Klinisch-psychiatrisches Syndrom

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Neue Medien –
was machen sie mit unseren Kindern
Symposium Niedersächsische Fachklinik für Kinder- und
Jugendpsychiatrie und –psychotherapie
Hildesheim 29. 06.2005
J.M. Fegert (Ulm)
Gliederung
• Einführung
• Forschung zu Zusammenhängen zwischen
Medienkonsum und Aggressivität / Gewalt
– Studienlage, Metaanalysen
– Eigene Forschungsergebnisse
– Mediengewalt und Delinquenz
– Moderatorvariablen
• 2 Kasuistiken
• Empfehlungen
http://www.actagainstviolence.com/
http://www.killology.com/
Klarer Zusammenhang zwischen
Mediengewalt und Aggression
• Metaanalysen von Forschungsstudien,
insbesondere Arbeitsgruppe von Craig A.
Anderson (2001, 2003 und 2002) oder Browne,
Lancet (2005), zeigen Zusammenhänge zwischen
Mediengewalt und Aggression.
• Anderson 2002, Science S. 2377ff analysierten
– 46 longitudinale Studien mit insgesamt 4.975
Teilnehmern
– 86 Querschnittsstudien mit 37.341 Teilnehmern
– 28 Feldexperimente mit 1.976 Teilnehmern und
– 124 experimentelle Laborstudien mit 7.305
Teilnehmern.
Zusammenhänge zwischen Mediengewalt, Aggression
und gewalttätigem Verhalten
• Mediengewalt hat einen schwachen bis mittleren Effekt (r =
.13 - .32) auf gewalttätiges Verhalten.
• Sehr viel mehr Studien zeigen einen Zusammenhang mit
aggressivem Verhalten (teilweise auch mit Gewalt und
Kriminalität) (r = .18 - .38)
• Unabhängig von Methoden lassen sich diese Effekte
immer wieder finden.
• Langzeitstudien zeigen Folgen von Mediengewaltkonsum
in der Kindheit bis ins Erwachsenenalter.
• Effekte sind unterschiedlich je nach Ausgangniveau des
aggressiven Verhaltens, zeigen sich aber auch bei
Probanden, die nicht ohnehin schon eine stärkere
Aggressionsneigung hatten.
Bewertung von Metaanalysen mit
Effektstärken
•
•
•
•
Cohens Daumenregel: d = .20, ist ein kleiner Effekt d = .50 ist ein
mittlerer Effekt und d = .80 ist ein sehr starker Effekt.
r von .20 - .30 ist ein mittlerer Effekt.
Beispiel: der durchschnittliche Effekt von Gewaltmedienkonsum in
verschiedenen Metaanalysen zeigt nach dieser Klassifikation kleine bis
mittlere Effekte. Dies wurde vor allem in der Medienliteratur stets
bagatellisiert.
Eine Effektstärke von r = .26 (d > .40) wie sie eine Metaanalyse für
Filme mit gewalttätigen Inhalten fand, ist
– stärker als der Effekt des Kondomgebrauchs auf die Verminderung
des HIV-Risikos oder
– stärker als der Effekt von Passivrauchen am Arbeitsplatz auf
Lungenkrebs,
– oder stärker als der Effekt der Calciumeinnahme auf die
Knochenmasse und
– Ungefähr gleichstark wie der Effekt von Antidepressiva zur
Behandlung der Depression bei Erwachsenen
PAK-Kid-Studie
Psychische Auffälligkeiten und Kompetenzen von Kindern und
Jugendlichen in Deutschland
• Repräsentative Datenerhebung zwischen 7.11.94
und 20.12.94.
• Ausgangsstichprobe 12.588 Haushalte. In 3.663
Haushalten (29,1%) lebten Kinder und
Jugendliche im Alter von 4 – 18 Jahren, dies
entspricht dem in der Mediaanalyse für 1994
ermittelten Anteil.
• Die Rücklaufquote betrug 78%.
• Erreicht wurden 2.856 Teilnehmer.
• Hinsichtlich zentraler, soziodemographischer
Variablen unterscheidet sich die CBCL Stichprobe
nicht von der Mediaanalyse für 94
(Quelle: Döpfner et al. 1998)
Computerspiele
• Mitte der 90er Jahre fanden wir keine signifikanten
Unterschiede in der Häufigkeit des Computerspielens bei
Kindern aus Einelternfamilien und Kindern aus
Zweielternfamilien. 57,2% der Mütter aus Einelternfamilien
und 53,8% der Mütter aus Zweielternfamilien gaben
damals an, dass ihre Kinder nie mit dem Computer
spielen.
• Bis zu 1 Stunde spielten 24,3% der Kinder in
Einelternfamilien (EEF) und 32,8% der Kinder in
Zweielternfamilien (ZEF).
• Bis zu 2 Stunden 15,6% in EEF vs. 10,2 in ZEF
• Bis zu 4 Stunden 2% in EEF vs. 2,6% in ZEF
• Über 4 Stunden täglich spielten knapp 9% in EEF und 0,7
in ZEF.
• Jugendliche spielten damals signifikant häufiger
als Kinder
• 5,2% der Jugendlichen spielten bis zu oder über 4
Stunden pro Tag, nur 1,2% der Kinder tun dies (p
< 0.0001)
• Jungs spielen häufiger als Mädchen
• 7,1% aller Buben hatten intensiven
Computerspielkonsum, nur 0,9% der Mädchen (p
< 0.0001)
• Kinder mit auffälligem aggressivem Verhalten
spielen deutlich häufiger Computer (OR = 1.82,
CI: 1.53 – 2.17)
Lesen
• 38,6% der Kinder und Jugendlichen lesen nach
Elternangaben überhaupt nicht. 46% nur bis zu
einer Stunde pro Tag. Bei Nichtlesern sind
Verhaltensauffälligkeiten immer häufiger als bei
Lesern. Am stärksten sind die Effekte bei:
– Aufmerksamkeitsproblemen (p = 0.0043)
– Delinquentes Verhalten (p = 0,0055)
– Für den Gesamtsummenscore ergibt sich ein P von p =
0.39
• Mehr Kinder in Einelternfamilien lasen überhaupt
nicht (42,4% vs. 38,1%). Lesen aber Kinder und
Jugendliche aus Einelternfamilien, lesen sie in der
Regel länger als altersgleiche Kinder in
Zweielternfamilien.
Logistische Regressionen mit
Auffälligkeiten als abhängiger Variablen
• Aufmerksamkeitsprobleme und die Zahl der
Freunde sind signifikante Interaktionsterme
in einem logistischen Regressionsmodell.
Es fanden sich 51 klinisch auffällige Kinder
in der Gesamtstichprobe
Delinquentes Verhalten
• Hier fanden sich 42 auffällige Fälle nach der
Definitionsvorgabe.
• Partnerschaftsprobleme der Eltern hatten
signifikanten Einfluss auf Delinquenz. Der
Einfluss verstärkte sich in Einelternfamilien
nach Trennung, wenn noch eine starke
Streitbelastung auszumachen war.
Aggressives Verhalten
• Hier fanden sich 58 klinisch auffällige Fälle. Auch
hier fanden sich wieder Partnerschaftsprobleme
als signifikante Einflussvariable. Betrachtet man
alle auffälligen Kinder mit einer externalisierenden
Problematik, 162 klinisch auffällige Fälle, sind der
Familienstand, Partnerschaftsprobleme, Zahl der
Freunde, die wesentlichen Prädiktoren für das
Auftreten von externalisierenden Störungen.
• Bei Partnerschaftsproblemen besteht ein
doppeltes Risiko eine externalisierende
Problematik zu entwickeln (OR 2,01), mit der Zahl
der Freunde sinkt das Risiko proportional (OR –
2,20).
• Medienkonsum schaffte es nicht in die
Hitliste der Einflussfaktoren im
Regressionsmodell. Dies liegt an Häufigkeit
des Fernsehkonsums (quasi ubiquitär) und
dem damals noch nicht so stark
ausgeprägten Videospielkonsum.
• Bemerkenswert ist der protektive Effekt des
Lesens.
Medienkonsum und Kriminalität
• Langzeitstudien zeigen Zusammenhänge
mit Körperverletzung, Gewalt in Beziehung
bzw. in der Ehe
• Es gibt keine klaren Belege für
Vergewaltigung, schwere Körperverletzung,
Todschlag und Mord. Hierfür wären sehr
große Stichproben nötig, da die Basisrate
dieser Ereignisse relativ niedrig ist.
Fernsehkonsum und aggressives Verhalten im Jugend- und
jungen Erwachsenenalter
Johnson J.G., Cohen P., Smailes E.M., Kasen S., Brook J.S.: Science, 29. März 2002 S. 2468 - 2471
Fernsehkonsum und aggressives Verhalten im Jugend- und
jungen Erwachsenenalter
Johnson J.G., Cohen P., Smailes E.M., Kasen S., Brook J.S.: Science, 29. März 2002 S. 2468 - 2471
Fernsehkonsum und aggressives Verhalten im Jugend- und
jungen Erwachsenenalter
Johnson J.G., Cohen P., Smailes E.M., Kasen S., Brook J.S.: Science, 29. März 2002 S. 2468 - 2471
Korrelation mit Kriminalität oder
Verursachung von Kriminalität
• Zusammenhänge zwischen schweren Verbrechen und
Medienkonsum konnten nachgewiesen werden, es ist aber
unklar, ob ein kausaler Zusammenhang besteht.
• Prospektivstudien nicht groß genug.
• Studien an forensischen Patienten z. B. Sue Bailey (1993)
untersuchte 40 jugendliche Mörder und 200 jugendliche
Sexualstraftäter und fand ausgedehnten Konsum von
Gewaltfilmen und pornografischen Videos als wichtigen
Faktor bei der Begutachtung dieser Straftäter.
• In einigen Fällen kam es direkt zu Imitation von
Filmhandlungen
• Surette (2002) zeigte in seiner Studie, dass ¼ aller von
ihm interviewten jugendlichen Straftäter versuchten,
Verbrechensabläufe aus Medien nachzuahmen.
Gewaltdelinquenz
• Eine Langzeitstudie der Gruppe um Kruttschnitt, Heath,
hatte Gewaltdelinquenz als Studienzielgröße und fand
Zusammenhänge zwischen Medienkosum in der Kindheit
Und Gewaltdelinquenz.
• Andere Autoren (Savage, 2004) behaupten in einem
Review von Longitudinalstudien, es gäbe keinen Nachweis
von Zusammenhängen zwischen Medienkonsum und
Gewalt, allerdings hatten 11 von 12 dieser
Langzeituntersuchungen Gewaltdelinquenz nicht als
Zielgröße und konnten deshalb keine direkten Effekte
nachweisen, die einzige die dies direkt untersuchte fand
Zusammenhänge.
• Diese Zusammenhänge wurden stärker, wenn die
Interaktion zwischen häuslicher Gewalt und
Gewaltfernsehkonsum berücksichtigt wurde.
Straftäter
• Englische Studie zu Mediengewalt und Verbrechen
(Browne und Pennell 1998 a + b, 1999)
• The behaviour impact of the viewing film violence, London
Home Office 1999, official report of a government
sponsored study.
• Verglichen wurden 82 junge Straftäter mit 40
Nichtstraffälligen. Die inhaftierten Straftäter berichteten,
höhere Konsumraten für Satellitenfernsehen und
Videofilme, sie berichteten auch eine Präferenz für
Gewaltfilme und identifizierten sich mit gewalttätigen
Rollenmodellen.
• In psychometrischen Untersuchungen zeigten sie weniger
Empathie, geringere moralische Entwicklung, stärkeres
aggressives Temperament und verzerrte Wahrnehmung
über Gewalt.
Unterschiedliche Wahrnehmung des gleichen Films bei
Delinquenten und Nichtdelinquenten
• Dieselbe Studie zeigte, dass während des Ablaufs
eines Films Gewaltstraftäter deutlich mehr an
Gewaltszenen interessiert waren als die
Kontrollgruppe.
• 10 Monate nach der Vorführung des Films
erinnerten sich doppelt so viele Straftäter im
Vergleich zur Kontrollgruppe an Gewaltszenen
und identifizierten sich mit den gewalttätigen
Hauptdarstellern.
• Die US-Amerikanische Studie von Slater et al.
2003 zeigte ebenfalls, dass aggressive
Jugendliche in einer Auswahlaufgabe gewalttätige
Computerspiele, Videospiele und Internetsides mit
gewalttätigem Inhalt bevorzugten.
Modell von Browne und Pennell zur Erklärung der
Entwicklung der Vorliebe für gewalttätige Filme
Zusammenfassende Bewertung
• Gruppenstatistisch besteht ein kleiner bis mittlerer
korrelativer Zusammenhang zwischen aggressivem
Verhalten und Gewalt im Fernsehen. Zu Videospielen gibt
es weniger Forschung. Hier zeigen sich eher gleiche bis
größere Zusammenhänge mit Gewaltdarstellungen. Es
besteht offensichtlich auch ein Zusammenhang mit der
Größe des Bildschirms.
• Digitale Technologie hat Kontrolle von kindlichem
Medienkonsum noch schwieriger bis unmöglich gemacht.
• Viele Studien beziehen wichtige Einflussvariablen nicht mit
ein. Aus der Perspektive der Analyse der Vorgeschichte
von Straftaten ergibt sich, dass Medienbeispiele in einem
erheblichen Anteil der Jugendkriminalität eine Vorbildrolle
spielen.
• Jugendliche Straftäter sind fixiert auf Gewaltinhalte in
filmen und identifizieren sich mit Darstellern die Gewalt
ausüben.
Musikvideos
• Greven und Fegert (1993) zeigten, dass mehr als
die Hälfte aller Musikvideos Mitte der 90er Jahre
Gewaltinhalte und Inhalte sexueller Gewalt
präsentierten.
• Die in Studien festgestellten Effekte sind
Desensibilisierung gegenüber Gewalt als Kurzund Langzeitfolge (Greeson und Williams 1996,
Rehman und Reiley 1985, Straßburger und
Hendren 1995)
• Verstärkte Effekte zeigten sich insbesondere für
sexuelle Gewaltdarstellungen durch eine direkte
Verstärkung durch sexuelle Erregung.
Babyfernsehen
Früher Fernsehkonsum
• Einführung von Babyfernsehen (Teletubbies) und
permanentes Fernsehen als familiäre
Backgroundgestaltung vor allem in Unterschichtsfamilien.
• Christakis (2004) fand in einer nationalen Langzeitstudie
einen, durch eine logistische Regression abgesicherten,
Zusammenhang zwischen frühem Fernsehkonsum und
ADHD im Alter von 7 Jahren.
• 1278 Kinder wurden mit einem Jahr, 1345 Kinder mit drei
Jahren untersucht. Ein klarer Zusammenhang mit der
Menge des täglichen Fernsehkonsums und dem Auftreten
von ADHD [log. Regression: 1. Lj. mit ADHD im 7. Lj. als
abhängiger Variable 1.09 (1.03 – 1.15) und
Fernsehkonsum 3. Lj. und ADHD im 7. Lj. ebenfalls 1.09
(1.02 – 1.16)]
Neurobiologie von Fernsehkonsumfolgen
• Das kindliche Gehirn entwickelt sich nach der Geburt
rasch weiter (Barkovich et al. 1988, Yamada et al. 2000)
• Umweltfaktoren, insbesondere der Grad der Stimulation,
beeinflusst die Zahl und dichte neuronaler Synapsen.
• Greenough et al. (1987) Hypothese Überstimmulation
durch schnell wechselnde Bilder führt zu kürzerer
Aufmerksamkeitsspanne bei Kindern und damit erlernten
ADHD, z. B. Hartmann (1996).
• Koolstra und van der Voort fanden statistisch signifikante
Zusammenhänge zwischen frühem Fernsehkonsum und
schlechterem Schriftspracherwerb bzw. weniger Lesen im
Schulalter.
Gesundheitseffekte aus der Dunedin
Studie
•
•
Probanden 1972 – 73 in Neuseeland geboren, nachverfolgt bis heute.
Untersucht wurden hier BMI und Herz-Kreislauf-Fitness sowie
Serumcholesterin, Blutdruck und Rauchen.
Personen die zwischen 5 und 15 Jahren jeden Abend Fernsehkonsum hatten,
hatten:
–
–
–
–
•
•
Hochsignifikant höhere BMIs (p = 0,0013),
eine schlechtere Herz-Kreislauf-Fitness (p = 0,0003)
gesteigerten Zigarettenkonsum (p < 0,0001)
gesteigertes Serumcholesterin (p = 0,0037).
Kein signifikanter Zusammenhang bestand zwischen Blutdruck und
regelmäßigem Fernsehkonsum in der Kindheit.
Bei denjenigen, die mehr als zwei Stunden täglich in Kindheit und Jugend
regelmäßig ferngesehen haben, konnten folgende Prozentanteile der
gefundenen medizinischen Störungen auf den Fernsehkonsum zurückgeführt
werden (attributable risk fractions):
–
–
–
–
17% Übergewicht
15% Cholesterinerhöhung
17% Rauchen
15% geringe Fitness
Moderatorfaktoren
• Charakteristika bei den
Medienkonsumenten
– Alter
– Aggressivität
– Ansichten über Realitätsbezug in den Medien
– Identifikation mit aggressiven Darstellern
– Vorbestehende Psychopathologie
– Möglicher Weise genetische Ausstattung
Gesellschaftliche Moderatorvariablen
• Elterliche und Familieneinflüsse
– Kriminalität, insbesondere beim Vater
– Broken Home
– Alleinerziehen
– Eltern mit hohem Gewaltmedienkonsum
– Keine elterliche Kontrolle bzw. begleitende
Teilnahme am Medienkonsum
Moderatorvariablen im Inhalt der Medien
•
•
•
•
Charakteristika der dargestellten Täter (Empathie)
Grad des Realismus in der Gewaltdarstellung
Ideologische Rechtfertigung der Gewalt
Darstellung von Konsequenzen der Gewalt
(Beispiel: In Japan stark verbreitetes
sadomasochistische Gewaltdarstellungen, Leiden
der Opfer wird für Bedürfnisse des Publikums
besonders stark gezeigt, weniger
Nachahmereffekte als brutale Gewalt ohne
Darstellung des Leidens der Opfer, z. B. in USA.)
Kasuistik 1
Biographische Anamnese
Amrita
• zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme 9
Jahre
• Aufnahme wegen Springens aus dem
Schulklassenfenster im 2. Stock
• kaum Verletzungen durch Sturz in Busch
• Mutistisch verweigerndes Verhalten
• Scheinbar akustische und visuelle Halluzinationen
• Insbesondere Nachts massive Angst
• Alpträume
• Keine Gruppenfähigkeit
Kasuistik 1
Vorgeschichte
• Geburt als unerwünschtes Kind einer
ausländischen Prostituierten
• Zahlreiche (über 20) Wohnungswechsel in den
ersten Lebensjahren
• Extrem unregelmäßige Betreuung, auch
Ernährung und Versorgung
• Keine Entwicklung eines normalen Schlaf-WachRhythmus
• Videogerät als „Babysitter“.
• Einzige verfügbare Videos Gewaltpornos.
• Verzögerte Sprachentwicklung und in vielen
Situationen mutistisches Verhalten dennoch
regelrechte Einschulung.
Kasuistik 1
Verlauf
• Kurzfristige medikamentöse, antipsychotische
Behandlung, später aber Ausschluss der auch für dieses
Alter eher untypischen Diagnose Psychose.
• Schwerste, posttraumatische Belastungssymptome mit
Dissersation aufgrund von schwerer Vernachlässigung und
Traumatisierung durch exzessiven unbegleiteten und
unkontrollierten Konsum von Gewaltpornographie.
• Kaum verbale Therapiezugänge.
• Beste Zugänge in Musiktherapie oder bei gleichzeitige
repetitiven Spielaufgaben (EMDR?).
• Unter solchen Behandlungsmodalitäten war A. immer
besser in der Lage, über das Erlebte zu sprechen. Zentral
war für sie das Erlernen von Entspannungstechniken,
Sicherheitsritualen, Stopptechniken
Kasuistik 2
Biografische Anamnese
•
•
•
•
9-jähriger Junge
Unerwünschtes Kind
Unauffällige Meilensteine der Entwicklung
Bereits auffällig im Kindergartenalter durch
Verschlossenheit, aber auch auffällige familiäre
Situation
• Zuspitzung der Probleme in der Schule:
–
–
–
–
Hausaufgabenverweigerung
Provokation anderer Kinder
schnell aufbrausend
gewalttätig auf dem Schulhof
• derzeit Grundschule mit Erweiterung auf
Realschule
Kasuistik 2
Familienanamnese
• Mutter
– 40 Jahre alt
– qualifizierter Hauptschulabschluss, kaufmännische Angestellte
– Psychische Erkrankung (Sucht), in psychiatrischer Behandlung
• Vater
- 45 Jahre alt
- Hauptschulabschluss, keine Berufausbildung,
Gelegenheitsarbeiter, seit längerem arbeitslos
- Psychische Erkrankung (Sucht)
- Aggressive Ausbrüche, kriminell auffällig gewesen
• Eltern trennten sich als A. 3 Jahre alt war nach einem
massiven Konflikt mit Gewalttätigkeiten
• Ältere Halbschwester aus 1. Ehe der Mutter
– selbst psychisch krank (Sucht)
– Mit 17 Jahren an Krebs verstorben als A. 7 Jahre alt gewesen ist
Kasuistik 2
Sozialanamnese
• Lebt allein bei Mutter, die selbst finanzielle
Probleme habe
• Besuch des Hortes, da Mutter berufstätig und
alleinerziehend; 1 Freund im Hort
• Keinerlei soziale Kontakte in Schule und im
Wohnort
• Schule, Hort und Wohnort an getrennten Orten
• Freizeit: exzessiv über Stunden Playstation, PCSpiele, Fernsehen, Skateboardfahren, selten
Malen und Schwimmen
Playstation Spiele von A.
• Freigegeben ohne Altersbeschränkung
Ford-Racing 2
• Freigegeben ab 16 Jahren
Grand theft auto San Andreas R
Grand theft auto Vice city
Terminator 3 Rebellion der Maschinen
• Unklare Altersgrenzen, aber gewaltverherrlichend
Ultimate cheat für Grand theft auto San
Andreas
Grand theft auto San Andreas
•
• Terminator 3 - Rebellion der Maschinen
Produktbeschreibung
•
Produktbeschreibung des Herstellers Vor 12 Jahren versagte der T-1000 bei dem
Versuch, den künftigen Führer der Menschheit John Connor zu eliminieren. Connor,
damals noch ein Kind, lebte seitdem im Untergrund: kein Handy, keinen festen Job,
keine Freunde. Nur so konnte er sich erfolgreich vor den Maschinen der Zukunft
verstecken ... Bis heute! Nun ist Connors Aufenthaltsort bekannt und die Maschinen
schicken ihr neuestes Killer-Modell aus, den T-X. Die Lage scheint aussichtslos, denn
der T-X ist an technischer Überlegenheit und tödlicher Präzision nicht zu überbieten. So
lastet die Hoffnung der Menschheit allein auf Ihren Schultern: denn Sie sind der
Terminator, ein umprogrammierter Kampfroboter der älteren Generation ? jedoch
keinesfalls chancenlos! Geschick, Kraft und jede Menge Waffen sollten helfen, die
Rebellion der Maschinen und den Tag der Apokalypse abzuwenden ... Sind Sie bereit?
FEATURES: - Sie sind Arnold Schwarzenegger! Zum ersten Mal in der Geschichte der
Videospiele können Sie in die digitale Haut des Hollywood-Stars schlüpfen und die
Handlung eines ?Terminator´-Kinofilms selbst beeinflussen! - Sie sind der Terminator:
retten Sie John Connor vor der neuen und absolut tödlichen Killermaschine, dem T-X.
Es erwarten Sie halsbrecherische Motorrad-Verfolgungsjagden, knallharte FaustkampfDuelle und zahlreiche Spielabschnitte in dramatischer Ich-Perspektive mit geladener
Waffe im Anschlag. - Sie sind tödlich: setzen Sie mehr als 20 moderne und futuristische
Waffen ein, um den T-X aufzuhalten! Ob Laser, Raketenwerfer, Sturmgewehr oder Ihre
Fäuste. - Exklusive Filmsequenzen: extra für dieses Spiel drehte Regisseur Jonathan
Mostow mit Arnold & Co. über 6 zusätzliche Filmminuten. Diese Szenen sind nur im
Spiel zu sehen!
Quelle Internet
Was fasziniert an Terminator?
• „Weil man TX (Roboter) hochschmeißen
und wegwerfen kann.“
• „Weil man mit einer Karre durch die Gegend
fahren kann.“
• „Weil man ein Raumschiff jagen kann.“
• „Weil man auf einen Hubschrauber springen
kann und mit einer Minikanone feuern
kann.“
Grand Theft auto Vice city
GT3 und Grand theft Vice city
Was fasziniert an GTA-Spielen?
•
•
•
•
•
•
„Weil man Autos klauen kann.“
„Ständige Fortbewegungsmittel.“
„Weil man gute Waffen hat.“
„Weil man coole Stunts machen kann.“
„Weil man machen kann, was man will.“
„Dass man ganz schön viel Lebensenergie
hat.“
Kasuistik 2
Psychiatrische Anamnese
• Seit Anfang 2004 in Erziehungsberatung auf
Anraten der Schule wegen der oben
beschriebenen Probleme
• Gleichzeitig ambulante Ergotherapie als
Intervention der Erziehungsberatung
• Erster Kontakt in der KJP ambulant Oktober 2004
• Stationäre Aufnahme an der Kinderstation im
Rahmen einer multimodalen Behandlung: Januar
2004
Kasuistik 2
Geschildertes Problemverhalten
• Aggressives Verhalten anderen Kindern
gegenüber, provoziert und bedroht diese
• Schnell aufbrausend
• Stellt PC-Spiele und nicht kindgerechte Filme
nach
• Mangelnde Empathiefähigkeit
• Schimpfwörter
• Hält sich nicht an Regeln
• Sozialer Rückzug und Rachegedanken
• Schulunlust
• Hausaufgabenverweigerung
Kasusitik 2
Psychopathologischer Befund
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Im Kontakt eher zurückhaltend, wenig von sich preisgebend, wenig
Blickkontakt, traurig und affektiv kaum auslenkbar, sehr ruhig.
aggressives und oppositionelles Verhalten: mit handfesten
Auseinandersetzungen in der Schule
Außenseiterposition in der Schule.
Schulschwänzen wird verneint.
Stehlen bejaht.
depressive Symptome: sozialer Rückzug. Lustlosigkeit und
Indifferenz. Appetitlosigkeit.
Suizidgedanken verneint.
Konzentrationsprobleme verneint.
Morgendliche starke Müdigkeit, am Wochenende frühmorgens
aufwachen trotz spätem zu Bett gehen. Die Stimmung verbessere sich
ebenfalls am Wochenende mehr, verschlechtere sich über den
Tagesverlauf.
Angst verneint. Die KM berichtet, dass er in letzter Zeit anscheinend
mehr Angst habe, dass seiner KM etwas zustoßen könnte.
Kein Hinweis auf formale oder inhaltliche Denkstörungen, keine
Hinweis auf halluzinatorisches Erleben.
Kasuistik 2
Psychologische Diagnostik
• Intelligenz HAWIK III
– Gesamt-IQ 84, Verbal-IQ 89, Handlungs-IQ 82
¾ Leicht unterdurchschnittlich
• Klinische Diagnostik:
- CBCL KM: Gesamt-T-Wert 67, INT-T-Wert= 67, EXT-T-Wert= 64,
Hauptproblem: „Sozialer Rückzug“ (T-Wert=69)
- CBCL Hort: Gesamt-T-Wert=73, INT-T-Wert= 68, EXT-T-Wert=
75, Hauptproblemschwerpunkte „Aggressives Verhalten“ (T=80),
„Aufmerksamkeitsprobleme“ (T-Wert=76), „Sozialer Rückzug“
(T=75), Freitext: Gewaltbereitschaft, soziale Defizite und
Integrationsprobleme
- TRF Schule: Gesamt-T-Wert=65, INT-T-Wert= 57, EXT-T-Wert=
65, Hauptproblemschwerpunkt: „Schizoid/zwanghaftes Verhaltens“
(T=78), Freitext: Rückzugsverhalten, verdeckte Aggressionen,
Malen und Beschreiben von vielfältigen Tötungsmöglichkeiten
Kasuistik 2
Psychologische Diagnostik
• Klinische Diagnostik:
– AFS: überdurchschnittlich auf den Skalen Prüfingsangst
(PR=100), Manifeste Angst (PR=97), Schulunlust
(PR=100)
- DTK: Durchschnittlich auf Skalen agitiertes Verhalten
(PR=75,6), Müdigkeit/autonome Reaktionen (PR=67,6),
unterdurchschnittlich belastet auf Skala „Dysphorie/
Selbstwert“ (PR=4,2)
- DISSYPS-Fremdbeurteilungsbogen zur Störung des
Sozialverhaltens: bei Schule und Hort Kriterien für
oppositionell-aggressives Verhaltens eindeutig erfüllt,
im Urteil der Mutter nicht
Kasusitik 2
Diagnosen
• Achse-I (Klinisch-psychiatrisches Syndrom)
– Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Symptomatik
• Achse-II (Umschriebene Entwicklungsstörungen)
• V. a. Lese-/Rechtschreibstörung
• Achse-III (Intelligenzniveau)
• Unterdurchschnittliche Intelligenz (Testbefund)
• Achse-IV (Relevante körperliche Symptomatik)
• Keine Diagnose
• Achse-V(Aktuelle assoziierte abnorme psychosoziale
Umstände)
• Abweichende Elternsituation (Z 60.1)
• Tod der Schwester durch Krebserkrankung (Z 61.0)
• Psychische Erkrankung eines Elternteils (Z 63.7)
• Achse-VI (Globales psychosoziales Funktionsniveau)
• Ernsthafte und durchgängige soziale Beeinträchtigung
Kasuistik 2
Stationäre Auffälligkeiten
•
Stationärer Alltag
–
–
–
–
–
–
•
Einzeltherapeutische Sitzungen
–
–
–
–
–
–
–
•
Gewaltspiele und –phantasien
Mangelnde soziale Kompetenz
Kontaktanbahnung nur über Provokation, Androhung von Gewalt
Probleme Nähe zulassen zu können
Mangelnde Körperspannung
Thema Tod im freien Spiel und Äußerungen
Spricht wenig über Probleme
Ausleben von Aggressionen durch Gewaltspiele und Zeichnungen
Beschäftigung mit Themen Tod, umgebracht werden
Oftmals dabei keine Unterscheidung zwischen Fiktion und Realität
„Wieso, der kann doch wieder aufstehen?“
Spiele im Puppenhaus: „Hauskrieg“, „Kevin allein zu Haus“
Bei gemeinsamen Durchschauen von Playstationspielen im Kontakt, ansonsten in
Spielsituationen immer wieder vernichten seines Gegenübers
Gruppentherapeutische Settings
–
–
Durch Kindergruppe schnell überfordert.
Kann nur ca. 30min. Intensives Arbeiten zulassen, dann erneut Verhaltensauffälligkeiten
Gibt es resiliente Medienkonsumenten?
• Alle Studien zeigen, dass die zugrunde liegenden
psychologischen Mechanismen, die im
Experiment gut untersucht sind, bei allen
Menschen funktionieren.
• Damit ist jeder ein Risikoproband. Allerdings
zeigen sich protektive Faktoren wie: Geschlecht,
nichtaggressive Primärpersönlichkeit, keine
zugrunde liegenden Verhaltensauffälligkeiten,
günstige Aufwachsensbedingungen (Mittelschicht,
Zweielternfamilie), höhere soziale Schicht, höhere
Intelligenz.
Prävention und Sekundärprävention
• Ansätze wie Medienerziehung etc. werden breit gefordert
und diskutiert. Z. B. Neil Postman vor dem Hintergrund
einer eher konservativen Kulturverfallstheorie oder
besonders up to date neurobiologisch begründet (Manfred
Spitzer, 2005).
• Es gibt jedoch keine spezifische Forschung zu den
Effekten von Medienerziehung.
• Spezifische Untersuchungen zur Reduktion von
Aggressivität und Gewalt zeigen, dass durch bestimmte
frühe Verhaltensmanagementmaßnahmen in der
Schulklasse langwirkende Effekte erzielt werden können.
Eine systematische Medienerziehung ist in keines dieser
Konzepte einbezogen.
Empfehlungen
Modifiziert nach Browen (2005)
1. Empfehlungen für Eltern
•
•
•
•
•
Eltern sollten klar auf die Risiken frühen Fernsehkonsums und auf die Risiken
des Konsums von Gewaltinhalten im Fernsehen hingewiesen werden. Die
Risiken sind:
•
Störungen der Aufmerksamkeits- und Konzentrationsentwicklung
•
Entstehung aggressiver Grundhaltung
•
Antisoziales Verhalten
•
Angst und
•
Desensibilisierung gegenüber Gewalt bzw. Emotionalisierung und
mangelnde Empathie.
Eltern sollten sich in jeder Altersstufe einen Überblick darüber verschaffen, in
welchem Ausmaß ihre Kinder Medien konsumieren und welchen Anteil dabei
Gewalt und sexuelle Gewaltinhalte spielen.
(Cave: Fernseher, DVD etc. im Kinderzimmer, was wird im Internet konsumiert,
welche DVDs werden ausgeliehen und getauscht bzw. gemeinsam angesehen
in der Peer Group.)
Filme mit gewalttätigem Inhalt sollten zusammen mit Kindern gesehen werden.
Emotionale Verarbeitung geschieht im Gespräch mit Eltern und Gleichaltrigen
über die Inhalte.
Nicht überfordern und nicht „in Watte packen.“
2. Empfehlungen an Professionelle
Kinder- und Jugendpsychiater, psychologische
Psychotherapeuten, Berater und Pädagogen
sollten Eltern Unterstützung und Beratung
anbieten.
• Güterabwägung bei Mitwisserschaft über
Gewaltphantasien
• Völlig unkontrollierter Medienkonsum von extrem
gewalttätigen oder sexuellen Gewaltinhalten kann
eine Misshandlungsform sein, welche häufig mit
emotionaler Kindesmisshandlung bzw.
Kindesvernachlässigung kombiniert ist.
Medienerziehung in der Schule
• Schwerpunkte bei der Diskussion:
– Realismus
– Rechtfertigung für Gewalt
– Konsequenzen von Gewalt
– Opferempathie
Kinder- und Jugendschutz in Bezug auf
Medienkonsum
• Fachpolitische Empfehlungen, staatlicher
Jugendschutz und Jugendmedienschutz.
Nicht nur Ausmaß und Art der Gewalt in
Filmen sollte schematisch erfasst und mit
Altersstandards versehen werden sondern
der Kontext in dem Gewalt auftritt,
insbesondere Schuldgefühle, Zweifel, Kritik,
Strafe und Empathie bzw. der Mangel
dieser Faktoren sollte mitbeachtet werden.
• Medienkampagnen, Kampagne von HörZu
und Bundesregierung: Schau Hin
Bildungspolitik
• Hier sollte darauf geachtet werden, dass
Medienerziehung ein zentraler Inhalt in der
schulischen Erziehung wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
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