GZ.: BMI-EE1500/0017-II/2/a/2013 An Wien, am 22. Februar 2013 Oberst Alexander Terlecki BMI – II/2/a (Referat II/2/a) alle Landespolizeidirektionen das Bundeskriminalamt das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung das EKO Cobra nachrichtlich: Bundesministerium für Justiz, Abteilung IV-3 BM.I Abteilungen I/1, I/9-SIAK, II/1, II/3, II/6, II/8, II/9, II/10 sowie das Bundesamt für Korruptionsbekämpfung und den Zentralausschuss für die Bediensteten des öffentlichen Sicherheitswesens beim BM.I im Hause Minoritenplatz 9, 1014 Wien Tel.: +431 (53126) 3411 3807 Pers. E-Mail: [email protected] Org.-E-Mail: [email protected] WWW.BMI.GV.AT DVR: 0000051 Antwortschreiben bitte unter Anführung der GZ an die Org.-E-MailAdresse. Betreff: Exekutiv- und Einsatzangelegenheiten; Kriminaldienst Körperliche Untersuchung – Blutabnahme gem. § 123 StPO. Körperliche Untersuchung – Blutabnahme gem. § 123 StPO. In ihrer täglichen Arbeit im Dienste der Strafjustiz sind viele Menschen, insbesondere Exekutivbedienstete, aber auch Personen in Gesundheitsberufen mit dem Umstand konfrontiert, dass sie von Menschen verletzt werden, die ansteckende Krankheiten übertragen können. Für die Betroffenen bedingt das neben den gewöhnlichen Folgen einer Verletzung mitunter eine lange Zeit der Ungewissheit im Hinblick auf eine mögliche Infektion mit einer ansteckenden und gefährlichen Krankheit. Zu dem daraus resultierenden Bedürfnis der Betroffenen, durch eine medizinische Untersuchung des möglichen Infektionsüberträgers – allenfalls durch eine Blutabnahme – rasch Gewissheit zu erlangen, ist vor dem Hintergrund der geltenden Rechtslage Folgendes auszuführen: Jede körperliche Untersuchung muss zunächst ihrem Zweck nach im Sinne des § 123 Abs. 1 StPO zulässig sein. Dies trifft zu, wenn 1. auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass eine Person Spuren hinterlassen hat, deren Sicherstellung und Untersuchung für die Aufklärung einer Straftat wesentlich sind, 2. aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass eine Person Gegenstände im Körper verbirgt, die der Sicherstellung unterliegen, oder 3. Tatsachen, die für die Aufklärung einer Straftat oder die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit von maßgebender Bedeutung sind, auf andere Weise nicht festgestellt werden können.“ § 123 Abs. 3 StPO regelt die formellen Voraussetzungen einer körperlichen Untersuchung. Demnach ist eine körperliche Untersuchung von der Staatsanwaltschaft auf Grund einer gerichtlichen Bewilligung anzuordnen. Bei Gefahr im Verzug kann die Untersuchung auch auf Anordnung der Staatsanwaltschaft durchgeführt werden, doch hat die Staatsanwaltschaft in diesem Fall anschließend unverzüglich die gerichtliche Bewilligung einzuholen. Wird diese nicht erteilt, so hat die Staatsanwaltschaft die Anordnung sofort zu widerrufen und das Ergebnis der körperlichen Untersuchung vernichten zu lassen. Einen Mundhöhlenabstrich kann die Kriminalpolizei jedoch von sich aus abnehmen. Gemäß § 123 Abs. 4 StPO sind operative Eingriffe und alle Eingriffe unzulässig, die eine Gesundheitsschädigung von mehr als dreitägiger Dauer bewirken könnten. Andere Eingriffe dürfen vorgenommen werden, wenn die zu untersuchende Person nach vorheriger Aufklärung über die möglichen Folgen ausdrücklich zustimmt. Eine Blutabnahme oder ein vergleichbarer geringfügiger Eingriff, bei dem der Eintritt von anderen als bloß unbedeutenden Folgen ausgeschlossen ist, darf nach Abs. 4 leg. cit. auch ohne Einwilligung des Betroffenen vorgenommen werden, wenn „1. die Person im Verdacht steht a) eine Straftat nach § 178 StGB oder (neu seit 1.1.2012 mit BGBl I Nr 103/2011) b) eine Straftat gegen Leib und Leben durch Ausübung einer gefährlichen Tätigkeit in alkoholisiertem oder sonst durch ein berauschendes Mittel beeinträchtigtem Zustand begangen zu haben, oder 2. die körperliche Untersuchung des Beschuldigten zur Aufklärung einer mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Straftat oder eines Verbrechens nach dem 10. Abschnitt des Strafgesetzbuches erforderlich ist.“ Während es daher schon bisher möglich war, eine Blutabnahme oder einen vergleichbar geringfügigen Eingriff ohne Einwilligung des Betroffenen durchzuführen, wenn der Verdacht bestand, der Beschuldigte habe durch Ausübung einer gefährlichen Tätigkeit unter dem Einfluss eines berauschenden Mittels eine gegen Leib und Leben gerichtete Straftat begangen oder diese sei zur Aufklärung einer mit mehr als fünfjährigen Freiheitsstrafe -2- bedrohten strafbaren Handlung oder eines Sexualverbrechens erforderlich, stellt die Einfügung der Z 1 lit. a in Abs. 4 die Schaffung einer Blutabnahmemöglichkeit mit gerichtlicher Bewilligung bei Personen dar, die möglicherweise mit ansteckenden Krankheiten infiziert sind und im Verdacht stehen, eine Straftat nach § 178 StGB begangen zu haben. Kann die vermutete Infektion eines Betroffenen nicht auf andere rechtlich zulässige und weniger in die Rechte des Betroffenen eingreifende Weise (insbesondere durch die freiwillige Zustimmung zur Blutabnahme oder die Sicherstellung bzw. Herausgabe entsprechender medizinischer Unterlagen) bestätigt oder ausgeräumt werden, so ist der Anknüpfungspunkt für eine Blutabnahme (oder einen vergleichbar geringfügigen Eingriff) ohne Einwilligung des Betroffenen das Vorliegen des Verdachts einer Straftat nach § 178 StGB (Vorsätzliche Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten). Nach § 178 StGB strafbar ist, „wer eine Handlung begeht, die geeignet ist, die Gefahr der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit unter Menschen herbeizuführen, wenn die Krankheit ihrer Art nach zu den wenn auch nur beschränkt anzeige- oder meldepflichtigen Krankheiten gehört.“ Für die Erwirkung einer staatsanwaltschaftlichen Anordnung zur Blutabnahme ohne Einwilligung des Betroffenen wird es daher notwendig sein, - gegebenenfalls nach Durchführung entsprechender Ermittlungshandlungen - das Vorliegen eines Tatverdachts nach § 178 StGB entsprechend zu begründen und im Anlassbericht zu dokumentieren. Dafür kommen neben den Aussagen des Beschuldigten und allfälliger Zeugen natürlich in erster Linie geeignete medizinische Unterlagen in Betracht. Auch eine allfällige Speicherung in der Personeninformation "Ansteckende Krankheit", aber auch die Zugehörigkeit zur Suchtmittelszene kann Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen sein oder in Summe einen hinreichenden Tatverdacht nach § 178 StGB begründen. Für die Begründung eines Tatverdachts wird auch auf die innere Tatseite (bedingter Vorsatz) einzugehen sein. Der bedingte Vorsatz wird in aller Regel voraussetzen, dass der Beschuldigte vor der Tathandlung Kenntnis von seiner ansteckenden Krankheit und der möglichen Übertragung bei der Tathandlung hatte oder dies wenigstens billigend in Kauf genommen hat. Sollten die diesbezüglichen Ermittlungen bereits ausreichende Beweise für das Vorliegen einer ansteckenden Krankheit erbracht haben (z.B. eindeutige medizinische Atteste oder -3- Gutachten) wäre allerdings sorgsam zu prüfen, ob die Durchführung der Blutabnahme überhaupt noch im Sinne der §§ 123 Abs. 1 und Abs. 4 dritter Satz erforderlich bzw. zulässig ist. Wird eine Anordnung mit gerichtlicher Bewilligung erteilt oder wird die körperliche Untersuchung bei Gefahr im Verzuge auf bloße Anordnung der Staatsanwaltschaft vorgenommen, so sind Zwangsmaßnahmen im Sinne des § 93 StPO zulässig. Eine solche Zwangsmaßnahme wird in erster Linie darin bestehen, den Betroffenen einem Arzt vorzuführen, der die Blutabnahme unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes iSd Abs. 5 leg. cit. vornimmt. Inwieweit eine freiwillige Blutabnahme ohne Anordnung der Staatsanwaltschaft zulässig ist und das durch die (freiwillige) Blutabnahme gewonnene Untersuchungsergebnis im Strafverfahren Verwendung finden darf, wird vom BMJ wie folgt erläutert: „Da es sich bei einer Blutabnahme grundsätzlich um einen geringfügigen Eingriff handelt, der einwilligungsfähig ist, kann eine „freiwillige Untersuchung“ unter den im Abs. 4 leg. cit. angeführten Voraussetzungen (Aufklärung) durch einen Arzt jederzeit vorgenommen werden, wenn der Beschuldigte zustimmt. An die Einwilligung zur körperlichen Untersuchung sind die allgemeinen Anforderungen zu stellen. Da es sich um einen Akt der Selbstbestimmung handelt, muss der Einwilligende die Tragweite seiner Entscheidung voll überblicken und somit über die mit der körperlichen Untersuchung einher gehenden Risiken Bescheid wissen. Die Einwilligung muss frei von Willensmängeln (Zwang, Furcht, Irrtum) sein (vgl. Birklbauer, WK-StPO § 123 Rz 32). § 123 Abs. 6 StPO trifft Verwendungsbeschränkungen hinsichtlich der Ergebnisse einer nach strafprozessualen Vorschriften durchgeführten körperlichen Untersuchung. Voraussetzung für deren Verwendung in einem Strafverfahren ist, dass die inhaltlichen Voraussetzungen für eine Untersuchung (§ 123 Abs. 1, 2 und 4) vorgelegen sind und die Untersuchung auch formell rechtmäßig (§ 123 Abs. 3) angeordnet wurde. Überdies muss die Verwendung zum Nachweis einer Straftat, derentwegen die körperliche Untersuchung angeordnet wurde oder hätte angeordnet werden können, dienen. Dies gilt gleichermaßen für Zufallsfunde. Entsteht z.B. bei der Untersuchung einer im Zuge eines Sexualdelikts zwangsweise abgenommenen Blutprobe der Verdacht auf Suchtmittelkonsum, darf dieses Ergebnis nicht zur Verfolgung wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften (§ 27 SMG) verwendet werden, weil für solche strafbare Handlungen keine Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren angedroht ist (vgl. Birklbauer, WK-StPO § 123 Rz 54). -4- Gemäß § 123 Abs. 7 StPO dürfen Ergebnisse einer Untersuchung, die aus nichtstrafprozessualen Gründen (etwa im Rahmen einer medizinischen Versorgung oder nach den Vorschriften des SPG bzw. der StVO) durchgeführt wurden nur als Beweismittel verwendet werden, wenn dies zum Nachweis einer Straftat, derentwegen die körperliche Untersuchung angeordnet werden hätte können, erforderlich ist. Bei einer freiwilligen Blutabnahme sind keine Beweisverbote der StPO berührt. Es scheint jedoch sinnvoll im Zuge der ohnehin notwendigen Aufklärung über die möglichen Folgen den Beschuldigten auch über diesen Umstand (Bestandteil des Berichtes und somit später auch Aktenbestandteil) zu informieren.“ Die Landespolizeidirektionen werden eingeladen, gewonnene Erfahrungen in der Anwendung der zitierten Bestimmungen im Rahmen der eingerichteten StPOGesprächsplattformen zu thematisieren und dem BM.I über die Ergebnisse zu berichten. Für die Bundesministerin: GenMjr Robert Strondl elektronisch gefertigt -5-