6. Vorlesung. Rechnen mit Matrizen. In dieser Vorlesung betrachten wir lineare Gleichungs System. Wir betrachten lineare Gleichungs Systeme wieder von zwei Gesichtspunkten her: dem angewandten Gesichtspunkt und dem formalen Gesichtspunkt. Unter dem angewandten Gesichtspunkt sucht man Algorithmen um Gleichungs Systeme zu lösen. Unter dem formalen Gesichtspunkt versucht man mit den Gleichungs Systemen selbst, als formalen Objekten, formal zu rechnen. Angewandter Gesichtspunkt: Gauss’scher Algorithmus. Sei ein lineares Gleichungs System (oder: ein System linearer Gleichungen) gegeben, wie etwa Beispiel. 1x +2y 2x +5y 1x +1y +3z +3z +8z =2 =3 =7 Gesucht sind Lösungstupel (x, y, z) = (a, b, c). Dies ist ein klassisches Problem der Lineare Algebra. Wir werden es gleich lösen. Zuvor aber zwei einfachere Beispiele, die zeigen sollen was man hier erwarten muss. Beispiele. Die beiden einfacheren Gleichungssystem sind: 1x +2y 0x +1y 0x +0y −1z +3z +1z =2 =5 =3 und 1x +2y 0x +0y 0x +0y −2z +0z +0z =2 =0 =0 Das linke Gleichungsystem ist in Dreiecksform. Man kann es durch einen einfachen Trick lösen: lese von unten nach oben. Dann ergibt sich Klaus Johannson, Lineare Algebra (L2/L5) 2 . Lineare Algebra (L2/L5) z=3 y =5−z =5−3=2 x = 2 − 2y + z = 2 − 4 + 3 = 1 Ergebnis. Man erhält ein einzige Lösungstupel (x, y, z) = (1, 2, 3). Beim rechten Gleichungs System liegen die Dinge anders. Hier ist im Grunde nur die erste Zeile der Gleichung relevant und wir erhalten. x = 2 − 2y + 2z y = beliebig z = beliebig Aber y, z haben nichts miteinander zu tun. So trennt man besser ”beliebig” durch zwei verschiedene Parameter y = s, z = t. Man erhält dann als Lösungstupel: (x, y, z) = (2 − 2s + 2t, s, t). Ganz egal was man nun für s und t einsetzt, erhält man immer ein echtes Lösungstupel. Z.B. s = 2, t = 3 liefert das Lösungstupel (x, y, z) = (4, 2, 3). Ergebnis: Im Gegensatz zum vorigen Beispiel erhält man statt eines einzigen Lösungstupels ein parametrisiertes Lösungstupel. Die beiden Möglichkeiten muss man nun immer im Kopf haben, wenn man allgemeine Gleichungs Systeme lösen will. Betrachten wir jetzt das eingangs gegeben Gleichungssystem. Solche allgemeine gegeben lineare Gleichungs Systeme löst man durch Gauss’sche Elimination: I II III 1x +2y 2x +5y 1x +0y +3z +3z +8z =2 =3 =7 I II III 1x +2y 0x +1y 0x −2y +3z −3z +5z = 2 = −1 = 5 III + 2II I II III 1x +2y 0x +1y 0x +0y +3z −3z −1z = 2 = −1 = 3 II − 2I III − I Ergebnis: z = −3 y = −1 + 3z = −1 − 9 = −10 x = 2 − 2y − 3z = 2 + 20 + 9 = 31 Klaus Johannson, Lineare Algebra (L2/L5) §6 Rechnen mit Matrizen. 3 Probe: I II III 1x +2y 2x +5y 1x +0y +3z +3z +8z = 1 · 31 = 2 · 31 = 1 · 31 +2 · (−10) +3 · (−3) = 2 +5 · (−10) +3 · (−3) = 3 0 · (−10) +8 · (−3) = 7 Verfahren. Wir verwandeln das Gleichungs System in mehreren Schritten. In jedem Schritt konzentriert man sich auf eine Spalte. Im ersten Schrit auf die erste Spalte, im zweiten Schritt auf die zweite Spalte usw. 1. Schritt. Um den 1. Schritt auszuführen, muss der Eingang in der Hauptdiagonale ungeich 0 sein. Dies kann man durch Zeilenvertauschungen erreichen. Es sei denn die 1. Spalte besteht aus 0, dann geht man zur nächsten Spalte über. Es sei a der Eingang in der Hauptdiagonale. Ist b der Eingang in der ersten Spalte und Zeile II, dann multipliziert man die 1. Zeile mit ab und addiert das Ergebnis zur Zeile II. Danach ist der erste Eingang von Zeile II gleich Null. Das gleiche Verfahren führt man für alle anderen Zeilen aus. Als Result sind alle Eingänge der ersten Spalte (abgesehen vom ersten Eingang) gleich 0. 2. Schritt. Im 2. Schritt streicht man Zeile I und die erste Spalte des Gleichungs Systems und wendet das obige Verfahren auf die resultierende Matrix an. Resultat. Nach endlich vielen solchen Schritten hat man ein Gleichungs System welches unterhalb der Hauptdiagonal nur 0 hat. Dann lese man das System von unten nach oben und forme dabei die Gleichungen nach den Variablen um. Mit etwas Glück erhält man so - wie oben gezeigt - doe Lösungen für alle Unbekannten des Gleichungs System. Bemerkung. Das Verfahren ist nicht immer erfolgreich. So könnte man beispielsweise mehr Variablen als Gleichung haben. Dann sind die Lösungen nicht eindeutig und man muss das Verfahren etws anpassen um parametrisierte Lösungen zu bekommen. Es könnte auch sein, dass man mehr Gleichungen als Unbekannnte hat, dann könnte es überhaupt keine Lösungen geben. Wir werden aber die nötigen Anpassungen des Verfahrens an die berschiedenen Ausnahmesituationen hier nicht weiter behandeln. Formaler Gesichtspunkt: Das mysteriöse Matrix Produkt. Der formale Gesichtspunkt besteht aus zwei Dingen: (1) Aus Zahlen macht man ”Schachteln” von Zahlen. (2) Statt mit Zahlen rechnet man mit ”Schachteln”. Matrizen und Vektoren. Klaus Johannson, Lineare Algebra (L2/L5) 4 . Lineare Algebra (L2/L5) Der mathematische Ausdruck für ”Schachtel” ist ”Matrix”. Definition. Eine n × n-Matrix (mit Eingängen in k) ist ein quadratischer Block von n2 Zahlen aus einem Ring k (z.B. aus Z oder aus Q). Die Menge aller n×n-Matrizen (mit Eingängen in k) wird mit Matn k bezeichnet. Beispiele. Hier sind ein paar Beispiele von Matrizen 2 2 0 , [3], 5 1 Die Matrizen [1], 1 1 0 0 , 0 1 0 3 5 0 0, ... 2 7 0 0 0 1, ... 0 1 haben einen speziellen Namen. Sie heißen Identitäts Matrizen. Bemerkung. Man kann rein formal auch rechteckige Matrizen betrachten. Aber die einzigen rechteckigen Matrizen, die wir brauchen sind Matrizen mit nur einer Spalte. Also z. B. 2 3 5 Definition. Vektoren sind Matrizen, die aus genau einer Spalte bestehen. Bemerkung. Matrizen bestehen aus waagerechten Zeilen, auch Zeilenvektoren, genannt und aus senkrechten Spalten, auch Spaltenvektoren genannt. Beispiel. 2 2. Spaltenvektor von 2 5 1 3 1 0 1 = 0 . 1 2 1 Bemerkung. Die Vektoren 0 0 1 e1 := 0 , e2 := 1 , e3 := 0 1 0 0 Klaus Johannson, Lineare Algebra (L2/L5) §6 Rechnen mit Matrizen. 5 haben einen speziellen Namen. Sie heißen Standard Vektoren von k 3 . Ebenso für andere Dimensionen. Die Spalten einer Identitätsmatrix bestehen also aus allen Standardvektoren. Bemerkung. Ist λ ein Skalar, d.h. λ ∈ k, and V ein Vektor, d.h. V ∈ k n , dann sei λ · v1 v1 a · V = λ · v2 = λ · v2 λ · vn vn d.h. man muss jeden Eingang des Vektors V mit λ multiplizieren Man nennt dies auch das Produkt eines Skalars mit einem Vektor. Es gilt immer: v1 V = v2 = v1 · e1 + e2 · v3 + e3 · v3 v3 und ebenso für längere und kürzere Vektoren. Matrix Produkte. Wir kommen nun zum Produkt von Matrizen. Zunächst das Produkt von Vektoren: Definition. Das Skalarprodukt (oder das innere Produkt) von zwei Vektoren v, w ∈ k n ist definiert durch w1 v1 v • w := v2 • w2 = v1 · w1 + v2 · w2 + v3 · w3 w3 v3 Beispiele. 2 2 3 1 3 • 1 = 2 · 2 + 3 · 1 + (−1) · 5 = 2 = 1 · 3 + 5 · 7 = 38, • [2] • [3] = 6, 7 5 5 −1 Bemerkung. In dieser harmlos scheinenden Definition des Skalarprodukts steckt die absolute Grundidee der Linearen Algebra. Die Motivation für diese Art des Produkts kommt vom Satz des Pythagoras. Der Satz von Pythagoras besagt ja, dass das Quadrat 2 des Abstandes Punktes [x, y] in der 2-dimensionalen Koordinatenbene durch x + eines x x berechnet werden kann. Wegen der besonderen Bedeutung dieses • y2 = y y Produktes für die Lineare Algebra wurde hier die aufgedickte Version ”• des gewöhnlichen Multiplikationszeichens · der Zahlenmultiplikation gewählt. Klaus Johannson, Lineare Algebra (L2/L5) 6 . Lineare Algebra (L2/L5) Die folgende Eigenschaft des Produkt ist der eigentliche Grund dafür, dass die Lineare Algebra eine lineare Theorie ist. Satz. u • (av + bw) = a · (u • v) + b · (u • v). Beweis. Dies folgt aus dem Kommunikativ-, Assoziativ- und Distributivgesetz der gewöhnlichen Addition und Multiplikation mit Zahlen wie folgt durch einfaches Nachrechnen: a · u 2 + b · u3 u1 u3 u2 u1 v1 • a v2 + b v3 = v1 • a · v2 + b · v3 a · w2 + b · w3 w1 w3 w2 w1 u1 · (a · u2 + b · u3 ) = v1 · (a · v2 + b · v3 ) w1 · (a · w2 + b · w3 ) a · (u1 · u2 ) + b · (u1 · u3 ) = a · (v1 · v2 ) + b · (v1 · v3 ) a · (w1 · w2 ) + b · (w1 · w3 ) = ... u1 u2 u1 u3 =a v1 • v2 +b v1 • v3 ♦ w1 w2 w1 w3 Schliesslich definieren wir das allgemeine Matrix Produkt und zwar wie folgt: Definition. Sei A ∈ Matn k eine n × n-Matrix und v ∈ k n ein Vektor. Dann ist das Rechts-Produkt eines Vektors v mit einer Matrix A definiert durch A1 • v A • v := A2 • v An • v wobei Ai den i-ten Zeilenvektor der Matrix A bezeichnet. Bemerkung. In bezug auf dieses Produkt können die Standard Vektoren ei hilfreich sein. Z.B. gilt A • ei = i-te Spalte von A recht Man könnte also z.B. schreiben A = [ A • e1 , A • e2 , A • e3 ] Klaus Johannson, Lineare Algebra (L2/L5) §6 Rechnen mit Matrizen. 7 (und ebenso für beliebige n × n-Matrizen). Man kann auf diese Weise eine Spalte einer Matrix angeben ohne je von Matrix-Eingängen selbst sprechen zu müssen - dank des •-Produkts. Definition. Seien A, B zwei n × n-Matrizen. Dann definiere (A • B) • ei := A • (B • ei ), 1 ≤ i ≤ n. Genauer: Die Formel definiert alle Spalten einer n × n-Matrix, die mit A • B bezeichnet wird. Die Matrix A • B heißt Matrix-Produkt (oder: Produkt Matrix) von A und B. Bemerkung. Mit anderen Worten: Eingang in der i-ten Zeile und j-ten Spalte von A • B = Skalarprodukt der i-ten Zeile von A und der j-ten Spalte von B. Beispiel. Seien 2 A= 1 3 3 , B= 2 5 1 5 zwei 2 × 2-Matrizen. Man berechne das Produkt A • B: Wir haben für die erste Spalte von A • B: 1. Spalte = (A • B) • e1 = A • (B • e1 ) 2 2 3 3 1 = • • e1 = 1 1 5 2 5 3 3 2·3+3·2 12 • = = 5 2 1·3+5·2 13 Ebenso erhalten wir für die zweite Spalte von A • B den Vektor: 17 2. Spalte = (A • B) • e2 = 26 = Skalarprodukt von 1. Spalte von A mit 2. Spalte von B Also insgesamt 2 A•B = 1 3 3 • 2 5 12 1 = 13 5 17 26 Achtung. Das Matrix-Produkt ist nicht kommutativ. Also im Allgemeinen A • B 6= B • A Beispiel. 2 1 1 1 • 2 1 4 3 = 3 2 5 8 6 = 6 5 2 1 1 3 4 • = 1 1 2 2 4 Klaus Johannson, Lineare Algebra (L2/L5) 8 . Lineare Algebra (L2/L5) Der Begriff ”Matrix-Produkt” von A und B ist somit leider nicht ganz eindeutig, weil er nicht festsetzt ob er A • B oder B • A meint. Hier muß man ein bisschen aufpassen. Bemerkung. Es gilt auch noch A•I =I •A=A für die Identitäts Matrizen I. Bemerkung. Man schreibt λ λ · I := 0 0 0 λ 0 0 0 λ falls λ ein Skalar ist und definiert λ · A := (λI) • A Beispiel. 2 5· 1 5·2 2 3 5 0 2 3 1 0 3 = • = • = 5· 5·1 1 5 0 5 1 5 0 1 5 10 5·3 = 5 5·5 15 25 Bei einem Produkt einer Matrix mit einem Skalar (von links!) muß man also jeden Eingang der Matrix mit dem Skalar multiplizieren. Bemerkung. Wegen der besonderen Bedeutung für die Lineare Algebra wurde hier für das Matrix Produkt die aufgedickte Version ”•” des Multiplikationszeichens ” · ” von Zahlen gewählt. In diesem Zusammenhang aber noch eine generelle Bemerkung. Beim Umgehen mit Matrizen und Vektoren kommt man schnell in Schwierigkeiten mit der Schreibweise. Soll man z.B. Skalare mit griechischen, Vektoren mit lateinischen und Matrizen mit großen Buchstaben schreiben, oder Vektoren fettgedruckt? Für dieses Problem haben die Mathematiker eine einfache Lösung. Erklärt man vorweg immer durch a ∈ λ, a ∈ k n , oder a ∈ Matn k was man meint, dann kann man jeden Buchstaben für jeden Bedarf nutzen. Es ist dann klar, ob a ein Skalar, ein Vektor oder eine Matrix ist. Genaugenommen könnte man dann übrigens auch die Produktzeichen · und • ganz weglassen, denn wenn z. B. a ∈ k, b ∈ k n , c ∈ Matn k ist, dann ist ja theoretisch klar, welche Produkte im folgenden ab, a3 , b5 , ac, cb, c2 , ac oder bc gemeint sind. Es ist z.B. auch klar, dass bc verboten ist (warum?). Klaus Johannson, Lineare Algebra (L2/L5) §6 Rechnen mit Matrizen. 9 Gleichungs Systeme noch einmal. Betrachten wir noch einmal das eingangs untersuchte Gleichungs System 1x +2y 2x +5y 1x +1y +3z +3z +8z =2 =3 =7 - diesmal mit unserer neuen, formalen Technologie ( Matrizen und Matrix-Produkt). Hierzu ein kleiner Trick. Man unterscheide zwischen Konstanten und Variablen und schreibe die Konstanten in eine Matrix und die Variablen in eine andere Matrix. Also x 1 2 3 Koeffizienten Matrix := 2 5 3 , Variablen Vektor := y z 1 1 8 Dann können wir mittels unserer Produkte für das obige Gleichungs System schreiben: 2 x 1 2 3 2 1 1 1 2 5 3 • y = 3 oder einfach x· 2 +y· 5 +z· 1 = 3 7 z 1 1 8 7 8 1 1 Resultat. Aus einem Systems mit vielen Gleichungen ist aus dem Gleichungs System eine einzige Gleichung A•x=v zwischen Matritzen geworden. Umgekehrt führt eine einzige Gleichung auf dem Niveau der Matrizen zu einem System von Gleichungen auf dem Niveau der Koordinaten. Es gibt noch einen zweiten schreibtechnischen Vorteil der Matrix Schreibweise. Dazu betrachten wir noch einmal das ebenfalls eingangs behandelte Gleichungs System 1 2 2 2 x A · x = 0 0 0 • y = 0 = w z 0 0 0 0 mit nicht-eindeutigen Lösungen. In der Matrix Schreibweise wird aus dem Lösungsvektor 0 0 2 2 − 2s + 2t = 0 + s −2 + t 0 = x0 + s · u + t · v. s x= 2 0 0 t Bemerkung. Man beachte, dass u, v, die homogene Gleichung Ax = 0 lösen. Literature. S. Lang, Linear Algebra D. Wille, Repetitorium der Linearen Algebra, Teil I, Binomi Verlag (2001) Klaus Johannson, Lineare Algebra (L2/L5)