9 Metallische Werkstoffe

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9 Metallische Werkstoffe
Lernziel: Ein großer Teil der chemischen Elemente sind Metalle. Diese weisen
wegen der Natur der metallischen Bindung eine gute elektrische Leitfähigkeit
und eine gute Wärmeleitfähigkeit auf und lassen sich meist einfach plastisch
verformen. Reine Metalle sind in der Regel nicht direkt als Werkstoffe verwendbar, sie sind zu weich. Durch Legieren und geeignete mechanische und
thermische Behandlungen kann man die Festigkeit metallischer Werkstoffe steigern. Dies gelingt über Mischkristallhärtung, Ausscheidungshärtung,
Härtung durch Kaltverfestigung und Umwandlungshärtung. Festigkeitssteigerung in metallischen Werkstoffen erreicht man, wenn man die Bildung von
Versetzungen erschwert bzw. deren Beweglichkeit behindert. Die Ausscheidungshärtung spielt zum Beispiel in Aluminiumlegierungen und Nickellegierungen eine Rolle. Umwandlungshärtung kennen wir vom Stahl (martensitische und bainitische Härtung), dem heute immer noch wichtigsten metallischen Werkstoff. Am Beispiel von Stahl lernen wir kennen, dass verschiedene Wärmebehandlungen zu verschiedenen Mikrostrukturen und damit
bei gleicher chemischer Zusammensetzung zu unterschiedlichen Eigenschaften führen. Beim Erstarren metallischer Schmelzen entstehen meist kristalline
Festkörper. Schmelzmetallurgisch lassen sich Ein- und Vielkristalle herstellen.
Unter bestimmten Bedingungen kann es aber auch zur Bildung metallischer
Gläser kommen, deren Atome keine regelmäßige Anordnung aufweisen. Metallische Bauteile können schmelz- und pulvermetallurgisch, in großen (Turbinenrotoren) und kleinen Abmessungen (medizinische Stents) hergestellt werden. Man kann ihre Oberfläche zum Beispiel durch Behandlung mit einem
Laserstrahl härten oder verglasen. In diesem Kapitel lernen wir, warum metallische Werkstoffe sich besonders gut als Strukturwerkstoffe eignen.
9.1
Allgemeine Kennzeichnung
Die metallischen Werkstoffe bilden die wichtigste Gruppe der Strukturwerkstoffe, d.h. der Werkstoffe, bei denen es vor allem auf die mechanischen
Eigenschaften (Kap. 5) ankommt. Kennzeichnend für Metalle ist, dass sich
ein Teil ihrer Elektronen unabhängig von den Atomrümpfen bewegen kann.
Die Folge davon ist die hohe Reflektionsfähigkeit für Licht, elektrische und
thermische Leitfähigkeit und ihre Neigung, in dichtesten Kugelpackungen
zu kristallisieren. Diese dichtest gepackten Kristalle können auch bei tiefen
Temperaturen plastisch verformt werden. Metalle sind deshalb die einzige
Werkstoffgruppe, die zwischen 0 K und der Schmelztemperatur plastisch und
bruchzäh sein kann. Demgegenüber sind keramische Kristalle nur dicht unterhalb der Schmelztemperatur geringfügig plastisch. Anorganische und or-
9.1
348
9. Metallische Werkstoffe
ganische Glasstrukturen sind ebenfalls nur bei erhöhten Temperaturen durch
viskoses Fließen plastisch zu verformen.
Es liegt in der Natur aller nichtmetallischen Stoffe, dass sie wegen geringer
Beweglichkeit von Versetzungen oder hoher Viskosität η bei tiefer Temperatur spröde werden. Dies ist ein Grund für die bevorzugte Stellung der Metalle unter den Werkstoffen. Eine Einschränkung ist allerdings zu machen
für die kubisch-raumzentrierten Übergangselemente der Gruppen IV bis VIII
einschließlich des α-Eisens. Ihre nichtdichtest gepackte Struktur (Koordinationszahl 8) kommt wahrscheinlich durch einen kovalenten Bindungsanteil
zustande. Sie zeigen leider auch alle einen Übergang zu sprödem Verhalten
bei tiefen Temperaturen unterhalb ∼ 0, 3 Tkf . Dieser Übergang ist von großer
praktischer Bedeutung, da er z.B. die Verwendungstemperatur von Stählen
einschränkt.
Die gute plastische Verformbarkeit erklärt noch nicht, wie die hohe Festigkeit zustande kommt, die von vielen metallischen Werkstoffen erwartet wird.
Reine Metalle spielen als Konstruktionswerkstoffe keine Rolle. Sie besitzen
Streckgrenzen, die zwischen etwa 10−2 Nmm−2 (Al, Cu, Au) und 10 Nmm−2
(reinstes Eisen) liegen1 . Konstruktionswerkstoffe sollten aber Streckgrenzen
über 200 Nmm−2 besitzen. Die heute verwendeten Baustähle liegen zwischen
250 und 1500 Nmm−2 , die Eisenlegierungen mit höchster Festigkeit bei 3000
Nmm−2 . Mit Aluminiumlegierungen lassen sich zwar nur etwa 700 Nmm−2
erreichen, doch muss diese Streckgrenze für viele Anwendungen auf das Werkstoffgewicht bezogen werden. Daraus lassen sich dann viele Anwendungsmöglichkeiten des Aluminiums ableiten.
In keinem Werkstoff, bei dem die mechanischen Eigenschaften eine Rolle spielen, kann man es sich erlauben, ein reines und defektfreies Metall zu verwenden. Metallische Werkstoffe sind immer Legierungen, die meist auch eine
große Zahl Gitterbaufehler enthalten. Aus den Mechanismen ihrer Härtung
ergibt sich eine Einteilung der metallischen Werkstoffe, die im folgenden
benützt wird.
Grundsätzlich alle Metalle können durch Baufehler gehärtet werden. Das geschieht einmal durch hohe Dichte von Korngrenzen (5.29), Beispiel: Feinkornstähle) oder durch eine hohe Dichte von Versetzungen, die meist durch
Kaltverformung eingebracht werden (Beispiel: Klaviersaitendrähte aus Eisen
mit 1 Gew.-%C, 95% kaltverformt). Die weiteren Möglichkeiten sind: Mischkristallhärtung (Beispiel: α-Messing, Cu-Zn-Legierungen), Teilchenhärtung
(Beispiel: Al-Cu-Mg-Legierungen), Härtung durch martensitische Umwandlung (Beispiel: Stähle) sowie Härtung durch Ausnützen der Anisotropie (Texturhärtung, Faserverstärkung).
1 1 Nmm−2 =1 MNm−2 =1 MPa, alle diese Einheiten sind zur Angabe von Streckgrenze
und Zugfestigkeit der Metalle üblich. Für E-Moduli wird oft GPa benutzt.
9.2
Reine Metalle, elektrische Leiter
349
Die Härtung durch martensitische Umwandlung spielt beim Stahl eine wichtige Rolle. Sie kommt durch kombinierte Wirkung von durch die Umwandlung entstandenen Gitterbaufehlern und starker Mischkristallhärtung durch
Kohlenstoff im α-Eisen zustande. Andere kombinierte Härtungsmechanismen
können durch thermomechanische Behandlungen erreicht werden, z.B. durch
Verfestigen mittels Kaltverformung und anschließende Erwärmung zur Erzeugung von Ausscheidungen für die Teilchenhärtung. Für die hier gebrauchte
Einteilung der metallischen Werkstoffe war der Gefügeaufbau hinsichtlich ihrer Härtungsmechanismen entscheidend.
9.2
Reine Metalle, elektrische Leiter
Reine Metalle werden nie verwendet, wenn es primär auf die mechanischen
Eigenschaften ankommt. Die Anwendung reinster Metalle ist erforderlich für
elektrische Leitungsdrähte aus Kupfer, Aluminium oder Silber (Abschn. 6.2).
Die daraus folgende geringe Festigkeit führt zu Schwierigkeiten bei Freileitungen und hohem Verschleiß von Kontakten. Da die Zugfestigkeit größer sein
muss als die durch das Werkstoffgewicht hervorgerufene Spannung, benutzt
man häufig Verbundwerkstoffe (gute Leitfähigkeit und hohe Zugfestigkeit,
Abb. 6.12, Kap. 11).
In Abb. 9.1 wird die Leitfähigkeit und Streckgrenze von Mischkristallen schematisch gezeigt. Es geht daraus hervor, dass für beide Eigenschaften in einer
Phase nicht die günstigsten Werte erhalten werden können. Das Optimum
(Rp / → max) wird durch reine Metalle mit dispergierten harten Phasen
erreicht.
Die zweite Gruppe der Metalle, die in reiner Form verwendet werden, sind
die hochschmelzenden krz-Metalle, die in Abb. 9.2 angegeben sind. Es handelt sich um Hochtemperaturwerkstoffe. Am bekanntesten ist die Verwendung
von Wolfram in Glühbirnen. Andere Anwendungen sind z.B. Austrittsdüsen
von Raketen oder Heizstäbe für Hochtemperaturöfen. Ihre Verwendung beruht auf ihrem hohen Schmelzpunkt, kombiniert mit hoher elektrischer und
thermischer Leitfähigkeit.
Bei der Besprechung der thermisch aktivierten Prozesse (Kap. 4) war erwähnt worden, dass deren Geschwindigkeit in verschiedenen reinen Stoffen
bei den auf ihre Schmelztemperatur bezogenen Temperaturen gleich schnell
ablaufen. Äquivalente Temperaturen, bei denen thermisch aktivierte Prozesse
sehr langsam ablaufen (T = 0, 3 Tkf ), liegen für Blei bei −70 ◦ C, für α-Eisen
bei +300 ◦ C und für Wolfram bei +1400 ◦ C (Abb. 5.19).
Wegen des hohen Schmelzpunktes von Wolfram ist dessen Herstellung als
kompakter Werkstoff nicht einfach. Man erhält es zunächst als Pulver durch
Reduktion von WO3 .
9.2
350
9. Metallische Werkstoffe
T
T
f
Zustandsdiagramm
+
A
A
B
C
B
A
A
C
A
B
Rp
C
A
Rp
RpA
RpB
B
A
RpC
Streckgrenze Rp
RpA
A
C
Phasengemisch
Mischkristall
z.B.: Cu
elektr. Widerstand Ni
Al
Si
Abbildung 9.1. Verlauf des elektrischen Widerstands und der Streckgrenze Rp für den
Fall, dass die Atomarten A und B vollständig mischbar oder unmischbar sind
Dann muss ein modifiziertes Sinterverfahren angewandt werden, da eine Herstellung aus dem flüssigen Zustand (Abschn. 12.2) zu schwierig ist. Das Sinterverfahren besteht aus zwei Schritten: Erstens Pressen und Sintern von
Stangen, die noch einen hohen Gehalt an Poren aufweisen, und zweitens
Warmverformung der Stangen zur weiteren Verdichtung, bevorzugt durch
Rundhämmern. Es entsteht ein Halbzeug, das dann z.B. durch Drahtziehen
weiter verformt werden kann.
In Wirklichkeit ist Wolfram, das bei höchsten Temperaturen verwendet werden soll, jedoch kein reines Metall. Es enthält als zweite Phase kleine Teilchen von sehr hochschmelzenden keramischen Kristallen, bevorzugt ThO2 .
Bei Verwendungstemperaturen von etwa 2000 ◦ C sind nämlich auch im Wolfram die Korngrenzen schon gut beweglich. Das dann auftretende Kornwachstum führt zu örtlicher Querschnittsänderung und damit zu leichterem Durchbrennen der Drähte. Die keramischen Teilchen dienen dazu, die Korngrenzen
festzuhalten, da sonst ungehindertes Kornwachstum nach folgendem Gesetz
auftritt (Abschn. 4.2 und 4.4):
9.2
Reine Metalle, elektrische Leiter
200
10000 °C 20000
1000 15002000 3000 4000
500
PTFE
351
Fe Pt Nb Ta C
Mo W
Al
Kolbenmotor
Turbinenmotor
Strahltriebwerk
Rakete
Sonnen- Plasmatron
oberfläche
Tkf
°C
Ionenmotor
x Re
W x n=6
3000
höchstschmelzende Metalle
Oxide
Tax
andere keramische Verbindungen
Mo
4000°C
1500°C
Hf
x
2500
2000
1500
reine Metalle und Graphit
Nb Mo
3000
Ta
3500 °C 4000
W
2000
Zr V
C
Tc
Nb
n=5
Cr
Ti
SiO2
nichtoxische
Keramik
a
AlO3
Oxidkeramik
BeO ZrO2 MgO ThO2
MoSi2
B4C
Mn
n=4
1000
WC TaB2 TiC NbC TaC/HfC
b
Z
Abbildung 9.2. a Die als Hochtemperaturwerkstoffe geeigneten Phasen. b Schmelztemperatur Tkf der Übergangsmetalle der 4., 5. und 6. Periode
dKG ∼ (DKG t)1/2 ,
(9.1)
mit DKG als Korngrenzendiffusionskoeffizient, t als Glühzeit und dKG als
Korndurchmesser. Es gibt für einen bestimmten Volumenanteil fT der Teilchen einen bestimmten Durchmesser dT , den diese nicht überschreiten dürfen,
wenn ein Gefüge mit einer Korngröße dKG stabilisiert werden soll:
4 dT
≤ dKG → min .
3 fT
(9.2)
Das Gefüge eines Wolfram-Glühdrahtes ist in Abb. 9.3 schematisch dargestellt. Das Metall Thorium hat noch eine weitere Wirkung: Es erniedrigt in
der Drahtoberfläche die Energie, die notwendig für den Austritt von Elektronen ist. Dies ist von Bedeutung, wenn Wolfram für Glühkathoden verwendet
wird.
dKG
dT
Abbildung 9.3. Gefüge eines Glühfadens.
Die Korngrenzen des Wolframs werden
durch eine Dispersion hochschmelzender
keramischer Teilchen (ThO2 ) an der Bewegung gehindert
352
9.3
9.3
9. Metallische Werkstoffe
Mischkristalle, Messing, Bronzen
Bei mäßigen Ansprüchen an die Festigkeit können metallische Werkstoffe verwendet werden, die aus homogenen Mischkristallen aufgebaut sind. Ein Beispiel liefern dafür die als α-Messing (Zn) oder α-Bronze (Sn, Al) bezeichneten Kupferlegierungen. Sie finden Verwendung, wenn hohe Umformfähigkeit
(Kap. 5, Abschn. 12.3) und Leitfähigkeit gefordert wird (Fassungen von Glühlampen). Die Streckgrenze ergibt sich aus denjenigen des reinen Metalls σ0
plus dem Beitrag der Mischkristallhärtung (für eine bestimmte Korngröße):
Rp = σ0 + Δ σM .
(9.3)
Die Mischkristallhärtung Δ σM ist eine Funktion der Zusammensetzung cB
und der spezifischen Härtungswirkung der gelösten Atomart B. Der Faktor
(l/rA )(dr/dcB ) (relativer Atomradienunterschied) ist für Eisen und Kohlenstoff groß, für Kupfer und Zink verhältnismäßig gering (rCu = 0, 256 nm,
rZn = 0, 266 nm). Oft gilt
Δ σM =
1 dr
1/2
G cB .
rA dcB
(9.4)
Wichtig ist für die Messing- und Bronzelegierungen sowie austenitische Stähle,
dass der Verfestigungskoeffizient und -exponent und damit die Zugfestigkeit der Mischkristalle mit der abnehmenden Stapelfehlerenergie γSF steigt
(Abb. 5.6):
dσ
1
∼
.
dϕ
γSF
(9.5)
Die α-Messing-Mischkristalle zeichnen sich deshalb durch eine relativ geringe
Streckgrenze bei stark erhöhter Verfestigungsfähigkeit aus (Abschn. 2.4 und
4.2, Tabelle 9.1).
Andere Mischkristalle wie die des α-Eisens und Aluminiums zeigen diesen
Effekt nicht, da die Versetzungen sich anders verhalten. Sie zeigen eine vorwiegend vom Atomgrößenunterschied abhängige Erhöhung der Streckgrenze
bei gleichbleibender Verfestigung. Als Beispiele für die Mischkristallwerkstoffe sollen in erster Linie die Legierungen auf der Basis Kupfer dienen.
Die wichtigsten sind die Kupfer-Zink-Legierungen (Messinge) (Abb. 9.4),
gefolgt von den Kupfer-Zinn-Legierungen (Zinnbronzen) und den KupferAluminium-Legierungen (Aluminiumbronzen). Das Zustandsdiagramm CuZn zeigt an, dass die Löslichkeit für Zink in Kupfer sehr groß ist. Sie reicht
bis gegen 37 Gew.-%. Werkstoffe, die aus diesen kfz-Mischkristallen aufgebaut
sind, werden als α-Kupfer-Zink-Legierungen (α-Messinge) bezeichnet.
9.3
Mischkristalle, Messing, Bronzen
353
Tabelle 9.1. Zugfestigkeit, Phasen, Stapelfehlerenergie und Tiefziehfähigkeit von KupferZink-Legierungen (Gew.-% Zn, Rest Cu)
Legierung
Zugfestigkeit
Rm Nmm2
Phasen
Stapelfehlerenergie
γSF 103 ·Jm−2
Tiefziehfähigkeit
Cu
CuZn 10
CuZn 20
CuZn 30
CuZn 37
CuZn 40
CuZn 42
CuZn 46
150
250
270
290
300
350
400
550
α
α
α
α
α
α+β
α+β
β
100± 50
25
10
7∗
6∗
–
–
–
+
++
++
+++
+++
−
−
−
∗
γSF vergleichbar mit chemisch beständigen, austenitischen Stählen
Die α-Kupfer-Zink-Legierung mit dem höchstmöglichen Zinkgehalt lässt sich
noch sehr gut bei Raumtemperatur plastisch verformen (Tabelle 9.1). Besonders hervorgehoben sei die gute Eignung zum Tiefziehen. Zur Vermeidung
der Zipfelbildung sollten die Texturen in der Blechebene annähernd isotrop
1100
f+
f
1000
902°C
900
834°C
f+
Temperatur / °C
800
700
+
Cu
600
+
500
468°C
454°C
400
1
300
+ 1
1 + 200
0
Cu
10
20
30
40
Zn / Gew.-%
50
60
Zustandsdiagramm Cu-Zn, mit α-Messing und
β-Messing
Abbildung 9.4.
354
9. Metallische Werkstoffe
sein. Nach stärkerer Kaltwalzung stellt sich eine immer ausgeprägtere Textur
mit Zipfelbildung unter 45◦ zur Walzrichtung ein. Bei der Rekristallisation
stark verformten Materials bildet sich bevorzugt die Würfellage mit Zipfelbildung unter 0◦ und 90◦ zur Walzrichtung aus. Durch Abstimmung von Umformgrad, Zwischen- und Endglühtemperatur lässt sich ,,zipfelfreies“ Blech
erzielen (Abb. 5.44).
Zu beachten ist auch die Korngröße, die nicht nur Tiefziehfähigkeit und Eignung zur Weiterverarbeitung (grobes Korn ist besser tiefziehbar, führt aber
zu rauher Oberfläche), sondern zudem die Entstehung der Würfellage beeinflusst.
Außer der Verfestigung durch Baufehler (feines Korn, mechanische Verfestigung) gibt es keine weitere Möglichkeit, α-Messing zu härten. Falls höhere
Festigkeit gewünscht wird, kann der Zinkgehalt weiter erhöht werden. Man
gelangt dann in das Zustandsgebiet des α+β-Messings und schließlich ins Gebiet des β-Messing. Diese Phase hat eine geordnete krz-Kristallstruktur. Da es
schwierig ist, diese intermetallische Verbindung bei Raumtemperatur zu verformen, muss man vielmehr zu erhöhter Verformungstemperatur übergehen.
Häufig wird eine Legierung verwendet, die nach dem Abkühlen aus je 50% αund β-Messing besteht (Abb. 3.5). Diese Legierung hat etwa 58 Gew.-% Cu
(CuZn 42). Wegen ihres Anteils an β-Messing muss auch diese Legierung bei
erhöhter Temperatur umgeformt werden. Um günstige mechanische Eigenschaften zu erzielen, strebt man ein isotropes feinkörniges Phasengemisch
an. Aus fertigungstechnischen Gründen ist manchmal eine gute Zerspanbarkeit (Abschn. 12.4) auch auf Kosten anderer mechanischer Eigenschaften erwünscht. Kupfer-Zink-Legierungen werden durch den Zusatz von 1 bis
3% Blei leicht zerspanbar. Die im α-Mischkristall nahezu unlösbaren feinen
Bleitröpfchen erleichtern die Zerspanung und erhöhen die Spanbrüchigkeit.
Da reine α-Kupfer-Zink-Legierungen mit Bleizusatz schlecht warmumformbar sind (warmspröde), mit ausreichendem β-Gehalt dagegen gut warmumgeformt werden können, sind Zerspanungslegierungen in der Regel α+β-KupferZink-Legierungen. Klassischer Werkstoff für Drehautomaten ist CuZn39Pb3
(früher Ms58), das gegen 50% β-Anteil enthält. Höheren Anforderungen an
Zähigkeit oder Warmumformbarkeit entsprechen Zerspanungslegierungen mit
geringerem β-Anteil.
In Abhängigkeit von Art und Menge des Legierungsmetalls sind Kupferlegierungen (vor allem Cu-Zn-Legierungen) im Kontakt mit Stickstoffverbindungen (Ammoniak, nitrose Gase) oder in quecksilberhaltiger Umgebung
mehr oder weniger stark spannungsriss-korrosionsempfindlich. Diese Empfindlichkeit ist auf innere Spannungen und die planare Versetzungsverteilung
im Mischkristall als Folge niedriger Stapelfehlerenergie zurückzuführen. Das
9.3
Mischkristalle, Messing, Bronzen
355
Al / Gew.-%
2
6
10
15
30
20
40
50
60
70
90
1800
TiAl
1720°C
1600
1460°C
53
48,5
1400
1340°C
Temperatur / °C
42
(29)
1240°C
TiAl3
48,5
1200
1000
882°C
36,5
(24,5)
800
49,5
(35,5)
665°C
660°C
600
(Al)
0
Ti
20
40
60
80
Al / At.-%
100
Al
Abbildung 9.5. Zustandsdiagramm Ti-Al, α-Ti-Mischkristalle (hexagonal)
ähnliche Verhalten der austenitischen rostfreien Stähle hat die gleiche Ursache.
α-Kupfer-Zinn-Legierungen und α-Kupfer-Aluminium-Legierungen besitzen
sehr ähnliche Eigenschaften wie α-Kupfer-Zink-Legierungen. Die Möglichkeit,
einzelne der Legierungen in der β-Phase mit krz-Struktur ähnlich wie Stahl
durch martensitische krz/kfz- oder bainitische Umwandlungen zu härten,
wird für Werkzeuge der Umformtechnik gelegentlich ausgenutzt. Dagegen
finden besonders β-CuZnAl-Legierungen als Werkstoffe mit Formgedächtnis
356
9. Metallische Werkstoffe
Mo / Gew.-%
10
2800
20 30
50
40
60
70
80
90
100
~2625°C
2600
2400
2200
Temperatur / °C
2000
1660°C
1600
900
882°C
1000
+
+
+ +
+
+
700
+
+
800
+
+ +
882°C
+
800
eine Phase
zwei Phasen
+
600
0
10
5
15
Mo / At.-%
20
25
30
600
0
Ti
10
20
30
40
50
60
Mo / At.-%
70
80
90
100
Mo
Abbildung 9.6. Zustandsdiagramm Ti-Mo, Stabilisierung der β-Ti-Mischkristalle (krz)
(Abschn. 6.8) zunehmend Verwendung. Sie zeigen eine martensitische Umwandlung der geordneten β-Phase bei Raumtemperatur.
Vom klassischen Raffinadeprozeß her enthalten hochleitfähige Kupfersorten
Restmengen von Sauerstoff (0,04% oder weniger). Wird er durch Phosphordesoxidation entfernt, büßt das Kupfer einen wesentlichen Teil seiner elektrischen Leitfähigkeit ein, so dass für Leiterzwecke von einer solchen Behandlung abgesehen wird. Falls nun bei erhöhter Temperatur in ausreichend wasserstoffhaltiger Umgebung (reduzierende Schweißbrennerflamme, Blankglühofenatmosphäre) Wasserstoff in das Kupfer hineindiffundieren kann, findet
eine Reaktion
9.3
Mischkristalle, Messing, Bronzen
357
2 H + Cu2 O → H2 O + 2 Cu
statt. Durch den Druck des im Innern gebildeten Wasserdampfs entstehen
Risse. Die damit verbundene Versprödung wird als Wasserstoffkrankheit bezeichnet.
Nickel ist in Kupfer unter Bildung eines homogenen Mischkristalls in jeder
Proportion löslich (d.h. auch Kupfer in Nickel). Die Kupfer-Nickel-Legierungen zeichnen sich nebst einer dem Legierungsgehalt entsprechend erhöhten
Zugfestigkeit durch gute Meerwasser-Korrosionsbeständigkeit (insbesondere
mit geringen Zusätzen von Eisen oder Mangan) aus.
Si / Gew.-%
20
1600
0,5
0
700
40
Si / Gew.%
1,5
1,0
80
60
2,0
577°C
600
(Al)
1400
~1430°C
1,59
500
400
Temperatur / °C
1200
300
(Al)+Si
200
1000
0
0,5
0
1,0 %
800
660°C
577°C
600
(Al)
0
Al
11,3
10
Si
20
30
40
50
60
Si / At.-%
70
80
90
100
Si
Abbildung 9.7. Zustandsdiagramm einer Legierungen mit geringer Mischkristallbildung:
Al-Si, die Gusslegierung Silumin, hat eutektische Zusammensetzung, Si-Ausscheidung aus
Al-Kristallen ist möglich. (Abb. 9.10)
358
9. Metallische Werkstoffe
Die wichtigsten Titanlegierungen sind ebenfalls aus zwei Mischkristallphasen
aufgebaut. Ihre Bedeutung beruht auf zwei besonderen Merkmalen. Erstens
handelt es sich beim Titan um ein verhältnismäßig leichtes Metall (Ti =
4, 5 gcm−3 , α−Fe = 7, 83 gcm−3 ) mit hoher Schmelztemperatur (Abb. 9.2).
Zweitens kann mit Ti-Legierungen ein hohes Verhältnis Festigkeit zu Dichte
erreicht werden, wenn das Titan durch weitere Legierungselemente gehärtet
wird. Titan ist außerdem sehr korrosionsbeständig, da es in nicht zu stark
reduzierenden Medien zu Passivierung neigt (Kap. 7). Diese Eigenschaft kann
durch Legierungselemente wie Mo noch gesteigert werden. Da Titan auch in
der Erdrinde verhältnismäßig häufig vorkommt, ist bei den Titanlegierungen
eine starke Zunahme der Anwendung zu erwarten.
Die Titanlegierungen können nach den Kristallstrukturen ihrer Mischkristallphasen in α-(hdP), β-(krz) und (α + β)-Legierungen unterteilt werden
(Abb. 9.5 und 9.6). Die Legierungselemente lassen sich unterscheiden je nachdem, ob sie das α-Gebiet (Beispiel Ti-Al) oder das β-Gebiet (Beispiel TiMo) ausweiten. Die Ti-Al-Legierungen sind sowohl bei hohen (bis zu 540 ◦ C)
1600
fFe + fPb
1527°C
1500
fPb + Fe
Temperatur / °C
1400
400
327 °C
300
Pb + Fe
200
0
Fe
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Pb / At.-%
Abbildung 9.8. Zustandsdiagramm Pb-Fe, keine Mischbarkeit von flüssigem Blei und fes-
tem Eisen, macht Eisen als Tiegelmaterial für Blei geeignet, das Gleiche gilt für Fe-Mg
9.3
Mischkristalle, Messing, Bronzen
359
als auch bei sehr tiefen Temperaturen zu verwenden, da die hdP-krz-Umwandlung nur bei hohen Temperaturen auftritt. Die β-Legierungen zeichnen sich durch besonders hohe Festigkeit aus. Die technische Legierung mit
der bisher höchsten Zugfestigkeit von etwa 1500 Nmm−2 besteht aus Ti, das
durch 11 Gew.-% Mo in den β-Zustand gebracht wird. Sie enthält außerdem
noch 5,5 Gew.-% Zr und 4,5 Gew.-% Sn. Eine weitere Erhöhung der Festigkeit
von Titanlegierungen wird mittels Ausscheidungshärtung durch metastabile intermetallische Verbindungen erreicht. Gegenwärtig werden neue, leichte
Hochtemperaturwerkstoffe auf der Grundlage von intermetallischen Verbindungen (TiAl, Al3 Ti) entwickelt (Abb. 9.5). Sie verbinden ein geringes spezifisches Gewicht mit hoher Warmfestigkeit .
Werkstoffe auf der Basis Aluminium sind fast nie homogene Mischkristalle.
Schon das technische Reinaluminium mit 99,5% Al enthält Eisen und Silizium, die in Verbindungen als zweite Phasen vorliegen. Nur in den Al-MgLegierungen wird allein die Mischkristallhärtung ausgenützt. Die Löslichkeiten einiger Legierungselemente im Aluminium werden in Abb. 9.10 zusammengestellt. Al-Mg-Legierungen zeigen bis zu etwa 5 Gew.-% Mg keine Ausscheidung. Durch zusätzliches Lösen von etwa 1 Gew.-% Mn kann die Mischkristallhärtung weiter gesteigert werden. So erhält man eine Legierung mit
einer Streckgrenze von 120 Nmm−2 , die durch mechanische Verfestigung noch
etwa auf das Doppelte gesteigert werden kann (AlMg 4,5 Mn). Diese Aluminiumlegierungen werden auch wegen ihrer chemischen Beständigkeit gern
verwendet (Meerwasserlegierung). Die anomal gute chemische Beständigkeit
von Aluminium trotz ungünstiger Position seines Elektrodenpotentials beruht
1500
1000
Temperatur / °C
500
0
-50
Ms
-100
Abbildung 9.9. Zustandsschaubild von Fe-
-150
0
4
12
8
Ni / Gew.%
16
Ni-Legierungen mit 18 Gew.-% Cr. Austenitischer rostfreier Stahl (18 Gew.-% Cr, 8 Gew.% Ni) ist eine metastabile Phase, die bei tiefen Temperaturen martensitisch umwandelt
360
9. Metallische Werkstoffe
1,0
1/ T in 103K
1,4
500
Ni
Zr
400
Cr Mn
300
1,6
1,8
Si
2,0
Cu
Temperatur / °C
600
1,2
200
2,2
Li
2,4
10
-3
-2
10
-1
0
10
10
Elementgehalt / At.-%
Mg
101
102
Abbildung 9.10. Löslichkeit verschiedener Elemente in Aluminium
auf Bildung einer festhaftenden, dichten Passivierungsschicht (Abschn. 7.2).
Sie wird im Zusammenhang mit den aushärtbaren Aluminiumlegierungen im
nächsten Abschnitt nochmals erwähnt.
Es gibt eine natürliche Grenze der Mischkristallhärtung. Im allgemeinen ist
nämlich die Löslichkeit eines Elements in einer Kristallstruktur dann gering,
wenn dieses Element eine hohe spezifische Härtungswirkung ausübt (9.4). Aus
diesem Grund ist die Bedeutung der reinen Mischkristall-Werkstoffe nicht
besonders groß. Die beiden wichtigsten Gruppen der metallischen Werkstoffe,
die Aluminiumlegierungen und die Stähle, sind fast immer aus zwei oder
mehreren Kristallarten zusammengesetzt.
9.4
9.4
Ausscheidungshärtung, Al-, Ni-Legierungen
Die Ausscheidungshärtung ist die wichtigste Methode zur Härtung von Legierungen. Sie beruht darauf, dass in einem Grundgitter in sehr fein verteilter
Form eine zweite Phase ausgeschieden wird. Diese Teilchen wirken als Hindernisse der Bewegung von Versetzungen (Abb. 9.11). Die Streckgrenze setzt sich
(bei gegebener Korngröße) zusammen aus dem Beitrag des Mischkristalls, der
die Grundmasse bildet, und der Teilchenhärtung (9.6). Die maximal erreichbare Erhöhung der Festigkeit ΔσT wird dann erreicht, wenn die Versetzungen
von den Teilchen gezwungen werden, sich zu Halbkreisen durchzubiegen und
die Teilchen zu umgehen:
ΔσT =
Gb
G b f 1/2
=
,
ST
dT
(9.6)
http://www.springer.com/978-3-540-71857-4
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