VORLESUNGSREIHE KJP WS 2014/2015 Ulm, 16. Oktober 2014 Prof. Dr. Andrea Ludolph Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Universitätsklinikum Ulm Einführung ins Fach Basiswissen Kinder- und Jugendpsychiatrie und Entwicklungspsychopathologie Prof. Dr. Andrea Ludolph Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Universitätsklinikum Ulm Ort: Hörsaal am Michelsberg, Prittwitzstraße Zeit: 09:15 - 10:00 Uhr Termin 16.10.2014 23.10.2014 30.10.2014 Herbstferien Woche Dozent Ludolph Ziegenhain Kölch 06.11.2014 13.11.2014 20.11.2014 27.11.2014 04.12.2014 11.12.2014 18.12.2014 Ludolph Ludolph Ludolph Goldbeck Blaumer Plener Fegert 08.01.2015 15.01.2015 22.01.2015 Thema Einführung ins Fach Kleinkindzeit, Eltern-Kind-Bindung und Bindungsstörung Schizophrenie Neuronale Entwicklungsstörung: Autismus Neuronale Entwicklungsstörung: ADHS Neuronale Entwicklungsstörung: Tourette Traumafolgestörungen Pädagogik bei Krankheit Selbstverletzendes Verhalten und Suizidalität Frühe Kindheitstraumata, sex. Missbrauch, Vernachlässigung, Misshandlung und ihre Folgen 24.12.2014 - 05.01.2015 vorlesungsfreie Zeit Weihnachten Kölch Depression und Angststörungen Schulze Esstörungen Spröber Wahrheit, Phantasie und Lüge in der psychiatrischpsychotherapeutischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen 29.01.2015 Allroggen Störungen des Sozialverhaltens 05.02.2015 12.02.2015 Prüfungstermin Ludolph Klausur Vorstellung eines komplexen Falls, Jugendhilfe Ort: Pavillon SB; KJPP UK Ulm Ziel der Vorlesung ist… … die Vermittlung von „Kinder sind keine ´kleinen Erwachsenen`“. … der Tatsache Rechnung zu tragen, dass psychische Verhaltensauffälligkeiten auch bei Kindern auftreten. … zu zeigen, dass Kinder eine spezifische Vulnerabilität aber auch oft eine spezifische Resilienz aufweisen … zu verdeutlichen, dass altersspezifische Behandlungsformen sowohl in der Psychotherapie als auch in der psychopharmakologischen Behandlung notwendig sind ADHS und ihre Behandlung in den Schlagzeilen Hyperaktive Kinder im Pillenrausch Der kleine Kreis. 34 Kilo. Die Menge, die 1993 in Deutschland verschrieben wurde. Ilustration F.A.S. Der große Kreis. 1,8 Tonnen. Die Menge an Wirkstoff, die 2010 in Deutschland verschrieben wurde. Sonntagszeitung vom 12. Februar 2012 „Das ist eine Zeitdiagnose. Eine moderne Definition, die man für überforderte Schüler, Eltern und Lehrer erfunden hat.“ FAZ 4. April 2012 DER SPIEGEL 31 / 2012 Störungsbilder Entwicklung psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter - zu bewältigende Entwicklungsaufgaben - Störende Einflüsse Risikofaktoren Protektive Faktoren Behandlungsmöglichkeiten Störungsbilder Dr. med. Heinrich Hoffmann (1809-1894) Störung des Sozialverhaltens Anorexia nervosa ADHS Häufigste Kinderpsychiatrische Diagnosen Externalisierende Verhaltensstörungen ADHS (AufmerksamkeitsdefizitHyperaktivitätsstörung) (5%) Störung des Sozialverhaltens (6-13%) Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens Internalisierende Verhaltensstörungen Angststörungen Somatoforme Störungen Depressive Störungen Eßstörungen (Anorexie, Bulimie) Häufigste jugendpsychiatrische Diagnosen Depressive Störungen Posttraumatische Belastungsstörung Selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität Eßstörungen (Mädchen) (Hyperkinetische) Störung des Sozialverhaltens (Psychosen) Beginnende ( Verdacht auf eine sich entwickelnde) Persönlichkeitsstörung (emotional instabile PS vom borderline oder impulsiven Typ, hysterische PS, narzisstische PS) Diagnosen Jan 20012 – Dez 2012 Institutsambulanz KJP Ulm KJ-PIA 1400 1200 Diagnosen 1000 800 600 400 200 0 KJ-PIA F0 8 F1 66 F2 36 F3 508 F4 620 F5 127 F6 91 F7 23 F8 F90 F91 663 1268 251 F92 145 F93 188 F94 144 F95 153 F96 0 F97 0 F98 374 F99 0 Multiaxiales Klassifikationsschema Achse-I (Klinisch-psychiatrisches Syndrom) Achse-II (Umschriebene Entwicklungsstörungen) Achse-III (Intelligenzniveau) Achse-IV (Relevante körperliche Symptomatik) Bindungsstörung mit Enthemmung (F94.2) G Achse-V (Aktuelle assoziierte abnorme psychosoziale Umstände) Z. n. Verwahrlosung und Vernachlässigung in den ersten Lebensjahren (Z59.1) Abweichende Elternsituation (Pflegestellenunterbringung) (Z60.1) Achse-VI (Globales psychosoziales Funktionsniveau) Keine Unterdurchschnittliche Intelligenz (4) Keine Mäßige soziale Beeinträchtigung (3) Fünfte Achse: Assoziierte aktuelle abnorme psychosoziale Umstände 1. Abnorme intrafamiliäre Beziehungen 2. Psychische Störung, abweichendes Verhalten oder Behinderung in der Familie 3. Inadäquate oder verzerrte intrafamiliäre Kommunikation 4. Abnorme Erziehungsbedingungen 5. Abnorme unmittelbare Umgebung 6. Akute belastende Lebensereignisse 7. Gesellschaftliche Belastungsfaktoren 8. Chronische zwischenmenschliche Belastung im Zusammenhang mit der Schule oder Arbeit 9. Belastende Lebensereignisse / Situationen infolge von Verhaltensstörungen / Behinderungen des Kindes Bio-psycho-soziales Entwicklungsmodell Aus: Resch et al. Aus: Resch et al., Entwicklungspsychopathologie Risikofaktoren pränatal: genetische und epigenetische Faktoren - Nikotin und Alkohol intrauterin - Drogen (Cannabis, Kokain, Heroin) - Blei (?) - Diät (?) - psychosozialer Stress in der Schwangerschaft perinatal - Frühgeburtlichkeit - Hypoxie Aus: Hoffmann/Hochapfel 2004; alle Literatur bei Hoffmann u. Egle 1996 Postnatale (biographische) Risikofaktoren: - niedriger sozioökonomischer Status - mütterliche Berufstätigkeit in ersten Lebensjahr - schlechte Schulbildung der Eltern - große Familien und sehr wenig Wohnraum - Kontakte mit Einrichtungen der „sozialen Kontrolle“ - Kriminalität oder Dissozialität eines Elternteils - chronische Disharmonie/Beziehungspathologie in der Familie - psychische Störungen der Mutter/des Vaters - Unerwünschtheit - alleinerziehende Mutter (oder Vater) - autoritäres väterliches Verhalten - sexueller und/oder aggressiver Missbrauch - Verlust der Mutter (oder des Vaters) - „häufige wechselnde frühe Beziehungen“ - schlechte Kontakte zu Gleichaltrigen - Altersabstand zum nächsten Geschwister < 18 Monate - uneheliche Geburt - hoher Gesamtrisiko-Score - JUNGEN SIND VULNERABLER ALS MÄDCHEN! Aus: Hoffmann/Hochapfel 2004; alle Literatur bei Hoffmann u. Egle 1996 Protektive Faktoren - dauerhafte, gute Beziehungen zu mindest einer primären Bezugsperson - Großfamilie/kompensatorische Elternbeziehungen/ Entlastung der Mutter - Insgesamt attraktives Mutterbild - gutes Ersatzmilieu nach frühem Mutterverlust - mindestens durchschnittliche Intelligenz - robustes, aktives und kontaktfreudiges Temperament - soziale Förderung (z.B. Jugendgruppen, Schule, Kirche) - geringere Risikogesamtbelastung - MÄDCHEN INSGESAMT WENIGER VULNERABEL ALS JUNGEN! Aus: Hoffmann/Hochapfel 2004; alle Literatur bei Hoffmann u. Egle 1996 Therapiemöglichkeiten in der KJP ambulante, teilstationäre, stationäre Behandlung MULTIMODALES THERAPIEKONZEPT: - Psychotherapie, psychosoziale Interventionen, Medikation Psychotherapie: verbal Psychoedukation VT, analytisch Familientherapie Gruppentherapie nonverbal Kunsttherapie Musiktherapie Ergotherapie tiergestützte Therapie Bewegungstherapie Psychosoziale Interventionen - Elterntraining - Schule - ambulante oder stationäre Jugendhilfemassnahmen (sozialpädagog. Familienhilfe, Erziehungsbeistand, Jugendhilfeeinrichtung) Multimodales Therapiekonzept: Psychosoziale Interventionen und Medikation Präventions- und frühe Interventionsprogramme sind effektiv, wenn 1. Gleichzeitig Kind und Familie und Lehrer/Erzieher gezielt therapeutisch unterstützt werden 2. Gezielte Interventionen auf täglicher oder wöchentlicher Basis erfolgen 3. Die Intervention ausreichend lang ist (mind. 2 Jahre) 4. Spezifische Interventionen zur Reduktion psychosozialer Risikofaktoren (gewalttätiges Familienklima, vernachlässigender oder misshandelnder Erziehungsstil) erfolgen 5. Eine Verbesserung der Eltern-Kind-Interaktion erfolgt (Kommunikation, Problemlöse-Verhalten, Copingstrategien) 6. die Intervention möglichst früh erfolgt (Alter des Kindes 0-6 Jahre) 7. Individuelles Casemanagement möglich ist 8. eine intensive Kollaboration zwischen Familie, Schule, Jugendamt, Jugendgerichtshilfe und KJP erfolgt Connor DF, J Clin Psychiatry 2006 Familienzentrierte Interventionen „PMT“= parent management training Grundkonzept: – Verhaltensprobleme werden durch maladaptive ElternKind Interaktionen entwickelt und aufrechterhalten Elterntraining: Muster der Eltern-Kind Interaktion verändern - mehr prosoziales statt erzwungenes Verhalten innerhalb d. Familie – Klare und konsistente Regeln – Positive Verstärkung – Milde Konsequenzen – Kompromißbereitschaft Psychopharmakologische Therapie in der KJP - Psychostimulanzien (oder Atomoxetin) bei ADHS zugelassen ab 6 Jahren - Neuroleptische Medikation bei Psychose/Schizophrenie (Olanzapin, Quetiapin, Ziprasidon, Aripirazol, Haloperidol) Haloperidol zugelassen ab 3 Jahren alle atypischen Neuroleptika off-label außer Risperidon ab 6 Jahren bei aggressiver Verhaltensstörung und Intelligenzminderung - SSRIs bei Depression (Fluoxetin, Fluvoxamin u.a.) nur Fluoxetin zugelassen ab 8 Jahren - Phytopharmaka (Johanniskraut) “The world is changed one child at a time.” Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Andrea G. Ludolph e-mail: [email protected]