„BINDUNG IN BEWEGUNG“… Psychische Erkrankungen Von jugendlichen Müttern unter bindungsspezifischen Gesichtspunkten Aachen, KatHO „Bindungsorientierung in der Sozialen Arbeit“ 11.-12.1. 2013 Dr. Sabine Trautmann- Voigt, Köln-Bonner Akademie für Psychotherapie www.kbap.de Familienbindungen im Wandel: Fakten, Zahlen Politische Forderungen – was ist zu tun? Video „Bindungsstörungen“ – zwei Mütter im Visier Studie im Auftrag des Strategiezentrums Gesundheit / NRW „Best practice“ – Regulierungshilfen und Zusammenarbeit in sozialen Hilfssystemen ´ Aber zuvor : ein kleiner BEWEGUNGSIMPULS zu „Bindung in BEWEGUNG SCHAFFT BINDUNG…. Opiate werden ausgeschüttet! Bewegung schafft Begegnung… ….Kontakt, Freude, Lebendigkeit ….. Bindung Bindung in Bewegung? Bindungsbeziehungen verändern sich….. OPIATE ´ Familienbindungen im Wandel – Psychische Erkrankungsrisiken speziell für junge Mütter ´ Bindungsentwicklung ist abhängig von der sozialen Situation, in die Kinder hineingeboren werden. Wandel des Bildes der „normalen“ Familie: 35%Single-Haushalte / gleichgeschlechtliche Eltern / PatchworkFamilien Geänderte Rollenbilder – familiäre Gewohnheiten angepasst ? Erstgebärende (Mittelschicht!) häufig über 40 Integration anderer Kulturen – „Frauenbefreiung“ , wie…? Flucht aus der Familie Suche nach anerkanntem sozialen Status Emotionale Nähe zum Kind verwechselt mit eigener Sehnsucht nach Geborgenheit Bindung eines Mannes über ein Kind Soziale „Abwärtsspirale“ seit Generationen: Kind als einziger „Ausweg“ erhofft, da staatliche Unterstützung sicher Probleme durch frühe Mutterschaft (2006) Keine altersgerechte Persönlichkeitsentwicklung Abhängigkeiten (von Eltern) / Stigmatisierungen (durch Clique) / Desillusionierung (durch Baby) 60% der minderjährigen Mütter in USA leben unterhalb der Armutsgrenze (hier: ARGE, wie viele?) 89% in GB sind arbeitslos (hier: wie viele?) BRD: Soziales Netz verhindert das Schlimmste, aber die Grenzen des therapeutisch Machbaren werden immer öfter erreicht !!! – Wie viel „Bindungsverlust“ kann nachgeholt werden? Beispiel: Carola, 18. Jahre alt emotional instabil: F.60.31 a. b. c. d. Mit 16 erstmals, mit 17 zum 2. Mal Mutter / 18jähriger Vater kümmert sich um Kinder, geht deshalb nicht arbeiten Carolas Vater: Alkoholiker/Gewalttätig/ gibt „Schuld“ am Scheitern der Tochter dem Ehemann von Carola Mutter von Carola nutzte Tochter zur Betreuung von 3 kleineren Geschwistern, verbot ihr zeitweise den Schulbesuch Jugendamt besorgt, Diagnostik erbeten: Carola ritzt, trinkt, ist nachts bis 4:00 auf, brüllt, rüttelt Neugeborenes…. droht, Kinder umzubringen hat versucht, ihren Mann nachts zu erwürgen, hat andere Männer, will nur „zu Mama“ Carola rebelliert. Die Familie versucht die Einweisung per Psych.KG aktiv zu verhindern. Sie lebt seit Generationen von „der Stütze“. …. natürlich handelt es sich um eine desorganisierte Bindung…… Zwangseinweisung in die Klinik per Psych KG (MVZ-Psyche, Bonn) ´ Stationäre Betreuung (medikamentös und strukturierend, RLK Bonn und Tagesklinik Euskirchen) ´ Ambulante psychotherapeutische Weiterbehandlung (KBAP-Institutsambulanz) ´ Zusammenarbeit mit Familienhelferin (Fallmanagement – Netzwerk „Frühe Hilfen“ in Bonn) ´ Deutschland ist im Weltvergleich im oberen Drittel der Staaten, in denen Extremformen von Mobbing (5% der Mädchen) und körperlicher Gewalt im Jugendalter (14 – 18 Lj.) auftreten. - Bei 1-2% d. J. mit einkalkulierter Todesfolge! Etwa ¼ aller Jugendlichen sieht sich zur Zeit diskriminiert und ist (latent) bereit „Das System“ dafür verantwortlich zu machen und mit Gewalt zu reagieren. 22% der Jugendlichen (12-25 J.) haben mind. 1 mal körperliche Attacken gegen jemand anders ausgetragen. Gewalt und frühe Mutterschaft (2006) Von 570 Schwangeren unter 18 wurden 62% in den ersten beiden Jahren von ihren Partnern misshandelt 75% der in der Schwangerschaft Misshandelten wurden auch in den 2 Jahren nach der Geburt Opfer schwerer Misshandlungen. Kinder Minderjähriger: häufiger Lernbehinderungen und Verhaltensstörungen Söhne Minderjähriger: häufiger straffällig Sind das lediglich „Bindungsprobleme?“ Fachdiskussionen über „Bindungsstörungen“ sind gut…. ´ …..und was können/sollen wir in der sozialen/therapeutischen Arbeit tun? ´ ´ Politische Forderungen…………………. To do: „Entwicklungsförderung gegen Gewalt“ Forderung aus dem BMG seit 2007/ von der Leyen: „In allen Bereichen von Bildung, Erziehung und Medizin soll gut abgestimmte Prävention geleistet werden mit dem Ziel der Entwicklungsförderung und gegen zunehmende Gewalt!“ Und heute? Ministerin Schröders Debatte über das Betreuungsgeld greift zu kurz!!! Welche Ursachen gibt es für die zunehmende Brutalisierung bei Kindern und Jugendlichen? (Studienergebnisse 2007, Hurrelmann): Alle Spuren führen in die Familien ! Es gibt inzwischen – besonders in den unteren Schichten - massive Defizite im Erziehungs- = Beziehungswissen. Traumatisierte Eltern in allen Schichten traumatisieren (unbewusst) ihre Kinder und tragen so die Gewaltbereitschaft in die nächste Generation. Opfer werden zu Tätern / „Du Opfer“… „Strukturen“ sind zusammengebrochen! Es fehlt zunehmend an „Interaktionskompetenz“ INTERAKTIONSKOMPETENZ ist beinhaltet „FEINFÜHLIGKEIT“ universell, übergreifend Versorgen, Schützen unbewusst, Inneres Bedürfnis nach Hilfestellung prompt, also zeitnah Unverzügliche und unbedingte Reaktion unwillkürlich, „automatisch“ Spontane liebevolle (nicht kognitiv gesteuerte) Zuwendung Ggf. lang anhaltend/kontinuierlich Nicht ermüdende Bereitschaft zur Wiederholung von Pflegehandlungen (nach Papousek 2004, erweitert ´Trautmann-Voigt / Moll 2011) Wie können diese „Strukturen“ verändert werden? ... Erst seit 2001 ist körperliche Bestrafung in der Familie strafgesetzlich verboten ... 30% der Eltern isolieren ihre Kinder. 15% sprechen mit ihnen über drei oder mehr Tage nicht. 14% d.E. ohrfeigen oder prügeln, signifikant 2-3% ab dem Säuglingsalter (!). 3% d.E. misshandeln so schwer, dass Krankenhauseinweisungen notwendig werden. 1% der Kleinstkinder (7000 pro Jahr) stellen die absolute Risikogruppe für zukünftige Gewalttaten dar! (Hurrelmann 2007) Migrationshintergrund Materielle Unsicherheit BABY in NOT Soziale Situation/ Isolierung Krankheit/Behinderung Psychische Labilität/ Traumatisierung der Eltern Familiäre Situation/Stress Jugendliche Mütter Wie verhalten sich überforderte (junge) Mütter – Folge: Bindungsunsicherheit Altersunangemessene Erwartungen Hilflosigkeit, Ohnmacht im Kontakt mit dem Kind Ausgeprägte Belastungsgefühle durch das Kind Verzerrung des Bildes vom Kind durch feindselige Erklärungsmuster für unerwünschtes Verhalten Unterschätzung der Auswirkungen „kindeswohlgefährdender Verhaltensweisen“ Identitätsunsicherheit /Mutterrolle Symptom-Trias früher Regulations- / Bindungsstörungen (Papoucek 2004) Probleme der kindlichen Verhaltensregulation Erschöpfte und überforderte Eltern…. Dysfunktionale Interaktionsmuster zwischen Eltern und Kind (z.B. während der Mahlzeiten) Störung der frühen Eltern-Kind-Beziehung: Tendenz zu Pervasivität und Persistenz Zeitlicher und symptomatologischer Zusammenhang mit entwicklungsabhängigen Phasen. Feedback-Signale des Säuglings Intuitive Kompetenz der (jungen) Mutter Anschmiegen, Beruhigung Entspannung, Selbstvertrauen (Das ist die „individuelle“ bindungsorientierte Seite) Mentale (mütterliche) Faktoren bei der Entstehung des (Bindungs-) Problems Ängste, psychosoziale Belastung in der Schwangerschaft (intrauteriner Stress) Unbewältigte eigene Verlust-/ Trennungserfahrungen oder Probleme mit der Herkunftsfamilie (eigene Mutterbeziehung mit 18 abgebrochen) Angst um Überleben/Gedeihen des Kindes (niedriges Geburtsgewicht) Partnerschaftskonflikte (fühlt sich „allein gelassen“) Mangelnde soziale Unterstützung Mütterliche Ess-Störung oder – probleme (Adipositas) Psychische Erkrankung (depressive Episode, F 32.0) Fakten zu den Folgen früher Regulationsstörungen 15-25 % d. Babys - leichtere bis mittelschwere Fütterstörungen (Fergusson et.al. 1985) 3-10 % entwickeln schwere persistierende Fütterstörungen in Kombination mit anderen Störungen!!! (Dahl, Sundelin 1992) 35% der Kinder mit Entwicklungsstörungen entwickeln eine Fütterstörung, oft auch Schlafstörung (Benoit 1993, Wolke 1995) 65-70% der an Anorexia nervosa erkrankten 12-16 jährigen Mädchen wiesen „früher Fütterprobleme“ auf - laut Angaben ihrer Mütter….(!) Diese Mädchen sind zu 80% unsicher-vermeidend oder ambivalent gebunden (!) Die Mehrzahl der Mütter hatte selbst Ess-probleme (!)(Streeck-Fischer 2006) Beeinträchtigung der Entwicklung bei frühkindlicher Regulationsstörung (V. HOFACKER ET. AL. 1996) Umso ausgeprägter: je länger die Störung andauert je mehr Regulationsbereiche betroffen sind je gravierender die kumulative psychosoziale Belastung in der Familie ist je höher die psychische Auffälligkeit der Mutter ist. Notwendig: schnelle „richtige Entscheidung!“ Nicht immer Psychotherapie, aber Diagnostik! Studie im Auftrag des Strategiezentrums Gesundheit / NRW (Das ist die politische Seite der Medaille) Aktuelle Studie im Auftrag des StrategieZentrums Gesundheit, NRW Hierarchie? Abgrenzungen? Gegensätzliche Aufträge? Finanzierung? 2. Kommunikation 7. Kontinuität 1. Kennenlernen 5. Koordination durch Lotsen 6. Konfliktfähigkeit 3. Kooperation 4. Kleinräumigkeit These: Psychotherapeuten sind besonders gut geeignet, eine Lotsenfunktion für schnelle, angemessene Entscheidungen zu übernehmen – gegen den transgenerationalen Transfer von Gewalt und zum Aufbau von „Bindungssystemen“ ! 1. 2. 3. 4. 5. Qualifikation für frühes Eingreifen: Bindungsmuster sind mit 6 Monaten ausgeprägt, relativ stabil und zeigen starke transgenerationale Effekte (!). Etablierung sicherer Bindungsmuster - Modellfunktion für die Mütter (die selbst noch Kinder sind…) Förderung der Mentalisierungsfähigkeit Aktives Unterbinden desorganisierter Bindungsmuster, die zu psychopathologischen Auffälligkeiten führen (Diagnostik / Spezialindikationen) Koordinationsmöglichkeiten durch relativ flexible Zeitkontingente und systemorientierte Ausbildung Neue Aufgaben Für die KJP in Kooperation mit (klinischer) Sozialarbeit ? „Best practice“ ein Vorschlag einer Konzeptleitlinie für sinnvolle Vernetzungsarbeit ´ Ziel: Bindungsaufbau im Helfer- und Lebenssystem ´ ´ (eine (!) praktische Seite der Medaille) FRAU 0. ist 17 Jahre alt mit Mira, 4 Monate alt; alleinerziehend, ohne Ausbildung. von Kindsvater in Schwangerschaft verlassen / Tritte in Unterleib Totgeburt eines der Zwillinge, Erstversorgung in der Uniklinik nach Frühgeburt eines gesunden Kindes – dann: Überweisung in Säuglings - Ambulanz des MVZ-Psyche Zusammenarbeit mit Hebamme / Jugendamt / Kinderkrankenschwester o Traumabehandlung und Einleitung einer tiefenpsychologischen Psychotherapie (50 Std. + 30 Std.). o plus Unterbringung in Mutter-Kind-Einrichtung o Gemeinsame Planung der Psychoedukation mit Hebamme o Abstimmung helfender Maßnahmen mit Jugendamt Verselbständigung nach 2 ½ Jahren gut gelungen heute: in eigener Wohnung, Mira im Kindergarten, Stelle als Putzhilfe Ausbildung als Hauswirtschafterin angestrebt 1. - 2. Stunde: Vorstellung des Problems, erste Hilfestellungen Psychoedukation (Mitgabe eines Fragebogens/Diagnostik). Einbezug des Helfersystems, auch in der Stunde! 3. Stunde: Videokurzaufnahme (max.10 min.), Kurzbesprechung und gemeinsame Fokussierung auf das sichtbare Problemerleben. -Interaktionsanalyse im Team4.- 5. Stunde: gezielte Hilfestellungen zur Beziehungsregulation. Gemeinsame Überprüfung der Interventionen -ab jetzt niederschwelligoder ggf. Vereinbarung einer Spezialindikation (vgl. Frau O.) KJP - Lotsen erkennen die Komplexität des Systems von überforderten (JUNGEN) Müttern Zu späte oder nicht erkannte Notsituationen Unterschätzte Gefährdungssituationen, besonders bei Säuglingen Dauer- und Mehrfachbetreuungen ohne entlastende bzw. kompensatorische Hilfen für Eltern/Mütter Erziehungs“programme“, die ins Leere laufen Sorgerechtsentziehende Maßnahmen ohne zeitliche Perspektive oder Alternativangebote Fehlende Information über Spezial-Hilfsangebote in der Umgebung, z.B. gezielte Psychotherapie für diese Zielgruppe Mangelhafte Koordination vieler „Retterorganisationen“ PT- Lotsen koordinieren „andere Systeme“ zur Indikationsentwicklung Ernährungs- und Gewichtsanamnese Pädiatrische (entwicklungsneurologische) Untersuchung Ernährungsprotokoll /Psychoedukation Infos vom Jugendamt/Heimen/Pflegestellen Anamnese elterlicher Belastungen und Bedeutungszuschreibungen (Traumagenese?) Video gestützte Verhaltensbeobachtung und Analyse der Interaktion Auswertungen in altersrelevanten Kontexten mit den Eltern und Betreuern in der Stunde Ggf. Einzel- oder Gruppen- oder Paartherapie /niederfrequente Begleitung koordinierter Angebote…! Warum Lotsenfunktion durch Psychotherapie? Berücksichtigung von Bindungsmustern, (unbewussten) Konflikten und dem System der Familie im sozialen Kontext Feinfühlige, zuverlässige, voraussagbare Erfahrungen Zurückweisende, ignorierende Erfahrungen Sicher Unsicher-vermeidend Wechselhafte Erfahrungen Unsicher-ambivalent Ängstigende oder bedrohliche Erfahrungen Desorganisiert/ desorientiert Erstkontakt mit Anliegen/Auftragsklärung (Diagnostik) Psychosoziale Entlastung (Netzwerkarbeit!) Beachtung und Stärkung von Interaktionskompetenzen positiver Gegenseitigkeit (Ressourcenarbeit) Beachtung, evtl. Bearbeitung psychodynamisch wirksamer Themen der Mütter/Eltern (Konflitkarbeit) Einbezug der Paar- und Familien/Systemdynamik (Kontextarbeit) Psychiatrische/kinderärztliche Betreuung bei manifester Symptomatik (medizinische Arbeit) Erarbeitung des zentralen Focus in einer strukturierten Maßnahmenplanung Angebote, Kostenübernahme durch KK Einzelpsychotherapie für Erwachsene, Kinder und Jugendliche Spezialindikationen, teilweise Kostenübernahme durch KK Paartherapie Gruppenpsychotherapie Psychoedukation Traumatherapie/EMDR Tanztherapie u.a. für Mütter mit ihren Säuglingen Eltern-Säuglingspsychotherapie Psychosomatische Grundversorgung Psychiatrische Begleitung Coaching/Stressmanagement Kurse gegen Depression/Burn-out/Angst Leitfaden für eine bindungsorientierte Psychotherapie der frühen Dyade (Trautmann-Voigt /Moll 2011) Entwicklung von „best practice“-Ideen aus den letzten 20 Jahren für das Forschungsprojekt NRW a) Entwicklungsorientierung (biologisches und psychisches Entwicklungsalter + Fakten) b) Interaktionsorientierung (Einbezug nonverbaler Passung/Videos) c) Psychodynamische Fokussierung (gezielte Indikation und Ressourcenaktivierung) d) Systemische Kontextanalyse (Netzwerkarbeit mit Lotsenfunktion) Vorschlag zur weiteren Erprobung: Förderung von Netzwerk-Kompetenzen der eigenen und anderer beteiligter Berufsgruppen, z.B. aus der Sozialen Arbeit, der Medizin, der Psychotherapie. To do: gemeinsame Fortbildungen von Ärzten / PT/ KJP/ Sozialarbeitern/Hebammen/….. : „BiBiBonn“(www.kbap.de) „Bindung in Bewegung“ zielt auf fachliche, gesellschaftspolitische und therapeutisch fundierte Reflexionen/Interventionen „Psychisch stabile Eltern auf einer gesicherten Existenzbasis sind die beste Versicherung gegen zunehmende Gewalt!“ (Fonagy) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! [email protected] www.kbap.de /www.mvzpsyche.de