42-43 Malariamittel

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Ein Kr
Mit Artemisia annua, dem einjährigen
Beifuss, hat man einen pflanzlichen
Gegner für den Malariaerreger gefunden.
Xavier Simonnet ist Chef des Projekts
bei Médiplant, einer Institution, die sich
der Erforschung von Heilpflanzen widmet.
Foto: Médiplant
Alte Heilpflanze
Artemisia annua, der einjährige Beifuss, ist heute
das beste Mittel gegen Malaria. Schweizer Forscher
haben Sorten gezüchtet, die zehnmal mehr
des begehrten Wirkstoffs Artemisinin enthalten.
Text: Antoinette Schwab
I
st das nicht eine schöne Pflanze»,
fragt Charly Darbellay. «Sie würde
sich sicher auch gut machen im Garten, als Zierpflanze.» Artemisia annua,
der einjährige Beifuss, wird bis zu zweieinhalb Meter hoch, ist stark verzweigt
und hat feingefiederte, tief eingeschnittene Blätter, die bis 5 Zentimeter lang
werden. Die Blüten ähneln kleinen Knötchen, sind nur gerade 2 bis 3 Millimeter
im Durchmesser und grünlich-gelb. Die
Pflanze wird bei Médiplant gezüchtet, ei42 Natürlich | 12-2004
ner Institution, die sich der Erforschung
von Heilpflanzen widmet. Zuhause ist
das Forschungszentrum in Conthey, im
Wallis, auf dem Gelände einer Aussenstation von Agroscope Changings, einer
der 5 eidgenössischen landwirtschaftlichen Forschungsanstalten. Charly Darbellay steht sowohl dieser Aussenstation als
auch Médiplant als Direktor vor. Und er
ist sichtlich stolz auf seine ArtemisiaSorte, die helfen soll, eine der schlimmsten Seuchen zu bekämpfen – die Malaria.
Artemisia annua kommt, zusammen mit
etwa einem Dutzend weiterer BeifussArten, in der Schweiz zwar wildlebend vor,
ist aber keine einheimische Pflanze. Ihre
Heimat ist Asien. In China wird sie schon
seit Jahrhunderten zu Heilzwecken verwendet, und dass sie gegen Malaria hilft,
weiss man dort schon mindestens 2000
Jahre, denn aus dieser Zeit existieren erste
schriftliche Aufzeichnungen darüber. 1972
wurde, ebenfalls in China, der Wirkstoff
isoliert, der die Malaria-Parasiten vernichtet: Artemisinin.
Zur Zeit des Vietnamkrieges waren
auch die USA an der Erforschung des Wirkstoffes interessiert, denn ihre Soldaten, die
in Vietnam im Einsatz waren, litten unter
der verbreiteten Krankheit. Nach Kriegsende geriet diese Forschung im Westen
aber wieder in Vergessenheit. «Als Médiplant 1988 begann, sich mit der Pflanze zu
beschäftigen, wusste man fast nichts über
sie», erzählt Charly Darbellay. Welche Klimabedingungen braucht sie? Ist sie selbstoder fremdbestäubend? Dies waren nur 2
der Fragen, auf die es Antworten brauchte.
Alles, was das Walliser Institut hatte, war
eine Pflanze mit einem relativ hohen Anteil
an Artemisinin, ein Überbleibsel aus der
amerikanischen Militärforschung. Der Artemisinin-Gehalt schwankt stark zwischen
einzelnen Sorten. Die Artemisia annua-Sorten, die in der Schweiz wachsen, enthalten
zum Beispiel praktisch kein Artemisinin.
Die Forscher wollten aber eine Pflanze
züchten, die möglichst viel davon enthält.
Mittel der Wahl
Medikamente auf der Basis von Artemisinin sind heute die wirksamsten Waffen gegen die Malaria. Die sogenannte Artemisininbasierte-Kombinations-Therapie (ACT)
wird seit einigen Jahren von der Weltgesundheitsorgansation (WHO) empfohlen.
Diese Behandlung wirkt auch gegen Parasitenstämme, die gegen bisherige Mittel
resistent geworden sind. Resistente Erreger
sind es denn auch, welche die Zahl der
Malariaopfer wieder in die Höhe treiben.
Naturheilkunde GESUNDHEIT
aut gegen Malaria
Jedes Jahr erkranken weltweit mindestens 300 Millionen Menschen an dieser
Krankheit, jedes Jahr sterben mehr als eine
Million, darunter sehr viele Kinder. Mehr
und mehr Länder steigen nun auf die neue
Behandlung um, und die WHO befürchtet
schon, dass es zu Engpässen beim Artemisinin kommen könnte. Denn: Vom Anbau
bis zur Ernte dauert es mehrere Monate.
Weil das Artemisinin nur in den Blättern
angereichert ist, werden die Blätter vom
Rest der Pflanze getrennt, getrocknet und
gereinigt. Der Transport und die Extraktion
des Wirkstoffes aus den getrockneten Blättern nimmt noch einmal einige Wochen in
Anspruch. Das Ganze kostet natürlich
Geld. Synthetisch herstellen lässt sich Artemisinin nicht; oder zumindest noch nicht.
Umso begehrter sind die Züchtungen
von Médiplant, alles übrigens ohne gentechnische Methoden. Vor einigen Jahren
ist es den Wissenschaftern gelungen, eine
Sorte zu züchten, die 1,4 Prozent Artemisinin enthält. Seit kurzem nun sind sie
sogar bei einem Gehalt von 2 Prozent angelangt. Anstatt 4 bis 5 Kilo Artemisinin pro
Hektare lassen sich daraus nun 40 bis 50
Kilo des weissen Pulvers gewinnen.
produziert wird, oder auch in Afrika. Artemisia annua wird unter tropischen Bedingungen weniger gross. Sie ist besser an ein
gemässigtes Klima angepasst. Trotzdem
sind die Anbauversuche, die Médiplant in
Afrika macht, erfolgversprechend. Auch
andere Organisationen bauen in Afrika
mittlerweile selektionierte Artemisia-Sorten an und verarbeiten das Kraut anschliessend zu Tee oder pulverisiert zu Pastillen.
Besonders der Schweizer Werner
Spitteler, ehemaliger Basler Regierungsrat,
propagiert diese Methode, bei der die ganze
Pflanze verwendet wird. Seine Pastillen
werden von Missionsstationen an MalariaKranke, aber auch an Aids-Kranke abgegeben. Die Hilfswerke sind überzeugt, dass
es hilft; nicht nur, weil der Wirkstoff Artemisinin die Malaria-Parasiten vernichtet,
sondern weil die Pflanze auch das Immunsystem stärke. Wissenschaftlich bewiesen
ist das aber bisher nicht. Die WHO und
das Schweizerische Tropeninstitut warnen
davor, dass bei unkontrolliertem Gebrauch
die Gefahr besteht, dass die Parasiten Resistenzen entwickeln könnten. Bisher sind
allerdings keine solchen Resistenzen bekannt geworden.
Kostbare Samen
Absinth gegen Malaria
Die Pflanzen sind Kreuzungen (Hybride).
Sie verlieren ihre speziellen Eigenschaften
mit der Zeit wieder, wenn man damit weiterzüchtet. Deshalb produziert Médiplant
aus den ursprünglichen Elternpflanzen
immer wieder neue Samen und verkauft
diese zu einem wahrlich guten Preis weiter.
1 Kilo kostet 100 000 Franken. Allerdings
reichen schon 2 Gramm für ein Feld in
der Grösse eines Fussballfeldes, und etwa
10 Gramm für eine Hektare.
Verdienen wollten sie dabei nichts, betont Charly Darbellay, damit sei nur der
Aufwand bezahlt: «Schliesslich ist die
Pflanze da, um eine Krankheit der Armen
zu heilen.» Er hofft, dass mit der Zeit mehr
Bauern die neu gezüchteten Artemisia annua-Sorten anpflanzen und an die Pharmaindustrie liefern, entweder in der Schweiz,
wo zurzeit ein Grossteil der Medikamente
Ob die französischen Soldaten wussten,
dass in China die Malaria mit Artemisia annua bekämpft wird, oder ob sie glaubten,
dass Artemisia absinthium, also der Wermut, nahe verwandt mit dem chinesischen
Kraut, selber gegen die Krankheit hilft, sei
dahingestellt. Jedenfalls soll jeder Soldat,
der Mitte des 19. Jahrhundert nach Afrika
in den Krieg zog, seine Absinth-Ration
dabeigehabt haben, um sich vor der Krankheit zu schützen.
In Artemisia absinthium, der Pflanze,
die dem Absinth den Namen gab, ist der
Wirkstoff Artemisinin allerdings nicht
nachzuweisen. Dass Artemisinin so wirksam ist gegen Malaria, liegt an einer speziellen Bindung im Molekül, einer Sauerstoff-Doppelbindung. Die löst sich im
Parasit auf und bringt ihn um, ein Prinzip –
das auch bei anderen Parasiten funktionieren könnte. Nun ist es einer internationalen Forschergruppe gelungen, ein Molekül zu bauen, das zwar völlig anders aussieht als Artemisinin, aber ebenfalls eine
solche Bindung hat. Das Projekt steht unter
dem Patronat der Genfer Organisation
Medicines for Malaria Ventures (MMV), die
sich der Suche nach Malaria-Medikamenten verschrieben hat. Mitbeteiligt an der
Entwicklung des neuen Wirkstoff OZ277
ist auch das Schweizerische Tropeninstitut.
Erste Tests hat er bestanden, nächstes Jahr
folgen nun die klinischen Tests mit erkrankten Personen. Wenn der neue Wirkstoff hält, was er verspricht, so liessen sich
damit Medikamente produzieren, die billiger und einfacher einzunehmen sind als
diejenigen auf Artemisinin-Basis. Damit ist
jedoch frühestens in 3 Jahren zu rechnen.
Bis dahin braucht es auf jeden Fall weiterhin Artemisinin. Allein für das Jahr 2005
rechnet die WHO mit einem Bedarf von
mindestens 130 Millionen Rationen.
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Foto: cdc / Jim Gathany
Die Anopheles-Mücke ist der Überträger des gefährlichen Malariaerregers.
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