Architektur, die Hilfe bietet

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gebäude & technik
Architektur, die hilfe bietet
Orientierung auch für
sehgeschädigte Bewohner
Die WHO schätzt, dass allein in Deutschland rund 1,2 Millionen Blinde und Sehgeschädigte leben. Etwa
ein Drittel bildet die wachsende Altersgruppe ab 80 Jahren. Also diejenigen, die möglicherweise in den
Seniorenheimen und Residenzen ihre letzte Lebensphase verbringen werden.
In unserer Gesellschaft alt zu werden, ist
noch immer mit vielen Stigmata behaftet.
Wenn dann noch eine Behinderung das
Älterwerden erschwert, lässt der Gedanke daran eine wenig positive Aussicht zu.
Doch aus Sicht der demografischen Entwicklung wird die Thematik weiter an
Fahrt gewinnen, denn die weltweite Zunahme von sehgeschädigten Senioren
liegt u.a. an dem Phänomen einer alternden Gesellschaft und der steigenden Lebenserwartung.
bArrierefreiheit –
eine spezielle Architektur?
Um auf den Schwerpunkt der Altersstruktur zu reagieren, stellt sich die Frage, wie
müssen Altenhilfeeinrichtungen gestaltet
sein, um die Betreuung sehgeschädigter
Pflegebedürftiger zu verbessern?
Die meisten kennen die Situation: In einem komplexen Gebäude einen bestimmten Ort zu finden, kann zur Herausforderung werden, nicht nur für blinde und sehbehinderte Menschen. Hier kann die Architektur einen entscheidenden Teil dazu
beitragen, Lösungen für das sichere und
selbstständige Bewegen von allen Besuchern und Bewohnern zu schaffen. Zudem
unterliegt die Architektur für Blinde und
Sehbehinderte besonderen und vielfältigen Kriterien, die für öffentliche Gebäude
u.a. in den DIN-Normen 18040 und 1450
geregelt sind.
Doch was bedeutet es barrierefrei zu
bauen? Im Sinne des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) sind alle baulichen Anlagen barrierefrei, wenn sie ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe für Jeden zugäng-
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lich und nutzbar sind. Um Barrierefreiheit
umsetzen zu können, muss das Zwei-Sinne-Prinzip konsequent eingehalten werden. Fällt ein Sinn aus, müssen entsprechende Informationen, Warnungen und
Hinweise gleichzeitig für mindestens einen weiteren Sinn vermittelt werden.
herAusforderungen für
Architekten
Eine der wesentlichen Aufgaben für die
Planer ist die Differenzierung zwischen
dem völligen Ausfall und der Einschränkung eines Sinnes. Diese Herangehensweise ist wichtig, da sich die daraus notwendigen architektonischen Maßnahmen
deutlich unterscheiden. So hilft einem
blinden Menschen ein visuell gut kontrastierendes und in großen Schriftzeichen
dargestelltes Informationsschild nichts.
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gebäude & technik
Blaue Tür
Bodenmarkeirung
ILZ
Ebenso geht es dem Sehbehinderten mit
einem ausschließlich in Braille formulierten Hinweisschild. Der Architekt schafft
es jedoch über Akustik und taktile Hilfen,
die Bedürfnisse beider Personengruppen
zu bedienen.
Wesentliche Aspekte der Barrierefreiheit aus Sicht sehbehinderter Menschen sind z.B. die kontrastreiche Gestaltung sämtlicher Ausstattungs- und Bedienelemente, die Kennzeichnung von
Gefahrenstellen, z.B. Treppen, Glastüren
und die visuelle Information in geeigneter
Form wie etwa Leuchtdichte und Größe.
Blinde Menschen müssen sich hingegen ein geistiges Bild von ihrer Umwelt
machen. Zur Sicherstellung der Mobilität
und Orientierung sind deshalb geradlinige, rechtwinklig organisierte Strukturen
ohne Barrieren wie vorspringende Wandelemente oder frei im Raum stehenden
Stützen, geschlossene Orientierungs- und
Leitsysteme, schriftliche Informationen in
Profil- bzw. Brailleschrift oder auch in
akustischer Wiedergabe sowie ein deutlich taktiler Kontrast notwendig. Letzteres umfasst Material, Form und Oberfläche. Um die passenden planerischen Lösungen zu entwickeln ist es daher von
grundlegender Bedeutung, die richtige
Wahl und das richtige Maß an visuellen,
taktilen und auditiven Möglichkeiten für
beide Gruppen zu treffen.
WAs Wird umgesetzt, Wo liegt
VerbesserungspotenziAl
Einige Architekten sind durchaus bemüht,
barrierefreie Anforderungen in ihre Planungen einzubinden. Andere dagegen
sind zurückhaltend oder haben die Tragweite des barrierefreien Bauens noch
nicht erkannt. Es passiert nicht selten,
dass in öffentlichen Gebäuden Rampen
und Fahrstühle eingeplant werden, aber
die Bedürfnisse von sinneseingeschränkten Menschen nicht berücksichtigt werden. Diese Erfahrungen bestätigten sich
in einer Studie des Architekturbüros
Haindl + Kollegen in München. In Kooperation mit der Stiftung Katholisches Familien- und Altenpflegewerk wurde eine
dreijährige Studie durchgeführt, die die
Situation von sehgeschädigten Pflegebedürftigen in Seniorenzentren untersuchte. Es gibt kein vergleichbar durchgeführtes Projekt und gilt daher als Novum in
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Fotos: ConceptCabinet
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der Branche. Eine Zusammenfassung der
Studienergebnisse wird in Kürze durch die
Stiftung herausgegeben.
Das Architektenteam besichtigte
viele Seniorenzentren und analysierte zunächst die baulichen Maßnahmen, die im
Sinne von Barrierefreiheit durchgeführt
wurden. Im Fokus der Betrachtungen
standen Freianlagen, Gemeinschafts- und
Sanitärräume, Bewohnerzimmer sowie
Flure, Treppen, Aufzüge und Eingangsbereiche. Um ein Gesamtbild zu zeichnen,
war es ebenso von Interesse, die Tagesroutinen, Bewohnerstrukturen, Abläufe
und Gewohnheiten zu kennen. Im nächsten Schritt wurden die konkreten Anwendungen durchleuchtet und Optimie-
rungspotenzial dokumentiert. Die Architekten kamen nicht umhin festzustellen,
dass bei allen Häusern Bedarf bestand,
auf die Ansprüche sehbehinderter und
blinder Bewohner besser einzugehen. In
einigen Fällen waren es nur Kleinigkeiten
wie lose liegende Teppiche, die leicht zu
Stolperfallen werden könnten. Ein Großteil der untersuchten Räumlichkeiten
wies jedoch unzureichende Beleuchtungskonzepte auf, viele Flure waren zu
dunkel und aufgrund der ungefilterten
Leuchten wurde durch spiegelnde Bodenbeläge oder Wandoberflächen eine erhebliche Blendung erzeugt. Überdies sind
Markierungen, die außerhalb der Sichtweite liegen, in keinem Sinne eines jeden
unternehmerprofil
haindl + kollegen
• Seit Gründung im Jahre 1911 verstehen sich Haindl + Kollegen als klassisches Architekturbüro in den Bereichen Planung, Ausschreibung und Vergabe. Ferner beschäftigt sich das
Büro mit zukunftsorientierten Themen wie der Nachhaltigkeit von Baukonstruktionen in
Kooperation mit der Gesellschaft für nachhaltiges Bauen, DGNB e.V., und ist Experte in
pflegerischen Fachbauten.
• Das Architektenteam bietet bei Wunsch im Vorfeld eine Beratung zum entsprechenden
Foto: privat
Bauvorhaben, beispielsweise zur Erstellung eines Raumprogramms oder mit einer Machbarkeitsstudie. Zum Leistungsspektrum gehören neben den klassischen Architektenleistungen eine Projektsteuerung, Sicherheits- und Gesundheitskoordination, Berechnung
von Gebäudeenergiepässen, Wertermittlung und Nachweis nach Energieeinsparverordnung EnEV für Wohn- und Nichtwohngebäuden sowie eine Generalplanung für Gebäude,
Freianlagen und raumbildende Ausbauten, technische Ausrüstung, thermische Bauphysik,
Schallschutz und Raumakustik sowie Tragwerksplanung.
• Ansprechpartner: Marcus Scholz, Architekt, kontakt: [email protected]
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Betrachters. Doch eine der wesentlichen
Erkenntnisse dieser Studie war das Fehlen
eines lückenlosen Orientierungssystems,
sowohl für Bewohner als auch Besucher.
in zukunft bArrierefreies
bAuen Als stAndArd
Weiterführend bemerkte das Team um
Projektleiter Marcus Scholz, dass es in Zukunft zum Standard von baulichen Maßnahmen gehören muss, im Sinne von Barrierefreiheit allen Nutzern des Hauses,
den Zugang und das Leben in den Einrichtungen ohne Schwierigkeiten nutzbar zu
machen. Und wies in diesem Projekt speziell auf die Zielgruppe der Sehbehinderten und Blinden hin, denn 90 Prozent aller
Informationen über seine Umwelt gewinnt der Mensch über die Augen. Entsprechend große Einschränkungen bringen diese Sinneseinschränkung mit sich.
Die Pflege und Betreuung von Betroffenen ist daher sehr anspruchsvoll. „Um eine nach außen hin deutliche Qualitätskennzeichnung solcher Einrichtungen zu
kommunizieren, halte ich eine Zertifizierung für sinnvoll“, sagt Scholz. An einem
entsprechenden Gütesiegel arbeitet das
Team gerade.
kelly kelch
Presse ConceptCabinet,
kontakt: [email protected]
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