Vulnerabilitätskonzepte bei psychischen Störungen

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­­ Vulnerabilitätskonzepte
bei psychischen Störungen
Zusammenfassung: Trotz intensiver Forschung in den letzten
Jahrzehnten ist die Suche nach der ¾tiopathogenese psychiatrischer Erkrankungen nach wie vor aktuell. In den letzten Jahren
gewannen Vorstellungen über die ¾tiopathogenese psychotischer Erkrankungen zunehmend an Bedeutung, die auf dem
Konzept der ¹Vulnerabilitätª in seinen verschiedenen Varianten
und Entwicklungen basieren. Dazu beigetragen haben vor allem die Veröffentlichungen von Zubin und Mitarbeitern zu einem ¹Vulnerabilitätsmodellª. Schizophrene Störungen entwickeln sich nach diesem Erklärungsmodell infolge von Reizen
oder Stressoren unter Modulation der sozialen und physikalischen Umwelt sowie in Abhängigkeit von der prämorbiden Persönlichkeit. Die hierbei zugrundeliegende erhöhte Vulnerabilität wird als Schwellensenkung des Individuums gegenüber Reizen (mit einem Defizit an Gegenregulationen) angesehen. Es
wird auûerdem von einer Multikausalität der Vulnerabilität ausgegangen, wodurch sich die Möglichkeit verschiedener Therapieansätze ergibt. Überdies wird hier, entgegen dem vorherrschenden Pessimismus, Schizophrenie sei eine prozesshaft fortschreitende Erkrankung, eine episodische Natur schizophrener
Psychosen mit einer langfristig durchaus günstigen Prognose
postuliert. Zubins Konzept der Vulnerabilität erfuhr in den letzten Jahren, obwohl dies oft nicht explizit genannt wird, zweifellos auch verschiedene Weiterentwicklungen (genannt seien
zum Beispiel das Vulnerabilitätsstressmodell von Nuechterlein
und Mitarbeitern sowie das integrative psycho-biologische
Schizophreniemodell von Ciompi). Erwähnt seien auûerdem
verschiedene neuere Konzepte der Systemwissenschaften (zum
Beispiel aus der Kybernetik, Synergetik, Chaostheorie, Kommunikationstheorie, Strukturdeterminismus u. a.), die sich um eine
Aufklärung des Psychoseproblems bemühen. Die Bewertung
zentraler neurophysiologischer Funktionsabweichungen bei
Schizophrenen und ihren Angehörigen orientiert sich bislang
vor allem an dem von Zubin und Nuechterlein vertretenen Vulnerabilitätsmodell, welches zeitlich relativ stabile Traitmarker
mit weitgehend unveränderter Ausprägung in prä-, intra- und
postpsychotischen Stadien, sowie Episodenmarker und intermediäre Marker unterscheidet. Spezifische Faktoren, die zur Pathogenese der schizophrenen Störungen beitragen, wurden
bislang jedoch nicht gefunden. Es gibt zudem noch eine Vielzahl von methodischen Problemen und Besonderheiten, um die
Erwartung an ein umfassendes Konzept zu erfüllen, mit dem
die ganze Komplexität des Auftretens, des Verlaufs und Ausgangs von Psychosen erklärt werden kann. Die Wiedereinfüh-
Fortschr Neurol Psychiat 2001; 69: 300 ± 309
Georg Thieme Verlag Stuttgart New York
ISSN 0720-4299
·
R. Stamm, K. E. Bühler
Würzburg
rung des Begriffes Vulnerabilität erfuhr sogar, wie es schon
Schmidt-Degenhardt formulierte ¹eine nahezu inflationär anmutende Verwendungsrenaissance und durchaus fragwürdige
Popularisierung ¼ ohne Bezug auf seine historischen Implikationen ¼ª. Daher scheint eine kritische Betrachtung der Anwendung dieses Begriffes notwendig zu sein.
Conceptions of Vulnerability in Mental Disorders: Despite
intensive research in recent decades, the search for the aetiopathogenesis of psychiatric diseases is just as relevant as ever.
In recent years, ideas of the aetiopathogenesis of psychotic diseases based on the concept of ªvulnerabilityº in its diverse variations and developments have been gained increasingly
ground. The publications of Zubin and associates above all have
contributed to a ªvulnerability modelº. According to this descriptive model, schizophrenic disturbances develop as a result
of stimuli/irritants or stress factors under modulation of the social and physical environment as well as dependent on the premorbid personality. The increased vulnerability which gives rise
to this is perceived as a threshold descensus of the individual
towards stimuli/irritants (with a deficit counter ± irritants impulses). Apart from that, multi-causality of vulnerability is
assumed as the starting point, whereby there is the possibility
of several therapy approaches. Moreover, contrary to the prevailing pessimistic view that schizophrenia is a process-type
progressive disease, an episodic nature of schizophrenic psychoses is postulated with a prognosis that is indeed positive in
the long term. In recent years, although often not explicitly stated, Zubins concept of vulnerability was also indubitably subjected to various further developments (the vulnerability stress
model by Nuechterlein and associates as also the integrative
psycho-biological schizophrenia model by Ciompi may serve as
examples). Worth mentioning are also various new concepts
from system sciences (such as those from cybernetics, synergetics, the chaos theory, the communication theory, structure determinism etc.), which endeavour to clarify the problem of psychosis. The evaluation of central neurophysiological function
deviations with schizophrenics and their relations has so far been oriented above all towards the vulnerability model of Zubin
and Nuechterlein, which differentiates temporarily relatively
stable trait markers with generally unaltered expressivity at the
pre-, intra-, and post-psychotic stages as well as episode markers and intermediate markers. However, specific factors contributing to the pathogenesis of schizophrenic disturbances have not as yet been found, in addition, there is still a multitude
of methodological problems and distinctive features to fulfil
the expectation of a comprehensive concept with which the
whole complexity of the occurrence, the progress, and the out-
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300 ORIGINALARBEIT
Vulnerabilitätskonzepte bei psychischen Störungen
come of psychoses can be explained. Reintroduction of the concept of vulnerability experienced, as Schmidt-Degenhardt put
it, ªa renaissance in use that appeared almost inflationary and
a completely dubious popularisation ¼ without reference to its
historical implications¼º. Consequently, a critical view of the
use of this term would appear to be necessary.
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Unschärfe einher, die mit einer Uneinheitlichkeit und Heterogenität hinsichtlich seiner Auslegung verbunden ist. So wird
der Vulnerabilitätsbegriff häufig ohne Bezug und vermutlich
auch in Unkenntnis des Zubinschen Modells verwendet.
Geschichtliche und definitorische Aspekte
Einleitung
Trotz intensiver Forschung in den letzten Jahrzehnten ist die
Suche nach kausalen Faktoren, die das Erkrankungsrisiko für
psychiatrische Erkrankungen oder wenigstens die Manifestation der Symptome erklären würden, unvermindert aktuell
[1 ± 3]. Die Frage nach der Ursache psychiatrischer Störungen
stellt somit nicht nur ein theoretisches Problem, sondern vor
allem auch ein praktisches Anliegen dar. So könnte das
Wissen um die Ursachen eine verbesserte Therapie, Rehabilitation und vor allem eine primäre Prävention ermöglichen.
Weitgehende Übereinstimmung besteht heute darin, dass bei
der Entwicklung psychiatrischer Störungen von einer Ursachenkette ausgegangen werden kann. Man spricht daher
auch von Multikausalität beziehungsweise multifaktorieller
Entstehung [3 ± 12].
Die derzeit international am meisten anerkannten Vorstellungen über die ¾tiopathogenese psychotischer Erkrankungen
wurden während der letzten 20 Jahre vor allem durch das
Konzept der ¹Vulnerabilitätª in seinen verschiedenen Varianten und Entwicklungen geprägt [7, 8,13 ± 18]. Dabei waren es
insbesondere Veröffentlichungen von Zubin und Mitarbeitern
[4, 5] zu einem ¹Vulnerabilitätsmodellª, die das Interesse
erneut auf die Vulnerabilitätsthematik gelenkt haben.
Dieses Konzept, das ursprünglich zur Schizophreniegenese
entwickelt worden ist, wurde in den letzten Jahren zunehmend
erweitert bzw. auch auf die Genese anderer Formen psychischer Störungen übertragen [13,17,19, 20]. Der gegenwärtig
zunehmende Einfluss des Vulnerabilitätskonzepts zeigt fernerhin ein Abrücken vom fragwürdig gewordenen Denkschema
des Endogenitätsparadigmas. Eine wichtige Konsequenz des
Vulnerabilitätskonzepts ist, dass entgegen dem vorherrschenden Pessimismus von einer langfristig durchaus günstigen
Prognose hinsichtlich des Verlaufs psychotischer Störungen
ausgegangen wird. Das derzeitig groûe Interesse am Vulnerabilitätskonzept ist nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen,
dass auf eine eingleisige Kausalität verzichtet beziehungsweise
von einem Wechselspiel verschiedener Faktoren, wie genetische, biologische, hirnorganische, entwicklungs-, stressbedingte oder psychogene, bei der Pathogenese psychotischer
Erkrankungen ausgegangen wird, wodurch sich die Möglichkeit verschiedener Therapieansätze ergibt.
Es existiert jedoch noch eine Vielzahl von methodischen
Problemen und Besonderheiten, um den Erwartungen an ein
umfassendes Konzept, mit dem die ganze Komplexität des
Auftretens, des Verlaufs und Ausgangs von Psychosen erklärt
und nachvollziehbar gemacht werden kann, gerecht zu werden. Wie zudem die Durchsicht der Literatur zeigt, geht jenes
Ansteigen in der Anwendung des Vulnerabilitätsbegriffs in
letzter Zeit sogar mit einer eher zunehmenden inhaltlichen
In Heyses ¹Allgemeines Fremdwörterbuchª, im Jahre 1835
erschienen, wird Vulnerabilität als ein medizinischer Terminus bezeichnet, der wahrscheinlich in der Medizin der
Aufklärungszeit im 18. Jahrhundert geprägt wurde. Die Schöpfung des Substantivs ¹Vulnerabilitasª wurde vermutlich durch
den Bedeutungswandel des viel älteren Adjektivs ¹vulnerabilisª möglich, das bei dem Arzt Caelius Aurelianus (5. Jahrhundert nach Christus) noch in aktivischer Hinsicht verwendet wird (vulnerabilis materia = verletzender Stoff), dann
aber etwa seit dem 16. Jahrhundert eine passivische Bedeutung erfährt (in verletzlich, verwundbar) [22].
In einem sehr allgemeinen Definitionsansatz kann heute unter
Vulnerabilität eine in der Person verankerte, genetisch, biochemisch oder auch durch Geburtstrauma bedingte Disposition, Anfälligkeit oder Sensibilität verstanden werden [13].
Die Wiedereinführung dieses Begriffes erfuhr, wie SchmidtDegenhard [21] darlegt, ¹eine nahezu inflationär anmutende
Verwendungsrenaissance und durchaus fragwürdige Popularisierung ¼ ohne Bezug auf seine historischen Implikationen ¼ª.
So wird der Begriff Vulnerabilität in verschiedenen Teilbereichen, wie zum Beispiel in der Psychophysiologie und der
Sozialpsychologie, verwendet. Dabei wird dieser einmal als
¹unspezifische Ich-Prädispositionª [23] und ein andermal als
ein für Schizophrenie ¹spezifischer Zugª [24] verstanden.
Ferner wurden Hypothesen über eine affektive und bei so
genannten schizoaktiven Psychosen zu beobachtende spezifische Vulnerabilität [25] aufgestellt, wobei Vulnerabilität zur
Bezeichnung spezifischer Krankheitsdispositionen aufgefasst
wird. Daneben wird er auch als eher uncharakteristische
Dispositionsmatrix unterschiedlicher psychischer Erkrankungen verstanden, vergleichbar dem ebenfalls ätiologisch unspezifischen Begriff der Degeneration [21]. Fernerhin wird bei
Depressionen neben einem psychosozialen Anteil interpersoneller Dynamik auch von einem biologischen Anteil endogener Vulnerabilität gesprochen [26]. In einer weiteren Studie
nennen Pfeifer et al. [27] auûerdem eine dissoziative Vulnerabilität, die sich durch langdauernde Extremtraumata in der
frühen Kindheit entwickelt und bis ins Erwachsenenalter
bestehen bleiben kann, wodurch es zu Störungen mit multipler Persönlichkeit kommt.
Wie überdies Shepherd [28] angibt, können im Verlauf der
Sozialisation, neben dem Risiko für eine psychische Störung
(Prädisposition), sowohl zusätzlich schädigende (vulnerabilisierende, wie negative Familienmuster, somatische Erkrankungen) als auch schützende (protektive) Faktoren hinzukommen. Dabei wird das Ergebnis der Wechselwirkungen als
Vulnerabilität (Verletzlichkeit, Anfälligkeit) für psychische
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Eine einheitliche und allgemein anerkannte Definition für den
Vulnerabilitätsbegriff existiert bislang nicht [13, 21].
Störungen im Allgemeinen oder im Speziellen (für bestimmte
Erkrankungen) verstanden.
Die zunehmende definitorische Unschärfe des Vulnerabilitätsbegriffs in der gegenwärtigen Literatur findet ferner auch
Ausdruck in den begrifflichen Überschneidungen mit den
Begriffen ¹Dispositionª, ¹Diatheseª, ¹Verletzlichkeitª oder
¹Verletzbarkeitª und ¹Verwundbarkeitª.
Die Begriffe ¹Dispositionª und ¹Diatheseª bezeichnen eine
allgemeine Denkfigur, die auf jegliche Entwicklung ihre
Anwendung finden kann. Schon in der antiken Philosophie
wurde ihnen die Bedeutung von ¹Anlageª bzw. ¹Veranlagungª
zugesprochen [29]. Sie umfassen den Problembereich der
¾tiologie und Pathogenese, wobei zu dem thematischen
Bereich verwandte Begriffe wie Konstitution, Habitus (als
morphologischer beziehungsweise gestalthafter Ausdruck),
Reizbarkeit und auch Vulnerabilität gehören [21]. Eine Disposition kann aber nicht empirisch erfasst, sondern nur aus
ihren Wirkungen ¹a posterioriª erschlossen werden. Sie wird
daher auch als eine ¹virtuelle und potenzielle Gröûeª bezeichnet, die als apriorische Bedingung des Werdens tatsächlicher
Sachverhalte spekulativ vorausgesetzt wird [30].
Was die Vulnerabilität und Verletzlichkeit betrifft, so handelt
es sich Schmidt-Degenhard [21] zufolge zwar um Begriffe, die
eine gemeinsame thematische Relevanz besitzen; doch scheinen sie durchaus bedeutungsverschiedene Termini zu sein,
wie ein begriffs- und problemgeschichtlicher Diskurs zeigt.
Wie Freedman et al. [31] angeben, beinhaltet die Verletzlichkeit eines Menschen im Gegensatz zum wertneutralen Dispositionsbegriff einen negativen Wertakzent, d. h. ¹die Vorstellung von etwas Unerwünschtemª. Seelische Verletzung
bedeutet demnach eine erhöhte Gefährdung des Menschen,
seelische Störungen zu erleiden. Im Alltagsumgang ist sie
¹irgendwie subjektiv erspürbarª bzw. als ¹Erlebnis-Sachverhaltª zu verstehen und somit als ¹Ausdrucks-Begriffª zu
bestimmen [32].
Einen hinsichtlich der Verletzungsfolgen unbestimmten Begriff formulierte Fahrenberg [33] mit dem Terminus der
¹individuellen psychophysischen Vulnerabilitätª. Danach sind
einige Menschen durch bestimmte Verletzlichkeitsursachen
verletzlicher als andere, wobei eine auf diese bestimmten
Verletzlichkeitsursachen abgestimmte Disposition angenommen wird. Dies beinhaltet, dass die Merkmale von Verletzlichkeit nicht allein als Eigenschaften des verletzlichen Menschen, sondern nur gebunden an die Beziehung zwischen
diesem und dem ihn verletzenden Agens bestimmt werden
können.
Der ideengeschichtliche Ursprung des Vulnerabilitätsbegriffs
lässt sich nach Schmidt-Degenhard [21] auf die Theorienbildung zum Problem der Reizbarkeit zurückführen.
Nach Hirschberg [34] sei allerdings eingewandt, dass der
Begriff der Vulnerabilität von Schmidt-Degenhard [21] ideengeschichtlich in erster Linie nur anhand von Begriffen expliziert worden ist, welche die passive ¹Empfänglichkeitª des
Individuums für psychische Störungen betonen und in ätiologischer Hinsicht unter dem Paradigma der Reaktivität stehen.
Aus anderen medizinhistorischen Arbeiten (wie von Tsouyo-
Stamm R, Bühler KE
poulos [35], Uexküll und Wesiack [36]) ist jedoch zu entnehmen, dass diese Darstellung insofern unvollständig ist, da z. B.
Brown in seinem im Jahre 1780 erschienenen Werk ¹principia
medicinaeª den bereits zuvor gebräuchlichen Begriff ¹irritabilitasª dem von ihm neu eingeführten Begriff ¹incitabilitasª
gegenüberstellte, der in der deutschen Übersetzung durch A.
Röschlaub als ¹Erregbarkeitª bezeichnet wurde [34]. Während
Reizbarkeit (irritabilitas) die passive Reaktionsfähigkeit eines
Organismus auf einen äuûeren Reiz bedeutet, wird als Erregbarkeit (incitabilitas) das Verhältnis von Rezeptivität und
Aktivität des Organismus verstanden, das heiût, dass lebende
Organismen über eine primäre bzw. äuûeren Reizen vorgängige Aktivität verfügen, infolge derer sie Informationen aus
der Umwelt gemäû ihren jeweiligen Bedürfnissen auswählen,
modifizieren und verarbeiten können. Krankheit entsteht
dann, wenn dieses Verhältnis nach der einen oder anderen
Seite verschoben ist [35, 36]. Im Einklang mit dieser Konzeption steht Hirschberg [34] zufolge auch die Ansicht, dass die
Entstehung psychischer Störungen häufig nicht allein durch
eine erhöhte Irritabilität bzw. Vulnerabilität für belastende
Ereignisse, sondern oft vielmehr durch eine geminderte
Fähigkeit zur aktiven Bewältigung von ¹life eventsª erklärt
werden kann [35, 36].
Hirschberg [34] kommt daher zu der Auffassung, dass die von
Schmidt-Degenhard [21] diskutierten erkenntnistheoretischen und empirischen Probleme wahrscheinlich am ehesten
dadurch gelöst werden könnten, wenn bezüglich der Theorienbildung zum einen künftig das ¹incitabilitasª- anstelle des
¹irritabilitasª-Konzepts weiter aufgegriffen würde, zum anderen auf der empirischen Ebene pathogene und insbesondere
protektive Faktoren genauer als bisher erforscht und in ihrer
Wechselbeziehung analysiert werden würden.
Wie darüber hinaus Olbrich [7] anführt, läût sich kaum
treffender formulieren, was man heute mit dem Vulnerabilitätsbegriff zum Ausdruck bringen will, wie es Griesinger
bereits im Jahre 1845 mit folgenden Worten ausführte: ¹Erwägt man die auûerordentliche Häufigkeit aller schädlichen
Einflüsse, welche als Ursachen der Geisteskrankheiten angegeben werden und ihre doch verhältnismäûig seltene Entstehung aus denselben, so wird man mit Nothwendigkeit zur
Annahme geführt, dass es gewisser vorbereitender Umstände
bedürfe, damit in den einzelnen Fällen überhaupt Erkrankung
und gerade diese Erkrankung eintrete, dass eine gewisse
Empfänglichkeit und Disposition zu solchen Krankheiten den
± zuweilen wenig intensiven ± erregenden Ursachen entgegenkommen müsseª [37].
Den Versuch, Vulnerabilität in einen allgemeinen biologischen Rahmen als funktionelle dynamische Störung zu konzeptualisieren, unternahm Virchow in seinem im Jahre 1854
erschienen Werk. Dabei postulierte er das HomoiostasePrinzip des Organismus, was besagt, dass ¹der Körper eine
groûe Zahl regulatorischer Einrichtungenª besitzt, welche die
Ausgleichung von Störungen möglich machen. Die ¹Praedispositionª wird dabei sowohl für die Störung als auch für die
Ausgleichung derselben verantwortlich gemacht. Vulnerabilität bedeutet hingegen eine Störung der Selbstregulationsfähigkeit des Organismus, die der Erkrankung ihren Manifestationsweg bahnt. So sind manche Körper mehr vulnerabel
und daher zur Regulation weniger disponiert, dagegen andere
widerstandsfähiger oder härter, die somit eine gröûere Regu-
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302 Fortschr Neurol Psychiat 2001; 69
lationsfähigkeit, eine bessere ¹Heilkraftª besitzen [38]. Diese
Aussage entspricht nahezu der heuristischen Grundannahme
von Zubin und Spring [4], eines Defizits an Gegenregulation,
die der Organismus normalerweise bei Störungen in Gang
setzt.
¾hnlich wie Zubin und Spring [4] fasste bereits Berze [39]
Vulnerabilität als eine allen Menschen in unterschiedlicher
Ausprägung zukommende Eigenschaft auf. Dabei sind ¹die
Disponierten in dem Maûe stärker gefährdet ¼, als eben ihre
Vulnerabilität über das durchschnittliche Maû hinausgehtª,
während umgekehrt bei entsprechender Stärke der Noxen
¹auch bei durchschnittlicher Vulnerabilität eine schizophrene
Symptomatik auftretenª könne [39]. Berze vermutete zunächst im ¹Wesen der Dispositionª zur Psychose eine in der
¹abnormen Anlage begründete erhöhte Vulnerabilität des
subkortikalen Tonusregulatorsª [40] und später allgemeiner
¹des psychocerebralen Systemsª [39]. Als ¹über die Norm
hinausgehende funktionelle Ansprechbarkeitª finde diese
ihren seelischen Ausdruck in einer ¹gesteigerten apperzeptiven Irritabilitätª, einer ¹psychischen Hyperalgesieª, die das
Ergebnis einer primär ¹in der Sphäre des denkenden Bewuûtseins und der Wahrnehmungª (eine kognitive Störung im
heutigen Sinne) sei.
Auûerdem sei darauf hingewiesen, dass Berze in einem rein
psychopathologischen beziehungsweise charakterologischen
Bezügen gewidmeten Abschnitt seiner im Jahr 1925 erschienenen Arbeit von der ¹erhöhten Verletzlichkeitª schizoider
Menschen spricht und somit diesen Begriff einem von Vulnerabilität unterschiedlichen Bezugsrahmen zuordnet.
Nach Berze verschwand dann der Begriff der Vulnerabilität
zunächst weitgehend aus der psychiatrischen Literatur, bis
das Interesse an den dispositionellen Voraussetzungen psychotischer Erkrankungen ± veranlasst vor allem durch die
Veröffentlichungen von Zubin und Spring [4] und Zubin und
Steinhauer [5] zum Vulnerabilitäts-Stress-Modell ± in starkem Maûe erneut aufgekommen ist.
Zubins Vulnerabilitätskonzept und seine
Weiterentwicklung
Das Vulnerabilitätskonzept von Zubin und Mitarbeitern stellt
ein Erklärungsmodell dar, mit dem unter Berücksichtigung
des vorhandenen Wissens und einzelner ¾tiologiemodelle
versucht wird, das schizophrene Geschehen verständlich zu
machen.
Die zugrundeliegende erhöhte Vulnerabilität einer schizophrenen Störung wird hierbei als Schwellensenkung des
Individuums gegenüber Reizen definiert. Diese Reize werden
dadurch zu Stressoren, die psychotisches Geschehen auslösen
können. Als Ursache, dass Reize auf einem relativ niedrigen
Stimulusniveau zu einer Psychosereaktion führen, wird ein
Defizit an Gegenregulationen gesehen, die der Organismus
üblicherweise bei Störungen seines ¾quilibriums in Gang
setzt. Als Reize bzw. Stressoren werden dabei hauptsächlich
exogene (soziale) Faktoren (so genannte ¹life eventsª) in
Betracht gezogen. [4, 5]. Daneben können auch ± wie in der
Veröffentlichung von Zubin et al. [6] eingeräumt wird ±
endogene Stimulierungen, z. B. im Sinne biochemischer Veränderungen, infrage kommen. Neben Vulnerabilität und
Fortschr Neurol Psychiat 2001; 69 303
Stressoren gehören noch Moderationsvariablen zu den konstituierenden Gröûen des Modells. Von diesen hängt es ab, ob
durch eine konfrontative Reizbindung eine psychotische
Episode bei einem vulnerablen Individuum zur Auslösung
gebracht wird. Dabei werden vor allem zwei Moderatorvariablen, wie das soziale Netzwerk des Individuums und seine
prämorbide Persönlichkeit, in Betracht gezogen. Das prämorbide Funktionsniveau umfasst den Bereich Kompetenz und
¹Copingª, d. h. ein Bewältigungsrepertoire, welches in schwierigen Situationen zur Verfügung steht (Kompetenz) und zielgerecht eingesetzt wird (Coping). Schizophrene Störungen
entwickeln sich danach durch Stressoren unter Modulation
der sozialen und physikalischen Umwelt (z. B. unterstützende
Ressourcen) sowie in Abhängigkeit von der prämorbiden
Persönlichkeit im Sinne eines für die Bewältigung belastender
Situationen zur Verfügung stehender Bewältigungsrepertoires.
Eine wichtige Konsequenz des Vulnerabilitätsmodells ist
auûerdem, dass mit ihm die Vorstellung, die Schizophrenie
sei eine prozesshaft fortschreitende Erkrankung, aufgegeben
wird. An Stelle dessen wird eine episodische Natur schizophrener Psychosen postuliert, wonach die manifeste schizophrene Erkrankung ein vorübergehendes, vereinzeltes oder
wiederholt auftretendes Ereignis mit durchaus günstiger
Prognose darstellt. So kann beim Wegfall der Stressoren der
krankhafte Zustand wieder in einen stabilen übergehen [4, 5].
Die auch heute noch zu beobachtenden chronischen Verläufe
wurden, wie Küchenhoff und Hell [3] konstatieren, von Zubin
und Mitarbeitern allerdings ungenügend berücksichtigt.
Wenn man sich aber den Autoren zufolge ¹vor Augen hält,
dass es sich eben um ein Modell handelt, so hilft es doch,
komplexe Fakten unter einheitliche Perspektiven zu bündeln
und die verschiedenen Behandlungsansätze praxisgerecht
einzuordnenª.
Zubin und Mitarbeiter betonen überdies die Relevanz ¹nongenetischerª Faktoren in Bezug auf die Entstehung von
Vulnerabilität. Anders ausgedrückt bedeutet dies, das Vulnerabilität multikausal angelegt ist. Überlegungen zum genetischen Modell, wonach bestimmte Kombinationen von Erbfaktoren, der so genannte ¹Genotypusª, über bislang nicht
bekannte Schritte zu einer schizophrenen Psychose führen
sollen, sind zwar nach Zubin und Mitarbeiter weitgehend
unumstritten, doch ist auch ein ¹look beyond geneticsª erforderlich, zumal wie genetische Studien wiederholt aufzeigten, schizophrene Zustandsbilder entstehen, ohne dass ein
Zusammenhang mit einer Erbanlage nachgewiesen werden
konnte. Unter Bezugnahme auf andere ¾tiologiemodelle (neben dem genetischen, das biochemische, das neurophysiologische, das neuroanatomische, das ökologische, das Entwicklungs- und das lerntheoretische Modell) wird daher vorgeschlagen, dem Genotypus ¹¾tiotypenª (im Sinne von Faktorenkombinationen) aus diesen Bereichen an die Seite zu
stellen, wie einen Ökotypus für das ökologische und einen
Chemotypus für das biochemische Modell usw. [5]. Es ergibt
sich so eine heterogene Klasse ursächlicher Faktoren, die zu
einer schizophrenen Erkrankung führen können. Zudem haben Zubin und Mitarbeiter eine Liste potenzieller Marker
unter Berücksichtigung der genannten ¾tiologiemodelle vorgeschlagen, die ein diagnostisches Instrumentarium darstel-
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Vulnerabilitätskonzepte bei psychischen Störungen
len könnten, vulnerable Personen bzw. solche mit einem
erhöhten Psychoserisiko zu identifizieren.
Es werden dabei Vulnerabilitäts- und Episodenmarker unterschieden, wobei letztere nur während einer psychotischen
Episode in Erscheinung treten, und hingegen Vulnerabilitätsmarker im Sinne einer ¹Trait-Eigenschaftª schizophrener
Verletzbarkeit durchgängig ± also auch in klinisch unauffälligen Zeiten ± präsent sein sollen. Neben den Episoden-/
Vulnerabilitätsindikatoren wird noch eine weitere Markertypologie formuliert, bei der zwischen ¹familialenª und ¹nonfamilialenª Indikatoren unterschieden wird. Dabei wird davon
ausgegangen, dass beim Schizophrenen und seinen Angehörigen eine Markerkoinzidenz auf ursächlich genetische Faktoren hinweist; dagegen Fälle mit non-familialen Vulnerabilitätsmarkern für eine erworbene schizophrene Verletzbarkeit
sprechen.
Bemerkenswert ist darüber hinaus auch die Heterogenität der
vorgeschlagenen Vulnerabilitätsindikatoren, die auch innerhalb eines ¾tiotypenbereichs auftritt. So werden zum Beispiel
unter dem Marker ¹Entwicklungª unterschiedliche Merkmale
subsumiert, wie ¹ophthalmologischer Defektª und ¹Mangel
an persönlichen Bezügen in der Jugendª. Verwirrend ist
auûerdem, dass in der Markerliste Gröûen genannt werden,
denen bereits im Vulnerabilitätsmodell die Rolle einer Moderationsvariablen zugewiesen wurde, wie etwa das soziale
Netzwerk beim Ökotypus. Im Zusammenhang mit dieser
kritischen Registrierung ist allerdings auch zu bedenken, dass
Zubin von einem Material, bestehend aus einer verwirrenden
Mischung von Befunden und Spekulativem, ausging, die
Forschungsbemühungen zur Schizophreniegenese bis dahin
erbracht hatten. Nach Olbrich [7] scheint es daher angebracht
zu sein, die vorgeschlagene Liste potenzieller Vulnerabilitätsmarker als einen vorläufigen Entwurf anzusehen. Zudem sind
auch Bedenken hinsichtlich der Termini ¹Stressª und ¹Kriseª
anzumelden. Sie sind den Autoren zufolge zu unscharf
beschrieben, so dass eine empirische Beschäftigung mit dem
Vulnerabilitätskonzept ohne Anheben des Definitionsstandards kaum möglich ist.
Abgesehen von einer gegenwärtig nahezu inflationären Anwendung des Vulnerabilitätsbegriffs (verbunden mit einer
inhaltlichen Unschärfe oder Uneinheitlichkeit in seiner Auslegung) bewirkte Zubins Konzept der Vulnerabilität ohne
Zweifel auch eine Reihe von Weiterentwicklungen seiner
Konzeption, genannt sei z. B. das ¹heuristic vulnerability
stress model of schizophrenic episodesª von Nuechterlein und
Dawson [41], weiterhin das ¹Vulnerability models for schizophrenia: state of the artª von Nuechterlein [42] und das
integrative psycho-biologische Schizophreniemodell von
Ciompi [43, 44]. Gemeinsam ist all diesen Modellen, dass sie
neben biologischen auch psychologische und soziale Faktoren
bei der Entstehung der Schizophrenie berücksichtigen.
Ciompi [44] beschreibt in seiner Übersichtsarbeit vier mögliche Modellvorstellungen (ein biologisch-psychosoziales, ein
psychosozial-biologisches, ein Parallelitäts- oder Mehrebenenmodell und ein zirkuläres Modell) zu den Kausalbeziehungen zwischen biologischen und psychosozialen Faktoren
hinsichtlich Entstehung und Verlauf der Schizophrenie. Am
besten entspricht dabei, so der Autor, das zirkuläre Modell,
insbesondere ¹in Form der Vulnerabilität und noch mehr der
Stamm R, Bühler KE
Informationsverarbeitungshypotheseª. Mit einiger Spekulation impliziert es nach dem Autor ¹vielleicht sogar eine
interessante Möglichkeit der Verallgemeinerung, indem ¼ die
Information ¼ als eine Art Energie erscheint, die im psychosozialen Bereich zirkuliert und die Materie zu beeinflussen ¼
vermagª.
Dieses Modell basiert auf positiven und negativen ¹Feedbackª-Mechanismen, die sowohl innerhalb als auch zwischen
biologischen und psychosozialen Systemen eine zentrale
Rolle spielen. Dabei können Wechselwirkungen im Rahmen
von Ergänzungsreihen zwischen biologisch-organischen (kongenitalen oder erworbenen) Abweichungen einerseits und
psychosozialen Einflüssen andererseits die Anlage stabiler
affektiv-kognitiver Verhaltensprogramme beeinträchtigen.
Diese Vulnerabilität (oder ¹Ichschwächeª) erschwert nach
Ciompi [44] ihrerseits die Verarbeitung komplexer affektivkognitiver Einflüsse und begünstigt Überforderungsreaktionen bis zum Ausbruch akut psychotischer Erscheinungen.
¹Genau wie im Piagetschen Konzept der ¸Aktion internalisierten Verhaltensschemata ¼ postuliert wird, muss die neuronal-dendritische Feinstruktur des Gehirns ¼ geradezu als der
verfestigte Niederschlag des psychosozialen Geschehens verstanden werden, vergleichbar einem durch den Gebrauch
gebahnten Wegsystem. ¼ ¸Stress kann als Überforderung
eines solchen ¼ ¸Wegsystems durch das Übermaû an einlaufender ¸Information im weitesten Sinne definiert werden.
Wachsende Spannung und Verunsicherung, Angst und Ambivalenz, kognitiv-affektive Verwirrung bis hin zu Derealisations- und Depersonalisationserscheinungen und wahnhafthalluzinatorischen Reaktionen stellen dabei je nach individuellem Schwellenwert progressiv auftretende Überforderungssymptome eines informationsverarbeitenden Systems
von gegebener ¸Kanalkapazität darª. Letzteres ist bei schizophreniegefährdeten Menschen stark herabgesetzt und bildet
so ein wesentliches Element der so genannten ¹Stress-Diathesisª oder Vulnerabilitätshypothese [44].
In den letzten Jahren haben neuere systemische Modellvorstellungen zunehmende Aufmerksamkeit gefunden, mit denen versucht wird, ganzheitliches Denken in dynamisierter
Form mit den Mitteln moderner Wissenschaft zu erfassen
[45 ± 48]. Beispiele für eine systemische Betrachtung der
Schizophrenie sind Untersysteme oder Prozesse, wie neurale
Netzwerke als Basis interdependenter Gehirnzustände, biochemische und bioelektrische Homöostasefluktationen, familiäre Erziehungs- und Kommunikationsmuster, Feedbackspiralen in der Symptomgenese, Typologien des Krankheitsverlaufs, Mehrpersonentherapieformen, Versorgungssysteme für
psychotische Personen u. a. [46].
Als Vorläufer systemischer Konzepte gelten Vorstellungen
integrativer Schizophreniekonzepte, ± wie sie z. B. im Stimulus-Window-Modell von Wing und Brown [49], im Vulnerabilitätskonzept von Zubin und Spring [4], Zubin et al. [6], in
der Informationsverarbeitungshypothese von Venables und
Wing [50], Nuechterlein und Dawson [41], im integrativen
psycho-biologischen Schizophreniemodell von Ciompi
[43, 51], im Konzept der Basisstörungen von Huber et al. [52],
Huber [53] und im interaktiven Entwicklungsmodell von
Strauss und Carpenter [54] vertreten werden ±, da hier im
Gegensatz zu statistisch deskriptiven Modellen und der
vorrangigen Suche nach dominierenden ätiopathogenetischen
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304 Fortschr Neurol Psychiat 2001; 69
Ursachenfaktoren das Schwergewicht auf interaktionelle Zusammenhänge gelegt wird bzw. die Homöostase psychischer
Systeme über negative Feedback-Prozesse im Sinne der
Kybernetik erster Ordnung oder der Rückkopplung zwischen
biologischen und psychosozialen Einflussfaktoren einen wesentlichen Stellenwert besitzen [46].
Neue systemische Konzepte integrieren neben negativen auch
positive Rückkopplungen im Sinne sich selbst aufschaukelnder vitiöser Zirkularitäten, wobei Schizophrenie als das Resultat komplexer, sich gegenseitig beeinflussender psychischer,
biologischer und sozialer Veränderungen aufgefasst wird
[42, 46, 55, 56].
Das Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungs-Konzept ± in seiner
fortentwickelten Fassung ± von Nuechterlein [42] wird im
angloamerikanischen Schrifttum derzeit als adäquateste
Integration der Untersuchungsergebnisse aus den letzten 30
Jahren angesehen [14,18].
Im Vulnerabilitätskonzept von Nuechterlein und Mitarbeitern
wird zwischen stabilen Vulnerabilitätsmarkern (trait marker),
die sowohl vor, während, als auch nach einer manifesten
psychischen Erkrankung feststellbar sind und Episodenmarkern (state marker) unterschieden, die eine signifikante
Differenz nur während einer akuten Erkrankungsepisode
gegenüber vor und nach der manifesten Episode zeigen.
Zusätzlich werden auf einer methodischen Zwischenebene
intermediäre Vulnerabilitätsindikatoren angenommen, wobei
es sich um Faktoren handeln soll, die im Rahmen einer akuten
Episode zunehmend auffällig werden oder erst auftreten
sollen. Nach dem Abklingen der Episode sollen sie weiterhin
bestehen bleiben bzw. nachweisbar sein. Diesbezüglich seien
folgende Vulnerabilitätsfaktoren genannt:
± Dopaminerge Funktionsstörungen
± Verminderte Verarbeitungskapazität
± Autonome Überreaktion auf aversive Stimuli
± Schizotype Persönlichkeitsmerkmale.
Mit ¹dopaminergen Funktionsstörungenª sind aber nicht nur
neurochemische oder positronenemissionstomographisch
faûbare Anomalien der Neurotransmission gemeint, sondern
auch hirnstrukturelle Veränderungen, insbesondere Substanzmangel im limbischen-paralimbischen Integrationssystem,
sofern sie auf entsprechende Funktionsstörungen schlieûen
lassen. Als wahrscheinlich kann zudem angenommen werden,
dass sie auch schon vor der psychotischen Erstmanifestation
bestehen. Unter ¹verminderter Verarbeitungskapazitätª sind
gefundene Aufmerksamkeits- und Informationsverarbeitungsstörungen bei so genannten ¹High riskª-Kindern [57, 58],
Abweichungen der langsamen und der saccadischen Augenfolgebewegungen [59] und das sensorisch evozierte kognitive
Spätpotenzial 300 [60] zu verstehen. Die Aussage ¹autonome
Überreaktion auf aversive Stimuliª nimmt auf die ¹High riskª±
Forschung, und zwar besonders auf prospektive Langzeituntersuchungen an adoptierten Kindern schizophrener Eltern
des Kopenhagener ¹High riskª-Projekts [61] Bezug. So schien
es nach der Zwischenauswertung aus dem Jahre 1978, als
könnten Anomalien der elektrodermalen Antwort zumindest
beim männlichen Geschlecht spätere Psychoseentwicklungen
voraussagen können. Obwohl Folgeuntersuchungen zu kontroversen Ergebnissen geführt haben, bleibt dieser psychophysiologische Parameter für Nuechterlein [42] und Nuech-
Fortschr Neurol Psychiat 2001; 69 305
terlein und Zaucha [62] von Bedeutung. Die Autoren nehmen
an, dass dieser Parameter in einem engen Zusammenhang mit
den feinen Störungen der sensomotorischen Koordination
steht, die bei Hochrisikokindern im Schulalter gefunden
wurden [63, 64].
Beim ¹schizotypen Persönlichkeitsmerkmalª wird die klinisch-psychopathologische Untersuchungsebene einbezogen.
Ein Grund für die Gleichsetzung des hier vermuteten Vulnerabilitätsfaktors mit schizotypen Persönlichkeitsmerkmalen besteht darin, dass sich die bei ¹High riskª-Kindern gefundenen
emotionalen Störungsmuster aus Frustrationsintoleranz,
¾ngstlichkeit, Aggressivität und Anhedonie mit den DMS-IIISchizotypie-Kriterien überlappen. Ferner ist aus der Sicht der
¹High riskª-Forschung die ganze Schizotypie-Kategorie als
¹Schizophrenie-Spektrum-Störungª oder auch als ¹forme
frustesª schizophrener Erkrankungen aufzufassen. Es werden
zu den Schizotypie-Merkmalen aber auch subklinische kognitive Gleitvorgänge gerechnet, wie sie mit dem ¹Thought
Disorder Indexª nach Arboleda und Holzmann [65] sowie
selbsterlebte Leibgefühls- oder Wahrnehmungsstörungen,
wie sie mit der ¹Physical Anhedoniaª oder der ¹Perceptual
Aberration-Scaleª nach Chapman und Chapman [66] erfasst
werden können.
Als psychosoziale Stressoren werden fernerhin folgende genannt:
± Überstimulierendes soziales Umfeld
± Stresserzeugende Lebensereignisse
± Kritisches oder emotional aufgeladenes Familienklima.
Die ersten beiden Stichworte stehen für stresserzeugende
Lebensereignisse und eine überstimulierende soziale Umwelt,
die psychotische Episoden auslösen können. Unter dem
letzten Stichwort ist eine ungünstige Wechselwirkung familiendynamischer Prozesse zu verstehen.
Werden schizophrene Episoden, Rückfälle oder Erstmanifestationen ohne erkennbaren äuûeren Anstoû ausgelöst, so ist
der Konzeption zufolge von einer hohen genetisch und/oder
exogenhirnorganisch bedingten Schizophrenieanfälligkeit
auszugehen. Beruht dagegen ihre Auslösung auf einem
Lebensereignis oder auf der Kombination eines ungünstigen
Angehörigeneinflusses, so wird umgekehrt ein niedriger genetisch-hirnorganischer Vulnerabilitätsbeitrag angenommen,
den psychosoziale Faktoren erst über die Schwelle zur schizophrenen Symptombildung anheben.
Eine entscheidende Rolle spielen weiterhin folgende protektive Faktoren:
± persönlichkeitseigene Schutzfaktoren,
Bewältigungspotenzial und Fähigkeit zur Selbsthilfe (z. B.
günstiges Verhältnis zwischen ¹affective styleª und ¹coping
styleª),
antipsychotische Medikation
± umweltbedingte Schutzfaktoren
Problemlösung in der Familie (z. B. keine ¹communication
devianceª),
supportive psychosoziale Intervention.
Danach ist die kritische Schwelle um so höher anzusetzen, je
besser das persönlichkeitseigene Bewältigungspotenzial und
die Problemlösung in der Familie ist, sowie je mehr sich die
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Vulnerabilitätskonzepte bei psychischen Störungen
Betroffenen eine prophylaktische Medikation und eine stützende psychosoziale Intervention zunutze machen.
Reichen die protektiven Faktoren zur Abwehr nicht aus, dann
überfordern psychosoziale Faktoren die vorbestehende kognitiv-affektive Störanfälligkeit und führen zu einer Überlastung
der Verarbeitungskapazität mit entsprechenden Informationsverarbeitungsstörungen. Dies führt dann zu so genannten
Prodromalsymptomen, die ihrerseits bei fehlender Gegensteuerung in schizophrene Episoden, Rückfälle oder in psychotische Erstmanifestationen übergehen [41, 42, 62].
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der von Bleuler
im Jahre 1908 eingeführte ursprüngliche Schizophreniebegriff
und die damit verbundene Hypothese. So nahm bereits
Bleuler an, dass die typisch diagnostisch relevante Symptomatik dieser Erkrankung aus kognitiven Defiziten infolge
einer neuralen Netzwerkstörung entsteht. Eine so genannte
¹primäre Assoziationsspaltungª kann dabei lange oder sogar
lebenslang im Sinne einer bloûen Störanfälligkeit latent
bestehen. Kritische Lebensereignisse müssen oft erst hinzukommen, um sie über die Schwelle der klinischen Manifestation zu heben, so dass die Symptome der ¹Persönlichkeitsspaltungª entstehen [67, 68].
Auûerdem sei darauf hingewiesen, dass auf anderem Wege
und unabhängig von den amerikanischen Integrationsbemühungen die in der deutschen Psychiatrie entwickelte Basisstörungskonzeption bzw. die ¹Bonn Scale for the Assessment of
Basic Symptoms ± BSABSª [53, 69, 70] zu einer sehr ähnlichen
Sicht der Schizophrenie wie das Konzept von Nuechterlein
geführt hat [15,16,18]. Die mit Basissymptomen gemeinten,
feinen, oft noch subklinischen, aber durchaus schon quälend
erlebten Störungen von Antrieb und Emotionalität, Denk- und
Sprechakten, Wahrnehmung, Propriozeption und von Handlungsabläufen nehmen einerseits den Platz der in Nuechterleins [42] Schema nicht näher charakterisierten Prodromalsymptome ein; andererseits werden sie den als psychometrische Vulnerabilitätsfaktoren eingestuften Schizotypiemerkmalen beiseite gestellt.
Retrospektiv und inzwischen auch prospektiv gewonnene
Ergebnisse sprechen dafür, dass in Form der Basissymptome
die eigene herabgesetzte Belastbarkeit oder die eigene erhöhte Beeindruckbarkeit bzw. die kognitiv-affektive Störanfälligkeit gegenüber Stressoren oft schon Jahre oder sogar
Jahrzehnte vor der psychotischen Erstmanifestation selbst
erlebt wird [14 ± 16,18, 71]. Im Rahmen des Kölner Früherkennungsprojektes konnten erstmals auch explorativ und retrospektiv herausgearbeitete Zusammenhänge zur Entstehung
von Symptomen 1. Ranges mit bestimmten vorausgegangenen
kognitiven Störungen anhand prospektiv gewonnener Ergebnisse belegt werden [15,16]. Wie die Kausalanalyse zeigte,
scheinen vor allem die beiden prodromalen Subsyndrome
¹Informationsverarbeitungsstörungenª und ¹interpersonelle
Verunsicherungª einen groûen Einfluss auf den Übergang in
die Schizophrenie zu besitzen. Dabei handelte es sich gröûtenteils um selbst erlebte Denk-, Sprach- und Wahrnehmungsstörungen, die den psychotischen Episoden regelrecht
vorausgegangen waren [15,16].
Wenn solche oft schon mehrere Jahre selbst erlebten kognitiven Störungen als Vulnerabilitätsindikatoren genutzt wür-
Stamm R, Bühler KE
den, dann böte sich zugleich auch ein guter Ansatzpunkt für
eine Frühintervention (z. B. mit kognitivem Training und
anderen gezielten psychologischen Maûnahmen und selektiver Psychopharmakatherapie), womit im Erfolgsfall der Ausbruch einer Psychose mit der Ausbildung der später kaum
mehr oder nur schwer behandelbaren Negativsymptome von
vornherein verhindert werden könnte [15,16, 72].
Darüber hinaus liegen derzeit verschiedene Theorienbildungen der Systemwissenschaften vor (z. B. aus der Kybernetik,
Synergetik, Chaostheorie, Kommunikationstheorie, Strukturdeterminismus u. a.), die sich um eine Aufklärung des Psychoseproblems bemühen.
Aus der Sicht der Theorie dynamischer Systeme hat Krankheit
keine ontologische Qualität, sondern ist ein von der Norm
abweichender Prozess. Sie stellt gewissermaûen eine andere
Form des Funktionsniveaus ein und desselben Systems dar.
Das wesentliche an einer ¹Dysfunktionª (Krankheit) ist danach eine veränderte Dynamik der Interaktion von Systemkomponenten. Psychotisches Verhalten kann so vom nichtpsychotischen Verhalten durch die Realisation eines anderen
dynamischen Regimes bzw. einer anderen Form von Homöostase unterschieden werden. Die nicht prognostizierbare und
oft turbulent anmutende Abfolge von täglichen Symptomausprägungen psychotischer Verläufe könnte dabei Ausdruck
eines nichtlinearen Systems sein. Die Theorie dynamischer
Systeme könnte schlieûlich Tschacher et al. [48] zufolge der
Psychiatrie eine Palette von Methoden und Phänomenen
eröffnen, die im Feld der dynamischen Wissenschaft, der
Synergetik und Chaostheorie diskutiert werden. Nach Ciompi
[47] scheinen nahezu alle Aspekte der nichtlinearen Dynamik
komplexer Systeme ± auch Chaostheorie genannt ± für das
Schizophrenieproblem von Bedeutung zu sein. Die Chaostheorie stellt somit einen neuen und für die Psychiatrie in der
Zukunft aller Voraussicht nach wichtigen Aspekt der allgemeinen Systemtheorie dar.
Chaos bedeutet dabei nicht Unkontrollierbarkeit, wie der
Begriff im Alltagsgebrauch verstanden wird, sondern vielmehr
zunehmende Unvorhersagbarkeit bei kurzfristiger Determiniertheit. Tschacher et al. [48, 73] zufolge könnte die nichtlineare Dynamik mithin auch Ausdruck eines Beispiels für
Selbstorganisation sein. Die Autoren weisen in diesem Zusammenhang auûerdem auf die Worte von Scharfetter [74] hin,
wonach jeder Mensch eine eigene Dynamik entwickelt, wobei
Psychosen ebenfalls ¹private und kreative Phänomeneª darstellen, die nie restlos einer Kategorie zugeordnet werden
können. Zudem schlieûen sich die Autoren der Auffassung
von Strauss et al. [75] an ¹¼ the issues of sequence and
patterns cannot be neglected: The potentially hold answers
for too many crucial questionsª.
Im Rahmen empirisch angelegter Forschung wurden zur
Weiterentwicklung des Vulnerabilitätskonzepts in den letzten
Jahren zumeist Studien veröffentlicht, in denen relativ isolierte Faktoren wie Marker bzw. Parameter, Variablen der
Vulnerabilität oder ein bestimmtes Verhaltensmerkmal dahingehend untersucht wurden, ob eine unterschiedliche Ausprägung bei psychiatrischen Patienten im Vergleich zu unauffälligen Probanden besteht. Danach wird bestätigt, dass im
Entstehungsgefüge der Schizophrenie neben genetischen Faktoren, strukturellen Veränderungen im Gehirn, neurophysio-
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306 Fortschr Neurol Psychiat 2001; 69
logischen und biochemischen Faktoren (z. B. eine dopaminerge Unterfunktion im Mesokortex oder eine dopaminerge
Überfunktion im mesolimbischen dopaminergen Neurogen
bzw. ein Wechselspiel mit anderen Neurotransmittersystemen), zudem belastende lebensgeschichtliche Ereignisse, Störungen der familiären Konstellation, gestörte Persönlichkeitsentwicklung bzw. psychische und soziale Faktoren eine Rolle
zu spielen scheinen [3, 76 ± 83]. Spezifische Faktoren, die zur
Pathogenese schizophrener Störungen beitragen, wurden bislang allerdings nicht gefunden.
Weitgehende Übereinstimmung besteht zwar heute darüber,
dass in Bezug auf die Vulnerabilität genetische Faktoren eine
wichtige Rolle in der Schizophreniegenese spielen, doch
konnten bis heute nicht Art und Umfang der genetischen
Komponente geklärt werden. Wie es Bondy et al. [81]
formulieren, macht die ¹Tatsache, dass auch molekulargenetische Befunde, abgesehen von kaum replizierten Einzelerfolgen ¼, bisher eher negativ zu bewerten sind, die Probleme
der psychiatrischen Forschung, wie Heterogenität der Psychosen und die fragliche Bedeutung der Nosologie nur allzu
deutlichª.
Schlussfolgerung
Konzeptuell orientiert sich im angloamerikanischen wie im
deutschsprachigen Raum die Bewertung zentraler neurophysiologischer Funktionsabweichungen bei Schizophrenen und
ihren Angehörigen heute vor allem an dem von Zubin und
Nuechterlein vertretenem Vulnerabilitätsmodell, welches
zeitlich relativ stabile Traitmarker mit weitgehend unveränderter Ausprägung in prä-, intra- und postpsychotischen
Stadien, Episodenmarker sowie intermediäre Marker mit
State- als auch Trait-Komponenten unterscheidet [4, 42].
Gegenwärtige Befunde bekräftigen die Annahme, dass Vulnerabilität, Stress, Coping und Kompetenz als determinierende
Faktoren für Ausbruch, Remission und Rückfall sowie für
gelungene oder misslungene Wiederanpassung schizophrener
Menschen gelten können.
Das Vulnerabilitätskonzept war daher auch in den letzten
Jahren der Ausgangspunkt für die Entwicklung vieler verschiedener Therapieansätze. So half sie, komplexe Fakten
unter einheitliche Perspektiven zu bündeln und die verschiedenen Behandlungsansätze praxisgerecht einzuordnen. Dabei
lässt sich einer neuronalen Reizüberflutung biochemisch
durch Neuroleptika entgegenwirken. Rehabilitative Maûnahmen können zudem helfen, die vulnerablen und ängstlich
vermeidenden Schizophreniekranken stufenweise zu aktivieren, und die Psychotherapie sollte der emotionalen und
kognitiven Auseinandersetzung mit sich selbst und der Umwelt dienlich sein, um gleichsam das richtige Maû der
Belastung zu finden [3,12, 46, 82, 84].
Wie Böker und Brenner [46] anführen, könnten systemische
Modelle die Tür für eine umfassende und plausible Schizophrenietheorie öffnen. Systemisches Denken könnte zudem
den Blick dafür schärfen, ¹an welchen sensiblen Punkten ein
gedachtes System ± sei es ein zerebrales neuronales Netzwerk, eine Familie oder ein Versorgungssystem ± am besten
beeinflussbar ist, welche Interventionen Auswirkungen auf
das Ganze haben und wann und wie umgekehrt rekursive
Fortschr Neurol Psychiat 2001; 69 307
Prozesse auf das einzelne Systemelement zurückwirken. ¼
Schlieûlich dürfte uns ein solches Denken zu einer neuen
hilfreichen Allianz zwischen den Betroffenen verhelfen, bei
der es um eine neue Qualität von Gemeinschaftlichkeit geht,
nämlich um die Herausbildung möglichst vieler konsensueller
Bereiche, in denen therapeutisch eine wirksame Begegnung
stattfinden kannª.
Eine umfassende, sämtliche Aspekte der Schizophrenie beinhaltende Theorie konnte bis heute allerdings nicht erbracht
werden.
Der Anspruch, welcher sich an ein Vulnerabilitätskonzept mit
der Erwartung knüpft, die ganze Komplexität des Auftretens,
Verlaufs und Ausgangs von Psychosen zu erfassen, ist jedoch
hoch. Hierfür seien folgende Beispiele genannt [13]:
± Annäherung an die biologische Basis von Psychosen
± Verständnis des Zusammenwirkens neurobiologischer und
psychosozialer Faktoren
± Verständnis und eventuell Vorhersagbarkeit des individuell
unterschiedlichen Verlaufs und Ausgangs psychischer Erkrankungen
± Suche nach möglichst frühzeitig einzusetzenden therapeutischen Interventionen.
Solche Erwartungen können allerdings von einem Vulnerabilitätskonzept bislang wohl kaum erfüllt werden. So bestehen
derzeit noch eine Vielzahl von methodischen Problemen und
Anforderungen, die, um den Erwartungen gerecht zu werden,
wie folgt zu berücksichtigen sind [13]:
± Einheitliche terminologische Grundlage
± Simultane Berücksichtigung unterschiedlicher klinischer
Ebenen
± Berücksichtigung von (¹naturalistischenª) Stressoren
± Berücksichtigung von Interaktionen zwischen verschiedenen Ebenen
± Zuverlässige Abgrenzung zwischen State- und Trait-Parametern
± Klare Definition und Abgrenzung des Beginns psychischer
Störungen
± Bildung psychopathologisch möglichst homogener Gruppen
± Berücksichtigung des Langzeitverlaufs.
Wenig ist insbesondere über die vielfältigen Rückbezüglichkeiten zwischen einer biologisch verankerten Vulnerabilität,
Persönlichkeits- und Umwelteinflüssen, der Krankheitssymptomatik und ihren Folgen sowie dem Copingpotenzial der
betroffenen Individuen hinsichtlich des Psychoseverlaufs bekannt [46].
Betont sei an dieser Stelle nochmals die gegenwärtige nahezu
inflationäre Anwendung des Vulnerabilitätsbegriffs, die mit
einer zunehmenden inhaltlichen Unschärfe einhergeht.
Böker und Brenner [46] weisen zudem darauf hin, dass heute
noch vieles miûverständlich oder zu abstrakt ist. In der
zukünftigen systemischen Forschung der Psychiatrie sollten
daher zunächst auch verschiedene Termini, wie Kybernetik,
Synergetik, Chaos u. a., in den Begriffsrahmen ihres Faches
transportiert und akkommodiert werden, ¹um darin Übereinstimmung zu erzielen, was jeweils gemeint istª.
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Haafstr. 12
97082 Würzburg
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