Kap5 2

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5.3 Psychoreaktive Störungen (Belastungs- und Anpassungsstörungen) und Neurosen
Die passiv-aggressive Persönlichkeit zeigt durch
Trödelei, Bockigkeit, „Vergesslichkeit“ indirekten
Widerstand gegen Anforderungen an das eigene
Verhalten. Sie braucht durch konsequentes Verhalten ihrer Umgebung die Erfahrung, dass ihr
Verhalten keinen Erfolg hat.
5.2.15 Persönlichkeitsstörungen im Alter
Die wenigen bisher vorliegenden Untersuchungen haben ergeben, dass sich bei Persönlichkeitsstörungen im Alter drei mögliche Entwicklungen abzeichnen können:
1. Bei manchen Menschen führt das Alter zu
einer Abschwächung bzw. Beruhigung der
auffälligen Verhaltensweisen.
2. Bei anderen können bestimmte Reaktionsweisen überspitzt und akzentuiert auftreten.
3. Das Alter kann auch ohne Einfluss auf die
Persönlichkeitsstörung bleiben.
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Der Alterseinfluss auf persönlichkeitsgestörtes
Verhalten unterscheidet sich also nicht von dem
auf die normale Persönlichkeit. Neuere Untersuchungen zeigten, dass die Mehrzahl der Menschen mit Persönlichkeitsstörungen im Alter ein
zufriedenes und ausgeglichenes Leben führen.
Praktisch alle wesentlichen im Erwachsenenalter festgestellten Auffälligkeiten haben eine
Tendenz zur Besserung. Diese hängt aber weniger mit einer Nachreifung, sondern mehr mit
einer Dämpfung der Affekte und einem Nachlassen der Vitalität zusammen. Dies betrifft besonders hyperthyme und expansive Persönlichkeiten. Auf hysterische Persönlichkeiten hat das
Alter jedoch eher einen ungünstigen Einfluss.
Auch hypochondrische Ängste bestehen im Alter
nicht nur fort, sondern sie verschlimmern sich
häufig sogar noch (Müller, 1967, 1989).
Im höheren Lebensalter nehmen in aller Regel
die subjektiven Beeinträchtigungen und das Ausmaß der Störung ab.
5.3 Psychoreaktive Störungen (Belastungs- und
Anpassungsstörungen) und Neurosen
Der Mensch als eine Art Ganzes im Wechselspiel zwischen Körper, Seele und Umwelt (s.
Kap. 3.1) reagiert sowohl auf innere Spannungen aus Körper und Seele als auch auf äußere
Einflüsse aus der Umwelt.
5.3.1 Erlebnis- bzw. psychoreaktive Störungen
Wenn Reaktionen auf äußere Erlebnisse überschießend sind, nach dem traumatisierenden
Ereignis auftreten, oder wenn der Anpassungsprozess nach einer einschneidenden Lebensveränderung beeinträchtigt ist, handelt es sich
um Belastungs- oder Anpassungsstörungen.
Anhaltende äußere und innere Belastungen
können dabei zu Persönlichkeitsveränderungen
führen, die in der ICD-10 als „andauernde Persönlichkeitsänderung“ nach Extrembelastung
(F 62.0) oder nach psychischer Erkrankung (F
62.1) codiert werden. In der ICD-10 werden
akute Belastungsreaktionen (F 43.0), posttraumatische Belastungsstörungen (F 43.1) und
Anpassungsstörungen (F 43.2) unterschieden.
Schneider (2007) bezeichnete Belastungsstörungen als „abnorme Erlebnisreaktionen“.
Begriff und Kriterien einer Erlebnisreaktion
Eine Erlebnisreaktion hat Schneider (2007)
definiert als „die sinnvoll motivierte gefühlsmäßige Antwort auf ein Erlebnis“. Erlebnisreak-
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5 Abnorme Variationen seelischen Wesens
tionen können Trauer über etwas, Reue wegen
etwas, Furcht vor etwas, Wut über etwas usw.
sein. Jaspers (1973) hat drei Kriterien zur
Kennzeichnung einer Belastungsreaktion aufgestellt, die beinhalten,
1. dass einer Erlebnisreaktion ein Erlebnis vorausgeht, in dessen Gefolge sie auftritt
2. dass das Thema bzw. der Inhalt der Erlebnisreaktion im Allgemeinen in einem verständlichen Zusammenhang mit diesem Erlebnis steht
3. dass die Erlebnisreaktion auch in einer zeitlichen Abhängigkeit zu dem verursachenden Erlebnis erfolgt, d. h. entsprechend aufhört, wenn die Ursache wegfällt.
Von diesen drei Kriterien muss das 1. immer
vorliegen, während das 2. in der Regel gilt, aber
nicht mehr zutrifft, wenn jemand auf ein Erlebnis z.B. mit einem psychogenen Dämmerzustand reagiert, da dieser mit ganz anderen
Bewusstseinsinhalten verbunden sein kann.
Auch das 3. Merkmal gilt nur eingeschränkt,
denn die Gefühlsreaktion auf ein Erlebnis kann
vorübergehend aussetzen oder sich abschwächen und z. B. auf ein Stichwort hin wieder
einsetzen. Solche zeitweiligen (intermittierenden) Erlebnisreaktionen sind für posttraumatische Belastungsstörungen typisch.
Begriff der Belastungs- und
Anpassungsstörung bzw. der abnormen
Erlebnisreaktion
Abnorme Erlebnisreaktionen weichen in Ausmaß, Dauer, Aussehen und Verhalten vom
Durchschnitt der normalen Erlebnisreaktionen ab, wobei die ungewöhnliche Intensität
(Ausmaß) auch die Unangemessenheit der Reaktion im Verhältnis zum Anlass beinhaltet.
Zum qualitativen Anderssein, gehören z. B.
reaktive Halluzinationen, wie im Halbschlaf
auftauchende Bilder eines betrauerten Toten,
reaktive Bewusstseinstrübungen sowie qualitativ und quantitativ abweichende Affekte.
Qualitative Abweichungen sind allerdings selten, so dass in der Regel abnorme Erlebnisre-
aktionen nur quantitativ hinsichtlich der
Stärke und der Dauer abweichend sind.
Klingt eine abnorme Erlebnisreaktion nach
einem traumatischen Ereignis innerhalb kurzer Zeit wieder ab, handelt es sich um eine
akute Belastungsreaktion (F 43.0). Tritt eine
Reaktion auf eine außergewöhnliche Belastung verzögert auf und nimmt sie u.U. einen
chronischen Verlauf, liegt eine posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1) vor.
Neben den Reaktionen auf äußere Erlebnisse bzw. Traumen gibt es auch Zustände, die
den Anpassungsprozess nach einem außergewöhnlichen Lebensereignis oder nach einer
besonderen Veränderung im Leben behindern.
Solche sog. Anpassungsstörungen (F 43.2)
klingen in der Regel nach 6 Monaten wieder
ab. Anpassungsstörungen können auch als innere Konfliktreaktionen verstanden werden
und zu einem andauernden Persönlichkeitswandel führen.
5.3.2 Einteilung der
psychoreaktiven Störungen
und Neurosen
Psychoreaktive Störungen werden von verschiedenen Autoren sehr unterschiedlich eingeteilt. In Tabelle 5-5 wird eine Einteilung in
Anlehnung an Schneider (2007) und Huber
(2005) vorgenommen.
Danach können psychoreaktive Störungen
als unmittelbare Reaktionen auf äußere Erlebnisse auftreten (s. I. in Tab. 5-5). Solche
Reaktionen auf schwere Belastungen (F 43.0)
können entweder bei allen Menschen auftreten,
d. h. sie können übercharakterlich sein (s. I. 1.),
oder sie können an bestimmte Persönlichkeitsstrukturen gebunden, d.h. charakterlich bedingt, sein (s. I. 2.). Inhaltlich können Belastungsstörungen nach übergeordneten Gefühlskategorien, den sog. Leitgefühlen, beschrieben
werden, wobei Trauer, Schreck und Angst Gefühlsarten sind, die übercharakterlich vorkommen, während Wut, Eifersucht, Misstrauen,
Scham usw. in abnormer Form als Explosivreaktionen, paranoide Reaktionen usw. vor-
5.3 Psychoreaktive Störungen (Belastungs- und Anpassungsstörungen) und Neurosen
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Tab. 5-5 Einteilung der psychoreaktiven Störungen
I. Unmittelbare Reaktionen auf äußere Erlebnisse (Belastungsstörungen)
1. mehr übercharakterliche Reaktionen:
● reaktive Depressionen
● Schreckerlebnisreaktionen
nach
(posttraumatische Belastungsstörung)
Leitgefühlen
● abnorme Angstreaktionen
geordnet
2. mehr charakterlich bedingte Reaktionen:
● Explosivreaktionen
● abnorme Eifersuchtsreaktionen
● paranoide Reaktionen
● induzierte Reaktionen
● hysterische Reaktionen







Leitgefühle:
Trauer
Schreck
Angst









Leitgefühle:
Wut
Eifersucht
Misstrauen
Scham
können mit
psychogenen
Körperstörungen
einhergehen
II. Reaktionen auf innere Konflikte (Anpassungsstörungen, erlebnisreaktiver Persönlichkeitswandel und Neurosen)
1. einfache, bewusste Konfliktreaktionen:
nach Beeinfache, z. T. langanhaltende Erlebnisreaktionen und endgültige Persönlichkeitsveränwusstheitsderungen auf dauernde bewusste innere Konfliktsituationen (z. B. nach Behinderungen)
grad des
2. neurotische Entwicklungen:
Konfliktes
psychoreaktive Entwicklungen nach inzwischen unbewussten Konfliktsituationen, da
geordnet
die auslösenden Erlebnisse (psychotraumatische Situationen) ins Unbewusste verdrängt und deshalb nicht mehr erinnert werden können
a) Neuroseformen mit vorwiegend seelischen Symptomen
● Angstneurosen
● Phobien
● neurotische Depressionen (Dysthymien)
● Zwangsneurosen
● neurotische Depersonalisation und Derealisation
b) Neuroseformen mit seelischen und körperlichen Symptomen
● Neurasthenien
● Hypochondrien
● Herzneurosen
b) Neuroseformen mit vorwiegend körperlichen Symptomen
● Konversionsneurosen (dissoziative Störungen)
● Psychosomatosen
III. Artifizielle Störung (absichtlich erzeugte oder vorgetäuschte Symptome)
1. tendenziöse Unfallneurosen
2. Zweckreaktionen
wiegend bei bestimmten Persönlichkeiten anzutreffen sind. Allgemein gilt hier der Grundsatz, dass der Persönlichkeitsfaktor eine umso
größere Rolle spielt, je geringer der Anlass ist,
der genügte, um die Reaktion hervorzurufen,
und je abnormer das Ausmaß, das Aussehen,
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