Thomas Rau, Architekt Terrorist von innen heraus Thomas Rau gehört zu den glühendsten Verfechtern einer nachhaltigen Architektur. Und doch hat das, was im Amsterdamer Büro des deutschen Architekten entsteht, nur wenig mit dem zu tun, was gemeinhin als nachhaltig angepriesen wird. Für Rau und sein Team ist Nachhaltigkeit eine Frage der inneren Haltung, denn es geht nicht einfach darum, Energie zu sparen, sondern mit den vorhandenen Ressourcen und der Umwelt verantwortungsvoll umzugehen. Architektur und Ideologie – wie geht das zusammen? Kann Architektur die Welt verändern? Und wie sieht eine solche Welt aus? TALIS hat den Pionier des klimaneutralen Bauens besucht und einige verblüffende Antworten auf die Frage nach der Zukunft des Architektenberufs erhalten. Herr Rau, wir leben in einer auf Verbrauch und Konsum ausgerichteten Gesellschaft. Kann Architektur besser sein als die Welt, die sie umgibt? Thomas Rau: Ja, weil Architektur nicht nur auf die gegenwärtigen Bedürfnisse reagiert, sondern auch immer zukünftige Bedürfnisse vorwegnimmt. Architektur reagiert also nicht nur auf das Bestehende, sondern auch auf das noch Kommende. Die zentrale Frage der Architektur ist ja nicht, Steine stapeln, sondern das Menschenbild, das ihr zugrunde liegt. Wir sind nicht nur physische, sondern auch spirituelle Wesen, und wenn Spiritualität mit einfließt in die Architektur – was sie meiner Meinung nach muss –, dann kann sie immer besser sein als die Welt, die sie umgibt. Welche Zukunft hat das Cradle-to-CradlePrinzip, auf dem Ihre Architektur basiert, tatsächlich? Wie langfristig kann es umgesetzt werden? 66 PORTRAIT Thomas Rau: Cradle to Cradle ist ja zunächst einmal eine Philosophie. Alles, was wir haben, ist endlich, und alles, was endlich ist, kann man nicht einfach wegschmeißen. Wir müssen unsere Produktions- und Werkprozesse daher so einrichten, dass wir alles, was wir benötigen, um beispielsweise ein Gebäude zu errichten, wieder auseinandernehmen können, damit uns später, wenn wir das Gebäude nicht mehr brauchen, die Grundstoffe wieder neu zur Verfügung stehen. Alle Leute sagen, wir hätten ein Energieproblem. Das ist Unsinn! In Wirklichkeit haben wir Energie satt! Das eigentliche Problem besteht darin, dass wir unser Energiebedürfnis mit endlichen Rohstoffen bedienen. In unserem Büro sind wir jetzt so weit, dass wir nur noch energiepositive Gebäude konzipieren, die also mehr Energie erzeugen, als für Raumklima und Nutzung erforderlich sind. Die Energiefrage ist damit für uns gelöst. Die eigentliche Frage, die auf uns zukommt, sind die Rohstoffe. Rohstoffe sind endlich, das heißt, wir müssen uns stärker mit Rohstoffmanagement beschäftigen. Welche Antworten haben Sie auf diese Frage gefunden? Thomas Rau: Wir haben mit der Frage des Rohstoffmanagements in unserem eigenen Büro angefangen. Ich habe die Firma Philips eingeladen und erklärt: „Liebe Leute, ich will 1.600 Stunden lang 300 Lux auf meinem Arbeitstisch haben. Ob ihr da eine Lampe für braucht oder ein Auto oder einen Schlafsack und ob da Milch, Gas, Wasser oder Whisky durchläuft, das interessiert mich nicht. Ich will nur Licht von euch haben. Und wenn ihr dafür Strom benötigt, okay, meinen Segen habt ihr.“ Da ist Philips erst mal ins Schwitzen gekommen. Und jetzt, wie Sie sehen, haben wir hier Lichtstunden. Ich habe auch keine Stromrechnung mehr. Philips liefert mir Licht. Alles, was Sie hier sehen, beruht auf diesem Prinzip: Wir haben Lichtstunden, Tafelstunden, Sitzstunden, Laufstunden, WCStunden, Durchsichtstunden, Fliesenstunden, Spiegelstunden … Und das ist die eigentliche Essenz von Cradle to Cradle – dass wir Renovierung und Erweiterung des Alliander-Firmensitzes in Duiven, Niederlande übergehen müssen vom ‚Verbrauchen‘ zum ‚Gebrauchen‘. Wir konsumieren in Zukunft also nicht mehr auf Eigentumsbasis, sondern auf Service-Basis. Welche Vorteile bringt das mit sich? Thomas Rau: Wenn Sie sich zum Beispiel einen Fernseher kaufen, dann hängen Sie sich eine wahre Giftbombe in Ihr Wohnzimmer. Und irgendwann müssen Sie die entsorgen – aber das können Sie gar nicht, denn Sie haben ja überhaupt keine Ahnung, was da alles drin steckt. Das kann eigentlich nur der Hersteller. Deswegen haben wir gesagt, wir müssen auch die Rohstoffpreise aus dem Ganzen herausdestillieren. Wenn man nämlich vom ‚Verbrauch‘ zum ‚Gebrauch‘ geht, zahlt der Kunde nur noch für die Dienstleistung und nicht mehr für die Rohstoffe. Und die Rohstoffe werden zwischenfinanziert, dafür haben wir eine neue Firma gegründet: Turntoo. Solange die Lampe hier hängt, übernimmt Turntoo die Finanzierung der Rohstoffe. Sobald der Vertrag beendet ist, geht die Lampe zurück zu Philips und Philips erstattet Turntoo die Zwischenfinanzierung wieder zurück. Das ist ein komplett neues Finanzierungsmodell für Rohstoffmanagement. Wie haben Sie Philips dazu gebracht, darauf einzugehen? Thomas Rau: Die haben mir einfach zugehört. Die Produzenten wissen ja viel besser als wir, dass die Rohstoffe immer teurer werden. Philips hat längst festgestellt, dass sie in zehn Jahren wahrscheinlich keine Lampen mehr verkaufen können, denn die sind wegen der Rohstoffpreise bis dahin unbezahlbar. Also haben sie sich gesagt: „Mensch, das ist ein Modell, mit dem wir sozusagen die Rohstoffe der Zukunft absichern können.“ Denn im Kreislauf von Turntoo ziehen wir die Rohstoffe aus dem spekulativen Welthandel heraus. Und zu meinem großen Erstaunen standen die Unternehmen busweise vor unserer Tür und haben gefragt: „Herr Rau, können wir Ihnen was liefern?“ Mittlerweile arbeitet Philips fast nur noch über Lichtstunden, für Büros, für Hotels, für Haustechnikzentralen. Das setzt einen auf eine ganz andere Denkschiene. Dahinter steckt ja eine ganzheitliche Philosophie. Braucht man für die Umsetzung eines solchen Konzepts nicht auch Unterstützung aus der Politik? Betreiben Sie Lobbying? Thomas Rau: Nein, ich will auch gar keinen überzeugen. Ich mache ein Angebot, und wenn jemand das interessant findet, kann er vorbeikommen. Wir brauchen für dieses Modell keine Politik, wir brauchen einfach nur neue Spielregeln. Wir produzieren weiter, aber anders. Wir konsumieren, aber nicht auf Eigentumsbasis, sondern PerformanceBasis. Wir finanzieren anders, aber dafür brauchen wir die Politik nicht. Die Entwicklung kommt jetzt von unten. Die Entwicklung kommt von Kleinunternehmern, von Leuten, die eine gute Idee haben, Leuten, die bereit sind, neue Fehler zu machen. Wir müssen neue Fehler machen, die alten Fehler kennen wir ja alle. Aber die Frage ist: Wie können wir in einer verantwortlichen Art und Weise neue Fehler machen? Viele Großprojekte entstehen ja aus einem gewissen Repräsentationsbedürfnis, zum Beispiel die gigantischen Bauten in Dubai. Passt Ihr Nachhaltigkeitskonzept auch für solche Projekte oder sind die davon ausgeschlossen? Thomas Rau: Was bedeutet denn Nachhaltigkeit? Das heißt nicht, dass wir nur einen Planeten haben oder fünf Planeten bräuchten. Nachhaltigkeit heißt, welche Haltung wir einnehmen gegenüber alldem, was unser Sein hier überhaupt möglich macht. Sie haben sich jetzt die Mühe gemacht und sind nach Amsterdam gekommen. Wenn ich sage: „Mensch, lassen Sie uns in 80 Jahren noch einmal treffen“, dann werden Sie sagen: „Tja, Herr Rau, tut mir leid, aber da kann ich nicht.“ Und ich kann dann auch nicht, weil wir dann beide tot sind. Und das müssen wir einfach realisieren, dass unser Sein hier zeitlich begrenzt ist und all das, was unser Sein hier möglich macht, nicht von uns ist. Und alles, was nicht von uns ist, dafür müssen wir sorgen. Diese nachhaltigen Kondome, die wir überall haben, diese ganzen Zertifikate, die wir überall kriegen, das ist alles Unsinn. Das gibt es ja nur, weil wir nicht bereit sind, an unserer Haltung zu arbeiten. Und weil es überall irgendwelche Exzesse gibt. Sie haben da ja schon Beispiele genannt. Das sind einfach architektonische Exzesse, die überhaupt keinen Beitrag leisten zur Menschheitsentwicklung. Das „de St@art“-Gebäude, Büro und Bildungszentrum der Apenheul-Stiftung (Apenheul = „Affenhügel“), in Apeldoorn, Niederlande 68 PORTRAIT Sie realisieren bislang fast ausschließlich öffentliche Bauten. Aber kaum ein Konzern gestaltet seinen neuen Unternehmenssitz nach dieser neuen Architektur. Ist das symptomatisch? Thomas Rau: Das stimmt nicht ganz. Wir machen jetzt die Hauptgeschäftsstelle von Alliander, das ist ein großer holländischer Energiekonzern. So langsam ist unser Ruf nämlich bis in die Vorstandsetagen durchgedrungen. Nur müssen die sich dort dann im Klaren sein, dass wir keine halben Sachen machen, also nicht ein bisschen ‚Greenwashing‘ und zum guten Schluss noch eine Wärmekraftkoppelung in den Keller hängen, sondern einen fundamental anders organisierten Entwurfsprozess. Wir haben mit öffentlichen Gebäuden angefangen, weil ich in Deutschland studiert habe, und als ich nach Holland kam, kannte ich ja niemanden. Ich habe mich daher zuerst auf die europäischen Ausschreibungen gestützt, auf öffentliche Gebäude. In den letzten drei, vier Jahren hat sich das aber total geändert. Wir haben jetzt ganz viele private Bauherren. Als ich vor 18 Jahren angefangen habe, haben mich alle ausgelacht. Die haben gesagt: „Ist ja ganz nett, was der da macht, aber wir machen hier die richtige Architektur.“ Mittlerweile ist die Nische von früher der Markt von heute geworden. Und jetzt verabschieden wir uns vom heutigen Markt und gehen in eine neue Nische hinein. Und diese neue Nische ist eben Architektur in Kombination mit Rohstoffmanagement. Sie sagen, Sie arbeiten auch für private Bauherren. Ist Ihr Konzept für den privaten Sektor überhaupt realisierbar? In eine wiederverwertbare Mauer darf man doch sicher keine Dübellöcher bohren, oder? Thomas Rau: Jedes Produkt oder Produktsegment fragt natürlich nach einer anderen Nutzung. Und der normalen Nutzung einer Wand entspricht ja, dass ich etwas daran aufhänge, also dass ich da ein Loch hineinbohre. Solange ich mich also so verhalte, dass die Dienstleistung dessen, was ich mir zeitweise angeschafft habe, nicht beeinträchtigt wird, gibt es überhaupt kein Problem. Das bedeutet aber in letzter Konsequenz Schluss mit dem Traum von den „eigenen vier Wänden“ … Thomas Rau: Wissen Sie, wir kommen mit nichts und wir gehen mit nichts. Und dazwischen fangen wir an, plötzlich allerhand Dinge anzuhäufen. Der Punkt ist ja – deswegen haben wir auch diese Exzesse –, dass wir meinen, unsere Identität definieren zu müssen über die Dinge, die wir besitzen. Aber wenn ich die Eigentumsfrage abschaffe und nur noch auf die Performanceebene gehe, dann kann ich meine Identität nicht mehr über das Eigentum definieren. Es geht also letztlich um die Menschenbildfrage, es geht um zeitlose Werte, die immer wieder eine andere Erscheinungsform haben. Architektur ist dabei für mich ein Vehikel. Ich habe immer gesagt: Ich will Terrorist werden von innen heraus – die Gesellschaft von innen heraus mit positiven Beiträgen verändern. Und Architektur ist für mich da ein fantastisches Instrument, weil sie eben einen sehr großen gesellschaftlichen Einfluss hat. So ein Gebäude steht ja dann auch 50 Jahre. Das sollte man nicht unterschätzen. Nun kommen wir, wie Sie sagen, mit nichts auf die Welt und gehen auch mit nichts. Aber wir finden dort etwas vor – zum Beispiel Architektur, die schon existiert. Wie soll nach Ihrem Konzept mit dieser Architektur umgegangen werden? Thomas Rau: Es gibt verschiedene Typen von Altbauten – manche kann man renovieren, manche revitalisieren. Die meisten müssen wir eigentlich reinkarnieren. Nicht jedes Gebäude ist es wert, gerettet zu werden. Und wenn man es nicht retten kann, muss man sich Gedanken darüber machen, wie man die Rohstoffe da herausholen und optimal nutzen kann. Dann gibt es andere Gebäude, die eine wahnsinnig gute Qualität haben, die heute unbezahlbar wäre. Ich denke da zum Beispiel an die Geschosshöhe. Der Gesetzgeber schreibt ja bestimmte Geschosshöhen vor, was ein riesiges Problem ist. Das ganze Baugesetzbuch ist ein riesiges Problem. Es verpflichtet uns eigentlich, schlecht zu bauen. Wir hatten mal eine Zeit, in der das noch nicht so war – und schauen Sie sich dieses Büro hier an. Das ist ja ursprünglich nicht als Architekturbüro entworfen worden. Das Gebäude war zuerst ein Passagierterminal für Schiffe, die nach Amerika fuhren. Dann war es ein Lagerhaus und jetzt haben sie hier oben 60 Künstlerateliers, unten sind Läden, hier ist ein Architekturbüro und in 50 Jahren ist hier vielleicht wieder etwas ganz anderes drin. Das ist nur der Geschosshöhe zu verdanken. Das Terminal war ja nicht ausgelegt für eine Umnutzung. Wenn Sie neue Gebäude planen, antizipieren Sie dann, dass sie später einmal für etwas anderes genutzt werden? Thomas Rau: Wir haben eine Hauptgeschäftsstelle für eine Bank realisiert, die man auch umnutzen kann. Dafür haben wir zwei Entwürfe gemacht: einmal ein Gebäude mit 16 Christiaan Huygens College, erstes energiepositives Schulgebäude, Eindhoven, Niederlande Appartements und einmal ein Bankgebäude, sodass die Hauptinfrastruktur – Treppenhäuser, Fluchtwege usw. – so im Gebäude angelegt ist, dass, wenn man da eines Tages nicht mehr Bank spielen will, in null Komma nichts 16 Appartements daraus gemacht werden können. Man muss also immer eine andere Nutzung mitdenken. Wenn man die Nutzung nicht mitdenken kann, sollte man eine Geschosshöhe wählen, die viele verschiedene Nutzungen ermöglicht. Wenn ich auf eine lichte Höhe von 2,50 Meter oder 2,60 Meter gehe, ist vollkommen klar, dass ich da nichts anderes mehr machen kann – vielleicht noch einen Kindergarten, aber dann ist Schluss. Sie verwenden viele unterschiedliche Methoden, um Ihre Bauten nicht nur CO2-neutral, sondern CO2-positiv zu machen. Woher kriegen Sie diese ganzen Ideen? Haben Sie einen Entwicklerstab, der Tag und Nacht nur nach neuen Methoden Ausschau hält? 70 PORTRAIT Thomas Rau: Sie können niemals von jemandem etwas als Output erwarten, das da nicht als Input hineingegangen ist. Ich versuche den Leuten beizubringen, anders zu denken. Es geht darum, neue Fehler in den Griff zu bekommen, und nicht darum, alte Fehler zu wiederholen. Das ist die Grundvoraussetzung. Eine weitere Voraussetzung ist, dass wir die Ideen der Fachberater ernst nehmen. Jeder, der einen Gedanken hatte, der dazu beigetragen hat, dass das Gebäude zustande gekommen ist, ist sozusagen auch Architekt. Dadurch bekommen wir ganz tolle Ideen. Wir haben aber auch eine eigene Produktentwicklung. Zum Beispiel haben wir einen Sonnenschutz entwickelt, der von unten nach oben geht, anstelle von oben nach unten. Sie können 60 Prozent Energie sparen, wenn Sie die Dinger in die andere Richtung laufen lassen. Darüber hat vorher noch nie jemand nachgedacht. Wir haben aber niemanden gefunden, der sie für uns bauen wollte. Die Antwort lautete immer: „Wir haben hier die Regale vollliegen, wir fangen doch nicht an, unser eigenes Konkurrenzprodukt zu bauen.“ So haben wir uns an Behindertenwerkstätten gewandt. Wir hinterfragen einfach die Dinge und nehmen uns auch in jedem Projekt die Freiheit, ungefähr zehn Prozent neu zu bedenken. Auf diese Weise wird theoretisch nach zehn Projekten die ganze Palette erneuert. Und der letzte Punkt ist die Honorarfrage. Die Honorartafeln entsprechen ja eigentlich einer Prostitutionstabelle: Je mehr ich verpulvere, desto mehr kriege ich dafür. Aber darum kann es nicht gehen. Der Beitrag des Architekten ist doch nicht deswegen größer, weil das Gebäude größer geworden ist. Der Beitrag des Haustechnikers ist doch nicht besser, weil er noch mehr überflüssige Haustechnik in das Gebäude projektiert. Auf Performanceebene bezahlen ist der eigentliche Schlüssel. Mit dem gegenwärtigen Architekturstudium ist ein solches Umdenken ja nur schwer zu realisieren. Wie müsste das Studium denn aussehen, damit die Architektur künftig in diese Richtung geht? Thomas Rau: Man sollte die Architekturstudenten verpflichten, in den ersten drei Jahren keine Architektur zu studieren, sondern Tanz, Bildhauerei, Malerei, Philosophie, ein Musikinstrument: also eigentlich ein Studium generale. Ein künstlerischer Prozess ist ja immer ein Prozess, von dem ich nicht weiß, wie er enden wird. Wenn ich weiß, wie er enden wird, ist es kein künstlerischer Prozess mehr. Es ist immer ein offener Prozess. Und das ist genau das, was wir nicht lernen auf der Universität. Man muss lernen auszuhalten, dass man sich mit etwas beschäftigt, von dem man nicht weiß, wie es ausgeht. Wie können junge Architekten, die dieses Handwerkszeug auf der Uni nicht mitbekommen haben, jetzt noch die Kurve kriegen? Thomas Rau: Jeder sollte selbst entscheiden, was er eigentlich lernen will und wo er sich das holen kann. Ich habe zwei Jahre in Aachen studiert. Dann habe ich gesagt: „Alles totaler Quatsch. Was ich hier lerne, finde ich gar nicht wichtig.“ Dann bin ich auf die Kunsthochschule gegangen und habe gesagt: „Ist ja alles wunderbar, aber das will ich auch nicht. Was ich will, ist beides zusammen: das Technische/Ökonomische und das Künstlerische, weil wir nur in einem künstlerischen Prozess die Ökonomie ökologisieren können.“ Und dann hat mich der Direktor der Kunsthochschule angesprochen und meinte: „Hör mal zu, Thomas, schreib doch deinen eigenen Studienplan, dann organisiere ich dir eine Klasse, wo du das studieren kannst.“ Und dann habe ich im Sommer 1984/85 meinen eigenen Studienplan geschrieben und mein eigenes Studium studiert: Jeden Tag zwei Stunden tanzen, zwei Stunden Bildhauerei, jeden Tag eine Stunde Musik, künstlerisch arbeiten und parallel dazu in Aachen studieren. Ich hatte dann ein Diplom, war aber nicht staatlich anerkannt, denn ich hatte ja mein ei- genes Ding gemacht. Schließlich bin ich nach Holland gegangen. In den ersten zehn Jahren waren alle im Büro Architekt außer mir, denn ich hatte ja kein staatlich anerkanntes Diplom. Aber das war hier kein Problem. Es ist wichtig, dass man sich fragt: „Warum bin ich hier? Was will ich eigentlich?“ Jeder sollte sich seinen eigenen Rucksack packen, statt in irgendeinen Fast-Food-Laden zu gehen und sich so ein komplettes Menü servieren zu lassen. Gibt es noch etwas, das Sie Berufsanfängern mit auf den Weg geben würden? Thomas Rau: Die beste Therapie ist, sich viel mit Kunst zu beschäftigen. Das ist die Essenz, worum es meiner Meinung nach im Denken geht. Und das kann man nicht oft genug und lange üben. Ich würde niemandem empfehlen auf die Schule zu gehen, auf der ich war, aber selbst würde ich es immer wieder tun. Das muss man wirklich für sich selbst entscheiden. Man kann sich eigentlich nicht früh genug damit beschäftigen, was man vorhat im Leben bzw. wer man eigentlich werden möchte. (iw) ■