Sparsame Wohnriesen

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Sparsame Wohnriesen
Reinhard Huschke 30.01.2010
Teil 1: Wie man alte Hochhäuser energetisch fit macht
In Berlin-Lichtenberg steht seit 2007 Deutschlands größtes Niedrigenergiehochhaus und im Freiburger
Stadtteil Weingarten wird bis Ende 2010 ein Hochhaus aus den 1960er Jahren im Passivhausstandard
saniert. Energetische Sanierungsmaßnahmen wie diese zeigen eine Perspektive für den Umgang mit den
Siedlungsbauten aus jener Zeit auf, allerdings sind sie nicht zum Nulltarif zu haben.
Für Öko-Touristen aus aller Welt ist Freiburg im Breisgau ein bekanntes und beliebtes Ziel: Insbesondere der neue
Stadtteil Vauban (1) mit seinen bunten, meist drei- und vierstöckigen Niedrigenergie- und Passivhäusern steht im
Fokus des Interesses. Aber auch Stadtteile, die wie die in den 1960er Jahren entstandene Freiburger Großsiedlung
Weingarten eher mit einem Negativimage zu kämpfen haben, könnten ökologisch interessierten Besuchern bald
einen Abstecher Wert sein: Denn hier wird gegenwärtig eines von vier baugleichen Punkthochhäusern der
städtischen Wohnungsbaugesellschaft Freiburger Stadtbau (FSB) komplett entkernt und zu Deutschlands erstem
"Passivhochhaus" umgebaut.
Runderneuerung außen und innen: Das künftige Freiburger Passivhochhaus vor der Sanierung. Bild: Reinhard Huschke (Bild
vergrößern)
Bis Ende des Jahres soll das 16-stöckige, zur Zeit noch schmutziggrüne Gebäude aus dem Jahr 1968 in frischer
Farbe erstrahlen. Das Wichtigste liegt dabei unter dem neuen Anstrich: Eine 20 Zentimeter dicke Dämmschicht
aus Mineralfaserplatten und eine mit Unterstützung des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ( ISE (2))
konzipierte Gebäudetechnik mit kontrollierter Lüftung sollen dafür sorgen, dass das Gebäude künftig mit nur noch
15 kWh/m2a (Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr) Heizenergie auskommt – früher verbrauchte es mehr
als das Vierfache. Dank der guten Dämmung und einer automatischen Belüftungsanlage sollen die Bewohner ihre
Heizung künftig nur noch selten anstellen müssen, sodass ihre Nebenkosten drastisch sinken.
Das Projekt gehört zu den ambitioniertesten Vorhaben im Rahmen des Sanierungsprogramms Niedrigenergiehaus
im Bestand (3) der Deutschen Energie-Agentur (dena), in dem seit 2003 bundesweit 330 Wohngebäude, darunter
auch viele Plattenbauten aus DDR-Zeiten und ihre westdeutschen Pendants aus den 1960/1970er-Jahren
energetisch modernisiert werden – rund die Hälfte wurde bereits fertig gestellt. Sebastian Herkel, Gruppenleiter
des Bereichs Solares Bauen beim ISE, stellt den Leuchtturmcharakter des Freiburger Projekts heraus: "Quartiere
aus den 1960er-Jahren zukunftsfähig zu machen ist eine relevante Aufgabe." Von Vorteil sei, dass die Bauweisen
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dieser Epoche bestimmten Typologien folgten, sodass sich die bei der Sanierung eines bestimmten Gebäudetyps
gefundenen Lösungen leicht auf andere übertragen ließen. Zudem seien große Bestände dieser Wohnungen im
Besitz großer Wohnungsbaugesellschaften, was die Entscheidungsprozesse vereinfache.
Kompakte Bauweise erleichtert Sanierung
Mit der Passivhausbauweise gibt es laut Sebastian Herkel schon einige Erfahrung mit kleineren, vier- bis
fünfgeschossigen Wohngebäuden, die man für das Projekt nutzen könne. "Bei einem großen Gebäude wie dem
Hochhaus in Weingarten gibt es zudem ein günstiges Verhältnis von Volumen zu Oberfläche, das den
Energiebedarf mindert." Trotz dieser günstigen Voraussetzungen sei der Umbau "bei diesem ersten Haus eine
Herausforderung": Zum Beispiel müssten Durchbrüche für die neue Haustechnik geschaffen werden, ohne die
Statik des Gebäudes zu beeinträchten. "Eine Lüftungsanlage im Bestand einzubauen ist nicht trivial, insbesondere
wegen beschränkter Geschosshöhen und der Brandschutzanforderungen", erklärt Herkel. Die Vorgehensweise sei
durch den Gebäudetyp vorgegeben: "Ich kann nicht beliebig am Beton herumsägen." Die zentrale Lüftungsanlage
mit Wärmerückgewinnung, für die Durchbrüche durch alle Etagen geschaffen werden müssen, ist für
Niedrigenergie- und Passivhäuser jedoch unverzichtbar: Um die gewünschten Energiekennwerte zu erreichen, ist
eine so genannte "luftdichte Gebäudehülle" mit kontrollierter Belüftung aller Wohnungen Voraussetzung. Ein
Lüften über die Fenster ist dann im Prinzip nicht mehr nötig, obwohl natürlich weiterhin möglich.
Auch die Wärmeversorgung wird beim Umbau modernisiert: Eine Fernwärme-Hausanschlussstation mit EnergieZwischenspeicher ( "HAST-AKKU"-System (4)) sorgt dafür, dass Wärmespitzen durch Zwischenspeicherung der
Energie nivelliert und die Anschlussleistung entsprechend verringert werden kann. Die neuen
Niedrigenergieheizkörper in den Wohnungen kommen zudem mit einer deutlich niedrigeren Vorlauftemperatur
(50 °C statt bisher je nach Außentemperatur bis zu 100 °C) aus. Diese Heizkörper sind ein "innovatives Produkt",
wie Sebastian Herkel betont, ansonsten seien überwiegend bewährte Industriestandards verwendet worden, um die
Bauabwicklung zu erleichtern. "Um bei einem solchen Projekt das Risiko für eine Wohnungsbaugesellschaft zu
minimieren, kann man nur Produkte einsetzen, die irgendwo schon einmal ausprobiert worden sind," räumt der
Wissenschaftler ein.
Bei künftigen Bauprojekten dieser Art kann sich Herkel allerdings mehr Spielraum für neue Technologien
vorstellen, etwa effizientere – und damit schlankere – Dämmstoffe wie Aerogele oder Vakuumpaneele. Im
Moment sind noch 20 Zentimeter "Watte" nötig, um den erforderlichen Wärmedämmwert der Fassade von 0,15
W/m2K (Watt pro Quadratmeter Wandfläche und Temperatur) zu verschaffen; die dreifach verglasten Fenster
erreichen 0,7 W/m2K. Je niedriger die Werte, umso weniger Wärme geht im Winter verloren und umso geringer ist
die Aufheizung der Wohnungen im Sommer. Eine 25-Kilowatt-Photovoltaikanlage auf dem Dach soll die
energetische Performance von Freiburgs erstem Passivhochhaus abrunden.
"Große" Vorbilder auch in anderen Städten
In puncto Energieeffizienz wird dem Freiburger Projekt, wenn es einmal fertiggestellt ist, niemand etwas
vormachen – ein anderer Rekord bleibt jedoch bis auf Weiteres in Berlin: Das im Stadtteil Lichtenberg gelegene
Doppelhochhaus (5) der Berliner Wohnungsbaugesellschaft Howoge ist mit 19 bzw. 21. Stockwerken, 296
Wohnungen und 18.000 Quadratmetern Wohnfläche zur Zeit Deutschlands größtes Niedrigenergiehaus. Die neun
Millionen Euro teure Sanierung des maroden Plattenbaus aus dem Jahr 1974 wurde im März 2007 abgeschlossen.
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Größtes Niedrigenergiehaus Deutschlands: Howoge-Hochhaus in Berlin-Lichtenberg vor und nach der Sanierung. Bilder: Howoge,
Reinhard Huschke (Bild vergrößern)
Bei der Sanierung wurde eine 12 Zentimeter dicke Dämmschicht aus Mineralwolle auf die Fassaden aufgebracht
sowie neue, dreifach verglaste und luftdicht montierte Fenster mit einem Wärmedämmwert von 1,1 W/m 2K
eingebaut. Diese müssen zum Belüften nicht geöffnet werden, denn wie beim Freiburger Projekt erfolgt die
Raumlüftung im ganzen Haus durch eine automatische Belüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Wie undicht
das Haus vor der Sanierung war, zeigen die gemessenen Luftwechselraten von 5,2 bis 8,7 pro Stunde, die durch
die Sanierung auf maximal 1,5 pro Stunde gesenkt werden sollten.
Im Erdgeschoss des Doppelhochhauses steht ein Blockheizkraftwerk, das den bereits vor der Sanierung
vorhandenen Fernwärmeanschluss ergänzt und Wärme für die Warmwasserbereitung und den Strom für die
Lüftungsanlage und die Beleuchtung der öffentlichen Bereiche liefert. Auch hier werden Temperaturspitzen durch
einen Zwischenspeicher geglättet, die Vorlauftemperatur konnte von 110 °C auf 70 °C gesenkt werden. Der
Energiebedarf des Doppelhochhauses sank nach dena-Angabe von früher 138 kWh/m2a auf 47 kWh/m 2a.
Wärmeverluste an den Plattenstößen, undichte Fenster: Behebung mit einer Außendämmung aus 12 cm Mineralwolle und neuen,
dreifach verglasten Fenstern mit einem Wärmedämmwert von 1,1 W/m2K. Bilder: Howoge (Bild vergrößern)
Das Berliner Gebäude und weitere Sanierungsbeispiele habe man sich im Vorfeld des Freiburger
Sanierungsprojekts natürlich angeschaut, erzählt der Technischer Leiter der Freiburger Stadtbau, Manfred Börsig.
Allerdings wollte man in Freiburg einen Schritt weiter gehen, da die Stadt Freiburg auf städtischen Bauflächen
generell den – energetisch noch günstigeren – Passivhaussstandard anstrebe. Diesen Ansatz findet auch ISEProjektleiter Sebastian Herkel prinzipiell sinnvoll: "Politisch ist es sicher richtig, dass man auf den
Passivhausstandard setzt; ob dieser in jeder Situation immer das Richtige ist, muss man von Fall zu Fall
entscheiden. Es geht darum, technisch machbare und bezahlbare Lösungen zu finden."
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Ohne Förderung geht die Rechnung nicht auf
Technisch machbar ist heute vieles – ob und wie es bezahlbar ist, steht auf einem anderen Blatt. Ohne
zinsvergünstigte Kredite von der Kreditanstalt für Wiederaufbau ( KfW (6)) und weitere Förderungen rentieren
sich aufwändige energetische Sanierungen, rein betriebswirtschaftlich gesehen, in der Regel nicht. So erhält das
Freiburger Passivhochhaus als Teilnehmer des dena-Modellvorhabens "Niedrigenergiehaus im Bestand" einen
zinsgünstigen Kredit sowie einen erhöhten Tilgungszuschuss von der KfW, darüber hinaus gibt es einen Zuschuss
aus dem Fördertopf "Soziale Stadt" in der Größenordnung von 35 Prozent der gesamten Sanierungskosten. "Nur
dadurch ist ein solches Projekt im Moment wirtschaftlich darstellbar," räumt Manfred Börsig von der Stadtbau ein.
Um die Sanierungskosten zu refinanzieren, könne man die Miete nämlich nicht beliebig hochsetzen: "Unsere
Adressaten gehören nicht zu den Spitzenverdienern."
Um eine nahezu warmmietenneutrale Sanierung hinzubekommen, wendet man bei der FSB einen zusätzlichen
Kniff an: Man erhöht bei der Sanierung einfach die vermietbare Fläche, indem die bisherigen Loggien des
Gebäudes geschlossen und neue Balkone außen angesetzt werden, was aus energetischen Gründen – Eliminierung
von Wärmebrücken – ohnehin geboten ist. Zugleich werden die Wohnflächen durch Umstrukturierung der
Grundrisse auf die heute üblichen Standards für geförderte Wohnungen verkleinert, sodass sich insgesamt eine
vermietbare Gesamtfläche von 7.800 Quadratmetern, 810 Quadratmeter mehr als bisher, ergibt. Deshalb wird es
im sanierten Hochhaus 139 statt bisher 90 Wohnungen geben. Zusätzlichen Spielraum für höhere Mieteinahmen
schafft die Senkung des Heizwärmebedarfs um fast 80 Prozent, sodass sich die Warmmieten – zumindest in den
ersten Jahren nach der Sanierung – nicht erhöhen sollen. Die Mieter, die nach der Sanierung in das Haus
zurückkehren, erhalten somit für die gleiche Warmmiete eine Wohnung auf dem neuesten Stand der Technik, die
allerdings etwas kleiner ist als ihre frühere: 70 statt vorher 86 Quadratmeter für eine Dreizimmer-, 50 statt 66
Quadratmeter für eine Zweizimmerwohnung. Der aktuellen Bewohnerstruktur kommt das entgegen, denn
kinderreiche Familien gibt es hier längst nicht mehr so viele wie früher.
Zuwachs an vermietbarer Fläche: Wohnungsgrundrisse im Freiburger Hochhaus vor und nach der Sanierung. Die Gebäudehülle (rot
eingezeichnet) wurde um die bisherigen Loggien erweitert. Grafik: FSB/ISE (Bild vergrößern)
Bessere Vermietungschancen durch Sanierung
Insgesamt soll die Sanierung des Freiburger Hochhauses rund 13 Millionen Euro kosten, davon nach Angabe von
Manfred Börsig 12 bis 14 Prozent Mehraufwand für den Passivhausstandard. Beim Berliner Doppelhochhaus
betrugen die Sanierungskosten rund neun Millionen Euro, davon 1,9 Millionen für Energiesparmaßnahmen
insgesamt und 422.000 Mehraufwand für die Niedrigenergieausführung. Letzteren hält Gudrun Höfs, zuständige
Projektleiterin der Berliner Wohnungsbaugesellschaft Howoge, für vertretbar: "Mit sechs Prozent Mehrinvestition
haben wir 30 Prozent mehr Effekt erreicht." Ein Vorteil sei gewesen, dass es sich um ein hohes Haus mit nur zwei
Aufgängen und nicht um ein langgestrecktes Gebäude gehandelt habe, sodass man mit nur zwei Lüftungszentralen
auskam.
Auch das Berliner Projekt konnte als Teilnehmer des dena-Modellvorhabens ein zinsvergünstigtes KfW-Darlehen
und einen erhöhten Tilgungszuschuss in Anspruch nehmen. Der Rest wurde durch Erhöhung der Kaltmiete
aufgefangen: Mieter zahlen für ihr neues Zuhause 0,77 Euro pro Quadratmeter Modernisierungsumlage; dieser
Erhöhung stehen errechnete Einsparungen bei den Nebenkosten von 0,53 Euro pro Quadratmeter gegenüber,
sodass sich die Warmmiete nur geringfügig erhöht. "Eine warmmietenneutrale Sanierung kriegen Sie nicht hin",
räumt Howoge-Sprecherin Angela Reute ein. Aber übertreiben dürfe man es mit der Mieterhöhung in dieser Lage
auch nicht: "Man muss immer schauen, dass man das Haus so anbieten kann, dass man es auch wieder vermietet
bekommt." Dies kann auch Manfred Börsig bestätigen: "Am Ende steht bei den Mietern immer nur die eine Frage:
Was müssen wir denn nun berappen?"
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Aber nicht nur die höhere erzielbare Kaltmiete, auch ein höherer Vermietungsstand kann die Investition in eine
Modernisierung unter dem Strich rentabel machen: Vor der Sanierung stand nämlich fast die Hälfte der knapp 300
Wohnungen des Berliner Doppelhochhauses leer. Im Unterschied zu Freiburg herrscht in Berlin keine
Wohnungsknappheit, sodass sich unattraktive Wohnungen kaum vermieten lassen. Zudem war der Plattenbau
aufgrund seiner Größe und Gestaltung mit wenigen Balkonen auch sonst wenig einladend. Da erwies sich die
Sanierung, die auch in der Presse auf große Resonanz stieß, als wirksames Vermarktungsargument. "Ein Jahr nach
der Sanierung lag die Vermietungsquote bei 100 Prozent", freut sich Angela Reute.
Teil 2: Energiesparen ist nicht alles
Links
(1) http://www.vauban.de/rundgang/index.html
(2) http://www.ise.fraunhofer.de
(3) http://www.dena.de/de/themen/thema-bau/projekte/projekt/niedrigenergiehaus
(4) http://www.hast-akku.de
(5) http://www.neh-berlin.de
(6) http://www.kfw-foerderbank.de/DE_Home/BauenWohnen/index.jsp
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