07. ! Uraufführung: Die Taktik Von Avataren und Paralleluniversen an der Jungen Oper s g r o b y C d n i s r i W Der Dramaturg KOEN BOLLEN unterhielt sich mit JENNIFER WALSHE über Videogames, Wunderbomben und die Jugendoper Die Taktik, die sie zur Zeit für die Junge Oper komponiert und inszeniert. Koen Bollen: Warum bist Du Komponistin geworden? Jennifer Walshe: Weil ich es mag, Dinge zu machen. Wenn ich zurückschaue, dann war das eigentlich immer extrem klar, das ist lustig, aber ich habe es überhaupt nicht klar gesehen. Irgendwann war ich so von Musik absorbiert, dass ich Trompete studierte. Aber ich wollte eben lieber Dinge machen. Und was ich besonders liebe ist, bunte und glänzende Dinge zu sammeln. Wie eine Elster. Deshalb wechselte ich zur Komposition. Koen Bollen: Nach der Barbie Oper XXX_LIVE_NUDE_ GIRLS für Kids, der Stuttgarter Zukunftsvision 2091 oder der Berliner Oper Commander Kobayashi, um einmal in die Kiste Deiner Opern und Performances zu greifen, folgt nun Die Taktik für die Junge Oper Stuttgart. Vier Sänger begeben sich auf eine intergalaktische Expedition. Man weiß nicht, sind sie Avatare oder Menschen, befinden sie sich in einem Raumschiff, in einem Labor oder einem Filmstudio. Sechs Musiker erzeugen nicht nur Klänge, sondern ordnen auch mal seltsame Fundstücke. B-Boys und Tricker spielen Tennis oder Schach. Was ist Die Taktik? Jennifer Walshe: Ich sehe Die Taktik als eine Art Meditation über Wunder. Ja, es geht um Spiele. Aber Spiele im weiteren Sinne, nicht nur um Videospiele, Schach oder Tennis, sondern um Evolutionsspiele. Und um die Art und Weise, wie wir sie spielen. Worauf ich immer wieder stoße ist diese Idee von Spiel, ernsthaftem Spiel, das immer noch Spaß ist, aber das man unverwandt spielt. Koen Bollen: Auch dann, wenn man eigentlich denkt, man spielt nicht? Jennifer Walshe: Genau. Wir spielen, wenn wir beschließen, was wir anziehen, oder ob wir vorne oder hinten im Bus sitzen wollen, wenn wir etwas bei eBay ersteigern. (Ich warte z.B. immer bis zur letzten Sekunde und steigere dann los, keine Autos oder so, zum Beispiel eine Schachtel mit gebrauchten Pferderosetten, dafür stelle ich mir den Wecker auch mitten in der Nacht. Einer meiner Freunde fand das unfair, ok, aber ich bekomme damit die Dinge, die ich haben möchte). Oder ob wir uns im Supermarkt bei der Kasse für »Zehn Artikel und weniger« anstellen, obwohl wir elf Artikel im Einkaufswagen haben. Mal wollen wir uns einfach nur im Spiel verlieren, mal kämpfen wir ums Überleben. Wenn wir uns in der Welt umschauen, versuchen wir, Sinn darin zu sehen, indem wir in den Informationen, die auf uns einstürzen, nach Mustern suchen. Wir lernen, giftige Pilze von essbaren zu unterscheiden. Oder wir durchforsten die Facebook-Nachrichten nach interessanten News. Koen Bollen: Welche Rolle spielen die digitalen Medien bei diesen Prozessen? Jennifer Walshe: Wir sind Cyborgs. Wir benutzen Google als Erweiterung unseres Hirns: Busfahrpläne lernen wir nicht mehr auswendig, sondern schauen sie im iPhone nach. Ein Großteil der Populärkultur ist heute ein Bienenschwarm von Bites: Nehmen wir die Videos von Lady Gaga oder Beyoncé: Sie sind richtiggehend überladen mit Informationen, sie zitieren oder spielen auf andere Videos an, mit denen dann jeder wieder irgendetwas verbindet. 16 Das Journal Mai/Juni/Juli 2012 Koen Bollen: Das ist auch deine Arbeitsweise? Jennifer Walshe: Ja. Ich bin viel mehr daran interessiert, den Zuschauern so viel Information wie möglich zu geben, als ihnen eine Geschichte von A bis Z vorzuführen. Ich genieße es, Wunderbomben zu zünden und zu beobachten, wovon die Menschen wirklich getroffen sind. Ich weiß dass einige Kids Schach langweilig finden und sich dann vielleicht ihrem Handy widmen, andere wieder lieben Tennis. Die Taktik enthält für mich eine klare Message. Aber ich muss sie niemandem einhämmern, ich gebe den Zuschauern einfach die Möglichkeit, sich ihr auszusetzen. Koen Bollen: Du gibst den Kids viel Verantwortung. Der Konsum von Videospielen bei Jugendlichen und ihre Überpräsenz im Internet wird ja sehr sorgenvoll beobachtet... Jennifer Walshe: Das ist die bizarre Kehrseite der Sozialen Medien: Viele Kids fühlen sich einsam und isoliert. Genau für sie hat Die Taktik eine besondere Botschaft. Ich möchte mit ihnen darüber sprechen, dass wir alle miteinander verbunden sind. Denn sie hängen die ganze Zeit an ihren Handys oder in Facebook und wir denken, sie sind alle miteinander in Verbindung, aber in Wirklichkeit werden sie dort häufig einfach nur gemobbt. Aber es gibt ein riesiges Bedürfnis nach Verbundenheit. Eigentlich schreibe ich mit Die Taktik eine Art Brief an mich selbst als Teenager und sage mir rückwirkend, wie zauberhaft das Leben ist. Weißt du, ich habe meine Teeny-Jahre nicht wirklich genossen. Ich glaube, niemand tut das. Es ist eine ganz schön schreckliche Zeit für die meisten. Sogar wenn du Cheerleader bist, ich weiß nicht. nur das wissen oder ahnen, was in meinem Hirn ist. Es sind solche Bilder, die einem eine Spur irgendwohin legen. Koen Bollen: Welche ganz besondere Taktik braucht es, sein Leben gut zu leben? Jennifer Walshe: Ich denke, wir müssen lernen, die Taktiken, die wir im Leben benutzen, zu beobachten. Genau darum geht es auch in dieser Oper. So dass das Dasein nicht ein zielorientiertes Null zu Null-Spiel wird, sondern die Erfahrung eines frei konstruierten Lebens. Redaktion: Barbara Tacchini Die Taktik Musiktheater von Jennifer Walshe ab 13 Jahren Uraufführung: 14. Juni 2012 // 19:00 Uhr // Kammertheater Weitere Vorstellungen im Juni und Juli: 16.06. // 19.06.* // 20.06.* // 23.06. // 27.06.* // 28.06. // 30.06. // 02.07.* // 05.07. // 07.07. // 09.07.* // 11.07.* // 13.07. // 14.07.2012 * Schulvorstellungen Koen Bollen: Die Verbindungen, von denen du sprichst, sind anderswo? Jennifer Walshe: Genau in diesem Augenblick gibt es in diesem Raum zum Beispiel eine Menge Geräusche, die eine Fledermaus oder ein Hund hören können, wir aber nicht. Elefanten kommunizieren durch Erderschütterungen. Und on top fluten hier dauernd Partikel durch uns durch, auch solche, die von der Sonne oder anderen Galaxien kommen. Wenn du daran denkst, dann ist das doch eine wunderschöne Sicht auf das Leben. Koen Bollen: Du bist schon als Kind gerne in Computerspiele abgetaucht und tust es noch immer? Jennifer Walshe: Genau wegen diesen Überlappungen und Vernetzungen. Ich liebe es, mich mit Paralleluniversen oder Quantenphysik zu beschäftigen oder mit Videogames. Das Raumgefühl in den Spielen: Wir werden vertraut mit diesen massiven Architekturen, durch die wir uns bewegen und die wir in uns aufnehmen. Wir überwinden Zeit und Raum und unsere physischen und psychischen Grenzen. Koen Bollen: Ist das nicht ein immer wiederkehrendes Thema im Theater überhaupt? Jennifer Walshe: Klar, denk an die allerersten Opern, die auf dem Orpheus-Mythos basieren. Das ist eine Reise in eine andere Dimension. Computerspiele haben alles davon und noch zwanzig mal mehr. In Die Taktik verwende ich Landschaften aus Computerspielen als eine Art ungeschnittenes Filmmaterial, als »footage«, um William Gibsons Buch Pattern Recognition zu zitieren. Man durchquert sie und scannt sie ab nach Mustern. In Gibsons Roman tauchen urplötzlich anonyme Filmclips im Internet auf. Sie scheinen sich nach und nach zu einem Film zusammenzufügen, doch die Reihenfolge bleibt rätselhaft. Ich hoffe, dass nie jemand auf die Idee kommt, aus diesem Buch einen Film zu machen, denn ich möchte nie die Lösung wissen. Ich möchte Jennifer Walshe Geboren 1974 in Dublin, Irland, ist Komponistin, Sängerin und Improvisationskünstlerin. Sie studierte Komposition bei John Maxwell Geddes an der Royal Scottish Academy of Music and Drama und bei Kevin Volans in Dublin, graduierte 2002 bei Amnon Wolman an der Northwest University in Chicago, war 2003 Stipendiatin der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart und war Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD 2004. Ihre Kompositionen wurden in Europa, den USA und Kanada aufgeführt, u.a. auf deutschen Musikfestivals wie den Donaueschinger Musiktagen und dem ECLAT Festival. Sie lebt und arbeitet in Dublin, London und New York. Bild oben v.l. Christian Wiehle, Stefan Schreiber, Amit Epstein, Andrea Böge, Barbara Tacchini, Koen Bollen und Jennifer Walshe bei der Bauprobe zu Die Taktik (Fotos : A.T. Schaefer) Bild links Jennifer Walshe (Foto: Blackie Bouffant) 17