeder gerne zur Probe
kommt, und nicht alles so tierisch verbissen ernst ist.«
Bei allem Spaß nimmt Göhrig eines ganz besonders ernst:
seinen wichtigsten Muskel, die Stimmbänder. Das A und O
beim richtigen Umgang mit der Stimme: den Mittelweg zwischen Üben und Ruhen finden. »Als Sänger muss ich üben,
üben, üben. Wenn ich längere Zeit gar nichts tue, tut das der
Stimme nicht gut. Ich singe immer, egal wo. Wenn einer durchs
Haus läuft und schreit, bin ich das – der Muskel verkümmert
sonst.« Auf der anderen Seite müsse man den Stimmbändern
auch mal eine Auszeit gönnen. »Sonst kriegt man einen Muskelkater am Kehlkopf«, flüstert Heinz Göhrig verschwörerisch
und hustet einmal, zweimal mit Nachdruck, um zu verdeutlichen, wie empfindlich die Stimme eines Sängers ist.
Heinz Göhrig ist nicht nur ein vielseitiger Sänger, er ist auch
ein erstklassiger Schauspieler. Göhrig besucht so oft es geht
das Schauspiel. »Als Sänger kann man da viel lernen und mitDas Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014
nehmen auf die Opernbühne.« Gleiches gelte für das Ballett.
»Das Halten von Spannungen, ohne Worte, nur mit Körperausdruck, ist eine brillante Leistung, vor der ich meinen Hut ziehe.«
Genug erzählt, die Hauptprobe des Falstaff wartet, Göhrig
muss dringend in die Maske. »Mal sehen, wie man aus mir einen jungen Mann macht!« In Windeseile ist Heinz Göhrig umgezogen, in der Maske singt er oder liefert eine Pointe ab. »›Gelebte Lieder‹ wäre ein schöner Titel für eine Biografie«, heißt
es in der einen Ecke. »›Verlebte Glieder‹, wäre in meinem Fall
passender«, antwortet Göhrig, und schneidet Grimassen im
Spiegel. »Die Rinnen im Gesicht habe ich, damit der Schweiß
besser abfließen kann.«
Über den Spiegeln in der Maske hängen lauter Autogramme
und Grußkarten, die Perücken baumeln an Kleiderhaken, im
Schränkchen neben Heinz Göhrig liegen Haarschneidemaschine, Rasierer und Föhn. Göhrig bekommt noch ein wenig Bronzepuder ins Gesicht geschmiert und einen hübschen Schnurrbart aufgeklebt, ehe die Verwandlung perfekt und der Dr. Cajus
fertig ist.
Die letzte ganz private Gesangsprobe findet schließlich zwischen Zigaretten und Hunderten von Autos statt. Heinz Göhrig
steht an der Stadtautobahn Konrad-Adenauer-Straße, in der
linken Hand die Zigarette, mit der rechten Hand hält er sich das
Ohr zu und singt gegen den Straßenlärm an. Klarer Punktsieg
im Duell Sänger gegen Autos für Heinz Göhrig, auf der anderen
Straßenseite bleiben zwischen Staatsgalerie und Musikhochschule einige Passanten staunend stehen.
Wir staunen kurz danach hinter der Bühne. Intendant Jossi
Wieler schüttelt Hände, spuckt einem Ensemble-Mitglied dreimal über die Schulter und strahlt auch 60 Sekunden vor Beginn der Orchesterhauptprobe (HPO) eine Ruhe aus, die man
patentieren sollte als Jossi-Wieler-Gedächtnis-Beruhigungsaura für ganz schwere Stunden.
Den Rest der HPO verfolgen wir von einer Laube aus. Heinz
Göhrig singt, als wolle er 25 Jahre Ensemble-Zugehörigkeit in
jedem Moment unterstreichen. Die Schlussszene, bei der das
ganze Ensemble gemeinsam auftritt, ist unfassbar. Nur wenige Male muss der Dirigent eingreifen und kleine Abschnitte
wiederholen lassen.
Es ist mittlerweile nach 21 Uhr. Zwölf Stunden am größten
Dreispartenhaus Europas sind wie im Fluge vergangen. Für die
Schauspieler, Tänzer und Sänger war es ein ganz gewöhnlicher
Tag. Für den Beobachter aber ein außergewöhnlicher Blick
hinter die Kulissen einer ganz eigenen Welt.
Ingmar Volkmann
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02. Simon Hewett
02.
Der neue Erste Kapellmeister der Oper Stuttgart
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2011 war es wohl Liebe auf den ersten Takt,
als der Australier SIMON HEWETT in seiner
Funktion als Erster Dirigent des Hamburg
Balletts bei einem Gastspiel seines Ensembles das Stuttgarter Staatsorchester leitete.
Er war der ausdrückliche Wunschkandidat
des Orchesters für die Position des Ersten
Kapellmeisters – und es gab ein Happy End.
Dass die Dirigenten die Buchhaltertypen unter den Künstlern sind, ist ein Gerücht. Und doch: Dort, wo das Versinken
in schöpferischen Tagträumen bei vielen Kreativschaffenden
bisweilen ein etwas chaotisches Alltagsleben nach sich zieht,
da sind Dirigenten stets organisiert, gewissenhaft und ausgesprochen pünktlich. Simon Hewett wird mit der Nachmittagsmaschine aus Berlin erwartet, und weil er zum vereinbarten
Interviewzeitpunkt noch in der S-Bahn sitzt – »Ich verschätze
mich immer, wie lang man vom Stuttgarter Flughafen tatsächlich in die Stadt braucht!« –, schickt er wie selbstverständlich eine SMS voraus. Nur zehn Minuten später lugt ein
jungenhafter, großgewachsener Mittdreißiger durch die Tür.
Fast könnte man ihn für schüchtern halten – wären da nicht
sein verschmitztes Lächeln, die Sommersprossen und ein rötlich-brauner Lockenkopf.
So ganz in Stuttgart angekommen sei er noch nicht, gesteht
Hewett auf dem Weg zu einem doppelten Espresso. Seine Frau
und seine zwei Kinder seien noch in Berlin und gleich nach
dem Gespräch stehe ein weiterer Wohnungsbesichtigungstermin an. Ja, er vermisse seine Familie sehr – »aber wenn ich
ehrlich bin, geht es mir manchmal so wie wohl vielen Menschen mit kleinen Kindern: Sie fehlen mir entsetzlich, aber mit
einem Beruf, der es nicht immer erlaubt, um 22 Uhr schlafen
zu gehen, um früh um fünf fit für zwei äußerst wache Kinder
zu sein, empfindet man seine Arbeit bisweilen fast als willkommene Ruhephase!«
Nach Jahren in Weimar, Hamburg und Berlin ist Deutschland längst Simon Hewetts zweite Heimat geworden, und
auch seine beiden Kinder wachsen zweisprachig auf. Den
Grundstein für sein perfektes Deutsch hat er in Süddeutschland gelegt: »Das Stipendium des Deutschen Akademischen
Austauschdienstes, das mich im Alter von 20 Jahren nach
Deutschland geführt hat, beinhaltete auch einen Sprachkurs
in Freiburg, dem ich mich sehr gewissenhaft gewidmet habe.
Die Tabelle mit den Fällen und Deklinationen der deutschen
Sprache hat mich bis in meine Träume verfolgt. Anfangs allerdings ohne Erfolg: Bis ich mir im Kopf endlich einen deutschen
Satz mit den richtigen Fällen und Formen zusammengebaut
hatte, war das Gespräch, an dem ich mich beteiligen wollte,
stets ganz woanders!«
Liebe auf den ersten Takt
Von der Klarinette ans Pult
So mancher berühmte Dirigent hat erst im Laufe seines Studiums das Orchesterinstrument gegen den Taktstock eingetauscht – darunter der Perkussionist Simon Rattle, der Fagottist Mark Elder und der Posaunist Sylvain Cambreling. Bei
Simon Hewett war es die Klarinette, die er an den Nagel gehängt hat. »Ich war schon als Jugendlicher äußerst neugierig
auf diese enorme Fülle an unterschiedlichen Werken, mit denen man es als Dirigent zu tun bekommt – obwohl es ja für die
Klarinette schon ein sehr großes Repertoire gibt, das mir die
Türen zu dieser musikalischen Welt geöffnet hat.« Darunter
auch Mozarts berühmtes Klarinettenkonzert in A-Dur, das am
8. und 9. Dezember auf dem Programm des 2. Sinfoniekonzerts steht, das Simon Hewett dirigiert: »Aber keine Angst, da
spiele ich nicht selbst«, grinst der Australier, »das übernimmt
die wunderbare israelische Klarinettistin Sharon Kam, die
kann das viel besser!«
Trotz seiner frühen Begeisterung für den Beruf des Dirigenten sei es ihm nicht leicht gefallen, von seinem Platz als Orchestermusiker ans Pult zu wechseln, fährt Hewett fort: »Ich
glaube, ich bin kein typischer Dirigent: Ich fand es schwierig,
von einem Tag auf den anderen meine Persönlichkeit als Orchestermusiker und Kollege einzustellen, um nun vom Dirigentenpult aus allen zu sagen, wie sie spielen sollen. Nicht,
weil ich nicht weiß, was ich will: Ich habe natürlich eine sehr
klare Vorstellung davon, wie etwas klingen soll. Aber ich wollte nie einfach nur sagen: ›Mir nach – so muss es sein!‹. Ich
möchte Ergebnisse durch Überzeugungskunst erreichen, denn
ich finde es enorm wichtig, dass die Musiker das, was ich ihnen erkläre, dann auch wirklich spielen wollen.«
Genau aus diesem Grund habe es aber ein wenig gedauert,
bis er es sich selbst erlaubt habe, als Dirigent wirklich ganz er
selbst zu sein, bekennt Hewett nachdenklich: »Ich hatte wohl
eine ganz bestimmte Vorstellung davon, wie man sich als
Dirigent zu benehmen hat, die jedoch nicht mit meinem eigenen Naturell übereinstimmte. Und wenngleich ich schnell
begriffen habe, dass dieses Klischee überhaupt nicht zu mir
passt, musste ich erst das nötige Selbstvertrauen aufbauen,
um zu sagen: ›Egal welche Klischees existieren – wenn es
funktionieren soll, dann kann es nur auf meine Art und Weise
funktionieren.‹ «
Die Balance nicht zerstören
ser singen. Mein Job als Dirigent ist es nicht nur, Kritik abzuliefern, sondern auch, den Sängern eine Stütze zu sein, ihnen
zu folgen, sie aber ebenso zu führen und zu begleiten, und so
ihre Leistungen zu beflügeln. Singen und Musizieren hat sehr
viel mit innerer Balance zu tun: Man muss mit Musikern und
Sängern einen Weg der Arbeit finden, der diese Balance nicht
zerstört.«
Und wenn Hewett mit diesem Satz seinen Blick hebt, den er
bis jetzt so konzentriert auf den Kantinentisch geheftet hielt,
als läge dort aufgeschlagen die unsichtbare Partitur dieses
Gesprächs, dann bekommt man zum ersten Mal eine leise
Ahnung davon, weshalb sich die Musiker des Staatsorchesters vielleicht tatsächlich auf den ersten Blick in diesen jungen Gastdirigenten verliebt haben könnten. Die Theorie vom
»Alphatier Dirigent«? Simon Hewetts ganzes Wesen straft sie
Lügen. Vertrauen und Respekt sind hingegen Worte, die sehr
oft fallen, wenn er über seine Arbeit spricht. »Letztendlich
kann ich als Dirigent keinen Klang erzeugen: Es muss sich
immer ein Orchester bereiterklären mitzumachen. Und das
funktioniert nur durch sehr viel gegenseitiges Vertrauen. Man
sollte sich als Dirigent immer wieder daran erinnern, dass ein
Orchester auch wahnsinnig viel alleine machen könnte. Die
Musiker sind hochgebildet: Als Dirigent habe ich auch die Aufgabe, sie in den Proben so vorzubereiten, dass sie während des
Konzerts vollkommen aufeinander eingehen können, und ich
wirklich nur der Impulsgeber bin.«
Ein Orchester ohne Dirigent? Dass das gelingen kann, bewies das Staatsorchester bei Simon Hewetts wirbelndem Auftritt als Dirigent des »Ad-Hoc-Konzerts« im Rahmen des diesjährigen Chor- und Orchestertags im September: Mit ganzem
Körpereinsatz leitete er da den Gesang von mehr als 1000 begeisterten »Solisten« – sprich Besuchern – im großen Saal des
Opernhauses, und konnte sich ganz auf sein neues Orchester
verlassen, das genau wusste, was es tat. »Im Theater gibt es
manchmal diese unbeschreiblichen, irrationalen Momente,
wenn das Zusammenspiel aller plötzlich ineinander greift,
wenn alles tatsächlich stimmt«, sinniert Hewett am Schluss
mit leuchtenden Augen, »und dafür liebe ich meinen Beruf.
Wenn dann auch noch die Besucher gepackt von all den Emotionen sagen: ›Wow, das war jetzt aber was!‹, dann weiß man,
warum man das macht!«
Babette Karner
Zur Person
Der Australier absolvierte ein Dirigierstudium an der University of Queensland und der Hochschule für Musik Franz Liszt
in Weimar. Von 2003 – 2005 war er Assistent des Generalmusikdirektors an der Opera Australia in Sydney, von 2005 – 2008
Kapellmeister und Assistent des GMDs an der Hamburgischen
Staatsoper. Gastdirigate u.a. an der Komischen Oper Berlin,
der Staatsoper Unter den Linden, der Opera Australia und der
Oper Graz. Seit 2009/10 Erster Dirigent des Hamburg Ballett.
In der Spielzeit 2013/14 dirigierte Simon Hewett bereits
einige Nabucco-Vorstellungen. Er wird außerdem das
2. Sinfoniekonzert (8./9. Dezember), die Wiederaufnahme Eugen Onegin (ab 7. Februar), die Neuinszenierung La
Bohème (Premiere: 30. Mai) sowie die Tosca-Vorstellungen (ab 18. Mai 2014) dirigieren.
Es gebe einen analytischen und einen emotionalen Zugang
zum Dirigieren, sagt Hewett: »Natürlich kann ich nach der
Probe zu einem Sänger sagen: ›Da warst du zu hoch und da
zu schnell und dort hat die Aussprache nicht gestimmt!‹ Nur:
Was habe ich davon? So wird er beim nächsten Mal nicht bes-
Foto: Martin Sigmund
Wenn es Liebe auf den ersten Blick gibt, war der Funke, der
2011 im Rahmen eines Gastspiels des Hamburg Balletts in
Stuttgart zwischen dessen erstem Dirigenten Simon Hewett
und dem Staatsorchester übergesprungen ist, »Liebe auf den
ersten Takt«? Hewett lacht: »Ja, dem Hamburg Ballett haben
wir es zu verdanken, dass ich heute hier bin! Es hat mit John
Neumeiers Choreografie Nijinsky in Stuttgart gastiert, und ich
hatte so die Gelegenheit, mit dem Staatsorchester zusam-
menzuarbeiten. Es war musikalisch ein sehr anspruchsvolles
Programm, wir spielten Scheherazade von Nikolai RimskiKorsakov und die ganze 11. Sinfonie von Dimitri Schostakowitsch. Und es stimmt, ich habe mich mit dem Orchester auf
Anhieb gut verstanden und mich hier sofort sehr wohl gefühlt.«
Das Angebot aus Stuttgart, als Wunschkandidat des Staatsorchesters die Position des Ersten Kapellmeister anzutreten,
sei für ihn Grund genug gewesen, nach Jahren der Festanstellung an der Hamburgischen Staatsoper und einer Zeit als
freischaffender Dirigent – in der ihn seine Arbeit auch immer
wieder in seine Heimat Australien zurückgeführt hat – wieder
ein fixes Engagement anzunehmen, sagt Simon Hewett: »Diese außerordentlich familiäre Atmosphäre an der Oper Stuttgart kommt meinem Naturell und meiner Art, Dirigent zu sein,
sehr entgegen.«
Das Orchester spielt, der Dirigent dirigiert – das Publikum: Simon Hewett in Aktion beim Chor- und Orchestertag im September 2013.
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Das Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014
Foto: A.T. Schaefer
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03. Marcos World
03.
Links Marco Goecke (Foto: Roman Novitzky)
Unten Marco Goecke mit Ballettmeister Rolando D’Alesio
bei Proben (Foto: Ulrich Beuttenmüller)
Oben David Moore in On Velvet (Foto: Stuttgarter Ballett)
David Moore, Ludovico Pace, Marijn Rademaker, Fabio Adorisio, Arman Zazyan in On Velvet
(Foto: Stuttgarter Ballett)
Bühne
Hauschoreograph
Marco Goecke reflektiert
über die Bretter, die ihm
die Welt bedeuten
MARCO GOECKE ist seit September 2005 Hauschoreograph des
Stuttgarter Balletts. Seine prägnante und avantgardistische Tanzsprache, das Ausloten und Sprengen der ästhetischen Grenzen
schärfen das moderne Profil der Compagnie.
Der heute weltweit gefragte Choreograph hat eine beachtliche Anzahl an Uraufführungen für international renommierte Compagnien
und mehr als 12 Stücke für das Stuttgarter Ballett geschaffen.
Die Bühne ist für mich der einzig wahre Ort.
Ich würde sie niemals gegen einen SüdseeUrlaub eintauschen. Das ist der Raum, um
den es geht. Die Bühne ist ein harter Ort, er
verlangt viel von dir. Wenn man ein neues
Stück zum ersten Mal vom Ballettsaal auf die
Bühne verlagert, kann das vieles verändern.
Manchmal ist es, als wenn man einen Apfel in
Schokolade taucht. Die Bühne gibt den Dingen
Erhabenheit, etwas Edles. Sie hinterfragt aber
auch. Wirken die Bewegungen auf der Bühne
anders als im Ballettsaal? Was war dort schön
und verschwindet hier? Was ist zu groß, was
zu klein? Manchmal muss man auf der Bühne
vervielfältigen, manchmal aber auch vereinfachen. Ob ich zwei Tonnen Popcorn benutze oder zwei Körner, das ist doch ein großer
Unterschied. Im Zweifelsfall verbiete ich mir
aber, die Dinge für die Bühne aufzupeppen.
Das Versuchhafte verdient sich selbst gegenüber Respekt. Zuschütten kann man immer.
Und für Tänzer ist die Bühne natürlich der Ort,
an dem sie sich ausleben können.
Tänzer
Die Tänzer sind für mich immer auch eine Art
Familie, das gibt ein Gefühl der Geborgenheit. Andererseits sind alle ständig hungrig
darauf, etwas zu tun. Ich muss sie mit Bewegungen und Parts in meinen Stücken füttern,
aber niemand fragt, wie es mir dabei geht.
Arbeitsverteilung ist ein heikler Punkt. Ich
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habe mir sagen lassen, dass ich da viel brutaler vorgehen muss, aber ich will eigentlich
immer alle glücklich machen und fair sein.
Ich würde Tänzer niemals als Staffage, als
Füllmaterial für meine Stücke benutzen. Jeder hat eine wichtige Aufgabe. Oft bleibt eine
gewisse Distanz – auch meine Arbeiten sind
ja distanziert –, obwohl einige mir natürlich
näher sind als andere. Aber es ist meist nur
ein Verhältnis für kurze Zeit, im Anfang steckt
auch schon der Abschied. Sobald meine Arbeit an einem Stück beendet ist, muss ich sie
wieder loslassen. Manche der Tänzer, mit denen ich im Ausland gearbeitet habe, habe ich
nie wiedergesehen. Das ist traurig.
Körper
Der Körper muss in meinen Choreographien an seine Grenzen kommen. Ich sehe eine
Sinnhaftigkeit in der Anstrengung. Als Tänzer
habe ich diese Energie in den Stücken, die ich
getanzt habe, sehr vermisst. Überhaupt hat
meine Art, mit dem Körper umzugehen, viel
damit zu tun, wie ich als Tänzer selbst gern
getanzt hätte. Aber es war niemand da, der
diese Stücke für mich hätte choreographieren können. Das war ja der Grund, warum ich
angefangen habe, Stücke zu kreieren.
Einflüsse
Dass die Arbeiten von Pina Bausch mich sehr
geprägt haben, ist bekannt. Viele wissen aber
nicht, dass ich am Anfang meiner Karriere
auch von Maurice Béjart beeinflusst wurde.
Auf den ersten Blick wirken seine Stücke wie
die Arbeiten vieler französischer Choreographen etwas kitschig, erfüllt von viel »Schischi«.
Aber wenn man länger hinschaut, dann gibt
es spannende Brüche. Vor allem Béjarts Mozart Tango werde ich nie vergessen. Er stellte den männlichen Tanz in den Vordergrund,
ließ die Tänzer mit nackten Oberkörpern
agieren. Das fand ich spannend, schön, subtil
und sicherlich auch erotisch. Eine Inspiration
für meine Ästhetik.
Inspiration
Inspiration hat für mich viel mit Sensibilität zu tun. Ich werde leicht von den Dingen
überwältigt, lasse sie nah an mich heran
und kann sie schlecht verarbeiten – sei es
ein Gespräch mit Freunden, ein bestimmtes Fernsehprogramm oder gar eine dunkle
Wolke, die sich vor die Sonne schiebt. Diese
Sensibilität ist eine Bürde, aber es geht auch
eine große Kraft von ihr aus. Sie ist Quelle und
Feind zugleich. Ich muss sie aushalten und
habe glücklicherweise einen Weg gefunden,
daraus etwas zu formen. Gefühlsduseleien
aber sind mir ein Gräuel. Sorgen, Schmerzen
oder andere emotionale Statements werden
in meinen Choreographien meist von einem
hohen Tempo überrannt, übersprungen und
aufgelöst. Meine Stücke sind eher Schatten
von Befindlichkeit, sie zeigen das Weglaufen
vor Emotionen.
Ästhetik
Schwarz ist meine Farbe, die Marke meiner
Stücke. Ich würde nicht mit anderen Farben
arbeiten, um zu gefallen, dafür müsste ich
schon einen konkreten Anlass sehen. Man
würde ja auch nicht grundlos den grauen
Teppich bei Dior oder die blauen Schachteln
von Tiffany & Co ändern. Rein ästhetisch
empfinde ich eine große Sicherheit. Meine
Ästhetik, mein Vokabular habe ich schon oft
geprüft. Darauf kann ich mich verlassen – natürlich muss ich mich aber trotzdem weiter
entwickeln.
Tradition
Alles, was ich tue, basiert ja auf dem, was ich
sehe, was schon ist. Tradition ist das einzige,
worauf man sich berufen kann. Ich war nie
ein Zerstörer, habe die Tradition immer mitgetragen. Ich sehe mich nicht als typisches
Kind meiner Generation, habe nicht jeden
Hype mitgemacht. Die Dinge, die mich faszinieren, sind sowieso »altmodisch«: alte Filme, die Schauspieler des frühen 20. Jahrhunderts, französische Chansons oder die Lieder
von Johnny Cash. Ich würde meine Stücke
auch weder als Zeitgeist, noch als modernes
Ballett bezeichnen. Eher als ehrlich. Ehrlichkeit mit sich und anderer Menschen ist eine
Form von Brillanz, hinterlässt aber auch Leere und Trauer.
Das Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014
Anspruch an sich selbst
Dieses Thema beinhaltet eine große Tragik.
Mir selbst gegenüber bin ich nicht besonders gnädig oder barmherzig. Es gab noch
nie einen Moment, in dem ich mir gesagt
habe »Das wird schon« oder »Ich bin stolz
auf dich«. Jedes Stück ist für mich ein bitterer Kompromiss. Ich habe bisher 45 Stücke
kreiert – der Anspruch an mich selbst wird
natürlich immer höher. Aber eine Steigerung
kann ich nicht erzwingen.
Verstehen
Wenn ein Kritiker über eines meiner Stücke
schreibt, dass alles keinen Sinn mache, empfinde ich das als ein großes Kompliment. Natürlich kann ich das Bedürfnis, etwas zu verstehen, nachvollziehen. Den Menschen wird
von Anfang an eingetrichtert, dass man alles
verstehen soll und muss. Aber frag jemanden, ob er die Welt versteht, und er wird verneinen müssen. Ich verstehe ja selbst nicht
alles, was ich tue. Ich umkreise in meinen
Choreographien einen Raum oder Menschen,
sie sind ein winziger Versuch, etwas sichtbar
zu machen. Darauf muss ich mich einlassen
und die Tänzer und das Publikum auch.
Aufgezeichnet von Vivien Arnold und
Kristina Scharmacher
Marco Goeckes neueste Arbeit für das Stuttgarter Ballett On Velvet feierte am 8. November 2013 Uraufführung und ist noch im Dezember im Rahmen des Ballettabends FORT//
SCHRITT//MACHER im Opernhaus zu sehen.
Ballettabend:
FORT//SCHRITT//MACHER
workwithinwork Choreographie, Bühne
& Licht: William Forsythe; Musik: Luciano Berio; Kostüme: Stephen Galloway;
Uraufführung: 16. Oktober 1998, Ballett
Frankfurt, Frankfurt am Main
Frank Bridge Variations Choreographie:
Hans van Manen; Musik: Benjamin Britten; Bühne und Kostüme: Keso Dekker;
Licht: Bert Dalhuysen; Uraufführung:
18. März 2005, Het Nationale Ballet, Amsterdam; Erstaufführung beim Stuttgarter
Ballett: 14. Januar 2011
On Velvet Choreographie: Marco Goecke;
Musik: Johannes Maria Staud, Edward
Elgar; Bühne und Kostüme: Michaela
Springer; Licht: Udo Haberland;
Musikalische Leitung: James Tuggle
Vorstellungen im Opernhaus:
So 01.12. // Sa 07.12. // So 08.12. // Di 10.12.
So 15.12. (nm/abd) // Mi 18.12.2013
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04. Uraufführung Peter Pan
04.
Eine Oper für die ganze Familie
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Flu erland
Nimm
Wie geht das? Wie nur geht das? Mit offenem Mund starrt
Wendy auf Peter Pan, der sich vor ihren Augen in die Lüfte
schwingt. Es ist das, was James M. Barries berühmte Romanfigur vor allem anderen auszeichnet: Der Junge, der laut
eigener Aussage am Tag seiner Geburt von zu Hause abgehauen ist und nun mit Elfen und Verlorenen Jungs auf
Nimmerland wohnt, kann fliegen, ja man sagt ihm nach,
dass er leicht sei wie eine Feder.
Wie Fliegen geht? An etwas Schönes denken, etwas Elfenstaub und auf geht es!
Sagt Peter. Wenn das so einfach wäre, würde der uralte Traum von Schwerelosigkeit das künstlerische und technische Team der Familienoper Peter Pan wohl kaum
so sehr in Atem halten.
»Als Kind bin ich auf einem Plateau spazieren gegangen, an einer Felsküste entlang, die etwa achtzig Meter in die Tiefe abfiel. Ich ging und schaute den Himmel
und die Wolken an. Im letzten Moment hielt mich jemand fest und bewahrte mich
vor dem Absturz. Doch diesen einen Moment zwischen Fallen und Stehen werde
ich nie vergessen.« Für den britischen Komponisten Richard Ayres geht ein lange
gehegter Traum in Erfüllung. In intensiver Zusammenarbeit mit der britischen Autorin Lavinia Greenlaw konnte er im Auftrag der Oper Stuttgart der faszinierenden
Figur des Peter Pan nachspüren, der unsere zivilisierte Welt bodenlos verachtet und
gleichzeitig so verletzlich und verloren zu sein scheint. Fliegen zu komponieren bedeutet für Ayres Luft zu kreieren: Gleichmäßig vibrierende Wellen in der Mitte, ziselierende Details darüber und eine raumschaffende Tiefe – drei akustische Lagen
übereinander geschichtet, grollender Donner als Vorbote des Sturms.
Der Flug, den die drei Kinder Wendy, John und Michael Darling Hals über Kopf vertrauensselig antreten, birgt vom Hochgefühl des Schwebens über die schreckliche
Sturmnacht bis zur Bruchlandung alle Facetten. Und einen Widerspruch in sich
selbst: man landet auf dieser Insel mit dem sprechenden Namen Nimmerland, auf
der einen Peter zwar herrliche Abenteuer erleben lässt – der stolze Michael schlägt
seinen ersten Piraten tot – auf der sich aber das Gedächtnis in Luft auflöst.
Fliegen: Für Regisseur Frank Hilbrich, der selbst nicht gerne in Flugzeugen sitzt, bedeutet es völlige Freiheit mit allem, was dazu gehört: Absturzgefahr, Heimatlosigkeit. Im letzten Moment packt denn auch Wendy ihre beiden Brüder, heim wollen
sie. Sie werden prompt von Peters Erzfeind Captain Hook gekidnappt.
»Als Yuko Kakuta würde ich ja gar nicht erst mit Peter Pan mitgehen.« Entschlossen schüttelt die Sopranistin den Kopf. »Ich habe Mann und Kind, die würde ich
nicht zurücklassen. Aber als Wendy: Sofort. Ohne Angst, mit großen Erwartungen!«
Angst vor dem Fliegen im Bühnenhimmel hat sie aber auch als Yuko Kakuta nicht.
Allenfalls davor, im Flug die Töne nicht mehr zu treffen. Doch »Fliegen ist wie Singen: Balance, Muskelarbeit und Emotion!«
Der Countertenor Iestyn Morris alias Peter Pan trainiert seine Muskeln schon seit
Monaten, insbesondere die Achillessehnen. Ein erstes Flugtraining im Sommer mit
Fluginstruktor und Choreograph Ran Arthur Braun hat ihm gezeigt, wo das Training
am nötigsten ist. Während Wendy, John und Michael mithilfe eines herkömmlichen Theater-Flugsystems fliegen, wirbelt Peter Pan an einem Bungee-Seil durch
die Luft. »Ich bin überrascht, wie sicher man sich dabei fühlt. Du kannst stoppen
und dich drehen wann du willst, hast deine Bewegungen und die Atemtechnik total
unter Kontrolle.«
Es ist Power Dancing in Schwerelosigkeit, was die für Bühne einzigartige Flugtechnik »GrossHopper« von Ran Arthur Braun und Tiina Gross ermöglicht. »Ich will
mich selbst überraschen und zum Staunen bringen mit den Flug-Choreographien,
die ich entwickle. Ich war selbst Sänger, weiß also was fliegende Sänger brauchen.
Doch die Essenz des Fliegens ist etwas viel Intellektuelleres und Emotionaleres als
die Techniken«, so Braun. »Es geht um Phrasierung, Musikalität, Freude und Emotion; eine Einladung ans Publikum mitzufliegen«.
Natürlich gewinnt Peter Pan den Showdown: Er rettet die Kinder vor dem Haken
des Piratenhäuptlings. Doch die Wege trennen sich erneut, Peter fliegt mit der Elfe
Tinkerbell nach Nimmerland zurück, die Kinder werden erwachsen.
Elfenstaub, an etwas Schönes denken? Fliegen kann man verlernen. Nicht nur in
den konkreten Flug-Szenen wird es Regisseur Frank Hilbrich deshalb genau darum gehen: Das Fliegen als Lebensgefühl sichtbar, hörbar und fühlbar zu machen.
Denn, so fasst es Dirigent Roland Kluttig zusammen: »Peter Pan ist die Idee, nicht
landen zu müssen, nicht erwachsen werden zu müssen. Ich erinnere mich, dass für
mich als Kind meine Vorstellung zu fliegen, beispielsweise auf dem Weg zum Kindergarten, so stark war, dass ich wohl teilweise glaubte, es tatsächlich zu können.
Es war eher so ein Gleitflug, relativ knapp über dem Boden. Die Musik von Richard
Ayres ist oft von so hoher Geschwindigkeit, dass sie tatsächlich abhebt«: Flugziel:
Nimmerland.
Barbara Tacchini
Peter Pan
von Richard Ayres
Auftragswerk der Oper Stuttgart und der Komischen Oper Berlin
in Koproduktion mit der Welsh National Opera
Gemeinschaftsproduktion der Oper Stuttgart und der Jungen Oper Stuttgart
Musikalische Leitung: Roland Kluttig / Willem Wentzel; Regie: Frank Hilbrich
Uraufführung: 19. Dezember 2013 // 18:00 Uhr // Opernhaus
Weitere Vorstellungen: 23.12.2013 // 05.01. (nm & abd) // 10.02.* (vm) //
11.02.* (vm) // 16.02. (nm & abd) // 25.02.* (vm) // 28.03. * (vm) // 05.04. //
10.04.2014 * Schulvorstellungen
Mit freundlicher Unterstützung der Ernst von Siemens-Musik-Stiftung
und des Fördervereins der Staatstheater Stuttgart
Bilder (diese Seite) Der britische Countertenor Iestyn
Morris (Titelpartie) beim Flugtraining zu Peter Pan
Großes Bild (rechte Seite) Ran Arthur Braun (Aerial
Director and Fight Choreographer) bei der Arbeit im
Probenzentrum und Tiina Gross im Hintergrund
Fotos: Christoph Kalscheuer
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Das Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014
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05. Mit eigenen Worten
00.
05. Mit eigenen Worten
Elisa Badenes, Erste Solistin des Stuttgarter Balletts
Daniel Camargo, Erster Solist des Stuttgarter Balletts
Elisa Badenes:
Verantwortung tragen
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Daniel Camargo: Der Perfektionist
Foto: Roman Novitzky
Elisa Badenes wurde in Valencia, Spanien, geboren.
2008 gewann sie beim Prix de Lausanne ein Stipendium für die Royal Ballet School. In der Spielzeit
2009/10 wurde Elisa Badenes Elevin beim Stuttgarter Ballett. Ins Corps de ballet wurde sie in der
Spielzeit 2010/11 aufgenommen, ihre Beförderung
zur Halbsolistin folgte 2011/12. 2012/13 wurde sie
zur Solistin ernannt, 2013/14 folgte die Ernennung
zur Ersten Solistin.
Foto: Roman Novitzky
Ich kann meine bisherige Karriere in zwei Hälften teilen: Das Leben vor Schwanensee und das
Leben nach Schwanensee. Die Rolle der Odette/
Odile hat mich in jeder Hinsicht verändert. Nicht nur, weil
es die Traumrolle einer jeden Tänzerin ist und noch dazu
technisch eine unglaubliche Herausforderung. Erst als
ich zum ersten Mal als Odette/Odile auf der Bühne stand,
habe ich begriffen, welch große Verantwortung ich trage,
wenn ich im Mittelpunkt eines Ballettes stehe, wenn ein
so bedeutendes Werk in meine Hände gelegt wird.
Dass mir diese große Aufgabe ausgerechnet in John
Crankos Fassung hier in Stuttgart anvertraut wurde, das
war für mich etwas ganz Besonderes. Denn schon als
kleines Mädchen, als Ballettschülerin in meiner Heimatstadt Valencia, habe ich viel vom Stuttgarter Ballett gehört: Mein damaliger Lehrer war nämlich ein Absolvent
der John Cranko Schule. Seither wollte ich immer gern zu
dieser Compagnie gehören, aber zunächst führte mich
mein Weg nach London. Beim Prix de Lausanne gewann
ich ein Stipendium für die Royal Ballet School. Es war
nicht ganz leicht für mich, aus Valencia fortzugehen,
meine Familie und meine zwei Schwestern zu verlassen
– wir sind Drillinge und ergänzen uns eigentlich perfekt,
umso mehr vermisse ich die beiden natürlich. Aber ich
habe mich schnell in London wohl gefühlt. Genauso wie
danach in Stuttgart. Die Menschen hier in der Compagnie haben es mir leicht gemacht, mich einzuleben. Wir
haben uns im Theater unser internationales Zuhause geschaffen.
Und nun bin ich hier Erste Solistin. Das kann ich noch
immer kaum glauben und fühle mich eigentlich auch gar
nicht anders als vor meiner Beförderung. Meine Kollegen
und das Stuttgarter Publikum haben mich meine Karriere über begleitet, haben mich quasi heranwachsen sehen. Da mich alle unheimlich gut kennen, habe ich nicht
das Gefühl, nun etwas beweisen zu müssen. Ich gebe
einfach immer mein Bestes und bin durch die Vielfalt
des Stuttgarter Repertoires wahnsinnig motiviert. Neben
Traumrollen wie eben Odette/Odile oder Kitri in Don Quijote lerne ich hier Jahr für Jahr großartige Rollen in für
mich noch ganz neuen Balletten kennen, zum Beispiel
die Desdemona in Neumeiers Othello. Ein sehr wichtiger Mensch hier in Stuttgart ist für mich Demis Volpi. Er
war der erste Choreograph, der eine Rolle eigens für mich
kreiert hat, und seither hat mir unsere Zusammenarbeit
ganz neue Welten eröffnet. Zum Beispiel mit dem Pas
de Deux Little Monsters, das er für mich und Daniel Camargo kreiert hat. Damit sind wir zwei schon um die Welt
gereist, haben es gefühlte 100 Mal getanzt und trotzdem
entdecke ich es immer wieder neu.
Ich bin erst 21 Jahre alt und denke noch nicht viel darüber nach, was nach meiner Karriere als Tänzerin kommen könnte. Ich habe viele Interessen, mag Musik und
würde gern viel mit anderen Menschen zusammenarbeiten. Aber es wird sehr schwer werden, etwas zu finden,
das ich so sehr liebe wie das Ballett.
Aufgezeichnet und übersetzt von Kristina Scharmacher
Wie viele Jungen bin ich durch meine älteren Schwestern zum Tanzen
gekommen. Ich war neun Jahre alt,
als sie mich mit zu ihrer Ballettschule nahmen, wo mich eigentlich vor allem der HipHop-Kurs interessierte. Man sollte allerdings
zuerst Ballettunterricht nehmen, bevor man
auch andere Tanzrichtungen ausprobieren
konnte. Und das Ballett hat mir dann so gut
gefallen, dass ich nie mehr etwas anderes
gemacht habe. Gleich in meinem ersten Jahr
an der Ballettschule habe ich einen brasilianischen Ballettwettbewerb gewonnen und
so war mir schon früh klar, dass ich nicht nur
wahnsinnig gern tanze, sondern dass daraus
mehr werden könnte.
Ich mag an dieser Kunst vor allem, dass
man bis ins kleinste Detail an sich feilen
muss, dass es auf Kleinigkeiten und Feinheiten ankommt. Man kann die Dinge nicht
einfach irgendwie machen, es muss genau
richtig sein. Das passt zu mir, ich bin ein Perfektionist. Egal was man tut, es geht immer
noch besser. Dieser Gedanke motiviert mich.
Außerdem fasziniert es mich, dass das Ballett eine so weit zurückreichende Tradition
hat. Ich liebe die Werke von großen Choreographen wie Marius Petipa auch deshalb so
sehr, weil sie schon seit Jahrhunderten immer
weitergegeben werden, weil schon so viele
Tänzer diese Rollen verkörpert haben und ich
diese Reihe nun fortsetzen kann. Kein Wunder also, dass meine absolute Lieblingsrolle
aus einem Petipa-Ballett stammt: Basilio in
Don Quijote. Von dieser Partie habe ich schon
immer geträumt und auch schon häufiger
auf Galas den Grand Pas de Deux getanzt, bis
ich sie im letzten Jahr hier in Stuttgart dann
komplett einstudieren durfte. Diese Rolle ist
wahnsinnig schwer und es war sehr aufregend, sie zu erarbeiten. Die Premiere, die ich
gemeinsam mit Elisa Badenes getanzt habe,
Das Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014
war etwas sehr Besonderes – die Stimmung
auf der Bühne und im Publikum war sensationell.
Nachdem ich ja nun zum Ersten Solisten
befördert wurde, freue ich mich darauf, noch
viel mehr tolle Rollen tanzen zu können. Das
ist doch das, worum es in meinem Beruf geht.
Mein Ziel war es ursprünglich gar nicht unbedingt, möglichst schnell Erster Solist zu werden, sondern vor allem, viele unterschiedliche Partien kennen zu lernen. Es macht Spaß,
in einem Moment noch der gut gelaunte Basilio zu sein und im nächsten schon der ernsthafte Lenski in John Crankos Onegin.
Ich bin überhaupt ein sehr neugieriger
Mensch. Ich war auch wahnsinnig gespannt,
was mich in Stuttgart erwarten würde, als
ich mit 13 Jahren an die John Cranko Schule
kam. Und habe festgestellt, dass hier einiges
anders ist, als in Brasilien. Das Wetter natürlich. Und die stillen Sonntage. Trotzdem:
Hierher zu kommen war wohl eine der besten
Entscheidungen meines Lebens, wenn man
bedenkt, wie schnell ich hier meinen Weg machen konnte.
Aufgezeichnet von Kristina Scharmacher
Daniel Camargo wurde in Sorocaba, Brasilien, geboren. Nach seinem Abschluss
an der John Cranko Schule wurde er 2009
ins Corps de ballet des Stuttgarter Balletts
aufgenommen. 2011/12 erfolgte seine
Beförderung zum Halbsolisten, 2012/13
zum Solisten. Seit Beginn der Spielzeit
2013/14 tanzt er als Erster Solist.
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06. Uraufführung „wunderzaichen“ von Mark Andre
06.
Realisiert von Sylvain Cambreling, Jossi Wieler, Sergio Morabito und Anna Viebrock
links Lagebesprechung vor der langen Nacht in der
Grabeskirche: v.l. Mark Andre, Prof. Sr. Margareta Gruber OSF
(Dekanin des Theologischen Studienjahres Jerusalem und
Inhaberin des Laurentius-Klein-Lehrstuhls für Biblische und
Ökumenische Theologie 2009 – 13) und Joachim Haas
unten Wind in der Wüste: Mark Andre und Joachim Haas auf
Klangspurensuche (Fotos: Patrick Hahn)
Vier Mikrofone: Voraussetzung, um die Akustik der Grabeskirche zu vermessen.
(Foto: Joachim Haas)
Komponist Mark Andre, im Hintergrund die Ausläufer von Jericho (Foto: Joachim Haas)
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ode es. Unterwegs
Beid
Am 2. März 2014 wird die erste Oper des
Komponisten MARK ANDRE an der Oper
Stuttgart Premiere feiern.
Der Dramaturg PATRICK HAHN hat das Werk
gemeinsam mit dem Komponisten konzipiert
und sendet Kurznachrichten aus dem Prozess.
Für lange Begrüßungen bleibt keine Zeit, als wir am israelischen Flughafen Ben Gurion erstmals in dieser Konstellation
aufeinander treffen: Der Komponist Mark Andre, der Toningenieur Joachim Haas vom Freiburger SWR Experimentalstudio, unser israelischer Fahrer David und ich. Es dauert eine
Weile, bis die Aufnahmegeräte und die Mikrophone durch
den Zoll gewinkt sind, die Straßen sind um diese Tageszeit
verstopft, wir müssen rechtzeitig Jerusalem erreichen und die
unhandliche Technik durch die verwinkelten Gassen der Altstadt wuchten. Um 19 Uhr schließt sich das Tor der Grabeskirche bis zum nächsten Morgen um 4.30 Uhr. In dieser Nacht
werden wir uns gemeinsam mit den Franziskanern, den Armeniern und den griechisch-orthodoxen Fratres in der klammen Kälte der seit Jahrtausenden umkämpften Pilgerstätte
einschließen lassen, alle Aufnahmegeräte auf »ein«. Georg
Blochmann, der Direktor des Tel Aviver Goethe-Instituts, dem
wir die Möglichkeit zu dieser Reise verdanken, hat in einem
Akt höherer Diplomatie eine Aufnahmegenehmigung für uns
erwirkt: Solange wir die Mönche in ihren heiligen Handlungen damit nicht stören, dürfen wir in dieser Nacht den verwachsenen Körper der Grabeskirche vermessen, ihn unserer
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Festplatte einverleiben, um so Daten zu sammeln für ein Abenteuer, das erst in einigen Jahren seinen Abschluss finden wird.
Willkommen auf dem »metaphysischen Roadtrip«.
Spurensucher in der Wüste: v.l. David Levy (Guide), Patrick Hahn, Mark
Andre, Jörg Herkommer (NMZ-Media), Joachim Haas (SWR Experimentalstudio) / Foto: Katharina Herkommer (NMZ-Media)
Patrick Hahn: Mark, warum hast Du Dich entschlossen, ins »Heilige Land« zu reisen, um Deine Oper zu
komponieren?
Mark Andre: Ich bin hier um akustische Fotos, Echographien zu machen. Nicht zu verwechseln mit Klangpostkarten. Ich sammle unterschiedliche Kategorien
von Materialien, sie werden zugeordnet, analysiert
und musikalisch entfaltet. Es geht also einerseits um
Messungen, die mit Parametrisierung, mit akustischen
Darstellungen von Gebäuden, von Klangsituationen zu
tun haben. Andererseits geht es um meine Hoffnung,
dass diese Räume, diese Situationen eine besondere
Ausstrahlung haben – und wir diese einfangen und entfalten können. Es gibt immer etwas, das mit Computerklanganalysen nicht zu erfassen ist. Hier kommt das
persönliche innere Erleben ins Spiel.
Schon während unserer ersten Gespräche über sein Opernprojekt hat Mark immer wieder die Metapher vom »metaphysischen Roadtrip« verwendet, um zu beschreiben, was
ihm vorschwebt. Ein Sinnbild für den Weg, den der Komponist selbst beschreitet im Prozess des Komponierens. Ein
Hinweis darauf, was die Zuschauer in einigen Jahren erwarten wird, wenn sie sich durch das Stück bewegen. Aber eben
auch: nackte Methode. Der Komponist verlässt den heimischen Schreibtisch in Berlin-Friedrichshain, um in der Auseinandersetzung und Begegnung mit einem fremden Ort die
Grundlagen für ein neues Stück zu legen.
PH: Wie nimmst Du einen Ort wie die Grabeskirche
wahr? Mit den Ohren oder mit anderen Sinnen?
MA: Bestimmt nicht nur mit den Ohren. Es geht mir
um die Erfahrung von »Zwischenräumen«. Eine Episode
aus dem Johannes-Evangelium kann man als Gleichnis
dafür nehmen, eine Szene, die sich unmittelbar an dem
Grab, das wir besucht haben, abgespielt haben soll:
Maria erkennt Jesus an der Stimme, sie will ihn festhalten, doch er sagt: »Rühr mich nicht an«. Obwohl sie einander nicht berühren, geschieht etwas zwischen ihnen,
die Nichtberührung entfaltet einen Zwischenraum. Es
geht aus meiner Perspektive um einen vertikalen Raum,
der nicht mehr mit einer Chronologie, einer Narration
oder einer horizontalen Vision der Zeit zu tun hat. Als
kompositorische Idee ist das für mich sehr inspirierend.
Das Geräusch einer Plastiktüte, die sich in einem Gebüsch in
der Wüste verfangen hat und nun von Sand, Wind und Sonne zerfetzt wird. Die Gischt des Sees Genezareth im Sturm.
Schritte auf Stein, im Wasser, am Strand. Tage auf der Straße, ununterbrochen auf Empfang. Umwege, Fehlschläge,
Begegnungen. Mal folgen wir dem Reiseführer, mal der Intuition. Erschöpft erreichen wir nach zehn Tagen wieder den
Flughafen Ben Gurion nahe Tel Aviv. Joachim deklariert sein
Equipment gerade beim Zoll, als israelische Grenzbeamten
Mark und mich aus der Warteschlange winken. Sie befragen
uns nach dem Grund unseres Aufenthalts. Mark schildert
wahrheitsgemäß, dass die Komposition einer Oper der Zweck
seiner Reise war. »Wir haben Aufnahmen gemacht von den
Erscheinungsweisen des Heiligen Geistes. Laut der Bibel handelt es sich dabei um Wasser, Wind und Feuer.« Wir sind verdächtig.
PH: Für viele Komponisten des 20. Jahrhunderts war
die Idee der Guckkastenbühne eine Begrenzung – die
Architektur eines Opernhauses schien ihnen überkommen um wirklich neue Stücke zu schreiben. Wie geht es
Dir damit?
MA: Über diese Frage sind wir, glaube ich, hinaus. Mir
geht es um die intensive Auseinandersetzung mit einem bestehenden Raum und einem bestehenden Apparat und diesen zu transzendieren. Was ich suche,
sind Metaräume. Ich habe jetzt nicht mehr das Gefühl,
mich in einer ästhetischen, historischen Reflexion über
das Musiktheater zu befinden. Mir geht es in meiner
Musik darum, eine andere Kategorie von Kraft, von Zeiterlebnis und Präsenz zu erschaffen. Die ästhetische
Situation auf der Bühne wird nur ein Ergebnis dieser
Suche nach anderen Räumen sein.
Das Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014
In seinen bisherigen Werken, wie seiner »Musiktheater-Passion« ... 22,13 ... , hat Mark meist Bibelfragmente, oft nur einzelne Worte, gelegentlich gar nur einzelne Buchstaben als bewusst kryptische Zeichen seiner Musik eingeschrieben: Text
als Chiffre und als Trigger für eine ungemein zerbrechliche
Musik, die ihre ganze Kraft aus ihrer Instabilität bezieht, ihre
Präsenz aus dem Verschwinden. Musik, die in ihren kanonischen Strukturen wohl etwas von der ewigen Ordnung ausdrückt, die hinter den Dingen waltet und durch die akribische
Untersuchung der spektralen Natur der Klänge zum Wesen
der Erfahrung durchdringt. Musik schließlich, die mit ihrem
Nuancenreichtum an Geräuschen und klangfarblichen Verbindungen etwas von der Vielfalt der Beziehungen nachzeichnen möchte, die sich zwischen den Dingen ereignen, die von
dieser Welt sind, und jenen, die sie bereits hinter sich gelassen
haben.
Johannes: Ein einziger Ohrenzeuge ist mehr wert als
zehn Augenzeugen wenn es darum geht, Menschen
kennen zu lernen, die der Weisheit zugetan sind.
Johannes Reuchlin begleitet Mark Andre als Gefährte im Geiste, seit die Oper Stuttgart ihm den Auftrag für eine abendfüllende Oper erteilt hatte. »Wie würde Reuchlin heute auf die
Welt reagieren? Welche Erfahrungen würde er bei einer Reise
nach Israel machen?«, spekuliert er seither. Die Beschäftigung
des Komponisten mit Johannes Reuchlin hatte der heutige
Chefdramaturg der Oper Stuttgart, Sergio Morabito, initiiert
als er 2007 mit Kammermusik von Mark eine »szenische Collage« über den ersten deutschen Humanisten gestaltete: Johannes Reuchlin, der 1455 in Pforzheim geboren wurde und
1522 in Stuttgart starb. Goethe hat den Juristen und Schriftgelehrten, der in der Leonhardskirche am Rande des kleinen Rotlichtviertels im Herzen von Stuttgart begraben liegt, später ein
»Wunderzeichen« genannt. Wie ein Wunder mutet bis heute an, welche Auseinandersetzungen und Kämpfe Reuchlin
durchstanden hat, ohne seine Überzeugung zu verraten: dass
die Kenntnis des Hebräischen und das Studium der jüdischen
Literatur unerlässlich sei für die Vervollkommnung der geistigen Fähigkeiten des Menschen. Insbesondere interessierte
Reuchlin sich für die Geheimnisse der Kabbala, jener mystischen Überlieferung, deren Lehre und Techniken nicht nur zur
Auslegung der Heiligen Schrift und zur Erkenntnis der göttlichen Ordnung verhelfen, sondern gar Mittel aufzeigt, darauf
einzuwirken. Reuchlin sah sich zu Lebzeiten aufgrund seiner
Forschungen und seines Eintretens gegen die Vernichtung jüdischer Bücher durch die katholische Kirche schweren Anfeindungen ausgesetzt, die ihm schließlich gar eine Niederlage
vor dem päpstlichen Gericht eingebracht und seiner Karriere
schweren Schaden zugefügt haben.
Johannes: Ihr aber, für wen haltet ihr mich?
Die schwarz-weißen Ausdrucke der Computeranalysen, mit
der zahlenmäßig aufgeschlüsselten Aura der Orte und Klänge,
die wir während unserer Reise nach Israel gesammelt haben,
liegen verstreut auf dem Flügel in Marks Arbeitszimmer in
Berlin-Friedrichshain. Im Januar 2013 fand die erste Chorprobe für wunderzaichen statt. Die Weitergabe der kompositorischen Räume von Mark Andre ist längst im Gange.
wunderzaichen
von Mark Andre
Ein Auftragswerk der Oper Stuttgart
Unterstützt von: Ernst von Siemens-Musikstiftung,
Goethe-Institut Tel Aviv, Wissenschaftskolleg zu Berlin
und Stefan von Holtzbrinck
In Koproduktion mit dem SWR Experimentalstudio
Musikalische Leitung: Sylvain Cambreling; Regie: Jossi
Wieler und Sergio Morabito; Bühne und Kostüme: Anna
Viebrock
Premiere: 2. März 2014 // 19:00 Uhr // Opernhaus
März 2014: 07.03. // 16.03. // 22.03. // 25.03.2014
17
07. Der Publikumsliebling kehrt zurück
07.
Krabat –
ein Gesamtkunstwerk
Im vergangenen Frühjahr feierte einmal mehr ein neues großes
Handlungsballett am Stuttgarter Ballett seine Uraufführung.
Der junge Choreograph Demis Volpi brachte Krabat nach dem Jugendroman von
Otfried Preußler auf die Bühne des Opernhauses – ein ganz besonderes Werk,
denn es ist das erste für die Stuttgarter Compagnie kreierte Ballett,
das neben Erwachsenen vor allem auch junge Menschen ansprechen soll.
Schnell entwickelte sich Krabat
zum absoluten Publikumsrenner,
sämtliche Vorstellungen waren
binnen Stunden ausverkauft, die
Live-Übertragung bei Ballett im
Park zog tausende Neugierige
an. Sicherlich rührt dieser gewaltige Erfolg nicht zuletzt daher,
dass es sich bei Krabat um ein
großes Gesamtkunstwerk handelt. Die Zutaten: Eine einfühlsam erzählte, bilderreiche Geschichte, detailliert gezeichnete
Charaktere, bewegender Tanz,
eine spektakuläre Ausstattung
und ausdrucksstarke Musik.
und Weise lebendig werden lassen, der Handlung die vom Choreographen erstrebte Atmosphäre verleihen. Das Staatsorchester
Stuttgart nahm sich unter der
Leitung von Dirigent James Tuggle der virtuosen, hoch anspruchsvollen Kompositionen von Pe-teris
Vasks, Philip Glass und Krzysztof
Penderecki an, die die drei musikalischen Säulen des Balletts
bilden. Nach einer intensiven Suche, zu der auch das Anhören von
etwa 800 Stunden Musik gehörte,
hatten sich Demis Volpi und sein
Team für diese drei zeitgenössischen Komponisten entschieden.
Geschichte und Tanz
Für Gefühle, Zauberei und Furcht
stehen ihre Stücke in Krabat.
Literatur in Tanz umzusetzen hat
Auch die harte Arbeit der Geselin Stuttgart eine jahrzehntelanlen in der Mühle sollte natürlich
ge Tradition. Seit John Crankos
musikalisch passend untermalt
Zeiten ist das Stuttgarter Ballett
werden. Inspiriert von einer Beberühmt für seine Handlungssichtigung der nahe Stuttgart
ballette nach großen literariMarijn Rademaker als Der Meister in Demis Volpis Krabat (Foto: Stuttgarter Ballett)
gelegenen Mäulesmühle entschen Vorlagen – man denke nur
stand die Idee der Mühlenmusik.
an Crankos Onegin, John NeuDie Tontechniker der Staatstheater nahmen die Klänge der mahlenden Mühle auf,
meiers Die Kameliendame, Christian Spucks Lulu oder Marco Goeckes Orlando.
behandelten die Geräte wie die Instrumente eines Orchesters und führten die einAuch Demis Volpi hat sich daran gemacht, eine Kunstform, die von Sprache lebt,
zelnen Tonelemente schließlich zu einer Surround-Sound-Komposition zusammen,
in eine Kunstform, die von Bewegung lebt, umzuwandeln. Basierend auf einem gedie nun stets einsetzt, wenn in Krabats Welt schwer geschuftet wird. Neben Orchesmeinsam mit seiner Produktionsdramaturgin Vivien Arnold erarbeiteten Libretto,
ter und Tontechnik steuerte auch der Kinderchor der Oper Stuttgart einen weiteren
erweckt er Krabat und die anderen Figuren aus Otfried Preußlers gleichnamigem
Baustein zu der vielfältigen Krabat-Musik bei. Immer wieder erklingt das von KinRoman zum Leben, gibt ihren Gefühlen, Gedanken und Taten im Tanz Ausdruck.
derstimmen gesungene alte Volkslied »Die Gedanken sind frei«, das Krabats wachJeder Situation verleiht er eine ganz eigene Sprache: Ein sehr zeitgenössischer Stil
sende Sehnsucht nach Freiheit illustriert.
kommt zum Einsatz, wenn Krabat mit seinen eigenen Entscheidungen ringt, fließende klassische Bewegungen dominieren, wenn es um die Liebe zu seiner KantorGesamtkunstwerk
ka geht, und rhythmische Schritte unterstreichen die harte Arbeit und den drögen
Alltag der Müllergesellen. Angst vor Wiederholung hat Volpi dabei nicht, schließlich
Choreographie, Musik und Ausstattung, Dramaturgie, Tänzer, Mitarbeiter – es
spielt sich Preußlers Geschichte im Rahmen eines sich von Jahr zu Jahr wiederhobraucht viele Komponenten, viele helfende Hände, um ein Ballett entstehen zu
lenden Zyklus’ ab. Natürlich ist es hier der Tanz, der im Mittelpunkt steht. Doch
lassen. Die schönste Belohnung für die Mühen ist der große Erfolg, ein begeistertes
für das Gesamtkunstwerk Krabat sind die liebevolle Ausstattung und facettenreiPublikum und im Fall des Balletts Krabat vor allem staunende Kinderaugen.
che Musik mehr als nur ein Hintergrund, vor dem sich die Geschichte entfaltet. Sie
Kristina Scharmacher
schaffen Atmosphäre, führen uns die Welt vor Augen, in der die Protagonisten leben.
Bühne und Kostüme
Koraktor, so heißt in Otfried Preußlers Jugendroman Krabat das Buch, in dem die
Geheimnisse der Schwarzen Magie niedergeschrieben wurden. Nur der Meister
darf darin lesen, seinen Gesellen, allesamt seine Schüler auf dem Gebiet der Kunst
der Künste, ist der Blick in das Buch streng verboten. Auch in Demis Volpis Ballett
Krabat gibt es natürlich einen solchen Koraktor, der immer wieder wie von Zauberhand erscheint, wenn der Meister darin lesen möchte. Nur aus einiger Entfernung aus dem Zuschauerraum heraus zu sehen ist dieses Buch, und doch ist es
von Mitarbeitern der Staatstheater Stuttgart liebevoll Seite für Seite gestaltet worden, beschriftet und bemalt nach dem Vorbild alter Zauberbücher. Das ist nur ein
Beispiel für all die Details, mit denen Krabats Kosmos auf der Ballettbühne zu Leben erweckt wurde. Feder für Feder wurde eingefärbt und zu riesigen Rabenflügeln
zusammengesetzt, über tausend Mehlsäcke wurden genäht, bedruckt und gefüllt,
ganze Landschaften gemalt – sämtliche Werkstätten der Staatstheater Stuttgart
arbeiteten mit riesiger Begeisterung daran mit, die Vision Demis Volpis sowie der
Kostüm- und Bühnenbildnerin Katharina Schlipf zu verwirklichen.
Musik
Orchester, Gesang, Tontechnik – diese drei Komponenten braucht es, um die Ballettmusik zu Krabat erklingen zu lassen. Die musikalische Grundlage ist für das Gesamtkunstwerk Ballett natürlich ebenso wichtig wie die Ausstattung. Musik kann
mit ihrer Kraft, Stimmungen zu schaffen, ein Geschehen auf eine ganz eigene Art
Krabat
Ballett von Demis Volpi nach Otfried Preußler
- teris Vasks, Krzysztof Penderecki,
Choreographie: Demis Volpi; Musik: Pe
Philip Glass u.a.; Bühnenbild und Kostüme: Katharina Schlipf; Libretto und
Dramaturgie: Vivien Arnold; Licht: Bonnie Beecher; Musikalische Leitung:
James Tuggle
Vorstellungen im Opernhaus: 14.01. // 18.01. // 19.01. // 21.01. // 23.01.
(Schulvorstellung) // 26.01. // 14.02. // 22.02. // 23.02. // 09.03. // 14.03. //
15.03.2014
Handlung: Preußler erzählt in seinem Roman die Abenteuer des Waisenjungen
Krabat, der in einer Mühle als Geselle aufgenommen wird. Bald darauf offenbart
der Meister der Mühle Krabat, dass er sich eigentlich in einer »Schwarzen Schule«
befindet, in der er die »Kunst der Künste« lernen kann. Krabat ist anfangs fasziniert von der Macht der Magie, doch bald lernt er nicht nur, welch furchtbarer
Preis dafür bezahlt werden muss, sondern dass er eigentlich ein Gefangener des
Meisters geworden ist. Durch die Liebe zu einem Mädchen – und ihre Liebe zu ihm
– kann Krabat den Meister besiegen und sich und seine Mitgesellen befreien.
links oben Sue Jin Kang als Herr Gevatter rechts oben Elisa Badenes als Die Kantorka und David Moore als Krabat
unten Marijn Rademaker als Der Meister und Ensemble in Demis Volpis Krabat (Fotos: Stuttgarter Ballett)
18
Das Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014
19
08. Porträt Armin Petras
Auf der Suche
Ein neuer Intendant am Schauspiel. Ein Intendant, der vieles anders macht.
Der Veränderung bringt. Die ist wichtig, keine Frage. Mit ARMIN PETRAS wirbelt
jetzt ein Regie-Besessener durch das Staatstheater, dessen schnelles, aktuelles,
aufrüttelndes Theater niemanden kaltlassen kann.
Er gilt als der Rastlose. Der Regie-Workaholic. Der Kompromisslose. Charakterisierungen wie diese hat sich Armin Petras (49) in
seiner über zwanzigjährigen Laufbahn zuhauf erarbeitet. Aber
sind sie wirklich nach wie vor gültig? Gewiss, insbesondere in
seinen sieben Jahren am Berliner Maxim Gorki Theater, das
durch seinen eigenwilligen und bisweilen nicht unumstrittenen
Stil zu einem vielbeachteten Haus wurde, ist es schwer, einen
anderen Petras als den rastlosen Derwisch zu sehen. Der seinen Spielzeitbeginn 2006/07 an der kleinsten Schauspielbühne
Berlins mit unglaublichen 46 Premieren begann. Der den Altersdurchschnitt von 50 auf 40 senkte. »Die Marxsche Definition von
Glück besagt, Glück bedeute, sich nach seinen Fähigkeiten zu
verbrauchen. Damit will ich nicht sagen, dass meine Fähigkeiten
im Bereich der Regie liegen. Aber eben eher dort als woanders«,
sagt er.
Die andere Seite wird im persönlichen Gespräch, in seinen Hintergründen und seiner Geschichte deutlich. Im Gespräch offenbart Petras nämlich eine große Ruhe. Er spricht schnell, aber
wohlüberlegt, schweift nicht ab, weilt ganz im Jetzt. Trotzdem
werden das Tempo, das Spontane bleiben. Wenn es passt. »Die
Stoffe entscheiden darüber, in welcher Geschwindigkeit man
mit ihnen umgeht«, lautet seine Parole. Theater ist für ihn ein
Spiegel der Welt. Und die ist nun mal oft unvorhersehbar, fragil, tückisch. Da passt ein atemloses Spiel eben perfekt dazu –
ganz gleich, ob in Stuttgart oder Berlin. Eine klassische Flucht
nach vorn, die er sich fast bei seinem Idol Heinrich von Kleist
abgeschaut haben könnte. Die Zerrissenheit und seinen Hang
zur Flucht mag er an ihm, findet jene Zerrissenheit auch bei sich.
Und insbesondere in seinem Pseudonym Fritz Kater – ein Alter
Ego, der fast eine eigene Existenz führt. »Stücke meines Freundes Fritz Kater« nennt Petras Inszenierungen wie sein apokalyptisches 5 morgen, die oft abgründig, gerne zynisch und immer
halsbrecherisch von kleinen Verlierern und großen Katastrophen erzählen.
„Die Marxsche Definition
von Glück besagt,
Glück bedeute, sich nach
seinen Fähigkeiten zu
verbrauchen.“
Das ist ein weiter Weg zu Kleist, zu Goethe oder Schiller. Doch
Petras ist es gewohnt, ständig in Bewegung zu sein. »Genauso
wie Kleist bin ich in meinem Leben an sehr vielen Orten und
sehr vielen Stationen gewesen, und die Biografie, zumindest die
typografische, ist wie ein Zickzackkurs – wie das Hakenschlagen eines Hasen.« In der Tat: Regie-Studium in Berlin, danach
Frankfurt, München, Chemnitz, Magdeburg, Leipzig, Mannheim,
Hannover, Hamburg, Berlin, jetzt Stuttgart. Das passt zu ihm, er
ist drahtig, wirkt fit und agil, deutlich jünger als die knapp 50, die
auf dem Papier stehen. Heinrich von Kleist kam übrigens nicht
zufällig zu ihm. Er ist ihm auf den Kopf gefallen – im wahrsten
Sinne des Wortes. Mit elf, aus dem Bücherregal seines Vaters.
Die Folge war das Kleist-Festival am Gorki, ein weiteres Mammutprojekt, das in eine regelrechte Kleist-Überforderung mündete.
Langweilig wird es unter Petras nie. Dafür hat er immer noch
viel zu viel vor, ist beinahe dankbar über seine mindestens zwölf
Stunden Arbeitszeit pro Tag. Die Schlagzahl jedoch soll eine
andere werden. Das ist allein schon der Größe des Hauses geschuldet; das Gorki war deutlich kleiner, wendiger. Aus seiner
heutigen Sicht inszenierte er in Berlin aber sogar zu viel, verlor vielleicht auch den roten Faden manchmal aus den Augen.
Probieren geht eben über studieren, alles ist ein Lernprozess.
Und ein Abenteuer ist Theater für ihn sowieso – eins, das zudem
Lebensfreude geben soll. Da kann man durchaus mal riskieren,
dass was danebengeht. Ja, Petras erwartet das sogar. »Mein
Denken ist so stark von meinen Instinkten bestimmt, dass ich
gar keine Möglichkeit habe, anders zu handeln«, beschreibt er
seine Herangehensweise an neue Stoffe, von denen er jetzt 32
in die neue Stuttgarter Spielzeit bringt. »Das ist ein Abtasten,
wobei ich ganz klar sagen muss, dass jedes einzelne der 32 Stücke genauestens durchdacht wurde. Ob es funktioniert, ist aber
eine ganz andere Sache.« Noch weiß er nicht, wie sein Stil hier
ankommen wird. Aber genau so mag er es. Es gibt ja immer ein
20
Das Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014
Morgen, ein weiteres Stück, eine weitere Möglichkeit. Jetzt eben
nicht mehr in Berlin, sondern in Stuttgart. Also die Stadt, über
die er schon in Berlin gesagt hat, dass es ohne sie kein Berliner
Theater gäbe. Gemeint hat er damit zwar ganz Baden-Württemberg und den Länderfinanzausgleich, aber dennoch ...
Es gibt ja immer ein
Morgen, ein weiteres Stück,
eine weitere Möglichkeit.
Für ihn gilt die alte Maxime: Wann, wenn nicht jetzt? Veränderungen sind besonders gut zu Beginn einer neuen Intendanz
möglich. Das hat Petras in Berlin bewiesen. Und das will er in
Stuttgart wieder tun. Das atemlos hohe Tempo seiner bisherigen
Inszenierungen war für ihn nie Mittel zum Zweck, war schlichtweg ein Ventil für seine Ideen. Und Petras hat eben mehr Ideen
als andere. Das gilt auch in seiner ersten Spielzeit in Stuttgart.
Er will das Theater jünger, volksnaher, menschlicher machen.
Für ihn muss Theater lebendig sein, muss als »Verdichtung des
täglichen Lebens« Realität abbilden ohne zu nah an selbiger zu
sein. Außerdem ist er mit seinem neuen, teils aus Berlin mitgebrachten Ensemble auf Spurensuche in der Stadt – auf und
abseits der Bühne. Er inszeniert Filmstoffe wie Fräulein Smillas
Gespür für den Schnee, lässt die Schauspieler beim Autostück.
Belgrader Hund durch Stuttgarts Nacht fahren, zeigt Bergmans
Szenen einer Ehe, aber auch Klassiker wie Die Räuber, Effi Briest
oder Urgötz. Insgesamt kommt er dennoch mit »nur« 32 neuen
Stücken um die Ecke. Doch der gebürtige Sauerländer ist nicht
hier, um neue Rekorde aufzustellen. Er will in Stuttgart eine »legendäre Theaterzeit« schaffen, hat dafür neben Teilen seines
Ensembles auch sein Motto »Spurensuche« von Berlin mit nach
Stuttgart genommen. Dabei ist Petras nicht nur ein Spurensucher, sondern auch ein Spurenleser. Also begibt er sich in der
Fremde auf die Pirsch, spürt beispielsweise dem Stuttgarter Wilhelm Hauff hinterher, schaut sich ganz genau an, was und wer
hier Spuren hinterlassen hat und setzt sich damit auseinander.
Ost und West wird hier weniger eine Rolle spielen als noch am
Gorki, gesellschaftliche Umbrüche und Soziales wird Stuttgart
aber dennoch von ihm serviert bekommen.
„Gutes Theater ist das, was
mich nicht in Ruhe lässt.“
Weshalb sein Abschied in Berlin so betrauert wurde, macht seine Arbeitsweise deutlich. »Ich habe versucht, im Gorki-Theater
auf den Proben und Versammlungen für alle Beteiligten und
Künstler einen angstfreien Raum zu schaffen. Ich glaube, jeder,
der mal beim Theater war, weiß, dass dies sich zwar nach sehr
wenig anhört, aber eine ganze Menge bedeutet.« Vielleicht war
das ja der Grund, weshalb ihn die Fachzeitschrift »Theater heute« mit einigen anderen Kandidaten zum obersten Repräsentanten der Kunstwelt vorschlug, eine Art Gegenstück zum Bundespräsidenten. Das passt, immerhin war Petras im Namen des
deutschen Theaters schon in China unterwegs. Er macht Theater getreu seinem Leitspruch »Gutes Theater ist das, was mich
nicht in Ruhe lässt«. Er muss immer unterwegs sein, Spuren lesen, »was daraus machen« und so selbst Spuren hinterlassen.
Ein Abenteuer wird die Zeit mit ihm ganz gewiss.
Der private Petras
Ihre Lieblingskneipe? Zum Becher
Ihre bevorzugte Fortbewegungsmethode in der Stadt?
Mit dem Fahrrad
Bilder oben Das neueste Stück seines »Freundes Fritz Kater« hat
Armin Petras zur Eröffnung seiner Intendanz mit 5 morgen uraufgeführt (im Foto oben: Hanna Plaß). Daneben weiß er jedoch
auch klassische Stoffe zu schätzen wie z.B. Dürrenmatts Das Versprechen (im Foto Mitte: Peter Kurth, Fritzi Haberlandt und Anja
Schneider) oder Leben des Galilei von Bertolt Brecht (im Foto unten: Peter Kurth in der Titelrolle u.a.)
Großes Bild links Armin Petras auf dem ersten Schauspiel-StuttgartFahrrad, ein Gemeinschaftsprodukt mit Fahrräder für Afrika e.V.
Die Versteigerung findet am 8. Dezember um 16:30 Uhr im Foyer
Schauspielhaus statt.
(Fotos: Bettina Stöß, Matthias Horn, Robert Seidel)
Ihr Leibgericht? Tintenfisch-Feldsalat
Ihre bevorzugte Biermarke? Detmolder Schwarzbier
Wo können Sie am besten entspannen? Beim Schwimmen
Ihre Lieblingsstadt? Havanna
Ihr Lieblingstheaterstück? Othello
Ihr Lieblingsmusiker? Muddy Waters
Ihr Lieblingsbuch? Malcolm Lowry »Unter dem Vulkan«
21
09. Armin Petras auf Schwarzwald-Reise
09.
Die Suche nach
dem Glück
Es bleibt abzuwarten, ob sein Umzug von Berlin nach Stuttgart einen Kulturschock nach sich ziehen wird. Bislang sei das nicht der Fall gewesen,
meint Petras, ist sich aber der Unterschiede deutlich bewusst. Dort das
quirlige, schnelle, laute, aggressive Berlin, hier das ruhige, beschauliche,
grüne, gewiss auch brave Stuttgart. Der neue Intendant ist ein Fremder
in diesen Gegenden, ein Neuankömmling, der sich nun auf die Spuren ihrer Historie macht und dabei unweigerlich seine eigenen Spuren im Theatersand hinterlassen wird. Eine reizvolle Dynamik, für die es allerdings
gilt, Probebühnen und Büros zu verlassen. »Ich stürze mich nicht nur in
Sekundärliteratur, sondern bevorzuge, wie man hier auf diesem Tisch
sieht, vor allem den Kontakt mit dem Stoff«, spricht Armin Petras und
deutet auf seine Mitbringsel aus dem Schwarzwald. Zweige, Beeren, ein
großer Pilz. Er will einen Stoff
Was ist das eigentlich für eine nicht nur erlesen, sondern erfahren, mit allen Sinnen kosten.
Geschichte, die in diesem
Dazu gehört es für ihn, die Remystischen, romantischen
gion kennen zu lernen, mit eigenen Augen, Ohren, Händen und
Schwarzwald spielt?
Füßen, aber auch mit der eigenen Nase zu erfassen. »Ich würde für Antigone nicht unbedingt nach Griechenland fahren, versuche aber dennoch, ein Gefühl für die Materie zu
bekommen. Es muss ja irgendetwas geben, was mich interessiert, was
mich reizt an diesem Stoff, sonst würde ich ihn ja nicht inszenieren. Für
Fräulein Smillas Gespür für Schnee bin ich nach Dänemark gefahren und
habe mir dort das Inuit-Museum angeschaut. Für ein Stück über Bitterfeld fahre ich dort natürlich auch hin. Ich bin ein großer Freund der LiveRecherche – und beim ›kalten Herz‹ ist es, dass die Vormoderne in einem
Stoff anklingt, der ja eigentlich ›nur‹ ein Märchen ist.«
Das hat den neuen Intendanten überrascht, sein Interesse war geweckt. Was ist das eigentlich für eine Geschichte, die in diesem mystischen, romantischen Schwarzwald spielt? Die Auseinandersetzung begann. »Ich merkte schnell, dass das Verhältnis zu Geld in dieser Region,
die ja sehr reich ist, ein ganz anderes ist als jenes, das ich beispielsweise
aus Berlin kenne. Ich glaube in der Tat, dass die Zeit des Frühkapitalismus, die in diesem Text herausgeahnt wird, für diese Region eine sehr
wichtige Zeit war.« Sobald sich Petras einigermaßen in Hauffs Geburtsort und letzte Ruhestätte Stuttgart eingelebt hatte, ging es hinaus für
ihn in den Schwarzwald, hinaus auf eine dreitägige Spurensuche. »Eine
solche Reise wirkt eher unterbewusst«, bemerkt er. »Die Textfassung zu
einem Stück entsteht bei mir meist viel früher, diese Reisen dienen dann
der Feinarbeit. Wie sieht es da überhaupt aus? Wie fühlt es sich an? Welche Farben sind die vorherrschenden? Wie laufen die Menschen? Wie ist
die Gesellschaftsstruktur? All diese Eindrücke geben Futter für die Arbeit
mit den Schauspielern.«
Diesmal war der Text noch nicht fertig, als sich Petras zur Live-Recherche
aufmachte. Ein ungewöhnlicher Umstand für den Regisseur, aber nichts,
was ihm schlaflose Nächte bereitet. Anfang Dezember starten die Proben, bis dahin muss Petras den Text fertig haben. Dass all jene Eindrücke
seiner Reise bereits jetzt in den Text einfließen, ist gewiss alles andere
als von Nachteil. Zumal der rastlose Regie-Sprinter aus den dunklen Wäldern dieser Region viel mitnehmen konnte. »Diese Tage waren ein neues Erlebnis. Ich war mit meiner Tochter unterwegs, und Das kalte Herz
könnte der erste Stoff werden, den sie auch auf der Bühne sehen wird.
22
Sie ist acht Jahre alt, und aus ihrem Blick war sofort klar, was spannend,
erstaunlich und neu war. Wir waren zum Beispiel in einem wunderschönen Flößermuseum, was für sie wie auch für mich überaus aufregend
war. Ich habe den Blick durch ihre Augen auf dieser Reise sehr genossen.« Aller Interpretation zum Trotz ist und bleibt Das kalte Herz eben
ein Märchen – ein Märchen, das durch einen Ausflug in den Schwarzwald
mit seiner Kultur, Vergangenheit und Tradition sofort sehr viel greifbarer
wird. Petras blickt auf die Route zurück: »Wir waren in Horb, Freudenstadt, Baiersbronn und in Lahr, fuhren dann wieder nach Stuttgart zurück.
Wir waren drei Tage unterwegs, und immer wieder habe ich Gegenden
gesehen, die sich die letzten 200 Jahre nicht verändert haben. Außerdem gibt es im Schwarzwald
„Wir waren drei Tage im Schwarzan jeder Ecke ein Wirtshaus.
Und auch das ist hochintewald unterwegs, und immer
ressant für Das kalte Herz,
wieder
habe ich Gegenden gesehen,
denn dieses Märchen ist ja
die sich in den letzten 200 Jahren
eingebettet in Hauffs Das
Wirtshaus im Spessart. Ich
nicht verändert haben.“
glaube, dass das nicht nur an
der dichteren Besiedelung, sondern auch daran liegt, dass die Menschen
hier geselliger sind als beispielsweise in Norddeutschland. Meine Tochter
war außerdem total erstaunt, wie oft im Schwarzwald ein ›toter Jesus‹
hängt. All diese Beobachtungen sind immens wichtig für die psychosoziale Gestaltung der Figuren.«
Diese Religiosität, oder zumindest der traditionsbedingte Bezug auf
selbige, findet sich ebenfalls in Hauffs Märchen wieder. Der KohlenmunkPeter strebt so sehr nach Reichtum und Ansehen, dass er dafür sogar den
sprichwörtlichen Pakt mit dem Teufel eingeht. Faust lässt grüßen. Armin Petras geht jedoch nicht davon aus, dass Hauff die Geschichte aufgrund des in dieser Gegend
deutlich ausgeprägten Sinns
„Hauff ist deutschlandweit ein
für religiöse Symbolik im
unterschätzter Autor.“
Schwarzwald angesiedelt hat.
Wohl eher deswegen, weil er
selbst dort gelebt und diese Region am besten gekannt hat. »Jeder
Schriftsteller benutzt gerne Stoffe, die einem sehr nahe sind. Das merkt
man dem ›kalten Herz‹ an, und deswegen ist es meiner Meinung nach
sein bester Titel – weil er sehr präzise beobachtet und nicht von irgendwelchen Kalifen erzählt, die er gar nicht kennt.« Im Gespräch merkt man
schnell, dass sich Armin Petras und Wilhelm Hauff nähergekommen
sind. »Das fing aber schon vor der Reise an – mit dem Aufspüren Hauffs
in Stuttgart, mit dem Lesen seiner Texte und der entsprechenden Sekundärliteratur, mit seiner Biografie.« Auffällig ist für ihn daran vor allem eines: »In der Region, und insbesondere im Schwarzwald ist das natürlich
etwas ganz anderes, aber Hauff ist deutschlandweit ein unterschätzter
Autor.« Schön, dass sich Armin Petras nicht davon abhalten lässt.
Auf den Spuren Wilhelm Hauffs
Wilhelm Hauff wurde nur 25 Jahre alt. 1802 in Stuttgart geboren,
starb er 1827 ebenda, liegt auf Stuttgarts vielleicht schönstem
Friedhof, dem Hoppenlau-Friedhof, begraben. Hauff studierte an
der Tübinger Universität Theologie. Er reiste durch Frankreich und
Norddeutschland, war eine Zeitlang auch in Baiersbronn ansässig. Mit »Lichtenstein« begründete Hauff 1826 den historischen
Roman in Deutschland, ist heute aber vor allem für seine Märchen
bekannt: »Zwerg Nase«, »Kalif Storch«, »Der kleine Muck« und natürlich »Das kalte Herz«, um das es auf der nächsten Seite gehen
wird. Dieser Stoff ist auch eine eingehende Auseinandersetzung
mit dem Leben im Schwarzwald, der dortigen Industrie und Gesellschaft in den Berufszweigen der Flößer, Köhler, Glasmacher
und Holzhändler.
„Schatzhauser im grünen Tannenwald,
bist schon viel hundert Jahre alt,
dir gehört all Land, wo Tannen stehn,
lässt dich nur Sonntagskindern sehn.“
Wilhelm Hauff
Das Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014
Foto: Julian Marbach
»Wer durch Schwaben reist, der sollte nie vergessen,
auch ein wenig in den Schwarzwald hineinzuschauen.« – In den Schwarzwald hineinzuschauen, das hat
ARMIN PETRAS gemacht. Er hat die Aufforderung des
großen Wilhelm Hauff wörtlich genommen und sich
für die Vorbereitung seiner Premiere Das kalte Herz
hineingewagt in den Schwarzwald. Eine Spurensuche,
die voller Erkenntnisse über das kommende Stück,
aber auch über seine neue Arbeitsstätte war.
23
10. Interview „Das kalte Herz“
10.
Die Leiden des
jungen Peter
Ein Märchen als erste große Neuinszenierung in Stuttgart
– für Armin Petras völliges Neuland. Sich und sein Publikum ins kalte Wasser werfen, das macht der neue Intendant gerne. Und auch wenn Wilhelm Hauffs »Das kalte
Herz« von 1827 eigentlich eher Bildungsroman und Gesellschaftskritik denn klassisches Märchen ist: Die Reise vom
Schwarzwald zur Premiere am 22. Februar 2014 ist für ihn
ein großes Abenteuer.
Kein Zweifel: Seine Reise durch den Schwarzwald hat Petras sensibilisiert.
Für das Stück, für Wilhelm Hauff, für die Region an sich. Ein Fremder in der
Fremde, ein Spurensucher war er, hat sich aufgemacht, nicht das Fürchten,
aber sicherlich die Gepflogenheiten jener Region zu lernen, die der junge
Hauff im »kalten Herz« so wohlbeobachtet beschrieben hat. Mitgebracht hat
Petras einige Zweige, einen kuriosen Pilz, jede Menge Fotos und zahllose Eindrücke aus Landstrichen, die nicht besser für jene »Spurensuche« geeignet
sein könnten, die Petras und sein Ensemble über die neue Spielzeit gesetzt
haben. Wie er daraus die Geschichte des verzweifelten Kohlenmunk-Peter
erzählen wird, der für Reichtum und Ansehen sogar sein Herz durch einen
Stein ersetzen will, weiß er selbst noch nicht so genau. Doch genau das ist
das Spannende für ihn.
ich noch nie in meinem Leben ein Märchen inszeniert. Noch nie!
Für mich ist es eine Herausforderung, ob dieser Stoff überhaupt
inszenierbar ist. Gleichermaßen ist Das kalte Herz mein Versuch
zu zeigen, wie unser Theater mit euren Stoffen funktionieren kann
– und ich wage zu behaupten, dass wir versuchen werden, dieses
Märchen für Erwachsene interessant zu machen. Es wird generell
eher als kindlicher Stoff aufgefasst, aber ist er das wirklich? Spurensuche heißt eben auch, Steine umzudrehen und zu schauen, was
sich im Moos darunter befindet. Was ist anders als ich es eigentlich
erwartet habe? Ich behaupte, dass diese Irritation der Grund war,
weshalb man mich nach Stuttgart geholt hat – und diesem Bestreben muss ich treu bleiben, sonst erschaffe ich falsche Kunst.
Ein Fremder inszeniert einen heimatgebundenen Stoff. Ist das kein
Widerspruch?
Genießen Sie diese Reise ins Ungewisse?
Natürlich kann der Vorwurf kommen, dass ich so etwas doch gar nicht erzählen kann. Dazu fallen mir jedoch zwei Dinge ein: Erstens geht es mir um eine
Geste, die für mich auch eine Verbeugung vor der Region ist. Wir zeigen echtes Interesse an den Menschen dieser Region in all ihrer Vielfalt und kulturellen Historie. Dass wir Spuren suchen, ist keine Behauptung. Wir versuchen
es wirklich. Das will ich in meiner Arbeit beglaubigen, denn das ist die einzige Form der Beglaubigung. Jedes dahingehende Lippenbekenntnis würde
ein solches bleiben. Zweitens glaube ich an die Distanz zu einem Stoff. Bedeutende Soziologen und Philosophen hatten, gerade weil sie als Juden oder
Immigranten fremd waren in einer Gesellschaft, einen anderen Blick auf die
Region. Ein fremder Mensch erkennt viel mehr von dem, was in der Suppe
schwimmt, als ein Einheimischer. Das Theater ist dazu da, immer wieder neu
zu interpretieren. Die Zeit verändert unser Leben schließlich. 2013 ist anders
als 2003. Alles andere wäre tragisch.
Ein Märchen als ihre große Premiere scheint dennoch ungewöhnlich.
Wir machen vieles anders. Bei uns gibt es eben nicht dreimal Schiller und
vor Weihnachten die »Weihnachtsgeschichte«. Wir machen andere Stoffe,
zwischen denen es ungewöhnliche Verknüpfungen gibt. Außerdem habe
Ich kann gar nicht anders. Ich würde komplett versagen, wenn ich
genau das machen würde, was ich letztes Jahr gemacht habe. Natürlich benötige ich eine Grundsicherheit im Denken, doch bei allem anderen gilt es, sich jeden Tag neu zu erfinden.
Und wie erfindet man ein Märchen neu?
Ich finde das Märchen hochemotional, will im Stück deswegen vermehrt mit Tanz und Musik arbeiten. Sie deuteten schon an, dass da
auch eine Faust-Geschichte drinsteckt, es schimmert aber auch ein
Bildungsroman daraus hervor. Für mich sind es die neuen »Leiden
des Werther«. Ein junger Mann verzweifelt, steht kurz vor seinem
Selbstmord und geht einen Pakt ein. Kann man dann noch glücklich werden? Und wie sieht Glück überhaupt aus? Das ist auch in
unserer heutigen Gesellschaft eine wichtige Frage. Erst neulich las
ich, dass der Hauptberufswunsch 17-jähriger Mädchen »Promi« ist.
Wie wird man überhaupt »Promi«? In meiner Generation wäre das
noch unmöglich gewesen, denn damals wusste niemand, was ein
»Promi« ist. Der Anspruch, im Zentrum der Welt zu stehen, ist ein
spannender Punkt für die Gegenwart.
Wird auch der von Hauff angedeutete Frühkapitalismus einer ihrer Ansätze?
»Wo kommt denn das her, was wir heute vorfinden?«
Mit dem Blick des Fremden neue Dinge sehen:
Armin Petras auf Spurensuche im Schwarzwald.
(Fotos: Maleen Kugelmann, Julian Marbach)
Für mich als Regisseur ist dieses Thema ein zentraler Punkt der
nächsten zwei, drei Jahre meiner Arbeit. Ich finde es unglaublich
spannend, zu schauen, zu forschen, zu recherchieren. Wo kommt
denn das her, was wir jetzt vorfinden? Zumal wir in Stuttgart ein äußerst unausgeprägtes Utopiepotential haben. Extrem wenige Dinge
sind hier wirklich neu und im Umbruch. Strukturell ist das hier eine
erstaunlich durchorganisierte Gesellschaft. Ich frage mich, wie das
gekommen ist, ob das schon immer so war und ob man daran noch
etwas ändern kann. Ich finde es erstaunlich, dass eine Problematik
wie Stuttgart 21 nach all den Jahren immer noch solch ein Thema
ist. Und das wegen nur einer Baustelle!
Auch erstaunlich ist, dass die Gesellschaft noch immer unter
dem leidet, was Hauff beschreibt.
Das gilt es jetzt zu inszenieren, und ich bin gespannt darauf, ob die
Zuschauer diese Parallelen entdecken. Ich glaube, dass wir ein relativ historisches Outfit für das Stück wählen werden, um die zeitlose
Relevanz nicht mit dem Holzhammer einzuprügeln. Bleiben dem
Zuschauer diese Vorgänge verborgen? Wie reagiert er darauf?
Der Stoff wurde oft interpretiert, verfilmt, dramatisiert.
Auch 1950 von der DEFA ...
tion der weiblichen Hauptfigur Lisbeth, wie es sie im Film gab, wird
eine herausragende Rolle spielen.
Was beeindruckt sie denn eigentlich an Hauff?
Hauff pflegt eine unglaublich sinnliche Sprache. Er spricht von
»Hüten so groß wie Wagenräder«. Das ist ganz sinnlich, ganz praktisch, direkt aus dem Alltag. Das ist keine metaphorische Sprache,
die sich ein Lyriker oder Autor zurechtgelegt hat, sondern eine Lebenswirklichkeit. Und wenn man bedenkt, dass zur Hauff’schen Zeit
noch Gold gewaschen wurde, wenn man sich die Lithografien der
damaligen Zeit anschaut, in denen Frauen mit ihren kleinen Kindern an der Brust in einer Uhrenwerkstatt gearbeitet haben, merkt
man, dass es sich hier um eine homogene Gesellschaft handelt. Das
bedeutet nicht, dass es keine Probleme gab. Arm und reich gab es
im Schwarzwald schon immer.
Das treibt auch den armen Peter Munk zu seiner Verzweiflungstat: Er geht einen Pakt ein und sein Herz wird zu Stein,
weil er so sehr danach strebt, reich und besonders, jemand
anderes zu sein. Ein klassisches Problem, denn ist nicht jeder
von uns irgendwann mal ein Peter Munk?
Als junger Mann war das wohl jeder schon mal, aber auch als junge
Frau. Die Grenze zum Erwachsenwerden ist der spannendste Punkt
im Leben eines jeden Menschen. Was werde ich? Wohin wird es
mich führen? Es ist das große Ungewisse.
Gespräch und Text: Björn Springorum
Das kalte Herz
nach der Erzählung von Wilhelm Hauff
Regie: Armin Petras; Bühne: Olaf Altmann; Kostüme: Katja
Strohschneider; Choreografie: Berit Jentzsch; Musik: Miles
Perkin, Dramaturgie: Jan Hein; Mit: Berit Jentzsch, Johann
Jürgens, Caroline Junghanns, Manja Kuhl, Wolfgang Michalek,
Rahel Ohm, Miles Perkin, Christian Schneeweiß
Premiere: 22. Februar 2014 // 19:30 Uhr // Schauspielhaus
Stuttgart × Blicke:
Schwarzwälder Dorfgeschichten von Berthold Auerbach
Werfen Sie mit uns einen Blick in die Geschichte des Schwarzwalds. Zu Lebzeiten galt der 1812 in Nordstetten geborene
Berthold Auerbach als einer der führenden deutschen
Schriftsteller. Weltautoren wie Honoré de Balzac, Lew Tolstoi
und Mark Twain lasen ihn voller Bewunderung. Die erste
Sammlung seiner »Schwarzwälder Dorfgeschichten«, 1843 in
Mannheim erschienen, war, wie Gustav Freytag feststellte,
»für Deutschland ein literarisches Ereigniß«. Sein Buch
wurde als demonstrative Abkehr von der Romantik gelesen,
seine Erzählungen galten als Beispiele für einen noch ungewohnten Realismus, der das Landleben zu Beginn des
19. Jahrhunderts ebenso thematisierte wie die Industrialisierung, den Eisenbahnbau, die Hungersnot des Jahres 1816,
die Kriege und den Aufbruch zur Demokratie.
Lesung: 11. Februar 2014 // 19:30 Uhr // Foyer Schauspielhaus
Mit: Katharina Knap und Elmar Roloff
Eintritt frei!
Der DEFA-Film ist eine große Inspirationsquelle für das Stück und
wird in Teilen auch in die Handlung einfließen. Die wichtige Funk24
Das Journal Dezember 2013 / Januar und Februar 2014
25
Plus 10 Fragen an ...
O R U M A M S C H L O S S PA R K
Jan Andrae, Pförtner an den Staatstheatern Stuttgart
„Informationsstelle und
Psychologe zugleich“
MI 18. Dezember 2013
SA 25. Januar 2014
SA 22. Februar 2014
Dan Ettinger
Nationaltheater-Orchester
Mannheim
Thomas Hampson
Amsterdam Sinfonietta
Thomas Hengelbrock
Balthasar-Neumann-Ensemble
Arnold Schönberg Verklärte Nacht op. 4
Johannes Brahms Vier ernste Gesänge op. 121
Samuel Barber Dover Beach op. 3
Hugo Wolf Italienische Serenade
»Fußreise« | »Auf einer Wanderung« |
»Der Rattenfänger«
Franz Schubert »An die Leier« | »Memnon«
Johann Sebastian Bach
Orchestersuite Nr. 4 D-Dur BWV 1069
Georg Philipp Telemann
Concerto D-Dur TWV 54:D3
Georg Friedrich Händel
»Armida e Rinaldo« – Opernpasticcio
Kate Lindsey, Sopran
Steve Davislim, Tenor
Nikolaj Rimskij-Korsakow
Scheherazade op. 35
Pjotr Iljitsch Tschaikowskij
Sinfonie Nr. 4 f-Moll op. 36
Jan Andrae an seinem Arbeitsplatz an der Pforte (Foto: Stuttgarter Ballett)
01
Seit wann arbeiten Sie an den
Württembergischen Staatstheatern?
Seit dem 1. September 1993.
02
Was macht man eigentlich als Pförtner?
Ich sitze in der Pförtnerloge am Bühneneingang und
achte darauf, welche Personen ins Haus gehen.
»Diejenigen, die alle Mitarbeiter des Theaters kennen
müssen, sind der Pförtner und der Intendant«, heißt es.
Nur Mitarbeiter der Staatstheater haben freien
Zutritt, Gäste müssen sich bei mir anmelden.
Das hat Sicherheitsgründe: Wenn zum Beispiel ein Brand
ausbrechen sollte, muss ich der Feuerwehr darüber
Auskunft geben, wer sich noch im Haus befindet.
Wenn ich Nachtschicht habe, mache ich außerdem einen
Rundgang, laufe durch die Werkstätten, über die Bühne
und durch die Gänge, um zu schauen, ob alles in Ordnung ist.
Außerdem bin ich Informationsstelle und eine Art
Psychologe zugleich. Viele Gäste und Anrufer bitten mich
um Auskunft und für die Mitarbeiter bin ich die erste
und die letzte Person, die sie an ihrem Arbeitstag sehen:
Ich bin gerne da, wenn sie von ihrem Arbeitstag berichten
möchten, egal, ob sie sich ärgern oder freuen.
03
04
07
Wie wird man Pförtner?
Auf ganz unterschiedlichen Wegen. Ich zum Beispiel
war ursprünglich Bühnentechniker. Als durch
einen Unfall meine Wirbelsäule verletzt wurde, bin ich
zur Pforte gekommen. Das war 1999.
05
Warum und wie kamen Sie ans Theater?
Mein Vater hat 48 Jahre lang als Opernsänger
auf der Bühne gestanden. Da war mir die Theaterliebe
natürlich in die Wiege gelegt. Mich hat schon immer
die Arbeit hinter den Kulissen interessiert, deshalb bin ich
Bühnentechniker geworden. Das war in Döbeln,
in meiner sächsischen Heimat. Übrigens habe ich trotzdem
einige Male gemeinsam mit meinem Vater auf der
Bühne gestanden: In Döbeln wurden wir Bühnenarbeiter
nämlich als Statisten eingespannt.
06
Das schönste oder vergnüglichste Erlebnis?
Davon gibt es viele. Das schönste ist für mich, dass ich hier
im Laufe der Jahre so viele große Künstler begleitet habe –
sei es Jonas Kaufmann oder Marcia Haydée.
Ich kenne sie, sie kennen mich, und wenn sie nach Jahren
einmal wieder ins Haus kommen, gibt es stets eine herzliche
Begrüßung. Darüber freue ich mich.
08
Wie viele Pförtner gibt es
an den Württembergischen Staatstheatern?
09
10
Das wünsche ich mir:
Dass ich weiterhin ein so wunderbares Verhältnis
zu allen Kollegen habe, von den Bühnentechnikern bis
zu den Intendanten.
Insgesamt 18, zwei davon sind Damen.
beim Staatstheater Stuttgart
för de rv e r e i n de r sta atst h e at e r st u t tg a rt e .v.
P Landesbibliothek
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fach 10 43 45, 70038 Stuttgart.
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Schauspiel auf höchstem Niveau. Private Förderung trägt dazu bei,
dieses herausragende und umfassende Kulturprogramm aufrechtzuerhalten.
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Das Engagement des Fördervereins der Staatstheater Stuttgart
reicht von der Unterstützung von Theaterprojekten an Schulen,
der Finanzierung von Stipendien bis hin zur Förderung
besonders wichtiger Produktionen.
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Abend-Pauschale
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Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr
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Dauerparkberechtigung pro Monat inkl. USt. 115,61 €.
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Erleben Sie Theater hautnah – bei Proben, Sonderveranstaltungen
und exklusiven Gesprächen mit den Künstlern der Staatstheater.
Wir informieren Sie gerne:
för derv er ei n der sta atsth e ater st u t tga rt e.v.
Impressum: Herausgeber Die Staatstheater Stuttgart // Geschäftsführender Intendant Marc-Oliver Hendriks //
Intendant Oper Stuttgart Jossi Wieler // Intendant Stuttgarter Ballett Reid Anderson // Intendant Schauspiel
Stuttgart Armin Petras // Redaktion Oper Stuttgart: Sara Hörr, Claudia Eich-Parkin Stuttgarter Ballett: Vivien Arnold,
Kristina Scharmacher Schauspiel Stuttgart: Meike Giebeler, Jan Hein, Rebecca Rasem // Gestaltung Anja Haas //
Gestaltungskonzept Bureau Johannes Erler // Druck Bechtle Druck&Service // Titelseite Auf der Bühne des ShanghaiGrand-Theatre beim China-Gastspiel des Stuttgarter Balletts im November 2012. Foto: Roman Novitzky Redaktionsschluss 20. November 2013 // Hausanschrift Die Staatstheater Stuttgart, Oberer Schlossgarten 6, 70173 Stuttgart / Post-
in der Kulturmeile
Auch da gibt es einige. Zum Beispiel
Lucia di Lammermoor in der Oper, Dornröschen im Ballett
und Platonow im Schauspiel.
... eine Berufung.
Der große Ball im Jahr 2002 [Anm. d. Red.: Veranstaltet
zum 50-jährigen Jubiläum des Landes Baden-Württemberg
von Oper Stuttgart und Stuttgarter Ballett].
Damals mussten die Zugangskontrollen besonders
streng sein, bei all der Prominenz ...
P
Meine Lieblingsinszenierung …?
Theater ist für mich…
Was war bisher Ihre größte Herausforderung?
Karten: (07141) 910-3900 | www.forum.ludwigsburg.de
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Am Hauptbahnhof 2, 70173 Stuttgart
Telefon 0711.12 43 41 35
Telefax 0711.12 74 60 93
[email protected]
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Attitude.
Cabriole.
En face.
Hier die schwäbische Übersetzung.
Porsche freut sich über die bravouröse Partnerschaft mit dem Stuttgarter Ballett.
Kraftstoffverbrauch (in l/100 km) innerorts 18,9–11,2 · außerorts 8,9–6,5 · kombiniert 12,4–8,2; CO2-Emissionen 289–194 g/km
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