6 Donnerstag, 10. August 2017 - Kultur Der neue Forschungsrat des Betriebs Landesmuseen setzt sich aus 9 Mitgliedern zusammen: Lukas Madersbacher (Universität Innsbruck), Annalisa Pedrotti (Universität Trient), Frank Rühli (Universität Zürich), Her- linde Menardi, Volkskundlerin und Direktorin des Tiroler Volkskunstmuseums in Innsbruck, Roland Psenner (Universität Innsbruck), Harald Pechlaner (Katholische Universität Eichstätt-In- golstadt), Landesgeologe Volkmar Mair, Heinrich Huber (Museum Ladin) und Federica Viganó (Universität Bozen). Koordination: Evelyn Kusstatscher, Paläontologin Naturmuseum Bozen. © „Die Welt ist eine Bühne…“ 1. SCHLOSSFESTSPIELE DORF TIROL: Uraufführung des Stückes „Die Verfolgten“ von Luis Zagler unter der Regie von Oliver Karbus ON F ERRUCCIO DELLE C AVE .V................................................. . DORF TIROL. Die Kulisse könnte imposanter nicht sein. Die Zuschauer sitzen und blicken auf die Südwand des Palas von Schloss Tirol und bewundern die Leistungen der Schauspieler/innen im Stück „Die Verfolgten. Liebe in stürmischen Zeiten“. Man ist ganz Ohr, wenn die Marco Dianas gemixte musikalische Unternahlung erklingt, und betrachtet das von Jan Gasperi auf die Südwand projizierte Lichtdesign. Der Bühnenaufbau, von Klaus Gasperi ausgeheckt, ist einfach und nützt 3 Rasenstreifen für die sich im Oben und Unten abspielende Handlung, die vom Dramatiker Luis Zagler als Plot aus einer verschriftlichten Erzählvorlage vor 20 Jahren dramaturgisch entwickelt und mit dem historischen Hintergrund von französischer Revolution, Fremdherrschft durch Franzosen und Bayern und der späten Verfolgung der Protestanten in Tirol versehen wurde. Wenn Franz Weichenberger in der Rolle des Abgesandten aus Wien von Grellstein in der 19. Szene von den „Herrschaftssysteme(n)“ spricht, die „immer den Keim des Grausamen in sich“ tragen und kurz darauf auf die „Welt als Bühne“ verweist, so wähnt man sich in die Weimarer Klassik zurückversetzt. Beide Sätze prägen indes fast als Gegenentwurf zu den Figurencharakteren kontrastiv die Handlung des Ganzen, die auf dem Kern einer Liebesgeschichte zwischen dem Luther-Begeisterten Serafin Gorfer und Rebecca, der Frau des Arztes Vögele, beruht. Oliver Karbus hat aus dem Text eine spielbare Vorlage kreiiert, die durch Geschick und Können einzelner Schauspieler/innen auf der Vorburg von Schloss Tirol Dienstagabend zum ersten Mal auch die Möglichkeiten historischen Theaters auszuleuchten versucht hat. Dass ein heftiges Unwetter den Premierenabend nachhaltig gestört hat, tat der Qualität der Darsteller/innen sicher keinen Abbruch. Schade nur, dass an diesem Abend die akkurate und akribische Vorbereitungsarbeit jäh ausgesetzt werden musste. Wie auch immer, Oliver Karbus hat aus dem historisierenden Zagler-Text vor allem die starken Gefühle herausgearbeitet: Menschlichkeit, den Glauben an die Wahrheit und die Unbesiegbarkeit der Liebe, aber auch den Widerstandsgeist, Missgunst und Neid. Die Textvorlage Zaglers gibt das ja alles her und verstellt nichts. Dessen Sprache ist linear und klar, ohne Schnörkel, allein in den wenigen Projektionen mehrerer Sprecher in gebundner Sprache den Chören altgriechischer Tragödie abgelauscht. Dagegen steht zuweilen eine pathosgeladene und ekstatische Haltung in der Dialogführung, so jene von Martin Radecke, der den Arzt Dr. Vögele verkörpert, oder auch in Teilen der ausgezeichnete Niklas Mitterberger, der den Serafin Gorfer spielt. Dagegen erfrischend zynisch und sprachlich geschliffen Thomas Lackner als Richter und Jasmin Mairhofer eindrucksvoll in den wenigen ästhetisch ansprechenden Passagen des Stückes. Insgesamt war es eine bemerkenswerte Premiere, in der, dank geschickter dramaturgischer Lösungen des Regisseurs, die historische Vorlage dem lebendigen Spiel im Wechselbad starker menschlicher Gefühle gewichen ist und so die Gefahr erstarrender Posen gebannt hat. © Alle Rechte vorbehalten 쮿 Termine: 11., 12., 15., 16., 17., 18., 19. August; Ersatztermine: 9., 13., 20., 23. August mit Beginn um 21 Uhr, Schloss Tirol, Vorburg 씰 Siehe auch Seite 7 Rebecca (Jasmin Mairhofer) kann ihren Mann, den Dr. Vögele (Martin Radecke), nicht mehr lieben... Nur für schwieriges Publikum Riki Gelf „Langsam, Wozzeck, langsam“ THEATER: Der Verein „Freiluft“ spielt „Popeye und die unkaputtbare Schatzkiste“ SALZBURGER FESTSPIELE: Bergs „Wozzeck“ als Bildrätselendspiel von Kentridge ON C.F.P ICHLER AUS S ALZBURG . .V................................................. Bunte Kostüme und Livemusik bringen nicht nur Kinderaugen beim „Freiluft“-Theater zum Leuchten. ON L INDA S CHWARZ .V................................................. . MERAN. Warum ist dein Gesicht grün angemalt? Warum hast du einen so dicken Bauch? Kinder sind schamlos ehrlich und das wohl schwierigste Publikum, das man sich vorstellen kann. Ist ein Stück langweilig, fangen sie an zu schwätzen oder stehen auf und gehen. Deshalb ist es für den Verein „Freiluft“ immer wieder eine große Herausforderung, ein spannendes und für die ganze Familie passendes Theaterstück unter freiem Himmel zu inszenieren. In diesem Sommer hat es den Veranstaltern der Spinat-essende Popeye angetan, der tapfer allerlei Abenteuer übersteht. „Popeye und die unkaputtbare Schatzkiste“ ist ein Kassenschlager: Ausverkaufte Vorstellungen, strahlende Kinderaugen und schmunzelnde Eltern sind Beweis dafür. Sichtlich stolz darauf ist auch Gabriela Renner, Gründungs- mitglied von „Freiluft“. Vor 4 Jahren startet sie mit 3 Kolleginnen das Pilotprojekt. Freiluftspiele gibt es in Südtirol am Ritten, in Lana, im Unterland und seit gestern auch in Dorf Tirol jedoch immer nur für ein erwachsenes Publikum. Renner erkannte die Lücke und spielt nun schon das 4. Jahr erfolgreich auf Schloss Rametz in Meran Theater für die ganze Familie. „Wir haben den Schritt gewagt und nach positivem Feedback durchgesetzt“, sagt sie. Das Theater soll nicht als Kindertheater abgestempelt werden, sondern ist auch für Eltern spannend. Darin besteht auch die größte Schwierigkeit für „Freiluft“: „Man muss ein Stück auf die Bühne bringen, das sowohl den Kleinen als auch den Großen Tränen vor Lachen in die Augen treibt. Schließlich entscheiden die Eltern, ob sie mit ihren Kindern ins Theater gehen wollen oder nicht.“ Auch der Bildungsfaktor ist für Renner sehr wichtig: „Kinder sollten das unmittelbare Agieren direkt vor ihrer Nase kennenlernen und nicht nur jenes auf dem Handy und im Fernsehen“. Und tatsächlich scheinen die Jungen das Theater zu lieben. Renner erzählt, wie leidenschaftlich bei den live performten Liedern auf der Bühne mitgesungen wird und, wie fasziniert die Kinder von den bunten Kostümen der Figuren sind. Doch auch die Eltern scheinen begeistert zu sein, und es gibt mittlerweile sogar ein kleines Stammpublikum. Konzept geglückt – dennoch, gibt es einen Wermutstropfen: „Nur 6 teils Profi-Schauspieler stehen auf der Bühne, denn für mehr langt das Geld nicht“, so Renner. 쮿 Termine: „Popeye und die unkaputtbare Schatzkiste“ noch am 10., 11., 12. und 13. August jeweils um 19 Uhr auf Schloss Rametz. Ersatztermin bei Regen: 14. August. © Alle Rechte vorbehalten SALZBURG. Wenige Jahre nach der Vollendung seiner Jahrhundert-Oper „Wozzeck“ sagte Alban Berg: „In dem Moment, da ich mich entschloss, eine Oper zu schreiben, hatte ich kein anderes Vorhaben, als dem Theater zu geben, was des Theaters, das heißt die Musik als solche zu artikulieren, dass sie als Dienst am Drama bewusst ist.“ Das bedeutete aber keineswegs, dass Berg beabsichtigte, der Musik eine zweitrangige Ordnung zu geben, denn: „Ich stellte mich vor ein Problem, das nicht anders gelöst werden konnte als durch die musikalische Architektur und nicht durch die Dramaturgie!“ Der metaphorische Erfahrungswert dieses Postulates wird vom Universalkünstler William Kentridge in der Neuninszenierung dieser Jahrhundertoper im 1. Weltkrieg als wuchtiges BildrätselEndspiel angesiedelt. Mit unzähligen Projektionen, Installationen, Videos, Schattenspielen, die sich neben haufenweise (Müll)Requisiten auf die ganze Bühne ausweiten, vollziehen gezeichnete Parabeln leider auch handlungshemmende Zwischenwelten auf flackrig bebilderten Stegen, Gestühl und Holztreppen. Das Dilemma dieser an sich emotionalen und sehr guten Inszenierung besteht darin, dass die Charaktere im sich ständig bewegenden Bilderraum einfach karikiert, zugedeckt werden, sodass es mühsam ist, den überaus kurzen und extrem wichtigen Dialogen zu folgen. In den naturgemäß kurzen, raschen Szenenfolgen werden Milieus bedeutsam, so etwa wenn Wozzeck den Hauptmann nicht rasiert: „Langsam Woz- Unüblich: Wozzeck (Matthias Goerne) mit Asmik Grigorian (Marie). zeck, langsam“, sondern ihm Kriegsfilme vorführt, oder wenn Wozzeck in einem Kabinett vom Doktor drangsaliert wird. Ansonsten spielt alles im offenen Bühnenraum, und der ist vom Krieg geschändet, so will es Kentridge, der ja sagte, dass sich die Psychologie dieser Menschen durch die Musik ausformt. Na also, dann zur Musik, denn ich meine, die ist in dieser Bildersuada vortrefflich, wenn die Wiener Phliharmoniker intensiv und klangprächtig unter dem etwas vorsichtigen Dirigenten Vladimir Jurowski spielen. Auch der Staatsopernchor, der Kinderfestspielchor und die Bühnenmusiker sind maßstabgebend, wenn sie sich den Solisten musikszenisch angleichen, wobei die Wirtshausszenen mit dem Chiaro-Scuro (Licht)Effekten durch Kentridge auffällig gut sind. Der uneingeschränkte „Wozzeck“-Jubel gilt auch allen Sängern, wobei Asmik Grigorian aus Litauen eine naive, quirlige und stimmlich eine ausgezeichnete Marie im blutroten Kleid darstellt. Soldatisch, untertänig, verzweifelnd endspielhaft ausgefranst, dramatisch und nobel zugleich, gestaltet Matthias Goerne den Wozzeck, wenn er bei dieser wohl schwierigsten Baritonrolle überhaupt in jeder Phase seine unvergleichliche Gesangkultur als „altro modo di cantare, che l’ordinario “ (Monteverdi) eben „anders als gewöhnlich, als üblich“ – das gilt auch für den neuen Intendanten Hinterhäuser – sensationell zum Klingen bringt. © Alle Rechte vorbehalten