Kontrollverhalten, Ungeduld und Ablehnung der Eltern können

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W I S S E N S C H A F T
Referiert
Externalisierende Störungen bei Kindern und Jugendlichen
Kontrollverhalten, Ungeduld und Ablehnung der
Eltern können psychische Probleme verstärken
E
xternalisierende Störungsbilder (hyperkinetische Störungen und Störungen des Sozialverhaltens) gehören zu
den am häufigsten diagnostizierten
Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen. Man geht davon aus, dass
sowohl biologische als auch psychosoziale Faktoren eine wichtige Rolle bei
ihrer Genese spielen. Insbesondere die
Eltern-Kind-Interaktion kann dazu beitragen, dass externalisierende Auffälligkeiten entstehen, aufrechterhalten werden oder sogar zunehmen – sie können
also Ursache und Wirkung sein.
Eltern müssen sich ihrer Rolle
bewusst sein
Was sich zwischen betroffenen Kindern
und ihren Müttern abspielt, wollte eine Gruppe von Wissenschaftlern aus
Mannheim genauer wissen. Sie beobachteten 31 Kinder mit hyperkinetischer Störung, 61 Kinder mit Störungen
des Sozialverhaltens und 116 nicht-betroffene Kinder im Alter von acht Jahren und ihre Mütter per Video bei einer
fünfminütigen, hausaufgabenähnlichen
Interaktion. „Die Mehrzahl der betroffenen Kinder und Mütter hatte ein gespanntes Verhältnis zueinander“, fanden die Forscher heraus. Zum Beispiel
versuchten die Mütter hyperkinetischer Kinder stark, deren Verhalten zu
steuern. Die Kinder verhielten sich
wiederum unaufmerksam und impulsiv. Sie leisteten häufiger Widerstand
gegen die mütterliche Beeinflussung
und äußerten sich abwertender als unauffällige Kinder. Es zeigte sich, dass
hyperkinetische Symptome besonders
dann begünstigt werden, wenn impulsives Kindverhalten und Ablehnung seitens der Mutter gleichzeitig vorhanden
sind.
Auch die Kinder mit Störungen des
Sozialverhaltens machten es ihren Müttern nicht leicht: Sie waren aggressiver,
 PP
 Heft 4
 April 2002
Deutsches Ärzteblatt
impulsiver und provokativer als unauffällige Kinder. Ihre Mütter waren deshalb ungeduldiger im Umgang mit ihnen als die unauffälliger Kinder. Zu vermehrten dissozialen Symptomen trug
vor allem das Verhalten des Kindes bei.
„Verärgerte Mütter versuchen mit
strengen Maßnahmen, das aufsässige
Verhalten ihrer Kinder zu unterbinden.
Die überforderten Kinder wiederum
zeigen mehr Widerstand und Impulsivität. Mutter und Kind geraten so in einen Teufelskreis“, erklären TrautmannVillalba et al.
Auffälligkeiten bei der Interaktion
zwischen Müttern und psychisch erkrankten Kindern stellten auch Jennifer
Hudson und Ronald Rapee fest. Das
amerikanisch-australische
Forscherteam untersuchte 43 Kinder mit Angststörungen, 20 Kinder mit herausfordernden, oppositionellen Verhaltensauffälligkeiten und 32 unauffällige Kinder im Alter zwischen sieben und 15
Jahren. Zusammen mit ihren Müttern
sollten die Kinder schwierige ScrabbleAufgaben bewältigen. Die Mütter durften den Kindern dabei helfen. In der Situation wurde künstlicher Stress erzeugt, indem eine Stoppuhr aufgestellt
wurde. Außerdem waren die Aufgaben
nicht im vorgegebenen Zeitraum lösbar. Die fünfminütigen Interaktionssequenzen wurden per Video aufgezeichnet. Weitere Verfahren, die die Autoren
einsetzten, waren Interviews, Bewertungen durch unabhängige Beobachter
und Fragebögen.
Überbehütung kann
Angststörungen verstärken
Dabei stellte sich heraus, dass sich die
Mütter der betroffenen Kinder deutlich
stärker in die Aufgabenbewältigung
einmischten als die Mütter unauffälliger Kinder. Ihre Äußerungen den
Kindern gegenüber waren negativer
und weniger ermutigend. „Kritik oder
PP
Zurückweisung durch die Mutter stehen möglicherweise in einem Zusammenhang mit Angststörungen“, vermuten die Autoren. Ob es sich um einen ursächlichen Zusammenhang handelt, sei
noch unklar. Jedoch trägt eine aufdringliche Überbehütung wahrscheinlich dazu bei, dass bestehende Angststörungen
der Kinder verstärkt werden. Die Eltern betroffener Kinder sollten sich ihrer Rolle bewusst sein. Dabei ist es gerade für Eltern von Kindern mit psychischen Beeinträchtigungen nicht leicht,
locker und gelassen zu bleiben, wenn
die Kinder aggressiv, ängstlich oder
trotzig sind.
Adäquaten Interaktionsstil
erlernen
Beide Studien zeigen, dass elterliche
Reaktionen wie übertriebene Einmischung, Zurückweisung, Kritik oder
Ungeduld die psychischen Probleme
der Kinder zusätzlich fördern. Die Forscher warnen jedoch davor, mit Interventionen nur bei den Eltern anzusetzen. Um den wechselseitigen, sich aufschaukelnden Austausch von negativen
Gefühlen und Stress zu durchbrechen,
müssen beide „Parteien“ zu einem adäquaten Interaktionsstil angeleitet werden. Die Autoren gehen davon aus, dass
„noch im Grundschulalter die Chance
wirksamer Interventionen besteht“ und
raten dazu, rechtzeitig mit der Arbeit an
der Eltern-Kind-Beziehung zu beginMarion Sonnenmoser
nen.
Trautmann-Villalba P, Gerhold M, Polowczyk M, DinterJörg M, Laucht M, Esser G, Schmidt MH: Mutter-Kind-Interaktion und externalisierende Störungen bei Kindern
im Grundschulalter. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie 2001; 29: 263–273.
Hudson JL, Rapee RM: Parent-child interactions and anxiety disorders: an observational study. Behaviour Research and Therapy 2001; 39: 1411–1427.
Dr. med. Manfred Laucht,
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit,
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des
Kindes- und Jugendalters, Postfach 12 21 20,
68072 Mannheim
E-Mail: [email protected]
Jennifer L. Hudson, Department of Psychology,
Temple University, Philadelphia, PA 19122, USA,
E-Mail: [email protected]
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