Ein Kr Mit Artemisia annua, dem einjährigen Beifuss, hat man einen pflanzlichen Gegner für den Malariaerreger gefunden. Xavier Simonnet ist Chef des Projekts bei Médiplant, einer Institution, die sich der Erforschung von Heilpflanzen widmet. Foto: Médiplant Alte Heilpflanze Artemisia annua, der einjährige Beifuss, ist heute das beste Mittel gegen Malaria. Schweizer Forscher haben Sorten gezüchtet, die zehnmal mehr des begehrten Wirkstoffs Artemisinin enthalten. Text: Antoinette Schwab I st das nicht eine schöne Pflanze», fragt Charly Darbellay. «Sie würde sich sicher auch gut machen im Garten, als Zierpflanze.» Artemisia annua, der einjährige Beifuss, wird bis zu zweieinhalb Meter hoch, ist stark verzweigt und hat feingefiederte, tief eingeschnittene Blätter, die bis 5 Zentimeter lang werden. Die Blüten ähneln kleinen Knötchen, sind nur gerade 2 bis 3 Millimeter im Durchmesser und grünlich-gelb. Die Pflanze wird bei Médiplant gezüchtet, ei42 Natürlich | 12-2004 ner Institution, die sich der Erforschung von Heilpflanzen widmet. Zuhause ist das Forschungszentrum in Conthey, im Wallis, auf dem Gelände einer Aussenstation von Agroscope Changings, einer der 5 eidgenössischen landwirtschaftlichen Forschungsanstalten. Charly Darbellay steht sowohl dieser Aussenstation als auch Médiplant als Direktor vor. Und er ist sichtlich stolz auf seine ArtemisiaSorte, die helfen soll, eine der schlimmsten Seuchen zu bekämpfen – die Malaria. Artemisia annua kommt, zusammen mit etwa einem Dutzend weiterer BeifussArten, in der Schweiz zwar wildlebend vor, ist aber keine einheimische Pflanze. Ihre Heimat ist Asien. In China wird sie schon seit Jahrhunderten zu Heilzwecken verwendet, und dass sie gegen Malaria hilft, weiss man dort schon mindestens 2000 Jahre, denn aus dieser Zeit existieren erste schriftliche Aufzeichnungen darüber. 1972 wurde, ebenfalls in China, der Wirkstoff isoliert, der die Malaria-Parasiten vernichtet: Artemisinin. Zur Zeit des Vietnamkrieges waren auch die USA an der Erforschung des Wirkstoffes interessiert, denn ihre Soldaten, die in Vietnam im Einsatz waren, litten unter der verbreiteten Krankheit. Nach Kriegsende geriet diese Forschung im Westen aber wieder in Vergessenheit. «Als Médiplant 1988 begann, sich mit der Pflanze zu beschäftigen, wusste man fast nichts über sie», erzählt Charly Darbellay. Welche Klimabedingungen braucht sie? Ist sie selbstoder fremdbestäubend? Dies waren nur 2 der Fragen, auf die es Antworten brauchte. Alles, was das Walliser Institut hatte, war eine Pflanze mit einem relativ hohen Anteil an Artemisinin, ein Überbleibsel aus der amerikanischen Militärforschung. Der Artemisinin-Gehalt schwankt stark zwischen einzelnen Sorten. Die Artemisia annua-Sorten, die in der Schweiz wachsen, enthalten zum Beispiel praktisch kein Artemisinin. Die Forscher wollten aber eine Pflanze züchten, die möglichst viel davon enthält. Mittel der Wahl Medikamente auf der Basis von Artemisinin sind heute die wirksamsten Waffen gegen die Malaria. Die sogenannte Artemisininbasierte-Kombinations-Therapie (ACT) wird seit einigen Jahren von der Weltgesundheitsorgansation (WHO) empfohlen. Diese Behandlung wirkt auch gegen Parasitenstämme, die gegen bisherige Mittel resistent geworden sind. Resistente Erreger sind es denn auch, welche die Zahl der Malariaopfer wieder in die Höhe treiben. Naturheilkunde GESUNDHEIT aut gegen Malaria Jedes Jahr erkranken weltweit mindestens 300 Millionen Menschen an dieser Krankheit, jedes Jahr sterben mehr als eine Million, darunter sehr viele Kinder. Mehr und mehr Länder steigen nun auf die neue Behandlung um, und die WHO befürchtet schon, dass es zu Engpässen beim Artemisinin kommen könnte. Denn: Vom Anbau bis zur Ernte dauert es mehrere Monate. Weil das Artemisinin nur in den Blättern angereichert ist, werden die Blätter vom Rest der Pflanze getrennt, getrocknet und gereinigt. Der Transport und die Extraktion des Wirkstoffes aus den getrockneten Blättern nimmt noch einmal einige Wochen in Anspruch. Das Ganze kostet natürlich Geld. Synthetisch herstellen lässt sich Artemisinin nicht; oder zumindest noch nicht. Umso begehrter sind die Züchtungen von Médiplant, alles übrigens ohne gentechnische Methoden. Vor einigen Jahren ist es den Wissenschaftern gelungen, eine Sorte zu züchten, die 1,4 Prozent Artemisinin enthält. Seit kurzem nun sind sie sogar bei einem Gehalt von 2 Prozent angelangt. Anstatt 4 bis 5 Kilo Artemisinin pro Hektare lassen sich daraus nun 40 bis 50 Kilo des weissen Pulvers gewinnen. produziert wird, oder auch in Afrika. Artemisia annua wird unter tropischen Bedingungen weniger gross. Sie ist besser an ein gemässigtes Klima angepasst. Trotzdem sind die Anbauversuche, die Médiplant in Afrika macht, erfolgversprechend. Auch andere Organisationen bauen in Afrika mittlerweile selektionierte Artemisia-Sorten an und verarbeiten das Kraut anschliessend zu Tee oder pulverisiert zu Pastillen. Besonders der Schweizer Werner Spitteler, ehemaliger Basler Regierungsrat, propagiert diese Methode, bei der die ganze Pflanze verwendet wird. Seine Pastillen werden von Missionsstationen an MalariaKranke, aber auch an Aids-Kranke abgegeben. Die Hilfswerke sind überzeugt, dass es hilft; nicht nur, weil der Wirkstoff Artemisinin die Malaria-Parasiten vernichtet, sondern weil die Pflanze auch das Immunsystem stärke. Wissenschaftlich bewiesen ist das aber bisher nicht. Die WHO und das Schweizerische Tropeninstitut warnen davor, dass bei unkontrolliertem Gebrauch die Gefahr besteht, dass die Parasiten Resistenzen entwickeln könnten. Bisher sind allerdings keine solchen Resistenzen bekannt geworden. Kostbare Samen Absinth gegen Malaria Die Pflanzen sind Kreuzungen (Hybride). Sie verlieren ihre speziellen Eigenschaften mit der Zeit wieder, wenn man damit weiterzüchtet. Deshalb produziert Médiplant aus den ursprünglichen Elternpflanzen immer wieder neue Samen und verkauft diese zu einem wahrlich guten Preis weiter. 1 Kilo kostet 100 000 Franken. Allerdings reichen schon 2 Gramm für ein Feld in der Grösse eines Fussballfeldes, und etwa 10 Gramm für eine Hektare. Verdienen wollten sie dabei nichts, betont Charly Darbellay, damit sei nur der Aufwand bezahlt: «Schliesslich ist die Pflanze da, um eine Krankheit der Armen zu heilen.» Er hofft, dass mit der Zeit mehr Bauern die neu gezüchteten Artemisia annua-Sorten anpflanzen und an die Pharmaindustrie liefern, entweder in der Schweiz, wo zurzeit ein Grossteil der Medikamente Ob die französischen Soldaten wussten, dass in China die Malaria mit Artemisia annua bekämpft wird, oder ob sie glaubten, dass Artemisia absinthium, also der Wermut, nahe verwandt mit dem chinesischen Kraut, selber gegen die Krankheit hilft, sei dahingestellt. Jedenfalls soll jeder Soldat, der Mitte des 19. Jahrhundert nach Afrika in den Krieg zog, seine Absinth-Ration dabeigehabt haben, um sich vor der Krankheit zu schützen. In Artemisia absinthium, der Pflanze, die dem Absinth den Namen gab, ist der Wirkstoff Artemisinin allerdings nicht nachzuweisen. Dass Artemisinin so wirksam ist gegen Malaria, liegt an einer speziellen Bindung im Molekül, einer Sauerstoff-Doppelbindung. Die löst sich im Parasit auf und bringt ihn um, ein Prinzip – das auch bei anderen Parasiten funktionieren könnte. Nun ist es einer internationalen Forschergruppe gelungen, ein Molekül zu bauen, das zwar völlig anders aussieht als Artemisinin, aber ebenfalls eine solche Bindung hat. Das Projekt steht unter dem Patronat der Genfer Organisation Medicines for Malaria Ventures (MMV), die sich der Suche nach Malaria-Medikamenten verschrieben hat. Mitbeteiligt an der Entwicklung des neuen Wirkstoff OZ277 ist auch das Schweizerische Tropeninstitut. Erste Tests hat er bestanden, nächstes Jahr folgen nun die klinischen Tests mit erkrankten Personen. Wenn der neue Wirkstoff hält, was er verspricht, so liessen sich damit Medikamente produzieren, die billiger und einfacher einzunehmen sind als diejenigen auf Artemisinin-Basis. Damit ist jedoch frühestens in 3 Jahren zu rechnen. Bis dahin braucht es auf jeden Fall weiterhin Artemisinin. Allein für das Jahr 2005 rechnet die WHO mit einem Bedarf von mindestens 130 Millionen Rationen. ■ Foto: cdc / Jim Gathany Die Anopheles-Mücke ist der Überträger des gefährlichen Malariaerregers.