Kein erhöhtes Brandrisiko bei WDVS mit EPS

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PLANUNG & ANWENDUNG
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06 | 2012
Stellungnahme des DIBt zu Medienberichten
Kein erhöhtes Brandrisiko bei WDVS
mit EPS-Hartschaumplatten
Einen „perfekten“ Brandschutz kann es nicht geben. Eine sachgerechte, den behördlichen Vorschriften entsprechende Planung, Bauüberwachung und deren Dokumentation ist aber notwendige Voraussetzung, um das Brandrisiko zu minimieren. Aus
den Dokumenten der Bauleitung sollte deshalb nachträglich ersichtlich sein, wie
WDV-Systeme ausgeführt wurden und ob sie den baurechtlichen Anforderungen
und den Vorgaben des Bauherrn entsprechen. Im Rahmen der Bauabnahme wird dies
überprüft und somit ein weitgehender Brandschutz gewährleistet.
Arbeitskreis Brandschutz des Fachverbandes WDVS und des Industrieverbands Hartschaum IVH (unter Mitwirkung von Dipl.Physiker Ingolf Kotthof, MFPA Leipzig)
erläutert und kommentiert.
lystyroldämmstoff (EPS-Hartschaumplatten), obgleich diese Systeme bauaufsichtlich
zugelassen sind“ verfasst. Das DIBt kommt
zu dem Ergebnis, dass der Sachverständigenrat bereits 2005 festgestellt hat, dass
Zulassungsverfahren des DIBt nicht betroffen sind und die bisher zugelassenen WDVSysteme hinreichend sicher sind. Im Folgenden wird die DIBt-Stellungnahme vom
Der im NDR-Fernsehen am 28.11.2011 gezeigte Filmbericht und der darauf Bezug
nehmende Artikel auf SPIEGELonline beschreiben ein vermeintlich hohes Brandrisiko bei der Verwendung von Wärmedämmverbundsystemen mit Polystyroldämmstoff
(EPS-Hartschaumplatten), obgleich diese
Systeme bauaufsichtlich zugelassen sind.
Hartmut Schönell
D
as Deutsche Institut für Bautechnik DIBt
hat im Dezember 2011 anlässlich zweier Medienberichte eine grundsätzliche Stellungnahme zu einem „vermeintlich hohen
Brandrisiko bei der Verwendung von Wärmedämmverbundsystemen (WDVS) mit Po-
Anlass
Kommentar
Abb. 1: WDVS aus Polystyrolhartschaumplatten: Brandgefährlich?
www.bauplaner-special.de
Foto: ???
Der zulässige Beitrag von Außenwandbekleidungen zum Gesamtbrandgeschehen
wird in Abhängigkeit von der Art und Höhe eines Gebäudes geregelt. Fassadenbekleidungssysteme werden brandschutztechnisch als Baustoffe behandelt, da sie weder
raumbildend noch Bestandteil des Tragwerks des Gebäudes sind. Bewertet werden
dabei aber nicht nur die einzelnen verwendeten Materialien, sondern auch Baustoffverbunde bzw. Systeme, z.B. WärmedämmVerbundsysteme. Es wird unterschieden
zwischen normalentflammbaren, schwerentflammbaren und nichtbrennbaren Fassadenbekleidungssystemen:
 Normalentflammbare
Fassadenbekleidungssysteme dürfen durch eine kleine
Flamme, z.B. Streichholz, entzündbar sein,
dann aber nur langsam fortschreitend brennen, z.B. Holzfassaden.
 Schwerentflammbare
Fassadenbekleidungssysteme dürfen auch bei Einwirkung einer größeren Zündquelle nicht zu
einer schnellen Brandausbreitung führen,
der Brand muss lokal begrenzt bleiben, z.B.
WDVS mit Polystyrolhartschaumplatten.
 Nichtbrennbare Fassadenbekleidungssysteme dürfen auch bei einem teilweise oder
voll entwickelten Brand nicht wesentlich
zum Brand beitragen, ein lokales Mitbrennen kann aber auftreten, z.B. WDV-System
mit Mineralwolle.
 Leichtentflammbare Baustoffe dürfen
in Deutschland grundsätzlich an Fassaden
nicht verwendet werden.
 An Gebäuden bis zu 7 Meter Höhe (Ge-
bäudeklassen 1, 2 und 3) dürfen nach den
Landesbauordnungen normalentflammbare Baustoffe als Fassadenbekleidungen verwendet werden, und es sind keine zusätzlichen Brandschutzmaßnahmen (Sturzschutz,
Brandriegel) gegen eine schnell geschossübergreifende Brandausbreitung gefordert.
Bei einer Risikoabschätzung geht der Gesetzgeber davon aus, dass bei derartigen Gebäuden Selbstrettung und Evakuierung in
kurzer Zeit möglich sind.
 An Gebäuden zwischen 7 und 22 Metern
Höhe (Gebäudeklassen 4 und 5) ist die Verwendung mindestens schwerentflammbarer
Fassadenbekleidungen baurechtlich vorgeschrieben.
 Für Gebäude über 22 m Höhe – Hochhäuser – dürfen ausschließlich nichtbrennbare
Fassadenbekleidungen eingesetzt werden.
 An Fassadenbekleidungen bei Sonderbauten können besondere Anforderungen
gestellt werden.
Stellungnahme des DIBt
Bei den vom DIBt zugelassenen WDV-Systemen mit Polystyroldämmstoffplatten (EPS
Hartschaumplatten) muss zum einen der
Nachweis der Baustoffklasse B1 (schwerentflammbar) nach DIN 4102-1 für die „Komponente” EPS-Hartschaumplatten erbracht
werden und zum anderen ist für das komplette WDV-System der Nachweis, dass die
Anforderungen an schwerentflammbare
Baustoffe erfüllt werden, durch Brandprüfungen nach nationalen (DIN 4102-1) oder
europäischen Prüfverfahren (DIN EN13823)
sowie ggf. durch zusätzliche Großversuche
im Maßstab 1:1 zu führen.
Die Einstufung „schwerentflammbar” bedeutet dabei, dass unter den Bedingungen
eines beginnenden Zimmerbrandes bzw.
bei Beanspruchung einer Außenwandbekleidung durch Flammen aus einem im Vollbrand stehenden Raum der energetische
Beitrag des betreffenden Baustoffs (hier
WDV-System) zum Brand sowie die daraus
resultierende Brandausbreitung über den
Primärbrandbereich hinaus gering sind.
Sowohl bei einem Brand am Fassadenfuß von außen, z.B. Brand eines Müllcontainers oder Pkws, als auch aus einem Raum
heraus wird es immer zu einer kontinuierlich fortschreitenden Brandausbreitung an
der Außenwand entlang in darüber liegende Geschosse mit Öffnungen bis hin zum
Dach kommen, wenn die Feuerwehr nicht
rechtzeitig eingreift. Das gilt auch für Fassaden aus nichtbrennbarem Mauerwerk oder
Beton.
Das Ziel der Vorschriften für das Brandverhalten an der Außenwand ist es, an allen Fassaden, auch an brennbaren, zu verhindern, dass sich ein Brand schneller nach
oben ausbreitet, als es ohnehin an einer
nichtbrennbaren Fassade mit übereinander
liegenden Fenstern geschieht. Das Bauordnungsrecht orientiert sich bei seiner Risikoabschätzung an der Auftrittswahrscheinlichkeit „üblicher“ Brände und legt diese als
Bemessungsszenario zugrunde. Anhand aktueller Schadensfälle werden diese Ansätze
ständig überprüft. Denkbare Extrembrandfälle, z.B. brennender Tanklaster an einer
Fassade, werden angemessen betrachtet,
jedoch nicht als alleinige Grundlage angenommen.
Das baurechtliche Brandschutzziel an der
Gebäudeaußenwand besteht deshalb darin,
eine schnelle Brandausbreitung über mehr
als zwei (nicht ein!) Geschosse oberhalb der
Brandausbruchstelle (Raum oder Fassadenfuß) vor dem Löschangriff der Feuerwehr in
einem Zeitraum von 15 bis 20 Minuten zu
verhindern. Ein lokales Mitbrennen eines
Außenwandbekleidungssystems ist daher
bei Gebäuden normaler Art und Nutzung
bis zu einer Gebäudehöhe, die der Feuerwehr noch einen externen Löschangriff erlaubt, zulässig.
Abb. 2: WDVS aus Polystyrolhartschaum nach einem Brand
Foto: ???
insbesondere bei Dämmstoffdicken von
mehr als 100 Millimetern, sind bei Brandbeanspruchungen im Sturzbereich von Öffnungen kritisch und können sich unter bestimmten Bedingungen wie normalentflammbare Baustoffe verhalten, d.h. eine
ungehinderte Brandausbreitung ist möglich.
Insofern liefert der Filmbericht keine neuen
Erkenntnisse. Dass WDV-Systeme mit Polystyroldämmstoffplatten brennen, ist in der
Fachwelt eine allseits bekannte Tatsache.
Dieses seit Mitte der 1990er Jahre bekannte Brandverhalten führte dazu, dass durch
Hersteller und den Fachverband WDVS in
Abstimmung mit dem DIBt unter Einbeziehung des zuständigen Sachverständigenausschusses (SVA) des DIBt und der Bauaufsicht konstruktive Brandschutzmaßnahmen
gegen eine Brandausbreitung und Brandweiterleitung bei WDV-Systemen mit EPSDämmstoffen entwickelt und in umfangreichen Testserien geprüft wurden. Die verbindliche Festschreibung dieser Maßnahmen erfolgte dann in den allgemeinen bauStellungnahme des DIBt
aufsichtlichen Zulassungen für diese WDVWDV-Systeme mit o.g. Dämmstoffplatten, Systeme.
Kommentar
Polystyrolhartschaum ist, wie viele andere Baustoffe, ein brennbarer Baustoff. In
Deutschland werden für Anwendungen im
Bauwesen ausschließlich flammgeschützte EPS-Hartschaumplatten eingesetzt, die
nach DIN 4102-1 als schwerentflammbar
(B1) eingestuft sind. Damit soll sichergestellt werden, dass sie auch bei Einwirkung
durch eine größere Zündquelle nicht selbstständig weiter brennen und der Brand lokal
begrenzt bleibt.
Abb. 3: Links: Anordnung der Brandriegel, Mineralwoll-Lamelle 3,2 m oberhalb der Brandraumöffnung
1. OG sowie 0, 5 m oberhalb der Fensteröffnung EG und 4. OG; Mitte und rechts: nach Fertigstellung des
Wärmedämm-Verbundsystems
Zeichnung/Fotos: ???
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BauPlaner SPECIAL – DÄMMTECHNIK 1
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Kommentar
Ein WDV-System mit Polystyrol als Dämmstoff verhält sich im Falle eines Brandes folgendermaßen. Wenn Flammen bei einem
Raumbrand aus einer Gebäudeöffnung heraus schlagen, werden die Putzschicht des
WDV-System und der darunter liegende
Dämmstoff zunächst erwärmt. Der Polystyrolhartschaum erweicht und schmilzt ab einer Temperatur von ca. 140 °C. Die Schmelze läuft im Inneren des Systems nach unten und sammelt sich auf dem Sturz der
Öffnung. Dort wird sie durch die austretenden Flammen weiter erhitzt, teilweise
verdampft und zu brennbaren Gasen pyrolisiert. Gleichzeitig erwärmen sich die Gase hinter der Putzschicht und dehnen sich
aus. Wird der der Druck hinter der Putzschicht durch die erwärmten Gase zu groß
und das Gewicht der abgelaufenen Schmelze auf dem Sturz zu hoch, dann reißt die
Putzschicht im Sturzbereich auf (mechanisches Versagen). Die Flammen des Raumbrands treten in das Systeminnere ein und
die brennbaren Gase entzünden sich. Es
kommt zu einem Brennen im WDV-System
und einer Brandausbreitung nach oben. Bis
zur Dämmstoffdicke von 100 Millimetern
ist die Belastung durch die Schmelze so gering, dass der Sturz nicht aufreißt. Deshalb
ist bei geringen Dämmstoffdicken im Falle eines Brandes ein wesentlicher Beitrag
des WDV-Systems zur Brandausbreitung
über die Fassade nicht zu erwarten. Diese
WDV-Systeme sind daher auch ohne besondere Brandschutzmaßnahmen schwerentflammbar. Schwerentflammbare WDV-Systeme mit Dämmstoffdicken von mehr als
100 mm werden mit Brandschutzmaßnahmen ausgeführt.
den Fenstern schlagen werden. An die im
darüber liegenden Geschoss befindlichen
Fenster (und deren Gläser) werden keine
Anforderungen an eine Feuerwiderstandsfähigkeit gestellt; diese Anforderung besteht
grundsätzlich nur für die Geschosstrenndecken (mit Ausnahme bei Gebäudeklasse
1), d.h. die aus den Fenstern schlagenden
Flammen können das darüber befindliche
Geschoss (und die Fenster) erreichen. Das
mögliche Versagen der Fenster (Glasbruch)
durch die thermische Einwirkung von Flammen wird hingenommen. Insofern ist die
Anordnung von Brandriegeln in jedem
2. Geschoss im Einklang mit den Bestimmungen der Landesbauordnungen und sie
begrenzt wirksam eine Brandausbreitung/
Brandweiterleitung auf Außenwänden. Dies
wurde durch umfangreiche Prüfungen an
originalmaßstäblichen Versuchsaufbauten
von WDV-Systemen nachgewiesen.
Kommentar
Die Brandschutzmaßnahmen sind so ausgelegt, dass durch das WDVS keine schnellere Brandausbreitung verursacht werden
kann, als dies ohnehin durch den Flammensprung von Stockwerk zu Stockwerk
an nichtbrennbaren Fassaden zu erwarten
ist. Ein Sturzschutz dient der zusätzlichen
Stabilisierung des Sturzes im Brandfall bei
größeren Dämmstoffdicken und verhindert das Eindringen eines Brandes in den
Dämmstoff des WDVS. Er besteht aus Mineralwollestreifen oder zusätzlichen Lagen
aus Glasgewebe (Gewebeschlaufe), die direkt am Sturz von Gebäudeöffnungen angebracht sind. Der umlaufende Brandriegel
dient der Verhinderung der Brandausbreitung im Dämmstoff des WDVS über mehr
als zwei Geschosse oberhalb der Brandausbruchsstelle. Er besteht aus einem horizonStellungnahme des DIBt
talen, durchgängig um das Gebäude laufenIm Einzelnen wird dazu in den Zulassun- den Streifen aus Mineralwolle. In der Regen für o.g. WDV-Systeme als konstrukti- gel wird er in jedem zweiten Geschoss anve Maßnahme die Sturzbekleidung und eine gebracht.
seitliche Verkleidung von Außenwandöffnungen mit nichtbrennbaren MineralwolStellungnahme des DIBt
ledämmstoffen oder alternativ die Anordnung von Brandsperren aus nichtbrennba- Zu dem bei der MPA Braunschweig durchren Mineralwolledämmstoffen über jedem geführten Brandversuch ist Folgendes anzweiten Geschoss festgelegt. Die Anord- zumerken: Der Versuchsaufbau entsprach
nung von Brandsperren in mindestens je- nicht dem für Zulassungsprüfungen gefordem 2. Geschoss ist mit der Fachwelt (Sach- derten Aufbau, wie er auch im Arbeitsentverständige, Bauaufsicht) im Hinblick auf wurf von DIN 4102-20 beschrieben wird.
die Begrenzung einer möglichen Brandaus- Anstelle eines L-förmigen Versuchsstanbreitung bei Gebäuden über 7 bis 22 Meter des wurde nur eine rückwärtige Versuchsabgestimmt.
standwand mit dem WDV-System bekleidet
Diese Lösung berücksichtigt, dass bei Au- und geprüft. Die Wand war links und rechts
ßenwänden mit Öffnungen (Fenstern) und durch massive Wände aus mineralischen
ohne brennbare Außenwandbekleidungen Baustoffen begrenzt (U-förmiger Versuchsim Falle eines Raumbrandes Flammen aus stand). Durch diese schachtförmige Verwww.bauplaner-special.de
Dr. Hartmut
Schönell
Geschäftsführender Vorstand IVH; Vorsitzender
der Bundesfachabteilung
Qualitätssicherung EPS.
www.ivh.de
suchsanordnung wird die thermische Exposition des WDV-Systems deutlich erhöht
und entspricht nicht mehr einer Brandbeanspruchung unter Realbrandbedingungen.
Zu dem im Fernsehbericht des NDR zitierten Feuerwehreinsatz in Berlin im Jahr
2005 ist festzustellen, dass es sich hierbei
nicht um ein vom DIBt zugelassenes WDVSystem handelte. Das DIBt hatte dieses
Brandereignis – obwohl es nicht direkt betroffen war – zum Anlass genommen, im
Frühjahr 2005 in seinem SVA „Brandverhalten von Baustoffen B1/B2” über ggf. erforderliche Konsequenzen für das Zulassungsverfahren bei WDV-Systemen zu beraten.
Im Ergebnis wurde von den Sachverständigen festgestellt, dass Zulassungsverfahren
des DIBt nicht betroffen seien, die bisher
zugelassenen WDV-Systeme seien hinreichend sicher.
Kommentar
Einen „perfekten“ Brandschutz kann es genauso wenig geben, wie ein „unfallfreies
Auto“. Vorbeugender baulicher Brandschutz
ist immer ein Balanceakt zwischen Nutzung, Wirtschaftlichkeit und Sicherheit mit
dem Ziel das Optimum zu erreichen.
Die Entstehung eines Brandes im oder
vor dem Gebäude ist immer durch technische Defekte, Fahrlässigkeit oder Brandstiftung möglich. Auch wenn die Außenwand
ausschließlich aus nichtbrennbaren Stoffen
wie Stein oder Beton besteht, erfolgt kontinuierlich fortschreitend eine Brandweiterleitung von unten nach oben durch den
Flammensprung von Fenster zu Fenster.
Fassaden mit einem WDV-System mit Polystyroldämmung beschleunigen diesen Vorgang nicht, wenn die Dämmschicht maximal 100 Millimeter dick ist oder bei größeren Dämmdicken zusätzlich die in den Zulassungen geforderten Brandschutzmaßnahmen wie Sturzschutz oder Brandriegel eingebaut werden.
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