__________________________________________________________________________ 2 MUSIKSTUNDE mit Trüb Donnerstag, 14. 2. 2013 „Weber, Wald und Wolfsschluchzen: Das Theatergenie Carl Maria von“ (4) MUSIK: INDIKATIV, NACH CA. … SEC AUSBLENDEN Ursprünglich sollte sie „Der Probeschuss“ heißen. Dann „Die Jägersbraut“. Schließlich wurde sie als „Der Freischütz“ der größte Erfolg des Opernkomponisten Carl Maria von Weber, kein Probeschuss mehr, sondern ein Volltreffer, keine Jägersbraut, sondern ein teuflisches Jägersgebräu. Wie alles, was die Welt verändert – und sei es nur die Welt der Bühne -, wurde auch „Der Freischütz“ angefeindet, nach seiner beispiellos bejubelten Premiere am 18. Juni 1821 im Königlichen Schauspielhaus Berlin. Sogar ein Freund des Komponisten, der Dichter E. T. A. Hoffmann, schrieb anonym verschiedene Rezensionen für verschiedene Berliner Blätter, worin er allerdings nur herummoserte, nicht wirklich einen Blattschuss aufsetzen konnte. Aber Hoffmann war eben nur als Dichter ein Spökenkieker und Groteskowitsch – als Komponist versuchte er, Mozart weiterzuschreiben. Und das ging eigentlich nicht mehr nach dem „Freischütz“. Es gibt so viel zu erzählen über die „erste deutsche Nationaloper“, wie sie das damals wichtigste deutsche Musikblatt nannte; es gibt auch so viel vergiftetes Lob für den Komponisten: „Weber kam auf die Welt, um den Freischütz zu schreiben“ flötete Hans Pfitzner 1926 in einer Rede zum 100. Todestag, was praktisch bedeutet, all die wunderbaren Werke, die Weber sonst noch schuf, seien minderwertig. Und dann legte der Komponist der Oper „Palestrina“ noch nach: „Webers Sendung war eine nationale – sie galt der Freiheit und Weltgeltung des Deutschtums, die er auf dem Felde der Musik eroberte. Sie war aus demselben Geiste wie vor ihm die Luthers, wie nach ihm die Bismarcks, wenn auch weniger weltumwälzend, ihrer zarteren Natur nach.“ Hm. Weber, der Luther und Bismarck der Musik: abenteuerlich. Aber wohin solche Worte führten, wissen wir ja; wir wissen sehr gut, welche Rolle Hans Pfitzner im Dritten Reich spielte! Im Bunde mit dem Teufel – und da wären wir ja wieder mitten im „Freischütz“ … MUSIK: WEBER, DER FREISCHÜTZ (OUVERTÜRE), TRACK 1 (9:37) Carl Maria von Weber, seine Romantische Oper in 3 Aufzügen „Der Freischütz“. Deren Ouvertüre, die im Grunde bereits die komplette Geschichte in einer Nußschale erzählt, spielte das Philharmonia Orchestra London, der Dirigent war Otto Klemperer. Als er mit dem „Freischütz“ begann, 1817, war Carl Maria von Weber Königlich Sächsischer 3 Hofkapellmeister an der Oper von Dresden, ehemaliger Kapellmeister und Direktor der Oper Prag, Dauerverlobter der Sängerin Caroline Brandt (die er am 4. November desselben Jahres allerdings endlich heiratete), fast in ganz Europa war er bekannt als Klaviervirtuose: Er selbst sagte später „Da war ich angekommen“, nämlich bei sich selber. Sogar die schier erdrückenden Schulden waren im Druck gelockert, teils weil sie zurückgezahlt waren, teils auch, weil Webers endlicher Ruhm so manchem seiner Gläubiger einen Verzicht nahelegte! Man kann es sich kaum vorstellen, zumal nicht in Zeiten der Eurokrise, aber es gab tatsächlich Gläubiger, die es als Ehre ansahen, Weber Schulden zu erlassen …! Wenn sie denn „Freischütz“-Karten ergatterten (Heinrich Heine schrieb: „Und noch immer wird es erstaunlich schwer, zu einer Vorstellung (des Freischützen) gute Billette zu bekommen“), konnten sie sich insgeheim sagen: Daran hätten sie mitgearbeitet, indem sie vom Komponisten eine schwere Last genommen hätten! Keine üble Variante des Mäzenatentums. MUSIK: WEBER, DER FREISCHÜTZ (CAVATINA), TRACK 4 (5:27) „Der Freischütz“, Agathes Cavatina im 3. Akt, gesungen von Karita Mattila und gespielt von der Staatskapelle Dresden, den Stab schwang Sir Colin Davis. Ein Freischütz ist, in der Mythologie der Jägersleut', ein Schütze auf der Jagd, der eine Freikugel im Lauf hat: Sie gibt ihm absolute Treffsicherheit. Zwar muss dazu nicht der Teufel bzw. „Samiel, der schwarze Jäger“ zu Hilfe gerufen werden, wie in der Oper, aber so ganz christlich-koscher geht es dabei nicht zu – die Kugel soll entweder zu einem bestimmten Datum um Mitternacht an einem Kreuzweg gegossen werden, oder man ritzte auf die Kugel ein Kreuz und zielte, ohne zu schießen!, während der Mitternachtsmette auf die zur Verwandlung erhobene Hostie. Der Weg von da zum Satanspakt war natürlich nicht weit, Weber und sein Textvollstrecker Johann Friedrich Kind – mit dem der Komponist so eng zusammenarbeitete wie Alfred Hitchcock mit seinen Drehbuchautoren – fanden die Geschichte im 1. Band der „Gespensterbücher“ von August Apel und Friedrich August Schulze, gleich die erste Spukgeschichte heißt „Der Freischütz. Eine Volkssage“. Darin findet sich bereits eine Agathe, die Tochter des Erbförsters Kuno, deren Liebe dem vom Weg abkommenden Jägersburschen Max schließlich Erlösung gewährt – und die damit auch ein Vorbild ist für Senta, die das in Richard Wagners „Der fliegende Holländer“ für die Titelfigur leistet. Vergleicht man einmal den Beginn des jeweiligen 2. Aktes, dann sieht man recht deutlich, wie Wagner von Weber inspiriert wurde. Weber zuerst: Im Forsthaus ist Agathe allein mit ihrer Cousine Ännchen, dunkle Vorahnungen treiben sie um, Ännchen will beruhigen, aber vergeblich. Agathe versucht es mit Beten, um die Kräfte des Bösen abzuwehren von ihrem Bräutigam Max. Als der schließlich auftaucht, ist die Kommunikation allerdings ziemlich gestört, Agathe kann ihn nicht davon 4 abhalten, in die verrufene Wolfsschlucht hinabzusteigen und seine Seele zu verkaufen. Wobei diese Wolfsschlucht natürlich auch der Abgrund der deutschen Seele ist … Nicht umsonst nannte später Adolf Hitler eines seiner bevorzugten Privatdomizile die Wolfsschanze. MUSIK: WEBER, DER FREISCHÜTZ, CD 1, TRACKS 18 (6:42) Das Ende des 3. Auftritts im 2. Akt von Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“, mit Gundula Janowitz als Agathe, Edith Mathis als ihre Cousine Ännchen und Peter Schreier als ihr Bräutigam, der Jägersbursche Max, der kurz davor ist, sein Seelenheil zu zerstören; die Staatskapelle Dresden spielte, der Dirigent war Carlos Kleiber. Übrigens weist mich die Musikstunden-Hörerin Gisela Tamm aus Heidelberg darauf hin, dass Weber das Gespensterbuch von Apel und Laun, das die Keimzelle des „Freischützen“ enthalte, in der Bibliothek von Stift Neuburg am Neckar gefunden habe. Schreibt Frau Tamm: „Etwas flussaufwärts liegt die alte Burg Zwingenberg. Dort wird allsommerlich seine Oper im Burghof aufgeführt. Gleich hinter der Burg erinnert eine wildromantische Schlucht an die Webersche Szenerie.“ Interessanterweise versuchten sich in jenen Tagen, da Schauergeschichten so populär waren, mehrere Autoren an „Freischütz“Adaptionen, darunter auch Webers Kollege Louis Spohr. So groß aber war dessen Hochachtung, dass er, als er von Webers Plänen erfuhr, den eigenen Versuch in der Schublade begrub. In Richard Wagners Romantischer Oper in drei Akten „Der fliegende Holländer“ beginnt der 2. Akt mit den Mädchen des Dorfes, die sich in Dalands Haus versammelt haben, um für ihre Aussteuer das Spinnrad kreisen zu lassen. Lediglich dessen Tochter Senta ist unfähig zur Arbeit; sie stiert ein Bild an der Wand an, das den Holländer zeigt, es hält sie gefangen in einem Gefühlsmix zwischen Faszination und Mitleid. Sie will, dass ihre Amme Mary die Holländer-Ballade für sie singe, und als diese ablehnt („mit Graus“), singt sie sie selber. In Sentas Ballade bei Wagner verquicken sich dann das erhitzte Terzett aus dem 2. Akt des „Freischützen“, das wir eben hörten – und das Gebet der Agathe, „Leise, leise, fromme Weise!“, das die Mächte des Böses bannen soll. Hier wie dort geht es um Opferbereitschaft der Frau, deren Todessehnsucht („Liebestod“!) und die finale Erlösung, bei Weber schon deutlich thematisiert, von Wagner natürlich noch zugespitzt. Aber man hört: Der „Holländer“ ist Wagners „Freischütz“, das Bindeglied zu Webers Sagenwelt, deren Weg geradenwegs zu den Exzessen des „Rings des Nibelungen“ führt – und schlussendlich dann zur „Erlösung“ im Karfreitagszauber des „Parsifal“! MUSIK: WAGNER, DER FLIEGENDE HOLLÄNDER, TRACK 5 (8:31) 5 Opferbereitschaft der Frau, Todesahnung und Erlösungswille diesmal bei Richard Wagner: Zu Beginn des 2. Aktes von „Der fliegende Holländer“ merkt man deutlich, dass Wagner Webers „Freischütz“ genau studiert hatte. In unserer Aufnahme sang Jessye Norman Sentas Ballade, das London Philharmonic Orchestra spielte, der Dirigent war Klaus Tennstedt. Ist Grausen steigerbar? Oder ist es lediglich das im jeweiligen Moment Beklemmendste, Unausweichlichste, das Grausigste? Wenn wir den Schluss von Webers Lieblingsoper „Don Giovanni“ betrachten, dessen stolze Höllenfahrt, und danach die Höllenvisionen des Weberfans Héctor Berlioz, in der Symphonie fantastique oder „Fausts Verdammnis“, die Weber nicht mehr kennenlernte: Dann fügt sich nahtlos die Wolfsschluchtszene aus dem „Freischütz“ ein, als die Jägersburschen Kaspar und Max den Herrn der Hölle treffen, im Gewand von Samiel, dem schwarzen Jäger. Schon in seiner „Silvana“ hatte Weber die Hauptfigur, das stumme Waldmädchen, als reine Sprechrolle besetzt, um ihr Anderssein – stumm zu sein auf der Opernbühne – nicht einfach 1:1 mit Wortlosigkeit zu übersetzen. Auch den Teufel, der alles andere als stumm ist, aber ebenfalls sehr anders als das restliche Opernpersonal, lässt er nur sprechen, nicht singen, schließlich hat er ja keinen Anteil an menschlicher Gefühlswelt: Er ist, laut Goethe, der „Geist, der stets verneint“, also wird auch ihm der Gefühlsausdruck „Singen“ verwehrt. Der schon ertaubte Ludwig van Beethoven soll, beim Studium der Partitur, ausgerufen haben: „Welch ein Teufelszeug!“, aber damit meinte er wohl nicht nur die Geschichte, sondern zum Beispiel auch die für eine lyrische Oper völlig neuartige Instrumentation! Ich möchte Ihnen die furiose Wolfsschluchtszene, die etwas über 16 Minuten dauert, von Anfang an vorspielen lassen, so weit wir damit kommen – zum Ende der Sendung muss sie dann eben ausgeblendet werden. Aber hierin kulminiert der „Freischütz“, diese „erste deutsche Nationaloper“ - während das von Napoleons Belagerung und den Freiheitskriegen gebeutelte „Deutschland“ alles andere als eine „Nation“ war, vielmehr ein zerrissener Flickenteppich. Aber wenn Max hinabsteigt in die Abgründe der eigenen, der deutschen Seele – dann herrschte „Einigkeit“ doch wenigstens in der Kunst … Ich will Ihnen zum Schluss aber eine etwas gruslige Anekdote nicht verschweigen, die John Warrack berichtet: „(Héctor Berlioz) wurde einer der leidenschaftlichsten Anwälte des Werkes. Wer gegen den Freischütz war, durfte keinen Pardon erwarten. Für einen jungen Kolonialwarenhändler, der das Verbrechen beging, bei Agathes Arie zu zischen, erfand er eine wundervoll makabre Bestrafung. Das Skelett des Übeltäters, der kurz darauf sich zu Tode gegessen hatte, wird fünfzehn Jahre später von der Opéra erworben und als Requisit verwendet: Bei jeder Aufführung des 'Freischütz', in dem Augenblick, wenn Samiel ruft: 'Hier bin ich!', zuckt ein Blitz, ein Baum stürzt krachend um und unser Krämer, der Feind Weberscher Musik, erscheint im roten Glanz 6 bengalischen Lichts und schwingt begeistert seine brennende Fackel.“ So hatte nicht nur ein Operngucker ein klappriges Nachleben als Statist auf der Bühne, sondern auch ein Kolonialwarenhändler noch seinen späten Auftritt als - „Fausts Verdammnis“ ... MUSIK: WEBER, DER FREISCHÜTZ, CD 2, TRACK 1 (16:26; ACHTUNG! BITTE VON ANFANG AN SPIELEN UND ZUM ENDE DER SENDUNG AUSBLENDEN!) Absage: Das war … Zuletzt hörten Sie einen Teil der Wolfsschluchtszene aus Webers berühmtester Oper „Der Freischütz“, mit Peter Schreier als Max und Theo Adam als Kaspar, dazu in der Sprechrolle von „Samiel, dem schwarzen Jäger“ Gerhard Paul, auch sang der Rundfunkchor Leipzig, die Staatskapelle Dresden spielte, und die Gesamtleitung hatte Carlos Kleiber. MUSIKLAUFPLAN 1) WEBER, Der Freischütz (Ouvertüre); Philharmonia Orchestra, Klemperer; EMI 7 63917 2 (LC 6646) 2) WEBER, Der Freischütz (Cavatina d. Agathe); Mattila, Staatskapelle Dresden, C. Davis; Erato 0927-42141-2 (LC 0200) 3) WEBER, Der Freischütz (Terzett 2. Akt); Janowitz, Mathis, Schreier, Staatskapelle Dresden, C. Kleiber; DG 457 736-2 (LC 0173) 4) WAGNER, Der fliegende Holländer (Sentas Ballade); Norman, London Philharmonic Orchestra, Tennstedt; EMI 7 49759 2 (LC 0110) 5) WEBER, Der Freischütz (Wolfsschluchtszene); Schreier, Adam, Paul, Rundfunkchor Leipzig, Staatskapelle Dresden, C. Kleiber; SIEHE 3!