Perspektiven für ältere Menschen

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Perspektiven für ältere
17.12.2002
11:09 Uhr
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Andrea Weigert
Akademie für die Ländlichen Räume e.V., Eckernförde
Anlass und Zielsetzung
der Untersuchung
Mit dem Ende des Jahrtausends haben die Vereinten
Nationen das Jahr 1999 zum Internationalen Jahr der
Senioren erklärt unter dem Motto „Eine Gesellschaft
für alle Lebensalter“. Die damalige Bundesministerin
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Claudia
Nolte, rief zu Veranstaltungen und Aktionen auch in
Deutschland auf. Diesen Aufruf nahmen auch die
Akademie für die Ländlichen Räume Schleswig-Holsteins e.V. (ALR), der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt der Nordelbischen Ev.-luth. Kirche (KDA) und der
Verein zur Förderung raumpolitischer Bildung und
Forschung e.V. zum Anlass, über ein Projekt für ältere
Menschen speziell in den ländlichen Räumen nachzudenken.
Die Veränderungen in der Landwirtschaft und der
Mangel an alternativen Arbeitsplätzen, weite Wege,
aber ein lückenhafter Busverkehr, der Rückzug vieler
Dienstleister aus den ländlichen Gebieten, z. B. Banken und die Post sowie Einrichtungen der Grundversorgung, wie Lebensmittelläden, Apotheken und
Ärzte haben Auswirkungen auf die Lebenssituation
und die Lebensqualität älterer, in den Dörfern wohnender Menschen. Die Erhaltung und Schaffung seniorenfreundlicher Lebensbedingungen stellt daher eine besondere Herausforderung der zukünftigen Dorfund ländlichen Regionalentwicklung dar.
Vor diesem Hintergrund haben sich die Akademie für
die Ländlichen Räume, der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt und der Verein zur Förderung raumpolitischer Bildung und Forschung entschlossen, eine Befragung älterer Menschen ab 60 Jahren durchzuführen, um die Lebenssituation zu erforschen, Wünsche und Bedürfnisse - auch im sozialen, Kultur- und
Bildungsbereich - aufzuspüren, Angebote und Nachfrage von Serviceleistungen zu überprüfen, der Beteiligung an der gemeindlichen Entwicklung neue Impulse zu geben und möglichst konkrete Projekte zur
Bereicherung des Zusammenlebens von Jung und Alt
in den Gemeinden anzustoßen.
Perspektiven für ältere Menschen
Die Situation, die Bedürfnisse und die Wünsche älterer Menschen auf dem Land sind in Schleswig-Holstein
bisher nicht systematisch untersucht worden. Der Modellcharakter des Projektes bezieht sich darüber hinaus auf die Herangehensweise. Zur Erhebung der Daten sollte erstmals in Schleswig-Holstein eine Methode zur Anwendung kommen, die als Participatory Rapid Appraisal (PRA) bezeichnet wird. Wie die sinngemäße Übersetzung - in kurzer Zeit gemeinsame
Projektideen erarbeiten - schon andeutet, können bei
dieser Methode in etwa einer Woche in großem Umfang vielschichtige Informationen gesammelt und
strukturiert werden, um daraus Potenziale, Handlungsfelder und konkrete Projekte abzuleiten. Die
Kenntnisse und Ideen der befragten Menschen bilden
die Quelle dieser Informationen. Schließlich gelang
auch ein Brückenschlag zwischen Wissenschaft und
Praxis. Das Institut für Soziologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel sah in dieser Befragung die
Chance, mit den Studierenden konkrete, anwendungsorientierte Forschung zu betreiben und stieg als
Partnerin in das Vorhaben mit ein. 13 Studentinnen
und Studenten der Soziologie erklärten sich bereit,
unentgeltlich eine Woche vor Ort zu verbringen und
in der Region „Barkauer Land“ zu arbeiten. Dazu kamen ein Student der Diplom-Pädagogik und ein Pastor.
Über den Ablauf, die Methode und die Ergebnisse will
diese Dokumentation informieren.
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Dokumentation
Perspektiven für ältere
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Martin Beck
Olaf Peters
Verein für raumpolitische Bildung und Forschung e.V.,
Kiel
1. Situation und Perspektiven
älterer Menschen in
ländlichen Räumen
In den nächsten Jahren wird die Zahl der älteren Menschen kontinuierlich zunehmen und ihr Anteil an der
Bevölkerung deutlich steigen. Modellrechnungen ergeben, dass im Jahr 2030 rd. ein Drittel der Bevölkerung das 60. Lebensjahr überschritten haben wird.
Der demographische Wandel betrifft im Prinzip alle
Industrienationen gleichermaßen und beeinflusst nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche. Das veränderte
Verhältnis von Jung und Alt und die Zunahme der Lebenserwartung erfordern ein Umdenken in Politik,
Wirtschaft und Gesellschaft.
Die Gestaltung seniorenfreundlicher Lebensbedingungen wird ebenso wie die aktive Einbindung älterer Menschen in die Gemeinschaft eine zentrale Herausforderung der zukünftigen Dorf- und ländlichen
Regionalentwicklung. Dies gilt insbesondere auch für
Schleswig-Holstein als Land kleiner Gemeinden und
ländlicher Räume. Bezüglich der räumlichen Entwicklung stellt das Bundesbauministerium fest, dass insbesondere „in den Umlandregionen und in den ländlich
geprägten Regionen die künftigen Schwerpunkte der
gesellschaftlichen Alterung liegen werden“ (BMBau
1995, S.11). Die spezifische Entwicklung in den ländlichen Räumen ist gekennzeichnet durch eine überproportionale Zunahme des Anteils der höheren und älteren Altersgruppen.
Die Mehrzahl der folgenden Aussagen sind dem Zweiten Altenbericht der Bundesregierung entnommen,
der von einer „Sachverständigen-Kommission für das
Älterwerden und Altsein in unserer Gesellschaft“ erarbeitet wurde. Dabei ist zu beachten, dass deren Aufgabenstellung den Schwerpunkt „Wohnen im Alter“
beinhaltete und damit nicht alle Aspekte von Lebensperspektiven älterer Menschen abdeckt.
1.1 Demographische Entwicklung
Die Bevölkerung in Deutschland wird in den kommenden Jahrzehnten in hohem Maße altern. Während 1999 22 % der Bevölkerung 60 Jahre und älter
waren, werden es im Jahr 2040 bereits 37 % sein. Jugendliche unter 20 Jahren stellen dann nur noch
einen Anteil von 15 statt 21 %. Der Anteil der sogenannten mittleren Generation der zwischen 20 und 59
Jahre alten Menschen an der Gesamtbevölkerung in
Deutschland sinkt demnach künftig von 57 auf 48 %.
(alle Datenangaben nach: PIA, Sozialpolitische Umschau Nr. 361/1999)
Ursache für die zunehmende Alterung der Bevölkerung sind niedrige Geburtenzahlen vor allem in den
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Perspektiven für ältere Menschen
alten Bundesländern. 1998 sind zum Beispiel insgesamt 3,3 % weniger Kinder geboren worden als 1997.
Wegen der Zuwanderung von Ausländern stieg die
Bevölkerungszahl gleichwohl an. Der Anteil der ausländischen Bevölkerung in der Altersgruppe der über
60jährigen wird entsprechend zunehmen und im Jahr
2010 6,4 % (gegenüber 2,6 % 1995) betragen (alle Datenangaben nach: PIA, Sozialpolitische Umschau Nr.
361/1999).
Sofern es keine Änderungen der Rahmenbedingungen, z.B. des Renteneinstiegsalters gibt, wird die Zahl
der Rentner weiter ansteigen. Die längere Lebenserwartung und die geburtenstarken Jahrgänge, die in
naher Zukunft in Rente gehen, lassen die Zahl der
Rentner von heute 13,7 Mio. auf 17,6 Mio. im Jahr
2030 ansteigen. Parallel zu dieser Entwicklung sinkt
die Zahl der Erwerbspersonen von rd. 33 Mio. auf 29
Mio. Während demnach im Jahre 2000 100 Erwerbspersonen für 43 Rentner „aufkommen“ müssen, werden es im Jahr 2030 voraussichtlich 61 Menschen sein
(alle Datenangaben nach: PIA, Sozialpolitische Umschau Nr. 360/1999 und 363/1999).
1.2 Sozial-strukturelle Lebensbedingungen
Die Zunahme des Anteils von Senioren geht einher
mit weiteren Tendenzen, die die Lebenssituation entscheidend beeinflussen und bei den Überlegungen zu
den Perspektiven für ältere Menschen zu berücksichtigen sind:
Ausscheiden aus dem Berufsleben bei körperlicher
und geistiger Verfügbarkeit
Die Lebenserfahrung der Älteren ist zu nutzen, um
Jüngeren Daseinskompetenzen zu vermitteln. Kaum
noch jemand wird für das Alltagsleben qualifiziert. Es
kann der Gesellschaft nicht gleichgültig sein, wie die
Menschen mit ihrer Gesundheit umgehen, welche
Konsum- und Wohnstile sich durchsetzen, wie
menschliches Zusammenleben funktioniert. Aus den
Folgen der persönlich zu treffenden Entscheidungen
im Alltagsleben können sich immense gesellschaftliche Kosten oder eben auch Wohlfahrtszuwächse (ohne Einkommens- oder Ressourcenzuwächse) ergeben.
Unsere Gesellschaft ist daran gewöhnt, sich auf den
Nachwuchs als Träger von Innovationen zu verlassen.
Die alternde Gesellschaft aber ist darauf angewiesen,
auf die Potenziale aller Generationen zurückzugreifen. Eine Arbeitsteilung zwischen Jung und Alt hat in
diesem Zusammenhang nur begrenzte Perspektive.
Diese Veränderungen bewirken Umstellungsanforderungen an die Einstellungen und Verhaltensmuster
der gesamten Gesellschaft. Das beinhaltet eine neue
Auffassung der Rolle der Älteren, die eine höhere Verantwortung nicht nur für die Bewahrung des Bewährten, sondern auch für seine innovative Weiterentwicklung wahrnehmen müssen (BMFSFJ 1998, S.
29).
Auch im Alter haben Menschen ein Potenzial zur Aufrechterhaltung oder Erweiterung bestimmter Fertigkeiten. Hier gewinnt das Merkmal der Anregung BeDokumentation
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deutung. Anregende und stimulierende Umweltbedingungen wirken sich positiv auf zentrale Bereiche
wie körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie
Stimmung und Lebenszufriedenheit aus.
stärkt zur sozialen Realität gehören. Außerdem ist die
Beteiligung der „männlichen Welt“ an dieser Aufgabe zu erhöhen (BMFSFJ 1998, S. 42).
Höhere Lebenserwartung von Frauen
Die alternde Gesellschaft kann ihre Zukunftsfähigkeit
auf wirksame Weise am ehesten durch Mehrgenerationenkonzepte sichern: Mehrgenerationen-Arbeit,
Mehrgenerationen-Bildung, Mehrgenerationen-Wohnen etc.
Verbesserte finanzielle Absicherung im Alter
96 % der Seniorenhaushalte verfügen über Geldvermögen (in Deutschland-West im Durchschnitt DM
57.900.-). Pro Person können die Senioren fast so viel
ausgeben wie ihre Kinder und Enkel. Ihr verfügbares
Einkommen liegt nur 3 % unter dem (gewichteten)
Pro-Kopf-Einkommen von Arbeitnehmer-Familien. Je
Haushalt gerechnet, beträgt das verfügbare SeniorenEinkommen DM 3.730,- bei Rentnern und DM 5.930,bei Pensionären, die meist größeren Arbeitnehmerhaushalte erreichen DM 5.510,-. Die Rente eines
Durchschnittsverdieners nach 45 Versicherungsjahren
(sog. Eckrente) betrug am 1.07.1999 DM 2.008,- im
Westen und DM 1.741,- im Osten. Die Zahl armer Senioren wird immer geringer, die Schere zwischen armen und reichen wird gleichzeitig immer größer (alle
Datenangaben nach: PIA, Sozialpolitische Umschau
Nr. 359/1999).
Beachtliche Geldbeträge werden von den älteren
Menschen an ihre Kinder und Enkelkinder weitergegeben.
Zunahme kleiner Haushalte mit sozialem Netzwerk
außerhalb des Haushalts
Die weit verbreitete Vorstellung, ältere Menschen
lebten überwiegend vollkommen isoliert und vereinsamt, trifft auf die Mehrzahl älterer und hochbetagter Menschen nicht zu. Ältere Menschen sind in ihrer
Mehrzahl in vielfältiger Weise in soziale Netzwerke
eingebunden. Sie erhalten Kontakte aufrecht, bekommen Hilfe aus ihrem privaten Umfeld und leisten
oftmals selbst auch Unterstützung für andere.
Um dieser Fehleinschätzung entgegenzuwirken, sollte der Familienbegriff vom Haushalt gelöst werden
und im Sinne von ‘Netzwerk’ verwendet werden. Das
soziale Geflecht von Verwandtschaft, Freundschaft
und Nachbarschaft, das die Generationen übergreift,
ist das Grundgerüst für Hilfe, Geselligkeit und Teilhabe. Hier stecken die Solidaritätspotenziale unserer Gesellschaft. Dieses sich stark wandelnde Geflecht muss
als dynamisches Soziotop genauso gepflegt werden
wie bedrohte Biotope in der Natur. Wohlfahrt ist nur
zum Teil eine Frage des Geldes, sie ist auch eine Frage
mitmenschlicher Netzwerke, deren Qualität wiederum sehr stark vom mitmenschlichen Zeiteinsatz abhängt.
Die demographische Entwicklung zwingt jedoch zur
Veränderung. Selbst- und Gemeinschaftshilfe der Älterwerdenden wird als Netz der Gleichaltrigen verPerspektiven für ältere Menschen
Der hohe Anteil an Frauen unter den Ruheständlern
ist zum einen Grund für die funktionierende soziale
Hilfe innerhalb der sozialen Netzwerke. Zum anderen
liegt hierin aber auch ein Grund für die bestehende
Altersarmut, da die zum Teil verwitweten Frauen aufgrund fehlender eigener Versorgungsansprüche mit
einem geringeren Teil des ehemaligen Haushaltseinkommens auskommen müssen. Hier dürfte die verstärkte Berufsteilnahme von Frauen langfristig Veränderungen bewirken.
Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen
Regionen
Die Rahmenbedingungen für den Aufbau und Erhalt
sozialer Netze sind in städtischen und ländlichen Regionen unterschiedlich. In traditionell geprägten
ländlichen Milieus war (und ist) es oft noch eher möglich, dass die erwachsenen Kinder die räumliche Nähe
zu den Eltern lebenslang beibehalten. Die Einbindung
in soziale Netze hängt in hohem Maße mit sozial- und
siedlungsstrukturellen Merkmalen zusammen. Tendenziell kleinere Haushalte in den Städten führen dazu, dass mehr Hilfe haushaltsübergreifend geleistet
wird. In den im Durchschnitt größeren Haushalten in
ländlichen Regionen wird dagegen mehr Unterstützung intern geleistet. Während einige Netzwerkstudien zum Ergebnis kommen, dass Netzwerkbeziehungen in ländlichen Regionen enger als in städtischen
Regionen sind, wird dem von anderen empirischen
Studien allerdings widersprochen (BMFSFJ 1998, S.
186ff). In der Folge ist für die sozialen Dienste zukünftig mit einem erheblichen Mehrbedarf zu rechnen.
1.3 Alltagsgestaltung
Für die Beurteilung der Lebensperspektiven spielt die
Alltagsgestaltung eine entscheidende Rolle. Lebensqualität lässt sich nicht nur unter dem Aspekt der
Selbständigkeitserhaltung bzw. -förderung betrachten. Genauso wichtig ist die Frage, inwieweit die Umwelt Möglichkeiten eröffnet, trotz bestehender Einschränkungen ein selbstbestimmtes sowie persönlich
sinnerfülltes Leben zu führen.
Ältere Menschen halten sich durchschnittlich nur noch
3,5 Stunden pro Tag außerhalb der Wohnung auf; davon zu einem erheblichen Teil im Wohnumfeld. Die
Bedeutung der Wohnung und des Wohnumfeldes
nimmt zu und erhält eine überragende Stellung.
Das Gefühl der sozialen Integration und Gegenseitigkeit der Beziehungen ist eine der wichtigsten Hilfen
bei der Verarbeitung von Belastungen (Trauer). Entsprechend nehmen Kontakte zu Angehörigen und
Freunden (die im Erleben als gleichrangig eingestuft
werden) sowie das Engagement für andere, vor allem
informelle Hilfe in Familie und Nachbarschaft, einen
zentralen Raum ein. Nach den Ergebnissen der Zeit9
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budgetstudie des Statistischen Bundesamtes leistet
immerhin noch ein Viertel der älteren Menschen ab 70
Netzwerkhilfe für andere Personen (Blanke 1996). Eine wichtige Leistung dabei ist die Enkelbetreuung,
die kaum als Belastung empfunden wird. Eher steht
das positive Gefühl, gebraucht zu werden, im Vordergrund. Eine bedeutende Leistung älterer Menschen
besteht in Hilfeleistungen für andere Personen im
Rentenalter. Nach einer Untersuchung im ländlichen
Raum hat ein Viertel der über 50jährigen anderen in
dieser Situation im privaten Rahmen geholfen. Der
Anteil der Helfenden sinkt erwartungsgemäß mit deren Alter.
Eine ähnlich hohe Bedeutung in der Freizeit erreicht
nur die „Nutzung von Medien“, im wesentlichen wohl
Radio, Fernsehen und Zeitschriften. Bildungsaktivitäten (Lesen und Vortragsbesuche) nennen bei einer
empirischen Untersuchung ca. 10% der befragten Senioren, jedoch zeigt sich eine zunehmende Tendenz.
Weitere Freizeitaktivitäten älterer Menschen sind
„Ausflüge und Reisen, Gartenarbeit, Spaziergänge,
sportliche Aktivitäten“ sowie speziell aus einer Hamburger Untersuchung „in die Geschäfte gehen, Besuch von Theater und Kino, zum Essen ausgehen, Besuch von geselligen Veranstaltungen, Beschäftigung
mit Tieren, Besuch von Vereinen“ (Zweiter Altenbericht, S. 132).
1.4 Gesellschaftliche Anforderungen
Die sozial-strukturellen Lebensbedingungen entscheiden über die Lebensqualität. Im einzelnen handelt es
sich um die materielle und soziale Existenzsicherung,
um zufriedenstellende Wohn-, Bildungs- und
Ernährungsbedingungen sowie um eine zufriedenstellende medizinische Versorgung (ggf. ergänzt um
pflegerische Betreuung).
Es gilt aber zu beachten, dass es „den“ alten Menschen nicht gibt. Bezüglich der Wohnansprüche ist
nach Kriterien Geschlecht, Familienstand, Anzahl der
Verwandten (Verfügbarkeit, Hilfe, Ansprüche), Status
(Rentner/Pensionär, Frührentner), Haushaltseinkommen bzw. -vermögen, Fähigkeiten (in körperlicher,
handwerklicher, musischer, sozialer Sicht etc.), Erfahrungshintergrund (gemäß Altersgruppe, Bildung
etc.), nationaler bzw. ethnischer Zugehörigkeit zu differenzieren (BMFSFJ 1998, S. 131).
Die wichtigsten Handlungsfelder zur Gestaltung örtlicher Lebensbedingungen sind:
– Wohnung, Siedlung, Verkehr, Umwelt
– Arbeitswelt
– Familienunterstützende Betreuungsangebote für
Kinder und Alte
– Bildungswesen, Medien
– Gesundheitliche und soziale Dienste
– Kulturelle und soziale Alten- und Familienarbeit
– Beratung und Selbsthilfeförderung; Verbrauch und
Konsum
– Finanzierung der Alten- und Familienförderung
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Mängel bestehen hier vor allem hinsichtlich der ungenügenden oder fehlenden sozialen und kommerziellen Infrastruktur mit altengerechten Angeboten:
– zu weite Distanzen zu den Einrichtungen des täglichen Bedarfs und zu den Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs
– kärglich ausgestattete Wohnumfelder mit mangelnden Treffpunkten, fehlenden Bänken, schlechter Beleuchtung und hindernisreichen Wegen
– (weniger im ländlichen Raum) bedrohliche bauliche
Großstrukturen mit ungeschützten Laubengängen,
störanfälligen Aufzügen, unzureichend ausgestatteten Hauseingängen, schwierigen Zugängen (Treppen über Sockelgeschoss) mit nicht überschaubaren,
dunklen Fluren (BMFSFJ, S.131).
Emotionale und instrumentelle Unterstützung haben
zentrale Bedeutung für die gelingende Bewältigung
von Belastungen sowie die Aufrechterhaltung (bzw.
Wiederherstellung) der Selbständigkeit. Dies gilt aber
nur, wenn die Unterstützung zur selbstverantwortlichen Auseinandersetzung motiviert. Zu unterscheiden sind daher „selbständigkeits- und abhängigkeitsorientierte Unterstützung“. Der Annahme, ältere
Menschen seien primär oder ausschließlich von gegebenen Umweltbedingungen abhängig, wird im zweiten Altenbericht der Bundesregierung widersprochen. Vielmehr haben sie die Möglichkeit zur Mitgestaltung ihrer Umwelt, wenn ihnen entsprechende
Möglichkeiten dazu eingeräumt werden. Dazu
gehören auch Strukturen, die soziale Netzwerke erleichtern bzw. familienfreundliche Lebensbedingungen schaffen. Diese entstehen aber nicht nur durch
Maßnahmen und Entscheidungen seitens des Bundes,
der Länder und der Kommunen, sondern auch von
Unternehmen, Vermietern, Verkehrsträgern, freien
Verbänden, Kirchengemeinden und nicht zuletzt
durch das Handeln der Menschen (BMFSFJ 1998, S. 46).
Die individuelle Vorsorge wird für die zukünftige Sicherung angemessener Lebensverhältnisse älterer
Menschen an Bedeutung gewinnen. Den heute jungen Menschen ist zu verdeutlichen, dass bei Entscheidungen mit langfristigen Auswirkungen (z.B. Wohnortwahl oder Erwerb von Wohneigentum) die Möglichkeiten für ein selbstbestimmtes Leben im Alter
einzubeziehen sind. Angesichts des Erfordernisses hoher Arbeitsmarkt-Mobilität können eigene Kinder
keine Altersbetreuungs-Garantie mehr bieten. Ältere
Menschen können den Jüngeren, die bis zur Lebensmitte ihre Wohnentscheidungen treffen und in ihr
Wohnen investieren, helfen, diese Entscheidungen
nicht alleine an den aktuellen Wohnbedürfnissen (Eltern und Kinder) zu orientieren, sondern die Bedürfnisse, die sich aus dem Altwerden und Altsein ergeben, gleichrangig zu beachten. Durch einen wohnungsbezogenen Dialog der Generationen kann die
mögliche „Alterssicherheit“ der Wohnung tatsächlich
geschaffen und individuellen und gesellschaftlichen
Fehlinvestitionen vorgebeugt werden.
Die „Kommission für das Älterwerden und Altsein in
unserer Gesellschaft“ fasst ihre Überlegungen in folgenden Anforderungen zusammen. Demnach sind zu
berücksichtigen die ...
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1. Eigenverantwortlichkeit des älter werdenden Menschen für ein persönlich selbstbestimmtes und sozial integriertes Leben,
2. Bedeutung des Eingebundenseins in die eigene Generation und in die generationen-übergreifenden
Netzwerke für Lebensqualität und Lebenszufriedenheit im Alter,
3. Verantwortung der Politik für Rahmenbedingungen, welche für beide Geschlechter, für alle Altersgruppen und sozialen Milieus, für die verschiedenen Grade der Hilfsbedürftigkeit und in allen Regionen ein sinnerfülltes Leben ermöglichen,
4. Bedeutung der Wohnbedingungen für die Erfüllung der Grundbedürfnisse in allen Phasen des
menschlichen Lebenslaufs und damit auch für ein
eigenverantwortliches und sozial integriertes Leben im Alter.
Dabei ist auch den ganz speziellen Bedingungen im
ländlichen Raum Rechnung zu tragen. „Die Lebenssituation älterer Menschen in städtischen Regionen unterscheidet sich erheblich von der Situation im ländlichen Bereich. Deshalb darf sich die Planung der
Hilfeinfrastruktur für Schleswig-Holstein nicht nur an
Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten (z.B. optimale Betriebsgröße) orientieren. Sie muss berücksichtigen,
dass im ländlichen Raum die Erreichbarkeit der Angebote in der Fläche einen besonders hohen Stellenwert
hat und derzeit noch stärker ausgeprägte familiäre
und ehrenamtliche Hilfeansätze vorhanden sind.“
(MASJG 1995, S. 16).
Literatur zu Kapitel 1
Blanke, K. et al. (1996). Zeit im Blickfeld. Ergebnisse einer repräsentativen Zeitbudgeterhebung. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Band 121, Stuttgart.
BMFSFJ / Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (1998) Zweiter Bericht zur Lage
der älteren Generation in der Bundesrepublik
Deutschland: Wohnen im Alter und Stellungnahme
der Bundesregierung zum Bericht der Sachverständigenkommission, Bonn.
BMBAU / Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (1995) Wohnen im Alter - zu
Hause im Wohnquartier. Forschungsvorhaben des
Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus, Bonn.
MASJG / Ministerin für Arbeit, Soziales, Jugend und
Gesundheit des Landes Schleswig-Holstein (1995)
Landesaltenplan für Schleswig-Holstein, Grundlagen, Ziele, Perspektiven. Kiel
PIA / Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (1999), Sozialpolitische Umschau Nr. 359, 361,
363 vom 25.10.1999. Bonn.
Perspektiven für ältere Menschen
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