Die Klavierspielerin

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Königs Erläuterungen und Materialien
Band 471
Erläuterungen zu
Elfriede Jelinek
Die Klavierspielerin
von Stefan Helge Kern
Über den Autor dieser Erläuterung:
Dr. Stefan Helge Kern, geb. 1974. Studium der Germanistik,
Philosophie, Geschichtswissenschaft und Pädagogik an der
Leibniz Universität Hannover. Promotion 2003 mit einer Arbeit
über Romane von Thomas Mann, Max Frisch und Jurek Becker
unter dem Titel Die Kunst der Täuschung. Stefan Helge Kern
unterrichtet Deutsch, Geschichte und Philosophie an einem
Gymnasium in Hannover und bildet am Studienseminar in
Hannover Deutschlehrer aus.
In der Reihe Königs Erläuterungen ist bisher erschienen: Thomas
Mann: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (KE 456, 3. Aufl.
2008).
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1. Auflage 2008
ISBN: 978-3-8044-1874-5
© 2007 by Bange Verlag, 96142 Hollfeld
Alle Rechte vorbehalten!
Titelabbildung: Elfriede Jelinek © Isolde Ohlbaum
Druck und Weiterverarbeitung: Tiskárna Akcent, Vimperk
Inhalt
Vorwort..................................................................
1.
1.1
1.2
1.3
Elfriede Jelinek: Leben und Werk....................... 7
Biografie.................................................................. 7
Zeitgeschichtlicher Hintergrund.............................. 12
Angaben und Erläuterungen
zu wesentlichen Werken.......................................... 14
2. Textanalyse und -interpretation..........................
2.1 Entstehung und Quellen..........................................
2.2 Inhaltsangabe..........................................................
2.2.1Erster Teil...............................................................
2.2.2Zweiter Teil.............................................................
2.3 Aufbau....................................................................
2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken............
2.4.1Erika Kohut.............................................................
2.4.2Mutter Kohut..........................................................
2.4.3Walter Klemmer......................................................
2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen.................
2.6 Stil und Sprache......................................................
2.7 Interpretationsansätze.............................................
5
19
19
21
21
41
62
65
65
68
70
72
84
90
3.
Themen und Aufgaben........................................ 95
4.
Rezeptionsgeschichte............................................ 97
5.
Materialien............................................................ 101
Literatur ...................................................................... 105
5.1 Textausgabe............................................................. 105
5.2 Bearbeitungen......................................................... 105
5.3 Biografie.................................................................. 105
5.4 Sekundärliteratur.................................................... 106
5.5 Internet................................................................... 108
Vorwort
Vorwort
Der Roman Die Klavierspielerin zeigt ein Panorama zwischenmenschlicher Gewalt. Jelineks überzeichnete, bis ins Groteske
gesteigerte Erzählung rückt die psychischen Folgeschäden des
kleinbürgerlichen Kampfes um den gesellschaftlichen Aufstieg in
den Mittelpunkt. In den Figuren der Klavierlehrerin Erika Kohut,
deren Mutter und dem jungen Liebhaber Walter Klemmer porträtiert die Nobelpreisträgerin nicht pathologische Einzelfälle, denen man einen einfühlsamen Psychiater empfehlen würde, wenn
sie zum eigenen Bekanntenkreis gehörten. Die drei Protagonisten
sind vielmehr Typen, klischierte Sprach- und Charaktermasken,
die in tradierten Rollenbildern gefangen sind. Trotz Zuspitzung
und Übertreibung, Ironie und Satire ist der Roman im Kern realistisch: Die geschilderten Probleme und Menschentypen gibt
es tatsächlich. Auch wir Leser sind möglicherweise oder partiell
Teil der erzählten Welt. Aus eigener Erfahrung oder Beobachtung
kennen wir solche Beziehungen, die sich im Schmerz erfüllen,
in denen Menschen wie mit Gummibändern aneinandergekettet
sind. Jelinek gestaltet diese realen Erfahrungen mit Mitteln, die
den Anschein erwecken könnten, das Geschilderte sei irreal, also
bloß erfunden. Die Satire hat aber die Tendenz, die Wirklichkeit
zu verzerren, zu vergröbern: um sie kenntlich zu machen.
Erika, die es nicht bis zur Weltspitze der Klavier-Solisten geschafft hat, ist in erster Linie eine Klavierlehrerin – und eben
nicht jene Klavierspielerin, die der Titel des Romans von Elfriede Jelinek ankündigt. Der Titel spiegelt vor allem den Traum der
Mutter wider, die mit körperlicher und vor allem seelischer Gewalt dafür sorgen wollte, dass ihre Tochter ganz oben steht und
alle zu Erika – und damit auch zur Mutter – aufsehen müssen.
Als Klavierlehrerin gibt Erika Kohut die Unterdrückung, die sie
selbst seit ihrer Kindheit erfährt, an ihre Schüler weiter.
Vorwort
Vorwort
Das Mittel dieser Unterdrückung ist die Musik. Diese erscheint
in doppelter Gestalt: Musik ist eine Kunst, die sich an die
Sinne richtet, sie bewirkt Empfindungen. Diese Sinnlichkeit
soll aber – für Erika – rein, geistig, ohne Makel und Schmutz
des Leiblichen sein. Eine sinnenlose Sinnlichkeit ist ihr künstlerisches Ideal. „Kunst und Ordnung, die verfeindeten Verwandten.“ (S. 125), schreibt Jelinek in der Klavierspielerin.
Um der reinen, angeblich hochwertigen Empfindung willen
muss jedes Empfinden zuerst ausgeschaltet und zerstört werden. Das Üben am Klavier ist eine Bezwingung des Körpers
und der Individualität von Heranwachsenden wie der jungen
Erika Kohut, die sich immer drinnen disziplinieren muss, während sich ihre Altersgenossen draußen ausprobieren. Sie wird
darüber zum emotionalen Krüppel. Beziehungen zwischen
Menschen kann Erika nur noch in den Mustern von Über- und
Unterordnung, Lehrer und Schüler, Herrschaft und Knechtschaft erleben. Aus Angst vor Selbstbestimmung flieht Erika in
die Unfreiheit. Ihre zaghaften Versuche, die eigenen Wünsche
und Bedürfnisse zu artikulieren, werden verspottet oder von
anderen mit Gewalt beendet. Sie entwickelt sexuelle Obsessio­
nen, die sich zwischen dem bloßen Zuschauen auf der einen
und realen Schmerzen auf der anderen Seite bewegen.
Weil Anführungszeichen im Roman fehlen, fließen personale und
auktoriale Perspektive, die Stimme des Erzählers und die Gedanken der Figuren ineinander. Die gelegentliche Verwendung des
Pronomens SIE in Versalien unterstützt dieses Verwirrspiel. Aus
welcher Perspektive Urteile gefällt und Einschätzungen über die
Romanfiguren formuliert werden, bleibt deshalb meistens offen.
Daher gilt für diesen Roman in besonderer Weise, dass
schon die Wiedergabe des Inhalts eine Interpretation ist.
Der Autor dieser Erläuterungen hat sich deshalb bemüht, seine
Lesart ausführlich mit dem literarischen Text selbst zu belegen.
Vorwort
1.1 Biografie
1. Elfriede Jelinek: Leben und Werk
1.1 Biografie
Alle, die glauben, sie wüssten etwas über mich, wissen nichts.
Jahr
Ort
Ereignis
1946
Mürzzuschlag/
Steiermark
Elfriede Jelinek wird am 20. 10.
geboren. Ihre Mutter Olga Ilona stammt aus bescheidenen
Verhältnissen und ist bereits 42
Jahre alt. Ihr Vater, der Beamte
Friedrich Jelinek, ist 46. Er ist
jüdisch-tschechischer Abstammung und musste im Krieg als
Chemiker für die Nazis arbeiten.
Wegen seiner kriegswichtigen
Arbeit in der Rüstungsindustrie
blieb ihm während des Nationalsozialismus aber die Verfolgung als Jude erspart.
Besuch des Kindergartens und
der Klosterschule Notre Dame
de Sion.
Musikunterricht (Klavier, Blockflöte, Geige, Gitarre, Bratsche).
Der Vater erkrankt psychisch.
ab 1950 Wien
ab 1953 Wien
�
Alter
4
7
Elfriede Jelinek. Zitiert nach: Mayer, Koberg: Elfriede
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Jelinek, Schutzumschlag.
1. Elfriede Jelinek: Leben und Werk
1.1 Biografie
Jahr
Ort
Ereignis
1956–
64
Wien
Besuch des Realgymnasiums für
Mädchen in der Albertgasse/Albertgymnasium.
Jelinek wird ins Konservatorium
der Stadt Wien aufgenommen
und studiert dort Orgel, Klavier,
Blockflöte und später auch Komposition mit dem Ziel, Berufsmusikerin zu werden. Anzeichen einer psychischen Krise.
Matura (Abitur). Psychischer
Zusammenbruch.
Studium der Kunstgeschichte
und der Theaterwissenschaft an
der Universität Wien. Abbruch
des Studiums nach sechs Semestern. Erste Gedichte (Lisas
Schatten, erscheint 1967).
Jelinek bleibt psychisch krankheitsbedingt ein Jahr lang in
ihrem Elternhaus. Ihr erster
Roman bukolit entsteht (veröffentlicht 1979). Ihr Vater erkrankt an Alzheimer und wird
in ein Pflegeheim gebracht.
Tod des Vaters in einem psychiatrischen Krankenhaus.
ab 1960 Wien
1964
Wien
1964–
67
Wien
1968
Wien
Mai
1969
Alter
10–
18
14
18
18–
21
22
22
1. Elfriede Jelinek: Leben und Werk
1.1 Biografie
Jahr
Ort
1969
1970
1971
Wien
1972
Berlin
Januar– Rom
März
1973
1974
Wien
1975
1979
Graz
1983
1. Elfriede Jelinek: Leben und Werk
Ereignis
Alter
Auszug aus dem Elternhaus.
Lyrik- und Prosapreis der österreichischen Jugendkulturwoche
in Innsbruck; Lyrikpreis der
Österreichischen Hochschülerschaft.
Ihr Romandebüt wir sind lockvögel baby! erscheint.
Organisten-Diplom des Wiener Konservatoriums „mit sehr
gutem Erfolg“.
Umzug nach Berlin, Krimi-Kolumne im SFB.
Aufenthalt in Olevano bei Rom.
23
Beitritt zur KPÖ (Kommunistische Partei Österreichs). Eheschließung mit Gottfried Hüngsberg, damals Mitarbeiter des
Filmemachers Rainer Werner
Fassbinder.
Der Roman Die Liebhaberinnen
erscheint.
Uraufführung ihres ersten Dramas Was geschah, nachdem Nora
ihren Mann verlassen hatte.
Der Roman Die Klavierspielerin
erscheint.
28
24
25
26
26
29
33
37
1.1 Biografie
Jahr
Ort
Ereignis
1986
Köln
Jelinek erhält als erste Frau den
Heinrich-Böll-Preis.
Der Roman Lust erscheint und
wird ein Bestseller.
Drehbuch für die Verfilmung
von Ingeborg Bachmanns Roman Malina.
Austritt aus der KPÖ.
Georg-Büchner-Preis für „die
vielstimmige Kühnheit ihres erzählerischen und dramatischen
Werks“2 (siehe auch Kapitel 5,
Materialien).
Die Verfilmung des Romans Die
Klavierspielerin von Michael Haneke mit Isabelle Huppert in der
Rolle der Erika Kohut wird in
Cannes mehrfach ausgezeichnet.
Literaturnobelpreis für „den musikalischen Fluss von Stimmen
und Gegenstimmen in Romanen
und Dramen, die mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft
die Absurdität und zwingende
Macht der sozialen Klischees
1989
1990
1991
1998
Wien
Darmstadt
2001
2004
Stockholm
Alter
40
43
44
45
52
55
58
2http://www.deutscheakademie.de/urkundentexte/buechner/1998.html (Stand: Oktober 07).
10
1. Elfriede Jelinek: Leben und Werk
1.1 Biografie
Jahr
Ort
2007
Ereignis
enthüllen“3. Jelinek kommt
nicht zur Preisverleihung, sondern schickt eine Rede4.
Zum dritten Mal (nach 1993 und
1998) „Dramatikerin des Jahres“.
Alter
61
3http://nobelprize.org/nobel_prizes/literature/laureates/2004/index.html (Stand: Oktober 07).
4 Nachzulesen unter http://nobelprize.org/nobel_prizes/literature/laureates/2004/jelinek-�
lecture-g.html (Stand: Oktober 07).
1. Elfriede Jelinek: Leben und Werk
11
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