Lungenkrebs: MTSS1 als Indikator für drohende Metastasierung

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Lungenkrebs: MTSS1 als Indikator für drohende
Metastasierung?
Lungenkrebs ist eine der häufigsten bösartigen Erkrankungen und die häufigste
krebsbedingte Todesursache des Menschen weltweit. Bei 90 Prozent der Männer und 80
Prozent der Frauen ist Rauchen für diesen Krebs verantwortlich. In Deutschland gibt es etwa
140 Neuerkrankungen pro Tag, 50.000 Patienten sterben jährlich daran. Der leitende
Oberarzt PD. Dr. Gian Kayser möchte am Institut für Klinische Pathologie der
Universitätsklinik Freiburg die Entstehung und die Biologie von Lungenkrebs verstehen und
so neue Heilungsansätze anregen. Er und sein Team fanden mit dem Protein MTSS1 eine
Möglichkeit, die Aggressivität des Plattenepithelkarzinoms einzuschätzen, bevor sich
Metastasen bilden.
Ob sie Frischluft, Staub oder Krankheitserreger transportiert, die Lunge steht mit jedem
Atemzug in direktem Kontakt zur Außenwelt. Ein Lungenkarzinom kann sich in allen
Abschnitten der Lunge entwickeln. Der weitaus wichtigste Risikofaktor dafür ist das inhalative
Rauchen, wobei das Risiko mit erhöhter Menge und Dauer des Zigarettenkonsums steigt. Wie
Lungenkrebs entsteht, ist sehr komplex und noch nicht genau verstanden. Besonders
gefährlich bei Lungenkrebs ist, dass er sich erst spät mit Symptomen wie chronischer
Heiserkeit und Bluthusten eindeutig bemerkbar macht. Dann ist es meist für eine Therapie zu
spät. Neun von zehn Patienten haben zum Zeitpunkt der Diagnose bereits Beschwerden durch
den Tumor oder die Metastasen.
An Lungenkrebs sterben mehr Menschen als an Brust-, Prostata- und Dickdarmkrebs
zusammen. Die Heilungschancen sind abhängig von der Art und Ausdehnung des Karzinoms.
Das kleinzellige Karzinom zeichnet sich durch morphologisch kleine Tumorzellen, eine extrem
hohe Wachstumsrate und eine sehr schlechte Prognose aus, da es durch eine schnelle
Metastasierung derzeit als inoperabel gilt. Das nichtkleinzellige Karzinom ist mit 85 Prozent
aller Lungentumoren deutlich häufiger, sein Wachstum langsamer, seine Prognose dennoch
dürftig. Eine erhöhte Aggressivität und somit Mortalität ist hier vor allem durch
Fernmetastasen bedingt.
Biologie von Tumoren verstehen
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Die Früherkennung von Lungenkrebs vor seiner Metastasierung sowie die Einteilung in
Subtypen sind wertvoll, da dies die Möglichkeit
der gezielten und effektiven Therapie erhöht.
Metastasen sind die letalen Merkmale eines
Tumors. Einzelne Krebszellen lösen sich vom
Ursprungstumor ab, wandern über Blut oder
Lymphe in andere Gewebe und vermehren sich
dort. „Oft ist es so, dass die Karzinome zuerst
in die Lymphbahn einbrechen und dann in die
ersten Filter, die Lymphknoten,
hineinwandern", erklärt Dr. Gian Kayser, der
am Institut für Klinische Pathologie das
Lungenkarzinom erforscht.
Die Prognose ist dann besonders gut, wenn der
Tumor im ersten von vier Krebsstadien
komplett operiert wurde und noch keine
Metastasen gestreut hat. Das Problem: In den
frühen Stadien werden Karzinome oft gar nicht
oder nur zufällig erkannt. Haben die
Metastasen bereits andere Organe besiedelt
(Fernmetastasen), sinken die Heilungschancen
sowie die Überlebenswahrscheinlichkeit rapide
ab. Damit Krebszellen metastasieren, müssen
sie mehrere Fähigkeiten erwerben, zum
Möchte die Biologie und Entwicklung im
Lungenkarzinom verstehen: PD Dr. Gian Kayser, Klinische Beispiel in Gefäße hineinzuwachsen, losgelöst
Pathologie der Universitätsklinik Freiburg © Dr. Gian
vom Verband zu überleben und sich in fremden
Kayser, Universitätsklinikum Freiburg
Geweben zu vermehren. Dies kann nach der
Multi-Mutations -Theorie durch eine Reihe von
aufeinanderfolgenden genetischen Veränderungen geschehen, die sich im Lauf der Zeit
angesammelt haben.
MTSS1 als Metastasensuppressor
Immunhistochemische Darstellung der MTSS1-Expression (rot) in einem gering differenzierten
Plattenepithelkarzinom der Lunge. © Dr. Gian Kayser, Universitätsklinikum Freiburg
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Die Bösartigkeit eines Tumors ist laut Kayser anhand von Nekrosen und der erhöhten
Teilungsrate biologisch sichtbar, auch wenn durch die postoperative Analyse immer nur ein
Schnappschuss in der Tumorentwicklung gesehen werden kann. Bei der
immunhistochemischen Untersuchung von 264 nichtkleinzelligen Lungenkarzinomen haben
Kayser und sein Team nun ein Merkmal gefunden, das in Zellen von Plattenepithelkarzinomen
auffällt, bevor diese beginnen, Metastasen zu bilden. Dieser Faktor kann helfen, die
Aggressivität von Lungentumoren schon früher zu erkennen und entsprechende Therapien
einzuleiten.
Das Protein, das von Krebszellen in verschiedenen Stadien in unterschiedlicher Menge
produziert wird, ist als Metastasensuppressor MTSS1 (metastasis suppressor protein 1)
bekannt. „Wir sehen, dass der Tumor auf molekularer Ebene in seiner Entwicklung einen
Schritt weitergegangen ist, was wir histologisch noch nicht erfassen können", sagt Kayser,
„hier erscheint in einem frühen Stadium ein potenzieller Marker, mit dem wir eine
Metastasierungstendenz feststellen können."
Tumorzellen produzieren in frühen Stadien mehr MTSS1-Proteine als nicht entartete Zellen.
Wird der Krebs aggressiver, sinkt das MTSS1-Niveau im Karzinom ab, und das, bevor
Metastasen sichtbar werden. Die wechselseitige Beziehung von Herabregulierung der MTSS1Expression und Invasivität wurde schon in anderen Primärtumoren wie Ösophagus- und
Gallengangskarzinom und in bereits etablierten Metastasen gezeigt. Einen zunächst hohen
MTSS1-Level korrelierte man in der Vergangenheit mit bösartiger Zellentwicklung in
Melanomen und Leberzellkarzinomen, da das Protein offenbar die Zellproliferation und
Karzinogenese vorantreibt.
Vermutlich wird MTSS1 in Krebszellen hochreguliert, weil hier viele Entwicklungswege der
embryonalen Organogenese aktiviert werden. „Die Krebszelle geht quasi wieder in der
Entwicklung zurück", erläutert der Pathologe. Solange das Protein in den Zellen hochreguliert
ist, gibt es weniger Metastasen. Ist der Tumor einmal manifestiert, wird die Expression von
MTSS1 heruntergefahren, womöglich, damit er mobiler ist und infiltrativ wachsen kann. „In
dem Moment, wo MTSS1 abgeschaltet ist, erhöht sich das Metastasierungsrisiko", so Kayser,
„und damit verschlechtert sich die Überlebensprognose für die Patienten deutlich."
Prognostisches Werkzeug für die Therapie
Was MTSS1 in gesunden Zellen bewirkt, ist noch nicht bekannt. Man weiß, dass es als
Gerüstprotein eine Rolle bei der Aktinfilament-Organisation spielt und so für die Entwicklung
und Aufrechterhaltung des Zytoskeletts mitverantwortlich ist. Außerdem scheint es die
Transkription eines Effektorgens des Sonic-Hedgehog-Signalwegs zu verstärken. „Dieser
Signalweg ist in Karzinomzellen angeschaltet, der bei Erwachsenen normalerweise inaktiv ist",
sagt Kayser. Auch wenn noch nicht alles bis ins letzte Detail klar ist, können diese neuen
Erkenntnisse schon jetzt von praktischem Nutzen sein.
Wenn bekannt ist, dass ein hoher MTSS1-Status in den Tumorzellen vorliegt, könnte es klinisch
sinnvoll sein, bestimmte unterstützende Therapien in die Wege zu leiten. „Wenn ich in einem
frühen Stadium sehe, ob MTSS1 noch hoch- oder schon runterreguliert ist, wüsste ich, ob hier
ein aggressiver Tumor vorliegt", betont Kayser. Wird es kaum noch exprimiert, könnte ein
Patient von einer Chemo- oder Bestrahlungstherapie profitieren, wobei die im Körper
zirkulierenden Zellen abgetötet werden.
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Ein vielversprechender Biomarker für die Einschätzung der Aggressivität von Tumoren: MTSS1. © SwissModel
Die in frühen Stadien diagnostizierten Lungenkrebspatienten gehen sonst nach der Operation
nur in die Nachbeobachtung, denn: „Die Chemotherapie ist schließlich auch kein Würfelzucker
und kann erhebliche Nebenwirkungen haben", meint Kayser. Er sucht aktiv nach neuen
Biomarkern, die eine frühe Einschätzung der Aggressivität von Lungentumoren erlauben, weiß
aber, dass sich die biologischen Profile in verschiedenen Subtypen der Tumoren stark
unterscheiden. „Wir finden zwar immer mehr Möglichkeiten, einen Tumor zu beeinflussen,
diese gelten aber nicht für alle Tumoren, sondern nur für eine kleine Teilgruppe. Da wird sich in
der nächsten Zeit sicher noch viel tun", meint er.
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Fachbeitrag
11.05.2015
Stephanie Heyl
BioRegion Freiburg
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
PD. Dr. Gian Kayser
Institut für Klinische Pathologie
Universitätsklinikum Freiburg
Breisacher Straße 115a
79106 Freiburg
Tel.: 0761 / 270 - 80600 (Sekretariat)
E-Mail: gian.kayser(at)uniklinik-freiburg.de
Institut für Klinische Pathologie der Universitätsklinik
Freiburg
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Krebstherapie und Krebsdiagnostik
Metastasierung von Tumoren
Schlagworte
Krebs
Lunge
Metastasen
Biomarker
Grundlagenforschung
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