Effiziente Frühgeburtenvermeidung

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Frühgeburtsvermeidung mittels Selbstuntersuchung
Schwangerschaft ist primär keine Erkrankung, die Entbindung kein
chirurgischer Eingriff. Trotzdem stellt die Frühgeburt seit
Menschengedenken ein hochrangiges medizinisches und zugleich soziales
Problem dar, bei dessen Bewältigung bemerkenswerte Erfolge erzielt
werden konnten, das aber über die letzten Jahrzehnte in Deutschland
nahezu unverändert etwa jedes 12. Neugeborene betrifft. Alle Fortschritte
im Bereich der Neonatologie führen auch nicht daran vorbei, dass
insbesondere frühe Frühgeborene (vor der 33. Schwangerschaftswoche)
aufgrund ihrer Unreife bleibende Schädigungen erleiden können und dass
dies wohl auch in Zukunft trotz aller Bemühungen so bleiben wird. Mit
anderen Worten: Der flächendeckend hohe Standard der Neonatalmedizin
lässt grundlegende Verbesserungen nur dann erwarten, wenn es gelingt,
die Frühgeburtlichkeit selbst als Risikofaktor zurückzudrängen. Dies ist
keine rein medizinische Angelegenheit, sondern wegen des präventiven
Charakters aller Maßnahmen auch ein weltweites sozialpolitisches
Anliegen und Projekt, das einerseits die vielfältigen dramatischen
Belastungen für Mutter und Kind vermeiden soll, andererseits aber auch
zu deutlichen Einsparungen beitragen kann.
Im Jahre 1892 hat Albert Döderlein in eindrucksvoller Weise den
normalen und den pathologischen Scheideninhalt mikroskopisch
dargestellt. Das von ihm erarbeitete Konzept ist heute Grundlage für das
Verständnis des Ökosystems in der Scheide mit der Schlussfolgerung,
dass bei Vorhandensein der nach ihm benannten Laktobazillen von
normalen Verhältnissen ausgegangen werden darf. Diese Bakterienarten
stehen in einem Gleichgewicht, das durch äußere oder auch von der Frau
kommende Faktoren beeinflusst wird. Kennzeichnend für die
Normalsituation ist unter anderem ein pH-Wert unter 4,5 als Ausdruck
des gesunden Säuregrades in der Scheide. Liegt der mittels einer
kostengünstigen Messhilfe* bzw. mit einem Indikatorstreifen zu
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erhebende Wert darüber, so ist bei der Mehrzahl der Frauen davon
auszugehen, dass eine Scheidenmilieustörung (meist das Syndrom
Bakterielle Vaginose) vorliegt, wobei in dieser Situation typische
Bakterienarten vorherrschen, die Wehen auslösende Stoffe produzieren
und damit zu Fehl- und Frühgeburt führen können.
Der Nestor der deutschen Geburtshilfe, Professor Erich Saling, Berlin, hat
verdeutlichend das Bild von der im Tal alles erschlagenden Lawine
gezeichnet, die an der Bergspitze sich aus wenigen Schneekristallen formt
und dort bei entsprechender Aufmerksamkeit und Strategie so einfach
aufzuhalten ist. Wird in Analogie über Infektionserkennung mittels pHSelbstbeobachtung und adäquate rechtzeitige Behandlung der wesentliche
Risikofaktor der Frühgeburtlichkeit, die Infektion, ausgeschaltet, so
kommt die Schwangere nicht in die häufig mit Wehenhemmung,
Antibiotika und sonstigen Maßnahmen nicht mehr zu beherrschende
Situation der Frühgeburtsbedrohung, ganz abgesehen davon, dass auch
die Häufigkeit des vorzeitigen Blasensprungs als Einstieg in die
Frühgeburt mit der beschriebenen Strategie nachhaltig reduziert werden
kann. Die kontinuierlich über die letzten Jahre erhobenen Daten haben die
positive Bewertung der Strategie immer wieder bestätigt, wobei im
übrigen zugleich von zahlreichen an den Aktionen teilnehmenden
Schwangeren die hohe individuelle Wertigkeit der Selbstvorsorge und
damit die der Verwandlung vom Objekt der medizinischen Betreuung
zum aufgeklärten und aktiven selbstbestimmenden Subjekt in dieser
Lebensphase als ausgesprochen positiv und beruhigend hervorgehoben
wurde.
Auch eine vom Autor geleitete wissenschaftliche Studie zur
Frühgeburtenvermeidung im Freistaat Thüringen hatte zum Ziel, die
Effizienz des vaginalen pH- Screenings in der Schwangerschaft zu
belegen, wobei zwei Messungen pro Woche durch die Frau selbst
vorgenommen wurden, da die Kontrolle durch den Frauenarzt in den
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vorgegebenen Intervallen, zum Beispiel alle 4 Wochen zu Beginn der
Schwangerschaft, unter diesem Aspekt als unzureichend erachtet wird.
Der Untersuchungsansatz richtete sich also ausdrücklich auf die pH-WertBestimmung und Selbstbeobachtung im Hinblick auf einen bekannten
Risikomarker der Frühgeburt.
Es würde an dieser Stelle zu weit führen, sämtliche Ergebnisse der
Untersuchungen darzustellen. Es sei jedoch darauf verwiesen, dass auf
der Basis von 16.276 Schwangerschaften im Freistaat Thüringen 2000 bei
die Frühgeburtlichkeit vor Ende der 32. Schwangerschaftswoche von 1,58
% erfolgreich auf 0,99 % gesenkt werden konnte! Auch wurden in der
Kategorie unter 1000 g im Freistaat nur noch 0,38 % der Kinder verglichen
mit 0,61 % in der Kontrollgruppe geboren. Dies ist ein gewaltiger
Fortschritt, bedenkt man, dass weder vor noch nach dieser Untersuchung
ein derart niedriger Wert in auch nur einem der deutschen Bundesländer
jemals erzielt werden konnte. Hinzu kommt im übrigen, dass nach
Aussetzen der experimentellen Aktion die Häufigkeit von Frühgeburten
in den nachfolgenden Jahren auf den alten Stand wieder angestiegen ist,
ein weiteres starkes Indiz für die Effizienz der Strategie, die z.B. auch von
einigen Kassen nun in abgeänderter Form nachvollzogen wurde. Dabei
konnten die berichteten Daten zum Teil bestätigt werden, insbesondere,
wenn ein niedriges Geburtsgewichte als objektiver Bewertungsmaßstab
herangezogen wurde.
Die aktuelle wissenschaftliche Datenlage ist überzeugend. Im Prinzip
wird die komplexe Kenntnis über die wesentlichste Ursache der Fehl- und
Frühgeburtlichkeit, die Infektion, und über deren frühzeitige
Ausschaltung(aus aktueller Sicht bevorzugt mittels Clindamycin p.o. oder
i.vag., möglichst vor der 23.SSW) in einer simplen Strategie gebündelt, die
zunehmend Anwendung auch außerhalb Deutschlands findet. Dies
geschieht nicht zuletzt wohl deshalb, weil der geringe finanzielle
Aufwand für eine wie auch immer geartete Messhilfe im Rahmen dieser
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von der Schwangeren selbst anzuwendenden Primärprävention auf der
anderen Seite neben der Verminderung der emotionalen Belastung auch
zu erheblichen Einsparungen sowohl im medizinischen als auch politischgesellschaftlichen Bereich führt. Dieses Potential wird zudem auch und
gleichermaßen für die Länder der Dritten Welt gesehen, zumal es sich um
eine einfache, nicht invasive, kostengünstige, primär nicht an
hochgerüstete medizinische Einrichtungen gebundene Strategie mit auch
dort offensichtlichem Einspareffekt handelt, die grundsätzlich geeignet ist,
menschliches Leid zu mindern.
Eine vergleichbar einfache, effiziente und kostengünstige Strategie hat
sich auch nach nahezu zwanzig Jahren der weltweiten wissenschaftlichen
Diskussion nicht im Ansatz als Alternative finden lassen! Können wir
Geburtshelfer es zulassen, noch einmal eine Generation mit einem
erheblichen Anteil vermeidbarer früher Frühgeburten zu akzeptieren?
Unter der Schirmherrschaft des Thüringer Ministeriums für Arbeit,
Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie bzw. der Ministerin Frau Heike
Werner ist die Wiederaufnahme der Aktion für Oktober 2016 vorgesehen.
Univ.-Prof. Dr. med. habil. Prof. Dr. h.c. Udo B. Hoyme
Leitender Arzt, Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Ilm-Kreis-Kliniken, Bärwinkelstraße 33, 99310 Arnstadt
[email protected]
*Der Autor weist darauf hin, dass eine der in Betracht kommenden Messhilfen,
das System pH-EcoCare Comfort, Merete, von ihm zur Marktreife entwickelt
wurde.
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