1 Endokrinologie und Stoffwechsel

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1.1
Einführung in die Endokrinologie – 2
1.2
Erkrankungen des Hypothalamus
und der Hypophyse – 5
1.3
Erkrankungen der Schilddrüse – 19
1.4
Erkrankungen der Nebenniere – 43
1.5
Endokrin aktive Tumoren des
Gastrointestinaltraktes – 61
1.6
Hypogonadismus des Mannes
und Gynäkomastie – 70
1.7
Calcium- und Phosphatstoffwechsel – 74
1.8
Diabetes mellitus – 90
1.9
Porphyrie – 116
1.10 Metabolisches Syndrom, Adipositas,
Hyperurikämie und Fettstoffwechselstörungen – 121
Aus H. Lehnert, K. Werdan: Innere Medizin – essentials (ISBN 3-13-117294-0) © Georg Thieme Verlag Stuttgart 2006
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1 Endokrinologie
und Stoffwechsel
1
1.1
Endokrinologie und Stoffwechsel
Einführung in die
Endokrinologie 111111111111111111111111111111111
C. Schulz, H. Lehnert
Gegenstand der Endokrinologie ist die Synthese,
Sekretion und Wirkung von Hormonen zur Aufrechterhaltung der Homöostase und Adaptation an
sich verändernde innere und äußere Bedingungen.
Klassische endokrine Zellen sezernieren ein Hormon in ein Blutgefäß, über das es zu seinem Wirkort
transportiert wird (Beispiel: Sekretion von LH aus
der Hypophyse und Wirkung an Testes oder Ovar).
Eine parakrine Wirkung bezieht sich auf die Interaktion benachbarter Zellen, eine autokrine auf die
einer sezernierten Substanz mit der Zelle, in der sie
gebildet wurde. Neuroendokrine Zellen sezernieren Hormone (z. B. Noradrenalin) aus Nervenendigungen in ein Blutgefäß mit einer hieraus resultierenden endokrinen Wirkung.
Bildungsorte von Hormonen sind dabei sowohl klassische endokrine Organe (z. B. Hypophyse, Schilddrüse, Nebennieren, Hoden), wie nahezu
jedes andere Organ des menschlichen Körpers auch
(z. B. Herz, Niere, Magen, Haut). Eine Übersicht hierzu gibt die Tabelle 1.1.
Aus biochemischer Sicht können drei Arten von
Hormonen unterschieden werden:
§ Peptidhormone,
§ Steroidhormone,
§ biogene Amine.
Nicht berücksichtigt sind bei dieser Einordnung die
Schilddrüsenhormone T4 und T3, die als Tyrosin-Derivate (nicht Metabolite!) aus der Verbindung von
zwei Tyrosinmolekülen entstehen.
Die Synthese von Peptidhormonen beginnt mit
der Transkription der in der DNA enthaltenen genetischen Informationen. Auf beiden Seiten des kodierenden Genabschnitts befinden sich regulatorische
Sequenzen, die letztlich für die Transkription verantwortlich sind. Upstream, am 5‘-Ende des kodierenden Genabschnitts, liegt die Promotorregion,
die die Bindung der RNA-Polymerase steuert. Zahlreiche Transkriptionsfaktoren (Enhancer) befinden
sich in der Nachbarschaft dieses Genabschnitts und
kontrollieren den Zeitpunkt der Transkription und
häufig auch die Gewebespezifität der Genexpression. Ein Beispiel für einen solchen Transkriptionsfaktor sind hormonresponsive Elemente (HRE). Als
Folge der Gentranskription entsteht zunächst heteronukleäre RNA, die im Zellkern durch RNA-Prozessierung zu reifer m-RNA wird. Nach dem Transport
in das Zytoplasma erfolgt im endoplasmatischen Retikulum die Translation zum Pro-Hormon. Durch die
Einwirkung von Peptidasen (bzw. N-Glykosylierung
bei Glykoproteinen) und die anschließende weitere
post-translationale Prozessierung entsteht im Golgi-Apparat das zellspezifische Hormon. Aus dem
Golgi-Apparat erfolgt der Transport in sekretorische
Vesikel, die mit der Zellmembran fusionieren können und so nach Einfluss bestimmter Stimuli (z. B.
Ca++) zur Freisetzung des Hormons führen (Exozytose). Diese Vorgänge sind in Abb. 1.1 dargestellt.
Steroidhormone entstehen dagegen intrazellulär in einer Reihe von enzymatischen Schritten aus
Cholesterol, der Ausgangssubstanz für die Steroidbiosynthese. Nach seinem Transport in die Mitochondrien entsteht dort Pregnenolon und hieraus das
zellspezifische Steroidhormon. Die weiteren Schritte
sind im Kapitel „Nebenniere“ dargestellt.
Sowohl Peptid- wie Steroidhormone zirkulieren im Blut gebunden an Bindungsproteine. Dabei
befinden sich gebundenes und biologisch aktives,
freies Hormon in einem Bindungsgleichgewicht. Situationen, die zu einer Veränderung der Konzentration der gebundenen Hormone führen (z. B. Erhöhung durch Schwangerschaft oder Einnahme
von Kontrazeptiva, Erniedrigung durch Hypalbuminämie) bewirken keine Veränderung der Hormonaktivität und -wirkung, da die Menge freien Hormons
im Wesentlichen konstant bleibt.
Biogene Amine sind Metabolite essenzieller Aminosäuren und besitzen eine duale Bedeutung als lokal wirkende Neurotransmitter des zentralen und
peripheren Nervensystems auf der einen und als systemisch wirkendes Hormon auf der anderen Seite.
Die wichtigsten Beispiele hierfür sind die Katecholamine, die über das geschwindigkeitsbestimmende
Enzym Tyrosinhydroxylase aus Tyrosin entstehen
(s. Kapitel „Nebenniere“), und Serotonin, das durch
Hydroxylierung und anschließende Decarboxylierung aus Tryptophan entsteht. Abhängig von der
Enzymkinetik beeinflusst eine veränderte Verfüg-
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1.1 Einführung in die Endokrinologie
„Drüse“
Hormon
Art des Hormons
Hypothalamus
Thyreotropin-releasing-Hormon (TRH)
Corticotropin-releasing-Faktor (CRF)
Gonadotropin-releasing-Hormon (GnRH, LHRH)
Wachstumshormon-releasing-Hormon (GHRH)
Somatostatin
Peptidhormone
Dopamin (= prolaktininhibierender Faktor)
Biogenes Amin
Hypophyse (Vorderlappen)
Thyreoideastimulierendes Hormon (TSH)
Luteinisierungshormon (LH)
Follikelstimulierendes Hormon (FSH)
Wachstumshormon
Adrenokortikotropes Hormon (ACTH)
Prolaktin
Peptidhormone
Hypophyse (Hinterlappen)
Vasopressin (= ADH)
Oxytocin
Peptidhormone
Schilddrüse
Thyroxin (T4)
Trijodthyronin (T3)
Tyrosin-Derivate
Calcitonin
Peptidhormon
Nebenschilddrüse
Parathormon
Peptidhormon
Nebennierenrinde
Aldosteron
Cortisol
Dehydroepiandrosteronsulfat (DHEAS)
Testosteron
Steroidhormone
Nebennierenmark
Dopamin
Noradrenalin
Adrenalin
Katecholamine
(Biogene Amine)
Ovarien
Hoden
Östrogen
Progesteron
Testosteron
Steroidhormone
Endokrines Pankreas
Insulin
Glukagon
Somatostatin
Peptidhormone
Magen
Gastrin
Ghrelin
Peptidhormone
Duodenum
Jejunum
Sekretin
Cholecystokinin
Peptidhormone
Serotonin
Biogenes Amin
Leptin
Peptidhormon
Fettgewebe
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Tabelle 1.1 Relevante endokrine Organsysteme und Hormone
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Endokrinologie und Stoffwechsel
TATA
Gen (DNA)
Exon
Intron
Exon
Intron
5'-Ende
Exon
Intron
3'-Ende
Promotorregion
nicht
kodierend
m-RNA
5'-Ende
Start
Nukleus
Transkription zu heteronukleärer (hn) RNA
und posttranskriptionale Prozessierung
nicht
kodierende Sequenz
kodierend
Zytoplasma
AAAAA
Ribosomen
3'-Ende
Stop
Translation
Met
Pro-Hormon
Signalsequenz
Stop
post-translationale Prozessierung
Hormon
Vesikel
Sekretion
Abb. 1.1 Synthese von Peptidhormonen.
barkeit dieser Aminosäuren auch die Bildung und
Freisetzung ihrer Hormonmetabolite.
Die Wirkung von Hormonen auf ihre Zielzellen
wird über Rezeptoren ausgeübt, die im Wesentlichen in membranständige und zytoplasmatische
oder nukleäre eingeteilt werden können. Aufgrund
ihrer hydrophilen Struktur sind Peptidhormone
(z. B. die Hypophysenhormone) nicht in der Lage, die Zellmembran zu durchqueren (daher hier:
membranständige Rezeptoren), während die lipophilen Steroid- und Schilddrüsenhormone hierzu in
der Lage sind und an zytoplasmatische bzw. nukleäre Rezeptoren binden.
Die Gruppe der membranständigen Rezeptoren
wird grundsätzlich unterteilt in Rezeptoren mit sieben transmembranösen Schleifen und solche mit
nur einem transmembranösen Abschnitt. Liganden
der ersten Gruppe sind z. B. die Hypophysenhormone LH, FSH, TSH oder ACTH, hypothalamische Releasing-Hormone oder auch biogene Amine (Neurotransmitter) wie z. B. Adrenalin, Serotonin oder
Acetylcholin. Diese Rezeptoren sind an ein anderes
Membranprotein, G-Protein, gekoppelt. Dies kann
ein die Adenylatzyklase aktivierendes (Gs) oder inhibierendes (Gi) oder ein Phospholipase C aktivierendes (Gq) G-Protein sein, das dann durch eine Beeinflussung der intrazellulären Signaltransduktion
über Second-messenger-Systeme zur Zellantwort
führt (Abb. 1.2).
Veränderungen in der Bildung von G-Proteinen
können zu typischen endokrinen Krankheitsbildern
führen; Zellmutationen mit Bildung von stimulatorischem G-Protein liegen zahlreichen Fällen von
Akromegalie zugrunde, eine verminderte Bildung
z. B. dem Pseudohypoparathyreoidismus.
Rezeptoren mit einem transmembranösen Segment sind dagegen nicht G-Protein-gekoppelt und
lassen sich in solche mit und ohne intrinsische Aktivität einteilen. Intrinsische Aktivität besitzen beispielsweise die Rezeptoren für Insulin oder auch
Insulin-like growth factor (IGF-I), die als Tyrosinkinase eine Autophosphorylierung und damit eine
Aktivierung der Signaltransduktion bewirken können. Hormone wie Wachstumshormon oder Prolaktin wirken ebenfalls über Rezeptoren mit einem
transmembranösen Segment, sie gehören jedoch einer Multisubunit-Rezeptor-Familie an und besitzen
keine intrinsische Tyrosinkinase-Aktivität.
Steroidhormone dagegen wirken über intrazellulär gelegene Rezeptoren, die durch diese Bindung
aktiviert werden und hierdurch wiederum die Bindung an bestimmte DNA-Abschnitte (HRE, s.o.) ermöglichen. Daher gelten diese Rezeptoren auch als
Transkriptionsfaktoren, bei denen Mutationen typischerweise zu Hormonresistenz-Syndromen führen
können.
Eines der wesentlichen Prinzipien endokriner
Regulation ist die Feed-back-Kontrolle der Hor-
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Golgi-Apparat
1.2 Erkrankungen des Hypothalamus und der Hypophyse
NH2
Plasma
Zellmembran
Zytoplasma
Hormon +
Rezeptor
COOH
Abb. 1.2 Wirkung von Hormonen
über Rezeptoren mit sieben
transmembranösen Schleifen (oben
rechts). Abkürzungen für G-Protein
s. Text, DAG: Diacylglycerol, IP3:
Inositoltriphosphat.
Aktivierung von G-Protein
Gs; Gi; Gq
cAMP /
Aktivierung von
Phospholipase C
Ca++, DAG, IP3
monsekretion. Der wichtigste Kontrollmechanismus hierbei ist das negative feed-back. Typisches
Beispiel ist die Steuerung der Sekretion hypophysärer Hormone durch die Hormone ihrer Zielorgane
(z. B. Nebenniere o Hypophyse) im Sinne eines long
feed-back. Der Begriff ultra-long feed-back bezieht
sich auf die Kontrolle hypothalamischer durch periphere Hormone (z. B. Cortisol o CRF), der Begriff
short feed-back auf die Kontrolle hypothalamischer
durch hypophysäre Hormone (z. B. ACTH o CRF).
Durch diese Mechanismen wird unter Ruhebedingungen und in nicht pathologischen Zuständen die
endokrine Homöostase gewährleistet.
Positive Feed-back-Mechanismen sind dagegen
seltener; ein Beispiel ist die präovulatorische Freisetzung von LH als Folge eines Östrogenanstieges.
Diese Feed-back-Kontrolle ist damit auch für die
Rhythmik der Hormonsekretion verantwortlich; diese Rhythmik kann sehr unterschiedlich sein und bewegt sich beispielsweise von ultradianen Rhythmen
(z. B. 90-Minuten-Perioden der Gonadotropin-Sekretion), zirkadianen Rhythmen (z. B. täglicher Rhythmus der Cortisolsekretion) bis hin zu monatlichen
(Reproduktion) und jährlichen Rhythmen.
Die wesentliche methodische Basis zur Beschreibung dieser physiologischen Prinzipien und der
endokrinen Krankheitsbilder ist eine zuverlässige
Hormonanalytik. Hormone werden i.d.R. durch Immunoassays gemessen, die auf der Reaktion zwischen Antikörper und Antigen (Hormon) beruhen.
Diese Assays können radioaktiv sein (RIA: Radioimmunoassay, IRMA: immunoradiometrischer Assay) oder aber, wie dies in zunehmendem Maß
geschieht, auch nichtradioaktiv (Beispiel: Lumineszenzassay). Bioassays, die die biologische Aktivität
eines Hormons mit der einer Referenzpräparation
vergleichen, sind im Wesentlichen experimentel-
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Aktivierung oder
Inhibierung von
Adenylatzyklase
len Fragestellungen vorbehalten. Unverändert haben Rezeptorassays eine große klinische Bedeutung,
z. B. in der Charakterisierung der Rezeptordichte
hormonabhängiger Tumoren.
Schließlich sind molekulargenetische Techniken
von größter Bedeutung bei der Diagnostik endokriner Erkrankungen. Die spezielle klinische Anwendung wird bei den einzelnen Krankheitsbildern besprochen. Tab. 1.2 gibt einen Überblick.
1.2
Erkrankungen des Hypothalamus und der Hypophyse 1111
J. Hensen, H. Lehnert
1.2.1 Grundlagen
Raumfordernde Prozesse im Hypothalamus
Dem Hypothalamus kommt eine zentrale Stellung
in der endokrinen Regulation zu. Er setzt die so genannten „releasing“- und „release“inhibierenden
Hormone frei, die auf den Hypophysenvorderlappen
über das portalvenöse Gefäßsystem wirken. Er ist
an der Regulation des Wasser- und Elektrolythaushaltes, an der zirkadianen Rhythmik, aber auch an
der Regulation von Körpertemperatur, Appetit und
Nahrungsaufnahme wesentlich beteiligt.
Störungen und Tumoren im Bereich des Hypothalamus (Tab. 1.3) können eine Pubertas praecox
durch gesteigerte Gonadotropinsekretion oder auch
durch Sekretion von E-HCG bei Germinomen bewirken. Daneben können Störungen der kalorischen Balance ein so genanntes „dienzephalisches Syndrom“
verursachen (extreme Abmagerung, Hyperkinesie,
Blässe). Auf der anderen Seite kann auch eine Adipositas auftreten, z. B. die Dystrophia adiposogeni-
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