Kapitel 2 Grundzustande der Atomkerne In diesem Kapitel sollen die Eigenschaften des Grundzustands der Atomkerne untersucht werden. Dabei wollen wir uns auf die folgenden Fragestellungen konzentrieren: endliche Ausdehnung der Atomkerne. (In der Atomphysik (Physik IV) wird der Atomkern als punktformig behandelt). Spin und magnetisches Moment der Atomkerne. Diese beiden Beobachtungen fuhren zu dem Modell, da Kerne zusammengesetzte Systeme sind, und da es Bausteine der Atomkerne gibt. Bindung der Bausteine: Die quantitative Formulierung fuhrt zum einfachsten Kernmodell, dem Tropfchenmodell, aus dem bereits viele fur die Anwendungen wichtige Schlusse gezogen werden konnen (Energiegewinn bei Fusion und Kernspaltung, Stabilitat der Atomkerne). 2.1 Kernradien Literatur: [21, 22] In diesem Kapitel sollen einige einfache Experimente diskutiert werden, die zur Vorstellung fuhren, da Atomkerne ausgedehnte Systeme sind. (Behandlung in Physik IV: Punktformige Kerne ! 2 Ze V (r) = ; r ). Es sei darauf hingewiesen, da mit analogen Methoden in der Teilchenphysik die endliche Ausdehnung der "Elementarteilchen\ p; n; ; K ; ::: nachgewiesen wird. 2.1.1 Das Myon{Atom Es gibt neben dem Elektron noch weitere Teilchen in der Natur, die in vielen Eigenschaften dem Elektron ahneln. Wir interessieren uns hier fur das Myon ( ) mit den folgenden Eigenschaften: m =206 me Spin 12 punktformig (r < 10;16cm) Coulombwechselwirkung mit dem Kern dominiert relativ lange Lebensdauer ( 10;6s) Das Myon kann wie ein Elektron im Atom gebunden werden. Fur seine Bindungsenergie gilt in 1. Naherung 2 En(1) = ; m2n c2 2 Z 2 37 Abbildung 2.1: Experimenteller Aufbau zur Messung des Rontgenspektrums bei U bergangen in { Atomen (HLZ = Halbleiterzahler, SZ = Szintillationszahler M1, M2, M3). Erzeugung: p + Kern ! ; + p + Kern + n, ; ! ; (Details, siehe Kap.5) mit 2 1 Feinstrukturkonstante, Z Kernladung = he c = 137 Der Radius der Bahn ist Beispiel: m c2 = 105:66 MeV ; n Hauptquantenzahl. h2 c2 1 n2 = a n2 me a= m B Z m c2 e2 Z ; 10 aB = 0:53 10 m = 0:53 A ; Z = 82; n = 1; ! a = 82aB206 = 0:31 10;14m = 0:44rPbKern ; wie wir aus der Parametrisierung der Kernradien sehen rPb = 1:2 10;15 m 2061=3 = 7:1 10;15m : Daraus folgt, da die Myonendichte am Kernort ungefahr (200)3 = 107 mal so gro ist wie die Elektronendichte am Kern. Man erwartet daher eine Beeinussung des Spektrums der Myonenubergange durch die endliche Kernausdehnung (siehe die Spektren eines Experiments in Abb.2.2, 2.3 und experimentellen Aufbau in Abb.2.1). Zusammengefat liefern die Experimente die folgenden Ergebnisse: Z klein, n gro : En beschreibt die Lage der Niveaus, da a RKern Z gro und n klein : Man erwartet Abweichungen von der Formel, da a RKern Dies sei am Beispiel des Blei skizziert: Die Erklarung fur diesen Eekt ist die endliche Kernausdehnung; innerhalb des Kerns sieht das Myon nicht die volle elektrische Ladung des Kerns und ist schwacher gebunden. Diesen Eekt kann man in einfachen Fallen mit einer Storungsrechnung berucksichtigen. Dabei ist das storende Potential gerade der Unterschied zwischen dem reinen Coulombpotential (fur das wir die exakten Losungen der Energien und der Wellenfunktionen kennen) und dem tatsachlichen Potential H^ = H^ o + (H^ real ; H^ o ) = H^ o + H^ 0 mit 2 2 2 Ho = 2pm + h 2lm(l+r21) ; Zer 38 (m = reduzierte Masse): Abbildung 2.2: Gemessene Spektren der Photonen, die fur {Atome des Ti beobachtet wurden Abbildung 2.3: Energieniveaus des Myon{Atoms des Pb und beobachtete U bergange 39 Abbildung 2.4: Hyperbelbahn eines geladenen Teilchens im Coulombfeld Dann sind die Energien des Myon{Atoms in 1. Naherung En0 = En + < n jH^ 0 j n > : Man sieht, da am starksten die S {Orbitale energieverschoben sein werden, weil dort die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Myons am Ursprung ungleich Null ist und damit das Integral der Storungsrechnung maximal beitragt, wahrend bei Orbitalen hoheren Drehimpulses eine merkliche Aufenthaltswahrscheinlichkeit nur in einigem Abstand (bei kleinem n und groem Z aber immer noch im Kern) vom Kernmittelpunkt gegeben ist. Man kann somit den Kernradius ableiten, wenn man als einfachsten Ansatz eine homogene Ladungsverteilung im Kern annimmt (Tropfchenmodell, siehe Kap.2.3) und versucht, die experimentell gefundenen Linien (Abb.2.2) mit einer homogenen Ladungsverteilung { mit dem Kernradius als Parameter { wiederzugeben. Man erhalt so: RK = ro A1=3 mit ro = 1:2 fm : Die genaue Behandlung fuhrt zu den in Abb.2.6 dargestellten Ladungsverteilungen. 2.1.2 Rutherfordstreuung Die Rutherfordstreuung wurde bereits in Physik I und Physik IV behandelt. Hier sei zunachst an die klassische Ableitung erinnert: Trit ein geladenes Teilchen ({Teilchen) auf einen Kern, so wird es auf einer Hyperbelbahn abgelenkt (Abb.2.4). 2 1 Z2 e2 ; b = a cot V (r) = Z1 Zr2 e ; a = Zmv 2 2 1 ! 0o ! b ! 1 Abschirmung durch Atomhulle dd ! 0 o ! 180 ! b ! bMin Moglichkeit den Kernradius zu messen, wobei Abweichungen von der Rutherfordformel beobachtet werden d = Z12 Z22 e4 1 : d 4 EKin 2 sin4 2 Dabei haben wir angenommen, da der Einu der Atomhulle vernachlassigt werden kann, der Kern den Spin 0 hat und punktformig ist, der Kern unendliche Masse besitzt. 40 Die Ausdehnung des Kerns hat bei kleinem b, also groem , den starksten Einu. In Physik IV und in HQM wird gezeigt, da in Bornscher Naherung der dierentielle Wirkungsquerschnitt gegeben ist durch d = m2 j Z V (~r )ei(~k;~k0 )~r d3 r j2 d 42 h4 ~k und ~k0 bezeichnen den Wellenzahlvektoren der einfallenden und gestreuten Welle (Huygensches Prinzip). Fuhrt man den Impulsubertrag ~q = h(~k ; ~k0 ) ein, dann kann man den Wirkungsquerschnitt ausdrucken durch die Streuamplitude: Z f () = m 2 V (r)ei~q~r=h d3 r 2h 2 3 [f ] = eV eV 2 fm2 fm d =j f () j2 : d Wir wenden diese Beziehung jetzt in 3 Schritten auf unser Problem an: 1. Streuung am Zentralpotential ~q~r = qr cos ; d3 r = r2 sin drdd : Die Winkelintegration kann wegen V (~r ) = V (r) sofort ausgefuhrt werden Z Z 2 Z 1 Z 1 Z 1 sin qr=h i~ q ~ r = h 3 iqr cos = h 2 e V (r)d r = e V (r)d cos dr dr = 4 r2 V (r)dr : qr= h 0 ;1 0 0 Die Streuamplitude fur das Zentralpotential lautet dann Z1 2 m 0 ~ ~ f (cos ) = f (k; k ) = h q V (r)r sin qr h dr : 0 2. Anwendung auf das abgeschirmte Coulombpotential: 2 V (r) = Z1 Zr2 e e;r Z 1 qr 1 Z2 e2 : f (cos ) = 2hmq Z1 Z2 e2 sin h e;r dr = 2mZ q2 + 2 h2 0 Daraus folgt schlielich im Grenzfall ! 0 fur das Coulombpotential die Rutherfordstreuformel d j = (2mZ1 Z2 e2 )2 : d R q4 3. Ausgedehnte Kerne: > AA K I @ A@ A @ A @ A A R~ Rr ~s R~ = ~r + ~s '$ ~r &% 41 R~ = ~r + ~s Beitrag eines Volumenelements d3 r zum Streupotential 2 ( hier : (~r ) = (r) ) : dV (~s ) = Z1 Zs2 e (~r )d3 r Dann folgt fur die Streuamplitude 2 Z Z (r) mZ Z e 1 2 f () = ei~q (R~ ;~r )=h d3 rd3 R 2 s 2h Z 2 Z ei~q R~ =h mZ Z e 1 2 ; i~ q ~ r = h 3 = (r)e dr d3 R : 2 R 2 h | {z }| {z } Rutherford;Streuung Formfaktor Dabei wurde naherungsweise R = s gesetzt. Fur den Streuquerschnitt eines geladenen Teilchens (Z1 ) an einem Streuer (Z2 ; (r)) gilt. d j R |d {z } d = F 2 (~q) | {z } d Ausdehnung punktf:Streuer mit dem Formfaktor Z F (~q) = (~r ) e;i~q~r=h d3 r : Eine typische gemessene Winkelverteilung fur die Streuung von Elektronen an Kernen zeigt Abb.2.5. Eigenschaften des Formfaktors: Er beschreibt den Unterschied der Streuung an einem ausgedehnten Gebilde verglichen mit einem punktformigen Streuer (siehe Strukturfaktor in der Festkorperphysik). Fur ~q ! 0 folgt ~q ~r=h 1 und somit e;i~q~r=h ! 1; deshalb gilt fur den Formfaktor lim q!0 Z F (~q ) = (~r )d3 r = 1 : Wenn die Wellenlange von der Groenordnung des Kernradius ist ( rKern ), dann gilt ~q ~r=h 1. Dann bewirken kleine A nderungen von ~q groe A nderungen von ei~q~r=h , und wir konnen (r) ausmessen. Fur rKern (~q ~r)=h 1 oszilliert die Exponentialfunktion sehr stark { auch wenn sich ~r nur geringfugig andert { selbst in einem Bereich, wo (~r ) quasi konstant ist. Dann ist Z F (~q ! 1) = e;i~q~r=h (~r )d3 r 0 : (~r ) kann aus Fouriertransformation des Formfaktors gewonnen werden. Abb.2.6 zeigt typische, auf diese Weise "gemessene\ Ladungsverteilungen. Ist die Ladungsverteilung kugelsymmetrisch, so ist der Formfaktor nur vom Betrag des Impulsubertrages ~q abhangig (r) ! F (~q 2 ) : Man kann zeigen, da man fur kleine q bei kugelsymmetrischen Ladungsverteilungen den Formfaktor nahern kann durch (U bungsaufgabe): 2 Z 2 F (~q 2 ) = 1 ; q~ 2 r2 (r)d3 r = 1 ; ~q 2 < ~r 2 > 6h 6h 42 Abbildung 2.5: Beobachtete Winkelverteilung der Elektronen in der Kernreaktion e; + 12 C ! e; + 12 C Abbildung 2.6: Typische Ladungsverteilung von Atomkernen [2] 43 und deshalb Man ndet fur das Proton 2 2 < ~r 2Kern >= ;6h2 d Fd~q(~q2 ) : p < ~r 2 > 0:8 10;15 cm = 0:8 fm Kerne : rKern = ro A1=3 ; Z ro = 1:2 fm Neutron : n 6= 0; aber n (~r ) d3 r = 0 Komplikationen, die hier nur angedeutet und nicht weiter besprochen werden sollen, sind: Spin 0{Teilchen 1 Formfaktor Ladungsverteilung Spin 12 {Teilchen 2 Formfaktoren Verteilung der Ladung und des magnetischen Moments Spin 1{Teilchen 3 Formfaktoren Verteilung der Ladung, des magnetischen Moments und des Quadrupolmoments Die elastische Streuung des Elektrons am Proton wird durch die Rosenbluth{Formel beschrieben G2 (q2 ) + G2 (q2 ) d = 4 2 h 2 c2 E 0 2 cos2 =2 2 (q 2 ) tg 2 =2 E M + 2 G M d q4 1+ 1 + M2pEc2 sin2 =2 GE (0) = 1 GM (0) = 2:79 2 = 4 Mq c2 p 2 0 2 q = ;(pe ; pe ) Viererimpulsubertrag Fur das Proton gilt bei groen q2 : Hauptbeitrag durch 2. Term (Streuung an magnetischer Ladungsverteilung). Die Formfaktoren konnen wie folgt parametrisiert werden GE 1 !2 c2 2 1 + 0:71q2GeV GM p GE : 2.1.3 Materieverteilung Mit Hilfe der verallgemeinerten Rutherfordstreuformel mit man die Ladungsverteilung. Die Materieverteilung kann sich im Prinzip von der Ladungsverteilung unterscheiden. Um die Materieverteilung zu bestimmen, mu man Teilchen verwenden, die nicht mit der Ladung wechselwirken. Hierzu konnen zum Beispiel schnelle Neutronen mit n RKern verwendet werden. Man ndet naherungsweise (r) = el (r) Materie (r) : Zur Parametrisierung der Ladungsverteilung verwendet man haug eine Fermiverteilung (siehe Einfuhrung in die Festkorperphysik und Abb.2.6) (r) = (0)r;R 1+e a a = 0:55 fm; (0) = 0:07 fm;3; R = (1:18 A1=3 ; 0:48) fm : Zusammengefat haben wir gefunden, da Kerne ausgedehnte Systeme sind, el Materie , Dichte der Kernmaterie fur alle Kerne etwa gleich ist. 44 2.2 Bausteine der Atomkerne Wir haben in Kap.2.1 gesehen, da Kerne ausgedehnte Systeme sind, in Kap.3 wird auerdem gezeigt, da sie Anregungszustande besitzen. In Analogie zur Atomphysik legt dies die Frage nahe, ob Kerne zusammengesetzte Systeme sind. Da die Physik in Strukturebenen aufgebaut ist, kann man den Begri des Bausteins nur positivistisch denieren. Bausteine { im hier verwendeten Sinn { eines mikroskopischen Objekts sind diejenigen Teile, die eine konsistente, einfache Beschreibung der Beobachtungstatsachen erlauben. Atom Kern Nukleon (Kap.5) Kern und HullenProtonen Quarks elektronen und Neutronen Welche Bausteine fur die jeweilige Beschreibung verwendet werden, ist eine Frage der Zweckmaigkeit und der Prazision der zu interpretierenden Messung. 2.2.1 Zahl der Bausteine Die nachste Frage, die man beantworten mochte, zielt darauf ab zu klaren, ob die Materie in diskreten Klumpen auftritt, oder ob sie ein kontinuierliches Medium ist. Eine endliche Zahl der Bausteine spricht fur die erste Betrachtungsweise. Einen ersten Hinweis erhalt man aus der Chemie: MAtom MKern A Mp Mp = Protonmasse; A = 1 : H {Atom, A = 4 : He{Atom, A = 12 : C {Atom, A = 238 : U {Atom etc. Weiterhin ist aus der Rontgenspektroskopie und der Rutherfordstreuung bekannt, da gilt: Kernladung = Ze 2Z A : Diese Beobachtungen fuhrten zu einem ersten { inzwischen uberholten { Kernmodell: besteht aus A Protonen und A ; Z Elektronen.\ "Der Kern Dieses Modell beschrieb zum Zeitpunkt seiner Einfuhrung die gesamten Beobachtungen und machte zusatzlich folgende Vorhersagen: Elektronen konnen aus dem Kern austreten (beobachtet wird tatsachlich der {Zerfall (siehe Kap.3.2). Gemessen wird jedoch ein viel geringerer Impuls der Elektronen als der vom Modell vorhergesagte; denn mit Hilfe der Unscharferelation konnen wir den Impuls von gebundenen Elektronen im Kern nach unten abschatzen: RKern j ~p j c hc = 200 MeV fm RKern 2 fm ! j p~ j c 100 MeV ; beobachtet wird aber nur j p~ j c 0(1 MeV ). Die Tatsache, da ein Teilchen aus einem System heraustreten kann, ist also noch lange kein Beweis dafur, da dieses Teilchen als Baustein im System enthalten ist (Photonen im Atom als Analogon !). Vorhersagen uber Kernspin (Physik IV: Vektormodell): Betrachtet man den Kern 14 7 N , so erwartet man modellgema 14 Protonen mit Spin 21 und 7 Elektronen mit Spin 12 . Nach dem Vektormodell sollte es also einen Gesamtspin von IKern = h2 ; ; 14 h2 + 7 h2 = 21 h2 ; 19 h2 ; ; h2 geben. In Wirklichkeit wird jedoch Ikern =ganzzahlig beobachtet ( 147 N ; 147 N Molekul, siehe U bungsaufgabe). ! Kern mu aus einer geradzahligen Anzahl Spin- 21 {Teilchen bestehen. Und wirklich beobachtete Chadwick 1932 das Neutron (Mn Mp ; Zn = 0; Spin h2 ) (U bungsaufgabe). 45 Abbildung 2.7: fur RKern : e + Kern ! e + p + Kern0 ) Man ndet fur den Formfaktor: Fp (p; Kern) Fp (p; frei): Proton ist nahezu frei im Kern (zum Atom: [23]) Nach Heisenberg sind Neutron und Proton verwandte Teilchen (Nukleonen); sie konnen als Partner eines Dubletts (Isospin{Dublett, siehe Kap.5.3) angesehen werden 14 N = 7p + 7n ! I ( 14 N ) = ganzzahlig. 7 7 Auerdem gerat das Modell nicht in Widerspruch bei den beobachteten {Energien (siehe Kap.3.2). Heutiges Kernmodell: "Kern mit Massenzahl A besteht aus Z Protonen und (A{Z) Neutronen\ 2.2.2 Direkter Nachweis der Bausteine Der Kernphotoeekt und seine Umkehrung: + Kern ! p + Kern0 n + p ! 21 H + zeigen, da der Kern aus Nukleonen zusammengesetzt ist. Diese Beobachtungen haben ihre Analogie im Photoeekt bzw. Elektroneneinfang in der Atomphysik. Man kann auch Elektronen quasielastisch an im Kern gebundenen Protonen streuen. Dabei ndet man den gleichen Formfaktor (Ladungsverteilung) wie bei freien Protonen (siehe Abb.2.7). 2.2.3 Magnetische Kernmomente Neben dem Drehimpuls ist das magnetische Moment ein wichtiges Charakteristikum des Atomkerns. Da diese Kerngroe in Chemie (Nobelpreis 1991) und Physik wichtige Anwendungen besitzt, soll hier kurz auf sie eingegangen werden. Aus Physik II und IV wissen wir, da sich das magnetische Moment eines Kreisstroms schreiben lat als 2 j ~ j = 1c Strom Flache = 1c e! 2 aB : Ferner haben wir die Quantisierungsbedingung m!a2B = 2h : Dies fuhrt zu einem magnetischen Moment des Elektrons auf der 1. Bohrschen Bahn des H{Atoms j ~ j = ec 2 !a2B = ec 2hm = Bohr = 5:79 10;5 eVT : In Analogie fuhrt man das Bohrsche Kernmagneton ein: eh = 3:15 10;8 eV : K = 2m T pc 46 Die Niveauaufspaltung im B {Feld ist Vm = ;~B~ : Das mit dem Kernspin verbundene magnetische Moment ist ~ ~I = gI k hI mit gI dem Lande{Faktor (enthalt Kernstruktur ! Kernwellenfunktion). Da I~ quantisiert ist, gibt man ublicherweise = MaxK(z ) oder gI an. Da wie in der Hulle gilt I~b = gilt in Operatorschreibweise ~ Lc |{z} c + |{z} S~ ; Bahndrehimpuls Spin c c ~ ~ ~^I = gL K Lh + gS K Sh : Da gL und gS nicht quantisiert sind und sich unterscheiden, wird ~^I nicht parallel zu I~b ausgerichtet sein. Die Megroe ist also ~b ~^ = ( ~^I I~b ) I : < I~c2 > Die nicht beobachtete Komponente senkrecht zu I~b mittelt sich heraus. gp = gs = 5.5828 gL = 0 Das Experiment ergibt : Proton Neutron gn = gs = -3.8261 gL = 0 Als U bungsaufgabe berechne man ~ fur das Proton bzw. fur das Neutron mit Bahndrehimpuls L~ und Spin S~ (Schmidt{Linien). Ein Meverfahren fur das magnetische Moment ist im Anfangerpraktikum (gyromagnetisches Verhaltnis) zu nden. Man mit dort das Magnetfeld, das den Spin{UP{/Spin{DOWN{Zustand eines Elektrons so aufspaltet, da Photonen einer denierten Energie resonant absorbiert werden. Aus dem Magnetfeld und der Niveauaufspaltung lat sich das magnetische Moment des Elektrons berechnen. Analog kann man bei den Kernmomenten verfahren (siehe auch Experiment "optisches Pumpen\ im Fortgeschrittenenpraktikum). Mebar sind bei Kenntnis der magnetischen Kernmomente : magnetische Kernmomente, innere Magnetfelder in Festkorpern, Relaxationsvorgange (Fortgeschrittenenpraktikum), Dichte von Kernen mit bestimmten Eigenschaften (NMR{Tomographie), Diusion in Festkorpern (Fortgeschrittenenpraktikum V.49). 2.3 Kernmassen, Bindungsenergien und Tropfchenmodell Wir hatten in den Kapiteln 2.1 und 2.2 schon gesehen, da Kerne ausgedehnt sind, Kerne aus Nukleonen zusammengesetzt sind. Die nachste wichtige Frage, die auftaucht, lautet dann naturlich: welche Krafte halten die Kerne zusammen und welche Eigenschaften besitzen diese Krafte. Wie in der Atomphysik ist die Bindungsenergie (entspricht der Ionisationsenergie) eine wichtige Groe. Wichtige Details uber die Krafte leitet man auerdem aus dem Studium der gebundenen Zustande (siehe Kap.3) und aus Streuexperimenten ab. 47 2.3.1 Massenspektrograph und Massenspektrometer Als erstes wollen wir die Frage beantworten, wie man experimentell die Kernmasse bestimmt. Die Bindungsenergie EB kann aus ihr dann mit Hilfe der Einsteinschen Formel berechnet werden: EB = Zmp c2 + (A ; Z )mn c2 ; MK c2 A ; Z = N = Zahl der Neutronen im Kern: Hierzu verwendet man den Massenspektrographen. Im Prinzip besteht ein Massenspektrograph aus einer Ionenquelle, einem Energielter und einem Nachweisgerat. Dabei sind zwei Meapparaturen zu unterscheiden: Massenspektrometer: Alle Massen werden als Linien in der Fokalebene nachgewiesen, (Photoplatte als Nachweisgerat) (Abb.2.8). Massenspektrograph : Eine Kernart (Masse) wird nachgewiesen Der Energielter besteht aus einem transversalen elektrischen Feld, in dem geladene Teilchen abgelenkt werden. Aus Kenntnis des E {Feldes und des Bahnkrummungsradius kann die kinetische Energie bestimmt werden. Ablenkung in einem elektrischen Zylinderkondensator: @ R @ E~ B BBN J ^ J @ I @ @ + R @ @ @ MK v2 = Ze j E~ j : Rel Impulslter arbeiten ahnlich, jedoch mit einem magnetischen anstatt eines elektrischen Feldes, welches jedoch senkrecht zur Bahnkurve ausgerichtet ist MK v2 = Zev j B~ j ! M v = ZeR ~ j : K mag j B Rmag Daraus kann nun ein Filter fur eine bestimmte Masse (pro Ladung) gebaut werden 2 MK = B~ 2 Rmag Ze j E~ j Rel : Systematische Untersuchungen ergaben folgende Resultate: Isotope: Man beobachtet zu gleichem Z Kerne unterschiedlicher Masse (Massenzahl A), z.B. 126 C und 146 C . Allgemein AZ K Isobare: Kerne mit gleichem A aber unterschiedlichem Z werden beobachtet, z.B. 31 H , 32 He 54 oder 54 27 Co, 26 Fe Isotone: Kerne mit gleicher Neutronenzahl N, aber unterschiedlichem A werden nachgewiesen, z.B. 126 C , 137 N 48 Abbildung 2.8: Schema eines Massenspektrometers U blicherweise hat bei fester Massenzahl A ein Kern (dieser habe die Kernladung ZMin ) die minimale Masse. Kerne mit Z 6= ZMin zeigen dann radioaktive Zerfalle (siehe Kap.3.2). Die Details kann man der Isotopentafel entnehmen. Massen werden als Vielfache der Masse des 126 C {Atoms angegeben: 1 m (12 C ; Atom) 1u = 12 6 M (H ; Atom) = mp + Me ; 13:6 eV c2 = (1:007276 + 0:000548)u M (He ; Atom) = 4:002600 u : Tabellen : Handbook of Chemistry and Physics Da das H{Atom schwerer ist als 121 eines 126 C {Atoms spiegelt die Tatsache wider, da die Kerne gebundene Systeme von Nukleonen sind. Der Bindungsenergie EB entspricht wegen j EB j = mc2 ein Massendezit (Massendefekt). Empirisch gilt naherungsweise MK = AMp . Genauer erwartet man fur ein aus Protonen und Neutronen zusammengesetzes System MK = ZMp + (A ; Z )Mn ; Ec2B EB = ;E = ; (MK ; ZMp ; (A ; Z )Mn ) c2 : Weiter gilt naherungweise EB = Bindungsenergie 8 MeV const : A Nukleon Praziser beobachtet man den in Abb.2.9 wiedergegebenen Verlauf. Folgerungen: Fusion zweier leichter Kerne bedeutet einen Energiegewinn (Sonne), Spaltung eines schweren Kerns in zwei leichte Kerne bedeutet einen Energiegewinn (Kernreaktor), die Welt bestand ursprunglich aus Neutronen und Protonen, die in Sternen bis zu Eisen fusionieren, die schwereren Kerne werden in einer Supernova durch n{Einfang erzeugt (siehe Kap.4.3). 49 Abbildung 2.9: Bindungsenergie pro Nukleon als Funktion der Massenzahl A. Das Auftreten der scharfen Maxima wird in Kap.3.3 erklart [2]. Wenn jedes Nukleon mit jedem anderen in Wechselwirkung treten wurde und alle Krafte gleich gro waren, dann wurde gelten: EB 12 A (A ; 1) : Man beobachtet jedoch EB A ; also existiert eine Sattigung der Kernkrafte analog zur homoopolaren Bindung in der Atomphysik. Man fuhrt rein phanomenologisch den Sattigungscharakter der Kernkrafte auf Austauschkrafte zuruck analog zur Behandlung eines Wassertropfens. Erinnert sei daran, da bei der Gravitation gilt EB M 2 ; sie besitzt also keinen Sattigungscharakter. Anwendungen der Massenspektroskopie: Messung des Verhaltnisses von 18 O und 16 O in Eiskernen des Gronlandeises. Dieses Verhaltnis ist ein Ma fur die Temperatur auf der Erde z.Zt. der Bildung dieses Eises (Palaoklimatologie). Weitere Anwendungsbeispiele ndet man in [24]. 2.3.2 Tropfchenmodell und Bethe{Weizsacker{Formel Wir gehen von drei grundlegenden Beobachtungen aus (siehe Kapitel 2.1 und 2.2): EB =A const., VKern A, MK A, ) K (r) const. Ein Analogon ist der Wassertropfen: (r) = const:, Verdampfungswarme unabhangig von M (R ! 1 !), Sattigung der Krafte zwischen Molekulen (im Gegensatz zur Gravitation). Annahme fur Kernkrafte im Tropfchenmodell sind: die Krafte zeigen Sattigungscharakter, 50 (r) = const. ! Abstoung bei kleinen Abstanden. Hierzu ein Kommentar Ehrenfests in einem Brief an Pauli (Pauli{Briefwechsel Bd.II, Brief 271 von Ehrenfest): "Warum ist ein Kristall dick? Weil die Atome dick sind. Warum sind sie dick? Weil nicht alle Elektronen auf eine Schale fallen. Warum tun sie es nicht? Wegen der elektrostatischen Abstoung der e; gegeneinander? nein! denn dann wurden sie sich um hoch geladene Kerne doch noch viel dichter stauen als sie es tun! Nein, sie tun es nicht aus Angst vor Pauli! Und so konnen wir sagen: Pauli selbst ist so dick, weil das Pauliverbot gilt! Das wunderbare, unbegriene.\ Wir machen daher fur die Bindungsenergie den Ansatz EB = EBV + EBO + EBC + EBS 2 + EBP Z ( Z ; 1) = aV A ; a~O RK2 ; a~C RK ; aS (N ;AZ ) Aa3P=4 aV A ; aO A2=3 ; aC Mit Z2 A1=3 ; aS (N ;AZ ) Aa3P=4 2 8 < ap A;3=4 bei gg{Kernen (Z; N gerade) P EB = : 0 bei ug{, gu{Kernen ;ap A;3=4 bei uu{Kernen (Z; N ungerade) Plausibilitatsbetrachtung : EBO < 0 : Kerne an der Oberache haben weniger Bindungspartner. EBC < 0 : Protonen stoen sich ab. Das Ergebnis wird zusammengefat in der Bethe{Weizsacker{Formel: 2 2 EB = aV A ; ao A2=3 ; aC AZ1=3 ; aS (N ;A Z ) Aa3p=4 Diese Formel reproduziert in guter Naherung die gemessenen Massen von etwa 1000 Kernen, wobei die Konstanten durch eine Anpassung an die Mewerte gewonnen wurden. Dieses Verfahren ist nicht ungewohnlich; es sei daran erinnert, da zum Beispiel in der Schrodinger{Gleichung des H {Atoms me und e aus dem Experiment ermittelt werden und nicht aus der Theorie folgen. Zahlenwerte fur die Konstanten sind aV = 15.85 MeV Volumenanteil aO = 18.34 MeV Oberachenanteil aC = 0.714 MeV Coulombanteil aS = 9.286 MeV Symmetrieanteil aP = 11.45 MeV Paarungsenergie In verschiedenen Bereichen von A ist der Einu der verschiedenen Terme unterschiedlich bedeutsam (siehe Abb.2.10). Aus Abb.2.10 folgt, da die maximale Bindungsenergie bei A 60 vorliegt. Bei groem A wachst die Coulombabstoung stark an, bei kleinerem A andert sich das Verhaltnis Oberache/Volumen stark, und die Oberachenenergie tragt stark bei. Bei der Spaltung von Uran (mehr in Kap.4.2) wird nach Abb.2.10 ungefahr 1 MeV pro Nukleon (!) frei. 236 U ! 2 118 Pd : 92 46 2 EB (Pd) 2 118 8:55 MeV = 2018 MeV EB (U ) 236 7:6 MeV = 1794 MeV Freiwerdende Energie: = 224 MeV Dieser Wert ist mit der Energie von 10 eV zu vergleichen, der bei der Umwandlung eines C {Atoms in CO2 frei wird. 51 Abbildung 2.10: Beitrage zur Bindungsenergie pro Nukleon der Einzelterme der Bethe{Weizsacker{ Formel. Die hier angegebenen Werte sind nur der Groenordnung nach richtig, prazise Werte zeigt Abb.2.9 [2]. 52