Wohnreportage Languedoc Domizil in der Destillerie Text : Martina Hunglinger, Übersetzung: Katrin Ambühl Fotos: Mads Mogensen Wohnrevue 5 2013 Wohnrevue 5 2013 Einst wurden hier Obstschnäpse gebrannt. Heute sind die Räume ein Refugium für eine dänische Familie. Bis aus der alten Brennerei in Südfrankreich ein Ferienhaus der besonderen Art geworden ist, brauchte es allerdings einige Eingriffe. Das Herzstück des hallenartigen Raums bilden die zwei fünf Meter hohen Palmen. Sie sollen einen Hauch Piazza-Atmosphäre ins Haus bringen. Im Erdgeschoss sind die Küche und der Essbereich platziert. Rechte Seite: Milo, Jannik, Nicola, Samson und Louis Larsen (von links). 55 Wohnreportage Languedoc Designer. Beim ersten Besuch staunte Larsen über die Dimensionen des Gebäudes, das 1920 gebaut wurde: ein riesiger Raum mit einem Grundriss von 10 mal 13 Metern und einer Höhe von 11 Metern. Dank des hallenartigen Interieurs hatten die neuen Besitzer alle Freiheiten in der Innenraumgestaltung. Das Herz des Hauses bilden heute zwei riesige, fünf Meter hohe Palmen. Sie sollen Orientierungspunkt im offenen Innenraum sein und dem Ferienhaus die Aura eines Stadtplatzes geben. «Dazu fehlen nur noch Briefkästen und Männer in Berets, die Boule spielen», scherzt die neue Hausherrin. Um die Palmen herum ist das Erdgeschoss komplett offen und im Loftstil gestaltet. Eine Zone ist leicht erhöht. Ein Element, das die Besitzer vom ursprünglichen Raumkonzept übernommen haben. Dieses Podest gibt dem Raum Struktur und dient heute als Ruhezone und als Verbindungselement zum oberen Stockwerk. Auch die Küche und der Essbereich sowie zwei Gäste- 56 zimmer liegen im Erdgeschoss. Neben den Palmen sorgen die Farben für mediterrane Stimmung. Auf der unteren Etage sind das vor allem das kräftige Blau der Küche und die verschiedenfarbigen Stühle, die das Paar an einem lokalen Garage Sale gekauft hat. Mit dem Bagger direkt ins Haus Der Umbau gestaltete sich abenteuerlich. Schliesslich gibt es nicht viele Innenarchitekturprojekte, bei denen der Bagger und der Lastwagen bequem ins Haus hineinfahren können. Genau das war bei diesem Projekt der Fall. Jannik Larsen war während des gesamten Umbaus vor Ort in Thézan-lèsBéziers. «Der spannendste Moment war, als das riesige Loch in die Zwischendecke geschnitten wurde», sagt Larsen. «Plötzlich hatten wir diesen 11 Meter hohen Raum. An diesem Abend waren wir im Haus. Regen fiel durch das undichte Dach, und der Mond schien durch die Öffnungen ohne Fensterglas.» Wohnrevue 5 2013 Das Languedoc-Roussillon ist ein Geheimtipp für Frankreichfans. Feinsandige Strände, vom Weinbau geprägte Hügellandschaften, tief eingeschnittene Schluchten und die Hochgebirgslandschaft der Pyrenäen gehören zu den Attraktionen der Provinz. Diesen Reizen ist auch eine dänische Familie erlegen. Jannik und Nicola Larsen verbrachten vor einigen Jahren mit ihren drei Söhnen Milo, Samson und Louis ihre Ferien im Languedoc. «Wir verliebten uns in das breite Freizeitangebot und in das wundervoll trockene Klima, deshalb begannen wir, uns nach Ferienhäusern umzuschauen», sagt Jannik Larsen, Interior Designer und Möbelbauer. Den Tipp für das Haus in Thézan-lèsBéziers erhielt er von einem Freund, der wenige und nicht besonders gute Fotos an Larsen mailte. Trotz des dürftigen Materials erkannte Larsen sofort das Potenzial des Objekts. «Mir gefielen das rote Ziegeldach und die Hausform, die ein bisschen einer dänischen Kirche ähnelt», so der Interior Wohnrevue 5 2013 Der verblasste Schriftzug an der Fassade erinnert noch an den ursprünglichen Zweck des 1920 erstellten Gebäudes. Das obere Stockwerk ist galerieartig um die fünf Meter hohen Palmen angelegt. Die von den Kindern gestalteten Filzstoffbahnen sind einerseits Dekoration und dienen andererseits als Schallschutz. Das Sofa ist ein Stück vom Flohmarkt und wurde mit Silberfarbe bemalt und neu bezogen. Wohnreportage Languedoc Wohnreportage Languedoc Wohnreportage Languedoc Wohnrevue 5 2013 Wohnrevue 5 2013 Wohnreportage Languedoc Linke Seite: Blick von der Galerie ins Erdgeschoss hinunter, wo neben Koch- und Esszone genug Platz zum Spielen bleibt. Rechte Seite: Die Büroecke auf der oberen Etage ist mit einem Tisch aus der Feder von Jannik Larsen ausgestattet. Der Stuhl ist ein Erbstück, das Larsen mit einem neuen, fahrbaren Untergestell modernisiert hat. 58 59 Wohnreportage Wohnreportage Languedoc Languedoc Im Die Erdgeschoss zeugt die alte Früchtewaage noch vom vorherigen des Gebäudes. Auf dieserdes Ebene befinden sich neben Küche und Küche und der Essbereich liegen im Erdgeschoss. Die beidenZweck Palmen bilden den Mittelpunkt Hauses und sollen Piazza-Feeling Essraum auch zwei Gästezimmer. verbreiten. Wohnrevue 5 2013 Wohnrevue 5 2013 Das Podest ist mit grossen Kissen ausgestattet und dient als Chill-out-Zone für die Kinder. Von hier führen auch die Treppen, die Jannik Larsen gestaltet hat, zur oberen Etage. Die obere Etage führt wie eine Galerie rund um den ganzen Raum herum. Zwei Metalltreppen, die der Besitzer selbst gestaltet hat, führen vom unteren Koch- und Essraum hinauf in die obere Ebene. Hier befinden sich ein Büro, eine Bibliothek und zwei Schlafzimmer. Natürlich bietet die obere Ebene auch viel Spielfläche. «Es ist cool, von oben Papierflugzeuge oder Fallschirme ins EG hinuntersausen zu lassen», sagt der älteste Sohn Milo. Und sein jüngerer Bruder Louis ergänzt schelmisch: «Wir können hier toll Fussball spielen, obwohl wir das eigentlich nicht dürften.» Aber etwas gibt es nicht hier: einen Fernseher. «Dafür haben wir alle möglichen Arten von Spielen, und wir machen einfach das, worauf wir im Moment gerade Lust haben. Überhaupt leben wir hier sehr im Moment», sagt Nicola Larsen. Kräftige Farben ziehen sich durch das ganze Haus. Speziell sind auch die riesigen bunten Filzstoffbahnen, die schalldämpfend wirken und Geborgenheit ins ehemalige Industrie- gebäude bringen. Die Textilien wurden von den drei Kindern bemalt und sind wie Kunstwerke aufgehängt. «Das Haus ist auch eine Hommage an alles Französische», sagt der Hausbesitzer. Bis auf die Betten, die von Ikea stammen, sind sämtliche Möbel französische Stücke, die Larsen auf lokalen Flohmärkten oder in Läden in der Region aufgespürt und zum Teil restauriert hat. Zum Beispiel das alte Sofa, das einen neuen, knallroten Samtbezug bekommen hat und heute im oberen Geschoss steht. Eigenentwürfe von Jannik Larsen ergänzen die Möblierung, etwa die skulpturalen Holzsessel im Untergeschoss. Die Grosszügigkeit und die unkomplizierte Einrichtung geben dem Ferienhaus seine spezielle, sympathische Ausstrahlung. Und natürlich das bald 100-jährige Gemäuer mit den grossen Bogenfenstern und der immensen Raumhöhe. An seinen ursprünglichen Zweck erinnern nur noch der blasse Schriftzug an der Fassade und die schwarze Früchtewaage, auf die die Trauben oder Aprikosen kamen, 61 bevor sie zu Schnaps gebrannt wurden. Ein kleiner Wermutstropfen ist, dass die Räume wegen ihrer Riesendimensionen praktisch unbeheizbar sind. Deshalb ist die alte Brennerei nur von März bis Oktober bewohnbar. Das stört die dänischen Besitzer aber nicht. Sie geniessen ihre Ferienzeit in Thézan-lès-Béziers, wo sie auch schon bestens integriert sind und den Nachbarn ab und zu mal dänische Schokolade schenken. $ Wohnreportage Languedoc Wohnrevue 5 2013 Wohnreportage Languedoc Wohnrevue 5 2013 Wohnreportage Languedoc Das Kinderzimmer ist mit einem Hochbett, das Jannik Larsen entworfen und gebaut hat, und mit einem Doppelbett ausgestattet. Nicht nur die Raumhöhe, auch die Tür zum Kinderzimmer ist überdimensioniert in diesem Haus. 62 63 Wohnrevue 5 2013 Wohnreportage Languedoc Die riesige Holzschiebetür ist ein schönes – und schweres – Überbleibsel aus vergangenen Zeiten. 64