Dr - stuttgart21international

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Dr. Wolfgang Sternstein, Hauptmannsreute 45, 70192 Stuttgart,
Tel.: 0711/29 38 74, Email: [email protected]
Rede nach der Montagsdemo am 9.1.2012
Liebe Freunde von K21 und Gegner von S21,
die Deutsche Bahn hat sich mal wieder unsterblich blamiert. Sie hat wieder einmal
bewiesen, dass sie unfähig ist, ein Projekt wie S21, selbst wenn es ein sinnvolles und
bezahlbres Projekt wäre, was es – wie wir alle wissen, nicht ist – zu verwirklichen. S21
wird in die Geschichte der Republik eingehen als ein Musterbeispiel für Inkompetenz,
Arroganz und Kungelei – so wie die Elbphilharmonie und die Autobahn durch den
Thüringer Wald.
Für mich steht heute bereits fest: S21 wird scheitern, so wie Prof. Bodack das auf dem
Großen Ratschlag nach der Volksabstimmung gesagt hat. Die Frage ist nur, wann wird es
scheitern? Jetzt oder in drei, fünf oder sieben Jahren, nachdem dem Bonatz-Bau die
Seitenflügel amputiert, die Bäume gefällt, der Stadt schwere Wunden zugefügt, das
Verkehrschaos auf die Spitze getrieben, die Umwelt und die Mineralquellen ruiniert und
einige Milliarden Euro verbuddelt worden sind.
Die Stadt und das Land Baden-Württemberg erhalten dann zur Belohnung für die
Volksabstimmung eine Bauruine, die sich sehen lassen kann. Ich empfehle den
Stadtvätern schon heute, sie als das neue Wahrzeichen Stuttgarts und als
Touristenattraktion weltweit zu propagieren. Vielleicht helfen die Einnahmen aus dem
Tourismus dann, den bankrotten Stadt- und Staatshaushalt zu sanieren. Die Welt wird
sich auf unsere Kosten amüsieren über den neuesten Schwabenstreich aus dem Land
der Schaffer und Tüftler.
Wir, die wir hier versammelt sind, werden alles tun, was wir können, um zu verhindern,
dass dieses Szenario Wirklichkeit wird. Dafür bin ich auch bereit, ein paar hundert Euro
Strafe für zivilen Ungehorsam zu berappen. Für diejenigen unter uns, die sich das nicht
leisten können, besteht die Möglichkeit, sich an den Rechtshilfefonds zu wenden.
Wir haben bisher den Suchscheinwerfer der Kritik auf die Betreiber und die
verantortlichen Politiker gerichtet. Und wir sind fündig geworden. Ich könnte locker einige
Stunden damit zubringen, zu beschreiben, was da alles ans Licht der Öffentlichkeit kam.
Vieles davon, aber längst nicht alles, ist auf den Montagsdemos und den Großdemos zur
Sprache gekommen.
Heute Abend möchte ich den Suchscheinwerfer der Kritik auf uns selbst richten. Nicht nur
unsere Gegner haben vieles falsch gemacht, auch wir haben einiges falsch gemacht. Wir
sollten versuchen, aus diesen Fehlern zu lernen, um es künftig besser zu machen.
Der größte Fehler, den wir bisher gemacht haben, war die Teilnahme an der
Volkabstimmung. Für diesen Fehler haben wir teuer bezahlt. Wir kämpfen heute auf
einem beinahe verlorenen Posten, aber wir lassen uns trotzdem nicht unterkriegen.
Die Volksabstimmung war eine Farce und eine Falle. Unser Fehler war, dass wir uns in
diese Falle haben locken lassen. Jedem, der auch nur eine blassen Schimmer vom
politischen Geschäft hat, war klar, dass diese Volksabstimmung nicht zu gewinnen war.
Es wäre gewiss nicht falsch gewesen, Leute, die als studierte Politologen etwas von
Politik verstehen, wie Professor Grottian oder auch mich zu fragen, ob es ratsam ist, sich
auf dieses Abenteuer einzulassen. An warnenden Stimmen hat es ja nicht gefehlt, wenn
ich nur an die brilliante Rede von Jens Loewe beim Demokratiekongress denke.
Ich habe oft das Argument gehört: „Es gab für uns keine Alternative zur Teilnahme an der
Volksabstimmung“. Wenn jemand erklärt, es gibt keine Alternative, sollten wir hellhörig
werden. In den meisten Fällen handelt es nämlich um eine Lüge, auf die wir nicht
hereinfallen dürfen. Natürlich gab es eine Alternative, nämlich den Boykott der
Volksabstimmung. Zweifellos hätten wir damit einen Konflikt mit den Grünen und den
Linken riskiert, die bekanntlich beide auf die Volksabstimmung abgefahren sind. Das
Ergebnis der Volksabstimmung wäre sicherlich noch schlechter ausgefallen, als es
schließlich war. Die Widerstandsbewegung wäre jedoch in einer weit besseren Situation,
denn wer ein Verfahren ablehnt, ist auch an sein Ergebnis nicht gebunden. Wer dagegen
ja zum Verfahren sagt, muss auch das Ergebnis akzeptieren. Zum Glück ging es bei der
Volksabstimmung nicht um das Projekt selbst, sondern nur um den Finanzierungsanteil
des Landes Baden-Württemberg. Deshalb ist unser Widerstand gegen das Projekt nach
wie vor demokratisch gerechtfertigt. Aus diesen bitteren Erfahrungen mit den Parteien
müssen wir lernen, dass Bürgerinitiativen und soziale Bewegungen parteipolitsch
unabhängig sein sollten. Das schließt eine zeitweilige und punktuelle Zusammenarbeit mit
Parteien und Parteipolitikern nicht aus. Doch sollten wir unsere parteipolitische
Unabhängigkeit hüten wie unseren Augapfel.
Die Volksabstimmung kann S21 nicht legitimieren, denn ein miserables Projekt, das durch
Lug und Trug zustande kam, kann durch eine Volksabstimmung nicht legitimiert werden,
sowenig wie ein Verbrechen durch eine Volksabstimmung legitimiert werden kann. Es ist
vielmehr ein Fall für den Staatsanwalt, sofern er nicht gerade Häussler heißt. Winfried
Kretschmann, Nils Schmid und Winfried Hermann müssten das eigentlich wissen. Doch
statt Schaden vom Land abzuwenden, wie das ihr Amtseid von ihnen fordert, haben sie
sich auf dieses unwürdige Spiel eingelassen.
Um das Maß voll zu machen, wurde die Volksabstimmung von den Betreibern vor allem
durch faustdicke Lügen gewonnen. „Fertigbauen oder weiterärgern?“ habe ich immer
wieder auf Plakaten gelesen. In Wahrheit hat der Bau von S21 noch gar nicht begonnen.
Bisher wurden nur der Nordflügel und ein Teil des Parks zerstört. Was heißt hier
fertigbauen, wo doch der Bau noch gar nicht wirklich begonnen hat? Und dann die dreiste
Lüge von den Ausstiegskosten in Höhe von 1,5 Milliarden Euro, vom „Liebesbrief“
unseres Oberbürgermeister Schuster an die Bürgerinnen und Bürger Stuttgarts ganz zu
schweigen. Für mich sind das alles Anzeichen für eine „strukturelle Korruption“ in
unserem Land, selbst wenn sie strafrechtlich ohne Folgen bleiben sollten.
Liebe Freundinnen und Freunde,
die Bewegung für K21 und gegen S21 hat Großes geleistet. Was hier an Sachverstand
und Geld, an Kreativität, Ausdauer und Mut investiert wurde, darf nicht verloren gehen.
Ich bin mir sicher, es wird nicht verloren gehen, wenn es uns gelingt, die Gewaltfalle, in
die unsere Gegner uns nur allzu gerne locken würden, zu vermeiden.
Deshalb, egal, wie der Kampf um S21 am Ende ausgehen wird, wir bleiben oben!
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