Glaube, Heimat, Musik…. Die Aura Siebenbürgens umgibt den heutigen Konzertabend – eine Aura, die natürlich nicht zuletzt durch die Künstlerin verbreitet wird, die die Veranstaltung bestreitet, sondern selbstredend auch Geschichte hat und aus der Geschichte zu verstehen ist. Es ist die Geschichte eines Landes, die ihrerseits christlich geprägt ist und im Besonderen auch von zwei, vornehmlich protestantischen Wurzeln gespeist ist: die der Siebenbürger Sachsen einerseits und die der sog. Landler (Exilanten aus dem katholischen Habsburgerreich) andererseits. Beide haben sicherlich nicht nur ihre Konfession sondern auch ihre musikalische Tradition mitgebracht – einerseits die der mitteldeutschen (thüringischsächsischen – Bach!) bzw. norddeutschen Orgelschule – andererseits die der Österreichischen Vorklassik und Klassik (am Hofe Maria Theresias’ war Mozart aus- und eingegangen!). Ein buntes, zusammen gewürfeltes Land ist es, hin- und hergeworfen im Ablauf der Zeit, – mit mannigfachem Umfeld und mit starken Persönlichkeiten, die sich durchzusetzen verstehen, ja sich durchsetzen müssen, um zu überleben: politisch, weltanschaulich, musikalisch. Die einheitliche Grundgesinnung ist beachtlich, sowie der Zusammenhalt etwa der Musiker, ebenso der Schatz der wertvollen historischen Instrumente und die Qualität der Ausbildungsstätten (Musikschulen und Universitäten). Das Wollen, aus Verschiedenstem etwas Eigenes zusammenzuschmelzen ist mittlerweile Tradition. Spürbar, quasi gebündelt geht dieser Geist auch von der Kirchenmusikerin dieser, unserer Pfarrgemeinde aus, ausgebildet und geprägt von ihrer Lehrerin, der Frau, die den heutigen Abend gestaltet, einer international anerkannten Orgelkünstlerin und Wissenschafterin – für viele nahezu eine„Kultfigur“. Hermannstadt, Klausenburg, Kronstadt (mit der „schwarzen“ Kirche) – klingende Namen, die Heimat vermitteln – bei aller Zwiespältigkeit des Ausdrucks – und die für eine bestimmte Richtung eines musikalisch-christlichen Bekenntnisses stehen – vielleicht sind diese Ortsbezeichnungen noch klingendere Namen als die der Komponisten dieses Landes Paul Richter, Johann Leopold Bella oder Hans-Peter Türk, die hier bereits vorgestellt wurden bzw. heute vorgestellt werden. Ihre Werke mögen einen ehrenvollen Platz als selbstredende Laudatores der siebenbürgischen Orgelkunst erhalten und bewahren! Zum Programm: Das erste große Werk für Orgelsolo an diesem Abend stammt von August Gottfried Ritter (1811 Erfurt – 1885 Magdeburg). Der Schwerpunkt des Wirkens des Künstlers war zeitlebens die Orgel. Das trifft auf ihn nicht nur als Spieler des Instruments, sondern auch als Komponist zu. Auch als Orgelsachverständiger und –historiker ist er hervorgetreten. Aufgewachsen und musikalisch erzogenen war er in aufrechter Bach-Tradition. Auf Studienreisen kam er unter anderem auch nach Weimar zum Mozart-Schüler Johann Nepomuk Hummel. Liszts Orgelwerke hat er häufig gespielt und so kommt es auch zu der Widmung des heute aufgeführten Werks, der Orgelsonate Nr.3 a-Moll op.23: „Herrn Dr. Franz Liszt, Präsident der ungarischen Landesakademie in Budapest, zugeeignet“. Diese insgesamt vier Sonaten zählen zu den herausragendsten Orgelkompositionen ihrer Zeit. In ihnen verbindet sich eine grandiose Formphantasie mit inspirierten Einfällen und meisterhafter Beherrschung des Orgelsatzes. Sie sind also auch nur für Kirchenkonzerte bestimmt, nicht für gottesdienstlichen Gebrauch. Die Sonate Nr.3 ist die meistgespielte und wirkungsvollste. Sie ist einsätzig, hat aber doch eine Abfolge von Tempobezeichnungen (Rasch-Recit.-Adagio-Nicht schleppendRasch-Entschlossen). Vier verschiedene Klangstrukturen sind miteinander verwoben. Improvisatorische Elemente (Improvisieren scheint eine der weiteren großen Begabungen des Meisters gewesen zu sein) wechseln mit einem Variationen-Teil und choralartigen, jeweils achttaktigen Einschüben, worauf alles in zwingender Weise in eine Schlussfuge mündet. Anknüpfend an eine bewusst deutsche Bach Tradition wirkt der siebenbürgische Zeitgenosse Hans Peter Türk (geb. 1940 Hermannstadt). Kronstadt, aber vor allem Klausenburg sind seine Lebensmittelpunkte und Wirkungsstätten. Nach einer erfolgreichen Ausbildung zum Musiker und Musikwissenschafter waren ihm, dem bekennenden Christen, allerdings bis zur Wende sowohl eine berufliche Anerkennung und Karriere in Rumänien als auch Auslandkontakte weitgehend verwehrt – eine Tatsache, die sich nunmehr schon längst ins Positive verkehrt und auch zu internationaler Anerkennung geführt hat. So erhielt er etwa im Jahr 2011 anlässlich seines Geburtstages in Deutschland große Ehren und vergangenes Jahr wurde ihm der siebenbürgisch-sächsische Kulturpreis verliehen. Neben Instrumentalwerken (für Kammermusik-Formationen und Orchester) und Vokalstücken ist es die Orgel, für die er wertvolle Kompositionen schuf. Sein Sohn, der Organist Erich Türk, stellt immer wieder Werke des Vaters auch einer breiteren Öffentlichkeit vor. In Türks Œuvre finden sich Anklänge an Bartók oder Honegger, aber auch siebenbürgische Volkslieder lässt der Komponist des Öfteren einfließen. Sein Werk Elegie stammt aus dem Jahr 1992 und lehnt sich an eine gleichnamige literarische Schöpfung des ebenfalls siebenbürgischen Autors Adolf Menschendörfer aus dem Jahr 1927 an. Ein eigenwilliger Außenseiter war der spätromantische Komponist und Musiktheoretiker Sigfrid Karg-Elert (eigentlich Siegfried Theodor Karg) (1877 Oberndorf/Neckar – 1933 Leipzig). Seine Ausbildung erhielt er in Leipzig, in der Stadt, die dann überwiegend auch sein Lebensmittelpunkt blieb. Emil Nikolaus von Reznicek und Edvard Grieg waren allhier die Persönlichkeiten, die seinen Weg als Musiker prägten Nicht immer glückhaft verlief sein Leben; in seiner Karriere wurde ihm nicht nur einmal zum Verhängnis, dass er auf der „anderen“ Seite stand. Eine vermeintliche Konkurrenz zu Max Reger konnte ihm zum Schaden gereichen. Und selbst nach seinem Tod wurde ihm übel mitgespielt, indem er als Nichtjude von den Nationalsozialisten in das „Lexikon der Juden in der Musik“ aufgenommen wurde. Dessen ungeachtet werden seine Werke in zunehmendem Maße geschätzt, verlegt und aufgeführt. In England und in den USA wird der Meister sogar als der bedeutendste Orgelkomponist nach Bach geschätzt. Der Symphonische Choral für Orgel op. 87 Nr. 1 „Ach bleib mit deiner Gnade“ ist nicht zu verwechseln mit den gleichnamigen Choral-Improvisationen op. 65. Zugrunde liegt die Vertonung des Chorals EKG 347, wobei der Textbeginn (aus dem 17. Jahrhundert stammend) einer jeder der sechs Strophen einem der sechs nahtlos in einander übergehenden Teile des Werkes unterlegt ist: Der Charakter der Abschnitte wechselt – wie der Sinn der einzelnen Strophen – in Tonart, Tempo, Takt, was das nicht allzu lange Werk in seinen Gegensätzen besonders abwechslungsreich macht: „Ach bleib mit deiner Gnade“ – Ach bleib mit deinem Worte“ – „Ach bleib mit deinem Glanze“ – „Ach bleib mit deinem Segen“ – „Ach bleib mit deinem Schutze“ – „Ach bleib mit deiner Treue“…. Einen würdigen und gewichtigen Abschluss des Konzertes bildet das Werk eines kaum bekannten Komponisten, der ursprünglich aus der Slowakei stammte, dann aber durch seine fast vierzigjährige Tätigkeit in Hermannstadt sehr wohl auch zu den Komponisten aus Siebenbürgen gezählt werden mag: Johann Leopold Bella (1843 Liptovský Mikuláš – 1936 Bratislava). Bei ihm tritt ein besonderes Phänomen zu Tage: Es ist, als handele es sich um zwei komplett verschiedene Künstlerpersönlichkeiten: um den katholischen Priester und slowakischen Nationalkomponisten einerseits und den evangelischen Stadtkantor, Organisten Musikdirektor, Kapellmeister in Hermannstadt andererseits. Beide Nationen beanspruchen den Musiker für sich und die Zugehörigkeit zum jeweils anderen Land wird gewissenhaft totgeschwiegen. Bedauerlich, dass ihm in seiner siebenbürgischen Wahlheimat das Heimatrecht in Form einer rumänischen Staatsbürgerschaft letztendlich nach so vielen Jahren der Tätigkeit doch nicht gewährt wurde und er sich in seinem Alter gezwungen sah, auf dem Umweg über Wien in seine ursprüngliche Heimat zurückzukehren. Seine Musik (für Klavier, Orgel, Streichquartett etc.) war – von seinem Wiener Lehrer Simon Sechter (dem Lehrer u.a. auch Franz Schuberts!) geprägt – hochromantisch. So ist es auch seine Phantasie-Sonate in d-Moll, die sich in klassischer Abfolge in drei Teile gliedert (Allegro moderato – Andante – Allegro). Die Künstlerin des heutigen Abends setzt dieses Werk immer wieder auf ihre Konzertprogramme, ein Zeichen dass sie von der ersten Qualität überzeugt ist und dass sie an den siebenbürgischen Geist, der von ihm ausgeht, glaubt. Ernst Istler