Stammheim-Veranstaltung, Poguntke, 4.9.132

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S21 – Der Wahnsinn geht weiter
K21 – Noch ist Zeit zur Umkehr
Soziale Aufgaben finanzieren
Veranstaltung des „Schwabenstreichs Stammheim“
am 4. September 2013, um 19.30 Uhr in der Schlossscheuer Stammheim
Redebeitrag von Martin Poguntke („TheologInnen gegen S21“):
Liebe Besucherinnen und Besucher dieser Veranstaltung,
ich danke Ihnen, dass Sie mir Gelegenheit geben, hier über einige Fragen zum Projekt S21 zu sprechen…
Erwähnenswert ist vielleicht noch, dass ich seit 1983 Mitglied bei den Grünen bin. Besser gesagt:
war. Denn vor einigen Wochen bin ich ausgetreten aus dieser Partei. Nicht, weil die Grünen S21 nicht
verhindert haben – das werfe ich ihnen nicht vor; sie haben ja im Landtag keine Mehrheit. Sondern weil
sie das Gegenteil getan haben: Sie haben sich nach meiner Wahrnehmung systematisch alle Widerstandsmöglichkeiten selbst aus der Hand geschlagen und unserem Widerstand ohne Not seine weitere
Berechtigung bestritten. Ich möchte das nicht zum Hauptthema dieses Abends machen und bitte Sie
deshalb, gegebenenfalls nachher in der Diskussion noch nachzufragen oder einfach im Internet meinen
Offenen Brief mit meiner Austritts-Begründung zu lesen (http://www.siegfried-busch.de/page14/styled13/index.html).
Lassen Sie mich zunächst noch einmal – man kann das gar nicht oft genug sich immer wieder in Erinnerung rufen – lassen Sie mich noch einmal die zentralen Gründe nennen, warum unser Protest und
unser Widerstand gegen dieses Projekt unbedingt nötig ist:
Wir brauchen eine leistungsfähige Infrastruktur
Das für mich zentrale Argument ist das, das die Projekt-Betreiber(!) auch immer gebrauchen: Eine Industrieregion wie Stuttgart und das Land Baden-Württemberg brauchen unbedingt eine leistungsfähige
Verkehrsinfrastruktur, wenn sie nicht in ihrem eigenen Dreck ersticken will. Wir brauchen einen Bahnhof
in Stuttgart, der in erster Linie für die Pendler aus dem Umland attraktive Verbindungen ermöglicht, damit möglichst viele Leute vom privaten Auto auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen. Für diese Aufgabe
ist der bestehende Kopfbahnhof geradezu ideal. Der geplante Tiefbahnhof hingegen stellt eine so enge
Lösung dar, dass sowohl viel weniger Züge in den Stoßzeiten als auch deutlich schlechtere Umsteigemöglichkeiten im ganzen Land die Folge sind. Einen solchen Kahlschlag des ÖPNV können wir uns in
Baden-Württemberg einfach nicht leisten.
Schäden, Risiken und Kosten in groteskem Missverhältnis zum Nutzen
Das zweite Argument ist für mich: Die Schäden, Risiken und Kosten eines Bauprojekts müssen in einem sinnvollen Verhältnis zum Nutzen stehen. Bei diesem Projekt steht aber ein vernachlässigbarer
Nutzen – nicht 100 (das ist gelogen), sondern 14 ha mehr an innerstädtischen Bauflächen, einzelne Züge, die zwei Minuten schneller durch Stuttgart durchfahren können, und eine ICE-Anbindung an den
Flughafen, die schlecht ist und die fast keiner braucht.
Diesem vernachlässigbaren Nutzen stehen unglaubliche Schäden gegenüber: am Schlossgarten, am
Bonatzbau, am Stadtbild. Und unglaubliche Risiken: für das Mineralwasser, für den Schlossgarten, für
die Häuser am Hang, für die Fahrgäste, die den Bahnhof benutzen. Und unglaubliche Kosten: Die sind
ja von ursprünglich behaupteten 2,5 Milliarden inzwischen auf 6,5 Milliarden gestiegen; und die Bahn
geht intern von mindestens 11 Milliarden aus.
Ein Projekt mit diesem Missverhältnis ist ein Verbrechen
Keine Frage: Warum sollte man nicht Milliarden ausgeben für ein gutes Bahnprojekt? Aber eben auf
keinen Fall für eines, das den Bahnverkehr schlechter macht. Das ist ein Verbrechen. Und ich nenne
diejenigen, die so etwas wissentlich betreiben, Verbrecher. Die meisten Befürworter dieses Projekts sind
schlecht informiert; sie würde ich deshalb nicht mit so grobem Wort bezeichnen. Aber ich muss allen ahnungslosen Befürwortern sagen: In einem modernen Rechtsstaat hat der Bürger die Pflicht, sich bei umstrittenen Entscheidungen unabhängig zu informieren, und er hat nicht das Recht, der Politik einfach zu
glauben. Ein sinnvolles Wahlrecht setzt voraus, dass die Bürgerinnen und Bürger ihr Parlament und ihre
Regierung kontrollieren und nicht – wie es die SPD-Fraktionsvorsitzende im Stuttgarter Gemeinderat gesagt hat: „Wir vertrauen der Verwaltung“. Dafür wählt man niemanden in den Gemeinderat, dass er der
Verwaltung vertraut.
Unser Thema soll ja heute Abend auch die Frage sein, welche sozialen Folgen dieses Projekt für die
Stadt Stuttgart hat, was alles wegen dieses Projekts nicht finanzierbar sein wird. Deshalb hier ein Wort
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zu den Kosten, die durch S21 für die Stadt Stuttgart entstehen:
Die Stadt Stuttgart bezahlt mindestens 1,3 Milliarden
In den offiziellen Darstellungen ist ja immer von 239 Millionen die Rede. Dabei wird aber übergangen,
dass die Stadt Stuttgart als Unterstützung für das Projekt der Bahn die Gleisflächen bereits zu einem
Zeitpunkt abgekauft hat, zudem sie noch gar nichts damit anfangen konnte und bis das Gleisfeld geräumt ist nicht kann.
• Der Verzicht darauf, für diese Zeit Zinsen zu verlangen, ist ein zusätzlicher Kostenpunkt für die Stadt
Stuttgart, ein Zinsverlust von sage und schreibe ca. 800 Millionen (bei angenommenen 5,5 % p.a.
von 2001 bis 2020).
• Da der Flughafen zu einem Drittel der Stadt Stuttgart gehört, stellt auch ein Drittel des FlughafenBeitrags zu S21 Kosten für die Stadt Stuttgart dar: weitere 113 Millionen.
• Dazu weitere 50 Millionen Anteil am Neubau des Flughafenbahnhofs.
• Noch nicht gerechnet haben wir, dass Stuttgart die Kosten von Veränderungen bei der U-Bahn und
von Schallschutzmaßnahmen alleine tragen muss und dass sie seit 1998 jährlich 300.000 Euro zur
S21-Propaganda-Ausstellung im Turmforum beisteuert. Das sind zusammen 40 Millionen zusätzlich.
• Und auch das, was die Region beisteuert zu S21, trägt mit 26 Millionen die Stadt Stuttgart.
• Damit sind wir bei gut 1,2 Milliarden, die die Stadt Stuttgart für S21 bezahlt, dem fünffachen Betrag
dessen, der offiziell immer genannt wird.
• Dabei ist noch nicht eingerechnet, dass die Stadt Stuttgart die Mineralbäder gekauft hat, um etwaigen Schadensersatzprozessen vorzubeugen, und auch nicht die 40 Millionen, die die Stadt Stuttgart
2008 zum Kauf des bis heute nicht genutzten Güterbahnhofsgeländes in Bad Cannstatt gekauft hat
(angeblich für die Olympia-Bewerbung der Stadt, die aber damals bereits völlig aussichtslos auf dem
letzten Platz war). Aber dafür gibt es wenigstens einen nominellen Gegenwert: die Grundstücke und
das Bad.
Summa summarum wären wir damit bei rund 1,3 Milliarden an Kosten – falls sich nicht noch ein Gericht
findet, das die sogenannte „Sprechklausel“ im S21-Finanzierungsvertrag so auslegt, dass sich die
Stadt Stuttgart auch an den Mehrkosten oberhalb des Kostendeckels von 4,5 Milliarden beteiligen muss.
Dann würde es ganz schnell das Doppelte.
Und wofür? Für 14 ha Immobilien-Filetstück hinterm Hauptbahnhof, mit denen man Investoren anlocken kann, die dafür den bestehenden Einzelhandel in der Königsstraße in Not bringen.
Was könnte man in Stuttgart mit 1,3 Milliarden tun?! Das treibt mir die Tränen in die Augen, wenn ich
an unsere Schulen und Kindergärten denke.
Was das für das soziale Leben in Stuttgart bedeutet, wird meine Ko-Referentin Frau Cheval-Saur uns
erzählen.
Warum der Volksentscheid kein Grund ist, den Protest zu beenden
Bevor wir hier aber das Fell des S21-Löwen neu verteilen, müssen wir klären, ob denn nicht längst alles gelaufen ist, schlimmer noch: ob wir nicht als echte Demokraten seit dem Volksentscheid mit unserem Protest aufhören müssten.
Lassen Sie mich dazu drei Dinge sagen:
1. Keine Mehrheit der Welt kann mich von der persönlichen Verantwortung befreien, meinem Gewissen folgen zu müssen.
Auch aus meiner Verantwortung dafür, dass die Atomkraftnutzung beendet wird, habe ich mich nicht
mit dem Argument davon stehlen können, dass doch die Mehrheit der Bevölkerung Jahrzehnte lang
dafür war.
Und ich kämpfe auch gegen den Kapitalismus, obwohl die Mehrheit dafür ist.
Mehrheiten binden Amtsträger, aber nicht das Volk. Das Volk hat immer(!) die Aufgabe, in seiner
ganzen Vielfalt der Meinungen seine zustimmenden und protestierenden Haltungen zur Geltung zu
bringen. Niemand kann sein Gewissen dadurch entlasten, dass doch aber eine Mehrheit anders
denke.
2. Beim Volksentscheid wurde gar nicht über S21 abgestimmt, sondern lediglich darüber, ob die Landesregierung – mit allen finanziellen Folgen – aus dem Projekt aussteigen solle. Lediglich dieser
vorzeitige Ausstieg wurde von der Bevölkerung abgelehnt, weil sie in ihrer Mehrheit befürchtete,
dann hohe Ausstiegskosten „für nix“ zu haben – so war ja die Parole der S21-Befürworter gewesen.
Und eine Wählerbefragung des SWR hat auch klar gezeigt: Über 60% derer, die gegen einen Ausstieg votiert haben, haben dies getan aus Sorge um die hohen Ausstiegskosten – nicht weil sie das
Projekt wirklich wollten.
3. Und schließlich: Eine Abstimmung, die auf Lügen basiert, ist keine demokratische Abstimmung.
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Und mindestens ein wesentlicher Punkt war eine Lüge: dass die Ausstiegskosten aus dem Projekt
für den Steuerzahler bei 1,5 Milliarden lägen.
Das stimmt schon allein deshalb nicht, weil die Hälfte(!) dieser 1,5 Milliarden gar keine Kosten sind.
Denn es handelt sich um die Rückabwicklung des Verkaufs von Gleisflächen an die Stadt Stuttgart.
Die Bahn erhält dafür ja im gleichen Wert die Gleisgrundstücke zurück. Wenn ich ein Auto verkauft
habe und kaufe es dann wieder zurück, muss ich zwar das Geld dafür ausgeben, aber ich bekomme
ja das Auto dafür wieder. In der Bilanz ist das für die Bahn ein Nullsummenspiel.
Es sind vor allem auch deshalb keine Kosten für den Steuerzahler, weil diese dreiviertel Milliarde gar
nicht vom Steuerzahler zu bezahlen wäre, sondern umgekehrt direkt in die Hände des Steuerzahlers
fließen würde, nämlich in die Kasse der Stadt Stuttgart.
Außerdem geht die Behauptung der 1,5 Milliarden Ausstiegskosten davon aus, dass die Gesamt(!)kosten der ausgeschriebenen Arbeiten, inklusive aller kalkulierten Löhne und Materialkosten,
die dann gar nicht mehr anfallen, ausbezahlt werden müssten und nicht nur der den Firmen entgangene Gewinn, also maximal 10% der behaupteten Restsumme.
Dass die Grünen das üble Spiel mitgespielt haben, es sei eine mögliche „Meinung“, dass die Ausstiegskosten 1,5 Milliarden betrügen, und nicht darauf bestanden haben, dass das eine Lüge ist, die
keinesfalls zur Grundlage einer demokratischen Abstimmung gemacht werden kann – das werfe ich
ihnen als Kumpanei mit den Befürwortern vor.
Eine Abstimmung ohne faire Klärung der Fakten ist keine demokratische Abstimmung
Aber trotzdem: Ist nicht in einer Demokratie Abstimmung gleich Abstimmung und muss respektiert
werden? – Lassen Sie mich dazu von einer Begebenheit erzählen, über die ich noch nie öffentlich gesprochen habe:
Als ich Student war, habe ich aktive Erfahrungen mit dem Missbrauch von Abstimmungen gemacht,
mit missbrauchter Demokratie. Und ich war dabei selbst aktiv beteiligt. Das ging zum Beispiel so:
Wenn meine damaligen politischen Freunde und ich im Fachschaftsrat eine Resolution durchbekommen wollten, von der wir wussten, dass die Konservativen sie nicht mittragen würden, dann machten wir
Folgendes:
Wir verabredeten: Zunächst halten einige von uns langatmige Reden zu der Resolution. Dann stellt einer
den Antrag auf Ende der Debatte und sofortige Abstimmung – noch bevor die Konservativen die Details
der Resolution verstanden haben. Und wenn dann abgestimmt wird, sind noch genügend Stimmen der
ahnungslosen Konservativen dabei, sodass unsere Resolution auch mit ihren Stimmen durchkommt.
Und wenn es hinterher zu Protesten kommt, sagen wir: „abgestimmt ist abgestimmt, so ist halt Demokratie“.
Seitdem weiß ich, dass eine Demokratie nicht nur bedeutet, dass eine Mehrheit abgestimmt hat, sondern dass es zu einer Demokratie unbedingt dazu gehört, dass die Abstimmenden auch fair informiert
worden sind. Alles andere ist das Demokratieniveau der ehemaligen DDR. Da wurde auch über alles
„demokratisch“ abgestimmt, aber eben unter unfairen Bedingungen.
Wenn also heute einer über den Volksentscheid sagt: „Abgestimmt ist abgestimmt, so ist halt Demokratie“, dann bewegt er sich nach meinem Empfinden auf dem Niveau pseudodemokratischer Regime
wie der DDR.
Wir haben deshalb nach meiner Überzeugung nicht nur das Recht(!), uns nicht an das Ergebnis dieses Volksentscheids zu halten, sondern – gerade im Interesse der Demokratie – sogar die Pflicht(!).Und
das umso mehr, als ja die Bedingungen, unter denen damals abgestimmt wurde, gar nicht mehr bestehen.
Was wir alles seit dem Volksentscheid an Neuem wissen
Denn inzwischen ist ja eingetreten, was damals von den Befürwortern vehement bestritten wurde: Die
Kosten sind ja weit über den damals behaupteten Deckel von 4,5 Milliarden gestiegen. Und die Grundlage des Volksentscheids, dass die Forderungen der so genannten Schlichtung umgesetzt würden, besteht inzwischen auch nicht mehr: Die alten Bäume sind nicht erhalten worden; der Brandschutz ist
nicht auf modernsten Stand gebracht worden; die Gäubahn wird nicht an den Tiefbahnhof angeschlossen.
Und inzwischen wissen wir ja auch – was die grün-rote Landesregierung vor dem Volksentscheid
schon wusste, uns aber auch die Grünen nicht gesagt haben –, dass das Bemessungsprogramm von
Stuttgart 21, die Planfeststellungsunterlagen und die Finanzierungsverträge gar keinen Leistungszuwachs vorsehen, sondern lediglich 30 Züge in der Spitzenstunde – gegenüber heute tatsächlich 37 und
schon heute möglichen 50. Und dass deshalb die Bahn gar nicht zur Finanzierung von mehr als 30 Zügen pro Spitzenstunde herangezogen werden kann. Mit dieser Aussage gibt es eine Aktennotiz von Winfried Hermann, aus der Zeit schon vor dem Stresstest.
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Und inzwischen wissen wir, dass deshalb der Kellerbahnhof von Anfang an nur für 32 Züge in der
Spitzenstunde ausgelegt war und ist und dass deshalb die dafür geplanten Treppenhäuser einem zu
erhoffenden Zuwachs an Fahrgästen gar nicht gewachsen sind.
Und inzwischen wissen wir, dass die ganze Architektur des Kellerbahnhofs nicht nur noch kein sicheres Brandschutzkonzept hat(!), sondern gar keines ermöglicht(!). Denn die dazu erforderlichen Zusatzbauten verengen die Bahnsteige und damit die Fluchtwege noch zusätzlich, und es ist noch völlig
unklar, wo diese Fluchtwege enden sollen, damit die Flüchtenden dem Rauch wirklich entkommen. Außerdem machen die zusätzlich erforderlichen Treppenhäuser den ganzen Bahnhof schwerer, weshalb
das Fundament umgeplant werden muss – unklar ist, ob das ohne weitere Gefährdung des Mineralwassers überhaupt geht.
Und inzwischen ist eine geologische Untersuchung bekannt und wird bei der Anhörung des Regierungspräsidiums zur Erweiterung des Grundwassermanagements noch diesen Monat eine wichtige Rolle spielen – eine Untersuchung, die keinen Zweifel lässt, dass der wesentliche Teil des Stuttgarter Mineralwassers nicht aus Richtung des Nesenbachs von Westen, sondern aus Richtung des Neckar- und
Filstals von Süden her zufließt. Die geplanten in zwei Stockwerken untereinander und unter dem Neckar bei Untertürkheim hindurchführenden Tunnels stellen deshalb eine ungleich größere Gefährdung
für das Mineralwasser dar, als in allen bisherigen Befürchtungen angenommen.
Und inzwischen wissen wir, dass die Abwasserkanäle aus Richtung König- und Lautenschlagerstraße dem Tiefbahnhof im Wege sind und deshalb umgelenkt werden müssen. Das verschlechtert nicht nur
ihre Fähigkeit bei Starkregen die Wassermassen abzuleiten, sondern das erfordert Änderungen am bestehenden Kanalnetz. Das gehört aber nicht mehr der Stadt Stuttgart, sondern einer amerikanischen
Briefkastenfirma, an die man das Kanalnetz in steuerbetrügerischer Absicht verkauft hat und die für jede
Änderung teure Entschädigungszahlungen verlangt – was ganz nebenbei weitere Kosten(!) für die Stadt
Stuttgart bedeutet, nicht nur größere Überschwemmungsgefahr.
Und schließlich – ich muss langsam zum Ende dieser Aufzählung kommen, obwohl man noch fast beliebig weitere Beispiele hinzufügen könnte – und schließlich wachsen zurzeit wieder begründet die Zweifel, ob die Behauptung der Bahn stimmt, der Turm ruhe auf Eisenbetonpfählen. Die Bahn hatte ja in der
Schlichtung ein „ganz zufällig“ gerade gefundenes Papier vorgelegt, das angeblich beweist, dass keine
Eichenholzpfähle, sondern eben Eisenbeton verwandt worden sei. Allerdings beweist das Papier zunächst nur, dass es ein genehmigtes statisches Gutachten gab, das die Tragfähigkeit von Eisbetonpfählen bestätigte. Punkt. Mehr nicht. Ob nach diesem Gutachten auch gebaut wurde, ist keineswegs bewiesen. Das gleiche gilt für den Artikel aus der „Schwäbischen Chronik“ vom Februar 1914, den die kontextwochenzeitung in der Ausgabe vom 7.9. zitieren wird und in dem von „Probebelastungen“ mit Eisenbetonpfählen die Rede ist: Ob damit dann wirklich gebaut wurde, weiß man daraus noch nicht.
Auffällig ist aber schon, wie sehr sich die Bahn weigert, das an den tatsächlichen Fundamenten überprüfen zu lassen. Nach Egon Hopfenzitz gäbe es nämlich einen ganz einfachen Weg dafür: Im Turmkeller gibt es eine Art Tür, durch die man direkt auf die Fundamentpfähle des Turms schauen könnte und
durchklettern und mal daran kratzen. Dass sich die Bahn weigert, selbst diesen einfachen Weg zu gehen, kann nur den einen Grund haben: Sie weiß, dass es Eichenpfähle sind. Und sie weiß, dass deshalb
die Absicherung des Turms erhebliches zusätzliches Geld kosten würde. Und sie weiß, dass zurzeit –
mindestens vor der Bundestagwahl – keine neue Kostenerhöhung vermeldet werden darf.
Wir müssen vor allem öffentlichen Druck machen
Wo stehen wir nun bei dem Projekt? Wie geht es weiter?
Wir müssen uns darüber bewusst sein, was es bedeutet, dass S21 ein politisches(!) Projekt ist. Wir
können vermutlich davon ausgehen, dass es keine relevanten politischen Kräfte mehr gibt, die S21 inhaltlich für sinnvoll halten – auch wenn sie in öffentlichen Reden immer so tun. Alle wissen, dass es keinen Sinn macht, außer dass es eine sehr gute Möglichkeit darstellt, öffentliche Gelder in die Wirtschaft
zu pumpen.
Wir brauchen deshalb nicht darauf zu hoffen, dass wir eines Tages mit unseren unzähligen guten Argumenten die Betreiber dieses Projekts oder die Tunnelparteien davon überzeugen könnten, dass sie
das Projekt stoppen sollen. Die Argumente kennen sie ausreichend; was fehlt, ist der politische Wille.
Und der entsteht nur da, wo sich irgendein politischer Akteur einen Vorteil(!) vom Ende(!) des Projekts
verspricht.
Unser Argumentieren und Demonstrieren und Blockieren und Schreiben von Offenen Briefen usw.
kann deshalb nach meinem Dafürhalten nur den einen Sinn haben: den politischen Preis von Stuttgart 21 in die Höhe zu treiben – so wie umgekehrt die Bahn durch ihre vielen hektisch begonnenen
Baustellen den politischen Preis des Ausstiegs(!) in die Höhe treiben möchte.
Aber: Jeder Politiker und jede Partei weiß: Je mehr Skandale mit ihnen verbunden werden, desto gefährdeter ist ihr politisches Überleben. Unsere Aufgabe scheint mir deshalb, Skandal für Skandal bei S21
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immer wieder aufzugreifen und einer möglichst breiten Öffentlichkeit immer wieder deutlich zu machen,
welche Politiker und Parteien dafür Verantwortung tragen. Und irgendwann – kein Mensch weiß, durch
welchen Tropfen – wird für irgendeinen der politischen Akteure das Fass überlaufen und er wird sich
Vorteile davon versprechen, sich von S21 zu distanzieren. Dann beginnt das Projekt politisch zu
sterben.
Bis dahin ist es wichtig, dass wir die Öffentlichkeit möglichst gut informieren, damit es für die Betreiber möglichst schwierig wird, die Skandale klein zu reden und zu vertuschen.
Mein Partei-Austritt war als kleiner persönlicher Beitrag dazu gedacht, den politischen Preis von S21
zu erhöhen
Spätestens seit unseren Erfahrungen mit den Grünen muss unsere Bewegung wissen: Es gibt zwar in
jeder Partei aufrechte Menschen – wie vielleicht den Toni Hofreiter oder die Brigitte Lösch. Aber auf keine(!) der Parteien ist als Partei Verlass. Wir müssen alle(!) Parteien kontrollieren und unter Druck
setzen. Wir müssen auf alle(!) Parteien öffentlichen Druck auf allen Ebenen ausüben und dürfen keine(!)
der Parteien dabei schonen. Gerade auch, weil wir die Aufrechten in den Parteien unterstützen wollen.
Ich bin nicht aus den Grünen ausgetreten, weil ich ein Grünen-Hasser wäre, sondern weil ich damit
Druck erzeugen wollte, der die kritischen Kräfte – gerade auch bei den Grünen – stärkt.
Konkrete Forderungen an die Abgeordneten und Parteien
Ich komme zum Schluss:
Was können wir nun in der gegenwärtigen Situation im Blick auf S21an Konkretem fordern von den
Parteien, um dort möglichst konkreten Druck auszuüben?
1. Dass sie eine Kostenschätzung des Bundesrechnungshofes noch vor der Bundestagswahl fordern.
Die Bevölkerung muss endlich klar darüber informiert werden, was dieses Tiefbahnhofs-Verbrechen
kostet.
2. Dass sie dafür sorgen, dass noch vor der Bundestagswahl konkrete Schritte zu einer so genannten
„Feststellungsklage“ eingeleitet werden, die klärt, ob die „Sprechklausel“ bedeutet, dass Stadt und
Land sich an S21-Mehrkosten beteiligen müssen oder nicht. Sonst baut die Bahn weiter, bis die 6,4
Milliarden verbraucht sind. Und dann ist so viel zerstört, dass kein Politiker der Welt mehr die Kraft
aufbringt, das Projekt zu beenden. Wer für einen Kostendeckel ist, muss auch für die Feststellungsklage sein.
3. Dass sie darauf bestehen, dass – auch auf die Gefahr hin, dass die Bahn mit Prozessen droht – keine weiteren Raten an die Bahn überwiesen werden, bevor sie eine belastbare Kostenrechnung vorlegt. Die Bahn hat ausschließlich finanzielle Interessen an dem Bau. Das ist der einzige Punkt, der
für die Bahn Druck bedeutet.
4. Dass sie öffentlich klarstellen, dass die behaupteten Ausstiegskosten von 1,5 Milliarden – Schmiedel spricht ja sogar von 3 Milliarden – nicht eine mögliche Meinung, sondern gelogen sind und von
einem Kaufmannslehrling im ersten Lehrjahr widerlegt werden können. Eine sachgerechte Diskussion über S21 ist nur möglich, wenn wir klar trennen, zwischen Meinungen und Fakten. Es ist nicht
Meinungsfrage, wie hoch diese Kosten sind, sondern das sind nüchtern zu klärende Fakten. Unterschiedliche Meinungen kann man nur dazu haben, ob diese faktischen Kosten zu hoch sind oder
nicht.
5. Und schließlich: dass die Kandidaten und ihre Parteien angesichts der unzähligen ungelösten Probleme beim Bau von S21 auf einem Baustopp bestehen, bis die Planung wirklich fertig ist und bis
wirklich alle(!) Genehmigungen erteilt sind (bislang sind ja nur vier der sieben(!) Planfeststellungsabschnitte genehmigt).
Die vier genehmigten Abschnitte nun einfach zu bauen, solange die restlichen Genehmigungen noch
fehlen, grenzt an Rechtsbeugung. Denn auf den Behörden und Personen, die dann die restlichen
Genehmigungen zu erteilen hätten, würde dann ein übermenschlicher Druck lasten: Wer von ihnen
könnte es nach so viel verbrauchtem Geld und zerstörter Stadt noch wagen, eine Genehmigung zu
verweigern(!), „nur“ weil sie nicht dem Recht entspricht?
Ich ermuntere alle Gegnerinnen und Gegner von Stuttgart 21, keiner Partei ihre Stimme zu geben,
deren Kandidaten zu diesen Forderungen keine klaren Zusagen machen. Ich ermuntere Sie, notfalls ungültig zu wählen, bzw. – wenn Sie in den beiden richtigen Stuttgarter Wahlkreisen wohnt – den beiden
S21-Gegnerinnen Carola Eckstein und Frank Schweitzer Ihre Erststimme zu geben.
Machen wir riesen Druck auf die Parteien! Denn der Druck von anderer Seite auf die Parteien ist unvorstellbar groß. Sie werden uns nicht nachgeben, und die aufrechten Leute werden kalt gestellt werden,
wenn wir(!) nicht den größeren(!) Druck machen.
In diesem Sinne: druckvoll oben bleiben! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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