Resiliente technische Systeme artec – Kolloquium: Nachhaltigkeit vs. / zwischen / durch Resilienz und Transformation Sönke Stührmann Bremen, 26.01.2011 Überblick 1. Perspektive und Ausgangsfragen 2. Resilienzansätze in der Technik 3. Resilienz in nordwest2050 4. Herausforderungen in der Energiewirtschaft 5. Konzept Resiliente Energieinfrastrukturen 6. Fragen der Veranstalter 1. Ausgangsfragen und Perspektiven Perspektive: Technische und sozio-technische Systeme Im speziellen: Energieinfrastrukturen Zentrale Fragen: • Wo und wie wird der Begriff Resilienz in der Technik verwendet? • Potenziale des Resilienzansatzes für die Betrachtung Technischer Systeme • Potenziale für Nachhaltige Systementwicklung 2. Resilienz in der Technik • Materialwissenschaft: – „Material Resilience (Elasticity)“ = Elastizität • Die Kapazität eines Materials eine Krafteinwirkung zu absorbieren und unter Entlastung in den Ursprungszustand zurück zu kehren. • Zahntechnik: – Resistenz = Widerstandsfähigkeit – Resilienz = Nachgiebigkeit – Resilienzteleskopkrone (Eine Krone mit „Spiel“) Quellen: http://en.wikipedia.org/wiki/Resilience Hohmann, A. , Hielscher, W.: Lexikon der Zahntechnik, 1998 2. Resilienz in der Technik Informatik - Resiliente Informationssysteme: • Definition zumeist über Fähigkeiten von Resilienten Informationssystemen: – Leistungsoptimierung – Fehler-Toleranz – Prozessmigration – Fehlererkennung und Fehlerverdeckung – Auslastungs-Management von Netzwerken Resilienz Ansätze aus der Katastrophenforschung/ Infrastrukturen Aus dem Bereich Systems Engineering („Systems Resilience“) • Ansätze: Erhöhen der Resilienz, entweder durch: – Verringern der Wahrscheinlichkeit, dass eine Störung zur Katastrophe wird – Wiederherstellen des Ausgangszustandes Definition: • Resilienz als Fähigkeit eines Systems (Software, Hardware aber auch Organisationen) • – Die Stärke von Störungen und Wahrscheinlichkeit von Verlusten abzuschwächen – Sich an sich verändernde Rahmenbedingungen anzupassen – Angemessen auf eintretende Störungen zu reagieren Der Ansatz geht über die Entwicklung von sicheren Infrastrukturen hinaus. Es bezieht explizit alle betroffenen Akteure ein sowie alle kulturellen, soziologischen und psychologischen Gründe für Katastrophen („human-made disasters“) Quelle: International Council on Systems Engineering, Resilience Working Group: http://www.incose.org/practice/techactivities/wg/rswg/ Resilienzansätze aus der Katastrophenforschung/ Infrastrukturen • z.B. UK: Aus Erfahrung mit Überschwemmungen in 2007 – Critical Infrastructure Resilience Programme (CIRP) – „Sector Resilience Plan (SRP) for Critical Infrastructure“ (2010) gegen Überschwemmungen • Erhebung über bestehende Resilienz kritischer Infrastrukturen • Definition der „essential services“ und der bekannten bestehenden Risiken • Enthält einen Maßnahmenkatalog, um die max. jährliche Eintrittswahrscheinlichkeit von Störungen der „essential services“ auf 0,5 % zu reduzieren Resilienz Ansätze aus der Katastrophenforschung/ Infrastrukturen • Weitere SRP‘s in Arbeit für die andere Naturkatastrophen • Erstellung eines „National Resilience Plan for Critical Infrastructures“ (in 2011) • Ansatz stark risikobasiert: – Risiko reduzieren,, negative Konsequenzen erkennen + vermindern, Alternativen einplanen • Ähnliche Programme in Neuseeland, Kanada, USA, (D: „KRITIS“) ... Quellen: u.A. Kanada: Neuseeland: http://www.publicsafety.gc.ca/prg/em/ci/ntnl-eng.aspx http://www.caenz.com/index.php?option=com_content&view=article&id=73&Itemid=54 http://www.infrastructure.govt.nz/ USA: (Deutschland: http://www.dhs.gov/files/programs/critical-infrastructure.shtm https://www.bsi.bund.de/cln_174/DE/Themen/KritischeInfrastrukturen/EinfuehrungundUeberblick/ einfuehrungundueberblick_node.html) Resilienzansätze in der Technik • Unterschiedliches Verständnis von Resilienz: – Eigenschaft oder Fähigkeit – Stabilitätsverständnis (Engineering Resilience/Ecological Resilience) – Häufig als analytische Kategorie • Stark orientiert an Risiko und Reduzierung von Eintrittswahrscheinlichkeiten Resilienz Definition in nordwest2050 Resilienz beschreibt die Fähigkeit eines Systems, seine Dienstleistungen auch unter Stress und in turbulenten Umgebungen (trotz massiver äußerer Störungen und interner Ausfälle) aufrecht zu erhalten Angelehnt an eine von Fridolin Brand vorgestellte Definition: Resilience „reflects the capacity (i. e. the underlying mechanisms) of [eco]systems to maintain service in the face of a fluctuating environment and human perturbation” (Brand 2007). Resilienz und Vulnerabilität: Leitkonzept und Analytische Kategorie • Resilienz und Vulnerabilität auseinander halten: Resilienz ≠ Gegenteil von Vulnerabilität Maßnahmen zur Resilienzsteigerung vermindern die Vulnerabilität das Umgekehrte muss nicht immer der Fall sein => Dammbau gegen Hochwasser kann die Resilienz (Anpassungsfähigkeit) auch vermindern => Resiliente Systeme als Leitkonzept für den Umgang mit Unsicherheit => Vulnerabilität als Analytische Kategorie Gestaltungselemente Systemfähigkeiten • Anpassungsfähigkeit • Widerstandsfähigkeit • Gestaltungsfähigkeit Systemstrukturen • Vielfalt / Diversität • Redundanz • Rückkopplungs mechanismen • Pufferkapazitäten • Dämpfer • .. Systemressourcen • Energie • Materie • Information / Kommunikation • Organisationen … Gestaltungsziel: Aufrechterhaltung der Systemdienstleistung Definition der Systemdienstleistung für den Stromsektor (NW2050) Eine zu definierten Zeiten gesicherte Versorgung mit elektrischer Energie, bei Einhaltung einer definierten Frequenz und Spannung an einem definierten Ort unter Einhaltung weiterer direkter und indirekter Qualitätskriterien. Systemdienstleistung: Strom Direkte Qualitätskriterien Spannung Frequenz Ausfallhäufigkeit Indirekte Qualitätskriterien Ökologische Wirkungen o Klimawirkungen o Versauerung o Flächenverbrauch o … Ökonomische Wirkungen o Wirkungen auf Preise o Wettbewerbsfähigkeit o … Soziale Verträglichkeit Unfallrisiken ... Definition der Systemdienstleistung für den Stromsektor • Systemdienstleistungen werden EU-weit durch ENTSO-E definiert (Transmission Code) • Definition basiert darauf, aber weicht etwas ab • Lässt Spielraum für Anpassung bei technischer Qualität • Frequenz und Spannungshaltung jederzeit und überall gleich? • Berücksichtigt Spielraum für Neben- und Folgewirkungen der Stromerzeugung • Welche Risiken sollen akzeptiert werden und welche nicht Aushandlungsprozess Herausforderungen der Energiewirtschaft Quelle: http://www.elektroniknet.de/fileadmin/user_upload/wor_pics/57bd53ef6d47d87c13e2f60f0a39f210_568x528.jpg Herausforderungen der Energiewirtschaft Erzeugung • Veränderung des Energiemixes • Mehr Einsatz als Backup Kraftwerk • Steigender Kühlbedarf • Steigende Rohstoffpreise • Prognoseunsicherheit (PV, WEA) • (Erzeugungslücke?) Übertragung und Verteilung • Netzausbau • Übertragungsnetz • Verteilnetz • Lastferne Erzeugung • Stark fluktuierende Einspeisung • Regulierung d. BNetzA (Effizienzvergleich/ Organisationstruktur) • Entflechtung von Netz und Erzeugung Nachfrage/ Vertrieb • Demografische Entwicklung • Preisentwicklung • Verändertes Nachfragverhalten • Veränderung in Energieversorgung (Netzparität Eigenerzeugung) Unsicherheiten in der gesamten Wertschöpfungskette • Strukturen: – Netzplanung – Erzeugungsstrukturen • Wirtschaftlichkeit • Entwicklung Gesetzliche Rahmenbedingungen • Gesellschaftliche Akzeptanz • Klimawandel / Nachhaltigkeit Gegenwärtige Lösungsansätze • Smart Metering / Smart Grids: Option zur Dämpfung der Nachfragefluktuation, verbesserte Systemflexibilität • Europaweite Vernetzung der Regenerativen Energien (z. B. Super Grid ): Option zum Ausgleich und zur Dämpfung der Angebotsfluktuation • Diversifizierung der Ressourcenbasis: => Elektrizität, Wasserstoff (als Speicher), Erdgas, Biogas, Regenerative Energien … Problemlösungsansatz Resiliente Energieinfrastrukturen • Orientierung zunächst auf vorhandene Fähigkeiten – Strukturen Ressourcen (F-S-R) im Bezug auf Systemdienstleistungen (für Verteilnetz: Bottom-up) – IuK-Technologien können ein Teil davon sein, müssen es aber nicht... (Smart Grid) • Systemstruktur: Multiple stabile Zustände schaffen ( z.B. Inselnetze) • Adäquater Lösungsweg (Welche Störung trifft auf welches System?) – Stabilitätsdimension – Gestaltungsdimension Mögliche Reaktionen eines resilienten technischen Systems auf Störungen • Rückkehr zum Ausgangszustand möglich („Engineering Resilience“) – (System benötigt Speicher/Lernfähigkeit um sich zu „erinnern“) • Übergang in einen anderen stabilen Zustand ist ebenso möglich („Ecological Resilience“) Mögliche Faktoren, die das Verhalten der Systeme beeinflussen: • Art der Störung (punktuell, anschwellend, schleichend,...) • Reaktionsmöglichkeiten des Systems (innerhalb der F-S-R) • Prioritäten des Systems: Auf was ist das System ausgelegt? z.B. Erfüllung welcher Systemdienstleistungen – In welchem Fall werden sie besser erfüllt (Entscheidungs- und Bewertungsmechanismus) Elemente Resilienterer Energieversorgungsysteme • • • • Redundanz (n-1 Prinzip) Automatische Netzsteuerung Task Forces Pumpspeicher • Verbreiterung der Ressourcenbasis: Regenerative, Abwärmenutzung • Zusätzliche Speicherkapazitäten: Gas, Druckluft, Batterien • Smartness • Vorhersagen (Wind, PV) und Modellierung Fragen der Veranstalter Zeitliche Perspektive • Zeithorizont: • Energieinfrastrukturen: ca. 40 Jahre • Resilienz: kurz und langfristig • Zeitliche Dynamik der Störung hat Einfluss auf Gestaltungsaufgabe • Langsame Veränderung von Systemfunktionen können ggf. im Laufe der Zeit durch Veränderungen der (F-S-R) angepasst werden • Problem: Werden die Veränderungen wahrgenommen? These 1: Systemdienstleistungen sind nur partizipativ zu definieren – (Im Sinne von Bürgerbeteiligung) Ist für technische Systeme teilweise schwierig realisierbar • Ja: Auswahl der Erzeugung (Wind vs. PV), Netzplanung - Kabel vs. Freileitung) • Fraglich: Bereitschaft Netzfrequenzschwankungen zu akzeptieren – These: Indirekte Systemdienstleistungen stärker beeinflussbar als direkte – Bisher nicht in der Energiewirtschaft: Definition durch ENTSO-E – Wird aber sehr viel wichtiger werden (Smart Grid, Dezentrale Erzeugung) Frage 2: Welche Reichweite haben Ihrer Meinung nach Resilienz und Transformation als analytische und/oder handlungsleitende Konzepte zur Operationalisierung von Nachhaltigkeit? • Resilienz ist über die Dimensionen (Latitude, Precariuosness, Breite des Attrkatorfeldes, Panarchy) operationalisierbar d.h. analytisch bestimmbar, als auch handlungsleitend (Leitkonzept) anwendbar • Die Operationalisierung von Nachhaltigkeit lässt sich über die Definition der Systemdienstleistungen vornehmen • Für die Gestaltung technischer Systeme wird vermutlich die Stabilität und Funktion des Systems im Vordergrund stehen Frage 3: Verstehen Sie Resilienz eher als fortlaufenden Prozess oder eher als mehr oder weniger stabilen Zustand? • Dynamischer Stabilitätsbegriff • Fortlaufender Prozess, der über die Zeit verschiedene stabile Zustände annehmen kann • Resilienz kann als Ziel so nicht erreicht werden, sondern ist immer nur ein Zustand unter bestimmten Systemparametern Unterschiedliche ‚System‘perspektiven: • Perspektive auf übergreifende Systeme? – Entlang der Wertschöpfungskette/Über die Netzebenen • Perspektive auf untergeordnete Systeme (bzw. Organisationen, Gruppen…)? – Im Energiebereich: Stabilität des Übertragungsnetzes hat eine höhere Priorität als Stabilität im Verteilnetz • Perspektive auf Konkurrenz zwischen Resilienz-Kriterien unterschiedlicher Systeme / Teilsysteme/Organisationen / Gruppen…? – Energiewirtschaftliches Dreieck (WirtschaftlichkeitVersorgungssicherheit-Umweltverträglichkeit) – Muss über die Systemdienstleistungen verhandelt werden Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!