Neubau | Objekte & Konzepte Und um die lange Einführung endlich auf den Punkt zu bringen: Familie Fisch bezog vor wenigen Monaten ihr neues Einfamilienhaus, dessen edle Hülle zwar aus der kreativen Feder eines angesehenen und erfolgreichen Architekturbüros stammt, das aber unverkennbar auch die Handschrift des energetisch versierten Ingenieurs und Bauherrn trägt. Heraus kam bei der engen und konstruktiven Zusammenarbeit zwischen dem Architekturbüro Berschneider + Berschneider, Pilsach, und der Ingenieurgesellschaft EGS-plan ein integrales Gebäudekonzept, das in einem Netto-Plusenergie-Gebäude mündet, dessen Zielgröße eine positive Jahresbilanz aus benötigter und erzeugter Primärenergie ist. Nicht die Einspeisung von solar erzeugtem Stom, sondern eine möglichst hohe Eigenstromnutzung durch intelligentes Lastmanagement in Kombination mit Elektrofahrzeugen werden bei dem zukunftsweisenden Projekt verfolgt. Wohnen im Kraftwerk Der Energiedesigner Dr. M. Norbert Fisch bezog mit seiner Familie vor wenigen Monaten sein neues Wohnhaus in Leonberg unweit von Stuttgart. Hinter der ansprechenden Architektur des hoch wärmegedämmten Gebäudes versteckt sich ein durchdachtes, regenerativ ausgerichtetes Energiekonzept mit intelligenter Gebäudeleittechnik, das in der Jahresbilanz einen Stromüberschuss produziert. Die enge und innovative Zusammenarbeit zwischen Architekt und dem Ingenieurbüro EGS-plan trug Früchte, die für künftige Bauaufgaben wegweisend sein können. Das NettoPlusenergieGebäude steht auf einem Hanggrundstück im schwäbischen LeonbergWarmbronn 42 GEB 05|2011 Wenn Architekten und Ingenieure für sich selber bauen, kommt dabei nicht zwingend ein großer Wurf heraus. Die Verführung ist groß, über das Ziel hinaus zu schießen – schon immer predigten Baumeister gerne Wasser, tranken selbst aber (zu viel) Wein. Das Gegenteil kann aber auch der Fall sein, getreu dem Sprichwort: „Der Schuster trägt die schlechtesten Schuhe“. Nicht jedem gelingt es, das selbst auferlegte Qualitätsniveau an Entwurf, Technik und Ausführung beim eigenen Wohnhaus umzusetzen. Es gibt einige negative, aber auch viele positive Beispiele, zu was ein von Bauherren entfesselter Planer fähig ist. Der studierte Maschinenbauer M. Norbert Fisch ist zwar kein Architekt, aber in der Branche der schwarz gekleideten Gebäudemacher wahrlich kein Unbekannter. Sein Fachwissen und seine wissenschaftlichen Verdienste im Bereich der Energie-, Gebäude- und Solartechnik sind über die Landesgrenzen hinaus bekannt und gefragt, die Dienstleistungen seiner Ingenieurbüros in Stuttgart, Braunschweig und Shanghai werden von Auftraggebern rund um die Welt rege in Anspruch genommen. Der promovierte Diplom-Ingenieur genießt einen Ruf als visionärer „Energiedesigner“, er ist Direktor des Instituts für Gebäude- und Solartechnik im Department Architektur an der Technischen Universität Braunschweig und Begründer des ebenfalls in Stuttgart ansässigen Steinbeis-Transferzentrums. Viel Solarstrom ernten Die durchdachte Zonierung des Gebäudes mit den konsequent nach Süden ausgerichteten Wohnbereichen sowie die hoch wärmegedämmte Gebäudehülle sorgen für optimale solare Wärmegewinne, was den verbleibenden Wärmebedarf maßgeblich verringert. Der Schlüssel für das stimmige Energiedesign des Wohnhauses ist das nahtlose Zusammenspiel von Architektur und Technik: Die Ausrichtung und Gebäudeform einerseits sowie die hochwertige und luftdichte Gebäudehülle mit niedrigen Wärmedurchgangskoeffizienten andererseits ergänzen sich in Kombination mit der innovativen Gebäudetechnik w w w.geb - i n f o.d e Alle Fotos: EGS-plan Netto-Plusenergie-Gebäude als Smart-Grid-Komponente Hanglage mit Südblick Knapp 900 m2 misst das Hanggrundstück in dem Baugebiet in Leonberg-Warmbronn, auf dem das zweigeschossige Wohnhaus mit herrlichem Südblick steht. Leicht in den Hang eingegraben, nimmt man die 210 m2 umfassende Wohnfläche kaum wahr, die sich in der schlichten, mit einem Pultdach gekrönten Kubatur intelligent verteilt. Weite Teile des Untergeschosses sind von Erdreich umschlossen, nur zur Hangseite finden sich geschosshohe Fensterelemente, um die beiden Räume der Kinder und das Gästezimmer mit genügend Tageslicht zu versorgen. Den Zugang zum Haus erklimmt man entweder über eine in den Hang integrierte Steintreppe oder intern über die Garage. Die zur Südseite ausgerichtete Panoramaverglasung im Obergeschoss erlaubt von Küche,Wohn- und Essbereich einen faszinierenden Ausblick ins Tal. Innenund Außenraum scheinen beim Austritt auf den vorgelagerten Balkon zu verschmelzen, die rahmenlosen Glasschiebetüren bewahren diesen Eindruck selbst in geschlossenem Zustand. Geschlafen wird zur Westseite, weshalb die kitzelnde Morgensonne dem Ehepaar Fisch erst am Frühstückstisch in der Küche begegnen kann. Ein letzter Treppenlauf führt schließlich zu dem offen gestalteten Arbeits- und Bürobereich unter dem Pultdach, blendfrei nach Norden ausgerichtet. Grundrisse EG (unten) und OG (oben), M 1:300 1 2 3 4 5 6 Wohnen / Essen Küche Schlafen Bad WC Hauswirtschaftsraum 7 8 9 10 11 12 Terrasse Kind Gast Eingang Keller Garage GEB 05| 2011 43 Objekte & Konzepte | Neubau zu einem durchdachten Konzept für ein Netto-Plusenergie-Gebäude. Neben der regenerativen Energieerzeugung spielt die hohe solare Eigenstromnutzung eine entscheidende Rolle bei dem Projekt, nicht zuletzt um das öffentliche Stromnetz möglichst wenig zu belasten beziehungsweise in Anspruch zu nehmen. Abnehmer des Photovoltaikstroms sind die Geräte im Gebäude sowie die eigens dafür angeschafften Elektromobile: ein Auto und ein Roller. Den ständigen Wechsel von Stromüberschuss zu Strombedarf regeln eine entsprechend abgestimmte Gebäudetechnik, ein Batteriepuffer und ein intelligentes Stromlast-Management. Die auf dem Pultdach installierte PV-Anlage erreicht eine Spitzenleistung 15 kWp, was rechnerisch einen jährlichen Stromertrag von 13.500 bis 14.500 kWh verspricht. Bezogen auf die Wohnfläche entspricht dies rund 60 kWh/a. Für den elektrischen Bedarf der Wärmepumpe (Deckung der Heizenergie) sind jährlich 15 kWh/m2 Wohnfläche veranschlagt, die Haushaltsgeräte und die Neubau Beleuchtung benötigen übers Jahr 25 kWh/m2. Somit verbleibt am Jahresende mit 20 kWh/m2 Wohnfläche eine positive Bilanz bei der Solarernte. Erdsonden als Wärmequelle Das Heizsystem des Netto-Plusenergie-Gebäudes speist sich aus einer elektrischen Wärmepumpe, die als Wärmequelle drei vertikale Erdsonden nutzt, die jeweils 100 m tief ins Erdreich gebohrt wurden. Die weiteren Komponenten sind ein Heizwasser-Pufferspeicher mit Trinkwasser-Durchflussstation sowie Heizungs- und Kühlwasserkreise, Regelkreise für die Fußbodenheizung und Handtuchheizkörper. In den einzelnen Etagen sind hydraulisch nachgeschaltet die Zonenventile der Fußbodenheizung installiert. Die Wärmepumpe und die Verbraucherkreise werden vom MSR-Schaltschrank in der Technikzentrale im Kellergeschoss gesteuert und geregelt. Die Wärmepumpe wird autark über die systemeigene Regelung betrieben. Die übergeordnete Regelungsebene (Tempera- i INFO Projektdaten BauherrUniv. Prof. Dr.-Ing. M. N. Fisch, Karin Fisch Architekt und Berschneider + Berschneider InnenarchitektArchitekten, Pilsach/Neumarkt BauleitungIngenieurbüro Walter Munz, Leonberg Gebäudehülle und -technik, TGA EGS-plan und Energydesign, Stuttgart TragwerksplanungPlanungsgruppe Kuhn, Sindelfingen Schema Energiekonzept bei Tag Energiedesign Univ. Prof. Dr.-Ing. M. N. Fisch Monitoring, Betriebsoptimierung Institut für Gebäude- und Solartechnik (IGS), TU Braunschweig Planungszeit Oktober 2008 bis September 2009 BauzeitSeptember 2009 bis September 2010 Flächen Grundstück: 877 m2 Bruttogeschossfläche: 595 m2 Nutzfläche gesamt: 421 m2 Lüftungsanlage und Erdreichwärmetauscher Um die Lüftungswärmeverluste so weit als möglich zu reduzieren, wird das gesamte Wohnhaus mechanisch be- und entlüftet. Dazu ist ein kompaktes Lüftungsgerät mit Kreuzstromwärmetauscher und Filtereinheiten in der Technikzentrale installiert, das die Wohn- und Schlafräume mit frischer Außenluft versorgt. Gleichzeitig wird die Abluft zur Wärmerückgewinnung aus Nebenräumen, Küche, Bad und WC abgesaugt. Bevor die frische Außenluft in das Gebäude gelangt, wird sie über einen Erdreichwärmetauscher (Luftkollektor) vorkonditioniert – im Winter werden frostfreie 3 °C erreicht, im Sommer dagegen eine leichte Vorkühlung. Regenwasser im Tank Aufgrund der Lage des Grundstücks und der Geländeneigung wäre es nicht möglich gewesen, das Dachflächenwasser im Erdreich versickern zu lassen, ohne dabei nachteilige Veränderungen des Untergrundes in Kauf zu nehmen. Daher wurde zur dezentralen Retention und zur Einsparung von Trinkwasser ein 5000 Liter fassender Regenwassertank im Erdboden installiert. Über eine Hauswasserstation gelangt das gesammelte Regenwasser zu den Toiletten im Gebäude beziehungsweise zum Schlauchanschluss für die Gartenbewässerung. Schema Energiekonzept bei Nacht GEB 05|2011 w w w.geb - i n f o.d e Gebäudetypfrei stehendes Einfamilienhaus im Netto-Plusenergiestandard Bauweise 44 tur- und Energieleitmanagement) hat Schalteinflüsse auf den Betrieb der Wärmepumpe. Die Steuerung und Regelung erfolgt außentemperaturabhängig über eine DDC (Direct Digital Control) und deren Ein- und Ausgangsmodule. Der Pufferspeicher wird von der Wärmepumpe und/oder der thermischen Solaranlage beladen und ist in zwei thermische Zonen aufgeteilt. Der obere Bereich übernimmt indirekt die Trinkwassererwärmung. Über einen externen Plattenwärmetauscher wird das Kaltwasser im Durchfluss-Prinzip erwärmt. Der untere Bereich dient als hydraulische Weiche zwischen Wärmeerzeugung und Wärmeübergabe. Hier sind die Regelkreise für die Fußbodenheizung und die Handtuchheizkörper angebunden. Ein zusätzlich integrierter elektrischer Heizstab kann im Bedarfsfall jederzeit die notwendige Heizmitteltemperatur des Mediums sicherstellen. Die Ansteuerung erfolgt nur im Ausnahmefall durch die Regelungstechnik. Wohnen im Smart Grid Eine besondere Herausforderung bei zukunftsfähigen Energiekonzepten ist die Schnittstelle zwischen Gebäude und dem öffentlichen Stromnetz. Derzeit sind die Stromnetze nicht für Lastspitzen ausgelegt, die mit der Stromeinspeisung aus regenerativen Energien einhergehen. Speziell auf diesen Knackpunkt geht das Netto-Plusenergie-Gebäude der Familie Fisch durch das intelligente Stromlastmanagement besonders ein. Die regenerativ erzeugten Stromerträge werden in einer Batterieanlage gespeichert, was die Grundlage Massivbauweise, zwei Vollgeschosse und Dachgeschoss | Objekte & Konzepte Familie Fisch fährt mit selbst erzeugtem Solarstrom vom Hausdach – Elektroauto und ein Elektroroller speichern die überschüssige Energie und entlasten somit die öffentlichen Stromnetze an sonnigen Tagen. Die großen, rahmenlosen Panoramafenster im Wohnbereich erlauben ungestörte Ausblicke ins Tal und lassen Innen- und Außenraum nahtlos ineinander fließen. i INFO Gebäudedaten Wohnfläche [m2] 210 Baujahr 2009/2010 Wohneinheiten beheiztes Gebäudevolumen Ve [m3] 1 1321,7 Gebäudeluftdichtheit [n50]: ≤ 0,51 / h GEB 05| 2011 45 Objekte & Konzepte | Neubau für einen hohen Eigenstromnutzungsanteil schafft. Eine zusätzliche Pufferfunktion kommt den Batterien in den Elektromobilen zu, um nur ein möglichst geringes Maß an Stromüberschüssen ins Netz einspeisen zu müssen und dieses somit zu entlasten. Auf lange Sicht sollen das Netto-Plusenergie-Gebäude und vor allem die E-Mobilität als Komponenten eines ‚Smart Grid‘ funktionieren, indem man die Verbraucher im Gebäude und das Auto als Speicherkapazität nutzt und das Wohnhaus über eine Batterie versorgt, wenn gerade mal kein Solarstrom anfällt. Um herauszufinden, welche Synergieeffekte und Konflikte sich dabei einstellen können, ist das Gebäude mit entsprechender Mess- und Gebäudeleittechnik ausgerüstet. Für den ambitionierten Energiedesigner M. Norbert Fisch versteht es sich von selbst, beim eigenen Wohnhaus die Chance für ein aufschlussreiches Monitoring zu nutzen. Insofern steht sein Experiment eines selbst genutzten Netto-Plusenergie-Gebäudes unter einem guten Stern, um nicht zu sagen: „Dieser Schuster trägt die schönsten Schuhe“. Klaus Siegele Klare Formen, Materialharmonie und viel Licht auch im Eingangsbereich i i INFO Energiekenndaten Primärenergiebedarf [kWh/m2a] 34,4 (WW, Hzg., Kühlung, Hilfs- u. Haushaltsstrom) Jahresheizwärmebedarf [kWh/m2a] (WW, Heizung, Hilfsstrom) i 40,5 INFO Anlagenkonzept 1) Heizung, Warmwasser und Lüftung, Die Wärmeerzeugung erfolgt über eine Erdreichwärmepumpe. Der Trinkwarmwasserbedarf wird zum Teil durch eine thermische Solaranlage und zum Teil über die Wärmepumpe gedeckt. Das Gebäude ist mit einer Lüftungsanlage mit hocheffizienter Wärmerückgewinnung ausgestattet. 2) Ökologische Aspekte ■■ Die jährliche Energielieferung durch Solaranlagen (Photovoltaik und So- larthermie) ist größer als der Gesamtenergiebedarf (Raumheizung, Warmwasser, Beleuchtung, Lüftung, Haushaltsstrom etc.) des Gebäudes. ■■ Durch ein intelligentes Stromlast-Management und die Verwendung des Stromüberschuss für die private Elektromobilität wird ein hoher Eigenstrom- Nutzungsanteil erreicht. ■■ Die EnEV 2009 Anforderungen werden um mindestens 50 Prozent (KfWEffizienzhaus 55 Standard) unterschritten. 46 GEB 05|2011 INFO U-Werte der Gebäudehülle Außenwand [W/m2K] 0,15 - 20 cm Stahlbeton - 22 cm Dämmung (WLG 032) - 1,5 cm Putz Bodenplatte [W/m2K] 0,3 - 6,5 cm Heizestrich, gestrichen - 3 cm Tackerplatte für FBH - 11 cm Dämmung - Schweißdämmung - 20 cm STB-Bodenplatte Dach [W/m2K] 0,12 - PV-Element - Dacheindeckung aus Edelstahl (rollnahtverschweißt) - Unterspannbahn - 2,7 cm Rauspundschalung - 22 cm Mineralwolledämmung (WLG 035) zwischen Sparren 12/22 cm verlegt - Dampfsperre - 5 cm Dämmung (WLG 035) zwischen Lattung verlegt - 1,25 cm Gipsfaserplatte Verglasung: Auf der Südseite sind Sonnenschutzverglasungen mit einem Gesamtenergie-Durchlassgrad von 0,35 bis 0,5 eingebaut. In Kombination mit den beweglichen, außen liegenden Sonnenschutz-Lamellen wird eine sommerliche Überhitzung vermieden. Der Wärmedurchgangskoeffizient der Fenster erreicht einen Uw-Wert von 0,7 bis 0,8 W/(m2K).