3/4 VL Innovationsmarketing Zukunftsanalyse und strategische Gesetzmäßigkeiten Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 1 Lernziele Zunächst sollen zwei konfliktäre Erkenntnisse verinnerlicht werden: Erstens sind für strategische Innovationsentscheidungen zwingend Einsichten über zukünftige Verhältnisse notwendig, weil deren Auswirkungen erst sehr lange nach dieser Entscheidung eintreten. Zweitens ist es unmöglich, das Verhalten komplexer Systeme (wie Produktinnovationen) langfristig richtig (quantitativ, exakt) vorherzusagen, was an vielen Beispielen zu demonstrieren ist und was auch theoretisch (Chaostheorie) gestützt ist. Die Studierenden sollen dieses Dilemma erkennen und daraus lernen, dass man den Gurus, der sogenannten Trendforschung und der statistischen Extrapolation von Vergangenheitsdaten skeptisch gegenüberstehen muss. Sie sollen aber auch lernen, dass es hilfreiche alternative, weiche, aufs Grobe und Relative beschränkte Theorien und Methoden gibt, die helfen, menschliche Denkbarrieren zu überwinden, Überraschendes zu antizipieren und durch „überzeugende“ Ergebnisse einen Beitrag zur selbsterfüllenden Innovationsstrategie zu leisten. VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 2 Inhalt VL 3/4: Zukunftsanalyse und strategische Gesetzmäßigkeiten 1. Strategische Gesetzmäßigkeiten 1.1 Erfahrungskurve als Beispiel einer formalisierten Gesetzmäßigkeit 1.2 PLZ, S-Kurven und weitere strategische Gesetzmäßigkeiten 2. Prognosen/Zukunftsanalyse 2.1 Fehlprognosen und die Unmöglichkeit von Langfristprognosen 2.2 Szenarioanalyse, Delphi-Technik, Information Acceleration 2.3 Trendmanagement VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 3 Mit der SWOT1-Analyse kann der Wettbewerbsvorteil systematisch erfasst werden Potentialanalyse • • • • Unternehmensressourcen (Marketing, Finanzen, Personal, ...) Unternehmensperformance (Marktziele, Ertragsziele, ...) Innovationspotentiale ... Konkurrenzanalyse • idealtypischer Weise werden die Wettbewerber auf denselben Dimensionen analysiert wie das eigene Unternehmen Marktanalyse • • • • Umfeldanalyse Branchenentwicklung Kundenanalysen (Struktur, Bedarf, Zufriedenheit, ...) Wettbewerbsanalyse ... • • • • • Stärken-SchwächenAnalyse Gesetzliche Rahmenbedingungen Politische Entwicklungen Technologische Entwicklungen s.a. PEST (political, economical, social, technological) ... Chance-RisikenAnalyse Wettbewerbsposition 1: SWOT = Strengthes and Weaknesses, Opportunities and Threats VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 4 Untersuchungsobjekte strategischer Zukunfts-Marktforschung Singuläre Aussagen Aktuell erheben, situativ, „Praxis“ Generelle Gesetzmäßigkeiten Literatur lesen, verallgemeinernd, „Theorie“ Zukunftsanalyse • Kundenprobleme, Marktpotentiale • kritische Erfolgsfaktoren • Wettbewerberverhalten • Innovationstiming • Technologie-Markt-Entwicklungen • sensitive Zeit versus Kosten • Umfeldentwicklungen • usw. • usw. VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 5 1. VL Innovationsmarketing Strategische Gesetzmäßigkeiten Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 6 Gesetzmäßigkeiten wären als Strategiegrundlage ideal beschreiben – erklären – vorhersagen – handeln Beschränkungen: • Gültigkeit • Präzision • Allgemeinheitsgrad • Komplexität der Realität VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 7 Erfahrung verkürzt die Produktionsdauer – Beispiel Airbus Airbus Kumulierte Stückzahl 1 100 460 VL Innovationsmarketing Montagestunden 340.000 65.000 40.000 Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff Jahr 1976 1980 1989 3./4. Zukunftsanalyse 8 Beispiele Produktgruppe Integrierte Schaltkreise Polypropylen Polyethylen Gas-Herde Großklimaanlagen Elektrorasierer Kühlschränke Spülmaschinen Wäschetrockner Farbfernseher VL Innovationsmarketing Erfahrungsrate 20 % 15 % 21 % 17 % 20 % 23 % 7% 12 % 13 % 7% Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 9 Preis-Erfahrungskurve – Beispiel Solare Energeisystem-Flachmodule Quelle: Fraunhofer, Hocheffiziente Photovoltaik – Stand und´Potenziale2006, PSE 2006 VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 10 Die Erfahrungskurve ist eine Langfrist-Gesetzmäßigkeit potenzielle reale Wertschöpfungs-Stückkosten Definition Mit jeder Verdoppelung der kumulierten Produktionsmenge eines Produkts sinken die potenziellen realen WertschöpfungsStückkosten um 20-30% kumulierte Produktionsmenge Ursachen: Lernen (Handhabung, Fehlervermeidung,Technische Prozessinnovationen) Überlagerung: Größendegressionseffekt (Fixkostenverteilung), Preiszugeständnisse der Lieferanten Wirkungen: Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, Wechselwirkungen mit EF "Marktanteil„ Kritik: Keine Falsifizierungsmöglichkeit, Operationalisierungsprobleme, Vernachlässigung anderer Erfolgsfaktoren VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 11 Erfahrungskurve – Erläuterungen • Geltung für verschiedene Aggregationsniveaus – Branchen – Technologien – Produkte (inkl. Dienstleistungen) • "potenziell": Kostensenkungspotenziale treten nicht automatisch ein, sondern müssen durch Management realisiert werden • "real": bezogen auf konstante Geldwerte (inflationsbereinigt) • "Wertschöpfungs-Stückkosten": Vorproduktkosten herausrechnen! Empirische Erfassung oft über Marktpreise (Gültigkeitsproblem!) VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 12 Erfahrungskurve – Ursachen und Wirkungen • Ursachen des Effekts: – Lernen (Handhabung, Fehlervermeidung) – Technische Prozessinnovationen • Effekt wird überlagert: – Größendegressionseffekt (Fixkostenverteilung) – Preiszugeständnisse der Lieferanten • Wirkungen des Effekts: – Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit – Wechselwirkungen mit Erfolgsfaktor "Marktanteil" VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 13 Stückkosten; Preis Unterschiedlich erfahrene Wettbewerber haben verschiedene Spannen eigene Kosten Marktpreis Gewinnspannen A Kumulierte Menge Marktanteil Relativer Marktanteil 100 12,5% 0,25 B C 200 25% 0,5 400 50% 2,0 kumulierte Menge VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 14 Stückkosten; Preis Bei Preisverfall scheiden wenig erfahrene Wettbewerber aus eigene Kosten schnell diffundieren Marktpreis abschöpfen Preiswettbewerb Grenzanbieter verschwunden kumulierte Menge VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 15 Erfahrungskurve – Diskussion • Durch den "Potenzialcharakter" der Hypothese besteht die Gefahr, dass die Hypothese gegen Falsifizierungen immunisiert wird. • Operationalisierungsprobleme – Abgrenzung der Einheiten – Erfassung der Kosten • Andere Erfolgsfaktoren als der Marktanteil können übersehen werden • Strategiekonsequenz "Kostenführerschaft" über Mengengeschäft ist nicht unproblematisch VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 16 Der Lebenszyklus ist eine andere strategische Gesetzmäßigkeit Lebenszyklusanalysen versuchen, Gesetzmäßigkeiten im Erfolgsverlauf strategischer Geschäftseinheiten zu identifizieren, um daraus Schlußfolgerungen für die Marktbearbeitung zu ziehen. Aufgaben: - Planungsinstrument „Prognose“instrument Kontrollinstrument Ausführlich in Vorlesung ABWL HS Strategisches Marketing VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 17 Die S-Kurve ist eine innovationsstrategische Gesetzmäßigkeit: Entwicklungsschübe bei verschiedenen Technologiegenerationen Übertragungskapazität in Gigabitkilometern pro Sekunde 100.000 10.000 1.000 dritte Generation zweite Generation 100 fünfte Generation 10 1 0,1 vierte Generation erste Generation 1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 Die Übertragungskapazität optischer Glasfasern hat sich seit 1975 alle vier Jahre verzehnfacht. Das Diagramm zeigt die Entwicklungsschübe in Form von fünf Generationen dieser Technologie. Der offene Kreis in der Kurve rechts oben markiert das Ergebnis eines Experiments, in dem mit einer Schleife aus normalen Glasfasern und dazwischengeschalteten Erbium-Faserverstärkern die Nachrichtenübertragung über zehntausende von Kilometern simuliert worden ist. Quelle: Spektrum der Wissenschaft, 3/1992 VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 18 Von Baumwolle zu Reyon zu Nylon zu Polyester S-Kurven verschiedener Material-Technologien Relative Kordleistung 16 Polyester Stadium 4 Stadium 3 12 Stadium 2 Einführung Nylon 3 8 Nylon 2 Super Reyon Einführung von Reyon 4 Nylon Reyon Super 3 Reyon Super 2 Reyon Einführung von Nylon für zivile Zwecke Einführung von Nylon für militärische Zwecke Einführung von Baumwolle Baumwolle 0 25 50 75 100 125 150 Kumulativer F & E - Aufwand in Millionen Dollar (konstant) VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 19 Die S-Kurven-Gesetzmäßigkeit ist innovationsstrategisch bedeutsam Leistungsgrenze alte Technologie Potential Potential Technologie-Leistungsfähigkeit Leistungsgrenze neue Technologie heute Kumulierte Investition in die Technologie (F&E) VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 20 Strategiewechsel bei Kodak nach Fehleinschätzung der S-Kurve Kodak konzentriert sich auf Digitaltechnik • 4 Jahre rückläufige Kodak-Umsätze, in 6 Jahren 30.000 Arbeitsplätze abgebaut, Dividendenkürzung um 70% • Keine Investitionen mehr in traditionelles Film- und Fotogeschäft, aber 3 Mrd. $ in Digitaltechnik; u.a. Tintenstrahldrucker für Endverbraucher ins Programm • Strategie reagiert auf „überraschend“ rasante Verbreitung Digitalfotografie trotz entsprechend hart umkämpftem Markt • Investoren (institutionelle Anleger) üben Druck auf Kodak aus, die riskante Strategierevolution zurückzunehmen • Beispiel für späte strategische Auswirkung einer falschen Zukunftseinschätzung Quelle: o.V., FAZ 21.10.2003 VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 21 Diskussion: Die S-Kurve ist eine Abbildung des Technologie-Lebenszyklus als F&E-Kosten-Nutzen-Analyse (ertragsgesetzlicher Verlauf) Nutzen • Technologiestrategische Situationsbestimmung (ähnlich PLZ) • Frühaufklärungsindikator Grenzen • Keine Prognosebasis • Reale Verläufe weichen vom idealtypischen S ab • Selbst die Leistungsgrenzenabschätzungen (Asymptote) ist problematisch • Willkür bei der Wahl des Leistungskriteriums • Darstellung nur der Technologieentwicklung, keine Marktreaktionen (Zusatznutzen / Umstellungskosten beim Kunden, Diffusionseinflüsse) • Leistungskriterium unterschiedlich operationalisiert • nur Technologieentwicklungspotential dargestellt, Vermarktungsfähigkeitsfaktoren vernachlässigt, z.B. bei Kunden: • Umstellungskosten • Zusatznutzen • soziale Einflüsse VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 22 2. VL Innovationsmarketing Prognoseverfahren und Zukunftsanalyse Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 23 Fragwürdige und naive Innovations-Marktforschung - Beispiele Innovations-Marktforschung? Naive Innovations-Marktforschung Vor der bundesweiten Einführung von BTX Anfang der 80er startete die Bundespost zwei umfangreiche Studien zur Akzeptanzanalyse. Philips wollte durch Befragung herausfinden, welche Farbe der neuen tragbaren Stereoanlagen (Ghetto Blaster) die Kernzielgruppe präferiert. Die Ergebnisse signalisieren zum Teil erhebliche Probleme. Die meisten nannten “gelb”, aber alle wählten als Dankesgabe für die Mitwirkung ein schwarzes Gerät, keiner ein gelbes. Über die endgültige Einführung wurde vor Abschluss der Feldversuche entschieden. Typische naive Fragestellung: „Würden Sie kaufen, wenn…“ BTX wurde ein gigantischer Flop. VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 24 Historische Fehlprognosen 1895: Röntgenstrahlen?, niemals! "Diese Strahlen des Herrn Röntgen werden sich als Betrug herausstellen." Lord William Thompson Kelvin, 1895 1899: Fertig geforscht "Alles, das erfunden werden kann, ist schon erfunden worden." Charles H. Duell, US-Patentbüro, 1899 1922: Werbung? Nein Danke. "Diese drahtlose Musikbox (Radio) hat keinen denkbaren kommerziellen Wert. Wer würde für eine Botschaft bezahlen, die an niemand bestimmtes gerichtet ist?" Geschäftspartner von David Sarnoff, Gründer RCA, ca. 1922 1946: Öde Kiste "Der Fernseher wird sich auf dem Markt nicht durchsetzen. Die Menschen werden sehr bald müde sein, jeden Abend in eine Sperrholzkiste zu starren." Darryl Zannuck, Boss der Filmgesellschaft 20th Century Fox, 1946 1981: Größer wird’s nimmer "640 Kilobyte (Arbeitsspeicher) sollten eigentlich genug für jeden sein" Bill Gates, Gründer Microsoft, 1981 VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 25 Historische Fehlprognosen 1943 – "I think there is a world market for maybe five computers." (Thomas Watson, chairman of IBM) 1977 – "There is no reason anyone would want a computer in their home." (Ken Olson, president, chairman and founder of Digital Equipment Corp.) 1981 – "640K ought to be enough for anybody." (Bill Gates) VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 26 Beispiele katastrophaler jüngerer Innovationsprognosen (Telekommunikation) Teletex* BTX* 140 2000 120 1500 100 Prognose für das angegebene Jahr 80 60 Realität im angegebenen Jahr 40 Prognose für das angegebene Jahr 1000 Realität im angegebenen Jahr 500 20 0 0 1987 1993 1986 1990 Telefax* Mobilfunk* 3000 2000 2500 1500 2000 Prognose für das angegebene Jahr 1500 Realität im angegebenen Jahr 1000 Prognose für das angegebene Jahr 1000 Realität im angegebenen Jahr 500 500 0 0 1991 1993 1994 1991 1992 1994 * in tausend Stück VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 27 Selbstverständliche Annahmen bewirken Fehlprognosen Automobil um 1900 Elektronenrechner Telefon Mehr als 20.000 Autos werde es nicht geben, für mehr stünden nicht genug Chauffeure zur Verfügung. In den 50ern schätzte man einen Weltmarkt von 40 bis 80 Stück. Die englische Post lehnte die Einführung zunächst ab, weil Briefpost und Boten ausreichten, zuverlässiger und billiger seien und weil die BotenGewerkschaft Schwierigkeiten machen würde. Chauffeure hatten “selbstverständlich” eine Ingenieurausbildung. „Selbstverständliche” Annahmen: Nicht mehr Rechenbedarf, hohe Kosten, großer Platzbedarf 1980 (!) war der IBMVorstand der Meinung, der PC würde sich nicht als Massenprodukt durchsetzen. Der Bürgermeister von Seattle sagte, er könne sich vorstellen, daß in 100 Jahren jede Stadt in den USA ein Telefon besitze Fehlprognosen VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 28 Prognostische - und allgemein kognitive - Fehlleistungen entstehen durch schwierige Bewältigung von Komplexität Selektive Wahrnehmung und “Falschnehmung”: man... • bevorzugt bestätigende / erwünschte Informationen • überbewertet anschauliche Informationen • überbewertet jüngste Trends • überschätzt die Stabilität von Zuständen VL Innovationsmarketing Denkfehler: man... • ist sich zu sicher, erwartet keine Überraschungen • ist zu zukunftsoptimistisch (Hockeyschläger-Effekt) • ist zu skeptisch (alles schon ausprobiert) • überschätzt und unterschätzt Risiken • glaubt, die Dinge unter Kontrolle zu haben • schreibt einfache, aber falsche Ursachen zu (Attribution) Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 29 Dynamik und Vielfalt bestimmen die Komplexität Dynamik Vielfalt Quelle: Ulrich & Probst 1991 VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 30 Dynamik: Markt/Umfeld und Management beeinflussen sich gegenseitig Markt und Umfeld beeinflussen das Management Markt-/Umfeldentwicklungen • Wegbrechende Märkte • Sich öffnende Märkte • Andere Entwicklungszeiten • Zertifizierungszwang • Neue Wettbewerber • Normen und Standards • Preisverfall • Sättigungstendenzen • Standort Deutschland • Technologische Neuerungen • Rauhere Sitten • Regulierung • Umweltauflagen • Kürzere Lebenszeiten • Euro, Europäische Union • Mergers & Acquisitions • Benchmarking • Business Reengineering • Fraktale Fabrik • Globalisierung • Just-In-Time-Systeme • Konzentration aufs Kerngeschäft • Lean Management • Simultanous Engineering • Shareholder Value • Strategische Allianzen • Target Costing • Total Quality Management • Zero-Base-Budgeting • Outsourcing Entwicklungen im Management Das Management beeinflusst Markt und Umfeld VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 31 Komplexität einer Problemsituation Merkmale einfache Situation komplexe Situation Elemente wenige, gleichartige viele, verschiedene Vernetztheit gering starke Freiheitsgrade wenige viele Entwicklung determiniert, stabil stochastisch, turbulent Erfassbarkeit analysierbar, quantifizierbar beschränkt Problemlösung quantitativ, programmierbar zusätzlich qualitativ, heuristisch Quelle: Ulrich, Probst, 1991 VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 32 Komplexität und Reaktionszeit Reaktionszeit benötigte Reaktionszeit verfügbare Reaktionszeit Komplexität (Vielfalt + Dynamik) Quelle: Bleicher 1992 VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 33 Statt Langfristprognosen besser Zukunftsmanagement, und das heißt besonders: Kommunikationsmanagement! Dilemma Auswege • Projektionen versagen mangels Vergangenheitsdaten und wegen der Komplexität • Kausale Prognosen versagen mangels Theoriefundament • Befragungs-Prognosen versagen mangels Gültigkeit der Antworten VL Innovationsmarketing • Kommunikative Zukunftsanalysen wie Szenariotechnik • Zielkunden kommunikativ einbeziehen, ggf. auf künftige Szenarien konditionieren • Begeisternde Überzeugung kommunizieren (self fulfilling prophecy) Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 34 Die Szenarioanalyse - klassisches Verfahren der Zukunftsanalyse • weiches Verfahren der „Langfristprognose“ (Zukunftsanalyse) • Hypothese: Statt Prognosen führen stimmige Zukunftsleitbilder zur erfolgreichen Strategie • Quellen: Sekundär- und Primärdaten, letztere durch alle Formen der Erhebung zu erhalten • Vorgehen: siehe nächstes Chart realistisches Szenario gegenwärtige Situation VL Innovationsmarketing Annahmen über Wege in die Zukunft Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff Bilder der Zukunft = Szenarien 3./4. Zukunftsanalyse 35 Die Szenarioanalyse entwickelt systematisch in sich konsistente, daher grundsätzlich mögliche, Zukunftsbilder Die Szenarioanalyse ist ein Werkzeug der Zukunftsanalyse. Ein Szenario ist eine „vorwärts geschriebene Geschichte“, die eine wahrscheinliche zukünftige Situation beschreibt. Aus der Vergangenheit und der Gegenwart versucht man, mit systematischen und logischen Schritten mögliche Zukunftsbilder zu entwickeln Worum geht es? Zukünftig nimmt die Bedeutung heute wirksamer Faktoren ab. Statt dessen wirken eventuell neue Einflüsse. Damit öffnet sicht trichterförmig ein Spektrum möglicher Zukunftsbilder Quelle: Malorny, Langer, Moderationstechniken VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 36 Vorteile der Szenarioanalyse Unser Denken tendiert dazu, sich an der Vergangenheit zu orientieren und die Erfahrungen zu extrapolieren Lösungen für die Vergangenheit produziert, um damit in der Zukunft erfolgreich zu sein Was bringt es? Szenarioanalyse schließt auf für Chancen und Gefahren und schafft Spielraum, um auf Unvorhergesehenes einzugehen Quelle: Malorny, Langer, Moderationstechniken VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 37 Szenariotechnik in acht Schritten 1 Strukturierung/ Definition des Untersuchungsfeldes 8 Strategie Umsetzung 2 3 Umfeldanalyse Einflussfaktoren 7 Deskriptoren (Indikatoren) formulieren und diese projizieren 6 Auswirkungen Handlungskonsequenzen Zukunftsbilder = Szenarien 4 Konsistente Bündel alternativer Annahmen 5 Auswirkungsanalyse von Störereignissen Quelle: Reibnitz, 1981 VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 38 Mit Hilfe der Szenariotechnik entwickelten die Trendforscher der HVB dann drei Modelle, die mögliche Wege zur nachhaltigen Ökonomie beschreiben: Garten Eden: In der internationalen Gemeinschaft gibt es einen weltweiten Konsens über die langfristige zukünftige Entwicklung. Man hat sich auf das Leitbild Nachhaltigkeit einigen können. Dort, wo es globale Probleme nötig machen, findet die Regulierung auf internationaler Ebene statt. Am meisten profitieren diejenigen Unternehmen, die ihre Strategie an globaler Verantwortung ausrichten, aber regionale Gesichtspunkte von Produktion und Vermarktung berücksichtigen. Vor der Freiwilligen Selbstkontrolle steht ein globaler politischer Umbruch, der zu einer Neuordnung der internationalen Gemeinschaft führt. Aus dem Scheitern zahlreicher internationaler Abkommen müssten die Länder zu der Schlussfolgerung kommen, dass es mehr Sinn macht, erst einmal den eigenen Laden in Ordnung zu bringen. Auf Unternehmensebene dürften vor allem die Player profitieren, die bereits heute nach den Kriterien der Nachhaltigkeit wirtschaften. Etwas weniger vielversprechend ist der Weg der Ehrenwerten Gesellschaft: Nach einigen Verteilungskonflikten hat sich eine stabile internationale Struktur herausgebildet. Die internationale Gemeinschaft besteht nun aus stabilen Netzwerken mit jeweiligen Paten(staaten). Globale Regelungen werden aber nur zur Einflusssicherung bzw. zur Sicherung des Status Quo eingesetzt. Eine nachhaltige Ökonomie als stabilitätsgebender Rahmen ist dennoch durchaus möglich. Quelle: HVB, NACHHALTIGE ÖKONOMIE IM ZEITALTER DER GLOBALISIERUNG, www.hypovereinsbank.de, 2006 VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 39 Wie Unternehmen die Szenariotechnik konkret umsetzen Beispiele für Szenarioplanungs-Anlässe • • • • • • Sinken oder Steigen die Preise für Rohstoffe, etc.? Kommt Inflation oder Deflation? Konjunkturprogramme: wie wirken sie sich aus auf das eigene Unternehmen? Welche Branchen/Unternehmen bleiben auf der Strecke? Wie ergeht es wichtigen Handelspartnern und wie verhalten sie sich? Droht einem Partner Insolvenz und somit dem eigenen Unternehmen Gefahr? Quelle: Wirtschaftswoche Nr.15/2009. S.68-71 VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 40 Empfohlen wird ein vierstufiges Planungsverfahren Vorgehen 1. Kernaufgabe: die wichtigsten geschäftsrelevanten Faktoren herausfinden und sich auf diese konzentrieren! 2. Entwicklung von Extremszenarien und möglichen Zwischenvarianten 3. Durchdenken aller relevanter Teilaspekte eines jeden Szenarios, • Definition von Schwellenwerten und Erstellung angemessener Maßnahmenkatalogen entsprechend der jeweiligen Situation 4. Identifizierung von Maßnahmen, die in jedem Fall lohnen und sofort verfolgt werden sollten Quelle: Wirtschaftswoche Nr.15/2009. S.68-71 VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 41 Die Beschäftigung mit Extremszenarien und Zwischenvarianten hilft, ... – – – – – Eigene Handlungsspielräume auszuloten Wichtiges von Unwichtigem zu trennen Ein besseres Gespür für Entwicklungstrends und -Signale zu erlangen Findung von Sofortmaßnahmen, die in jedem Fall sinnvoll sind Gezielt und aktiv die Entwicklung zu beeinflussen „Szenarien zu entwickeln, um das laufende Geschäft abzusichern und sich den Kopf für Strategien frei zu halten, verschafft Unternehmen in Krisenzeiten größere Planungssicherheit und hilft ihnen, sich auf böse Überraschungen vorzubereiten.“ (Manfred Hader, Partner der Unternehmensberatung Roland Berger) „Die Szenariotechnik nutzen wir seit Jahren und werden das auch nach der Krise tun – dann aber weniger zur Abwehr von Chancen, sondern vor allem zur Früherkennung von Chancen“ (Dirk Engehausen, Lego Geschäftsführer für Zentraleuropa) Quelle: Wirtschaftswoche Nr.15/2009. S.68-71 VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 42 Delphi-Methode VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 43 Die Delphi-Methode ist ein anderer Klassiker Zukunftsanalyse durch Integration von Expertenmeinungen, wobei Prinzip falsche Extrempositionen durch Überzeugung eliminiert werden vernachlässigte Erkenntnisse anderer Disziplinen beachtet werden Objekte Subjekte Experten aus unterschiedlichen Wissens- / Interessenbereichen Ablauf hoch aggregierte Aussageeinheiten (z.B. Auto, nicht Mercedes) schriftliche Einzelaussagen Expertenauswahl zentrale Analyse Feedback konvergierte Aussage Probleme VL Innovationsmarketing Subjektivität durch Expertenauswahl Einfluss sprachlicher Dominanz Tendenz zu konservativer Schätzung Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 44 Die Delphi-Methode ist eine systematisierte, schriftliche Befragung von Experten verschiedener Fachrichtungen Die Delphi-Methode ist speziell geeignet Experten bleiben untereinander anonym, zur Schätzung von Zukunftsaussichten, um frei antworten zu können; deren Komplexität reduzierbar ist persönliche Dominanz durch interdisziplinäre wird auf diese Weise Qualitativ Expertise ausgeschaltet hochwertige, gut begründete Schätzwerte zu Trends Delphi ist ein mehrstufiges Befragungsverfahren, das nach drei bis vier Runden ein stabiles begründetes Ergebnis liefert VL Innovationsmarketing Auswertung: Die Expertenmeinungen werden qualitativ und quantitativ ausgewertet, die Ergebnisse werden den Experten nach jeder Runde mitgeteilt Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 45 Ergebnisse von Delphi-Analysen sind Einschätzungen über den Eintritt (Zeitpunkt) von Ereignissen 1 Für die Befragung wichtige Experten werden recherchiert, ausgesucht und eingeladen. Paralell erfolgt eine inhaltliche Sekundärdatenanalyse. 2 Der zeitliche und inhaltliche Rahmen der Delphi-Durchführung wird in einem Projektplan festgelegt. 3 Ein Fragebogen wird erstellt, den die Experten schriftlich bearbeiten. Alternativ kann auch mündlich, telefonisch, elektronisch interviewt werden. 4 Die Antworten werden ausgewertet. Die vorherrschende Meinung wird ermittelt. 5 Die Ergebnisse werden an die Experten versendet. Sollten diese bei abweichenden Ansichten bleiben, wird um eine Begründung gebeten. 6 Dritte Fragerunde analog Schritt 5. Zusätzlich sollen die Vertreter der herrschenden Meinung zu Begründungen der Abweichler Stellung nehmen 7 Eventuell vierte Fragerunde analog zu Schritt 6., jedoch sind die Ergebnisse meist schon stabil. VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff Wie gehe ich vor? 3./4. Zukunftsanalyse 46 Beide Methoden lassen sich kombinieren – so wie bei der HypoVereinsbank zum Thema „kritische Unsicherheiten nachhaltiger Ökonomie“ Prinzip • • • • Es kam ein "Virtuelles Delphi-Forum" zum Einsatz. Bei dieser Methode handelte es sich um eine mehrstufige Expertenbefragung Das Forum setzt dabei ausschließlich die Online-Befragungsinstrumente: Chat, quantitativer OnlineFragebogen und E-Mail-Liste ein. Ablauf: Phase 1 Phase 2 Phase 3 Synchrone Online-FocusGroup (Chat): Qualitative Befragung im Rahmen einer OnlineDiskussion mit fünf Experten. Ziel der Diskussion: Thema explorieren, Thesen generieren und die Meinungsvielfalt der Befragten festhalten. Dann u.a. „Cognitive Mind Mapping“ zur Entwicklung des Expertenfragebogens (11.09.2001) Online-Befragung. Quantitative Online- Befragung mittels standardisiertem Fragebogen. 144 Expertenanfragen, 37 Expertenantworten (26%) (Okt. bis Dez. 2001) Synchrone Online-Focus Group (Mailing List): Qualitative Befragung (Online-Diskussion) über Ergebnisse der vorangegangenen Befragung; Moderation mit teilstrukturiertem Leitfaden. An der abschließenden Diskussion beteiligten sich acht Experten (26.10 und 9. 12. 2001). Quelle: HVB, NACHHALTIGE ÖKONOMIE IM ZEITALTER DER GLOBALISIERUNG, http://www.hypovereinsbank.de/media/pdf/HVB-ChangeStudie_Nachhaltigkeit.pdf, 2006 VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 47 Akzeptanzprognose für Produkte mit hohem Neuigkeitsgrad Information Acceleration - Technik (Urban/Weinberg/Hauser 1995) Die künftige Akzeptanz “wirklich neuer” Produkte ist extrem schwer vorherzusagen, weil Befragte weder auf eigene noch auf fremde Erfahrungen zurückgreifen können. Der Vorschlag zielt auf eine möglichst perfekte (multimediale) Simulation der Situation, in der Versuchspersonen (potentielle Kunden) das neue Produkt kennenlernen. In dieser Situation werden die Versuchspersonen “auf die Zukunft konditioniert”, sie erhalten volle Marketinginformation und können “Erfahrungen” mit dem Produkt machen. Anschließenden Befragung zur stufenweise Akzeptanzwahrscheinlichkeitsschätzung: p(Kenntnisnahme) ⇒ p(Kauferwägung) ⇒ p(Händlerbesuch) ⇒ p(Kauf) ⇒ p(Empfehlung). Die Methode wurde am Fall der Einführung eines Elektroautos in den USA getestet. Absatzprognose: 8.000 Autos nach 4 Jahren. Daraufhin wurde das Projekt gestoppt. Kosten pro Anwendung: ab 100 T $, je nach multimedialem Aufwand. 500 T € nicht unrealistisch VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 48 Innovationsmarktforschung durch Integration von Schlüsselkunden • Zusammenarbeit mit einem innovativen Pionieranwender (lead user) verringert nicht nur das Risiko, am Markt vorbei zu entwickeln, sondern ist auch eine Form der Innovationsmarktforschung • Markteinführung erst bei lead usern, dann im Breitenmarkt 1 lead user 2 Gemeinsame Entwicklung 3 Prototyp Pilotanlage 4 Breitenmarkt VL Innovationsmarketing Test im Breitenmarkt ggf. Modifikationen Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff Einführung beim lead user 5 Einführung im Breitenmarkt 3./4. Zukunftsanalyse 49 2.3 Trendmanagement VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 50 Fünfzehn Konsumtrends 2005 – können unpräzise Vorhersagen falsch sein? • Market of the Real: Die Sehnsucht nach dem Echten, Guten, Wahren • Bad Taste: Die Freude am schlechten Benehmen • Ageless Consuming: Smarte Produkte befreien sich von Altersbeschränkungen • Mass Customization: Maßanfertigungen für Individualisten • Life Assistance: Die Professionalisierung der Alltagshilfen • Inszenierungskonsum: Sinnliche Events und Erlebnisse • Wellness 2: Sich-verwöhnen-lassen und Such nach Balance • Homing: Zentrum der Welt im (Un)Sicherheits-Zeitalter • Female Shift: Der Konsum wird weiblich • The Great Outdoors: Die Suchee nach dem Paradies im eigenen Garten • Minority Forces: Stolze Minderheiten fordern eigene Konsumkonzepte • Feel-Good-Consuming: „Richtige“ Produkte für Sinnsucher • Nomadic Markets: Navigation und permanente Anpassung wird zum Lebenskonzept • High-Touch-Markets: Der Wunsch nach Produkten mit Bezug zur eigenen Person • Total Gaming: Spielen wird zum gesellschaftlichen Funktionsprinzip Quelle: Huber, Th., Consumer Trends 2005, Hamburg (Zukunftsinstitut) 2002 VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 51 Trendforschung Drei Trendarten • statistisch (Zeitreihenextrapolation) • historisch (z.B. Freßwelle, Juppies, rückläufige Light-Welle) • künftig (Zukunftsanalytische Methoden) Trendgurus • • • • • John Naisbitt Faith Popcorn Gerd Gerken Mathias Horx (Trendbüro Hamburg) u.a.m. Forschungsprobleme • teilweise wissenschaftlich unseriös, aber populär • es geht nur „weich”, qualitativ, „ganzheitlich“ • psychologische/sozialpsychologische Probleme z.B. self fulfilling prophecy, agenda setting VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 52 Trendmanagement ist gezielte innovationsstrategische Auseinandersetzung mit Trends • Definition – “A statistically significant change in performance of measured data which is unlikely to be due to a random variation in the process.” – Trends sind die ersten Manifestationen neuer Produkte oder Services die ein existierendes oder latentes Kundenbedürfnis einzigartig befriedigen. • Abgrenzung – Trendmanagement bedeutet mehr als das Aufspüren der angesagten Farbe des nächsten Sommers oder des nächsten „hippen“ ModeDesigners oder futuristische Spekulationen ohne situativen und aktuellen Realitätsbezug – Trendmanagement analysiert und differenziert Trends und bricht sie herunter auf unternehmensspezifische Innovationspotenziale VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 53 Aufbau von Trendverständnis Gesellschaftstrends • Gesellschaftstrends wirken langfristig • Zeigen tief greifende Veränderungen auf Führen zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umstrukturierung Beschreiben das grundsätzliche Klima, in dem alles andere wirkt und sich organisiert Kategorien: • • • – – – – – Konsumententrends • Metatrends bedingen Konsumententrends • Veränderungen, die sowohl das soziale Verhalten als auch das Kauf- und Konsumverhalten beeinflussen Markttrends • Mit neuen Technologien, Produkten und Services versuchen die Unternehmen auf sich ändernde Kundenbedürfnisse zu reagieren • Diese Industrietrends variieren zwischen den verschiedenen Branchen Sozial Technologisch Ökonomisch Umweltbezogen Politisch VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 54 Abgeleitete Consumer Trends Stadium gesellschaftlicher Entwicklung hoch Cool Convenience • Service Society, Deep Specialized Services • Smart Shopper • Erlebnisse, nicht Produkte (Pleasure Market) • Time Saving Products • Transumerism • Curated Consumption Stripped Product niedrig • Das nackte Produkte für preissensible und unerfahrede Kunden • Do-it-yourself • Nur der nötigste Service, Standard VL Innovationsmarketing Conscious Consumption Neo Nature • Entspannung vom gestiegenem Stress • Zurück zur Natur • Öko-Awareness • Wellness/ Selfness • Neue Architektur Sophisticated Simplification • Creative Class/ Generation C • Einfachheit, Reduziertheit, Purismus • Flexible Produkte für • „Less is more“, mobile Kunden • Einfallsreiche, witzige hinterlegt mit Angebote anspruchsvollen • Wunsch nach Besonderem Funktionen • Aber auf das notwendige • Incentivierung reduziert/personalisiert Hi-Jack • Leben auf Kosten der Umwelt aus Ignoranz und Gleichgültigkeit (Wasserverschwendung, Umweltstandards bei Produkten irrelevant) Status Consumption • Konsum entsprechend dem gesellschaftlichen Status – (Normales für Normale, Luxus für die Elite) • Konsum-Nachholbedarf Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff Featuritis • So viele Features fürs Geld wie möglich • TV/Radio, Coffee on the way Social Computing • Digital Networking & Community Building • Mobile Computing • Nutzung moderner ITKTechnologie (Blogs, RSS, etc.) • Word of mouth Traditional Ties • Kleiner Kreis: Familie & enge Vertraute • Bescheidener ITK-Einsatz und traditionelle Kommunikationskanäle 3./4. Zukunftsanalyse 55 Beispiel Trendmanagment Gesellschaftstrend „Female Shift“ VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 56 Megatrend Female Shift Definition "Female Shift" ist der zunehmende Einfluß von Frauen in Wirtschaft, Kultur Politik Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur, also die Feminisierung der Wirtschaft Wissenschaft Gesellschaft und die damit zusammenhängende Aufwertung weiblicher Eigenschaften und Lebensentwürfe. Megatrend - Bezug: alle Lebensbereiche - Dauer: min 25-30 Jahre - Charakter: global aber nicht überall gleich stark SBWL Inno VL 4 Zukunftsanalyse 57 Megatrend Female Shift Facts & Figures - Wirtschaft 27% Frauenanteil bei Führungskräften in Deutschland Frauen verdienen 23% weniger als Männer Die Firmen mit den meisten Frauen im Vorstand erzielen im Vergleich zu solchen ohne Frauen eine bis zu 53 Prozent höhere Eigenkapitalrendite (McKinsey). SBWL Inno VL 4 Zukunftsanalyse 58 Megatrend Female Shift Konsequenzen für die Automobilindustrie (1/3) 80% aller Kaufentscheidungen werden von Frauen getroffen oder maßgeblich beeinflusst Automobil: Frauen haben großen Einfluss auf Marke/Modell und auf die Farbe. Frauen sind als potentielle Zielgruppe stark. In der Altersklasse der 30 bis 39-jährigen Frauen beträgt die Führerscheinbesitzquote mehr als 93%. Die Hälfte der Führerscheinbesitzerinnen unter ihnen hat kein Fahrzeug auf sich zugelassen. SBWL Inno VL 4 Zukunftsanalyse 59 Megatrend Female Shift Konsequenzen für die Automobilindustrie (2/3) Product: Im Gegensatz zu Männern benutzen Frauen das Auto häufiger zum Einkaufen und nehmen häufiger Kinder im Auto mit Frauen neigen zum Kauf eher kleinerer Autos aus Gründen des Umweltschutz Frauen sind als potentielle Zielgruppe stark – die Hälfte der Führerscheinbesitzerinnen unter ihnen hat kein Fahrzeug auf sich zugelassen Place: Hauptinformationsquelle beim Autokauf ist nach wie vor der Händler Im Rahmen des Verkaufs- bzw. Informationsgesprächs sollten die Aspekte Sicherheit und Umweltfreundlichkeit besonders angesprochen werden. Promotion: Sicherheit ist für Frauen ein entscheidender Faktor Weniger technische Aspekte als vielmehr der rationale Nutzen sollte im Fokus stehen. Frauen können nicht als homogene Gruppe angesehen werden, sie müssen individuell angesprochen werden. Price: Preis und Wartungskosten spielen bei Frauen eine größere Rolle wie bei Männern SBWL Inno VL 4 Zukunftsanalyse 60 Megatrend Female Shift Konsequenzen für die Automobilindustrie (3/3) Global kein einheitliches “Female Marketing“ möglich Geringer Verbrauch als wichtiges Kaufkriterium Praktikabilität des Fahrzeuges geht vor Statusdemonstration SBWL Inno VL 4 Zukunftsanalyse 61 Beispiel „Consumer Kits“ VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 62 Ausgehend von der SIGMA Milieu-Segmentierung wurden für ausgewählte Bodystyles typische Kundenprofile erhoben und physisch aufgebaut Problemstellung Aufgabenstellung/Ziel Power & Superiority • • Ausgehend von den quantitativen Sigma und NCBS-Daten wurden 13 Kundenprofile bestimmt mit hoher Relevanz für Volkswagen im A-Segment Auswahl der Kundenprofile anhand Volumen und Präferenz der VolkswagenMarken VL Innovationsmarketing • • In qualitativen Interviews wurden die Konsumund Lebensgewohnheit der Kundenprofile detailliert erhoben Aufbau von „Consumer Kits“ zur Darstellung von 10 Kundenprofilen und Nutzung im PEP Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 63 Consumer Kits sollen es ermöglichen, spezifische Zielgruppen für jeden „anfassbar“ zu machen und empathisches Kundenverständnis zu fördern Was ist ein Consumer Kit? Lifestyle-Bereiche Langfristige Werte • Ein Consumer Kit besteht aus realen Produkten, die den Konsumenten einer Zielgruppe ganzheitlich beschreiben und eine Visualisierung der Lebens- und Wertewelt des Kunden ermöglichen VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 64 Die Consumer Kits sind methodisch innerhalb der Sigma-MilieuSegmentierung verortet. Der Prozess wurde in 4 Hauptstufen unterteilt. Home Interviews • Erfassung von Probanden durch Pre-Screener – Alter, Ausbildung, Fahrzeug, Einstellung zu Autos • Durchführung von 170 Home-Interviews / ca. 90min durch 2-3 Studenten • Dokumentation der Interviews per Wrap Ups, Video und Photos VL Innovationsmarketing Datenanalyse • Auswertung und Verdichtung der Wrap Ups • Einordnung der Probanden in die entsprechenden Milieus durch die Firma Sigma Erstellung Itemlisten Aufbau Consumer Kits – Itemlisten beschreiben Bestandteil der Consumer KIts und Begründung der Auswahl – Basieren auf Ergebnissen der qualitativen Interviews und Sigma MilieuZuordnung (Workshop) – Physischer Aufbau der Consumer Kits in transportabler Form – Aufbereitung des vorhandenen VideoMaterials zu 2 Filmversionen: 2 min und 10 min pro Consumer Kit Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 65 Methodischer Steckbrief der Consumer Kits • • • • • Aufgabe: Für die Konzernproduktstrategie – in einem pilothaften Ansatz für Deutschland - Consumer Kits als exemplarische Lebensumfelder potentieller Kunden aufzubauen. Ziel: Primäres Ziel dieses Ansatzes ist es, den Mitarbeitern des Volkswagen-Konzerns (hier allen voran den Designern und den Produktmarketing-Spezialisten) den Aufbau empathischen Kundenverständnisses zu ermöglichen. Ergänzendes Ziel dieses Ansatzes ist es, in einem abgestimmten Vorgehen mit der Konzernmarktforschung und -analyse die Consumer Kits methodisch fundiert innerhalb der Sigma-Milieu-Segmentierung zu verorten. Prozess ausführlich: Auswahl der Consumer Kits: Multiplikation der Indizes und Stückzahlen: bei Auswahl nur anhand von Stückzahlen wären keine Trend und Impulsgebenden Milieus relevant gewesen. – 2-3 Studenten der Semesterübung interviewten Probanden, die den Screener positiv durchlaufen haben und einem Milieu zugeordnet werden konnten: – Zusammenfassung der Interviews durch einen 3-Seiten langen Wrap Up + Moodboard – Anhand von einem 48 Fragen langen Sigma Screener –durchgeführt im Anschluss des Interview wurden die Probanden durch die Firma Sigma in die entsprechenden Milieus zugeordnet – Auf Basis der Wrap ups wurden für jeden Kit Itemlisten erstellt: für jeden Lifestylebereich bestimmte Items: ca- 100 Items pro Kit – Abstimmung der einzelnen Items durch die Firma Sigma – anschließend „Freischaltung“ der Itemlisten und Einkaufen aller Items – Einrichtung der Boxen – Vorhänge, Bilder, Spiegel, Fotos von Böden (Kacheln, Laminat, Fliesen, Kacheln) VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 66 Screener 1. Neuwagenkaufabsicht Besitzen Sie einen Neuwagen oder erwägen Sie in den nächsten drei Jahren einen Neuwagenkauf? 2. Automodell Visuelle Darstellung der Autos, Welches Auto beabsichtigen Sie zu kaufen? Welches dieser Autos würden Sie kaufen? 4. Bildungsniveau Realschulabschluss, Abitur, Hochschulabschluss 5. Alter Es sind aufgrund der quantitativen Daten unterschiedlich lange Intervalle vorgegeben 6. Einstellung Je nach Segment und Automodell werden vier Fragen gestellt, die von 1(sehr wichtig) bis 4 (gar nicht wichtig) bewertet werden VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 67 Kontrollfragen 1. Warum erweisen sich viele Innovationsprognosen nicht nur als von der Realität mehr oder weniger abweichend, sondern als völlig falsch? 2. Auf welchen Prognosezeitraum ist die in den täglichen Medien übliche Wetterprognose grundsätzlich beschränkt und warum? 3. Was ist die Idee der Methode „Information Acceleration“, wie geht sie schrittweise vor und was ist das Ergebnis? 4. Was unterscheidet unseriöse Trendforschung von seriösem Trendmanagement? VL Innovationsmarketing Technische Universität Berlin Lehrstuhl Marketing Professor Dr. Volker Trommsdorff 3./4. Zukunftsanalyse 68