Analyse von Brahms` Requiem

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Ein deutsches Requiem von Johannes Brahms
Eine analytische Annäherung mit besonderer Rücksicht auf die
Beziehung zwischen Musik und Rhetorik
Wissenschaftliche Masterarbeit
zur Erlangung des Akademischen Grades
eines Master of Arts
an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Graz
vorgelegt von
Daniel ERAZO MUÑOZ, BA MA
Matrikelnummer 0773053
am Institut für Komposition, Musiktheorie, Musik-Geschichte und Dirigieren
Begutachter: Ao. Univ. Prof. Dr. Harald Haslmayr
Graz, September 2015
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei meiner Freundin Magdalena
Mandl bedanken. Ohne ihre Hilfsbereitschaft, Geduld, Unterstützung und
Verständnis wäre die Durchführung dieser Arbeit nicht möglich gewesen.
Solo puedo decirte que me siento bendecido y enormemente feliz de tenerte a mi
lado.
De igual manera agradezco de manera infinita a mi familia. Mi hermano y mis
padres han creído desde siempre en mis capacidades y a pesar de la distancia
siento su compañía y apoyo en todo momento. Dios los bendiga. Los amo
infinitamente.
Auf dieser Seite darf nicht der Dank fehlen, den ich meinem Prof. Johannes Prinz
für seine Geduld, sein Verständnis und seine Unterstützung aussprechen möchte.
Seine Lehre entspricht der eines wahren Maestros und ihm verdanke ich auch den
weisen Rat, mich mit dem vorliegenden Thema auseinanderzusetzen. Danke
dafür!
Abschließend bedanke ich mich bei meinem Betreuer Herrn Prof. Harald Haslmayr
für seinen wissenschaftlicher Rat, sein Vertrauen und seine Geduld. Es war mir
eine Ehre, auch meine zweite Abschlussarbeit unter seiner Supervision zu
verfassen.
Abstrakt
Die vorliegende Arbeit beinhaltet eine Analyse von Brahms' Requiem, die in drei
Teile gegliedert ist.
Im ersten Teil wird ein historischer Überblick zum Werk gegeben sowie eine
formale Analyse der einzelnen Sätze präsentiert, in der eine Gegenüberstellung
von Text und Musik hergestellt wird.
Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt im zweiten Teil, wo die Behandlung der
Rhetorik in Brahms' Requiem und deren entsprechende Umsetzung durch
musikalische Figuren analysiert werden. Hierbei dienten die Überlegungen von
Andreas Ickstadt (2007) und das Handbuch der musikalischen Figurenlehre von
Dietrich Bartel (1997) als Grundlage für die Analyse.
Dieser zweite Teil beginnt mit der Darstellung der Beziehung zwischen Kunst und
Kunstwissenschaft
im
19.
Jahrhundert
und
Brahms'
Interesse
an
der
Musikgeschichte. Weiters wird eine Zusammenfassung der Entstehung und
späteren Entwicklung der Rhetorik in Bezug auf ihre Verbindung mit der Musik
diskutiert.
Außerdem setzt sich die Arbeit mit der Verwendung des Kernmotiv-Inhalts im
gesamten Werk auseinander und erläutert, wie der Komponist durch gezielte
Wiederholungen unterschiedlicher Muster das Requiem zu einer Einheit formt.
Andere musikalische Phänomene, die eng mit dem Text verbunden sind, werden in
einem letzten Teil analysiert. Diese Phänomene können rhythmisch, melodisch
oder harmonisch sein und fallen nicht in die Kategorie der Figurenlehre, sind aber
trotzdem entscheidend für ein Verständnis dieses Werkes.
Abstract
This study analyzes the German Requiem by Johannes Brahms and is divided into
three parts.
In the first part, a historical overview for the work is given, followed by a formal
analysis of the individual movements, in which a contrasting juxtaposition between
text and music is presented.
The focus of this work lies in the second part, where the treatment of rhetoric and
its corresponding implementation through musical figures in Brahms' Requiem are
analyzed. Here, the considerations of Andreas Ickstadt (2007) and the handbook of
musical figures by Dietrich Bartel (1997) were used as a basis for the analysis.
This second part begins with the presentation of the relationship between art and
aesthetic in the 19th century and Brahms' interest in musical history. Furthermore a
summary of the emergence and subsequent development of rhetoric in relation to
its connection with music will be discussed.
Moreover this work deals with the contents of the core motif used throughout the
Requiem and explains how the composer creates consistency in this work by
directedly using pattern repeats.
Other musical phenomena that are closely linked to the text are analyzed in a final
part. These phenomena can be rhythmic, melodic or harmonic and do not belong
in the category of figure doctrine, but are nevertheless crucial to an understanding
of this work.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ....................................................................................................... 6
2. Allgemeiner Überblick über das Requiem ..................................................... 8
2.1 Entstehungsgeschichte ............................................................................... 8
2.2 Text ........................................................................................................... 10
2.3 Form ......................................................................................................... 12
........................................................................................................................ 26
3. Historische Hintergründe ............................................................................. 27
3.1 Brahms zwischen Kunst und Kunstwissenschaft ...................................... 27
3.2 Figurenlehre- Rhetorik .............................................................................. 32
4. Figurenlehre im Deutschen Requiem .......................................................... 37
5. Wiederkehrende Merkmale ......................................................................... 61
5.1 Das Kernmotiv und seine Verwandten ...................................................... 61
........................................................................................................................ 62
5.2 Allgemeines .............................................................................................. 68
6. Schlussfolgerungen ..................................................................................... 75
7. Quellenverzeichnis ...................................................................................... 77
7.1 Primärliteratur ........................................................................................... 77
7.2 Sekundärliteratur....................................................................................... 77
7.3 Andere Medien ......................................................................................... 79
8. Abbildungsverzeichnis ................................................................................. 80
I. Anhang............................................................................................................ 84
I.I Text ............................................................................................................. 84
1. Einleitung
In der vorliegenden Arbeit wird eine nähere Betrachtung des Deutschen Requiems
von Johannes Brahms durchgeführt. Dieses hat sich als eines der wichtigsten
Werke innerhalb des Oratorien Repertoires etabliert und dementsprechend stehen
zahlreiche Analysen und Gedanken darüber zur Verfügung. So habe ich eine
allgemeine und gezielte Analyse angestrebt, indem ich verschiedene Aspekte, die
mir auffällig erschienen, in Form eines Nachschlagewerkes konzipiert habe.
Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil wird ein historischer Überblick
über die Geschichte des Requiems gegeben. Darin werden die ersten Spuren, die
mit dem Schaffen dieses Werkes in Verbindung stehen, beleuchtet sowie die
Schwierigkeiten, die die Gestaltung eines religiösen Werkes mit sich bringen,
präsentiert. Da der Name des Werkes eine Andeutung zur Verwendung der
deutschen Sprache beinhaltet, werden ausserdem die möglichen Kriterien für die
Auswahl der Texte sowie sein Ursprung kommentiert.
Weiteres wird eine allgemeine formale Analyse der einzelnen Sätze unternommen.
Durch diese nähere Betrachtung innerhalb dieses Kapitels soll dem/der LeserIn
eine Werkorientierung gegeben sein. In manchen Sätzen werden sowohl eine
formale Analyse, die sich auf den Text bezieht, als auch eine, die nur auf der Musik
basiert, dargestellt.
In diesem Fall werden beide gegenübergestellt, um Unterschiede aber auch
Gemeinsamkeiten zwischen den beiden zu finden. Für jeden Satz wird eine
grafische Darstellung gemacht, um die verschiedenen Teile jedes Satzes einfacher
verstehen zu können.
Ein weiterer Teil dieser Arbeit wird sich dem historischen Hintergrund von
Johannes Brahms widmen. Fragen, die in diesem Kapitel beantwortet werden sind,
welche Bekanntschaften einen Einfluss auf den Komponist gehabt haben, um sein
Interesse an der Musikgeschichte zu fördern oder wie stark die Beziehung
6
zwischen Kunst und Kunstwissenschaft im 19. Jahrhundert war und wie diese den
Komponisten für seine Verfahrensweise beim Komponieren beeinflusst haben.
Der zweite Teil beabsichtigt eine Zusammenfassung der Entwicklung der
Beziehung zwischen Musik und Rhetorik zu präsentieren. Ihre Entstehung sowie
der Zeitpunkt, wann die Wissenschaft verschiedene musikalische Phänomene zu
benennen angefangen hat, werden hier behandelt.
In diesem Teil liegt auch der Schwerpunkt dieser Arbeit, wo die Behandlung der
Rhetorik und ihre entsprechende Umsetzung im Requiem durch musikalische
Figuren
analysiert
werden.
Darüber
hinaus
werden
zahlreiche
Beispiele
ausgewählt, um die Wirkung der Figuren und die Beziehung auf den
entsprechenden Zusammenhang hin zu erläutern.
An dieser Stelle sei zu erwähnen, dass bevor ein musikalisches Phänomen in die
Kategorie der Figuren aufgenommen wird, diese eine Begründung sowie eine
deutliche Wirkung an der gemeinten Stelle vorweisen muss. In diesem Sinne
haben mir die Überlegungen von Andreas Ickstadt (2007) und die Sammlung der
Figuren sowie ihre Erklärung von Dietrich Bartel (1997) in seinem Handbuch der
musikalischen Figurenlehre als Ausgangspunkt gedient und haben mich vor vielen
willkürlichen Betrachtungen bewahrt.
Der dritte und letzte Teil dieser Arbeit beinhaltet eine weitere Analyse des
sogenannten Kernmotivs und seine verschiedenen Erscheinungen im gesamten
Werk. In diesem Kapitel wird gezeigt, wie der Komponist durch gezielte
Wiederholungen unterschiedlicher Muster Einheit in seinem Werk schafft.
Als eine Art von Conclusio wird das letzte Kapitel fungieren. In diesem wird eine
Reihe von Phänomenen, die für das Verständnis des Werkes entscheidend sind,
betrachtet. Der Fokus dieses Teiles basiert auf der Bedeutung dieser Vorfälle bei
Stellen, wo sie mit dem Inhalt des Textes eng verwoben sind. Diese Stellen
können rhythmischer, melodischer oder harmonischer Natur sein. Weiteres werden
auch hier die Beziehungen zwischen den einzelnen Sätzen dargestellt.
7
2. Allgemeiner Überblick über das Requiem
2.1 Entstehungsgeschichte
Über die Idee oder die Inspiration, die Brahms animiert haben, ein Requiem zu
schreiben, ist viel spekuliert worden. Grundsätzlich zählen der Tod Robert
Schumanns 1856 und der Tod seiner Mutter 1865 als Ausgangspunkte, wobei
Beweise, die die Arbeit am Requiem aufzeigen, bereits im Jahr 1857 zu finden
sind. Daher nimmt der Verlust der Mutter an Wichtigkeit ab und wird grundsätzlich
mit der Komposition des 5. Satzes, wo u.a. der folgende Text vertont wird „ich will
euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“, in Verbindung gesetzt. Nach
Schumanns Tod 1856 komponierte Brahms eine Sonate als Vorlage seines ersten
Klavierkonzertes op.15. Diese Sonate wurde vernichtet, aber ihr Scherzo wurde
ausgesondert und als Grundlage für den zweiten Satz des Requiems verwendet.
An dieser Stelle sei zu erwähnen, dass Schumanns Das Paradies und die Peri
sowie das Requiem für Mignon op. 98b als Einflüsse für das Brahms‘ Requiem
zählen. In diesem Sinne ist auch Brahms‘ Behauptung zu verstehen, denn er sagte
gegenüber Joseph Joachim, er müsse doch wissen: „wie sehr und innig ein Stück
wie das Requiem überhaupt Schumann gehört“ (vgl. Heinemann 2009: 268).
Andere mögliche Ursachen für die, wie Bolin 2004 erwähnt, trostsuchende
Gestimmtheit von Brahms sind der Bruch mit der Freundin Agathe von Siebhold
1858 oder die 1866 drohende Preußisch-Österreichische Kriegsgefahr (vgl. Bolin
2004: 33). Alle Gründe gelten, wie oben erwähnt, als Spekulationen und die
Mehrzahl ist nicht belegbar.
Die ersten drei Sätze des Requiems wurden am 1. Dezember 1867 in einem
Konzert der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien unter der Leitung von Johann
von Herbeck uraufgeführt. Das Konzert fand im großen Redoutensaal der Hofburg
statt. Die Rezeption des Werkes war ein Misserfolg, da das Werk nicht in seinem
Ganzen, das ja noch gar nicht existierte, aufgeführt wurde, aber auch weil der
Paukist in der Orgelpunktfuge des dritten Satzes die Rolle des Pedalbasses nicht
8
erkannt und sie als Dominante gespielt hat, in Folge dessen der Auftritt des
Bariton-Solos übertönt wurde (vgl. Kross 1997: 517).
Nach dem der Dirigent Karl Reinthaler sich für eine Aufführung des Requiems
begeistert hatte, fand am 10. April 1868, das Werk in Bremen, in einem
Kirchenraum unter der Leitung von Brahms, seine erste Aufführung. Bei dieser
Gelegenheit sind sechs Sätze aufgeführt worden. Das Problem der Bremer
Aufführung nach Reinthaler war, dass der Erlösungsgedanke durch den Tod
Christi akzentuiert werden sollte. Daher wurde das Konzert mit Arien wie Ich weiß,
dass mein Erlöser lebt oder mit dem Hallelujah aus Händels Messias u.a.
vervollständigt (vgl. Heinemann 2009: 277).
Drei Wochen später, am 28. April 1868, wurde das Requiem wieder in seiner
sechs sätzigen Fassung aufgeführt. Wobei das Programm wieder eine Ergänzung
benötigte, in diesem Fall wurde die Arie für Sopran Ach wie nahte mir der
Schlummer mit der Cavatine Leise leise aus Webers Freischütz hinzugefügt. Nach
dieser Aufführung, vielleicht beeinflusst von der Wirkung des Solosoprans bei der
Bremer Aufführung, komponierte Brahms den fünften Satz des Requiems „Ihr habt
nun Traurigkeit“ im Mai 1868. Und damit erreichte das Requiem seine endgültige
Fassung (vgl. Heinemann 2009: 277).
Die erste Aufführung mit den sieben Sätzen des Werkes, wie wir es heute kennen,
fand am 18. Februar 1869 in Leipzig unter der Leitung von Carl Reinecke statt (vgl.
Heinemann 2009: 277).
Dank dieser so glorreichen Aufführung zählt das einzigartige Werk bis heute zu
den meist gespieltesten Stücken für Chor und Orchester (vgl. Krummacher 1984:
183).
9
2.2 Text
Das Brahms-Requiem entspricht nicht einer Totenmesse nach dem lateinischen
Modell, wo der Erlösungsgedanke durch den Tod Christus gestaltet wird, und wo
es sich grundsätzlich um eine Begleitung des Toten im Jenseits bis zum Paradies
handelt. Dennoch verwendete Brahms den Namen Requiem für sein Werk, da
dieser vielmehr als „Trauermusik“ verstanden werden soll. Der Titel des Werkes
heißt „Ein deutsches Requiem“ und ist als eine nicht liturgische Trauermusik in
deutscher Sprache zu interpretieren. In diesem Sinne schrieb Brahms an Carl
Reinthaler: ``Was den Titel betrifft, will ich bekennen, daß ich recht gern auch das
`Deutsch´ fortließe und einfach den `Menschen´ setzte´´ (vgl. Kross 1997: 496).
Um sein Deutsches Requiem von dem Text des traditionellen Requiems zu
unterscheiden, wählte Brahms bewusst 16 Bibelstellen aus, die aus den beiden
Testamenten entstammen. In diesen wird die Nichtigkeit und die Vergänglichkeit
des menschlichen Lebens akzentuiert (vgl. Bolin 2004: 34). Wie Heinemann
erläutert, will Brahms durch seine Musik keine Glaubensinhalte verkündigen,
sondern sie zeigt sich eher als ein Verweis auf Hilfe, die Bibelverse trauernde
Menschen schenken (vgl. Heinemann 2009: 269).
Bezüglich der Auswahl des Textes schrieb Brahms:
„[…] auch mit allen Wissen und Willen Stellen wie z.B. Evang. Joh. Kap. 3 Vers 16 [‚Also hat
Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn
glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben‘] entbehrte. Hinwieder habe
ich nun wohl manches genommen, weil ich Musiker bin, weil ich es gebrauchte, weil ich
meinen ehrwürdigen Dichtern auch ein ‚von nun an‘ nicht abdisputieren oder streichen kann.
Aber ich höre auf ohne ausgesprochen zu haben“ (vgl. Heinemann 2009: 269).
Dieses Zitat stammt aus einem Briefwechsel mit Carl Reinthaler im Oktober 1867,
worin Brahms in bat, den zentralen Inhalt des katholischen Glaubens in das Werk
bzw. den Erlösungsgedanke durch den Tod Christus, zu integrieren.
Brahms ging davon aus, dass die Bibel eine Sammlung von literarischen Texten
ist, daher ist die Rede von ehrwürdigen Dichtern. Er verwendete den literarischen
Sinn an manchen Stellen, wo es ihm möglich war auszudrücken, was er mit dem
10
Requiem bezwecken wollte: Nämlich die Idee des Trostes, welchen die Menschen,
die auf der Erde bleiben, brauchen, um den Verlust eines Geliebten zu
überwinden.
Das alles ohne sich an einen bestimmten Glauben zu fixieren, daher ist dieses
Requiem, wie Heinemann 2009 beschreibt, ein Werk mit dem sich alle Zuhörer
identifizieren könnten. Doch beschränkt die Tatsache der deutschen Textfassung
die Rezeption wiederum auf ein deutschsprachiges Publikum (vgl. Heinemann
2009: 270).
Von den sieben Sätzen des Requiems setzte Brahms in fünf davon mehr als eine
Bibelpassage
ein.
Im
vierten
Satz
beispielsweise,
griff
Brahms
durch
Auslassungen gezielter Textverse in den Originaltext ein. Die Stellung der
Bibeltexte ist frei, so findet man innerhalb eines Satzes eine Melange von Texten,
die aus verschiedenen Bibelstellen herausgenommen wurden (vgl. Ickstadt 2007:
139).
Der Text wird überdies hinaus stetig im Werk durch Antithesen behandelt, so
beispielsweise im ersten Satz:
„Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden“ (Matthäus 5,4).
„Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und tragen
edlen Samen, und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben“ (Psalm 126,5.6.).
Die Gegenüberstellung zweier kontrastierender Emotionen in einer sehr kurzen
Zeit, so im ersten Vers, Leid-Trost, oder im zweiten Vers Tränen-Freude, oder
Gehen-Weinen und Kommen-Freuden, verlangt eine unterschiedliche Vertonung
und wird als ``motettisches Komponieren´´ bezeichnet. Ickstadt 2007 definiert zwei
verschiedene, auf den Text basierende Typen von Sätzen innerhalb des Requiems
ein, Typus I sind die Sätze 1, 4, 5 und 7. Hier wird die Textantithese in kleineren
Einheiten innerhalb eines Verses durchgeführt. Die Sätze, die als Typus II
bezeichnet werden, sind 2,3, und 6 und ihre Antithese geschieht in größeren
Textblöcken. So beispielsweise im 3. Satz, wo die ersten Verse die Nichtigkeit des
menschlichen Lebens darstellen. In Folge kontrastieren diese mit dem vorletzten
11
Vers „ich hoffe auf dich“, der gleichzeitig als Übergang zur Fuge dient, wo die Rede
über Freude und Geborgenheit bei Gott ist. Außerdem ist bei den Sätzen von
Typus I die Rede von Trost in diesem irdischen Leben, währenddessen in den
Sätzen von Typus II das Thema des ewigen Lebens im Mittelpunkt steht (vgl.
Ickstadt 2007: 140ff).
2.3 Form
Im Jahr 1860 hörte Brahms in Hamburg Cherubinis Requiem für Männerchor und
Orchester, dessen Introitus ohne Violinen aber dafür für Bratschen und geteilten
Celli geschrieben ist. Es ist möglich, dass dieses Werk für die Auswahl des
Instrumentariums des ersten Satzes des Brahms Requiems von großer Bedeutung
war (vgl. Nowak 1984: 201). Es sei auch erwähnt, dass in dieser Zeit (1860) seine
zweite Orchesterserenade op. 16, welche auch auf die hohen Streicher verzichtet,
entstand (vgl. Kross 1997: 523).
Der erste Satz ist für Chor und Orchester geschrieben und seine Form ist textlich
als dreiteilig zu verstehen, die musikalische Analyse ergibt eine fünfteilige Form.
Was die Zuteilung des Textes betrifft, zeigt sich eine einfache dreiteilige Form, wo
der mittlere Vers durch den ersten Vers „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie
sollen getröstet werden“ umrahmt wird:
Abb.1: Brahms deutsches Requiem. Textform erster Satz. Eigene Darstellung (2015).
Die musikalische Form ist eher eine rondoartige Form, die in fünf Teile
untergliedert ist. Der Teil A in F-Dur stimmt mit dem Teil A der Form des Textes
überein, d.h. beide Teile sind gleich lang und gestalten denselbenText. Der Teil B
beginnt im Takt 47 und endet im Takt 64. Dieser Teil dekoriert die erste Zeile des
12
zweiten Verses „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten“ (siehe Abb.1).
Dieser Part steht mit dem Teil A im Kontrast, da er eine rhythmische Intensität bei
den Chorstimmen und Instrumenten präsentiert und auch eine harmonische
divergierende Ebene (Des-Dur) vorweist. Der Teil A´ beginnt im Takt 65, dieser
zeigt die zweite Zeile des zweiten Verses „Sie gehen hin und weinen“, (siehe
Abb.1). Der Unterschied zu der Textform liegt daran, dass dieser Teil (A´)
kombiniert mit Musik aus A erklingt. Das ergibt einen wiederkehrenden Teil daher
die Benennung A`.
Der Teil B` beginnt im Takt 79 mit Auftakt, der die Fortsetzung des Textes des
zweiten Verses mit der Musik, die schon im Teil B erklungen ist, darstellt. Dieser
Teil endet mit Takt 96 und überlappt sich mit dem Beginn des letzten Teiles A``.
Der letzte Teil (A``) entspricht wieder dem ersten Vers „Selig sind, die da Leid
tragen, denn sie sollen getröstet werden“.
Die Musik der Teile A und A` erklingt im Takt 96 erneut, dieses Mal aber tonal
unterschiedlich. An dieser Stelle erklingt die Musik nicht in der vorhin angeführten
F-Dur sondern in Des-Dur. Infolgedessen entfernt sich diese Form des Satzes von
einer strengen Rondoform. Die Landung in F-Dur geschieht erst 10 Takte später,
im Takt 106. Die folgende Abbildung soll dazu dienen, dieses Phänomen präzise
zusammenzufassen:
Abb.2: Brahms deutsches Requiem. Form erster Satz. Eigene Darstellung (2015).
Der zweite Satz „Denn alles Fleisch es ist wie Gras“ war der erste vollständige
Satz des Requiems gewesen, da er auf ein instrumentales langsames Scherzo in
Sarabandentempo einer Sonate für zwei Klaviere basiert, die als Vorlage des
Klavierkonzertes op. 15 diente (vgl. Krummacher 1984:194).
13
Brahms kannte die Bach-Kantate 27 Wer weiß, wie nahe wird mein Ende, deren
Eingangschor in der Choralweise Wer nur den lieben Gott lässt walten
Ähnlichkeiten mit dem 2. Satz des Requiems hat (vgl. Nowak 1984: 204). Das wird
durch den Hinweis von Brahms gestützt, als er behauptete, dass sich ein
„bekannter Choral“ hinter der melodischen Linie verbirgt (Heinemann 2009: 274).
Der Teil A verbreitet sich über 74 Takte, in diesem Teil wird die erste Strophe des
Textes, die aus dem Text 1. Petrus 1, 24 stammt (siehe Anhang) verarbeitet.
Weiteres setzen in diesem Satz die Violinen ein, sie beginnen aber wie die
Bratschen auch con sordini und sobald der Chor einsetzt, verzichtet Brahms
sowohl auf die Violinen im Orchester als auch auf die Sopranisten des Chores.
Das Konzept entspricht dem Charakter des Satzes, indem die Vergänglichkeit und
Nichtigkeit des irdischen Lebens gestaltet wird (vgl. Ickstadt 2007: 141).
Die musikalischen Mittel dafür sind ein ständiger Duktus, der das marschmäßige
Gefühl unterstreicht. Kross 1997 bezeichnet diesen Marsch als einen Totentanz
und hebt die Bedeutung der Pauke hervor, die die Triolen in einer ständigen
Intensivierung der Lautstärke darstellen (vgl. Kross 1997: 525).
Diese Stelle beginnt im Takt 42, wo die Wiederholung des ersten Verses gestaltet
wird. Bemerkenswert ist hier die Rolle des Orgelpunktes, der in Verbindung mit
einem crescendo über 10 Takte einen prachtvolleren Effekt darstellt, nämlich der,
wo das Orchester im ff und der Chor im f dieses Mal vollständig mit Sopran
einsetzen.
Der Teil B beginnt im Takt 75 mit Auftakt und endet im Takt 123, dieser Part
gestaltet den Jakobusbrief 5, 7. Hier wird in einem etwas bewegten Tempo mit
dem Bild des Ackermanns, der geduldig auf die Früchte der Erde wartet so wie
man auch auf die Zukunft des Herrn warten soll, um Geduld gebeten.
Im Gegensatz zum ersten Teil, wird die Rolle des Orchesters in diesem Teil auf
eine reine Begleitung beschränkt. Andeutungen an den Morgen- und Abendregen
werden durch den Einsatz der Harfe pointiert (vgl. Kross 1997: 525).
14
Da die Form des Textes von der musikalischen Form differiert, wird der nächste
Teil wegen seiner direkten Textverbindung als A` bezeichnet. Der Teil A` beginnt
im Takt 125 und endet im Takt 206, dieser Teil gestaltet den Teil A in seiner vollen
Länge (74 Takte) aber auch die textliche Fortsetzung zum Petrus-Textes 1, 24,
nämlich den Text 1. Petrus, 25 in den Takten 199 mit Auftakt bis 206.
Der letzte Teil C vertont den Text aus Jesaja 35, 10 und deckt die Takte 207 mit
Auftakt bis Ende. Die Textform ist nachstehend einzusehen:
Abb.3: Brahms deutsches Requiem. Textform zweiter Satz. Eigene Darstellung (2015).
Die musikalische Form ähnelt der textlichen Form indem die vier Teile beibehalten
werden. Abweichend ist es jedoch weil das Geschehen zwischen den Takten 199
und 206 als Überleitung zum letzten Teil C betrachtet wird:
Abb.4: Brahms deutsches Requiem. Form zweiter Satz. Eigene Darstellung (2015).
Die Überleitung wird von wichtigen Worten gestaltet, wobei das erste „Aber“ ist.
Die metaphorische Bedeutung ist als Hoffnung zu interpretieren. Der vorige Teil
entspricht dem Bild des verdorrten Grases und abgefallenen Blumen, wo kein
Leben mehr möglich ist. Jedoch ist nicht alles verloren, es besteht Hoffnung auf ein
besseres Leben in der Ewigkeit. Und hier taucht das zweite bedeutungsschwere
Wort auf: Im Takt 203 wird das Wort „Ewigkeit“ vertont, nicht umsonst erklingt dazu
vorweggenommen der Themenkopf der Fuge in den Trompeten und Holzbläsern
(Flöte und Oboe).
15
Der Teil C deutet eine Fugenexposition, jedoch keine strikt durchgeführte Fuge an.
Außerdem steht die Fuge in B-Dur und das Thema beginnt mit der Terz (D) statt
der Quinte oder dem Grundton, dennoch führt der Sopran im Takt 213 eine tonale
Antwort des Bassthemas aus, was Ähnlichkeiten mit einer Fugenexposition
erklingen lässt. Bemerkenswert ist die kontrapunktische Arbeit, wie im Takt 269 wo
die Stimmen in einer Engführung hintereinander einsetzen. Ab Takt 303 wird die
ewige Freude kombiniert und mit Anklängen des Themenkopfs im Orchester
dargestellt.
Der dritte Satz „Herr lehre doch mich“ ähnelt dem sechsten Satz indem er in Moll
beginnt und in Dur endet und mit einer Chorfuge abschließt.
Der Text dieses Satzes findet sich auch in paraphrasierter Weise in anderen
Begräbnistexten, die in der protestantischen Tradition verankert sind, so ergibt sich
ein Pendant zu Psalm Versen des Requiems in der Kantate Wer weiß, wie nahe
wir mein Ende von J.S. Bach, oder von Johann Bach in der Choralmotette Unser
Leben ist ein Schatten (vgl. Nowak 1984: 205).
Die Texte dieses Satzes sind aus dem Psalm 39, 5-8 und dem Buch der Weisheit
3,1 entnommen, wobei der letzte nur aus einem Satz, mit dem die Fuge aufgebaut
wird besteht (Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand, und keine Qual rühret sie
an).
Der Text des Psalms ergibt zuerst eine dreiteilige Form A-B-A, danach ergibt sich
innerhalb eines kontrastierenden Teiles namens C eine ebenso dreiteilige Form CC(a)-C`. Der kleine Teil C-(a) zwischen C und C` hat Elemente von A in der Solo
Stimme, daher die Benennung (a). Vor der Fuge kommen noch zwei kleinere Teile
d und e, die die zwei letzten Sätze des Psalms auf unterschiedliche Weise
darstellen, dazu bei d (Nun, Herr, wes soll ich mich trösten?) handelt es sich um
eine Sequenz, die ein Fugato gestaltet und bei e (Ich hoffe auf dich) geht es um
eine Prolongation der Dominante, wo die Stimmen hintereinander, um eine Halbe
verschoben, in der Reihenfolge tief-hoch sprich, Bass, Tenor, Alt und zuletzt
Sopran einsetzen.
16
Die Konzeption des Satzes ist bemerkenswert, da am Beginn ein responsorialer
Charakter zwischen Solo und Chor gestaltet wird. In diesem Sinne griff Brahms auf
eine archaische Form, in der das Volk (Chor) notengetreu den vorgetragenen Text
des Solisten nachsingt, zurück (vgl. Kross 1997: 527).
Im Gegensatz dazu gestaltet das Ende eine Schlussfuge, die in ihrer Größe mit
dem vierten Satz der vierten Symphonie von Brahms vergleichbar ist (vgl. Kross
1997: 528). Sie basiert auf einen Tonika-Orgelpunkt und somit wirkt sie als „ein
Mantel Gottes, der alle Kreatur liebend umhüllt und sicher warm hält“ (vgl.
Schubring 2004: 189).
Die Fuge stellt eine strenge Exposition, wo die hohen Stimmen, Tenor und Sopran
den dux und die tiefen, Bass und Alt den comes, aufführen, dar. Im Takt 183
beginnt ein Zwischenspiel, indem der Sopran Koloraturen über das Wort Qual
gestaltet. Diese Koloratur wird später im Takt 202 vom Tenor übernommen. Im
Takt 187 beginnt eine Durchführung, in der das Thema vom Alt vorgetragen wird
um dann im stretto vom Tenor beantwortet zu werden. Der letzte Einsatz des
Themas beginnt im Takt 196 mit dem Bass, weiteres folgen im stretto Tenor, Alt
und abschließend der Sopran:
Abb.5: Brahms deutsches Requiem. Form dritter Satz. Eigene Darstellung (2015).
17
Nach dem großen Schluss mit der Fuge folgt der 4. Satz „Wie lieblich sind deine
Wohnungen“, eine Musik, die in einem Dreier-Takt gehalten, fast pastoral wirkt
(vgl. Kross 1997: 529).
Bei der Bremer Aufführung spielte Joachim nach dem dritten Satz einige
Violinstücke mit Orgelbegleitung. Weil der starke Kontrast zwischen dem dritten
und vierten Satz zu bedeutend für ein Kirchwerk sei, empfiehlt Schubring jedoch
nach dem dritten Satz zur Erholung der Sänger und der Zuhörer eine Pause
einzufügen (vgl. Schubring 2004: 190).
Der Text dieses Satzes entstammt aus dem Psalm 84, Verse 2-3 und 5. Wobei die
Form des Satzes eine fünfteilige, die nahe einer Rondoform liegt, ist. Die Musik mit
der Vertonung der Worten „Wie lieblich sind deine Wohnungen“ kommt drei Mal
vor, zwischen diesen Teilen erscheint ein Teil B, der zwei Ideen darstellt. Die erste
b1 mit den Worten „Meine Seele verlanget und sehnet sich nach den Vorhöfen des
Herrn“ und die zweite namens b2 mit den Worten „Mein Leib und Seele freuen sich
in dem lebendigen Gott“. Danach erscheint Teil A`, der neben den oben zitierten
Worten noch den Text „Wohl denen, die in deinem Hause wohnen“ begleitet von
der Melodie der Violinen (Takt 107 und ff) darstellt, dieses Mal aber in Es-Dur und
nicht in B-Dur, wie beim ersten Mal im Teil A (Takte 22 und ff).
Der Teil C vertont die Worte „Die loben dich immer dar“. Bemerkenswert sind an
dieser Stelle die zwei parallel geführten Charaktere, zuerst Sopran (Takt 124 mit
Auftakt) und Alt (Takt 126 mit Auftakt) mit einer Melodie im Cantus Firmus
Charakter, begleitet von den Bässen (Takt 124) und den Tenören (Takt 126) mit
schnellen Koloraturen, die das Lobpreisen hervorheben. Die Konstellationen
ändern sich jedoch bald, da der Cantus Firmus von den Herrenstimmen und die
Koloraturen von den Damenstimmen übernommen werden. Das Ganze landet in
einer Hemiole (Takt 143 und ff), bei der der Höhepunkt des Satzes erreicht wird.
Die Coda, mit Anklängen von A, wird von Sopran- und Tenorstimmen bzw. Alt- und
Bassstimmen in Oktaven geführt.
18
Abb.6: Brahms deutsches Requiem. Form vierter Satz. Eigene Darstellung (2015).
Der fünfte Satz ist der zuletzt komponierte Satz (Mai 1868) und seine Entstehung
wird mit dem Tod von Brahms Mutter (1865) in Verbindung gesetzt. Das ganze
Requiem pendelt thematisch zwischen Trauer und Trost, diese zwei starken und
gegensätzlich divergenten Gefühle treffen in besondere Weise in diesem fünften
Satz aufeinander (vgl. Heinemann 2009: 275).
Die Rolle der Solo-Sopranistin in diesem Satz und die des Chores sind nicht so
ersichtlich wie im 3. Satz, wo ein Mensch über die Nichtigkeit des Lebens redet
und Hoffnung im Gott sucht. Nach den Worten, die dem Solo-Sopran zugeteilt
werden, kann man erkennen, dass es sich um einen Menschen handelt, der aus
dem Jenseits den trauernden Menschen Hoffnung zu geben versucht, wie
nachstehendes Zitat unterstreicht:
„Ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und
eure Freude soll niemand von euch nehmen“ (Johannes 16)
Im diesem Text hält Jesus eine Rede, wo er über den Schmerz der Trennung
spricht und seinen Jüngern auf gleichzeitig tröstende Art und Weise mitteilt, dass
er bald sterben wird.
19
Brahms vermied zwar während des ganzen Requiems die Erwähnung von Christi,
es ist wie hier hilfreich zu wissen aus welchem Zusammenhang gewisse Texte
entnommen worden sind, um ihre intendierte Rolle innerhalb des Werkes zu
verstehen.
Der Solo-Sopran singt dann weiters:
„Sehet mich an: Ich habe eine kleine Zeit Mühe und Arbeit gehabt und habe großen Trost
funden“ (Jesus Sirach 51, 35)
In diesem Text spricht der Prophet Sirach und weist auf die Hilfe, die er von Gott in
seinem Leben bekommen hat, hin. Weiteres lädt er die Zuhörerschaft ein, in die
Schule der Weisheit zu gehen. Zur Entschlüsselung der Absicht dieses Textes ist
die Tatsache, dass die beiden Texte von Menschen (d.h. Jesus bzw. Sirach)
vorgetragen werden, sehr nützlich.
Im Zusammenhang mit dem Requiem ergibt sich die Hoffnung, dass es ein
besseres Leben nach dem irdischen Leben gibt, dieses Motiv wird von einer
Stimme, nämlich dem Sopran, vorgetragen. Bemerkenswert ist hier, dass an der
Stelle der Worte Sehet mich an, die vom Sopran gesungen werden, sich die
Harmonie komplett wendet (B-Dur), ein Zeichen dafür, dass ein anderer Mensch
redet und auch zur Markierung der Aufmerksamkeit bei bedeutsamen Inhalten.
Dazu kommt die Erwähnung des Worts Arbeit. Dieses Wort kommt nur zwei Mal im
ganzem Requiem vor. Später im 7. Satz erscheint es wieder und bezieht sich auf
das Leben, was so viel bedeutet wie im Leben wird gearbeitet, und im Jenseits
wird geruht.
Der Chor intoniert folgenden Text:
„Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“ (Jesaja 66,13).
Hier ist es der Herr selbst, der diesen Text vorträgt. Im Gegensatz zum Sopran,
gestaltet der Chor den Herrn, der sich den Menschen nähert, um ihnen Trost zu
geben. In der Musik ist diese Gegensätzlichkeit zwischen Sopran solo und Chor in
der Schreibweise in einer ersichtlichen Weise dargestellt. Der erste Einsatz des
Soprans ist von einer ätherischen Finesse geprägt, diese steht in der Dominant
20
von G-Dur (D-Dur), einer Tonart, die mit der Andeutung zum Himmel verbunden
wird. Andererseits ist der Chor, also der Herr, von seiner Schreibweise her auch
präsenter gestaltet. Sein erster Einsatz steht auch in D-Dur aber mit einer
Vergrößerung des Themas, die vom Sopran gesungen wird. Dieser entspricht der
Größe der Nachricht des Herrn, die zu Allen kommen soll.
Die Form dieses Satzes ist eine dreiteilige A-B-A`. Im Teil A erklingen die Verse
aus Johannes 16 und 22 in der Solo Stimme und der Chor singt dazu die zwei
Verse des Jesaja Textes, 66, 13. Im Teil B wird der Text aus Jesus Sirach durch
das Sopransolo zwei Mal gestaltet, wobei die Worte Sehet mich an nur einmal
vorkommen. Der Chor singt zwei Mal immer wieder den gleichen Text wie in Teil A,
aber nur die Worte „ich will euch trösten“, das erste Mal alleine als Überleitung
zwischen den beiden Darstellungen des Soprans, das zweite Mal zusammen mit
dem Sopran.
Der Teil A` beginnt mit einem vom Violoncello gespielten Solo, das die
Anfangstöne des Sopransolo darstellt. Dennoch singt der Sopran bei seinem
Einsatz nicht was erwartet wird sondern eine Variante des Anfangs, der eine tonale
Abweichung (C-moll/As-Dur) vorweist. Dieser Teil A` ist etwas kürzer als der Teil
A, aber intensiver bearbeitet, da mehr kontrapunktische Arbeit zwischen Solo,
Chor und Orchester geschieht. Ein Beweis dafür ist der Kontrast im Takt 18
zwischen der Darstellung des Themas durch die Klarinetten und Flöten gegen die
des Chores, der das Thema vergrößert dazu vorträgt. Aber noch intensiver ist die
Stelle im Takt 62 im Teil A`, wo die Solistin und die ersten Violinen das Thema in
ihrer ursprünglichen Form darstellen gleichzeitig mit dem Chor, der das Thema
vergrößert vorträgt.
Der Text in Teil A` ist erneut ident mit dem aus Teil A.
21
Abb.7: Brahms deutsches Requiem. Form fünfter Satz. Eigene Darstellung (2015).
Der sechste Satz ist der umfangreichste des Requiems und entspricht dem dritten
Satz. Beide Sätze beginnen in einer Moll-Tonart und enden in einer Fuge in Dur,
außerdem ist sowohl der dritte als auch der sechste Satz für solo Bariton und Chor
konzipiert. Der Bariton verkörpert im sechsten Satz die Funktion eines Sehers, der
die Zukunft vorhersagt (vgl. Kross 1997: 531).
Bezüglich der Form dieses Satzes sei zu sagen, dass diese nicht einer
bogenförmigen mit zurückkehrende Teilen, aber einer Reihung von Teilen bis zum
Schluss entspricht. Tatsächlich wird die Idee der Verwandlung, die aus dem Text
hervorgeht, mit der musikalischen Form assoziiert. Es wird ein ständiges
Weiterschreiten dargestellt, das der eiligen Suche der Menschen nach der
zukünftigen Stadt entspricht, (vgl. Nowak 1984: 209). Diese Suche wird im Teil A
am Anfang durch den Verzicht auf ein tonales Zentrum dargestellt.
Teil B beginnt mit den Worten „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis“, diese Stelle
ähnelt der Stelle im 5. Satz Takt 27, wo die Solistin die Worte „Sehet mich an“
intoniert. Diesmal verwendete Brahms aber nicht, wie im 5. Satz, eine plötzliche
Modulation, die diese Worte vorbereiten, sondern die Worte selber führen eine
Modulation beginnend mit G als Dominante von C-moll und ankommend in Cis-Dur
als Dominante von Fis-moll, ein. Der Teil B enthält ein accelerando, welches die
Szene des Jüngsten Gerichts vorbereitet (vgl. Kross 1997: 531).
Teil C beginnt in 3/4 Vivace und steht in C-moll, einem klaren Topos für den Tod
und im Kontrast stehend zu der Fuge in C-Dur am Ende des Satzes, wo der Herr
gelobt wird. Dieses Verfahren ist nicht neu und kann in eine etablierte Tradition der
22
Rhetorik eingeordnet werden, siehe auch Mozarts Jupiter Symphonie oder
Beethovens 5. Symphonie (vgl. Heinemann 2007: 276).
Im Takt 108 innerhalb des C Teiles singt der Solist mit kleinen Varianten auf die
gleiche Weise wie im B Teil, daher werden diese 15 Takte b` benannt. Im Takt 122
wird die Fortsetzung von C bis Takt 208 dargestellt. Ab Takt 208 beginnt die Fuge
im stilo antico (vgl. Ickstadt 2007: 142).
Die Fuge präsentiert eine übliche Fugenexposition, wo die Frauenstimmen zuerst
in der Reihenfolge Alt und Sopran sowie anschließend die Männerstimmen Bass
und Tenor einsetzen.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass das Thema der Fuge von zwei
Kontrasubjekten begleitet wird. Das erste erscheint nach der Exposition des
Themas durch die Altstimme im Takt 213 und das zweite folgt gleich danach in der
gleichen Altstimme im Takt 216. Der Beweis dafür ist im Takt 244 zu beobachten,
wo der Sopran das Thema vorträgt und im Tenor das Kontrasubjekt zwei und im
Alt das Kontrasubjekt eins gleichzeitig erklingen. Zusammenfassend kann die
Form dieses Satzes wie folgt dargestellt werden:
Abb.8: Brahms deutsches Requiem. Form sechster Satz. Eigene Darstellung (2015).
Eine direkte Beziehung zwischen den Sätzen des Requiems zu etablieren fällt
schwer, da die ungerade Zahl der Sätze (7) und die unterschiedlichen Charaktere
dieser immer einen Satz ohne Pendant lassen, außerdem gibt es zu dieser
Relation unterschiedliche Meinungen von Seiten der Autoren.
23
Eine Beziehung ist trotzdem klar und deutlich, nämlich die, die zwischen den
Ecksätzen des Requiems entsteht. Der siebte Satz ist eine Seligpreisung für die
Toten und der erste Satz eine Seligpreisung für die lebenden Menschen, beide
sind verbunden indem gegen Ende des 7. Satzes die Musik des 1. Satzes
zurückkehrt und somit schließt sich ein Kreis markiert durch die Kontrastthemen:
Leben und Tod, Leid und Trost sowie Gericht und Erlösung (Kross 1997: 532ff).
In diesem Sinne spiegeln sich die Gegenüberstellung oder Antithesen, die bei der
Inhaltsanalyse der Texte im Vordergrund standen (siehe Kapitel Text), in der Form
des ganzen Requiems wider.
Die Form dieses Satzes ist eine dreiteilige A-B-A, beide A Teile vertonen die Worte
„Selig sind die Toten, die in dem Herren sterben von nun an“. Der mittlerer Teil
vertont die Worte „Ja, der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre
Werke folgen ihnen nach“. Dieser Text entstammt aus der Offenbarung 14, 13. Es
ist auffällig, dass das Wort Arbeit hier wieder erwähnt wird, wie im 5. Satz handelt
es sich um eine klare Anspielung auf das Leben.
Wichtig sei auch zu erwähnen, dass dieses Requiem nicht mit dem schrecklichen
Bild des Todes oder Gericht endet, sondern mit dem Frieden nach der
Anstrengung bzw. nachirdischer Arbeit des Lebens (vgl. Kross 1997: 532ff).
Die Vortragsanweisung am Anfang ist feierlich, der Satz ist stark geprägt von
breiten
harmonischen
Entspannung
Flächen
vermitteln.
Dies
und
Orgelpunkten,
entspricht
dem
die
eine
feierlichen
Ruhe
bzw.
Charakter
(vgl.
Heinemann 2009: 273).
Ab Takt 2 trägt der Sopran eine Melodie, die dann von den Bässen übernommen
wird, vor. Nach Heinemann ist dies eine Anspielung an die beiden SolistInnen des
Werkes (Sopran bzw. Bariton) (vgl. Heinemann 2009: 273).
Im Takt 18 setzt der ganze Chor ein. Während der folgenden vier Takte teilen sich
Sopran-Tenor und Alt-Bass das gleiche Material wie anschließend einzusehen ist:
24
Abb.9: Brahms deutsches Requiem. 7er.Satz Takte 18-21. Eigene Darstellung (2015).
Der Teil A endet im Takt 39 in C-Dur. Gleich danach beginnt der Teil B, der aus
zwei Teilen besteht. Wenn die Worte „Ja der Geist spricht“ vertont werden, setzen
die Posaunen und Hörner ein und im Chor wird das erste Mal im Takt 40 auf den
Sopran und später im Takt 76 auf den Tenor verzichtet. Weiteres singen die
Stimmen im Unisono, was für ein klares Symbol der Macht Gottes steht. Sobald
der Geist, der Herr, der Allmächtige spricht, erklingen die tiefen Stimmen und das
Blech, darunter die drei Posaunen, die direkt mit der Heiligen Dreifaltigkeit
verbunden sind, und das, obwohl Brahms im ganzen Requiem jede christliche
Beziehung vermeidet.
Der zweite Teil innerhalb dieses B Teiles beginnt im Takt 48 in A-Dur, dort wird die
Ruhe nach dem Leben bzw. Arbeit dargestellt. Die Rhythmik im Orchester, sechs
gegen vier, verleiht der Musik eine Fläche, die das himmlische Paradies ankündigt.
Bemerkenswert ist der Trugschluss im Takt 70, wo die Harmonie abweicht, um den
nächsten Einsatz mit dem Text Ja der Geist spricht, vorzubereiten.
Die Wiederkehr zum Teil A geschieht harmonisch durch eine chromatische
Beziehung. Am Ende des B Teiles, in den Takten 100-101, sind die Streicher und
der Chor in A-Dur gelandet, allerdings in der zweiten Umkehrung, also E in Bass.
Am Schluss des Taktes 101 erklingt ein E7. Anschließend werden die Stimmen
25
chromatisch geführt, um im nächsten Takt F-Dur zu erreichen. Der einzige
Ganztonschritt geschieht in der Bratsche von D zu C.
Bei der Wiederkehr des A Teiles wird die Solostelle, die den Satz geöffnet hat, an
den Tenor übergeben, danach setzt der Chor ein, und diesmal geschieht das
Imitationsspiel nicht, wie in den Takten 18-21 (siehe Abb. 9), in allen Stimmen
sondern nur zwischen Sopran und Tenor (Takte 111-114). Bemerkenswert sind
hier die letzten 35 Takte: ab Takt 132, wo Material des ersten Satzes wieder
verwendet wird.
Abb.10: Brahms deutsches Requiem. Form siebter Satz. Eigene Darstellung (2015).
26
3. Historische Hintergründe
3.1 Brahms zwischen Kunst und Kunstwissenschaft
Nach Spitta (1892), war Brahms ein Komponist der „tief aus dem Born der
Vergangenheit“ schöpfte ohne „etwas Archaisierendes“ in seiner Musik spüren zu
lassen. Dieses Zitat kommt aus Spittas Aufsatz Kunstwissenschaft und Kunst
(1892), in dem er sich als einer der ersten mit der Verbindung zwischen der
akademischen Disziplin und der Musik selbst auseinandersetzte (vgl. Sandberger
2009: 142).
Spitta, ein Bach-Buxtehude-Schütz Gelehrter, war ein enger Freund von Johannes
Brahms und der Anfang des gegenseitigen Austausches zwischen den beiden
begann mit dem Deutschen Requiem. Spitta war nicht bei der Bremer Aufführung
(10. April 1868) dabei, war aber von der Partitur dieses Werkes so berührt, dass er
einen begeisterten Brief an Brahms schrieb, in dem er Brahms als den „größten
lebenden Komponisten“ bezeichnete und gleichzeitig das Requiem in die Reihe
eines „Bach und Beethoven“ stellte (vgl. Sandberger 2009: 146).
Andere bedeutende Partner, mit denen Brahms Gedankenaustausch betrieb,
waren u.a. der Wiener Musikgelehrte Eduard Hanslick, der Händel-Forscher
Friedrich Chrysander, der Beethoven- Forscher Gustav Nottebohm, der HaydnExperte Carl Ferdinand Pohl und Eusebius Mandyczewski, seit 1887 Leiter der
Sammlungen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (vgl. Sandberger 2009:
142).
Die Bekannheit als Komponist, der eng in Beziehung mit der Vergangenheit stand,
begleitete Brahms Zeit seines Lebens, musterhaft dafür sind Werke wie das
Deutsche Requiem, die 1. und 3. Klaviersonate sowie das I Streichsextett als auch
die I Serenade, sie alle greifen nicht nur auf die Beethoven Zeit zurück, sondern
gehen noch viel weiter zurück (vgl. Lütteken 2009: 542).
27
Auch vergleichsweise kurz nach seinem Tod im Jahr 1905 lässt sich sehr deutlich
das geschichtliche Bewusstsein des Komponisten beschreiben als im Großen
Konversationslexikon des Hauses Meyer 1905 folgendes stand:
„Von dem Stil Schumanns, dessen Einfluss seine ersten Werke verraten, wandte sich
B[rahms] durch Vertiefung in die Musik älterer Meister, zunächst Mozarts, Haydns, Händels
und Bachs, weiterhin auch der polyphonen Musik des 16. Jahrh[underts] immer mehr ab und
gelangte damit zu einer Umgestaltung seiner Schreibweise, die dieselbe mehr und mehr als
eine würdige Fortsetzung derjenigen Beethovens erscheinen ließ. Der anfangs zu den
Neudeutschen gerechnete Komponist kam damit immer mehr in Gegensatz zu der extremen
fortschrittlichen Partei der Anhänger von Berlioz, Liszt und Wagner und wurde schließlich von
diesen in Acht und Bann getan. Seit Bekanntwerden seines >Deutschen Requiems (Op. 45
1867)< und des >Triumphliedes< (op. 55 1871) stieg sein Ansehen schnell und stetig, so
dass er am Ende seiner Laufbahn eine dominierende Stellung auf dem Konzertprogramm
errungen hatte und dieselbe dauernd behauptet“ (Meyers Großes Konversationslexikon, Bd.
3. 1905, 307)
Im vorigen Zitat ist bemerkenswert, wie die Neudeutsche Schule durch Liszt und
Wagner geführt, als fortschrittliche gekennzeichnet wird. Nicht im Text erwähnt
aber implizit ausgedrückt, wird Brahms als konservativer Komponist empfunden.
Über diese Kontroverse gegen die fortgeschrittene Komponisten behauptet
Droysen 1857-58, dass die Reaktion vieler Musikgelehrten gegen die sogenannte
Neudeutsche Schule und das Werk von Richard Wagner darin bestand,
Orientierung und Identität in den Kunstwerken der Vergangenheit zu suchen (vgl.
Droysen 1857-58: 385).
In diesem Sinne teilte Brahms mit anderen Musikforschern, wie beispielsweise mit
Gustav Jacobsthal, die Idee, die Vergangenheit als Verpflichtung für die
Gegenwart und die Zukunft zu verstehen (vgl. Lütteken 2009: 543).
An dieser Stelle sei auch zu erwähnen, dass eine Persönlichkeit wie Friedrich
Nietzsche folgendes über das Verhältnis zur Vergangenheit schrieb:
„Nur aus der höchsten Kraft der Gegenwart dürft ihr das Vergangene deuten: nur in der
stärksten Anspannung eurer edelsten Eigenschaften werdet ihr errathen, was in den
Vergangnen wissens – und bewahrungswürdig und gross ist. Gleiches durch Gleiches! Sonst
zieht ihr das Vergangene zu euch nieder“ (Nietzsche 1874/1972, 286f).
Nietzsches Meinung findet aber auch einen Widerhall in Brahms Gedanken, wenn
er sein gezieltes Interesse für die alte Musik gegenüber Eduard Hanslick zeigt:
28
„Das Drucken ist jetzt so sehr in Mode geworden, namentlich das Drucken von Sachen, die
dies gar nicht beanspruchen. Du kennst meinen alten Lieblingswunsch, man möchte die
sogenannten >Sämtlichen Werke< unserer Meister – der ersten sogar gewiss aber der
zweitrangigen – nicht gar sämtlich drucken“ (zit. Nach Becker:1993: 179).
Brahms frühes Bildungsinteresse und seine Sammelleidenschaft begründen seine
Neigung zur Musikforschung und Musikgeschichte. Seine Bibliothek, die er ständig
bereicherte, bestand am Ende seines Lebens aus ca. 900 Bänden. Außerdem
verfügte diese über die großen Komponisten-Monographien der Zeit: Mozart von
Jahn, Bach von Spitta, Händel von Chrysander, Haydn von Pohl und verschiedene
Studien von Nottebohm über Beethoven. Seine „antiquarische Neigung“ wie
Sandberger 2009 erwähnt, zeigt sich indem seine Sammlung von Autographen
und Erstdrucken, Handschriften von Haydn, Mozart, Beethoven, Schumann und
Schubert umfasste. Seine Sammlung zählt damit zu den bedeutsamsten, die je ein
Komponist besessen hat (vgl. Sandberger 2009: 142).
In dieser Hinsicht sei auch zu erwähnen, dass Brahms aktiv als Herausgeber und
auch als Gremienmitglied bei vielen Gesamtausgaben und Denkmälerreihen war
und sich intensiv mit den Fragen der Ausführung der Alten Musik beschäftigte. Ziel
seiner Arbeit als Herausgeber war es, den Bekanntheitsgrad der alten Musik zu
steigern. Dabei war es ihm nicht von Bedeutung durch diese Arbeit an Berühmtheit
zu gewinnen, vielmehr gab er die Werke anonym heraus. Er verstand die Gefahr,
die es bedeutete, zu nah an die akademische Disziplin zu kommen. Dieser
besondere Aspekt in Brahms Werk soll in den folgenden Absätzen näher
beleuchtet werden (vgl. Sandberger 2009: 146).
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewann die Musikwissenschaft viel
Raum in Deutschland jedoch führte dies auch zu vielen Auseinandersetzungen,
dabei führte man die Diskussionen sehr oft um ihre Rolle aber auch um ihre
Verbindung zur Kunst. So äusserte sich Nietzsche (1874) diesbezüglich und
behauptete, dass „keiner zugleich ein großer Historiker“ und „ein künstlerischer
Mensch“ sein kann (vgl. Nietzsche 1874/1972: 290).
29
Das folgende Zitat von Philipp Spitta (1892) erklärt die Rolle der Wissenschaft
gegenüber der Edition alter Noten, aber auch wie ein Künstler auch die Wege der
Musikwissenschaft betreten soll, um seine Arbeit vollständig zu erledigen:
„[..] die alte Zeit aus dem Dunkel wieder ins Licht aufsteigen zu lassen und die
Verbindungsfäden bloß zu legen, welche von dem einzelnen Kunstwerke zum Bilde des
Weltganzen hinüberführen. Hier muß der Künstler, denn es treibt, in die Kunst vergangener
Tage einzudringen, den Wegen des Gelehrten folgen“ (Spitta 1892a, 12)
Spitta schrieb in seinen Überlegungen zum Dialog von Kunstwissenschaft und
Kunst (1892), wo er die Rolle des Wissenschaftlers in Verbindung mit der des
Künstlers vereint und rechtfertigt, folgendes:
„Und wenn der Künstler mit Recht von sich rühmt, daß es seine Schöpfertaten sind, welche
der Kunst neue Bahnen eröffnen, so darf der Gelehrte dagegen setzen, daß in ungezählten
Fällen er es war, der die verschütteten Quellen wieder aufgrub, aus denen der Künstler sich
neue Lebenskraft trank“ (Spitta 1892a, 14).
In diesem Sinne ist auch Brahms Haltung zu verstehen. Ein Komponist der die
Gratwanderung zwischen Kunst und Kunstwissenschaft geschafft hat. Natürlich
bleibt hierbei immer der Künstler im Vordergrund, aber sein starker Bezug zur
Historie macht ihn zum Vorkämpfer, der die beiden Strömungen in sich fusioniert
hat.
Die scharfen Kritiken von Friedrich Nietzsche, Hugo Wolf oder Richard Wagner in
dem Brahms als Akademiker bloßgestellt wird, wo aber auch sein tiefer
historischer Hintergrund und seine entsprechende Umsetzung in seinen Werke ihm
den Beinamen „Meister der Kopie“ (vgl. Nietzsche 1888/1969, 41) gegeben haben,
zeigen wie schwierig es war, sich als Einzelgänger im Panorama des 19.
Jahrhunderts durchzusetzen (vgl. Lütteken 2009: 542).
So schrieb Wagner in Bezug auf Brahms:
„ […] ich kenne berühmte Komponisten, die ihr bei Konzertmaskeraden heute in der Larve
des Bänkelsängers (´an allen meinen Leiden´!), morgen mit der Halleluja-Perücke Händels,
ein anderes Mal als jüdischen Czardasaufspieler, und dann wieder als grundgediegenen
Symphonisten in eine Nummero Zehn verkleidet antreffen könnt. […] Nun sieht aber Alles,
was wir da aufgeschrieben finden, Beethovens Musikgestalten wiederum so sehr ähnlich,
dass sie oft wie geradezu kopirt erscheinen“ (Wagner 1879/s.a., 254-256)
30
Brahms war in enger Verbindung mit der akademischen Welt, dies beweisen die
Ehrendoktorwürden
in
Cambridge
und
Breslau,
die
von
angesehenen
Persönlichkeiten, wie dem Philosophen und Hermeneutiker Wilhelm Dove Dilthey
und dem Historiker Alfred Wilhelm Dove, angefordert wurden. Anlässlich des
Doktorats in Breslau komponierte er die Akademische Fest-Ouvertüre op. 80 (vgl.
Sandberger 2009: 142).
Eine Paradoxie entsteht bei Brahms Schaffen, da er als Verfechter der Geschichte,
sein gesamtes Skizzenmaterial und eine Reihe von unvollendeten Werken
vernichtete und damit die Geschichte seiner eigenen Kompositionen auslöschte
und damit den MusikforscherInnen eine schwierige Aufgabe den überliess (vgl.
Lütteken 2009: 545).
Die Brahms Forschung hat immer versucht, die Anklänge der alten Musik in
Brahms Werken zu begründen. In diesem Sinne ergeben sich beispielsweise
Beziehungen zwischen dem Final-Satz der vierten Symphonie, der eine
Passacaglia gestaltet und dem gleichzeitigen Interesse von Brahms (1884) an die
Bach Kantate Nach dir, Herr; verlanget mich (BWV 150) aufzeigt. Dies entspricht
jedoch einer Spekulation, weil es ungewiss bleibt, wie Brahms dieses Material
konkret für seine Komposition umsetzte (vgl. Sandberger 2009: 150).
Brahms Verhältnis zur Vergangenheit war außerordentlich gewissenhaft deutlich,
gleichzeitig aber auch außerordentlich subtil und vielschichtig. Und es war
durchzogen von einer Mischung aus Selbstbewusstsein und Unsicherheit, die sich
in seinem gesamten Leben und Werk widerspiegelte (vgl. Lütteken 2009: 542).
In diesem Sinne hat sich Spitta geäußert als er schrieb: „was er [Brahms] von den
Alten“ gelernt habe, sich „in seine höchst persönliche Tonsprache verflößt“ habe
(vgl. Spitta 1892: 398).
31
3.2 Figurenlehre- Rhetorik
Der Begriff Figurenlehre entspricht einem Fachausdruck, der im 20. Jahrhundert
von deutschen Musikwissenschaftlern wie Schering, Unger und Schmitz erfunden
wurde und ihre Funktion basiert auf der Analyse der Beziehung zwischen
Redefiguren der Rhetorik und musikalischen Figuren. In der Zeit des Humanismus
und der Wiederbelebung der klassischen Rhetorik griff man auf klassische Werke
der Rhetorik wie Aristoteles, Cicero und Quintilian zurück, indem die Redner
lertnen, ihre Rede durch bildhafte Rhetorik zu verschönern und sie mit
leidenschaftlicher Sprache zu vervollständigen (vgl. Buelow 2015). Dieser Ansatz
diente in Folge als Vorbild für die Musiktheorie des 16. und 17. Jahrhunderts (vgl.
Bartel 1997: 22).
Die Wiederbelebung der klassischen Rhetorik im 16. Jahrhunderts diente als
Vorbild für die zeitgenössische Musiktheorie. In diesem Sinne analysierten Autoren
wie Du Vair (1556–1621) und Muret (1526–85) die Rhetorik unter dem Einfluss der
klassischen Vorbilder auf das vorhandene künstlerische Material, die Figuren
eingeschlossen. In der Musiklehre ist dies ähnlich geschehen, indem sie die
musikalischen Phänomene der Werke der Meister des 16. Jahrhunderts erschloss
und benannte. Da in der intensiven Konfrontation mit der Thematik begriffliche
Engpässe zur Beschreibung bestimmter Phänomene entstanden, war es
unabdingbar Termini aus dem Fachgebiet der Rhetorik zu adaptieren (vgl. Bartel
1997:22).
Die Art und Weise, wie Musik und Rhetorik aufeinander gewirkt hatten, hängt von
verschiedenen Faktoren ab, dazu gehört der Zugang zu alten rhetorischen
Traktaten, die Natur des übertragenden Materials in diesen Traktaten, die
vorherrschenden Ziele und Aufgaben der Musik und die Rhetorik innerhalb einer
gewissen Kultur sowie die verschiedenen Gebiete von Theorie, Komposition,
Aufführung und Notation, in denen man Zeichen von dieser Interaktion (MusikRhetorik) finden kann (vgl. Wilson 2015).
32
Die ersten Zeichen einer Interaktion zwischen Musik und humanistischer Rhetorik
tauchten in der Generation von Josquin Desprez (um 1450-1521) auf. In dieser
Zeit wurden die ersten veröffentlichen Übersetzungen von Quintilian und Cicero
verbreitet und gleichzeitig erschienen erstmals rhetorische Traktate (vgl. Wilson
2015).
Die entscheidende Verbindung zwischen Musik und Rhetorik wurde in den
Jahrzenten um 1525 geschaffen. Um 1560 fanden die Terminologie und die
Konzepte der klassischen Redekunst erstmals Raum in der Literatur der
Musiktheoretiker auf beiden Seiten der Alpen (vgl. Wilson, 1995). In der
Renaissance verwendeten sowohl in der geistlichen als auch in der weltlichen
Musik die Komponisten wie Orlando di Lasso (siehe weiter unten) rhetorischmusikalischen
Mittel,
um
Worte
zu
bebildern.
Die
Madrigale
sind
ein
Paradebeispiel für dieses Wort-Ton Verhältnis (vgl. Wilson 2015).
Eine deutsche Tradition, die die ausdrückliche Funktion der musikalischen colores
(Verzierungen) mit der rhetorischen colores (Tropus und Figuren) gleichsetzte, ist
erweitert in den Schriften von Burmeister (Musica autoschediastikē, 1601; Musica
poetica, 16061) zu erkennen. Er war der erste, der eine ausführliche Liste von
musikalischen-rhetorischen Figuren erarbeitet hatte. Andere Autoren wie Vogt,
Scheibe, Mattheson, Forkel entnahmen in den weiteren 150 Jahren Namen aus
der Terminologie der Rhetorik für musikalische Figuren, oft verwendeten sie dabei
verschiedene Namen aus dem Lateinischen oder aus dem Griechischen für die
gleiche Figur. Sie definierten auch neue Figuren, für die es in der Rhetorik noch
keine Entsprechung gab, dazu sind z.B. abruptio, passus duriusculus, prolongatio
u.a. zu zählen. Die Behandlung so wie die Bedeutung dieser musikalischen –
rhetorischen Figuren ist nicht vereinheitlicht worden und es ist keine systematische
Theorie der musikalischen Figuren für die Musik des Barocks oder später
vorhanden (vgl. Buelow 2015).
Einer der bedeutendsten musikalischen Redner der späten Renaissance war beispielsweise Orlando di
Lasso (1532-1594), so dass in Burmeisters Traktat (1606), der erste dieser Gattung in der Musikgeschichte,
die Verbindung zwischen Rhetorik und musikalischen Figuren in seiner Motette in me transierunt analysiert
wird (vgl. Buelow 2015).
1
33
Weiters ist die Beziehung zwischen Rhetorik und Musik in der Barockzeit intensiver
geworden, sodass sie ein signifikantes Merkmal dieser Epoche geworden ist. Die
vorherrschende Neigung der Musik des Barocks zur Rhetorik hat sich aus den
Sorgen der musikalischen Stile der Renaissance um die Verständlichkeit des
Textes weiter entwickelt. Egal wo Musik praktiziert wurde, in Italien, Deutschland,
England oder Frankreich, diese Verbindung beeinflusste alle Ebenen des
musikalischen
Gedankengutes.
Die
Musik
des
Barock
zielte
auf
einen
musikalischen Ausdruck der Worte, die mit einer leidenschaftlichen Rhetorik oder
musica pathetica2 vergleichbar ist, ab (vgl. Buelow 2015).
Wichtige Traktate, in denen das Verhältnis zwischen Musik und Rhetorik
dargestellt wird, sind Mathesons Der vollkommene Capellmeister (1739) Dresslers
Praecepta musicae poeticae ca. 1563 in Deutschland. Auch in Frankreich die
Harmonie universelle (1636-37) von Marin Mersenne, oder in Italien, in Rom
Athanasius Kircher mit Musurgia universalis (1650) (vgl. Buelow 2015).
Im Barock ist ausserdem die Praxis der Affekte entstanden. Die Aufgabe des
Komponisten war es, durch die Musik ein Gefühl (Traurigkeit, Freude, Liebe, Hass,
Zweifel usw.) beim Zuhörer auszulösen. Diese Praxis entstammt der Vokalmusik,
in der die Musik wiedergibt, was der Text darstellt (vgl. Buelow 2015).
Ein weiterer Schritt war es, das Gleiche in der Instrumentalmusik zu schaffen.
Johann Adolf Scheibe (1708-1776) machte beispielsweise Fortschritte in diese
Richtung, indem er die Figuren, die mit der Vokalmusik und daher mit einem Text
verbunden sind für die Instrumentalmusik verwendete, um Affekte auszudrücken.
Der ursprüngliche Affektausdruck, der mit einem Text verbunden war, wird erhalten
aber in textloser Musik umgesetzt (vgl. Bartel 1997: 66). Dadurch werden alle
Elemente der Musik wie die Tonleitern, die Akkorde, der Rhythmus, die Harmonie,
die Tonarten, die Form usw. von dieser Praxis geprägt (vgl. Buelow 2015).
Athanasius Kircher hat den Begriff musica pathetica erfunden, um die affektive Natur der Musik zu
beschreiben und sie mit den konstruktiven formalen Elementen der rhetorischen Doktrin zu verbinden (vgl.
Buelow 2015).
2
34
Im 19. Jahrhundert gab man dieser Praxis den Name Affektenlehre und man war
der Meinung, dass die Barockkomponisten mit stereotypischen rhetorischenmusikalischen Figuren ihre Kompositionen mit der Absicht, eine vorherbestimmte
Beziehung der Tonmalerei zu erzeugen, schafften. Später im 20. Jahrhundert
entdeckten Wissenschaftler, dass die Rolle der rhetorischen Figuren in der Musik
des Barocks eine verzierende war, damit die Worte eine dramatische und
musikalische Betonung bekämen. In der Musik fungierten diese Figuren wie die
Figuren der Redekunst als ein Teil der decoratio3 (vgl. Buelow 2015). Folgendes
Zitat aus Matthesons Der vollkommene Capellmeister, (1739) diente dazu, diese
Aussage zu bekräftigen:
„Wenn wir endlich noch ein Wort von der Ausschmückung machen müssen, so wird
hauptsächlich zu erinnern nöthig seyn, dass solche mehr auf die Geschicklichkeit und das
gesunde Urtheil eines Sängers oder Spielers, als auf die eigentliche Vorschrifft des
melodischen Setzers ankömmt. Etwas Zierath muss man seiner Melodien beilegen, und dazu
können die häuffigen Figuren oder Verblümungen aus der Redekunst, wenn sie wol
angeordnet werden, vornehmlich gute Dienste leisten“ (Mattheson 1739: 1242)
Die Affektenlehre erlebte eine weitere Entwicklung indem sie mit den Tonarten in
enger Verbindung steht. Dieses Verfahren griff auf die Griechen zurück. Sie
schrieben viel über die Kontrolle der menschlichen Emotionen und glaubten, dass
die Musik eine ethische Kraft (ethos) besässe, die mit der Modi im engen
Zusammenhang stünde. In der Renaissance ist die Ethos Theorie der Griechen mit
der
Theorie
der
Charaktere
und
der
neuen
entwickelten
Affektenlehre
verschmolzen. Darüber hinaus wird diese Praxis im Barock festgelegt. So entsteht
auch ein wichtiges Traktat wie das Neu-eröffnete Orchestre (1713) von Mattheson
(vgl. Buelow 2015).
Später, gegen Ende des 18. Jahrhunderts, änderte sich die Wahrnehmung der
Affekte, man betrachtete sie nicht mehr unter der barocken Perspektive als etwas
Zahlbares oder Messbares, sondern eher als etwas, was völlig subjektiv und
persönlich gestaltet ist. In den Schriften von Johann Nikolaus Forkel (1788) wurde
versucht, eine Rhetorik der Musik zu entwickeln. Er war der Meinung, dass die
Die fünf konstitutiven Elemente der klassischen Rhetorik sind inventio, dispositio, elocutio (auch als
decoratio bezeichnet), memoria und pronunciatio (vgl.Jones 2015).
3
35
Affekte in ständiger Bewegung und verpflichtet zu unzählbaren Veränderungen
seien (vgl. Hoyt). In diesem Sinne rieten die Ästhetiker des 18. Jahrhunderts oft
den Komponisten dringend, nicht einzelne Worte sondern die Gefühlsfelder
darzustellen (vgl. Hosler, 1981 und Neubauer, 1986).
Beispielsweise galt es als eine Erniedrigung der Kunst, Vogelgesänge oder
Schlachten darzustellen (vgl. Hoyt 2015). Bemerkenswert ist in diesem Sinne wie
vorsichtig Beethoven damit umgeht als er im Titelblatt seiner Pastoralen
Symphonie folgende Angabe schreibt: ´mehr Ausdruck der Empfindung als
Malerei´ (vgl. Beethoven 2004: XVI).
36
4. Figurenlehre im Deutschen Requiem
Das folgende Kapitel stellt eine Beziehung zwischen der alten Praxis der
Figurenlehre mit dem Deutschen Requiem von Johannes Brahms her. Wie im
Kapitel Brahms Zugang zur alten Musik dargelegt, hatte der Komponist eine starke
Beziehung zur alten Musik, die in seinen Kompositionen spürbar ist. Daher wird
bestätigt, dass Brahms die Figuren nicht willkürlich verwendet sondern diese, wo
er sie braucht, bewusst einsetzt.
Im besonderen Fall der Figurenlehre muss klar dargestellt werden, dass das WortTon Verhältnis in einem Werk nicht nur dazu diente, den Text durch die Musik
hervorzuheben, sondern auch die Gefühle zu berühren. Dementsprechend werden
hier die Stellen, bei denen Brahms in seinem Requiem auf die alte Praxis der
Figurenlehre zurückgreift, thematisiert. Die Erkennung solcher Stellen ermöglicht
ein besseres Verständnis der Komposition, so erklärt es Burmeister (1601) in
seiner Musica autoschediastike, wenn er erläutert, dass das musikalische
Geschehen oder die musikalischen Phänomene in der Kompositionen immer
vorhanden waren bevor diese Interaktion zwischen Musik und Rhetorik zustande
gekommen war. Darüber hinaus ermöglicht es die Rolle der Figurenlehre, diese in
einer „geeignete Form“ (vgl. Burmeister 1601: 144) kennenzulernen. Die meisten
davon, die in diesem Zusammenhang im Brahms Requiem zu finden sind, sind
folgende: Passus Duriusculus, Hypotyposis, Pausa, Abruptio, Aposiopesis,
Suspiratio, Tmesis, Ellipse, Auxesis, Exclamatio, Interrogatio, Anabasis, Catabasis,
Noema.
Im ersten Satz des deutschen Requiems findet man gleich am Anfang die erste
Figur, die das Werk eröffnet. Es geht um die chromatische abfallende Linie, die
von den 2.Violoncelli im Takt 2 bis Takt 6 geführt wird, und dann von den 2.
Bratschen im Takt 7 bis Takt 11 übernommen wird. Diese Figur wird als Passus
Duriusculus bezeichnet und ist nur im Traktat von Christoph Bernhard um 1648 zu
finden (vgl. Bartel 1997: 222).
37
Die chromatische Führung ist in seiner tonalen Ausprägung sehr ausdrucksvoll
gestaltet und kann wohl an dieser Stelle als ein Topos für Schmerz und Leid
interpretiert werden (vgl. Dyson und Drabkin 2015).
Diese Figur erklingt gleichzeitig mit einem Orgelpunkt, der von den 3. Violoncelli,
Kontrabass und Orgel dargestellt wird. So ergeben sich während eine Stimme die
gleiche Note wiederholt (Orgelpunkt) und die andere eine abfallende Bewegung
unternimmt (Passus Duriusculus) Dissonanzen. Dies entspricht der Definition von
Bernhard (1648) dieser Figura, nämlich eine Reihe aufeinander folgende Intervalle,
die Dissonanzen auslösen (vgl. Bartel 1997: 222).
Zum Orgelpunkt sei zu erwähnen, dass er eine sehr bedeutende Rolle im ganzen
Requiem spielt. Gerade am Anfang, wo die Rede von Seligkeit und Ruhe ist, dient
der Orgelpunkt als Vorbereitung der den Teppich ausrollt bevor die Chorstimmen
den Text übertragen. Dadurch wird Ruhe in Kombination mit dem Schmerz der
chromatischen Stimmen geschafft. Ickstadt (2007) behauptet, dass obwohl der
Orgelpunkt nicht als Figur bezeichnet wird, man diesen unter eine Hypotyposis
einordnen kann (vgl. Ickstadt 2007:148).
Nach Burmeister (1606) und Vogt (1719) ist die Figur Hypotyposis eine Verzierung
die den Text sichtbar macht. Weiteres erklärt Bartel (1997), dass die Absicht einer
musica poetica4 auch als Hypotyposis bezeichnet werden kann (vgl. Bartel 1997:
184). Darunter fallen viele Figuren aus dieser Kategorie, Anabasis, Antithesis,
Assimilatio, Catabasis, Circulatio, Dubitatio, Exclamatio, Interrogatio, Noema und
Pathopoeia (vgl. Bartel 1997: 185).
Dammann (1995) kennzeichnet die Hypotyposis als „die wichtigste und zugleich
allgemeinste Bildfigur des musikalischen Barock“ (Dammann 1995: 139).
Der Orgelpunkt spielt im ganzen Requiem eine sehr prägnante Rolle bezüglich der
Verdeutlichung des Textes und des musikalischen Geschehens. Daher ergeben
Unter Musica poetica ist die enge Beziehung einer Komposition mit der Bedeutung des Textes zu verstehen
(vgl. Grove Music Online)
4
38
sich Gemeinsamkeiten zwischen den Sätzen, die immer wieder an manchen
Stellen den Orgelpunkt als Hauptdarsteller präsentieren.
Beispielsweise betont der Orgelpunkt im zweiten Satz zwischen den Takten 303333 den textlichen Inhalt ewige Freude (Hypotyposis). Durch den Orgelpunkt wird
die Größe bzw. die Ruhe dieser Freude übertragen. Es handelt sich um eine
Freude, die der Herr bringen wird. Jene Freude, die die Verstorbenen genießen
dürfen, nachdem sie unter Schmerz und Seufzen im Leben gelitten haben.
Eine weitere Stelle, die Ickstadt (2007) zitiert und die auf dem Orgelpunkt beruht,
kommt im 2. Satz zwischen den Takten 40-54 oder 164-178 vor. Die Umsetzung
des Orgelpunktes als Begleitung für den Marsch, oder wie Kross (1997) ihn
bezeichnet „Totentanz“ (Kross 1997: 525), stellt eine andere Funktion dieser
Hypotyposis dar. An allen anderen Stellen, wo ein Orgelpunkt umgesetzt wird, ist
seine Assoziation mit positiven Gefühlen wie Ruhe, Freude oder, wie unten erklärt,
Hoffnung verbunden. Dennoch begleitet er an dieser Stelle einen Marsch, der mit
der Nichtigkeit oder der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens in Beziehung
steht. Ickstadt (2007) nennt diese bewusste Umsetzung eine Figur der Ironie, da
die Kontinuität, die von der Orgel dargestellt wird, von der Vergänglichkeit
geleugnet wird. Diese Figur existiert nicht als eine musikalische, daher wird sie von
Bartel (1997) in seinem Handbuch nicht erwähnt, trotzdem wird diese Bezeichnung
in der Rhetorik verwendet und bedeutet, dass das Gegenteil vom erwähnten
Kontext gemeint ist (vgl. Ickstadt 2007:149).
Die große Fuge im dritten Satz ab Takt 173 stellt einen weiteren Orgelpunkt dar.
Hier handelt es sich um die Hoffnung, die bei Gott zu finden ist. Mittels dieses
Orgelpunktes wird die Pracht und die Allgegenwart Gottes gestaltet.
Die Umsetzung des Orgelpunktes im Deutschen Requiem weist ausdrücklich
darauf hin, dass er in starker Verbindung mit dem betroffenen dargestellten Text
ist. Daher wird seine Zuordnung als Figur nicht nur berechtigt, sondern nötig.
Weitere Stellen, an denen eine Hypotyposis zu finden ist, erscheinen
beispielsweise im ersten Satz im Takt 47 und ff. Hier werden Worte wie Seufzen
39
und Tränen vertont. Brahms verband hier zwei Noten unter einem Bindebogen,
wobei die zweite nicht betont werden soll, dafür aber die erste. Dazu kommt die
Tonwiederholung, die die Schwere eines Kondukts darstellt Das Ergebnis ist ein
Effekt wie ein Seufzer. Meiner Meinung nach ist diese Figur jedoch keine
Suspiratio Figur (siehe weiter unten), da dort keine Pausen stehen, wie in
folgender Abbildung zu erkennen ist:
Abb.11:Hypotyposis. Brahms deutsches Requiem. Erster Satz Takte 47-51. Eigene Markierung (2015).
40
Weiteres wird zwischen den Takten 34-37 des fünften Satzes grundsätzlich die
gleiche Motivik bzw. Figur (Hypotyposis) wie im vorigen Beispiel verwendet, dieses
Mal dient sie dazu den Trost zu vertonen. Zuerst erklingt sie in den
Männerstimmen, um gleich danach in den Frauenstimmen zu folgen. Die parallele
Stelle erklingt dann später ab Takt 43, aber dort übernimmt das Orchester eine
aktive Rolle, da es auch diese Figur gestaltet. Auf diese Weise endet der B Teil mit
der Intensivierung der Nachricht des Trostes und bereitet gleichzeitig die
Wiederkehr des A Teiles vor. In diesem Sinne hat diese Figur nicht nur eine
textverdeutlichende oder eine gefühlsverbundene sondern auch eine strukturelle
Funktion. Dieses Verfahren wird in folgender Abbildung näher erläutert:
Abb.12:Hypotyposis. Brahms deutsches Requiem. Fünfter Satz Takte 43-48. Eigene Markierung (2015).
41
Eine weitere Hypotyposis, die noch erwähnt werden muss, ist die klare
Textverdeutlichung im zweiten Satz zwischen den Takten 116-119. Dort wird der
Inhalt des Textes von der Harfe und der Flöte personifiziert. Der vertonte Text
lautet: „…und ist geduldig darüber, bis er empfahe den Morgenregen und
Abendregen“. Das Zupfen der Harfe mit den staccatto-artigen Tönen der Flöte und
dem pizzicati der Streicher sind klare Hinweise auf den Regen, der im Text
beschrieben wird.
Im Takt 23 des ersten Satzes führt die Sopranstimme des Chores den Beginn des
Nachsatzes indem sie nach einer Viertelpause mit dem Wort denn einsetzt. Wie
Ickstadt (2007) erwähnt, bieten sich hier Konjunktionen wie aber, denn, doch oder
sondern gut an, um eine kompositorische Textbetonung einzufügen (vgl. Ickstadt
2007: 146).
In diesem besonderen Fall ist die Sopranstimme im Takt 23 die Erste, die das Wort
denn ausspricht, dadurch wird diese Konjunktion hervorgehoben. Ähnliches
geschieht im Takt 39. An dieser Stelle ist die Sopranstimme wieder nach einer
Pause Trägerin des Wortes denn. Ihr Einsatz ist eine Antwort auf den Einsatz der
Oboe, die diese Melodie vorwegnimmt. Im Takt 39 tritt die Sopranstimme auf,
nachdem die anderen Stimmen des Chores (Alt, Tenor, Bass) das Wort denn auf
dem ersten Schlag des Taktes ausgesprochen haben. Hier die zwei parallelen
Stellen:
Abb.13: Brahms deutsches Requiem. Pausa. Erster. Satz Takt 23. Eigene Markierung (2015).
42
Abb.14: Brahms deutsches Requiem. Pausa Erster Satz Takt 39. Eigene Markierung (2015).
43
Dieses Geschehen, wird als Pausa bezeichnet, eine Figur die bei Dreßler (1563)
„zum Nachdruck und Verdeutlichung des Textes dienen könnte“ (Bartel 1997: 226).
An diesen beiden Stellen, ist deutlich, dass die Wichtigkeit des Nachsatzes durch
die kleine Pause in den Vordergrund gerückt wird. Die Pause spielt eine sehr
wichtige Rolle in der Gestaltung der Figuren und ihre Umsetzung bestimmt ihre
Einordnung in der Figurenlehre.
Wie die Pausa Figur die gerade erwähnt wurde, erscheinen mehrere Figuren, die
eine Pause enthalten. Ihr Unterschied ist sehr gering und daher werden sie von
manchen Autoren sogar als austauschbar bezeichnet. Figuren wie abruptio,
suspiratio, aposiopesis u.a. fallen unter diese Kategorie.
Die Aposiopesis ist eine Figur, die der Abruptio Figur ähnlich ist. Der Unterschied
liegt darin, dass die erste kein plötzliches Abbrechen des musikalischen
Gedankens enthält, sondern das Stillschweigen wird benutzt, um etwas
Besonderes auszudrücken, wie z.B. das Unendliche oder das Nichts (vgl. Bartel
1997:105).
Im dritten Satz beschreibt der folgende Satz ``…und mein Leben ist nichts vor dir´´
die Nichtigkeit des menschlichen Lebens und ihre Bedeutungslosigkeit gegenüber
Gottes. Brahms verwendet vielmehr für die Vertonung des Wortes ``nichts´´
zwischen den Takten 46-47, 63-64 eine Aposiopesis. Weiteres singt im Takt 106
der Solist wieder das Wort ``nichts´´ und dort wird wieder eine Pause nach diesem
Wort eingesetzt, das Orchester macht aber keine Pause, da es mit der Darstellung
eines anderen Motivs5 beschäftigt ist. Dennoch ist die Verwendung dieser Figura
an dieser Stelle eindeutig.
Durch das Einsetzen einer Pause während des musikalischen Verlaufes wird das
Seufzen nachgeahmt und dadurch wird gleichzeitig ein Affekt erzeugt (vgl. Bartel
1997: 248). Dieses Verfahren entspricht der Figur Suspiratio. Bemerkenswert ist
Das Motiv erscheint zum ersten Mal vom Solist vorgetragen im Takt 35. Hier ist die Erscheinung dieses
Motivs im Teil C des dritten Satzes (siehe Abb. 5) gemeint. Kross (1997) bezeichnet es als das Motiv der
Endlichkeit des menschlichen Lebens (vgl. Kross 1997: 527 )
5
44
die Definition dieser Figur bei Kircher (1650), der den Ausdruck, der diese Figur
auslöst,
beschreibt.
Er
argumentiert,
dass
durch
gezielte
Pausen
eine
``Leidenschaft der Sehnsucht´´ ausgedrückt werden kann (vgl. Kircher 1650: 144145). Die Suspiratio wird im Brahms Requiem an zahlreichen Stellen verwendet,
davon werden in dieser Arbeit jedoch nur einige ausdrücklich zitiert.
Im zweiten Satz zwischen den Takten 240-242 wird das Wort „seufzen“ vertont,
aber die entsprechende Figur wird erst in den darauffolgenden Takten auf die
Worte „wird weg“ so wie folgt umgesetzt:
Abb.15: Brahms deutsches Requiem. Suspiratio. Zweiter Satz Takte 241-244. Eigene Markierung (2015).
45
Der fünfte Satz ist von Suspiratio-Figuren stark geprägt. Im Takt 14 stellen die
Holzbläser diese Figur dar und dieses Modell wird von den Streichern beantwortet.
Das gleiche Geschehen wird in den Takten 60-62 wiederholt. Diese Figur begleitet
beide Male das Wort „aber“ die dazu ein Tritonus gestaltet.
Im Teil B begleiten in den Takten 28 bis 34 die Streicher die Solistin mit einer
Reihe von Suspiratio-Figuren. Der fünfte Satz pendelt, wie oben erklärt, zwischen
Trauer und Trost, daher die Beharrlichkeit auf dieser Figur, die den Trost mit einer
inhärenten gewissen Traurigkeit gestaltet. Summa summarum beinhaltet die Figur
die beiden gegenseitigen Gefühle dieses Satzes. In folgender Abbildung sind die
gemeinten Stellen farblich hervorgehoben:
Abb.16: Brahms deutsches Requiem. Suspiratio. Fünfter Satz Takte 28-34. Eigene Markierung (2015).
46
Die Abruptio-Figur wird als das plötzliche Abbrechen eines musikalischen
Gedankens oder Affekts verstanden (vgl. Bartel 1997:78). Spiess (1745) meint,
dass ihre Umsetzung im Stilo Recitativo durchgeführt werden soll (vgl. Spiess
1745: 155). Im dritten Satz singt der Solist folgende Worte „und ich davon muss“
zwischen den Takten 13-16. Im Takt 13 steigt die Melodie auf und erreicht hier den
höchsten Ton, der vom Solisten vorgetragen wird. Nach diesem Höhepunkt setzt
Brahms eine Viertelpause, nämlich eine Abruptio Figur, danach steigt die Melodie
wieder in einer konkluierenden Weise ab.
Der Effekt, eine Pause auf den Höhenpunkt zu setzen, löst eine Spannung aus, die
mit dem Text korrespondiert. In diesem Fall verkörpert der Solist im übertragenen
Sinne die Menschheit die, weil sie den Sinn des Lebens verloren hat, Gottes Hilfe
braucht. Die Menschheit ist also verzweifelt und die Intensität ihrer Rede steigt auf
und wird plötzlich durch eine Pause abgebrochen. Dieses Geschehen wird vom
Chor übernommen und in den Takten 28-33 gleich behandelt.
Eine weitere Figur, die sich auf die Pause bezieht, ist die Tmesis. Sie wird als
Schnitt oder Einschnitt einer Komposition bezeichnet (vgl. Bartel 1997: 262). Vogt
(1719) definiert sie als „das Zerschneiden“ und erklärt, dass sie durch zersplitterte
Abschnitte geschieht (vgl. Vogt 1719: 152).
Bartel (1997) weist darauf hin, dass Suspiratio und Tmesis verwandte Figuren
sind, aber sie unterscheiden sich indem die Suspiratio Figur eine textausdeutende
währenddessen die Tmesis Figur eine textverdeutlichende Rolle hat (vgl. Bartel
1997: 263).
Im dritten Satz ist das erste Wort, das vom Solist vorgetragen wird Herr.
Anschließend wird eine Pause eingesetzt und damit wird Aufmerksamkeit
gewonnen. Noch stärker ist die Wirkung ab dem Zeitpunkt, wo der Chor im Takt 17
einsetzt, dort singen zuerst die Männerstimmen das Wort Herr gefolgt von einer
Pause und dann setzen die Frauenstimmen ein, um dieses Geschehen zu
wiederholen. Diese Dynamik entspricht dem Charakter des Textes: zuerst tritt der
47
Bass alleine auf und dann erscheint der Chor, der das Volk repräsentiert, das sich
zögerlich stammelnd an Gott wendet.
Die Ellipsis ist eine Figur, die übersetzt auslassen oder weglassen bedeutet (vgl.
Bartel 1997: 135). Bei Scheibe (1745) und Forkel (1788) wird diese Figur als ein
harmonisches Phänomen betrachtet, nämlich in Verbindung mit einer Kadenz, die
nach dem harmonischen Zusammenhang zu erwarten ist, aber stattdessen
erscheint laut dieser zwei Autoren eine „ausfliegende Kadenz“. Dieses Geschehen
ist nicht vom Text unabhängig, sondern unterstreicht die Idee, die vorgetragen
werden soll. Scheibe (1745) schreibt diesbezüglich: „ […] je heftiger aber der Affect
ist, oder sein soll, desto fremder muß auch der Accord seyn, in den man die
gewöhnliche Cadenz verändert“ (Scheibe 1745: 687).
Im ersten Satz des Brahms Requiem ist eine Ellipsis vorhanden. Am Ende des
Taktes 36 wird eine Rückkehr in die Tonika F-Dur erwartet, aber der Bass
unternimmt eine halbtönige Bewegung von C zu Cis, sodass im Takt 37 statt F-Dur
ein überraschendes A-Dur erklingt. Durch diese harmonische Wendung wird die
oben zitierte Stelle im Takt 39 (siehe Abb. 14. S. 43) noch einmal betont, da der
Chor die Wiederholung des Nachsatzes denn sie sollen getröstet werden in einer
anderen Tonart präsentiert. Wichtig sei auch zu erwähnen, dass diese Stelle in
einer ersten Umkehrung vorkommt, d.h. Cis im Bass, dieser pendelt zwischen Cis
und C, was dieser Stelle eine interessante Instabilität verleiht, daher geschieht die
Wiederkehr in die Tonika F-Dur gleich im Anschluss.
Eine weitere Ellipse, die wegen ihrer Funktion innerhalb des entsprechenden
Zusammenhangs sehr bedeutsam ist, kommt im dritten Satz zwischen den Takten
32-33 vor. Dort geschieht anstatt der vom Chor erwarteten Auflösung zu d-moll, ein
Trugschluss und die Musik geht in die sechste Stufe, also B-Dur. Diese
harmonische Wendung unterstützt den Eintritt des Solos und seine Worte „Siehe“.
Das gleiche Verfahren wird im selben Satz zwischen den Takten 47-48
durchgeführt. Dieses Mal in einer umgekehrten Reihenfolge, sprich Solo-Chor.
48
Eine weitere erwähnenswerte Figur sei die Auxesis, was so viel heißt wie
Vermehrung, Wachstum. In der Rhetorik wird sie als Incerementum bezeichnet
(vgl. Bartel 1997:108). Walther (1732) definiert sie so: wenn ein Modulus, oder eine
Melodye zwey- bis dreymal wiederholt wird, aber dabey immer höher steiget
(Walther 1732: 60).
Im dritten Satz des Requiems, ist bei dem vom Solo vorgetragenen Motiv zwischen
den Takten 33-35 (siehe Fußnote Seite 44) und dann 41-43 eine Auxesis zu
finden. Zuerst beginnend bei B-B7-Es Moll, dann folgt die Steigerung einen
Halbton höher H (Moll) -H7-E Moll. Siehe folgende Abbildung:
Abb.17: Brahms deutsches Requiem. Auxesis. Dritter Satz Takte 33-43. Eigene Markierung (2015).
49
Im gleichen Satz stellt auch der Chor zwischen den Takten 56-60 eine Auxesis dar.
Brahms schreibt dazu cresc. was die gemeinte Steigerung dieser Figur bekräftigt.
Siehe Abbildung:
Abb.18: Brahms deutsches Requiem. Auxesis. Dritter Satz Takte 56-60. Eigene Markierung (2015).
50
Eine weitere Auxesis befindet sich im sechsten Satz zwischen den Takten 152158. Hier ist die Darstellung des Todes auf eine sehr intensive Art und Weise
gestaltet. Ein Mittel dafür ist die harmonische Steigerung, die auch eine Steigerung
der melodischen Linie vorweist. Diese Figur erklingt auch gemeinsam mit der
Interrogatio Figur (siehe unten S. 57):
Abb.19: Brahms deutsches Requiem. Auxesis. Sechster Satz Takte 152-158. Eigene Markierung (2015).
51
Eine weitere Figur, die im Deutschen Requiem auftaucht, ist die Exclamatio. Sie ist
eine Figur wie die Interrogatio die erst im 18. Jahrhundert durch Johann Adolf
Scheibe (1708-1776) erscheint, sie wird aber schon in der Rhetorik von Quintilian
(ca. 35 n.Chr.-96 n. Chr.) erläutert. Diese Figur hat bei Vogt (1719) den
griechischen Name Ecphonisis, aber bei Walther (1732), Mattheson (1739) und
Scheibe (1745) den lateinischen Exclamatio (vgl. Bartel 1997: 152).
Die Exclamatio hat eine unmittelbare Verbindung mit dem Affektausdrück, Scheibe
(1745) beschreibt sie wie folgt:
[...inzwischen ist dieses überhaupt zu merken, daß er [Der Ausruf] insgemein aufwärts
geschehen muß, und daß er bey freudigen Begebenheiten, oder Gemüthsbewegungen durch
consonirende Sätze, bey traurigen aber durch dissonirende auszudrucken ist.] (vgl. Scheibe
1745: 686)
Die Definition der Exclamatio Figur von Johann Gottfried Walther (1684-1748)
bietet eine technische Aufklärung an: „Exclamatio ist eine Rhetorische Figur, wenn
man etwas beweglich ausruffet; welches in der Music gar füglich durch die
aufwerts springende Sextam minorem geschehen kann“ (Walther: 1732: 233).
Im ersten Satz des Requiems wird in den Takten 55-56 in der Tenorstimme die
Freude durch eine Exclamatio Figur ausgedrückt. Das melodische Modell bildet
einen Dreiklang (As-Dur mit Septime) und nach dem Abstieg dieser Linie geschieht
ein Sprung einer großen Sexte. Obwohl die Sexte groß ist und nicht wie bei
Walther (1732) beschrieben klein (minore) ist, ist die Absicht, einen Ausruf zu
erzeugen, gelungen, da er, wie bei Scheibe (1745) beschrieben, sich nach oben
richtet. Dieses Phänomen schaut wie folgt aus:
52
Abb.20: Brahms deutsches Requiem. Exclamatio. Erster Satz Takte 55-56. Eigene Markierung (2015).
Eine weitere Exclamatio Figur kommt im dritten Satz vor. Bei der Wiederkehr des
A-Teiles überlappt sich der Chor mit der Linie des Solisten, sodass der
responsoriale Charakter (siehe Seite 16 und ff Form 3. Satz) unterbrochen wird.
Durch diese Überlappung ergibt sich eine Intensivierung des Textes „und ich
davon muss“ bis zum Takt 85, wo der Solist einen Oktavensprung darstellt. Dieser
Sprung wird vom Sopran des Chores übernommen. Damit erreicht die
53
Verzweiflung des Menschen ihren Höhepunkt und daher ist der assoziative
Gedanke dieses Geschehens als Exclamatio zu bezeichnen. Die folgende
Abbildung zeigt dieses Verfahren:
Abb.21: Brahms deutsches Requiem. Exclamatio. Dritter Satz Takte 83-86. Eigene Markierung (2015).
Die Figur Anabasis ist eine rein musikalische Figur und stammt aus dem
Griechischen und bedeutet ana: hinauf; basis: Gang. Die Figur wird von
Figurenlehre Autoren wie Kircher (1650), Janowka (1701), Vogt (1719) u.a. auch
54
unter dem lateinischen Name Ascensus verwendet. Die Anabasis bringt die
Gedanken zum Ausdruck, die vom Text vorgetragen werden, diese Gedanken
stehen in Verbindung mit der Idee des Aufsteigens (vgl. Bartel 1997: 85-86).
In Verbindung mit der Anabasis steht die Figur der Catabasis. Sie stammt aus dem
Griechischen und bedeutet Kata: hinab und basis: Gang. Wie die Anabasis, ist die
Catabasis eine reine musikalische Figur und beispiellos in der Rhetorik. Sie bildet
eine absteigende Bewegung, die oft in Beziehung mit Affekten der Niedrigkeit steht
(vgl. Bartel 1997: 113).
Im ersten Satz des Requiems wird ab Takt 66 wenn die Worte „sie gehen hin und
weinen“ vertont werden, auf die beiden vorigen Figuren der Anabasis und
Catabasis zurückgegriffen. Obwohl sich dieses Geschehen nur auf einen Satz
bezieht, lässt die Art und Weise, wie Brahms dieses Material verwendete, nicht
den geringsten Zweifel über die direkte Andeutung an diese beiden Figuren
aufkommen. Das Hingehen vom Text vorgetragener implizierter Bewegung wird
von Brahms ausgedrückt, indem er das Motiv nicht gleichzeitig sondern
hintereinander, in der Reihenfolge tief-hoch, das heißt, Bass, Tenor, Alt, Sopran,
erklingen lässt. Jeder Einsatz dieser Stimmen wird immer höher dadurch wird das
Hingehen, die Bewegung in eine aufsteigende Richtung, also eine Anabasis,
gestaltet.
Das Gegenteil, also das Hinabsteigen kommt gleich danach vor. Die Catabasis
wird mit dem Wort Weinen assoziiert. Zuerst in den tiefen Stimmen in den Takten
69-70 danach beim Sopran mit einem Melisma ab Takt 72 und zuletzt beim Alt.
Bemerkenswert ist, dass alles innerhalb eines Orgelpunktes (Hypotyposis) auf F
geschieht und erst sobald die vier Stimmen gleichzeitig das Wort Weinen singen,
wechselt im Takt 75 der Bass von F zu Des, also eine große Terz nach unten.
Gleichzeitig mit den beiden Figuren erklingt auch die Figur des Passus
duriusculus.
55
Ab Takt 78 wird der Satz „sie gehen hin und weinen“ wiederholt, diesmal geschieht
alles schneller ohne Erweiterung des Textes durch die Polyphonie. Auffällig ist
aber, dass eine zusätzliche Figur dazu kommt, eine Suspiratio, die im Orchester
erklingt, und die Anabasis und Catabasis vom Chor vorgetragenen Figuren
begleitet. Zusammengefasst wird ein volles Bild von Traurigkeit und Niedrigkeit in
einer prägnanten Weise dargestellt.
Abb.22: Brahms deutsches Requiem. Verschiedene Figuren. Erster Satz Takte 65-81. Eigene Markierung (2015).
56
Im dritten Satz des Requiems findet eine weitere Umsetzung der Anabasis Figur
zwischen den Takten 164-173 statt. Dort wird der Satz „ich hoffe auf dich“ vertont
und hier setzen die Stimmen wieder in der Reihenfolge tief-hoch ein. Auch hier
erklingt die Figur mit einem Orgelpunkt, der, wie Kross (1997) beschreibt, als
Symbol einer festen Glaubenszuversicht interpretiert werden kann (vgl. Kross
1997: 528).
Vor dem Satz „ich hoffe auf dich“ wird folgende Frage gestellt: „wes soll ich mich
trösten?“ Hier taucht die nächste Figur auf, die Interrogatio. Diese Figur wird von
Autoren wie Bernhard (19266), Mattheson (1739) als eine die sehr gebunden an
den Text ist beschrieben. Daher wird hier auch die Setzung eines Fragezeichens
im Text verlangt. Im Gegenteil dazu kommt für Autoren wie Scheibe (1745) diese
Figur auch in der Instrumentalmusik vor und somit ist sie nicht an einen Text
gebunden (vgl. Bartel 1997: 188-189). In der erwähnten Stelle im dritten Satz des
Brahms Requiems wird diese Figur durch die Harmonik gestützt und der Zweifel
bzw. die Unsicherheit dargestellt.
Zwischen den Takten 141-142 des dritten Satzes wird eine Kadenz zu F-Dur
erwartet, sie geschieht aber nicht. Stattdessen landet die Musik durch eine Ellipse
in A-Dur. Der Bass schreitet um einen Halbton hinauf und die Musik befindet sich
auf der Dominant (erste Umkehrung) der Tonika-parallel (d-moll). Im Takt 142
beginnt, durch den Solisten vorgetragen, die Vertonung der Frage „wes soll ich
mich trösten?“ Folglich tritt der Chor ein und gestaltet in einer polyphonen Weise
den gesungenen Text. Die Harmonie wechselt von Takt zu Takt und
dementsprechend wird ein Motiv im Arpeggio gestaltet, zuerst im Bass im Takt
144, dann im Sopran im Takt 145, danach im Alt im Takt 146 und als nächstes im
Tenor im Takt 147.
Im Takt 149 erklingt der erste verminderte Akkord in der zweiten Umkehrung (Cis
verminderter mit G in Bass), sprich die siebte Stufe von D. Ab diesem Punkt kehrt
dieser Akkord immer wieder kombiniert mit dem Motiv, das zum ersten Mal vom
6
Jahr der ersten Ausgabe
57
Solisten im Takt 35 gesungen wurde, zurück. Im Takt 157 erklingt der zweite
verminderte Akkord in der zweiten Umkehrung (Gis verminderte mit D in Bass),
also die siebte Stufe von A. Ab Takt 158 bleibt nur dieser Akkord im Orchester,
aber in der ersten Umkehrung (H im Bass). Eine kleine Bewegung geschieht am
Ende des Taktes 160, wo ein Cis Moll 7 erklingt, die Rückkehr in den verminderten
Akkord geschieht jedoch gleich im Anschluss.
Die Darstellung dieser Frage greift auf die Harmonik, aber auch auf die Rhythmik
zurück. Man beachte hier ab Takt 156 die Intensivierung der Triolen und ab Takt
158 die Synkope, die durch die Hörner geführt wird. Die Unsicherheit des Inhalts
des Textes wird durch diese beiden Parameter stark betont.
Bemerkenswert ist die Erscheinung einer anderen Figur zwischen den Takten 159161. Dort wird die Frage wieder gestellt, aber nicht polyphon sondern homophon.
Dieses Verfahren heißt Noema und tritt dann in Erscheinung wenn innerhalb eines
polyphonischen Satzes eine homophone Stelle zur Hervorhebung eines textlichen
Gedankens erscheint (vgl. Bartel 1997: 209).
Diese besprochene Stelle sei nun folgend dargestellt:
58
Abb.23: Brahms deutsches Requiem. Interrogatio. Dritter Satz Takte 141-163. Eigene Markierung (2015).
59
Im gesamten Werk kommen im Text nur zwei Sätze mit Fragezeichen vor. Der
erste Satz ist der, der gerade analysiert wurde, und der zweite muss erwähnt
werden, da er auf einem Höhepunkt des Werkes erscheint. Die Frage nach dem
Stachel des Todes oder nach dem Sieg der Hölle gestaltete Brahms in einer
gewaltigen Form. Die Begleitung des Orchesters, besonderes der Streicher durch
die wiederholten Töne ergibt eine unruhige Ebene, die durch sforzati auf dem
dritten Schlag eine Intensivierung bekommt.
In den Takten 152-154 (siehe Abb. 19. S.51) wird zum ersten Mal der Satz „Tod,
wo ist dein Stachel!“ vertont. Dieses Mal bekommt der Satz ein Ausrufzeichen,
aber das zweite Mal im Takt 158 bei der Wiederholung dieses Satzes wird ein
Fragezeichen gesetzt, das der Steigerung der Musik entspricht (siehe Auxesis
Beispiel S.49), daher kommt auf dem dritten Schlag statt das übliche sfz ein ffz.
Bemerkenswert sind die darauffolgenden Stellen, wo „Hölle wo ist dein Sieg?“ zwei
Mal hintereinander unterschiedlich vertont wird. Das erste Mal gehen in den Takten
165-167 die Chorstimmen in eine aufsteigende Richtung in Unisono bis zum Wort
„Sieg?“. Das zweite Mal, in den Takten 175-177, gehen sie in eine absteigende
Richtung fast in Unisono, weil der Bass eine harmonische Funktion ausfüllt. Beide
Male wird die Frage vertont, das zweite Mal muss der Chor hinab gehen, da Kraft
für die Darstellung des Todes im nächsten Takt gespart werden muss. In den
Takten 176-177 nehmen die Chorstimmen an Lautstärke ab und verstummen,
während das Orchester ein crescendo macht. Im Takt 178 wird das Wort Tod mit
Tutti und ff dargestellt.
In den Takten 192-200 wird das Wort „wo“ durch eine Folge von Abruptio Figuren
gestaltet. Der dramatische Aspekt steigert sich durch die scharf gerissenen Klänge
noch mehr. Das Wort „wo“ wird vier Mal vertont bevor die Frage „wo ist dein Sieg“
zum letzten Mal erklingt, um als Übergang für die Fuge zu dienen.
60
5. Wiederkehrende Merkmale
5.1 Das Kernmotiv und seine Verwandten
Eine Methodik, auf die Brahms ständig zurückkehrt, um Einheit in seinen Werken
zu schaffen, ist die Behandlung der Motivik. Durch die wiederholte Erscheinung
gewisser Muster, Tonfolgen und rhythmischer Elemente wird das Ganze
kompakter, einheitlicher und erkennbarer. Zahlreiche Beziehungen entstehen
wenn ein Zitat von einer Stelle, die im Werk bereits vorgekommen ist, auftaucht.
Damit sind Stellen gemeint, die nicht nur von einem reinen technischen Aspekt
geprägt sind, sondern, die noch mehr in enger Verbindung mit dem Inhalt des
Textes stehen. Teilweise ist die Wirkung dieser Phänomene viel stärker als der
Text selbst, weil sie das Nichtgesagte ausdrücken können und eine breite Palette
für weitere Interpretationen anbieten.
Die nähere Betrachtung des Requiems, nach der diese Arbeit strebt, kann ohne
das sogenannte Kernmotiv in diesem Werk zu besprechen nicht vollständig
werden.
Im ersten Satz erklingt das Kernmotiv zwischen den Takten 15-17 zum ersten Mal.
Es wird vom Sopran vorgetragen und besteht aus drei Tönen; ein Terzintervall und
ein Sekundintervall7:
Abb.24: Brahms deutsches Requiem. Kernmotiv. Eigene Darstellung (2015).
Für eine weitere Analyse sei wichtig zu erwähnen, dass die genauen Abstände der Intervalle nicht streng
respektiert werden. Daher spricht man von einer großen oder kleinen Terz oder von einer großen oder
kleinen Sekunde. Wichtig ist, dass die Konstellation Terz, Sekunde oder Sekunde, Terz stimmt.
7
61
Dieses Motiv erscheint in der anderen möglichen Permutationen, also in
Umkehrung, Krebs und Krebsumkehrung wie in folgender Abbildung gezeigt wird:
Abb.25: Brahms deutsches Requiem. Kernmotiv Permutationen. Eigene Darstellung (2015).
Im Requiem kommt eine Anzahl von Stellen mit dieser Intervallenfolge TerzSekund vor. Wie Topp (s.a.) erwähnt, muss die Umsetzung dieser Motivik
sorgfältig gesucht werden, weil sonst im ganzen Werk eine Folge von Terz-Sekund
oder umgekehrt vorkommen kann. Diese Motivik muss eine klare Beziehung mit
dem Text haben, der tonale Wert muss eindeutig sein, entweder Dur oder Moll und
der Charakter muss markant sein, entweder als Themaanfang oder als
selbständiges Motiv (vgl. Topp s.a.: 16).
Im Hinblick auf diese Aspekte werden hier einige Umsetzungen dieser Motivik
erwähnt, sodass etliche Ideen des Requiems von diesen verschiedenen
Darstellungen desselben Motivs abgeleitet werden können. Beispielsweise wird
das Motiv in ihrer originalen Darstellung als Grundstein für den Aufbau der Melodie
mit der der 4. Satz beginnt, verwendet:
Abb.26: Brahms deutsches Requiem. Kernmotiv. Vierter Satz. Eigene Markierung (2015).
62
Die ersten sechs Töne dieses Themas sind erstaunlicherweise mit den ersten
sechs Tönen des Fugenthemas im dritten Satz ident. Die Erscheinung des
Kernmotivs in ihrer originalen Gestaltung im dritten Satz ist kombiniert mit dem
Fugenthema und so wie folgt zu verstehen:
Abb.27: Brahms deutsches Requiem. Kernmotiv. Dritter Satz. Eigene Markierung (2015).
Topp (s.a.) erwähnt, dass eine Beziehung zwischen den Sätzen 3, 4 und 5 entsteht
da die Themen auf gemeinsame Säulen zurückgreifen (vgl. Topp s.a.: 17).
Für die folgende Abbildung werden die Beispiele in der gleichen Tonart präsentiert,
um die Beziehung zwischen den Sätzen ersichtlicher zu gestalten:
Abb.28: Brahms deutsches Requiem. Kernmotiv. Dritter, vierter und fünfter Satz. Eigene Darstellung (2015).
63
Die Erwähnung dieses Motivs kommt natürlicherweise im siebten Satz auch vor.
Dieser ist mit dem ersten Satz des Requiems eng verbunden (siehe S. 24). In
diesem Fall erscheint das Motiv wieder in ihrer ursprünglichen Tonart F-Dur:
Abb.29: Brahms deutsches Requiem. Kernmotiv. Siebter Satz. Eigene Darstellung (2015).
Bemerkenswert ist, dass dieses Motiv in seiner originalen Gestaltung am
Wahrnehmbarsten in den Sätzen 1,4 und 7 zu sehen ist. Das Motiv erscheint in
seiner Umkehrung (siehe Abb. 25. S. 62) auch in den gleichen Sätzen, damit sind
beide Gestaltungen dieses Motives verbunden. Die Umsetzung des Motivs in
seiner Umkehrung schaut im Brahms Requiem folgendermaßen aus:
Abb.30: Brahms deutsches Requiem. Kernmotivumkehrung. Erster, vierter, siebter Satz. Eigene Darstellung (2015).
64
Die Gestaltung des Motivs im Krebs und die Krebsumkehrung sind auch
miteinander verbunden, da ihre Umsetzung in den Sätzen 2, 3 und 6 vorkommt
(vgl. Topp s.a.: 18). Siehe folgende Abbildung:
Abb.31: Brahms deutsches Requiem. Kernmotiv Krebs und Krebsumkehrung. Zweiter, dritter, sechster Satz. Eigene
Darstellung (2015).
65
Ickstadt (2007) weist darauf hin, dass eine weitere auffällige und erwähnungswerte
motivische Beziehung, die auf sprachliche Momente zurückgreift vorkommt (vgl.
Ickstadt 2007: 145). Es handelt sich dabei um ein Motiv, das auf einem Dreiklang
basiert. Es wird zum ersten Mal im 2. Satz im Takt 203 durch die Trompete, Flöten
und Oboen angekündigt. Daher wird in diesem Fall der Themenkopf des
darauffolgenden Fugatos, so wie in folgender Abbildung zu sehen ist,
vorweggenommen:
Abb.32: Brahms deutsches Requiem. Motiv. Zweiter Satz Takte 203 und 206. Eigene Darstellung (2015).
Weiteres erscheint dieses Motiv im fünften Satz im Takt 27. Dort singt die Solistin
folgende Worte: „Sehet mich an“ (siehe. S. 20 ). Hier kommt dieses Motiv in der
gleichen Tonart wie im 2. Satz vor (siehe vorige Abbildung).
Im sechsten Satz singt in den Takten 28-32 der Solist „Siehe, ich sage euch ein
Geheimnis“. Dort griff Brahms auf das gleiche Motiv zurück. Laut Ickstadt (2007)
wird dieser appellative Charakter, indem die Pauke ein Wirbel spielt, durch die
Instrumentation unterstützt (vgl. Ickstadt 2007: 145).
Diese beiden Stellen ähneln sich, indem die SolistInnen Aufmerksamkeit erfordern,
weil sie etwas Besonderes zu kommunizieren haben. In diesem Sinne ist Ickstadts
(2007) Benennung zu verstehen als er dieses Verfahren als ein „sprachlichrhetorischer Moment“ beschreibt (Ickstadt 2007: 145).
66
Dieses Motiv erscheint auch im siebten Satz in der Sopranstimme des Chores
zwischen den Takten 30-34 und 123-127. Beide Male vertont es die Worte
„sterben von nun an“.
In folgender Abbildung sind die verschiedenen Erscheinungen dieses Motives
zusammengefasst:
Abb.33: Brahms deutsches Requiem. Motiv. Fünfter, sechster, siebter Satz. Eigene Darstellung (2015).
67
5.2 Allgemeines
Im Deutschen Requiem finden sich verschiedene Stellen zu den genannten
Figuren, die eine besondere Bedeutung haben. Solche Phänomene sind entweder
rhythmischer, melodischer Natur oder stehen in Zusammenhang mit der
Satzweise. Eine genaue Analyse dieser Phänomene würde jedoch den Rahmen
dieser Arbeit sprengen. In diesem Sinne sei anzumerken, dass die Stellen, die in
diesem Kapitel erwähnt bzw. erklärt werden, als Ausgangspunkte für weitere
Analysen im Rahmen neuer wissenschaftlicher Annäherungen dienen könnten.
Obwohl sich der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit auf die Figurenlehre in
diesem Werk konzentriert, sollen auf eine musterhafte Art und Weise Elemente,
die dieses Werk stark prägen, nicht außen vorgelassen werden. Daher werden in
den nächsten Zeilen einige dieser Besonderheiten näher erläutert.
Im Kapitel der Figurenlehre wurde erklärt, wie Brahms den Orgelpunkt (siehe S.
38) als ein Werkzeug zur Vermittlung von Ruhe oder Stabilität verwendete. Ein
anderes Werkzeug, das wiederkehrend ist und in Beziehung mit besonderen
Momenten eines positiven Gefühls z.B.: Freude, Trost oder Seligkeit steht, ist die
Satzweise.
An dieser Stelle fallen die letzten Takte der Sätze 1, 2 und 7 auf. Die Art und
Weise, wie sie enden enthält eine deutliche Anspielung auf den Text, der
gesungen wird.
Noch einmal taucht hier die direkte Beziehung zwischen den Sätzen 1 und 7 auf
(siehe S. 23 und 64). Die letzten vier Takte jedes Satzes sind, indem der
Komponist den Chor auf gepaarte Terzen enden lässt, gleich gesetzt. Die
Abwesenheit des vollständigen Akkords in den Stimmen ist hier bemerkenswert.
Dadurch wird die Ruhe, die die seligen Toten oder die seligen tröstenden
Menschen suchen, gestaltet.
68
Im zweiten Satz kommt das gleiche Verfahren zwei Mal vor. Das erste Mal
zwischen den Takten 119-123 mit den Worten „so seid geduldig“ und das zweite
Mal betrifft es die letzten fünf Takte dieses Satzes mit den Worte „ewige Freude“,
wobei dieses Mal der vollständiger Akkord B-Dur am Ende im Takt 336 erklingt
(vgl. Ickstadt 2007: 149).
Nach Ickstadt (2007) heißt es, dass der Hinweis auf die Verheißung von Geduld
ihre Erfüllung am Ende findet (vgl. Ickstadt 2007:149). In den letzten fünf Takten
dieses Satzes setzen die Stimmen in p. dim. ein, um eine erleichterte Freude, die
von der Ruhe, die man nur im Jenseits findet, darzustellen.
Die Seligkeit, die Geduld und die Freude sind dadurch verbunden. Ickstadt (2007)
meint dazu, dass es auch denkbar wäre, dass diese Satzweise in Terzen auch
eine Beziehung zum Kernmotiv haben könnte (Ickstadt 2007: 154).
Eine andere Stelle, die auch mit der Satzweise zu tun hat, befindet sich im ersten
Satz in den Takten 104-106. Dort steht die Musik im Teil A´´ (siehe Abb. 2. S. 13).
An der gemeinten Stelle verzichtet Brahms auf den Bass im Chor und lässt die
anderen Stimmen singen. Der Tenor gestaltet das Kernmotiv und der Text „selig“
wird vorgetragen. Ein Mittel, um die Seligkeit bzw. das Himmlische zu übertragen,
beruht auf den Verzicht der tiefen Stimmen, da sie mit der Erde und dem
Menschlichen assoziiert werden.
Die Stelle hat aber auch eine strukturelle Funktion, im Beginn des A´´ Teiles
erklingt zuerst vom ganzen Chor gesungen das Wort „selig“ in Des-Dur. Danach
kommt die gemeinte Stelle ohne Sopran und dort wird die Modulation in der
Originaltonart durchgeführt. Indem sich der Eindruck einer statischen Musik ergibt,
hebt sich diese Stelle hervor und erst alsbald F-Dur erreicht wird, schreitet die
Musik wieder fort. Diese Stelle ist einmalig im ersten Satz und die Art und Weise,
wie Brahms sie gestaltet, hebt sich nicht umsonst akustisch hervor.
Im siebten Satz wird erneut auf die Satzweise Bezug genommen, indem die vom
Chor vorgetragenen Worte „Ja der Geist spricht, dass sie ruhen von ihrer Arbeit“
69
(siehe S. 25) nicht vom ganzen Chor gesungen, sondern teilweise ohne Sopran
bzw. ohne Damenstimmen vorgetragen werden. Dieses Verfahren geschieht
zwischen den Takten 40-48 und wie im 5. Satz werden (siehe S. 20) die Macht
aber auch die Nähe zum Menschen dieses Geistes durch die Stimmen des Chores
dargestellt.
Die Stimmen singen unisono, was die Deutlichkeit der Nachricht Gottes
hervorhebt. Darüber hinaus wird damit die Ruhe aber auch die Macht Gottes
repräsentiert. Diese Art und Weise der Vertonung kommt ein zweites Mal zwischen
den Takten 76-83 vor. Bei der zweiten Erscheinung dieses Geschehens werden
die Vermutungen des ersten Males bestätigt.
Im Takt 76 lässt Brahms nur die tiefen Stimmen einsetzen d.h. Alt und Bass,
welche die Worte „Ja der Geist spricht“ vertonen. Für die Fortsetzung des Satzes
„dass sie ruhen“ setzen die Chorstimmen ohne Bass ein. Der Bass Einsatz wird
dann reserviert für die Wiederholung des Satzes „Ja der Geist spricht“. Das Ganze
wirkt sehr malerisch und zeigt, wie stark gewisse Momente der Komposition durch
die korrekte Behandlung musikalische Elemente hervorgehoben werden können.
In Folge wird nun auch der rhythmische Aspekt näher betrachtet. In diesem Sinne
wird hier eine besondere Stelle, die eine prägende Rolle im Hinblick auf die
Betonung der Nachricht des Satzes spielt, ausgewählt. Wie oben schon erklärt,
könnte diese musterhafte Analyse als Auftakt für eine weitere Arbeit, die auf den
Parameter Rhythmus fokussiert, dienen.
Im dritten Satz basiert zwischen den Takten 1-104, sprich den Teilen A-B-A (siehe
S. 17), die Gestaltung der musikalischen Szene auf eine Abwechslung zwischen
Solo und Chor. Dieser ständig intendierte Rollenwechsel begünstigt die
Umsetzung einer malerischen Funktion, die in diesem Fall durch den Rhythmus
zustande kommen wird.
Der erste Teil dieses Satzes gestaltet die Verzweiflung, die Angst, die
Hoffnungslosigkeit des Menschen angesichts des irdischen Lebens. Weiters stellt
70
der Mensch die Nichtigkeit seines Lebens gegenüber Gottes dar. Unter diesem
Aspekt sucht er Hilfe bei Gott und hofft den Sinn des Lebens zu finden (siehe S.
47).
Zwischen den Takten 1-16 singt der Solist folgende Worte „Herr, lehre doch mich,
daß ein Ende mit mir haben muß, und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon
muß“.
Wie im ersten Satz lässt Brahms in diesen ersten Takten die Violinen pausieren.
Die Hörner haben eine Funktion als harmonische Stütze indem sie orgelpunktartig
abwechselnd die Tonika oder die Dominante spielen. Die Begleitung ist daher
ruhig und bescheiden. Die Pauke aber verleiht der Musik durch den Wirbel in
jedem zweiten Takt auf dem zweiten Schlag eine Unruhe, die die Einmaligkeit
dieses Satzes unterstreicht.
Brahms war sich dabei bewusst, dass die Wiederholung eines Textes eine gewisse
Steigerung des Gesagten in sich enthält daher lässt er die Geigen, wenn der Chor
die gleichen Worte, die vom Solisten vorgetragen wurden, übernehmen, mit einer
Synkope einsetzen. Dieser Effekt intensiviert die Verzweiflung und die Unruhe, die
im Text dargestellt ist. Die Synkope wird dann in anderen Stimmen konsequent
durchgeführt, sodass sie immer präsent ist. Zudem intensiviert sich der Wirbel der
Pauke, indem er jetzt in jedem Takt und nicht umsonst niemals auf dem Schlag
aber gegen ihn vorkommt.
Neu sind die Trompeten, sie wechseln mit den Hörnern zusammen immer noch
zwischen Tonika und Dominante aber mit einem besonderen Unterschied im
Vergleich zu den vorigen Takten. Jetzt kommt eine rhythmische Komponente dazu,
obwohl in pp vorgetragen, dienen diese fanfarenartigen Töne als Brücke zwischen
den Sätzen und als Bestätigung des vorher Gesagten. Dieses Phänomen soll in
der folgenden Abbildung graphisch hervorgehoben werden:
71
Abb.34: Brahms deutsches Requiem. Rhythmus. Dritter Satz Takte 23-32. Eigene Markierung (2015).
Im Teil B im Takt 33 steht die Musik kommend von der V. Stufe von D-moll in BDur geschrieben. Diese Tonart wurde mittels eines Trugschlusses oder in der
Figurenlehre genannt Ellipsis (siehe S. 48) erreicht. An dieser Stelle setzen die
Holzbläser ein. Auffällig ist, dass das sogenannte Endlichkeitsmotiv (vgl. Kross
1997: 527) von den Streichern und Flöten vorgetragen wird. Im Takt 39 führen die
Streicher ein neues rhythmisches Modell auf, nämlich eine Triole. Ab diesem
Zeitpunkt wird die Rhythmik immer eindringlicher und markanter.
Im Takt 48, wo der Chor wieder einsetzt, begleiten die Streicher in Triolen,
darunter sogar mit einer Suspiratio Figur. Die dramatische Ebene nimmt weiter zu.
72
Im Takt 54 intonieren die Holzbläser das Endlichkeitsmotiv und die Triolen werden
in den Takten 54-55 kontinuierlich, ohne Pause, in den Streichern gestaltet.
Nachdem mittels einer Auxesis (siehe S. 49) im Takt 62 der Höhepunkt erreicht
wird, löst sich die Begleitung in Triolen mit dem Wort „nichts“ (siehe Aposiopesis S.
44) auf.
Bei der Wiederkehr des A Teiles ab Takt 66 führen die Streicher eine Begleitung in
pizzicato mit dem rhythmischen Merkmal, dass sie nur auf dem zweiten Schlag
jedes Taktes auftreten, aus. Damit wird die schwere Last des Gehens durch das
Leben (Handlung des Textes) gestaltet. Die Pauke wird intensiver, da der Wirbel,
obwohl in pp, ununterbrochen fortgesetzt wird.
Im Takt 85 treten die Streicher wieder auf dem ersten Schlag auf und zwar durch
die Bratschen, sie gestalten ein tremolo, das zusammen mit den pizzicati auf dem
zweiten Schlag des Taktes der restlichen Streicher erklingt. Dieser Klang nimmt bis
Takt 92 ab und plötzlich erklingt, um die dramatische Konstellation des Satzes zu
unterstreichen, im Takt 93 ein orchestrales Tutti mit dem Endlichkeitsmotiv. Dort
treten die Triolen wieder auf und werden bis Takt 101 durchgeführt.
Bemerkenswert ist auch das ausgeschriebene ritenuto ab Takt 97 bis Takt 102.
In folgender Abbildung wird die Intensivierung dieses Rhythmus innerhalb des
beschriebenen Teiles gezeigt:
73
Abb.35: Brahms deutsches Requiem. Rhythmusanalyse. Dritter Satz. Eigene Markierung (2015).
74
6. Schlussfolgerungen
Bevor ich mich mit der Verfassung dieser Arbeit beschäftigte, war das Deutsche
Requiem
von
Johannes
Brahms
ein
für
mich
unerforschtes
Terrain.
Selbstverständlich war mir die Bedeutung dieses umfassenden Werkes bewusst,
doch hielt mich diese Immensität auch davon ab mir das Werk näher anzusehen.
Als ersten Annäherungsversuch an das Werk bediente ich mich einer formalen
Analyse. Und bereits an dieser Stelle kristallisierten sich einige komplizierte Stellen
heraus. Obwohl mir die Schriften von Bolin (2004), Krummacher (1984), Nowak
(1984) und Kross (1997) ein nützliches Instrument zur Dechiffrierung von Brahms
Werk dienten, war ich stets mit dem Gefühl konfrontiert, dass eine systematische
formale Gliederung der Sätze nicht vorhanden war. Aus dieser Erkenntnis ist das
erste Kapitel entstanden, indem eine klare Darstellung der Ideen in diesem Werk
bezeichnet und präsentiert worden sind.
Ein wichtiger Teil war auch die Analyse des Textes. In einem ersten Stadium wirkte
dieser wie eine Collage, aber nach intensivem Studium hat dieses Bild eine
organisierte, genau ausgesuchte Struktur ergeben. In diesem Sinne hat die
Deutung der verschiedenen Textstellen dazu beigetragen, die intendierte Rolle der
SolistInnen aber auch die Hauptidee des Werkes, als ein Requiem nicht für die
Toten aber für die Lebenden, zu verstehen. Mit diesem neuen Verständnis hat sich
das Bild des ganzen Werkes geändert und ab diesem Punkt begann die
Auseinandersetzung mit der Figuren der Rhetorik in diesem Werk.
Die Suche nach Stellen, bei denen die Musik und der Text auf eine rhetorische
Weise verbunden sind, kann sehr subjektiv werden. Mir war von Anfang an klar,
dass die Vorstellungskraft eines analytischen Kopfs eine Begründung finden kann,
um viele musikalische Phänomene unter den Deckmantel der Figurenlehre zu
geben. Daher habe ich bewusst auf eine Auflistung potenzieller Figuren in dieser
Arbeit verzichtet und nur jene Figuren, die eine enge Beziehung zum Text und dem
allgemeinen Zusammenhang haben, zitiert und analysiert.
75
Bei der Auswahl dieser Figuren lernte ich, das Requiem wie einen Film zu
betrachten, d.h. ein besonderer Rhythmus, eine auffällige melodische Linie, eine
ungewöhnliche Stimmführung usw. waren schon verdächtig, um sie als Figuren zu
benennen. In einer ersten Ebene wurden viele Stellen in Betracht gezogen aber
danach entstanden weitere Kriterien, die als ein Sieb dienten, um eine feinere aber
auch korrektere Auswahl zu treffen.
Zu diesen Kriterien zählen die Bedeutung der Hervorhebung des Textes durch die
Musik,
wie
auch
die
Relevanz
der
betroffenen
Stellen
innerhalb
des
entsprechenden Satzes, aber auch innerhalb des gesamten Werkes und zu guter
Letzt, ob die gemeinte Idee wiederkehrend ist oder nur einmal vorkommt.
Natürlicherweise sind durch diese Suche andere auffällige und erwähnenswerte
Verfahrensweisen, die nicht in die Kategorie der Figurenlehre passen, entdeckt
worden. Daher habe ich sie überblicksmäßig im letzten Kapitel dieser Arbeit
angeführt. Die genauere Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen wäre
jedoch umfangreicher Inhalt einer weiteren wissenschaftlichen Arbeit.
Zu diesen Phänomenen zählen beispielsweise das Kernmotiv, die rhythmische
Besonderheiten und die Wiederkehr von Figuren, die mit anderen Aspekten
zusammenklingen. All diese Elemente stehen in Interaktion zueinander und die
Gesamtheit dieser Einzelheiten erlaubt schließlich eine komplexe Interpretation
des Werkes.
Der Sinn einer Analyse eines bestimmten Werkes muss stets zielgerichtet im
Zusammenhang mit der Umsetzung in die Praxis stehen. Mit diesem Motto im
Hinterkopf bin ich mit jedem musikalischen Element des Werkes umgegangen.
76
7. Quellenverzeichnis
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BEETHOVEN, Ludwig van. Symphonie No 6 in F Dur ``Pastorale´´ op. 68. TP 906.
Bärenreiter. Kassel. Basel. London. New York. Prag. 2004.
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DROYSEN, Johann Gustav. Historik. Vorlesungen über Enzyklopädie und
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„Deutschen Requiem“ op. 45 von Johannes Brahms. In: Sandberger Wolfgang,
Wiesenfeldt Christiane Musik und Musikforschung Johannes Brahms im Dialog mit
der Geschichte. Bärenreiter. Kassel, Basel, London, New York, Praha. 2007.
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In: http://dvm.nu/files/musik_forskning/1991/mf1991-92_01.pdf>.
[Zugriff: 09. 07. 2015].
8. Abbildungsverzeichnis
Abb.1: ERAZO, Daniel. Brahms deutsches Requiem. Textform erster Satz. Graz
2015. S. 10.
Abb.2: ERAZO, Daniel. Brahms deutsches Requiem. Form erster Satz. Graz 2015.
S. 11.
Abb.3: ERAZO, Daniel. Brahms deutsches Requiem. Textform zweiter Satz. Graz
2015. S. 13.
Abb.4: ERAZO, Daniel. Brahms deutsches Requiem. Form zweiter Satz. Graz 2015.
S. 13.
Abb.5: ERAZO, Daniel. Brahms deutsches Requiem. Form dritter Satz. Graz 2015.
S. 15.
80
Abb.6 ERAZO, Daniel. Brahms deutsches Requiem. Form vierter Satz. Graz 2015.
S. 17
Abb.7: ERAZO, Daniel. Brahms deutsches Requiem. Form fünfter Satz. Graz 2015.
S. 19.
Abb.8: ERAZO, Daniel. Brahms deutsches Requiem. Form sechster Satz. Graz
2015. S. 21.
Abb.9: ERAZO, Daniel. Brahms deutsches Requiem. 7er.Satz Takte 18-21. Graz
2015. S. 23.
Abb.10: ERAZO, Daniel. Brahms deutsches Requiem. Form siebter Satz. Graz
2015. S. 24.
Abb.11: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S. 38.
Abb.12: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S 39.
Abb.13: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S. 40.
Abb.14: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S. 41.
Abb.15: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S. 43.
81
Abb.16: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S. 44.
Abb.17: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S. 47.
Abb.18: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S. 48.
Abb.19: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S. 49.
Abb.20: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S. 51.
Abb.21: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S. 52.
Abb.22: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S. 54.
Abb.23: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S. 56-57.
Abb.24: ERAZO; Daniel. Brahms deutsches Requiem. Kernmotiv. Graz 2015. S. 59
Abb.25: ERAZO; Daniel. Brahms deutsches Requiem. Kernmotiv Permutationen..
Graz 2015. S. 60.
82
Abb.26: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S. 61.
Abb.27: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S. 61.
Abb.28: ERAZO; Daniel. Brahms deutsches Requiem. Kernmotiv. Dritter, vierter und
fünfter Satz. Graz 2015. S.61.
Abb.29: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S. 62.
Abb.30: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S. 62.
Abb.31: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S. 63.
Abb.32: ERAZO; Daniel. Brahms deutsches Requiem. Motiv. Zweiter Satz Takte
203 und 206. Graz 2015. S.64.
Abb.33: ERAZO; Daniel. Brahms deutsches Requiem. Motiv. Fünfter, sechster,
siebter Satz. Graz 2015. S.65.
Abb.34: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S. 70.
Abb.35: BRAHMS, Johannes. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester
op. 45. Studienpartitur PB 3814 Breitkopf & Härtel. Wiesbaden. Leipzig. Paris
1987. S. 72.
83
I. Anhang
I.I Text
I.
Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden (Matthäus 5,4).
Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und
tragen edlen Samen, und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben (Psalm
126,5.6.).
II.
Denn alles Fleisch, es ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des
Grases Blumen. Das Gras ist verdorret und die Blume abgefallen (1. Petrus 1, 24).
So seid nun geduldig, lieben Brüder, bis auf die Zukunft des Herrn. Siehe, ein
Ackermann wartet auf die köstliche Frucht der Erde und ist geduldig darüber, bis er
empfahe den Morgenregen und Abendregen (Jakobus 5, 7).
Aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit (1. Petrus 1, 25).
Die Erlöseten des Herrn werden wiederkommen, und gen Zion kommen mit
Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden
sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird weg müssen (Jesaja 35, 10).
III.
Herr, lehre doch mich, daß ein Ende mit mir haben muß, und mein Leben ein Ziel
hat, und ich davon muß.Siehe, meine Tage sind einer Hand breit vor dir, und mein
Leben ist wie nichts vor dir.Ach, wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so
sicher leben. Sie gehen daher wie ein Schemen, und machen ihnen viel
vergebliche Unruhe; sie sammeln und wissen nicht wer es kriegen wird. Nun Herr,
wes soll ich mich trösten? Ich hoffe auf dich. (Psalm 39, 5-8)
84
Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand und keine Qual rühret sie an. (Weisheit
3, 1)
IV.
Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth! Meine Seele verlanget und
sehnet sich nach den Vorhöfen des Herrn; mein Leib und Seele freuen sich in dem
lebendigen Gott. Wohl denen, die in deinem Hause wohnen, die loben dich
immerdar! (Psalm 84, 2-3, 5)
V.
Ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wieder sehen und euer Herz soll sich
freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. (Johannes 16, 22)
Sehet mich an: Ich habe eine kleine Zeit Mühe und Arbeit gehabt und habe großen
Trost funden. (Jesus Sirach 51, 35)
Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. (Jesaja 66, 13)
VI
Denn wir haben hie keine bleibende Statt, sondern die zukünftige suchen wir.
(Hebräer 13, 14)
Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden
aber alle verwandelt werden; und dasselbige plötzlich, in einem Augenblick, zu der
Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune schallen, und die Toten
werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Dann wird
erfüllet werden das Wort, das geschrieben steht: Der Tod ist verschlungen in den
Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? (1. Korinther 15, 51-52, 5455)
85
Herr, du bist Würdig zu nehmen Preis und Ehre und Kraft, denn du hast alle Dinge
erschaffen, und durch deinen Willen haben, sie das Wesen und sind geschaffen.
(Offenbarung 4, 11)
VII
Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben, von nun an. Ja, der Geist spricht,
daß sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach. (Offenbarung
14, 13)
86
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