Neue Medien – was machen sie mit unseren Kindern Symposium Niedersächsische Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie Hildesheim 29. 06.2005 J.M. Fegert (Ulm) Gliederung • Einführung • Forschung zu Zusammenhängen zwischen Medienkonsum und Aggressivität / Gewalt – Studienlage, Metaanalysen – Eigene Forschungsergebnisse – Mediengewalt und Delinquenz – Moderatorvariablen • 2 Kasuistiken • Empfehlungen http://www.actagainstviolence.com/ http://www.killology.com/ Klarer Zusammenhang zwischen Mediengewalt und Aggression • Metaanalysen von Forschungsstudien, insbesondere Arbeitsgruppe von Craig A. Anderson (2001, 2003 und 2002) oder Browne, Lancet (2005), zeigen Zusammenhänge zwischen Mediengewalt und Aggression. • Anderson 2002, Science S. 2377ff analysierten – 46 longitudinale Studien mit insgesamt 4.975 Teilnehmern – 86 Querschnittsstudien mit 37.341 Teilnehmern – 28 Feldexperimente mit 1.976 Teilnehmern und – 124 experimentelle Laborstudien mit 7.305 Teilnehmern. Zusammenhänge zwischen Mediengewalt, Aggression und gewalttätigem Verhalten • Mediengewalt hat einen schwachen bis mittleren Effekt (r = .13 - .32) auf gewalttätiges Verhalten. • Sehr viel mehr Studien zeigen einen Zusammenhang mit aggressivem Verhalten (teilweise auch mit Gewalt und Kriminalität) (r = .18 - .38) • Unabhängig von Methoden lassen sich diese Effekte immer wieder finden. • Langzeitstudien zeigen Folgen von Mediengewaltkonsum in der Kindheit bis ins Erwachsenenalter. • Effekte sind unterschiedlich je nach Ausgangniveau des aggressiven Verhaltens, zeigen sich aber auch bei Probanden, die nicht ohnehin schon eine stärkere Aggressionsneigung hatten. Bewertung von Metaanalysen mit Effektstärken • • • • Cohens Daumenregel: d = .20, ist ein kleiner Effekt d = .50 ist ein mittlerer Effekt und d = .80 ist ein sehr starker Effekt. r von .20 - .30 ist ein mittlerer Effekt. Beispiel: der durchschnittliche Effekt von Gewaltmedienkonsum in verschiedenen Metaanalysen zeigt nach dieser Klassifikation kleine bis mittlere Effekte. Dies wurde vor allem in der Medienliteratur stets bagatellisiert. Eine Effektstärke von r = .26 (d > .40) wie sie eine Metaanalyse für Filme mit gewalttätigen Inhalten fand, ist – stärker als der Effekt des Kondomgebrauchs auf die Verminderung des HIV-Risikos oder – stärker als der Effekt von Passivrauchen am Arbeitsplatz auf Lungenkrebs, – oder stärker als der Effekt der Calciumeinnahme auf die Knochenmasse und – Ungefähr gleichstark wie der Effekt von Antidepressiva zur Behandlung der Depression bei Erwachsenen PAK-Kid-Studie Psychische Auffälligkeiten und Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland • Repräsentative Datenerhebung zwischen 7.11.94 und 20.12.94. • Ausgangsstichprobe 12.588 Haushalte. In 3.663 Haushalten (29,1%) lebten Kinder und Jugendliche im Alter von 4 – 18 Jahren, dies entspricht dem in der Mediaanalyse für 1994 ermittelten Anteil. • Die Rücklaufquote betrug 78%. • Erreicht wurden 2.856 Teilnehmer. • Hinsichtlich zentraler, soziodemographischer Variablen unterscheidet sich die CBCL Stichprobe nicht von der Mediaanalyse für 94 (Quelle: Döpfner et al. 1998) Computerspiele • Mitte der 90er Jahre fanden wir keine signifikanten Unterschiede in der Häufigkeit des Computerspielens bei Kindern aus Einelternfamilien und Kindern aus Zweielternfamilien. 57,2% der Mütter aus Einelternfamilien und 53,8% der Mütter aus Zweielternfamilien gaben damals an, dass ihre Kinder nie mit dem Computer spielen. • Bis zu 1 Stunde spielten 24,3% der Kinder in Einelternfamilien (EEF) und 32,8% der Kinder in Zweielternfamilien (ZEF). • Bis zu 2 Stunden 15,6% in EEF vs. 10,2 in ZEF • Bis zu 4 Stunden 2% in EEF vs. 2,6% in ZEF • Über 4 Stunden täglich spielten knapp 9% in EEF und 0,7 in ZEF. • Jugendliche spielten damals signifikant häufiger als Kinder • 5,2% der Jugendlichen spielten bis zu oder über 4 Stunden pro Tag, nur 1,2% der Kinder tun dies (p < 0.0001) • Jungs spielen häufiger als Mädchen • 7,1% aller Buben hatten intensiven Computerspielkonsum, nur 0,9% der Mädchen (p < 0.0001) • Kinder mit auffälligem aggressivem Verhalten spielen deutlich häufiger Computer (OR = 1.82, CI: 1.53 – 2.17) Lesen • 38,6% der Kinder und Jugendlichen lesen nach Elternangaben überhaupt nicht. 46% nur bis zu einer Stunde pro Tag. Bei Nichtlesern sind Verhaltensauffälligkeiten immer häufiger als bei Lesern. Am stärksten sind die Effekte bei: – Aufmerksamkeitsproblemen (p = 0.0043) – Delinquentes Verhalten (p = 0,0055) – Für den Gesamtsummenscore ergibt sich ein P von p = 0.39 • Mehr Kinder in Einelternfamilien lasen überhaupt nicht (42,4% vs. 38,1%). Lesen aber Kinder und Jugendliche aus Einelternfamilien, lesen sie in der Regel länger als altersgleiche Kinder in Zweielternfamilien. Logistische Regressionen mit Auffälligkeiten als abhängiger Variablen • Aufmerksamkeitsprobleme und die Zahl der Freunde sind signifikante Interaktionsterme in einem logistischen Regressionsmodell. Es fanden sich 51 klinisch auffällige Kinder in der Gesamtstichprobe Delinquentes Verhalten • Hier fanden sich 42 auffällige Fälle nach der Definitionsvorgabe. • Partnerschaftsprobleme der Eltern hatten signifikanten Einfluss auf Delinquenz. Der Einfluss verstärkte sich in Einelternfamilien nach Trennung, wenn noch eine starke Streitbelastung auszumachen war. Aggressives Verhalten • Hier fanden sich 58 klinisch auffällige Fälle. Auch hier fanden sich wieder Partnerschaftsprobleme als signifikante Einflussvariable. Betrachtet man alle auffälligen Kinder mit einer externalisierenden Problematik, 162 klinisch auffällige Fälle, sind der Familienstand, Partnerschaftsprobleme, Zahl der Freunde, die wesentlichen Prädiktoren für das Auftreten von externalisierenden Störungen. • Bei Partnerschaftsproblemen besteht ein doppeltes Risiko eine externalisierende Problematik zu entwickeln (OR 2,01), mit der Zahl der Freunde sinkt das Risiko proportional (OR – 2,20). • Medienkonsum schaffte es nicht in die Hitliste der Einflussfaktoren im Regressionsmodell. Dies liegt an Häufigkeit des Fernsehkonsums (quasi ubiquitär) und dem damals noch nicht so stark ausgeprägten Videospielkonsum. • Bemerkenswert ist der protektive Effekt des Lesens. Medienkonsum und Kriminalität • Langzeitstudien zeigen Zusammenhänge mit Körperverletzung, Gewalt in Beziehung bzw. in der Ehe • Es gibt keine klaren Belege für Vergewaltigung, schwere Körperverletzung, Todschlag und Mord. Hierfür wären sehr große Stichproben nötig, da die Basisrate dieser Ereignisse relativ niedrig ist. Fernsehkonsum und aggressives Verhalten im Jugend- und jungen Erwachsenenalter Johnson J.G., Cohen P., Smailes E.M., Kasen S., Brook J.S.: Science, 29. März 2002 S. 2468 - 2471 Fernsehkonsum und aggressives Verhalten im Jugend- und jungen Erwachsenenalter Johnson J.G., Cohen P., Smailes E.M., Kasen S., Brook J.S.: Science, 29. März 2002 S. 2468 - 2471 Fernsehkonsum und aggressives Verhalten im Jugend- und jungen Erwachsenenalter Johnson J.G., Cohen P., Smailes E.M., Kasen S., Brook J.S.: Science, 29. März 2002 S. 2468 - 2471 Korrelation mit Kriminalität oder Verursachung von Kriminalität • Zusammenhänge zwischen schweren Verbrechen und Medienkonsum konnten nachgewiesen werden, es ist aber unklar, ob ein kausaler Zusammenhang besteht. • Prospektivstudien nicht groß genug. • Studien an forensischen Patienten z. B. Sue Bailey (1993) untersuchte 40 jugendliche Mörder und 200 jugendliche Sexualstraftäter und fand ausgedehnten Konsum von Gewaltfilmen und pornografischen Videos als wichtigen Faktor bei der Begutachtung dieser Straftäter. • In einigen Fällen kam es direkt zu Imitation von Filmhandlungen • Surette (2002) zeigte in seiner Studie, dass ¼ aller von ihm interviewten jugendlichen Straftäter versuchten, Verbrechensabläufe aus Medien nachzuahmen. Gewaltdelinquenz • Eine Langzeitstudie der Gruppe um Kruttschnitt, Heath, hatte Gewaltdelinquenz als Studienzielgröße und fand Zusammenhänge zwischen Medienkosum in der Kindheit Und Gewaltdelinquenz. • Andere Autoren (Savage, 2004) behaupten in einem Review von Longitudinalstudien, es gäbe keinen Nachweis von Zusammenhängen zwischen Medienkonsum und Gewalt, allerdings hatten 11 von 12 dieser Langzeituntersuchungen Gewaltdelinquenz nicht als Zielgröße und konnten deshalb keine direkten Effekte nachweisen, die einzige die dies direkt untersuchte fand Zusammenhänge. • Diese Zusammenhänge wurden stärker, wenn die Interaktion zwischen häuslicher Gewalt und Gewaltfernsehkonsum berücksichtigt wurde. Straftäter • Englische Studie zu Mediengewalt und Verbrechen (Browne und Pennell 1998 a + b, 1999) • The behaviour impact of the viewing film violence, London Home Office 1999, official report of a government sponsored study. • Verglichen wurden 82 junge Straftäter mit 40 Nichtstraffälligen. Die inhaftierten Straftäter berichteten, höhere Konsumraten für Satellitenfernsehen und Videofilme, sie berichteten auch eine Präferenz für Gewaltfilme und identifizierten sich mit gewalttätigen Rollenmodellen. • In psychometrischen Untersuchungen zeigten sie weniger Empathie, geringere moralische Entwicklung, stärkeres aggressives Temperament und verzerrte Wahrnehmung über Gewalt. Unterschiedliche Wahrnehmung des gleichen Films bei Delinquenten und Nichtdelinquenten • Dieselbe Studie zeigte, dass während des Ablaufs eines Films Gewaltstraftäter deutlich mehr an Gewaltszenen interessiert waren als die Kontrollgruppe. • 10 Monate nach der Vorführung des Films erinnerten sich doppelt so viele Straftäter im Vergleich zur Kontrollgruppe an Gewaltszenen und identifizierten sich mit den gewalttätigen Hauptdarstellern. • Die US-Amerikanische Studie von Slater et al. 2003 zeigte ebenfalls, dass aggressive Jugendliche in einer Auswahlaufgabe gewalttätige Computerspiele, Videospiele und Internetsides mit gewalttätigem Inhalt bevorzugten. Modell von Browne und Pennell zur Erklärung der Entwicklung der Vorliebe für gewalttätige Filme Zusammenfassende Bewertung • Gruppenstatistisch besteht ein kleiner bis mittlerer korrelativer Zusammenhang zwischen aggressivem Verhalten und Gewalt im Fernsehen. Zu Videospielen gibt es weniger Forschung. Hier zeigen sich eher gleiche bis größere Zusammenhänge mit Gewaltdarstellungen. Es besteht offensichtlich auch ein Zusammenhang mit der Größe des Bildschirms. • Digitale Technologie hat Kontrolle von kindlichem Medienkonsum noch schwieriger bis unmöglich gemacht. • Viele Studien beziehen wichtige Einflussvariablen nicht mit ein. Aus der Perspektive der Analyse der Vorgeschichte von Straftaten ergibt sich, dass Medienbeispiele in einem erheblichen Anteil der Jugendkriminalität eine Vorbildrolle spielen. • Jugendliche Straftäter sind fixiert auf Gewaltinhalte in filmen und identifizieren sich mit Darstellern die Gewalt ausüben. Musikvideos • Greven und Fegert (1993) zeigten, dass mehr als die Hälfte aller Musikvideos Mitte der 90er Jahre Gewaltinhalte und Inhalte sexueller Gewalt präsentierten. • Die in Studien festgestellten Effekte sind Desensibilisierung gegenüber Gewalt als Kurzund Langzeitfolge (Greeson und Williams 1996, Rehman und Reiley 1985, Straßburger und Hendren 1995) • Verstärkte Effekte zeigten sich insbesondere für sexuelle Gewaltdarstellungen durch eine direkte Verstärkung durch sexuelle Erregung. Babyfernsehen Früher Fernsehkonsum • Einführung von Babyfernsehen (Teletubbies) und permanentes Fernsehen als familiäre Backgroundgestaltung vor allem in Unterschichtsfamilien. • Christakis (2004) fand in einer nationalen Langzeitstudie einen, durch eine logistische Regression abgesicherten, Zusammenhang zwischen frühem Fernsehkonsum und ADHD im Alter von 7 Jahren. • 1278 Kinder wurden mit einem Jahr, 1345 Kinder mit drei Jahren untersucht. Ein klarer Zusammenhang mit der Menge des täglichen Fernsehkonsums und dem Auftreten von ADHD [log. Regression: 1. Lj. mit ADHD im 7. Lj. als abhängiger Variable 1.09 (1.03 – 1.15) und Fernsehkonsum 3. Lj. und ADHD im 7. Lj. ebenfalls 1.09 (1.02 – 1.16)] Neurobiologie von Fernsehkonsumfolgen • Das kindliche Gehirn entwickelt sich nach der Geburt rasch weiter (Barkovich et al. 1988, Yamada et al. 2000) • Umweltfaktoren, insbesondere der Grad der Stimulation, beeinflusst die Zahl und dichte neuronaler Synapsen. • Greenough et al. (1987) Hypothese Überstimmulation durch schnell wechselnde Bilder führt zu kürzerer Aufmerksamkeitsspanne bei Kindern und damit erlernten ADHD, z. B. Hartmann (1996). • Koolstra und van der Voort fanden statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen frühem Fernsehkonsum und schlechterem Schriftspracherwerb bzw. weniger Lesen im Schulalter. Gesundheitseffekte aus der Dunedin Studie • • Probanden 1972 – 73 in Neuseeland geboren, nachverfolgt bis heute. Untersucht wurden hier BMI und Herz-Kreislauf-Fitness sowie Serumcholesterin, Blutdruck und Rauchen. Personen die zwischen 5 und 15 Jahren jeden Abend Fernsehkonsum hatten, hatten: – – – – • • Hochsignifikant höhere BMIs (p = 0,0013), eine schlechtere Herz-Kreislauf-Fitness (p = 0,0003) gesteigerten Zigarettenkonsum (p < 0,0001) gesteigertes Serumcholesterin (p = 0,0037). Kein signifikanter Zusammenhang bestand zwischen Blutdruck und regelmäßigem Fernsehkonsum in der Kindheit. Bei denjenigen, die mehr als zwei Stunden täglich in Kindheit und Jugend regelmäßig ferngesehen haben, konnten folgende Prozentanteile der gefundenen medizinischen Störungen auf den Fernsehkonsum zurückgeführt werden (attributable risk fractions): – – – – 17% Übergewicht 15% Cholesterinerhöhung 17% Rauchen 15% geringe Fitness Moderatorfaktoren • Charakteristika bei den Medienkonsumenten – Alter – Aggressivität – Ansichten über Realitätsbezug in den Medien – Identifikation mit aggressiven Darstellern – Vorbestehende Psychopathologie – Möglicher Weise genetische Ausstattung Gesellschaftliche Moderatorvariablen • Elterliche und Familieneinflüsse – Kriminalität, insbesondere beim Vater – Broken Home – Alleinerziehen – Eltern mit hohem Gewaltmedienkonsum – Keine elterliche Kontrolle bzw. begleitende Teilnahme am Medienkonsum Moderatorvariablen im Inhalt der Medien • • • • Charakteristika der dargestellten Täter (Empathie) Grad des Realismus in der Gewaltdarstellung Ideologische Rechtfertigung der Gewalt Darstellung von Konsequenzen der Gewalt (Beispiel: In Japan stark verbreitetes sadomasochistische Gewaltdarstellungen, Leiden der Opfer wird für Bedürfnisse des Publikums besonders stark gezeigt, weniger Nachahmereffekte als brutale Gewalt ohne Darstellung des Leidens der Opfer, z. B. in USA.) Kasuistik 1 Biographische Anamnese Amrita • zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme 9 Jahre • Aufnahme wegen Springens aus dem Schulklassenfenster im 2. Stock • kaum Verletzungen durch Sturz in Busch • Mutistisch verweigerndes Verhalten • Scheinbar akustische und visuelle Halluzinationen • Insbesondere Nachts massive Angst • Alpträume • Keine Gruppenfähigkeit Kasuistik 1 Vorgeschichte • Geburt als unerwünschtes Kind einer ausländischen Prostituierten • Zahlreiche (über 20) Wohnungswechsel in den ersten Lebensjahren • Extrem unregelmäßige Betreuung, auch Ernährung und Versorgung • Keine Entwicklung eines normalen Schlaf-WachRhythmus • Videogerät als „Babysitter“. • Einzige verfügbare Videos Gewaltpornos. • Verzögerte Sprachentwicklung und in vielen Situationen mutistisches Verhalten dennoch regelrechte Einschulung. Kasuistik 1 Verlauf • Kurzfristige medikamentöse, antipsychotische Behandlung, später aber Ausschluss der auch für dieses Alter eher untypischen Diagnose Psychose. • Schwerste, posttraumatische Belastungssymptome mit Dissersation aufgrund von schwerer Vernachlässigung und Traumatisierung durch exzessiven unbegleiteten und unkontrollierten Konsum von Gewaltpornographie. • Kaum verbale Therapiezugänge. • Beste Zugänge in Musiktherapie oder bei gleichzeitige repetitiven Spielaufgaben (EMDR?). • Unter solchen Behandlungsmodalitäten war A. immer besser in der Lage, über das Erlebte zu sprechen. Zentral war für sie das Erlernen von Entspannungstechniken, Sicherheitsritualen, Stopptechniken Kasuistik 2 Biografische Anamnese • • • • 9-jähriger Junge Unerwünschtes Kind Unauffällige Meilensteine der Entwicklung Bereits auffällig im Kindergartenalter durch Verschlossenheit, aber auch auffällige familiäre Situation • Zuspitzung der Probleme in der Schule: – – – – Hausaufgabenverweigerung Provokation anderer Kinder schnell aufbrausend gewalttätig auf dem Schulhof • derzeit Grundschule mit Erweiterung auf Realschule Kasuistik 2 Familienanamnese • Mutter – 40 Jahre alt – qualifizierter Hauptschulabschluss, kaufmännische Angestellte – Psychische Erkrankung (Sucht), in psychiatrischer Behandlung • Vater - 45 Jahre alt - Hauptschulabschluss, keine Berufausbildung, Gelegenheitsarbeiter, seit längerem arbeitslos - Psychische Erkrankung (Sucht) - Aggressive Ausbrüche, kriminell auffällig gewesen • Eltern trennten sich als A. 3 Jahre alt war nach einem massiven Konflikt mit Gewalttätigkeiten • Ältere Halbschwester aus 1. Ehe der Mutter – selbst psychisch krank (Sucht) – Mit 17 Jahren an Krebs verstorben als A. 7 Jahre alt gewesen ist Kasuistik 2 Sozialanamnese • Lebt allein bei Mutter, die selbst finanzielle Probleme habe • Besuch des Hortes, da Mutter berufstätig und alleinerziehend; 1 Freund im Hort • Keinerlei soziale Kontakte in Schule und im Wohnort • Schule, Hort und Wohnort an getrennten Orten • Freizeit: exzessiv über Stunden Playstation, PCSpiele, Fernsehen, Skateboardfahren, selten Malen und Schwimmen Playstation Spiele von A. • Freigegeben ohne Altersbeschränkung Ford-Racing 2 • Freigegeben ab 16 Jahren Grand theft auto San Andreas R Grand theft auto Vice city Terminator 3 Rebellion der Maschinen • Unklare Altersgrenzen, aber gewaltverherrlichend Ultimate cheat für Grand theft auto San Andreas Grand theft auto San Andreas • • Terminator 3 - Rebellion der Maschinen Produktbeschreibung • Produktbeschreibung des Herstellers Vor 12 Jahren versagte der T-1000 bei dem Versuch, den künftigen Führer der Menschheit John Connor zu eliminieren. Connor, damals noch ein Kind, lebte seitdem im Untergrund: kein Handy, keinen festen Job, keine Freunde. Nur so konnte er sich erfolgreich vor den Maschinen der Zukunft verstecken ... Bis heute! Nun ist Connors Aufenthaltsort bekannt und die Maschinen schicken ihr neuestes Killer-Modell aus, den T-X. Die Lage scheint aussichtslos, denn der T-X ist an technischer Überlegenheit und tödlicher Präzision nicht zu überbieten. So lastet die Hoffnung der Menschheit allein auf Ihren Schultern: denn Sie sind der Terminator, ein umprogrammierter Kampfroboter der älteren Generation ? jedoch keinesfalls chancenlos! Geschick, Kraft und jede Menge Waffen sollten helfen, die Rebellion der Maschinen und den Tag der Apokalypse abzuwenden ... Sind Sie bereit? FEATURES: - Sie sind Arnold Schwarzenegger! Zum ersten Mal in der Geschichte der Videospiele können Sie in die digitale Haut des Hollywood-Stars schlüpfen und die Handlung eines ?Terminator´-Kinofilms selbst beeinflussen! - Sie sind der Terminator: retten Sie John Connor vor der neuen und absolut tödlichen Killermaschine, dem T-X. Es erwarten Sie halsbrecherische Motorrad-Verfolgungsjagden, knallharte FaustkampfDuelle und zahlreiche Spielabschnitte in dramatischer Ich-Perspektive mit geladener Waffe im Anschlag. - Sie sind tödlich: setzen Sie mehr als 20 moderne und futuristische Waffen ein, um den T-X aufzuhalten! Ob Laser, Raketenwerfer, Sturmgewehr oder Ihre Fäuste. - Exklusive Filmsequenzen: extra für dieses Spiel drehte Regisseur Jonathan Mostow mit Arnold & Co. über 6 zusätzliche Filmminuten. Diese Szenen sind nur im Spiel zu sehen! Quelle Internet Was fasziniert an Terminator? • „Weil man TX (Roboter) hochschmeißen und wegwerfen kann.“ • „Weil man mit einer Karre durch die Gegend fahren kann.“ • „Weil man ein Raumschiff jagen kann.“ • „Weil man auf einen Hubschrauber springen kann und mit einer Minikanone feuern kann.“ Grand Theft auto Vice city GT3 und Grand theft Vice city Was fasziniert an GTA-Spielen? • • • • • • „Weil man Autos klauen kann.“ „Ständige Fortbewegungsmittel.“ „Weil man gute Waffen hat.“ „Weil man coole Stunts machen kann.“ „Weil man machen kann, was man will.“ „Dass man ganz schön viel Lebensenergie hat.“ Kasuistik 2 Psychiatrische Anamnese • Seit Anfang 2004 in Erziehungsberatung auf Anraten der Schule wegen der oben beschriebenen Probleme • Gleichzeitig ambulante Ergotherapie als Intervention der Erziehungsberatung • Erster Kontakt in der KJP ambulant Oktober 2004 • Stationäre Aufnahme an der Kinderstation im Rahmen einer multimodalen Behandlung: Januar 2004 Kasuistik 2 Geschildertes Problemverhalten • Aggressives Verhalten anderen Kindern gegenüber, provoziert und bedroht diese • Schnell aufbrausend • Stellt PC-Spiele und nicht kindgerechte Filme nach • Mangelnde Empathiefähigkeit • Schimpfwörter • Hält sich nicht an Regeln • Sozialer Rückzug und Rachegedanken • Schulunlust • Hausaufgabenverweigerung Kasusitik 2 Psychopathologischer Befund • • • • • • • • • • • Im Kontakt eher zurückhaltend, wenig von sich preisgebend, wenig Blickkontakt, traurig und affektiv kaum auslenkbar, sehr ruhig. aggressives und oppositionelles Verhalten: mit handfesten Auseinandersetzungen in der Schule Außenseiterposition in der Schule. Schulschwänzen wird verneint. Stehlen bejaht. depressive Symptome: sozialer Rückzug. Lustlosigkeit und Indifferenz. Appetitlosigkeit. Suizidgedanken verneint. Konzentrationsprobleme verneint. Morgendliche starke Müdigkeit, am Wochenende frühmorgens aufwachen trotz spätem zu Bett gehen. Die Stimmung verbessere sich ebenfalls am Wochenende mehr, verschlechtere sich über den Tagesverlauf. Angst verneint. Die KM berichtet, dass er in letzter Zeit anscheinend mehr Angst habe, dass seiner KM etwas zustoßen könnte. Kein Hinweis auf formale oder inhaltliche Denkstörungen, keine Hinweis auf halluzinatorisches Erleben. Kasuistik 2 Psychologische Diagnostik • Intelligenz HAWIK III – Gesamt-IQ 84, Verbal-IQ 89, Handlungs-IQ 82 ¾ Leicht unterdurchschnittlich • Klinische Diagnostik: - CBCL KM: Gesamt-T-Wert 67, INT-T-Wert= 67, EXT-T-Wert= 64, Hauptproblem: „Sozialer Rückzug“ (T-Wert=69) - CBCL Hort: Gesamt-T-Wert=73, INT-T-Wert= 68, EXT-T-Wert= 75, Hauptproblemschwerpunkte „Aggressives Verhalten“ (T=80), „Aufmerksamkeitsprobleme“ (T-Wert=76), „Sozialer Rückzug“ (T=75), Freitext: Gewaltbereitschaft, soziale Defizite und Integrationsprobleme - TRF Schule: Gesamt-T-Wert=65, INT-T-Wert= 57, EXT-T-Wert= 65, Hauptproblemschwerpunkt: „Schizoid/zwanghaftes Verhaltens“ (T=78), Freitext: Rückzugsverhalten, verdeckte Aggressionen, Malen und Beschreiben von vielfältigen Tötungsmöglichkeiten Kasuistik 2 Psychologische Diagnostik • Klinische Diagnostik: – AFS: überdurchschnittlich auf den Skalen Prüfingsangst (PR=100), Manifeste Angst (PR=97), Schulunlust (PR=100) - DTK: Durchschnittlich auf Skalen agitiertes Verhalten (PR=75,6), Müdigkeit/autonome Reaktionen (PR=67,6), unterdurchschnittlich belastet auf Skala „Dysphorie/ Selbstwert“ (PR=4,2) - DISSYPS-Fremdbeurteilungsbogen zur Störung des Sozialverhaltens: bei Schule und Hort Kriterien für oppositionell-aggressives Verhaltens eindeutig erfüllt, im Urteil der Mutter nicht Kasusitik 2 Diagnosen • Achse-I (Klinisch-psychiatrisches Syndrom) – Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Symptomatik • Achse-II (Umschriebene Entwicklungsstörungen) • V. a. Lese-/Rechtschreibstörung • Achse-III (Intelligenzniveau) • Unterdurchschnittliche Intelligenz (Testbefund) • Achse-IV (Relevante körperliche Symptomatik) • Keine Diagnose • Achse-V(Aktuelle assoziierte abnorme psychosoziale Umstände) • Abweichende Elternsituation (Z 60.1) • Tod der Schwester durch Krebserkrankung (Z 61.0) • Psychische Erkrankung eines Elternteils (Z 63.7) • Achse-VI (Globales psychosoziales Funktionsniveau) • Ernsthafte und durchgängige soziale Beeinträchtigung Kasuistik 2 Stationäre Auffälligkeiten • Stationärer Alltag – – – – – – • Einzeltherapeutische Sitzungen – – – – – – – • Gewaltspiele und –phantasien Mangelnde soziale Kompetenz Kontaktanbahnung nur über Provokation, Androhung von Gewalt Probleme Nähe zulassen zu können Mangelnde Körperspannung Thema Tod im freien Spiel und Äußerungen Spricht wenig über Probleme Ausleben von Aggressionen durch Gewaltspiele und Zeichnungen Beschäftigung mit Themen Tod, umgebracht werden Oftmals dabei keine Unterscheidung zwischen Fiktion und Realität „Wieso, der kann doch wieder aufstehen?“ Spiele im Puppenhaus: „Hauskrieg“, „Kevin allein zu Haus“ Bei gemeinsamen Durchschauen von Playstationspielen im Kontakt, ansonsten in Spielsituationen immer wieder vernichten seines Gegenübers Gruppentherapeutische Settings – – Durch Kindergruppe schnell überfordert. Kann nur ca. 30min. Intensives Arbeiten zulassen, dann erneut Verhaltensauffälligkeiten Gibt es resiliente Medienkonsumenten? • Alle Studien zeigen, dass die zugrunde liegenden psychologischen Mechanismen, die im Experiment gut untersucht sind, bei allen Menschen funktionieren. • Damit ist jeder ein Risikoproband. Allerdings zeigen sich protektive Faktoren wie: Geschlecht, nichtaggressive Primärpersönlichkeit, keine zugrunde liegenden Verhaltensauffälligkeiten, günstige Aufwachsensbedingungen (Mittelschicht, Zweielternfamilie), höhere soziale Schicht, höhere Intelligenz. Prävention und Sekundärprävention • Ansätze wie Medienerziehung etc. werden breit gefordert und diskutiert. Z. B. Neil Postman vor dem Hintergrund einer eher konservativen Kulturverfallstheorie oder besonders up to date neurobiologisch begründet (Manfred Spitzer, 2005). • Es gibt jedoch keine spezifische Forschung zu den Effekten von Medienerziehung. • Spezifische Untersuchungen zur Reduktion von Aggressivität und Gewalt zeigen, dass durch bestimmte frühe Verhaltensmanagementmaßnahmen in der Schulklasse langwirkende Effekte erzielt werden können. Eine systematische Medienerziehung ist in keines dieser Konzepte einbezogen. Empfehlungen Modifiziert nach Browen (2005) 1. Empfehlungen für Eltern • • • • • Eltern sollten klar auf die Risiken frühen Fernsehkonsums und auf die Risiken des Konsums von Gewaltinhalten im Fernsehen hingewiesen werden. Die Risiken sind: • Störungen der Aufmerksamkeits- und Konzentrationsentwicklung • Entstehung aggressiver Grundhaltung • Antisoziales Verhalten • Angst und • Desensibilisierung gegenüber Gewalt bzw. Emotionalisierung und mangelnde Empathie. Eltern sollten sich in jeder Altersstufe einen Überblick darüber verschaffen, in welchem Ausmaß ihre Kinder Medien konsumieren und welchen Anteil dabei Gewalt und sexuelle Gewaltinhalte spielen. (Cave: Fernseher, DVD etc. im Kinderzimmer, was wird im Internet konsumiert, welche DVDs werden ausgeliehen und getauscht bzw. gemeinsam angesehen in der Peer Group.) Filme mit gewalttätigem Inhalt sollten zusammen mit Kindern gesehen werden. Emotionale Verarbeitung geschieht im Gespräch mit Eltern und Gleichaltrigen über die Inhalte. Nicht überfordern und nicht „in Watte packen.“ 2. Empfehlungen an Professionelle Kinder- und Jugendpsychiater, psychologische Psychotherapeuten, Berater und Pädagogen sollten Eltern Unterstützung und Beratung anbieten. • Güterabwägung bei Mitwisserschaft über Gewaltphantasien • Völlig unkontrollierter Medienkonsum von extrem gewalttätigen oder sexuellen Gewaltinhalten kann eine Misshandlungsform sein, welche häufig mit emotionaler Kindesmisshandlung bzw. Kindesvernachlässigung kombiniert ist. Medienerziehung in der Schule • Schwerpunkte bei der Diskussion: – Realismus – Rechtfertigung für Gewalt – Konsequenzen von Gewalt – Opferempathie Kinder- und Jugendschutz in Bezug auf Medienkonsum • Fachpolitische Empfehlungen, staatlicher Jugendschutz und Jugendmedienschutz. Nicht nur Ausmaß und Art der Gewalt in Filmen sollte schematisch erfasst und mit Altersstandards versehen werden sondern der Kontext in dem Gewalt auftritt, insbesondere Schuldgefühle, Zweifel, Kritik, Strafe und Empathie bzw. der Mangel dieser Faktoren sollte mitbeachtet werden. • Medienkampagnen, Kampagne von HörZu und Bundesregierung: Schau Hin Bildungspolitik • Hier sollte darauf geachtet werden, dass Medienerziehung ein zentraler Inhalt in der schulischen Erziehung wird. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit