P O L I T I K Budgetplan: ‚Verfassung ist eindeutig‘ BUNDESPRÄSIDENT, DIE ZWEITE. Heinz Fischer pocht im NEWS-Interview auf Budgetfristen und eine Verwaltungsreform ‚im kommenden Halbjahr‘. FOTO MARTIN VUKOVITS N ein, Heinz Fischer wird auch in seiner zweiten Amtszeit nicht ein Bundespräsident sein, der „auf den Tisch haut“, andere „zur Ordnung ruft“ oder sich sonst auffällig benimmt. Das widerspräche seinem auf Korrektheit und Harmonie ausgerichteten Naturell. Er wird auch künftig vieles im direkten Gespräch zu klären versuchen und sich sehr genau über Vorhaben und Gesetze berichten lassen. So auch jetzt, da die Wogen der Empörung hochgehen, weil die Bundesregierung ihren Budgetentwurf erst im Dezember vorlegen will. Im NEWS-Interview stellt der Bundespräsident unmissverständlich fest: „Die Verfassung ist hier eindeutig. Die Bundesregierung hat dem Nationalrat spätestens zehn Wochen vor Jahresende den Budgetentwurf vorzulegen.“ Er werde, so kündigt Fischer an, Gespräche darüber mit der Nationalratspräsidentin und der Regierungsspitze führen. Der Bundespräsident drängt zur oft angekündigten Verwaltungsreform: „Ich bin sehr ungeduldig!“ Und er nennt eine zeitliche Frist: Er hoffe, dass die Versprechungen dazu „im kommenden Halbjahr erfüllt werden“. Von Bundesregierung und EU erwartet er sich „konkrete Resultate“ zur Finanzmarktregulierung, da will er kein Nachlassen akzeptieren. Man darf in Fischers zweiter Amtsperiode also mit seiner sehr freundlich vorgebrachten Hartnäckigkeit rechnen. 22 news1027_PO_Fischer.indd 22 NEWS: Herr Bundespräsident, Sie haben 79,33 Prozent der Stimmen als Rückhalt. Sie wollen auch in Ihrer zweiten Amtsperiode nicht „auf den Tisch hauen“. Aber Sie könnten klarer und offener Stellung beziehen, mahnen, sich einmischen. Werden Sie das tun? Fischer: 79,3 Prozent der gültigen Stimmen bedeuten, dass meine Amtsführung in bemerkenswertem Ausmaß akzeptiert wird. Manche wünschen sich eine deutlichere und härtere Sprache insbesondere gegenüber der Regierung oder ihren Entscheidungen. Ich werde versuchen, diese Mahnungen mit meinem politischen Sensorium und meinen Überzeugungen in Einklang zu bringen. Aber ein Bundespräsident muss mit Argumenten und mit seinem Beispiel überzeugen, nicht mit besonderer Lautstärke oder starken Worten. NEWS: Am Beispiel Arigona Zogaj: Sie sagten im Wahlkampf, das wäre ein Fall für das humanitäre Bleiberecht. Nun respektieren Sie das Urteil des Höchstgerichts. Aber viele Ihrer Wählerinnen und Wähler haben sich mehr erwartet. Manche sagen sogar, es tue ihnen leid, Sie gewählt zu haben. Warum enttäuschen Sie diese? Fischer: Mir ist es darauf angekommen, keinen Zweifel daran zu lassen, dass der Bundespräsident eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs respektiert – auch wenn ich mir ein anderes Ergebnis gewünscht hätte. Aber meine humanitäre Einstellung, mein emotionales Verständnis liegt auf der Seite dieser jungen Frau und ihrer kleinen Geschwister. In dieser traurigen Geschichte ist sehr viel falsch gelaufen, und ich verstehe jeden, der enttäuscht, empört oder betroffen ist. Man hätte diesen Fall in einer früheren Phase mit dem Prinzip des humanitären Aufenthalts regeln können. Aber trotz aller menschlichen Tragik darf man sich nicht über den Verfassungsgerichtshof hinwegsetzen. Weder ein Landeshauptmann noch der Bundespräsident. ,Mein emotionales Verständnis liegt auf der Seite dieser jungen Frau Zogaj.‘ 27/10 06.07.2010 21:09:25 Uhr ZWEITE RUNDE. Bundespräsident Heinz Fischer in der zweiten Amtszeit: Er will überzeugen, nicht laut tönen. NEWS: Die Bundesregierung will das Budget erst im Dezember vorlegen. Das widerspricht der Verfassung und verkürzt die Diskussion darüber. Werden Sie auf Einhaltung der verfassungsmäßigen Fristen, also Vorlage im Oktober, pochen? Fischer: Der Wortlaut der Verfassung ist in diesem Punkt klar: Die Bundesregierung hat dem Nationalrat spätestens zehn Wochen vor Jahresende den Budgetentwurf vorzulegen. Ich werde diese Frage sowohl mit der Präsidentin des Nationalrats als auch mit der Regierungsspitze besprechen, wissend, dass das in erster Linie ein Thema zwischen Regierung und Nationalrat ist. Aber es ist auch für mich als Bundespräsident eine wichtige Frage. NEWS: Aber nicht nur für Nationalrats27/10 news1027_PO_Fischer.indd 23 ,Der Wortlaut der Verfassung ist, was den Budgetentwurf betrifft, eindeutig.‘ präsidentin und Bundesregierung, sondern auch für die Öffentlichkeit: Sie erwarten, dass die Verfassung eingehalten wird? Fischer: Diese Erwartung habe ich schon im April geäußert. Die Verfassung ist hier eindeutig. NEWS: Was haben Sie sich gedacht, als Sie die Bundespräsidentenwahl in Deutschland verfolgt haben: Gut, dass es in Österreich eine Volkswahl gibt? Fischer: Ja, eindeutig. Allein die in Deutschland vielfach geäußerte Meinung, das Ergebnis einer Volkswahl wäre vielleicht ein anderes gewesen als das der Wahl durch die Bundesversammlung, ist ja ein interessanter Aspekt. NEWS: Sehen Sie heute Änderungsbedarf für Wahl oder Dauer Ihres Amtes? Fischer: Erstens sollte man die Frist zwischen erstem und einem allfälligen zweiten Wahlgang von derzeit drei Wochen verkürzen. Zweitens kann man die alte Fragestellung diskutieren, ob man an zwei Amtsperioden zu je sechs Jahren festhält oder eine Amtsperiode mit acht Jahren macht. Und das Dritte ist, ob man an der Sonderregelung für Angehörige der Familie Habsburg festhält. Diese Bestimmung hatte nach dem Ende der Monarchie Sinn: als Vorkehrung gegen Restaurationstendenzen. Aber 90 Jahre später brauchen 23 06.07.2010 21:09:35 Uhr P O L I T I K wir, meine ich, eine solche Bestimmung nicht mehr. NEWS: Wäre Ihnen ein starker Gegenkandidat wie Christian Wulff oder Joachim Gauck eigentlich lieber gewesen? Fischer: Man kann sich die Gegenkandidaten nicht aussuchen. Es hat ja jemanden gegeben, der alle Anstalten in diese Richtung gemacht hat und dann doch nicht angetreten ist (Anm. der Red.: NÖ-Landeshauptmann Erwin Pröll). Das habe ich zur Kenntnis genommen, ohne Jubel und ohne Trauer. NEWS: Wie beurteilen Sie Mindestsicherung und Transparenzdatenbank? Fischer: Ich betrachte die Mindestsicherung und die damit verbundene Angleichung der Sozialhilfe als wichtigen sozialen Fortschritt. Sie ergibt mit der Transparenzdatenbank ein vernünftiges Paket. NEWS: Aber es hagelt Kritik daran, dass Parteispenden nicht von der sonst so hoch gelobten und geforderten Transparenz erfasst werden. Teilen Sie diese Kritik? Fischer: Soviel ich weiß, wird darüber noch verhandelt, und das ist auch vernünftig. Wahrscheinlich muss man bei den Regelungen über Parteispenden und Parteienfinanzierung, die in den 70er-Jahren entstanden sind, nachjustieren. NEWS: Die Bundesregierung macht keinerlei Anstalten, die Parteispenden transparenter zu machen. Dabei könnte das der Akzeptanz von PolitikerInnen guttun. Fischer: Die Zahl der Mitglieder in politischen Parteien wird geringer, und die staatliche Parteienförderung aus Steuergeldern zu erhöhen ist de facto nicht möglich. Radikal verschärfte Transparenzbestimmungen könnten die Spenden ,Bei der Verwaltungsreform bin ich sehr ungeduldig!‘ freudigkeit an Parteien reduzieren, weil es Menschen gibt, die nicht als Spender für eine Partei aufscheinen wollen. Man muss also die positive Wirkung einer Veröffentlichung von Spendern gegen eine finanzielle Schwächung unserer Parteien abwägen. Immerhin steht in der Bundesverfassung, dass die Existenz und Vielfalt politischer Parteien ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie ist. Es wird niemandem schwerfallen, aufs Erste zu sagen, ja natürlich bin ich für volle Transparenz bei Parteispenden. Wenn der gleiche Politiker aber dann hinter verschlossenen Türen in einer Parteisitzung sagt: „So ein Blödsinn, wie kann man so etwas beschließen, wo wir doch Schulden haben?“, dann redet er in der Öffentlichkeit anders als im Gremium. Daher muss man alle Aspekte offen auf den Tisch legen, gegeneinander abwägen und dann die sinnvollste Regelung treffen. ,Verteilungsund Leistungsgerechtigkeit können und müssen sich ergänzen.‘ NEWS: Die Konjunktur- und Arbeitsmarktdaten zeigen eine leichte Entspannung. Meinen Sie, dass die Talsohle der Krise durchschritten ist – oder dass noch einmal ein Knick kommt? Fischer: Ich glaube nicht, dass alle Teile unseres Wirtschafts- und Finanzsystems die Talsohle zum gleichen Zeitpunkt erreichen. Das Erste war die Bankenkrise und die Krise der Finanzinstitutionen. Da ist vieles gemacht worden, und die Situation ist heute viel besser als vor zwei Jahren. Auch bei der Realwirtschaft gibt es die ersten positiven Anzeichen. Aber solange wir damit rechnen müssen, dass die Arbeitslosigkeit – ein besonders schmerzvolles Element der Krise – 2011 nicht geringer sein wird als heute oder sogar noch leicht ansteigen wird, so lange kann ich nicht sagen, wir haben die Talsohle durchschritten. NEWS: Erwarten Sie sich von Bundesregierung und EU mehr Aktivität zu Finanzmarktregulierung und Bändigung wild gewordener Finanzmärkte? Fischer: Nicht mehr Aktivität, aber kon- 2. Amtszeit: Diplomatie in Brüssel, New York, Südostasien. Ban Ki-moon kommt. ■ ZWEITE ANGELOBUNG. Genau sechs Jahre nach dem ersten Mal wird Bundespräsident Heinz Fischer Donnerstag um 10 Uhr vor der Bundesversammlung (Nationalrat plus Bundesrat) angelobt. ■ ERSTE AMTSHANDLUNGEN. Nach Flaggenparade des Bundesheeres und Empfang für Regierung, Abgeordnete u. a. bietet Freitag die Regierung ihren Rücktritt an – und wird gleich wieder angelobt. ■ DIPLOMATIE. Freitag bittet Fischer das Diplomatische Corps in die Hofburg. Für Ende August ist ein Besuch des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon bei Heinz Fischer in Wien geplant. ■ REISEN. Im September geht es nach Brüssel und New York (UN-Generalversammlung). Geplant: Treffen mit Sloweniens und Deutschlands Präsidenten und u. a. eine Südostasien-Reise. 24 news1027_PO_Fischer.indd 24 27/10 06.07.2010 21:09:55 Uhr