Psychische Störungen bei Männern und Frauen

Werbung
Psychische Störungen bei Männern und Frauen
Bachelorarbeit
Medizinische Universität Graz
Studium der Gesundheits- und Pflegewissenschaften
Titel der Lehrveranstaltung:
Gesundheitspsychologie, geschlechtsspezifisches Gesundheitshandeln
Begutachterin:
Dr.in Gabriele Kastner
Walterstraße 14
3950 Gmünd
Eingereicht von
Denise Stadler
geboren am 04. Oktober 1990
Graz, Juni 2013
Ehrenwörtliche Erklärung
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Bachelorarbeit selbstständig und ohne fremde
Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die den
benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.
Weiters erkläre ich, dass ich diese Arbeit in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner anderen
Prüfungsbehörde vorgelegt habe.
Graz am 01. Juni 2013
Denise Stadler
2
Inhaltsverzeichnis
Seite
1. Einleitung ............................................................................................................. 6
2. Modelle zur Erklärung psychischer Störungen .................................................. 7
2.1 Biomedizinisches Modell .......................................................................... 7
2.2 Psychoanalytisches Modell ....................................................................... 7
2.2.1 Unbewusster Konflikt ............................................................................ 8
2.2.2 Unbewusste Phantasie ............................................................................ 8
2.2.3 Pathogene Überzeugung ......................................................................... 8
2.2.4 Traumatisierung ..................................................................................... 9
2.2.5 Entwicklungshemmung .......................................................................... 9
2.2.6 Entwicklungsdefizit ............................................................................... 9
2.2.7 Selbstwertstörung ................................................................................... 9
2.2.8 Persönlichkeitsstörung ........................................................................... 10
2.3 Verhaltenstheoretisches Modell................................................................. 11
2.4 Kommunikationstheoretisch-systematische Ansätze .................................. 11
2.5 Diathese-Stress-Modell ............................................................................. 12
2.6 Salutogenetisches Modell .......................................................................... 12
3. Grundlagen zur Beschreibung psychischer Störungen ...................................... 13
3.1 Ätiologie ................................................................................................... 13
3.1.2 Biologische Ursachen............................................................................. 13
3.1.3 Psychosoziale Ursachen ......................................................................... 13
3.2 Klassifikation ............................................................................................ 13
3.2.1 International Classification of Diseases, Injuries and Causes of Death .... 14
3.2.2 Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen............. 14
3
4. Angststörungen .................................................................................................... 15
4.1 Generalisierte Angststörung ...................................................................... 15
4.2 Panikstörung ............................................................................................. 15
4.3 Soziale Phobien ........................................................................................ 16
5. Zwangsstörungen ................................................................................................. 16
6. Posttraumatische Belastungsstörungen ............................................................... 17
7. Affektive Störungen ............................................................................................. 18
7.1 Unipolar Depression ................................................................................. 18
7.2 Bipolare Störung ....................................................................................... 19
8. Borderline-Persönlichkeitsstörung ...................................................................... 21
9. Schizophrenie ....................................................................................................... 22
10. Essstörungen ....................................................................................................... 24
10.1 Bulimia Nervosa ..................................................................................... 24
10.2 Anorexia Nervosa ................................................................................... 24
10.3 Adipositas ............................................................................................... 25
11. Sexualstörungen ................................................................................................. 25
11.1 Sexuelle Störungen im DSM-IV ............................................................. 25
11.2 Sexuelle Störungen im ICD-10 ............................................................... 26
4
11.3 Geschlechtsidentitätsstörungen ............................................................... 27
12. Somatoforme und dissoziative Störungen ......................................................... 27
12.1 Somatoforme Störungen .......................................................................... 28
12.1.1Somatisierungsstörung .......................................................................... 28
12.1.2 Konversionsstörung.............................................................................. 29
12.1.3 Hypochondrie....................................................................................... 29
12.2 Dissoziative Störungen ............................................................................ 30
12.2.1 Dissoziative Amnesie ........................................................................... 30
12.2.2 Dissoziative Fugue ............................................................................... 30
12.2.3 Dissoziative Identitätsstörung ............................................................... 30
12.2.4 Depersonalisationsstörung .................................................................... 31
13. Schlussfolgerung/Diskussion .............................................................................. 33
14. Literaturverzeichnis ........................................................................................... 34
1 Einleitung
5
Zwischen Frauen und Männern bestehen wesentliche Unterschiede in der Art der Erkrankung und
der Art des Inanspruchnahmeverhaltens von gesundheitlichen Leistungen (Kämmerer 2001, S. 51).
Gründe dafür sind unter anderem, dass Frauen anderen Risiken ausgesetzt sind als Männer. Frauen
reagieren auch auf Signale des Körpers sensibler und rascher als Männer. Es sind auch meist die
Frauen, welche in der Familie für die Gesundheit zuständig sind. So sind sie diejenigen, welche sich
um Arzttermine oder Impfungen kümmern, einen gesunden Ernährungsplan aufstellen und für die
Behandlung leichter gesundheitlicher Beeinträchtigungen zuständig sind. (Fischer 2005, S. 23).
Männer hingegen sehen den Körper eher als Instrument, welches dazu dient den Anforderungen des
täglichen Lebens gerecht zu werden. Die Funktion des Körpers steht dabei im Vordergrund.
Sie klassifizieren auch die Krankheitssymptome nach „männlich“ und „unmännlich“ und regieren
nur auf jene Symptome, welche dem männlichen Selbstbild gerecht werden. Dies führt unter
anderem dazu, dass Männer bei Beschwerden erst relativ spät einen Arzt/eine Ärztin aufsuchen.
Daraus ergibt sich, dass bei Männern häufiger somatische Diagnosen gestellt werden (Fischer 2005,
S. 25).
Hinblicken auf das Gesundheitsbewusstsein von Männern und Frauen lässt sich feststellen, dass
dies die klassische Rollenverteilung widerspiegelt. Männer werden in der Gesellschaft als das
„starke“ Individuum beschrieben, welches leistungsfähig, machtvoll, gesund und überlegen ist.
Frauen hingegen gelten als das „schwache“ Geschlecht, welches einfühlsam, sensibel, sozial
denkend, tendenziell untergeordnet und eher anfällig für Krankheiten ist (Fischer 2005, S. 22).
Es ist auch zu erwähnen, dass sich Krankheitsverläufe und Krankheitsbewältigung zwischen den
Geschlechtern unterscheiden (Kämmerer 2001, S. 51).
Betrachtet man das psychische Erkrankungsbild, so lässt sich feststellen, dass viele psychische
Störungen, im Hinblick auf die Lebenszeitprävalenz, viel häufiger bei Frauen als bei Männern
vorkommen. Beispielsweise kommen Essstörungen, depressive Störungen sowie Angststörungen
am häufigsten bei Frauen vor. Bei Männern hingegen finden sich meist Suchterkrankungen sowie
Persönlichkeitsstörungen. Gründe für diese Differenzen sind unter anderem psychosoziale,
biologische, kulturelle sowie interaktionelle Faktoren (Riecher-Rössler 2001, S. 13).
In der folgenden Arbeit wird konkret auf die häufigsten psychischen Störungen bei Männern und
Frauen eingegangen und untersucht, inwieweit sich die jeweiligen Erkrankungen
geschlechtsspezifisch differenzieren. Ebenso werden Erklärungsmodelle zur Entstehung von
psychischen Störungen sowie die wichtigsten Klassifikationssysteme angeführt. Die Arbeit
beinhaltet lediglich einen Teil der häufigsten psychischen Störungen und keine Vollständigkeit.
6
Es ergibt sich folgende Forschungsfrage:

Inwieweit unterscheiden sich psychische Störungen bei Männern und Frauen?
7
2 Modelle zur Erklärung psychischer Störungen
2.1 Biomedizinisches Modell
Das biomedizinische Modell, welches auch biologisches, organisches oder medizinisches Modell
genannt wird, stammt aus der Psychiatrie. Psychische Störungen werden laut diesem Modell als
Krankheiten aufgefasst, die sich im Vergleich zum psychischen gesunden Erleben und Verhalten
deutlich abgrenzen. Ursachen für das Entstehen einer solchen Krankheit sind somatische Prozesse,
welche sich entweder aufgrund der genetischen Disposition oder durch erworbene Schädigungen
entwickeln (Franke 2001, S. 24).
Sobald ein Individuum als psychisch krank bezeichnet wird, dann bedeutet das,
1. dass es vom natürlichen Zustand des Organismus abweicht, also nicht gesund ist,
2. dass der Zustand der Krankheit in keinem Zusammenhang mit dem der Gesundheit steht,
3. dass die Krankheit eine spezielle Ursache haben muss und daher auch einen vorbestimmten
Verlauf nehmen wird,
4. dass die Verhaltensweisen, also die Symptome, des/der PatientIn Zeichen für ihnen
zugrundeliegende Prozesse sind,
5. dass ein medizinisches Fachpersonal sowie medizinische Hilfsmittel gebraucht werden,
6. dass es zu bemitleiden ist, da es als kranke Person eingestuft wird,
7. dass es sich von nun an in der sozialen Rolle des/der „PatientIn“ wiederfindet und
8. dass es für sein Verhalten nicht verantwortlich gemacht werden darf, weil es von der
Krankheit heimgesucht wurde. (Franke 2001, S. 25).
Für betroffene PatientInnen bedeutet das biologische Modell eine Entlastung, da sie sich, solange
sie die PatientInnenrolle anerkennen und sich dementsprechend in ihrer/seiner Rolle verhalten, nicht
für das als krank deklarierte Verhalten zu verantworten haben (Franke 2001, S. 25).
2.2 Psychoanalytisches Modell
Dem psychoanalytischen Modell liegt die Annahme zugrunde, dass der Mensch ein im Kern
triebhaftes und affektives Individuum ist, dessen Leben durch Konflikte gekennzeichnet ist. Der
Mensch kann sich zwar um Einsicht und Rationalität bemühen, ausschlaggebend für sein Verhalten
sind jedoch die Prozesse des Unbewussten. Psychische Störungen entwickeln sich nach diesem
8
Modell nicht aufgrund aktueller Lebensumstände, sondern werden durch lebensgeschichtlich
frühere Ereignisse verursacht. Diese Störungsquellen werden als unbewusste Phantasien,
unbewusste Konflikte, pathogene Überzeugungen, Entwicklungsdefizite, Traumatisierung sowie
Hemmungen und Einschränkungen wichtiger Kompetenzen oder Störung des Selbstwerterlebens
beschrieben (Franke 2001, S. 26).
Im Folgenden wird ein Überblick über die Grundbausteine zentraler psychoanalytischer
Krankheitskonzeptionen gegeben.
2.2.1 Unbewusster Konflikt
Dies ist ein Konflikt, der aufgrund der Unvereinbarkeit kindlicher Impulse, Wünsche und
elterlichen Anforderungen entsteht und dadurch meist zu Kompromissleistungen führt, welche
durch einen symptomatischen Charakter gekennzeichnet sind. Der unbewusste Konflikt ist
Grundlage des bewussten Konflikts (Franke 2001, S. 26f).
2.2.2 Unbewusste Phantasie
Diese entsteht als kindlicher Lösungsversuch eines unbewussten Konflikts, beispielsweise wenn
Geschwister ungerechter Weise mehr Spielzeug und Aufmerksamkeit bekommen und das
betroffene Kind aber seine Wut nicht nach außen richten darf, weil es sonst die ganze Liebe seiner
Eltern verlieren könnte. Dann kann es sich zumindest in der Phantasie ausmalen, wie es andere
Menschen dafür bestrafen könnte (Franke 2001, S.27).
2.2.3 Pathogene Überzeugung
Die pathogene Überzeugung entsteht als erlebte Reaktion auf elterliche Handlungen und
Einstellungen im Bezug auf die Handlungen des Kindes (Franke 2001, S. 27).
9
2.2.4 Traumatisierung
Eine Traumatisierung ist das subjektive Erleben von belastenden Ereignissen, welche die
Bewältigungs- und Abwehrmechanismen eines Menschen überfordert haben. Differenziert werden
dabei einmalige Traumatisierungen (Schocktrauma) und häufige bzw. permanente
Traumatisierungen. Letztere können auch durch sogenannte Entwicklungstraumata ausgelöst
werden, bei denen sich Eltern zu wenig auf altersangemessene Bedürfnisse des Kindes einstellen
können (Franke 2001, S. 27).
2.2.5 Entwicklungshemmung
Die vier oben genannten Grundbausteine unbewusste Konflikte, unbewusste Phantasien, pathogene
Überzeugung und Traumatisierung führen zu Entwicklungshemmungen in spezifischen
Entwicklungsbereichen (Franke 2001, S.27).
2.2.6 Entwicklungsdefizit
Entwicklungshemmungen die aufgrund von unbewussten Konflikten, pathogenen Überzeugungen,
unbewussten Phantasien und Traumatisierungen entstehen, können ebenso zu
Entwicklungsdefiziten führen. Diese treten meist dann ein, wenn brachliegende
Entwicklungskompetenzen wegen Mangel an Übung zu einem Defizit führen (Franke 2001, S.27).
2.2.7 Selbstwertstörung
Eine Selbstwertstörung ist eine Reduzierung und Beeinträchtigung eines angemessen
Selbstwertgefühls, die durch die oben genannten Grundbausteine unbewusste Konflikte,
unbewusste Phantasien, pathogene Überzeugung, Traumatisierung und Entwicklungshemmungen
hervorgerufen wird. Im schlimmsten Fall entsteht als Folge von selbstwertregulierenden
Gegenmaßnahmen eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, im durchschnittlichen Fall ein
beeinträchtigtes Selbstwerterleben, welches bei vielen neurotischen Konflikten und
Persönlichkeitsstörungen vorhanden ist (Franke 2001, S. 27).
10
2.2.8 Persönlichkeitsstörung
Hemmungen und Einschränkungen gesunder Erfahrungsmöglichkeiten, die daraus resultierenden
neurotischen Phantasie- und Kompromissbildungen und die gestörte Selbstwertregulation führen
bei neurotischen Menschen zur Ausbildung bestimmter persönlichkeitsstruktureller
Eigentümlichkeiten, Persönlichkeitszügen (z.B. Eigenwilligkeit, Misstrauen, Rechthaberei und
rivalisieren) sowie zur neurotischen Idealbildung und bestimmten neurotische Arten des Denkens
und Erlebens. Die Ganzheit dieser Einstellungen und Haltungen lässt sich als
Persönlichkeitsstörung bezeichnen (Franke 2001, S. 27f).
Es können nach Franke (2001, S. 28f) drei große Gruppen, im Bezug auf alle psychoanalytischen
Schulrichtungen, gebildet werden:
a) Trieb-Konfliktmodell: Nach diesem Modell suchen libidinöse und aggressive Triebimpulse
ständig nach Befriedigung, wobei es wegen unvermeidbaren Frustrationen (z.B. der
Brustentwöhnung), sozialen Normen und Traumatisierungen (z.B. Geburt eines
Geschwisters) zur Unterdrückung und Verdrängung von Triebimpulsen kommt. Weil die
verdrängten infantilen Triebimpulse weiterhin nach Befriedigung streben, finden sie im
neurotischen Symptom eine kompromisshafte „Dennoch-Befriedigung“ (Franke 2001, S.
28).
b) Entwicklungsdefizit-Modell: Hierbei ergibt sich eine Störung, weil die Eltern und/oder
andere wichtige Bezugspersonen wegen eigener Defizite nicht in der Lage waren,
ausreichend gute Selbstobjekt-Funktionen für ihre Kinder zur Verfügung zu stellen. Daher
wurden wesentliche Bedürfnisse nach Selbstkohärenz nicht befriedigt. Das Individuum, das
in seiner Selbststruktur geschädigt ist, sucht im Verlauf seines Lebens nach übermäßiger
Anerkennung und Personen, die es idealisieren kann. Bleiben die Bedürfnisse des Selbst
unbefriedigt, so reagiert die Person mit der Entwicklung eines falschen Selbst, meist vor
allem durch erlebnisaktivierende Tätigkeiten und durch Konsum berauschender Substanzen
(z.B. Drogen, Alkohol, übermäßiges Arbeiten, exzessiver Sport) (Franke 2001, S. 28).
c) Beziehungskonflikt-Modell: Dieses Modell fokussiert die interpersonelle Natur
zwischenmenschlicher Beziehungen. Menschen organisieren aktiv ihre Entwicklung und
stellen dabei kontinuierlich spezifische Beziehungsformen her. Dabei bevorzugen sie
unbewusst die Beziehungsmuster, welche ihnen aus ihrer persönlichen Lebensgeschichte
11
vertraut sind und bringen mit Hilfe angepassten kommunikativen Signalen die Gegenüber
dazu, sich entsprechend der alten Beziehungserfahrungen zu verhalten (Franke 2001, S.
28f).
2.3 Verhaltenstheoretisches Modell
Psychische Störungen werden nach diesem Modell als gelerntes Verhalten definiert, welches
entweder von der Person selbst oder von ihrer Umwelt als abweichend, störend oder belastend
erlebt sowie bewertet wird. Dies als störend erlebte Verhalten selbst ist die Störung (Franke 2001,
S. 29).
Erlernen und Aufrechterhaltung von normalem und abweichendem Verhalten folgt laut dem
verhaltenstheoretischen Paradigma den Lerngesetzen. Diese sogenannte Kontinuitätsannahme stellt
eine wesentliche Differenzierung zum biologischen Modell dar. Während im biologischmedizinischen Modell bestimmte ätiologische Verlaufsprozesse für das kranke Verhalten genannt
werden, bezieht sich das verhaltenstheoretische Modell einfach auf andere Bedingungen des
Lernens und nicht auf ein grundsätzlich anderes Lernen. Für normales und abweichendes Verhalten
gelten die Lernprinzipien klassische und operante Konditionierung sowie Modelllernen und
kognitive Lernprozesse (Franke 2001, S 30).
Weiters definiert das verhaltenstheoretische Paradigma Normalität und Störungen nur im sozialen
Rahmen, in Abhängigkeit von sozialen und individuellen Normen. Ob ein Verhalten nun gestört ist,
ergibt sich nicht aus der Art des Verhaltens, sondern dadurch, dass es zu selten, zu häufig, am
falschen Ort oder zur falschen Zeit erfolgt und die betroffene Person selbst darunter leidet und sich
deshalb so verhält und nicht anders (Franke 2001, S. 30).
2.4 Kommunikationstheoretisch-systematische Ansätze
Als kommunikationstheoretisch-systematische Ansätze werden alle Gruppierungen und Richtungen
zusammengefasst, welche sich auf soziale Gruppen beziehen und nicht primär auf eine einzelne
Person.
Nach diesem Modell werden psychische Störungen nicht als Kennzeichen oder Zustand einer
Person betrachtet, sondern als Phänomen, welches sich im Zusammenhang mit bestimmten
kommunikativen Strukturen und Beziehungen entwickelt und eine Funktion hat. Charakteristisch
für diese Sichtweisen sind die Begriffe der identifizierten oder designierten PatientInnen durch
12
welche ausgedrückt werden soll, dass jener Person die Funktion zukommt, das soziale System vor
einem Zusammenbruch zu bewahren (Franke 2001, S. 34).
Die kommunikationstheoretisch-systematischen Ansätze machen grundsätzlich zu Gesundheit und
Krankheit keine Aussage, die Symptome werden vielmehr als Lösungsversuch gesehen. Langfristig
eignen sich diese Ansätze jedoch nicht und verursachen Leiden, aber im Anbetracht der realen
Situation ist dies meist die bestmögliche Chance das Gesamtsystem vor dem Zusammenbruch zu
bewahren. Der Weg zu einem störungsfreieren Leben besteht aus systematischer Sicht nicht darin
Traumata aufzuarbeiten oder neue Fähigkeiten und Sichtweisen zu erwerben, sondern
brachliegende Potentiale zu fördern und Problemlösungsressourcen im System zu aktualisieren
(Franke 2001, S. 34).
2.5 Diathese-Stress-Modell
Dieses Modell, auch Vulnerabilitäts-Stress-Modell genannt, fokussiert auf die Wechselwirkungen
zwischen belastenden Ereignissen und der Prädisposition für eine Krankheit. Psychische Störungen
entstehen nach diesem Modell nur dann, „wenn unter dem Einfluss von Stressoren konstitutionell
bedingte Vulnerabilitäten und Konstitutionen aktiviert werden.“ (Franke 2001, S.35). Ein Mensch
mit Vulnerabilität für eine bestimmte Krankheit wird nur dann krank werden, wenn belastende
Ereignisse seine Bewältigungsressourcen überfordern (Franke 2001, S. 35).
2.6 Salutogenetisches Modell
Der Begriff „Salutogenese“ wurde vom Medizinsoziologen Aaron Antonovsky (1923-1994)
definiert.
Salutogenetische Modelle fokussieren sich auf das gesamte Spektrum von Gesundheit und
Krankheit und konzentrieren sich darauf herauszufinden, wie Menschen am besten gesund werden.
Sie gehen davon aus, dass Heterostase, Ungleichgewicht, Krankheit, Leid und Tod inhärente
Bestandteile der menschlichen Existenz sind und beschäftigen sich mit der Frage wie Menschen mit
Stress umgehen. Der menschliche Organismus wird als System gesehen, das dem Zerfall
ausgeliefert ist. Es muss daher kontinuierlich Energie in das System gepumpt werden, damit es
erhalten bleibt. Im salutogenetischen Modell ist Krankheit ein normales, übliches Ereignis.
Menschen sind nicht entweder krank oder gesund, sondern immer und zu jedem Zeitpunkt beides.
Krankheit ist damit nicht der Ausfall eines Systems, sondern sie wird als Ent-Gesundung
13
verstanden, involviert in die Geschichte eines Menschen (Franke 2001, S. 35f).
3 Grundlagen zur Beschreibung psychischer Störungen
3.1 Ätiologie
3.1.2 Biologische Ursachen
Für einige psychische Erkrankungen wie Schizophrenie, Depression oder Alkoholismus werden
genetische Ursachen vermutet. Diese allein sind jedoch nie die Ursache für die Entstehung einer
psychischen Störung sondern entstehen in Kombination mit anderen Faktoren (Kryspin-Exner,
2007, S. 172f).
3.1.3 Psychosoziale Ursachen
Je nach theoretischen Konzepten gibt es unterschiedliche Vermutungen bezüglich psychosozialer
Ursachen für die Entstehung von psychischen Erkrankungen. Tiefenpsychologische Ansätze
beispielsweise vermuten psychische Störungen als Resultat unbewältigter phasenspezifischer
Aufgaben der frühkindlichen Libido-Entwicklung. In traumatischen Situationen im späteren Leben
kommt es zu einer Reaktualisierung der verdrängten ungelösten Konflikte und es kann zu einer
Manifestation psychischer Störungen kommen.
Lerntheoretisch-kognitive Modelle versuchen die Entstehung psychischer Störungen durch
lebenslange Lernprozesse wie Modelllernen, klassische und operante Konditionierung und
Problemlösungsstrategien zu erklären.
Sozialpsychologische Modelle nehmen an, dass psychische Störungen aufgrund von sozialen
Defiziten entstehen. So können sich unzureichende soziale Unterstützung oder überengagierte aber
feindselige Angehörige auf den Menschen auswirken und psychische Störungen verursachen
(Kryspin-Exner 2007, S. 173).
14
3.2 Klassifikation
Die Klassifikation dient zur Strukturierung psychisch auffälliger Symptome und erlaubt somit die
Zuordnung eines Falles zu einer Klasse und eine Diagnosestellung.
Die beiden weltweit gültigen Klassifikations- bzw. Diagnosesysteme sind die International
Classification of Disease (ICD), welche von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelt
wurde sowie das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM), welches von der
American Psychiatric Association entwickelt wurde.
Bei Klassifikationssystemen werden Zuordnungskriterien aus Verlauf und Symptomen der
Erkrankung bestimmt. Die Krankheitsbilder können aufgrund mehrerer Achsen und durch
Kodierung des Ausprägungsgrades beschrieben werden. Mittels der Klassifikationssysteme sind
auch Mehrfachdiagnosen möglich (Kryspin-Exner 2007, S. 174).
3.2.1 International Classification of Diseases, Injuries and Causes of Death (ICD)
Die Interational Classification of Diseases, Injuries and Causes of Death wurde von der WHO
entwickelt. Sie umfasst zehn Hauptgruppen und 398 Störungsdiagnosen und stellt ein hierarchisches
System dar. Die in der ICD-10 angeführten psychischen Störungsbilder lauten:

F0: organische Störungen

F1: psychische Störungen sowie Verhaltensauffälligkeiten aufgrund von psychotropen
Substanzen

F2: schizophrene, schizotype und wahnhafte Störungen

F3: affektive Störungen

F4: neurotische sowie Verhaltens- und Belastungsstörungen

F5: Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren

F6: Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen

F7: Intelligenzminderung

F8: Entwicklungsstörungen

F9: emotionale und Verhaltensstörungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend (KryspinExner 2007, S. 175f)
15
3.2.2 Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen (DSM)
1952 wurde von der American Psychiatric Association (APA) erstmals das Diagnistic and
Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) veröffentlicht. 1980 wurde das DSM-III entwickelt,
danach das DSM-III-R. Die momentan aktuellste Version ist das DSM-IV.
Das DSM beschreibt Störungen in 16 diagnostischen Hauptgruppen auf folgenden fünf Achsen:

Achse 1: Klinische Störungen sowie andere klinisch relevante Probleme

Achse 2: Intellektuelle Behinderungen und Persönlichkeitsstörungen

Achse 3: Medizinische Krankheitsfaktoren

Achse 4: psychosoziale sowie umgebungsbedingte Probleme

Achse 5: Globale Erfassung des Funktionsniveaus (Kryspin-Exner 2007, S. 176)
4 Angststörungen
Angststörungen gehören bei Frauen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen, bei Männern
nach den Abhängigkeitsstörungen zu den zweithäufigsten. Bereits im Kindesalter sind die
Geschlechtsunterschiede laut einigen Studien deutlich zu erkennen (Schneider 2001, S. 210).
4.1 Generalisierte Angststörung
Hierbei handelt es sich um dauerhafte, übertriebene oder unrealistische Ängste oder Sorgen. Die
Sorgen können von autonomen Symptomen wie Nervosität, Anspannung, erhöhter Erregung oder
vegetativen Beschwerden begleitet werden. Betroffene geben an ihre Befürchtungen und Sorgen
nicht kontrollieren oder abstellen zu können (Schneider 2001, S. 214f).
Die Ängstlichkeit betrifft meistens bestimmte Lebensumstände, wie den Gesundheitszustand einer
geliebten Person oder unbegründete Sorgen über die eigenen Finanzen (Gerrig & Zimbardo 2008,
S. 558).
Diagnostiziert wird diese Angststörung, wenn die betroffene Person über einen Zeitraum von
mindestens sechs Monaten ein andauerndes Gefühl der Ängstlichkeit und Besorgtheit erlebt, ohne
dass eine reale Bedrohung besteht. Ebenso müssen mindestens drei weitere Symptome wie
Muskelspannung, Ruhelosigkeit, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten oder Reizbarkeit
vorliegen (Gerrig & Zimbardo 2008, S. 558).
16
Eine generalisierte Angststörung entwickelt sich meist zwischen dem zwanzigsten und dreißigsten
Lebensjahr und verläuft chronisch (Schneider 2001, S. 215).
4.2 Panikstörung
Charakteristisch für eine Panikstörung sind die plötzlich auftretenden Panikanfälle bzw. die
dauerhafte Sorge vor dem erneuten Auftreten eines solchen Anfalles. Panikanfälle sind durch
intensive Furcht oder Unbehagen gekennzeichnet und werden ebenso von einer Vielzahl
körperlicher und psychischer Symptome und das Gefühl drohender Gefahr begleitet. Ein
Panikanfall dauert im Durchschnitt dreißig Minuten, kann aber auch kürzer sein. Typische
körperliche Symptome sind Herzklopfen, Herzrasen, Benommenheit, Magen-Darmbeschwerden,
Dyspnoe, Zittern, Brustschmerzen, Schwindel sowie die Angst zu sterben, die Kontrolle zu
verlieren oder verrückt zu werden. Solche Anfälle entstehen meist spontan und ohne für die
PatientInnen ersichtliche Ursachen. Folglich kommt es meistens zu Vermeidungsverhalten, die
Betroffenen schränken ihren Lebensstil ein und gehen nicht mehr an Orte, an denen sie einen
Panikanfall erlitten haben (Schneider 2001, S 211).
Studien zufolge haben Frauen im Vergleich zu Männern ein höheres Risiko ein
Vermeidungsverhalten zu entwickeln und weisen ebenso häufiger komorbide Störungen wie
Depressionen auf (Schneider 2001, S. 212).
4.3 Soziale Phobie
Unter einer sozialen Phobie wird eine dauerhafte, intensive und unangemessene Furcht und
Vermeidung von Situationen verstanden, in denen PatientInnen mit anderen Menschen in Kontakt
treten und dadurch einer möglichen Bewertung ausgesetzt sind. Die Betroffenen fürchten sich
lächerlich zu machen, durch ungeschicktes Verhalten gedemütigt zu werden oder zu versagen.
Ein Beginn der Störung zeigt sich meist zwischen dem fünfzehnten und einundzwanzigsten
Lebensjahr. Risikofaktoren für die Entwicklung einer sozialen Phobie sind unter anderem ein
niedriger sozioökonomischer Status und eine einfache Schulbildung (Schneider 2001, S. 213).
In therapeutischen Einrichtungen finden sich vermehrt Männern mit sozialen Phobien. Gründe
hierfür könnten sein, dass Frauen durch die soziale Phobie weniger soziale Sanktionen erleben
(Schneider 2001, S. 213f).
17
5 Zwangsstörung
Bei einer Zwangsstörung verspüren die Betroffenen den subjektiven Drang bestimmte Dinge zu tun
oder zu denken. Dieser Drang liegt aber außerhalb ihrer Kontrolle. Sie erleben diesen als etwas, das
von ihnen selbst ausgeht, distanzieren sich aber mehr oder weniger stark von den Inhalten bzw.
Handlungen. Daher versuchen die Betroffenen diesen Handlungsimpulsen oder Gedanken zu
widerstehen (Lakatos 2001, S. 229f).
Die am häufigsten verbreiteten Formen von Zwangsstörungen sind Putz- und Waschzwänge sowie
der Kontrollzwang.
Putz- und Waschzwänge sind meist mit der Furcht vor einer Ansteckung mit einer tödlichen
Krankheit (z.B. AIDS) oder der Verunreinigung mit menschlichen Ausscheidungen verbunden.
Charakteristisch hierfür ist, dass die Betroffenen fürchten durch den Kontakt mit diesen Stoffen zu
erkranken, zu sterben oder andere Personen dadurch krank zu machen.
Kontrollzwänge hingegen beziehen sich meistens auf Elektrogeräte wie Bügeleisen,
Kaffeemaschine oder Herd, welche in der Vorstellung der Betroffenen einen Hausbrand
verursachen könnten. Auch Türen und Fenster spielen bei Kontrollzwängen eine große Rolle,
welche wegen der Gefahr eines Einbruchs unbedingt verschlossen sein müssen. Einer der
häufigsten Auslöser für einen Kontrollzwang ist die Furcht einen Fehler begangen zu haben,
welcher das soziale Ansehen und Leben zerstören könnte (Lakatos 2001, S. 232).
Lange Zeit wurde geglaubt, dass vorwiegend Frauen an Zwangsstörungen erkranken. Der Grund
hierfür war, dass hauptsächlich Frauen in stationären psychiatrischen Kliniken aufgenommen
wurden. In den 1990er Jahren durchgeführte Studien ergaben jedoch, dass Zwangsstörungen bei den
Geschlechtern beinahe gleichverteilt sind (Lakatos 2001, S. 236).
Bezüglich der Inhalte der Zwangsstörungen lässt sich feststellen, dass vor allem Frauen unter den
Zwangsgedanken leiden dem eigenen geliebten Kind etwas anzutun. Ebenso treten bei Frauen viel
häufiger Putzzwänge auf, bei Männern hingegen kaum. Männer werden aber viel häufiger von
Gedanken gequält im Beruf entscheidende Fehler gemacht zu haben und auch das Thema des
sexuellen Missbrauchs ist eher charakteristisch für das männliche Geschlecht (Lakatos 2001, S.
236f).
18
6 Posttraumatische Belastungsstörung
Eine posttraumatische Belastungsstörung wird diagnostiziert, wenn Erfahrungen vorliegen, welcher
der Traumadefinition gleichen und eine spezifische Anzahl von Einzelsymptomen auftritt. Jene
Symptome können sein:

Quälende, unkontrollierbare Erinnerungen an das traumatische Geschehen,

Vermeidung von Situationen, Kontakten, Gefühlen oder Gedanken, welche an das
traumatische Ereignis erinnern könnten sowie

erhöhtes Energieniveau, welches das Schlafverhalten und die Konzentrationsfähigkeit
beeinträchtigt (Teegen, 2001, S. 265f).
Studien zeigten, dass die Wahrscheinlichkeit eine posttraumatische Belastungsstörung zu
entwickeln bei Frauen zweimal höher ist als bei Männern. Ebenso haben Frauen eine höhere
Wahrscheinlichkeit, dass sich die Krankheit chronifiziert (Volgger 2011, S. 19).
7 Affektive Störungen
Als affektive Störungen werden psychische Störungen verstanden, deren primäres Merkmal eine
krankhafte Veränderung der Stimmlage ist. Zu unterscheiden sind unipolare und bipolare
Depressionen (Kühner 2001, S. 166).
7.1 Unipolare Depression
Als unipolare Depressionen werden die Major Depression und die Dysthyme Störung
zusammengefasst.
Nach dem DSM-IV wird eine Major Depression diagnostiziert, wenn mindestens fünf der folgend
genannten Symptome vorhanden sind:

Verlust an Interesse oder Freude,

depressive Verstimmung,
19

verminderter Appetit oder Gewichtsverlust ohne Diät,

psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung,

Schlaflosigkeit oder vermehrtes Schlafbedürfnis,

Müdigkeit oder Energieverlust,

Gefühle von Wertlosigkeit oder Schuldgefühle,

verminderte Konzentrations- und/oder Entscheidungsfähigkeit sowie

wiederkehrende Gedanken an den Tod oder Suizidgedanken
Zur Diagnose müssen diese genannten Symptome in einem Mindestzeitraum von zwei Wochen
gemeinsam auftreten und eine Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder sonstigen
Funktionsbereichen verursachen (Kühner 2001, S. 166f).
Bei der Dysthymen Störungen liegt eine geringere Symptomschwere vor als bei der Major
Depression, jedoch ist sie durch einen chronischen Verlauf gekennzeichnet. Für die Diagnose ist
das Vorliegen einer depressiven Verstimmung die meiste Zeit des Tages an mehr als der Hälfte der
Tage über einen Mindestzeitraum von zwei Jahren erforderlich. Innerhalb dieser zwei Jahre darf
kein symptomfreier Zeitraum von mehr als zwei Monaten vorhanden sein und es darf keine
Episoden einer Major Depression geben. Es müssen mindestens zwei der folgend genannten
Symptome auftreten:

Schlaflosigkeit oder übermäßiges Schlafbedürfnis,

Appetitlosigkeit oder übermäßiges Bedürfnis zu essen,

geringes Selbstwertgefühl,

Erschöpfung oder Energiemangel,

Gefühl der Hoffnungslosigkeit sowie

Konzentrationsstörungen oder Entscheidungserschwernis (Kühner 2001, S. 167).
7.2 Bipolare Störung
Als Bipolare Störung werden die Bipolar I und die Bipolar II Störungen sowie die Cyclothyme
Störung zusammengefasst.
20
Eine Bipolar I Störung wird durch das Vorliegen einer oder mehrerer manischer Episoden oder
gemischt manisch-depressiver Episoden charakterisiert. Diagnostiziert wird eine manische Episode
nach DSM-IV durch das vorliegen von mindestens drei der folgend genannten Symptome:

vermehrtes Schlafbedürfnis,

übersteigertes Selbstwertgefühl oder Größenideen,

erhöhte Ablenkbarkeit,

vermehrte Gesprächigkeit oder Rededrang,

gesteigerte Betriebsamkeit oder psychomotorische Unruhe,

Ideenflucht oder subjektives Gefühl des Gedankenrasens sowie

übermäßige Beschäftigung mit angenehmen Tätigkeiten, welche mit hoher
Wahrscheinlichkeit unangenehme Konsequenzen mit sich führen.
Ebenso muss ein Zustand einer anhaltenden, abnorm gehobenen, expansiven oder reizbaren
Stimmung über einen Zeitraum von mindestens einer Woche gegeben sein.
Eine Bipolar II Störung beinhaltet wiederkehrende Episoden einer Major Depression mit
hypomanen Episoden (Kühner 2001, S. 168).
Die Cyclothyme Störung ist eine chronisch fluktuierende affektive Störung, bei welcher sich
häufige Perioden mit hypomanen und leichteren depressiven Symptomen abwechseln. Zur
Diagnostik müssen die Symptome mindestens zwei Jahre vorliegen und die symptomfreie Zeit darf
den Zeitraum von zwei Monaten nicht überschreiten (Kühner 2001, S. 169).
Im Vergleich zu Männern erkranken Frauen häufiger an einer Bipolar II Störung. Bipolar I und
cyclothyme Störung liegen bei Männern und Frauen etwa gleich häufig vor. Auch bei unipolaren
Depressionen ist die Prävalenz bei Frauen höher als bei Männern (Kühner 2001, S. 170).
Fischer (2005, S. 166) beschreibt geschlechtsspezifische Erscheinungsbilder einer Depression. So
neigen Männer eher zu Unzufriedenheit, Wutausbrüchen, Gereiztheit und erhöhter
Risikobereitschaft, Frauen hingegen eher zu Antriebsstörungen, Schlafstörungen, sozialem Rückzug
und Vernachlässigung der Körperpflege (Fischer 2005, S. 166).
21
8 Borderline-Persönlichkeitsstörung
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist eine schwere psychische Störung, welche durch ein
Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, in Affekten, im Selbstbild sowie
von deutlicher Impulsivität gekennzeichnet ist. Für den/die DiagnostikerIn ist es eher schwierig eine
entsprechende Diagnose zu stellen, da die Symptome einer Persönlichkeitsstörung oft weniger gut
beobachtbar sind, weil sie stark mit dem Beziehungs- und Selbsterleben der Betroffenen verbunden
sind und nicht selten von den PatientInnen als Symptom wahrgenommen werden (Dulz et al. 2011,
S. 303). Betroffene haben oft starke Gefühlsschwankungen und handeln des Öfteren impulsiv und
gefährden sich selbst (z. B. durch exzessiven Alkoholkonsum und/oder selbstverletzendes
Verhalten). Eine Borderline-Persönlichkeitsstörung beginnt meistens im frühen Erwachsenenalter
und wird anhand des Auftretens von mindestens fünf der folgenden Kriterien nach DSM-IV
diagnostiziert:

chronisches Gefühl von Leere,

heftige, unangemessene Wut oder die Schwierigkeit diese Wut zu kontrollieren,

vorübergehende paranoide Vorstellungen, welche durch Belastungen ausgelöst werden,

wiederholte Suizidhandlungen, Selbstmordandeutungen oder –versuche sowie
selbstverletzendes Verhalten,

verzweifeltes Bemühen nicht verlassen zu werden,

Identitätsstörung,

Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Bereichen (Fressanfälle,
Substanzmissbrauch, etc.)

Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung (Renneberg,
2001, S. 401).
Nach ICD-10 wird eine Borderline-Persönlichkeitsstörung anhand folgender Kriterien
diagnostiziert:

die inneren Erfahrungs- und Verhaltensmuster weichen deutlich im Bereich der
Impulskontrolle und Handhabung von zwischenmenschlichen Beziehungen, Wahrnehmung
und Affektivität von den kulturell erwarteten und akzeptierten Normen ab,

die Abweichung in den obig genannten Bereichen ist so stark, dass das daraus resultierende
Verhalten in persönlichen und sozialen Situationen unangepasst und unzweckmäßig ist,
22

durch diese Abweichungen kommt es zu einem persönlichen Leidendruck und/oder
nachteiligem Einfluss auf die soziale Umwelt,

es muss nachgewiesen werden können, dass das abweichende Verhalten von Dauer ist und
im späten Kindesalter bzw. in der Adoleszenz begonnen hat,

das abweichende Verhalten kann durch das Vorliegen oder durch die Folge einer anderen
psychischen Erkrankung nicht erklärt werden,

es muss ausgeschlossen werden, dass organische Erkrankungen, Verletzungen oder
deutliche Funktionsstörungen des Gehirns Ursachen für die Abweichung sein könnten (Dulz
et al. 2011, S. 305).
Risikofaktoren für die Entstehung einer Borderline-Persönlichkeitsstörung sind unter anderem
Depressionen, ausgeprägte Impulsivität, traumatische Lebensereignisse, sexueller Missbrauch und
schizotypische Verhaltensweisen (Renneberg 2001, S. 408).
Einige Studien zeigen, dass eine Borderline-Persönlichkeitsstörung hauptsächlich bei Frauen
auftritt, bei Männern eher selten. Gründe hierfür sind unter anderem, dass Frauen häufiger Opfer
sexuellen Missbrauchs werden und eine stärkere Intensität emotionalen Empfindens und Reagierens
aufweisen, wodurch sie eher in Kombination mit anderen Einflussfaktoren an einer BorderlinePersönlichkeitsstörung erkranken (Renneberg 2001, S. 414).
9 Schizophrenie
Nach der ICD-10 wird die Schizophrenie diagnostiziert, wenn über einen Zeitraum von mindestens
einem Monat Symptome wie kommentierende oder dialogisierende Stimmen, Gedankenlautwerden,
anhaltender bizarrer Wahn oder katatone Symptome vorhanden sind.
Die Schizophrenie betrifft die gesamte Persönlichkeit der/des Betroffenen. Die Erkrankung kann
alle psychischen Funktionen verändern. Sie manifestiert sich in einer unterschiedlichen
Symptomatik, abhängig davon, ob es sich um eine akute oder chronische Erkrankungsphase handelt
(Schmitt 2001, S. 143).
23
Es werden bei der Schizophrenie folgende Subtypen unterschieden:
 Paranoider Typus: Dieser Typ wird durch ausgeprägte akustische Halluzinationen oder
Wahnphänomene charakterisiert. Oft findet sich auch ein Verfolgungswahn oder ein
Größenwahn. Die Halluzinationen beiziehen sich inhaltlich auf das Wahnthema, dieser
Typus tritt meist im späteren Lebensalter auf.
 Desorganisierter Typus: Charakteristisch für diesen Typus ist die desorganisierte
Sprechweise, das desorganisierte Veralten sowie der verflachte Affekt. Meist kommt es bei
diesem Typ zu einem Verlust der Zielorientierung und zu einer Einschränkung der
Selbstständigkeit. Typisch sind auch unangemessene Heiterkeit und Albernheit aber auch
eine Neigung zur Chronifizierung.
 Katatoner Typus: Leitsymptome des katatonen Typus sind ausgeprägte Störungen der
Psychomotorik wie motorische Unbeweglichkeit, merkwürdige Willkürbewegungen oder
das Wiederholen von bereits Gesprochenem. Ebenso können aber Erschöpfungszustände,
selbst zugefügte Verletzungen oder Mangelernährung infolge der Störung auftreten (Schmitt
2001, S. 146f).
In diversen Studien wurde festgestellt, dass Männer ein signifikant geringeres Ersterkrankungsalter
als Frauen aufweisen. Frauen erkranken im Durchschnitt erst vier bis fünf Jahre später als Männer.
Hypothesen für diese Unterschiede sind unter anderem, dass Frauen weniger dem beruflichen Stress
ausgesetzt sind, da sie weniger in höheren Positionen vertreten sind. Ebenso heiraten Frauen im
Durchschnitt früher als Männer und weisen dadurch eine bessere soziale Integration auf, welche vor
der Erkrankung schützt. Diese Hypothesen könnte jedoch nicht belegt werden. Heute wird davon
ausgegangen, dass Frauen durch die Östrogene vor einer früheren Erkrankung geschützt sind
(Schmitt 2001, S. 150f).
Es ist zu erwähnen, dass die sozialen Fähigkeiten bei schizophrenen Frauen besser ausgebildet sind
als bei schizophrenen Männern. Jedoch halluzinieren Frauen im akuten Krankheitsstadium häufiger
als männliche Schizophrene (Rädler & Naber 2007, S. 52).
24
10 Essstörungen
10.1 Bulimia Nervosa
Gekennzeichnet ist die Bulimia Nervosa durch Heißhungeranfälle, wobei eine große
Nahrungsmenge in einem bestimmten Zeitraum aufgenommen wird, mit anschließenden
gewichtsreduzierenden Maßnahmen wie Erbrechen, Fasten und/oder Missbrauch von Laxantien und
Appetitzüglern. Betroffene haben oft das Gefühl die Kontrolle über das Essverhalten zu verlieren
(Franke 2001, S. 363f).
Ein solcher Anfall wird häufig geplant. Die Betroffenen gehen eigens dafür einkaufen oder stellen
sicher, dass genügend Nahrung zu Hause vorhanden ist. Das Essen findet dann meistens heimlich
statt und endet damit, dass die Kapazitätsgrenze des Magens erreicht wurde oder die Betroffenen
durch Einschlafen oder Gestörtwerden die Nahrungsaufnahme beenden. Die Kalorienaufnahme bei
einem Anfall bewegt sich meist in einem Bereich von 3000 – 4000 Kilokalorien (Heinemann &
Hopf 2008, S. 209).
Nach dem Anfall fühlen sich die Betroffenen oft deprimiert und verachten sich selbst für das
impulshafte Verhalten. Diese Gefühle von Depressivität, Selbstverachtung, Heimlichkeit und
Scham führen oft zur sozialen Isolation und die enormen Kosten für die Nahrungsmittel bedingen
meist finanzielle Schwierigkeiten (Heinemann & Hopf 2008, S. 209).
Diverse Studien zeigten, dass bulimische Männer im Vergleich zu Frauen ein höheres Idealgewicht
angeben. Ebenso leiden männliche Bulimiker weniger an ihren Essanfällen als Frauen (Kersting
2007, S. 181).
10.2 Anorexia Nervosa
Hierbei handelt es sich um den dringlichen Wunsch der Betroffenen extrem schlank zu sein.
Leitsymptome sind markanter Gewichtsverlust, Amenorrhoe, Verzerrungen im kognitiven Bereich
sowie ein hohes Aktivitätsniveau. Weiters haben die Betroffenen extreme Angst vor einer
Gewichtszunahme oder dick zu werden, obwohl Untergewicht besteht. Sie weigern sich, das
Minimum des für ihr Alter und Körpergröße entsprechende Körpergewicht zu halten. Der
Gewichtsverlust wird selbständig durch induziertes Erbrechen, übertriebene körperliche Aktivitäten,
Gebrauch von Appetitzüglern, induziertes Abführen und/oder Vermeidung hochkalorischer Speisen
herbeigeführt (Franke 2001, S. 361).
25
Als psychische Auffälligkeiten gelten vor allem depressive Symptome, Zwangsverhalten und
bizarre Verhaltensweise, die sich ausschließlich auf das Essen beziehen (Franke 2001, S. 362).
In Amerika wird eine Variante der männliche Anorexia nervosa beschrieben, die sogenannte
„reverse anorexia“. Männer mit dieser Erkrankung sind wahnhaft davon überzeugt eine zu geringe
Muskelmasse zu haben. Dadurch kommt es zu einem zwanghaften Bedürfnis durch muskuläres
Aufbautraining das Muskelwachstum zu erhöhen (Kersting 2007, S. 181).
10.3 Adipositas
Adipositas beschreibt einen Überschuss an Körperfett und wird ab einem Body Mass Index von
über 30 diagnostiziert. Folgen von Adipositas sind unter anderem Schlaganfälle, Erkrankungen des
Herz-Kreislauf-Systems, Gallensteine, Diabetes Mellitus, Bandscheibenvorfälle, Zyklusstörungen
sowie Schwangerschaftskomplikationen. Ebenso wirkt sich die Adipositas oft auf das
Selbstwertgefühl, die Zufriedenheit und Lebensqualität des/der Betroffenen aus. In einer
Gesellschaft, die das Schlanksein propagiert, werden adipöse Menschen häufig von
Freizeitveranstaltungen ausgeschlossen, haben wenig soziale Kontakte und des Öfteren
Schuldgefühle zu dick zu sein. Sie halten sich für disziplinlos und zu schwach eine Diät zu
beginnen oder durchzustehen und dadurch geht eine Adipositas auch oft mit einer depressiven
Verstimmung einher. Die körperlichen Folgeerkrankungen werden dabei häufig als Strafe für die
eigene Zügellosigkeit interpretiert (Franke 2001, S. 365f).
11 Sexualstörungen
11.1 Sexuelle Störungen im DSM-IV
Das DSM-IV unterteilt die verschiedenen sexuellen Störungen in Störungen der sexuellen
Erregbarkeit, Störungen der sexuellen Appetenz und in Orgasmusstörungen. Mit einbezogen
werden auch Störungen mit sexuell bedingten Schmerzen, sexuelle Störungen aufgrund einer
Krankheit und substanzinduzierte sexuelle Funktionsstörungen. Diagnostiziert wird eine sexuelle
Störung laut der DSM-IV nur dann, wenn sie deutliches Leiden oder zwischenmenschliche
Schwierigkeiten verursacht und die Störung nicht durch eine andere Störung erklärt werden kann
(Kämmerer & Rosenkranz 2001, S. 333f).
26
Folgende sexuelle Störungen werden im DSM-IV klassifiziert:

Störung mit sexueller Aversion: anhaltende oder wiederkehrende extreme Abneigung
gegenüber genitalem Kontakt.

Störung der sexuellen Erregung: keine Anschwellung der äußeren Genitale als Zeichen der
Erregung wird erlangt oder dies bleibt bis zum Ende der sexuellen Aktivität nicht
aufrechterhalten.

Dyspaneurie: Wiederkehrende oder anhaltende Schmerzen während des
Geschlechtsverkehrs.

Vaginismus: Wiederkehrende oder anhaltende unwillkürliche Spasmen der
Vaginalmuskulatur.

Nymphomanie: gesteigertes sexuelles Verlangen

Paraphilien/Störungen der Sexualpräferenz: wiederkehrende, intensive sexuell dranghafte
Bedürfnisse, Phantasien oder Verhaltensweisen, welche sich auf ungewöhnliche Aktivitäten,
Objekte oder Situationen beziehen (z.B.: Exhibitionismus, Fetischismus, Pädophilie,
Masochismus, Sadismus, Voyeurismus, etc.)

Orgasmusstörung: wiederkehrende oder anhaltende Verzögerung des Orgasmus bzw.
vollständiges Ausbleiben eines Orgasmus nach normaler sexueller Erregung (Kämmerer &
Rosenkranz 2001, S. 335).
11.2 Sexuelle Störungen im ICD-10
Bei dem ICD-10 liegt das Augenmerk darin, welche sexuelle Funktion durch die Störung
beeinträchtigt ist.
Folgende sexuelle Störungen werden nach dem ICD-10 unterschieden:

Sexuelle Aversion: Die Vorstellung einer sexuellen Partnerbeziehung ist stark von negativen
Gefühlen begleitet und erzeugt so viel Angst, dass sexuelle Handlungen vollständig
vermieden werden.

Mangel oder Verlust von sexuellem Verlangen

Mangel an sexueller Befriedigung: Der Orgasmus wird ohne Lustgefühl erlebt.
27

Versagen genitaler Reaktion: Mangel oder Ausfall des genitalen Sekrets.

Orgasmusstörung: Der Orgasmus tritt stark verzögert oder gar nicht ein.

Nicht-organische Dyspaneurie: starke Schmerzen während des Geschlechtsverkehrs

Nymphomanie: gesteigertes sexuelles Verlangen (Kämmerer & Rosenkranz 2001, S. 335).
11.3 Geschlechtsidentitätsstörung
Eine Geschlechtsidentitätsstörung ist gekennzeichnet durch das anhaltende Unbehagen im eigenen,
angeborenem Geschlecht und der starke andauernde Drang der Zugehörigkeit zum anderen
Geschlecht. Damit verbunden ist die Ablehnung der eigenen Geschlechterrolle und der körperlichen
Merkmale. Geschlechtsidentitätsstörungen sind weniger Störungen der Sexualität sondern der
Identität, der Persönlichkeit und des Rollenverhaltens.
Zur Diagnose einer Geschlechtsidentitätsstörung müssen folgende Kriterien gegeben sein:

Dauerhafte gegengeschlechtliche Identifikation

Andauerndes Unbehagen bezüglich der biologischen Geschlechtszugehörigkeit

Nachweis eines klinisch relevanten Leidensdruckes oder Beeinträchtigung in beruflichen,
sozialen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen (Krause et. al 2011, S. 82).
Studien zeigten, dass vorwiegend Frauen unter dem Ausbleiben eines Orgasmus sowie unter
mangelnder Lubrikation leiden, Männer hingegen Errektionsprobleme aufweisen (Sigusch 2007, S.
215f).
Ebenso sind es vorwiegend Frauen, die aufgrund von sexueller Lustlosigkeit therapeutische Hilfe
suchen. Die Patientinnen erleben diese Lustlosigkeit als persönliches Versagen und damit als
sexuelle Störung (Kämmerer & Rosenkranz 2001, S. 339).
Bezüglich der Prävalenz der Geschlechtsidentitätsstörung liegen keine epidemiologischen Daten
vor.
12 Somatoforme und dissoziative Störungen
Charakteristisch für somatoforme und dissoziative Störungen ist, dass körperliche Phänomene
betrachtet werden, die nicht wegen physiologischer Verursachungen entstanden sind, sondern durch
28
seelische Phänomene wie dysfunktionale Gedanken und/oder konflikthafte Gefühle (Kämmerer
2001, S. 286).
12.1 Somatoforme Störungen
Die Symptome einer somatoformen Störung verursachen Leiden und eine starke Beeinträchtigung
in beruflichen, sozialen und oder anderen wichtigen Lebensbereichen. Es gibt für die Betroffenen
keine Möglichkeit die Symptome kognitiv zu kontrollieren.
Im ICD-10 sind die zentralen Kennzeichen einer somatoformen Störung die hartnäckigen
Forderungen nach medizinischen Untersuchungen, obwohl jene bereits ein negatives Ergebnis
lieferten (Kämmerer 2001, S. 286).
Charakteristisch für somatoforme Störungen ist die fokussierte (Selbst-)Aufmerksamkeit auf den
eigenen Körper bzw. auf die körperlichen Prozesse. Aufgrund einer Fehlbewertung der körperlichen
Sensationen als Krankheitssymptome werden jene als unbeeinflussbar und unkontrollierbar von den
Betroffenen erlebt. Diese kognitive Verzerrung ist mit emotionalen Beeinträchtigungen verbunden.
So fühlen sich die PatientInnen niedergeschlagen, ängstlich, hilflos und spüren einen starken
Leidensdruck. Durch diese emotionalen Belastungen können sich komorbide Störungsbilder wie
Depressionen oder Angststörungen entwickeln (Kämmerer 2001, S. 287).
12.1.1 Somatisierungsstörungen
Leitsymptome einer Somatisierungsstörung sind wiederkehrende, multiple, klinisch bedeutsame
Beschwerden, welche immer eine ärztliche Untersuchung sowie die Einnahme von Medikamenten
erfordern. Zur Diagnose darf das Alter der/des Betroffenen das 30. Lebensjahr nicht überschreiten
und die Symptome müssen mindestens zwei Jahre anhalten. Im DSM-IV müssen mindestens acht
Symptome aus vier Köper- oder Funktionsbereichen vorhanden sein: vier Schmerzsymptome
(Kopf-, Abdomen-, Rücken-, Gelenk- und/oder Brustschmerzen), zwei gastrointestinale Schmerzen
(Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Speisenunverträglichkeit, Völlegefühl), ein sexuelles Symptom
(unregelmäßige Menstruation, sexuelle Gleichgültigkeit, Erektions- oder Ejakulationsstörungen,
Erbrechen während der gesamten Schwangerschaft) sowie ein pseudoneurologisches Symptom
(Schluckschwierigkeiten, lokale Muskelschwäche, Aphonie, Halluzinationen, Koordinations- und
Gleichgewichtsstörungen).
29
Im ICD-10 müssen zur Diagnose mindestens sechs aus vier verschiedenen Kategorien vorliegen:
gastrointestinale Symptome (Übelkeit, Gefühl der Überblähung, Bauchschmerzen, extrem belegte
Zunge, Klagen über Erbrechen oder über häufigen Durchfall), kardiovaskuläre Symptome
(Brustschmerzen, Atemlosigkeit ohne Anstrengung) urogenitale Symptome (unangenehme
Empfindungen in und um den Genitalbereich, Dysurie, Klagen über vaginalen Ausfluss) sowie
Haut- und Schmerzsymptome (Schmerzen in Gliedern, Gelenken oder Extremitäten, unangenehme
Taubheit und Kribbelgefühle, Klagen über Farbveränderungen der Haut). Bei Untersuchungen
können diese Symptome nicht medizinisch erklärt werden (Kämmerer 2001, S. 289f).
12.1.2 Konversionsstörung
Eine Konversionsstörung äußert sich durch Ausfälle im willkürlich-motorischen und/oder
sensorischen Funktionsbereich. Die häufigsten motorischen Symptome sind unter anderem Paralyse
oder umschriebene Muskelschwäche, Schluckschwierigkeiten, Koordinations- und
Gleichgewichtsstörungen, Aphonie oder Harnverhalten. Sensorische Symptome sind Blindheit, der
Verlust der Berührungs- oder Schmerzempfindlichkeit, das Sehen von Doppelbildern,
Halluzinationen und Taubheit. Der eigentliche Unterschied zur Somatisierungsstörung liegt darin,
dass bei dieser eine Krankheit der inneren Organe vermutet wird, bei der Konversionsstörung
jedoch motorische und neurobiologische Störungen erlebt werden (Kämmerer 2001, S. 291).
12.1.3 Hypochondrie
Charakteristisch für die Hypochondrie ist eine nicht durch organische Befunde gestützt Angst oder
Überzeugung eine ernsthafte Krankheit zu haben. Körperliche Empfindungen oder Zeichen werden
als „Krankheitsbeweis“ fehlgedeutet, trotz ärztlicher Rückversicherung, dass keine Krankheit
vorliegt. Aufgrund dieser Ängste besteht eine übermäßige Beschäftigung mit den eigenen
Befürchtungen und Ängsten. Das hypochondrische Denken kann sich auf Schwitzen, Herzklopfen,
gelegentliches Husten, kleine Wunden oder Darmperistaltik beziehen und kann sich durch Lesen
oder Hören über Krankheiten oder durch einen Krankheitsfall im Bekanntenkreis entwickeln oder
intensivieren.
Diagnostiziert wird die Hypochondrie bei Vorliegen der Symptome über einem Zeitraum von
mindestens sechs Monaten (Kämmerer 2001, S. 295).
30
12.2 Dissoziative Störungen
Charakteristisch für dissoziative Störungen ist, dass Gedächtnis, Bewusstsein, das Gefühl der
eigenen Identität sowie die Wahrnehmung der eigenen Person bzw. der Umwelt getrennt erlebt
werden, also desintegriert sind. Eine dissoziative Störung kann plötzlich und akut oder chronisch
auftreten (Kämmerer 2001, S. 298).
12.2.1 Dissoziative Amnesie
Bei einer dissoziativen Amnesie ist der/die Betroffene unfähig, sich an wichtige persönliche
Informationen zu erinnern. Meist handelt es sich bei diesen Informationen um traumatische oder
belastende Ereignisse im Leben der/des Betroffenen, die nicht verbalisiert werden können
(Kämmerer 2001, S. 299).
12.2.2 Dissoziative Fugue
Leitsymptom bei dieser Störung ist, dass die Betroffenen plötzlich und unerwartet von zu Hause
und/oder vom gewohnten Arbeitsplatz weggehen. Die Betroffenen sind verwirrt über die eigene
Identität oder nehmen eine andere Identität an. Dadurch ist es für die Erkrankten unmöglich, sich an
die gesamte oder an Teile der Vergangenheit zu erinnern. Die dissoziative Fugue steht oft im
Zusammenhang mit traumatischen Ereignissen, kann aber auch durch akute persönliche
Belastungen oder depressive Episoden ausgelöst werden (Kämmerer 2001, S. 299).
12.2.3 Dissoziative Identitätsstörung
Hauptmerkmal dieser Störung ist das Vorhandensein von zwei oder mehr unterscheidbaren
Identitäten oder Persönlichkeitszuständen. Diese Identitäten übernehmen für einen bestimmten
Zeitraum die Kontrolle über das Verhalten der/des Betroffenen. Die betroffene Person ist ebenso
nicht in der Lage sich an wichtige persönliche Erfahrungen und Informationen zu erinnern.
Diese Störung spiegelt die Unfähigkeit wider, die unterschiedlichen Aspekte der Identität, des
Bewusstseins oder des Gedächtnisses zu integrieren. Stattdessen teilt sich die betroffene Person in
31
Teilpersonen, welche jede für sich eigene Gewohnheiten, Eigenarten und sogar Lebensgeschichten
aufweisen. Personen, die an einer dissoziativen Identitätsstörung erkrankt sind, leiden häufig auch
unter affektiven Störungen und Angststörungen (Kämmerer 2001, S. 300f).
12.2.4 Depersonalisationsstörung
Leitsymptom dieser Störung ist, dass immer wiederkehrende Gefühle des Losgelöstseins vom
eigenen Selbst bzw. der Entfremdung des eigenen Ichs auftreten. Der/die Betroffene hat das Gefühl,
von außen auf die eigene Person und die eigenen geistigen Prozesse oder Verhaltensweisen zu
blicken. Ebenso verursacht eine Depolarisationsstörung leidvolle Erfahrungen und
Einschränkungen in Alltagsleben (Kämmerer 2001, S. 301).
Epidemiologischen Daten zufolge leiden mehr Frauen als Männer unter somatoformen und
dissoziativen Störungen. Niedriger sozioökonomischer Status, Kinderlosigkeit und belastende
Ereignisse im Lebensverlauf ist vor allem für Frauen ein deutlicher Risikofaktor an einer
dissoziativen oder somatoformen Störung zu erkranken. Für Männer sind vorwiegend traumatische
Lebensereignisse, wie Kriegseinsätze, Risikomerkmale an jenen Störungen zu erkranken
(Kämmerer 2001, S. 305).
32
13 Schlussfolgerung/Diskussion
In der heutigen Gesellschaft finden sich vermehrt psychische Erkrankungen. Gründe dafür sind
unter anderem Stress, traumatische Lebenserfahrungen sowie der Einfluss der Medien bezüglich
Gewalt und Schönheitsidealen.
Ebenso wird der Mensch zunehmend mit Ereignissen konfrontiert, welche die unterschiedlichsten
Gefühle auslösen. Ereignisse, die der Mensch nicht wahrhaben will werden verschwiegen,
verleugnet und/oder unterdrückt und nur soweit geäußert, wie der gesellschaftliche Rahmen dies
akzeptiert. Wenn der innere Druck durch Verleugnen und/oder Verschweigen dann zu groß wird,
kann die Psyche darunter leiden.
Vor allem die gesellschaftlichen Anforderungen können zu einer psychischen Erkrankung führen.
Als Beispiel ist das Schönheits- und Schlankheitsideal durch die Medien anzuführen. Vor einigen
Jahren waren beispielsweise Essstörungen noch reine „Frauensache“, heutzutage sind schon viele
Männer davon betroffen. Dasselbe gilt auch für Depressionen, an welchen früher fast nur Frauen
erkrankten. Heute erkranken gleich viele Männer wie Frauen an einer Bipolar I Störung.
Ebenso sind vermehrt sexuelle Störungen anzutreffen. Es kann davon ausgegangen werden, dass
sich das Vorhandensein einer sexuellen Störung nicht vermehrt hat, sondern dass in der heutigen
Zeit die Sexualität kein Tabu-Thema mehr ist und relativ offen darüber gesprochen wird.
Im Bezug auf posttraumatische Belastungsstörungen ist zu erwähnen, dass durch vermehrte
Naturkatastrophen aber auch durch zerrüttete Familienverhältnisse eine solche Belastungsstörung
nicht abwegig ist.
Als präventive Maßnahme ist vor allem die Beseitigung der Magermodels in den Medien zu
nennen. Da sie als Vorbilder für viele Jugendliche gelten stellen sie einen hohen Risikofaktor für
die Entstehung einer Essstörung dar.
Auch der Stellenwert der Sexualität sollte in der heutigen Zeit nicht mehr so hoch sein. Männer,
aber auch Frauen, werden dadurch oft unter Druck gesetzt und dadurch können beispielsweise
Erektionsstörungen und/oder Lustlosigkeit entstehen.
33
Literaturverzeichnis
Dulz, B, Herpertz, S, Kernberg, O & Sachsse, U 2011, Handbuch der Borderline-Störungen, 2.
vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Schattauer GmbH, Stuttgart.
Franke, A & Kämmerer, A 2001, Klinische Psychologie der Frau. Ein Lehrbuch, Hogrefe Verlag,
Göttingen.
Fischer, G 2005, Warum Frauen gesunder leben und Männer früher sterben, Beltz Verlag,
Weinheim und Basel.
Gerrig, R & Zimbardo, P 2008, Psychologie, 18. aktualisierte Auflage, Pearson Studium, München.
Heinemann, E & Hopf, H 2008 Psychische Störungen in Kindheit und Jugend; SymptomePsychodynamik-Fallbeispiele-psychoanalytische Therapie, 3. Überarbeitete Auflage, Kohlhammer
GmbH, Stuttgart.
Kersting, A ´Essstörungen´ in: Marneros, A & Rohde, A 2007, Geschlechtsspezifische Psychiatrie
und Psychotherapie. Ein Handbuch, W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart.
Kühner, R ´Affektive Störungen´ in: Franke A, & Kämmerer, A 2001 Klinische Psychologie der
Frau. Ein Lehrbuch, Hogrefe Verlag, Göttingen.
Krause, W Weidner, W Sperling, H & Diemer, T 2011 Andrologie – Krankheiten der männlichen
Geschlechtsorgane, 4. Auflage, Thieme Verlag KG, Stuttgart.
34
Kryspin-Exner, I ´Klinische Psychologie´ in: Deimann, P & Kastner-Koller, U 2007 Psychologie als
Wissenschaft, 2. aktualisierte Auflage, Facultas Verlags- und Buchhandels AG, Wien.
Rädler, T & Naber, D 2007 ´Schizophrenie´ in: Marneros, A & Rohde, A 2007,
Geschlechtsspezifische Psychiatrie und Psychotherapie. Ein Handbuch, W. Kohlhammer GmbH,
Stuttgart.
Renneberg, B ´Borderline-Persönlichkeitsstörung´ in: Franke A, & Kämmerer, A 2001 Klinische
Psychologie der Frau. Ein Lehrbuch, Hogrefe Verlag, Göttingen.
Rohde, A & Riecher-Rössler, A 2001, Psychische Erkrankungen bei Frauen, S. Karger GmbH,
Freiburg.
Schmitt, R ´Schizophrenie und postpartale Psychose´ in: Franke A, & Kämmerer, A 2001 Klinische
Psychologie der Frau. Ein Lehrbuch, Hogrefe Verlag, Göttingen.
Sigusch, V 2007, Sexuelle Störungen und ihre Behandlung, 4. überarbeitete und erweiterte Auflage,
Thieme Verlag KG, Stuttgart.
Teegen, F ´Traumatische Gewalterfahrungen und posttraumatische Belastungsstörungen´ in: Franke
A, & Kämmerer, A 2001 Klinische Psychologie der Frau. Ein Lehrbuch, Hogrefe Verlag,
Göttingen.
Volgger, A 2011, Die posttraumatische Belastungsstörung – Probleme bei der Diagnostik.
Diplomarbeit, Grin Verlag, Norderstedt.
35
Herunterladen