Wohnen im Kraftwerk - Technische Universität Braunschweig

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Neubau
| Objekte & Konzepte
Und um die lange Einführung endlich auf den
Punkt zu bringen: Familie Fisch bezog vor wenigen Monaten ihr neues Einfamilienhaus, dessen edle
Hülle zwar aus der kreativen Feder eines angesehenen
und erfolgreichen Architekturbüros stammt, das aber
unverkennbar auch die Handschrift des energetisch
versierten Ingenieurs und Bauherrn trägt. Heraus
kam bei der engen und konstruktiven Zusammenarbeit zwischen dem Architekturbüro Berschneider +
Berschneider, Pilsach, und der Ingenieurgesellschaft
EGS-plan ein integrales Gebäudekonzept, das in einem
Netto-Plusenergie-Gebäude mündet, dessen Zielgröße eine positive Jahresbilanz aus benötigter und erzeugter Primärenergie ist. Nicht die Einspeisung von
solar erzeugtem Stom, sondern eine möglichst hohe
Eigenstromnutzung durch intelligentes Lastmanagement in Kombination mit Elektrofahrzeugen werden
bei dem zukunftsweisenden Projekt verfolgt.
Wohnen im Kraftwerk
Der Energiedesigner Dr. M. Norbert Fisch bezog mit seiner Familie vor wenigen Monaten sein neues
Wohnhaus in Leonberg unweit von Stuttgart. Hinter der ansprechenden Architektur des hoch wärmegedämmten Gebäudes versteckt sich ein durchdachtes, regenerativ ausgerichtetes Energiekonzept mit intelligenter Gebäudeleittechnik, das in der Jahresbilanz einen Stromüberschuss produziert. Die enge und
innovative Zusammenarbeit zwischen Architekt und dem Ingenieurbüro EGS-plan trug Früchte, die für
künftige Bauaufgaben wegweisend sein können.
Das NettoPlusenergieGebäude steht
auf einem Hanggrundstück im
schwäbischen
LeonbergWarmbronn
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Wenn Architekten und Ingenieure für sich selber
bauen, kommt dabei nicht zwingend ein großer Wurf
heraus. Die Verführung ist groß, über das Ziel hinaus
zu schießen – schon immer predigten Baumeister
gerne Wasser, tranken selbst aber (zu viel) Wein. Das
Gegenteil kann aber auch der Fall sein, getreu dem
Sprichwort: „Der Schuster trägt die schlechtesten
Schuhe“. Nicht jedem gelingt es, das selbst auferlegte
Qualitätsniveau an Entwurf, Technik und Ausführung
beim eigenen Wohnhaus umzusetzen. Es gibt einige
negative, aber auch viele positive Beispiele, zu was ein
von Bauherren entfesselter Planer fähig ist.
Der studierte Maschinenbauer M. Norbert Fisch
ist zwar kein Architekt, aber in der Branche der
schwarz gekleideten Gebäudemacher wahrlich kein
Unbekannter. Sein Fachwissen und seine wissenschaftlichen Verdienste im Bereich der Energie-, Gebäude- und Solartechnik sind über die Landesgrenzen hinaus bekannt und gefragt, die Dienstleistungen
seiner Ingenieurbüros in Stuttgart, Braunschweig und
Shanghai werden von Auftraggebern rund um die
Welt rege in Anspruch genommen. Der promovierte Diplom-Ingenieur genießt einen Ruf als visionärer „Energiedesigner“, er ist Direktor des Instituts für
Gebäude- und Solartechnik im Department Architektur an der Technischen Universität Braunschweig
und Begründer des ebenfalls in Stuttgart ansässigen
Steinbeis-Transferzentrums.
Viel Solarstrom ernten
Die durchdachte Zonierung des Gebäudes mit den
konsequent nach Süden ausgerichteten Wohnbereichen sowie die hoch wärmegedämmte Gebäudehülle sorgen für optimale solare Wärmegewinne,
was den verbleibenden Wärmebedarf maßgeblich
verringert. Der Schlüssel für das stimmige Energiedesign des Wohnhauses ist das nahtlose Zusammenspiel von Architektur und Technik: Die Ausrichtung
und Gebäudeform einerseits sowie die hochwertige
und luftdichte Gebäudehülle mit niedrigen Wärmedurchgangskoeffizienten andererseits ergänzen sich in
Kombination mit der innovativen Gebäudetechnik
w w w.geb - i n f o.d e Alle Fotos: EGS-plan
Netto-Plusenergie-Gebäude als Smart-Grid-Komponente
Hanglage mit Südblick
Knapp 900 m2 misst das Hanggrundstück in dem Baugebiet in Leonberg-Warmbronn, auf dem das zweigeschossige Wohnhaus mit herrlichem Südblick steht.
Leicht in den Hang eingegraben, nimmt man die
210 m2 umfassende Wohnfläche kaum wahr, die sich in
der schlichten, mit einem Pultdach gekrönten Kubatur intelligent verteilt. Weite Teile des Untergeschosses sind von Erdreich umschlossen, nur zur Hangseite
finden sich geschosshohe Fensterelemente, um die
beiden Räume der Kinder und das Gästezimmer mit
genügend Tageslicht zu versorgen. Den Zugang zum
Haus erklimmt man entweder über eine in den Hang
integrierte Steintreppe oder intern über die Garage.
Die zur Südseite ausgerichtete Panoramaverglasung
im Obergeschoss erlaubt von Küche,Wohn- und Essbereich einen faszinierenden Ausblick ins Tal. Innenund Außenraum scheinen beim Austritt auf den vorgelagerten Balkon zu verschmelzen, die rahmenlosen
Glasschiebetüren bewahren diesen Eindruck selbst in
geschlossenem Zustand. Geschlafen wird zur Westseite, weshalb die kitzelnde Morgensonne dem Ehepaar
Fisch erst am Frühstückstisch in der Küche begegnen
kann. Ein letzter Treppenlauf führt schließlich zu dem
offen gestalteten Arbeits- und Bürobereich unter dem
Pultdach, blendfrei nach Norden ausgerichtet.
Grundrisse EG (unten) und OG (oben), M 1:300
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2
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4
5
6
Wohnen / Essen
Küche
Schlafen
Bad
WC
Hauswirtschaftsraum
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11
12
Terrasse
Kind
Gast
Eingang
Keller
Garage
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zu einem durchdachten Konzept für ein Netto-Plusenergie-Gebäude.
Neben der regenerativen Energieerzeugung spielt
die hohe solare Eigenstromnutzung eine entscheidende Rolle bei dem Projekt, nicht zuletzt um das öffentliche Stromnetz möglichst wenig zu belasten beziehungsweise in Anspruch zu nehmen. Abnehmer des
Photovoltaikstroms sind die Geräte im Gebäude sowie
die eigens dafür angeschafften Elektromobile: ein Auto
und ein Roller. Den ständigen Wechsel von Stromüberschuss zu Strombedarf regeln eine entsprechend
abgestimmte Gebäudetechnik, ein Batteriepuffer und
ein intelligentes Stromlast-Management. Die auf dem
Pultdach installierte PV-Anlage erreicht eine Spitzenleistung 15 kWp, was rechnerisch einen jährlichen
Stromertrag von 13.500 bis 14.500 kWh verspricht.
Bezogen auf die Wohnfläche entspricht dies rund 60
kWh/a. Für den elektrischen Bedarf der Wärmepumpe
(Deckung der Heizenergie) sind jährlich 15 kWh/m2
Wohnfläche veranschlagt, die Haushaltsgeräte und die
Neubau
Beleuchtung benötigen übers Jahr 25 kWh/m2. Somit
verbleibt am Jahresende mit 20 kWh/m2 Wohnfläche
eine positive Bilanz bei der Solarernte.
Erdsonden als Wärmequelle
Das Heizsystem des Netto-Plusenergie-Gebäudes
speist sich aus einer elektrischen Wärmepumpe, die
als Wärmequelle drei vertikale Erdsonden nutzt, die
jeweils 100 m tief ins Erdreich gebohrt wurden. Die
weiteren Komponenten sind ein Heizwasser-Pufferspeicher mit Trinkwasser-Durchflussstation sowie
Heizungs- und Kühlwasserkreise, Regelkreise für die
Fußbodenheizung und Handtuchheizkörper. In den
einzelnen Etagen sind hydraulisch nachgeschaltet die
Zonenventile der Fußbodenheizung installiert. Die
Wärmepumpe und die Verbraucherkreise werden vom
MSR-Schaltschrank in der Technikzentrale im Kellergeschoss gesteuert und geregelt. Die Wärmepumpe
wird autark über die systemeigene Regelung betrieben. Die übergeordnete Regelungsebene (Tempera-
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INFO
Projektdaten
BauherrUniv. Prof. Dr.-Ing.
M. N. Fisch, Karin Fisch
Architekt und
Berschneider + Berschneider
InnenarchitektArchitekten, Pilsach/Neumarkt
BauleitungIngenieurbüro Walter Munz,
Leonberg
Gebäudehülle und
-technik, TGA
EGS-plan und Energydesign,
Stuttgart
TragwerksplanungPlanungsgruppe Kuhn,
Sindelfingen
Schema Energiekonzept bei Tag
Energiedesign
Univ. Prof. Dr.-Ing. M. N. Fisch
Monitoring,
Betriebsoptimierung
Institut für Gebäude- und
Solartechnik (IGS),
TU Braunschweig
Planungszeit
Oktober 2008 bis
September 2009
BauzeitSeptember 2009 bis
September 2010
Flächen
Grundstück: 877 m2
Bruttogeschossfläche: 595 m2
Nutzfläche gesamt: 421 m2
Lüftungsanlage und Erdreichwärmetauscher
Um die Lüftungswärmeverluste so weit als möglich
zu reduzieren, wird das gesamte Wohnhaus mechanisch be- und entlüftet. Dazu ist ein kompaktes
Lüftungsgerät mit Kreuzstromwärmetauscher und
Filtereinheiten in der Technikzentrale installiert, das
die Wohn- und Schlafräume mit frischer Außenluft versorgt. Gleichzeitig wird die Abluft zur Wärmerückgewinnung aus Nebenräumen, Küche, Bad
und WC abgesaugt. Bevor die frische Außenluft in
das Gebäude gelangt, wird sie über einen Erdreichwärmetauscher (Luftkollektor) vorkonditioniert –
im Winter werden frostfreie 3 °C erreicht, im Sommer dagegen eine leichte Vorkühlung.
Regenwasser im Tank
Aufgrund der Lage des Grundstücks und der Geländeneigung wäre es nicht möglich gewesen, das Dachflächenwasser im Erdreich versickern zu lassen, ohne
dabei nachteilige Veränderungen des Untergrundes
in Kauf zu nehmen. Daher wurde zur dezentralen
Retention und zur Einsparung von Trinkwasser ein
5000 Liter fassender Regenwassertank im Erdboden
installiert. Über eine Hauswasserstation gelangt das
gesammelte Regenwasser zu den Toiletten im Gebäude beziehungsweise zum Schlauchanschluss für die
Gartenbewässerung.
Schema Energiekonzept bei Nacht
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w w w.geb - i n f o.d e Gebäudetypfrei stehendes Einfamilienhaus im Netto-Plusenergiestandard
Bauweise
44 tur- und Energieleitmanagement) hat Schalteinflüsse
auf den Betrieb der Wärmepumpe. Die Steuerung und
Regelung erfolgt außentemperaturabhängig über eine
DDC (Direct Digital Control) und deren Ein- und
Ausgangsmodule.
Der Pufferspeicher wird von der Wärmepumpe
und/oder der thermischen Solaranlage beladen und ist
in zwei thermische Zonen aufgeteilt. Der obere Bereich übernimmt indirekt die Trinkwassererwärmung.
Über einen externen Plattenwärmetauscher wird das
Kaltwasser im Durchfluss-Prinzip erwärmt. Der untere Bereich dient als hydraulische Weiche zwischen
Wärmeerzeugung und Wärmeübergabe. Hier sind die
Regelkreise für die Fußbodenheizung und die Handtuchheizkörper angebunden. Ein zusätzlich integrierter elektrischer Heizstab kann im Bedarfsfall jederzeit
die notwendige Heizmitteltemperatur des Mediums
sicherstellen. Die Ansteuerung erfolgt nur im Ausnahmefall durch die Regelungstechnik.
Wohnen im Smart Grid
Eine besondere Herausforderung bei zukunftsfähigen
Energiekonzepten ist die Schnittstelle zwischen Gebäude und dem öffentlichen Stromnetz. Derzeit sind
die Stromnetze nicht für Lastspitzen ausgelegt, die
mit der Stromeinspeisung aus regenerativen Energien
einhergehen. Speziell auf diesen Knackpunkt geht das
Netto-Plusenergie-Gebäude der Familie Fisch durch
das intelligente Stromlastmanagement besonders ein.
Die regenerativ erzeugten Stromerträge werden in
einer Batterieanlage gespeichert, was die Grundlage
Massivbauweise,
zwei Vollgeschosse
und Dachgeschoss
| Objekte & Konzepte
Familie Fisch fährt mit selbst erzeugtem Solarstrom vom Hausdach – Elektroauto und ein Elektroroller speichern die überschüssige Energie und entlasten somit die öffentlichen Stromnetze an sonnigen Tagen.
Die großen, rahmenlosen Panoramafenster im Wohnbereich erlauben ungestörte Ausblicke ins Tal und lassen Innen- und Außenraum nahtlos ineinander fließen.
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INFO
Gebäudedaten
Wohnfläche [m2]
210
Baujahr 2009/2010
Wohneinheiten
beheiztes Gebäudevolumen Ve [m3]
1
1321,7
Gebäudeluftdichtheit [n50]:
≤ 0,51 / h
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für einen hohen Eigenstromnutzungsanteil schafft.
Eine zusätzliche Pufferfunktion kommt den Batterien
in den Elektromobilen zu, um nur ein möglichst geringes Maß an Stromüberschüssen ins Netz einspeisen
zu müssen und dieses somit zu entlasten.
Auf lange Sicht sollen das Netto-Plusenergie-Gebäude und vor allem die E-Mobilität als Komponenten eines ‚Smart Grid‘ funktionieren, indem man die
Verbraucher im Gebäude und das Auto als Speicherkapazität nutzt und das Wohnhaus über eine Batterie
versorgt, wenn gerade mal kein Solarstrom anfällt. Um
herauszufinden, welche Synergieeffekte und Konflikte sich dabei einstellen können, ist das Gebäude
mit entsprechender Mess- und Gebäudeleittechnik
ausgerüstet. Für den ambitionierten Energiedesigner
M. Norbert Fisch versteht es sich von selbst, beim eigenen Wohnhaus die Chance für ein aufschlussreiches
Monitoring zu nutzen. Insofern steht sein Experiment
eines selbst genutzten Netto-Plusenergie-Gebäudes
unter einem guten Stern, um nicht zu sagen: „Dieser
Schuster trägt die schönsten Schuhe“.
Klaus Siegele
Klare Formen, Materialharmonie und viel Licht auch im Eingangsbereich
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i
INFO
Energiekenndaten
Primärenergiebedarf [kWh/m2a]
34,4
(WW, Hzg., Kühlung, Hilfs- u. Haushaltsstrom)
Jahresheizwärmebedarf [kWh/m2a]
(WW, Heizung, Hilfsstrom)
i
40,5
INFO
Anlagenkonzept
1) Heizung, Warmwasser und Lüftung,
Die Wärmeerzeugung erfolgt über eine Erdreichwärmepumpe. Der Trinkwarmwasserbedarf wird zum Teil durch eine thermische Solaranlage und
zum Teil über die Wärmepumpe gedeckt. Das Gebäude ist mit einer Lüftungsanlage mit hocheffizienter Wärmerückgewinnung ausgestattet.
2) Ökologische Aspekte
■■ Die jährliche Energielieferung durch Solaranlagen (Photovoltaik und So-
larthermie) ist größer als der Gesamtenergiebedarf (Raumheizung, Warmwasser, Beleuchtung, Lüftung, Haushaltsstrom etc.) des Gebäudes.
■■ Durch ein intelligentes Stromlast-Management und die Verwendung des
Stromüberschuss für die private Elektromobilität wird ein hoher Eigenstrom- Nutzungsanteil erreicht.
■■ Die EnEV 2009 Anforderungen werden um mindestens 50 Prozent (KfWEffizienzhaus 55 Standard) unterschritten.
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INFO
U-Werte der Gebäudehülle
Außenwand [W/m2K]
0,15
- 20 cm Stahlbeton
- 22 cm Dämmung (WLG 032)
- 1,5 cm Putz
Bodenplatte [W/m2K]
0,3
- 6,5 cm Heizestrich, gestrichen
- 3 cm Tackerplatte für FBH
- 11 cm Dämmung
- Schweißdämmung
- 20 cm STB-Bodenplatte
Dach [W/m2K]
0,12
- PV-Element
- Dacheindeckung aus Edelstahl (rollnahtverschweißt)
- Unterspannbahn
- 2,7 cm Rauspundschalung
- 22 cm Mineralwolledämmung (WLG 035)
zwischen Sparren 12/22 cm verlegt
- Dampfsperre
- 5 cm Dämmung (WLG 035)
zwischen Lattung verlegt
- 1,25 cm Gipsfaserplatte
Verglasung:
Auf der Südseite sind Sonnenschutzverglasungen mit
einem Gesamtenergie-Durchlassgrad von 0,35 bis 0,5
eingebaut. In Kombination mit den beweglichen, außen
liegenden Sonnenschutz-Lamellen wird eine sommerliche Überhitzung vermieden.
Der Wärmedurchgangskoeffizient der Fenster erreicht
einen Uw-Wert von 0,7 bis 0,8 W/(m2K).
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