Jahrbuch 2010/2011 | Eder, Matthias | Visualisierung der elektrischen Aktivität neuronaler Netzw erke - eine erfolgversprechende Methode für die psychiatrische Grundlagenforschung Visualisierung der elektrischen Aktivität neuronaler Netzwerke eine erfolgversprechende Methode für die psychiatrische Grundlagenforschung Visualizing the electrical activity of neuronal networks – a promising method for basic psychiatric research Eder, Matthias Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Verhaltensw eisen und Emotionen resultieren aus der elektrischen Aktivität von Nervenzellnetzw erken im Gehirn. Störungen dieser Hirnschaltkreis-Aktivität spielen daher eine ursächliche Rolle bei der Entstehung psychiatrischer Krankheiten. Die Erforschung solcher Störungen der elektrischen Aktivität w ird die Entw icklung effektiverer Behandlungsformen in der Psychiatrie vorantreiben. W issenschaftler am MPI für Psychiatrie setzen nun ein modernes bildgebendes Verfahren dafür ein, Veränderungen des Flusses elektrischer Nervenzellaktivität in Hirnschaltkreisen darzustellen. Summary Behaviour and emotions result from the electrical activity of neuronal netw orks in the brain. Disturbances of this activity of brain circuits w ill thus play a causal role in the pathogenesis and pathology of psychiatric disorders. The exploration of such dysfunctions in the electrical activity w ill expedite the development of more effective treatments of these disorders. A modern imaging approach is now used to visualize changes in the propagation of electrical nerve cell activity through brain circuits. Das menschliche Gehirn – ein extrem komplexes Netzwerk aus Nervenzellschaltkreisen Aus naturw issenschaftlicher Sicht resultieren psychiatrische Störungen aus krankhaft veränderten Funktionsw eisen des Gehirns, dessen grundlegender funktioneller Baustein die Nervenzelle oder das Neuron ist (Abb. 1). Ein Charakteristikum dieses hoch spezialisierten Zelltyps ist seine Fähigkeit, elektrische Signale zu generieren. In W irbeltiergehirnen verschalten sich Neurone über spezielle Kontakte (chemische Synapsen) zum Zw ecke interneuronaler Kommunikation zu extrem komplexen Netzw erken (Abb. 1). Es ist letztendlich die elektrische Aktivität dieser Hirnschaltkreise, die Verhaltensw eisen und Emotionen hervorbringt und kontrolliert. © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/4 Jahrbuch 2010/2011 | Eder, Matthias | Visualisierung der elektrischen Aktivität neuronaler Netzw erke - eine erfolgversprechende Methode für die psychiatrische Grundlagenforschung A bb. 1: Link s: Konfok a lm ik rosk opische Aufna hm e e ine s intra ze llulä r ge fä rbte n La m ina -5-P yra m ide nne urons de r Hirnrinde . R e chts: Te il de s ne urona le n Ne tzwe rk s de s Hippok a m pus, da rge ste llt durch Ex -vivo-Ultra m ik rosk opie e ine s Ma ushippok a m pus, de sse n Ne urone grün fluore szie re nde s P rote in (GFP ) bilde n. © Ma x -P la nck -Institut für P sychia trie /Ede r Das menschliche Gehirn ist w ahrscheinlich das komplexeste System im Universum. Um dies zu veranschaulichen, seien folgende Zahlen und Fakten genannt: Das Gehirn eines erw achsenen Menschen enthält in etw a 100 Milliarden Nervenzellen, von denen jede einzelne durchschnittlich 1.000 chemische Synapsen zu anderen Neuronen ausbildet. Darüber hinaus ist die Übertragungsstärke der elektrischen Nervenzellsignale an den daraus resultierenden ca. 100 Billionen chemischen Synapsen nicht fixiert. An den chemischen Synapsen (Neurotransmitter) w erden, ausgeschüttet abhängig (z.B. vom Glutamat, Neuronentyp, unterschiedliche γ-Aminobuttersäure, Serotonin und Überträgerstoffe Dopamin). Die synaptische Übertragungsstärke kann beispielsw eise durch veränderte Neurotransmitterkonzentrationen, aktivitätsabhängige Prozesse (synaptische Plastizität) sow ie zahlreiche endogene und exogene Substanzen (Neuromodulation) kurz- oder langandauernd erhöht oder abgeschw ächt w erden. Neben der synaptischen Plastizität w eist das Gehirn noch w eitere Plastizitätsformen auf, z.B. die strukturelle Plastizität, die gemeinsam mit der synaptischen Plastizität unter dem Begriff Neuroplastizität subsumiert w erden. Aufgrund der geschilderten strukturellen und funktionellen Eigenschaften des Gehirns kann man davon ausgehen, dass Veränderungen des Flusses elektrischer Nervenzellaktivität durch Hirnschaltkreise eine ursächliche Rolle bei der Entstehung psychiatrischer Krankheiten spielen. Die Erforschung der Kausalmechanismen psychiatrischer Krankheiten ist eine Grundvoraussetzung für Hypothesen-gesteuerte Entw icklungen effektiverer Behandlungsformen. Somit erscheint es äußerst w ichtig, Veränderungen der neuronalen Netzw erkaktivität und der synaptischen Kommunikation zw ischen Nervenzellen im Gehirn aufzudecken, die maßgeblich an der Entstehung von Kernsymptomen dieser Krankheiten beteiligt sind. Die vor kurzem am Max-Planck-Institut für Psychiatrie gegründete Arbeitsgruppe „Dynamik neuronaler Netzw erke“ w idmet sich dieser Aufgabe und richtet hierbei ihr Augenmerk vor allem auf Depression und Angsterkrankungen. In enger Kooperation mit anderen Arbeitsgruppen am Institut setzen Matthias Eder und sein Team hierzu, neben anderen elektrophysiologischen Techniken, ein modernes bildgebendes Verfahren (High-Speed Voltage-Sensitive Dye Imaging) ein, das es ermöglicht, Veränderungen des Flusses elektrischer Nervenzellaktivität in Hirnschaltkreisen darzustellen. © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/4 Jahrbuch 2010/2011 | Eder, Matthias | Visualisierung der elektrischen Aktivität neuronaler Netzw erke - eine erfolgversprechende Methode für die psychiatrische Grundlagenforschung High- Speed Voltage- Sensitiv e Dy e Im aging Die elektrische Aktivität von Neuronen spiegelt sich in Veränderungen ihres Membranpotenzials w ider. Dieser Vorgang kann mittels klassischer Mikroelektroden-Techniken gemessen w erden. W ill man jedoch den Fluss elektrischer Nervenzellaktivität durch ganze Hirnschaltkreise untersuchen, sind diese Methoden ungeeignet. Eine elegante moderne Technik, die die Einschränkungen umgehen kann, ist das High-Speed Voltage-Sensitive Dye Imaging (VSDI). Die technische Realisierung dieser Methode ist kompliziert, das grundlegende Prinzip jedoch einfach. Fluoreszierende Farbstoffe, die sich in die Zellmembran von Neuronen einlagern, bilden Veränderungen des Membranpotenzials durch die Stärke des ausgestrahlten fluoreszierenden Lichts ab. Dieses Phänomen kann mit einer räumlich und zeitlich hochauflösenden Kamera gemessen w erden (räumliche Auflösung im Mikrometerbereich, zeitliche Auflösung im Millisekundenbereich). Mittels VSDI kann somit die Ausbreitung elektrischer Nervenzellaktivität in ganzen Hirnregionen visualisiert und quantifiziert w erden. Obw ohl VSDI an oberflächennahen Hirnstrukturen prinzipiell auch am lebenden Tier realisiert w erden kann, müssen Experimente in tiefer gelegenen Hirnstrukturen an Hirnschnittpräparationen durchgeführt w erden. Die Schw ierigkeit dieses Ansatzes besteht darin, die entsprechenden neuronalen Netzw erke sow ohl strukturell als auch funktionell zu erhalten. VSDI weist Veränderungen neuronaler Netzwerkaktivität durch das Stresshormon CRH nach Der Arbeitsgruppe von Matthias Eder ist es gelungen, ein Hirnschnittpräparat von Mäusen herzustellen, das es erlaubt, mittels VSDI den neuronalen Aktivitätsfluss durch den ganzen Hippokampus zu studieren (Abb. 2). Der Hippokampus zählt zu den evolutionär ältesten Strukturen des Gehirns, spielt eine w ichtige Rolle für Lernen und Gedächtnis und ist für die Entstehung von Depression und Angsterkrankungen relevant. Diese Erkrankungen stehen eng mit Stress in Verbindung. Daher w urde in einem ersten VSDI-Projekt untersucht, inw iew eit das Stresshormon CRH (Corticotropin-Releasing Hormone) hippokampale Netzw erkaktivität beeinflusst. Das Neuropeptid CRH w ird im Gehirn w ährend physischem und psychischem Stress im Hypothalamus, aber auch direkt von Nervenzellen im Hippokampus ausgeschüttet. In diesem Zusammenhang ist es w eiterhin w ichtig zu erw ähnen, dass der Hippokampus Andockstellen (Rezeptoren) für CRH besitzt. © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/4 Jahrbuch 2010/2011 | Eder, Matthias | Visualisierung der elektrischen Aktivität neuronaler Netzw erke - eine erfolgversprechende Methode für die psychiatrische Grundlagenforschung A bb. 2: Mitte ls VSDI visua lisie rte r Fluss e le k trische r ne urona le r Ak tivitä t durch de n Hippok a m pus e ine r Ma us. Ne urona le Ak tivitä t wurde durch e ine k urze e le k trische Stim ula tion (P fe il) e ine s zum Hippok a m pus projizie re nde n Fa se rtra k ts zum Ze itpunk t „0 m s“ e vozie rt. W ä rm e re Fa rbe n spie ge ln e ine stä rk e re ne urona le Ak tivitä t wide r. © Ma x -P la nck -Institut für P sychia trie /Ede r Die Arbeitsgruppe von Matthias Eder konnte erstmals nachw eisen, dass schon sehr geringe Konzentrationen von CRH den neuronalen Aktivitätsfluss durch den Hippokampus von Mäusen deutlich steigern. Dieser Effekt blieb im Hippokampus von Mäusen, denen der CRH-Rezeptor Typ 1 fehlt, vollständig aus und w ird also durch diesen Rezeptor vermittelt [1]. Offenbar führen dauerhaft erhöhte Konzentrationen von CRH im Gehirn w ährend chronischem Stress zu einer dauerhaften Überaktivität des Hippokampus, w as den den Zelltod von Neuronen zur Folge haben kann. Dies ist eine plausible Erklärung dafür, dass Depression und Angsterkrankungen vor allem dann mit einer Verschlechterung von Gedächtnisleistungen einhergehen, w enn depressive Episoden und Panikattacken nicht erfolgreich behandelt w erden konnten. Ausblick Erste am Max-Planck-Institut für Psychiatrie mit der VSDI-Technik erhobene Befunde zeigen, dass VSDI eine erfolgversprechende Methode für die psychiatrische Grundlagenforschung ist. VSDI soll in Kürze dafür eingesetzt w erden aufzuklären, inw iew eit eine akute bzw . chronische Verabreichung von Antidepressiva den neuronalen Aktivitätsfluss durch Gehirnregionen verändert, die für affektive Störungen relevant sind. Dies sollte einen w ichtigen Beitrag dazu leisten, besser zu verstehen, w ie Antidepressiva ihre therapeutischen W irkungen vermitteln. Des Weiteren ist geplant, mittels VSDI-Veränderungen neuronaler Netzw erkaktivität aufzudecken, die maßgeblich daran beteiligt sind, krankhafte Angstzustände auszulösen. [1] G. von Wolff, C. Avrabos, J. Stepan, W. Wurst, J. M. Deussing, F. Holsboer, M. Eder: Voltage-sensitive dye imaging demonstrates an enhancing effect of corticotropin-releasing hormone on neuronal activity propagation through the hippocampal formation. Journal of Psychiatric Research 45, 256 - 261 (2011). © 2011 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/4