LwiD 19 (48726) / p. 1 / 16.6.15 LEBENSWISSENSCHAFTEN IM DIALOG A LwiD 19 (48726) / p. 2 / 16.6.15 Der Anspruch der Synthetischen Biologie, durch Eingriffe in das Erbgut Organismen mit gewünschten Funktionen herzustellen und sogar aus unbelebter Materie lebendige Organismen zu schaffen, wirft Fragen auf, die weit über die Fachwissenschaften hinausgehen: Werden damit unsere Vorstellungen von Leben und Natur, aber auch Wissenschaft und Forschung, grundlegend verändert? Entfernen sich spezialisierte Forschung und Lebenswelt zusehends voneinander? Wie können wir die Einsichten der Lebenswissenschaften in unser Alltagswissen integrieren? Anhand zentraler Begriffe der Synthetischen Biologie gehen Natur- und Geisteswissenschaftler diesen Fragen nach und zeigen unterschiedlichen Zugangsweisen, Vorverständnisse und Konzeptionen im Dialog lebenswissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Betrachtungen auf. Der Herausgeber: Dr. Friedemann Voigt ist Professor für Sozialethik mit Schwerpunkt Bioethik an der Universität Marburg. Er ist Mitglied des Steering Committees des LOEWE-Zentrums für Synthetische Mikrobiologie (SYNMIKRO) und leitet dort den Arbeitsbereich Bioethik. LwiD 19 (48726) / p. 3 / 16.6.15 Friedemann Voigt (Hg.) Grenzüberschreitungen – Synthetische Biologie im Dialog LwiD 19 (48726) / p. 4 / 16.6.15 Lebenswissenschaften im Dialog Herausgegeben von Kristian Köchy und Stefan Majetschak Band 19 LwiD 19 (48726) / p. 5 / 16.6.15 Friedemann Voigt (Hg.) Grenzüberschreitungen – Synthetische Biologie im Dialog Verlag Karl Alber Freiburg / München LwiD 19 (48726) / p. 6 / 16.6.15 Gefördert mit Mitteln des LOEWE-Zentrums für Synthetische Mikrobiologie, Marburg (SYNMIKRO) ® MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen www.fsc.org FSC® C083411 Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2015 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz: Frank Hermenau, Kassel Einbandgestaltung: Ines Franckenberg Kommunikations-Design, Hamburg Herstellung: CPI buch bücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISBN 978-3-495-48726-6 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Friedemann Voigt Zur Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I. Leben Jörg Hacker/Sandra Kumm Synthetische Biologie im Dialog – Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Gerald Hartung Über den Begriff des Lebens – in unterschiedlichen Gebrauchsweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Komplexität Klaus Mainzer Die Wissenschaften vom Künstlichen und Komplexen: Synthetische Biologie als Technikwissenschaft des 21. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 III. Synthetisch Nediljko Budisa Xenobiologie, künstliches Leben und genetische Firewall . . . . . . . . . 77 Kristian Köchy Synthesen – Zu Konzept und Grenzen der Synthetischen Biologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 8 Inhalt Daniel Falkner Epilog: Zur Einordnung der Beiträge in den gegenwärtigen Stand der Debatte um die Synthetische Biologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Vorwort Dieser Band geht zurück auf die Vorlesungsreihe „Synthetische Biologie im Dialog“, die im Wintersemester 2013/14 an der PhilippsUniversität Marburg vom LOEWE-Zentrum für Synthetische Mikrobiologie (SYNMIKRO) und dem Graduiertenzentrum Lebens- und Naturwissenschaften veranstaltet wurde. Mein Dank gilt Frau Dr. Ute Kämper vom Graduiertenzentrum Lebens- und Naturwissenschaften der Philipps-Universität und Dr. Andres Schützendübel von SYNMIKRO, mit denen ich die Idee zu dieser Veranstaltungsreihe entwickelt habe und die durch vielfältige Unterstützung die Umsetzung ermöglicht haben. Besonders zu danken habe ich den Vortragenden, die sich auf die Schwierigkeit eingelassen haben, über Fachgrenzen hinaus ihre Forschung sowie ihre Überlegungen zur ethischen Verantwortung der Synthetischen Biologie zu erörtern. Bei den Diskussionen zu den Vorträgen haben mich die Kollegin Regine Kahmann sowie die Kollegen Michael Bölker und Bruno Eckhardt fachkundig unterstützt. Bruno Eckhardt sei als Geschäftsführender Direktor von SYNMIKRO für den Druckkostenzuschuss bedankt, der das Erscheinen dieses Bandes ermöglicht Mein Dank gilt darüber hinaus Frau Dr. Gundula Meißner für ihr gekonntes Management der Veranstaltungen sowie Daniel Falkner für die Betreuung der Beiträge für den Druck, bei der er von Annika Lisiecki, Ellen Hartmanshenn und Amelie Rüppel tatkräftig unterstützt wurde. Dem Verlag Karl Alber danke ich in der Person von Herrn Lukas Trabert für die umsichtige Begleitung sowie Kristian Köchy und Stefan Majetschak für die Aufnahme des Bandes in die Reihe „Lebenswissenschaften im Dialog“. Marburg, im Februar 2015 Friedemann Voigt Friedemann Voigt Zur Einleitung Am Beginn dieses Bandes zur „Zukunftstechnologie“ Synthetische Biologie soll eine wissenschaftsgeschichtliche Erinnerung stehen: Vor knapp 200 Jahren gab es in Berlin Streit zwischen dem Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel und dem protestantischen Theologen Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Schleiermacher war nicht nur 1815/16 Rektor der Berliner Universität, er war auch 1814 zum Sekretär der philosophischen Abteilung der Berliner Akademie der Wissenschaften ernannt worden. Als solcher war er stark an der Reorganisation der Akademie im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts beteiligt. In dieser Funktion setzte Schleiermacher nun alle Hebel in Bewegung, um zu verhindern, dass Hegel in die Akademie gewählt würde. Was war der Grund? Der lag in den unterschiedlichen Auffassungen, wie Wissenschaft zu verstehen und zu organisieren ist. In seiner Wissenschaftslehre wie in seinem Wirken als Wissenschaftspolitiker hatte Schleiermacher stets von einer relativen und einander ergänzenden Selbständigkeit der unterschiedlichen Wissenschaften gesprochen. Die Akademie war für ihn eine sittliche Gemeinschaft, in der sich die Individualität der einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen als Kommunikationsgemeinschaft wieder vereinigt. Hegels Verständnis von Wissenschaft war davon unterschieden: Philosophie, Theologie und Jurisprudenz bildeten für ihn die rein auf Wahrheit ausgerichteten normativen Wissenschaften, die als solche gegenüber Naturwissenschaften und historisch-philologischen Disziplinen einen privilegierten Status erhielten. Die Wissenschaft als Einheit war für ihn also nicht die Kommunikation prinzipiell Gleichgestellter, sondern hierarchisch gegliedert. Vorzustellen ist dies in der Form einer Pyramide: An der Spitze steht die Philosophie und ihr untergeordnet und von ihr regiert rangieren die weiteren Disziplinen. So erschien Hegel die faktische Pluralität wissenschaftlicher Weltdeutung als zu überwindende Station auf dem Weg zu einer höheren Einheit gestaltbar. 12 Friedemann Voigt Es ist zum Wohl der Berliner Akademie und auch der Wissenschaft über Preußen und Deutschland hinaus gewesen, dass sich in diesem Streit Schleiermacher durchgesetzt hat. Es geht um das Verständnis von Wissenschaft als Ausbreitung und wechselseitiges Durchdringen der unterschiedlichen Wissensformen. Auch heute noch ist dieses Wissenschaftsverständnis als Grundlage unseres Gebrauchs wissenschaftlichen Wissens zu vergegenwärtigen.1 Das Unzeitgemäße einer solchen Reminiszenz besteht schon darin, die Synthetische Biologie sowie die sie begleitende ethische Debatte in den größeren Zusammenhang der Wissenschaftsgeschichte einzustellen. Zwar geht der Begriff der Synthetischen Biologie auf den Beginn des 20. Jahrhunderts zurück2, doch erst weitere 100 Jahre später ist dieser Forschungszweig in das breitere Bewusstsein getreten. Die von großer medialer Aufmerksamkeit begleitete Erschaffung der ersten synthetischen Zelle durch das Team um Craig Venter im Jahr 2010, hat die Frage aufgeworfen, ob es sich mit der Synthetischen Biologie um einen echten wissenschaftlichen „Paradigmenwechsel“3 handelt. Nicht nur die Biologie verändere sich von der beobachtenden zur herstellenden Wissenschaft, vielmehr sei der Mensch durch die Synthetische Biologie in die Lage versetzt, aus unbelebter Materie Leben zu erschaffen. Die Metapher des „Playing God“ machte alsbald die Runde.4 Die Synthetische Biologie ist treffend als eine „Hope-, Hype- und Fear-Technologie“ bezeichnet worden.5 Die relative Unschärfe in der Definition und Ausrichtung einer solchen Disziplin geht mit einer hohen Varianz der sie begleitenden Interessen und Erwartungen einher.6 In der Debatte um solche „Hope-, Hype- und Fear-Technologien“ ist es charakteristisch, dass sie von Anfang an von einer Vielzahl moralischer Bewertungen durchzogen sind, die zum großen Teil eher in1 2 3 4 5 6 Vgl. vor allem die Darstellung dieser Vorgänge bei G. Scholtz, „Die Philosophie und die Wissenschaften in der Akademie. Schleiermacher und Hegel“, in: ders., Ethik und Hermeneutik. Schleiermachers Grundlegung der Geisteswissenschaften, Frankfurt a. M. 1995, S. 147-169. S. Leduc, „La biologie synthetique“, in: A. Poinat (Hrsg.), Études de biophysique, Paris 1912. Vgl. T. S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1976. Vgl. J. Schummer, Das Gotteshandwerk. Die künstliche Herstellung von Leben im Labor, Berlin 2011. TAB-Brief Nr. 39, August 2011, Schwerpunkt: Hope-, Hype- und Fear-Technologien. Vgl. A. Grunwald, „Einführung in das Schwerpunktthema“, in: TAB-Brief Nr. 39, August 2011, Schwerpunkt: Hope-, Hype- und Fear-Technologien, S. 6 f. Zur Einleitung 13 tuitiv und präreflexiv erfolgen.7 Das ist insofern ein verständlicher Reflex auf diese neuen Technologien, als diese durch ihre Aufladung mit unterschiedlichsten Erwartungen auch auf unsere Lebenswelt einen Druck derart ausüben, dass der Eindruck entsteht, die Verhältnisse und normativen Regeln des Zusammenlebens würden durch sie verändert oder sogar außer Kraft gesetzt. Es stellt sich an dieser Stelle die geradezu klassische ethische Frage, wie die Veränderungen, die mit den neuen Wissenschaften eintreten oder zumindest möglich sind, sich zum Ethos der Lebenswelt verhalten. An dieser Stelle liegt die tiefere Bedeutung der ethischen Begleitforschung zur Synthetischen Biologie. Ihr ist nicht dadurch gerecht zu werden, dass die Ethik zur Forderung nach autoritärer Begrenzung der ambivalenten Möglichkeiten von Wissenschaft durch eindeutige Moral zu einer Verbotswissenschaft degeneriert, wie es einem gewissen gegenwärtigen Trend zu entsprechen scheint.8 Eine andere problematische Entwicklung ist es, immer weiter differenzierte „Bereichs­ ethiken“ für unterschiedliche Wissenschaftszweige zu fordern, also eine „Nano-Ethik“, eine „Gen-Ethik“ und dann eben auch eine eigene Ethik der Synthetischen Biologie. Mit solchen Forderungen wird zwar das berechtige Interesse an einer angemessenen Wahrnehmung der zunehmenden Spezialisierung und Eigenart der unterschiedlichen Wissenschaftszweige artikuliert. Werden diese individuellen Eigenheiten der Wissenschaften jedoch in eigene Bereichsethiken aufgeteilt, geht die entscheidende Einsicht verloren, dass es sich bei ethischen Fragen nicht um Fragen der Differenzen von Technikfeldern handelt, sondern um die Beschäftigung mit normativen Unsicherheiten im Bereich von Handlungsorientierung und um Fragen der angemessenen Verantwortungsübernahme.9 Das heißt, es geht darum, die wissenschaftsspezifischen Bedingungen mit den grundlegenden ethischen Fragen in 7 8 9 Zu dieser Charakteristik biowissenschaftlicher Debatten vgl. T. Rendtorff, „Ein­ leitende Stellungnahme zur embryonalen Stammzellforschung aus der Perspek­ tive der Ethik“, in: D. Groß, G. Keil, U. R. Rapp (Hrsg.), Ethische Fragen zur Stammzellforschung. Import oder Eigenbau, Würzburg 2002, S. 35-40, bes. S. 36. Zur Kritik dieses Verständnisses vgl. auch H. Kreß, „Dogmatisierung ethischer Fra­ gen. Kirchliche Stellungnahmen zu ethischen Themen: Neue Dogmatisierungen, Konfessionalisierungen und die Retardierung der kirchlichen ethischen Urteilsfin­ dung“, in: Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim 61(1)/2010, S. 3-9. Vgl. dazu auch A. Grunwald, „Plädoyer gegen eine Inflation von Bereichsethiken. Das Beispiel der vermeintlichen Nano-Ethik“, in: M. Maring (Hrsg.), Bereichsethiken im interdisziplinären Dialog, Schriftenreihe des Zentrums für Technik- und 14 Friedemann Voigt Verbindung zu bringen. Die Bedeutung der Ethik als Begleitwissenschaft moderner Lebenswissenschaften liegt in besonderer Weise in dieser hermeneutischen Aufgabe.10 Es geht bei dieser hermeneutischen Dimension der Ethik in einem ersten Schritt um die „erst noch zu schaffenden begrifflichen und konzeptionellen Voraussetzungen damit Fragen des Handelns in den neu entstehenden Feldern überhaupt erst sinnvoll gestellt, ethisch reflektiert und dann möglicherweise auch beantwortet werden können.“11 In einem zweiten Schritt wird diese hermeneutische Erkundung dadurch selbst zur praktischen Stellungnahme, dass sie jedem Zugang zu den Objekten und Begriffen auferlegt, sich in seiner individuellen Beschaffenheit neben anderen Zugriffen und Beschreibungen wahrzunehmen. Das hat eine Selbstrelativierung der jeweiligen Position zur Folge und weist auf die Ergänzungsbedürftigkeit partikularer Wahrnehmungen hin. Darüber hinaus führt schließlich der dritte Schritt: Eine solche diskursive Interdisziplinarität zeigt zugleich, dass die Unterschiede, die in den fachwissenschaftlichen und ethischen Auffassungen zu Tage treten, nicht unendlich sind. Die Benennung dessen, was die unterschiedlichen Positionen voneinander trennt, ist gar nicht anders möglich, als dass auch das erkennbar wird, was sie miteinander teilen.12 Freilich sind solche Prozesse langwierig und, wie jeder weiß, der sich in diesen Zusammenhängen bewegt, nicht mühelos umzusetzen. Der vorliegende Band möchte ein Beitrag dazu sein und das Lohnenswerte einer solchen hermeneutischen Anstrengung erkennbar werden lassen. Bereits im ersten Themenfeld des vorliegenden Bandes, „Leben“, wird deutlich, wie im Sinne einer für die ethische Aufgabe notwendigen Vorklärung die verschiedenen Perspektiven von Geistesund Naturwissenschaften einander ergänzen und geradezu suchen und Wirtschaftsethik am Karlsruher Institut für Technologie, Band 6, Karlsruhe 2014, S. 131-146. 10 Vgl. F. Voigt, „Religion in bioethischen Diskursen. Perspektiven der Forschung“, in: ders. (Hrsg.), Religion in bioethischen Diskursen. Interdisziplinäre, internationale und interreligiöse Perspektiven, Berlin/New York 2010,S. 1-17, bes. S. 9-15. 11 A. Grunwald, „Plädoyer gegen eine Inflation von Bereichsethiken. Das Beispiel der vermeintlichen Nano-Ethik“, in: M. Maring (Hrsg.), Bereichsethiken im inter­ disziplinären Dialog, Schriftenreihe des Zentrums für Technik- und Wirtschaftsethik am Karlsruher Institut für Technologie, Band 6, Karlsruhe 2014, S. 142. 12 Diese Dreistufigkeit der hermeneutischen Aufgabe der Ethik ist ausführlich dar­ gelegt in: F. Voigt, „Vom Ethos der Ethik. Die protestantische Sozialethik und die modernen Lebenswissenschaften“, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik 58(3)/2014, S. 203-216, bes. S. 208-211. Zur Einleitung 15 benötigen. Der Beitrag von Jörg Hacker und Sandra Kumm entwickelt über einen evolutionären naturwissenschaftlichen Lebensbegriff nämlich gerade die zu dieser Evolution gehörigen geistigen Fähigkeiten des Menschen zu Selbstreflexion, moralischer Urteilskraft und sprachlicher Kommunikation. Das weist in Richtung der Lebensphilosophie und ihrer Aufnahme in der Anthropologie Helmuth Plessners. Daran knüpft in seinem Beitrag Gerald Hartung an, der auf eine interdisziplinäre Anthropologie abzielt, welche eben jenen Bereich des Verstehens von Sinn, also die klassische Domäne der Geisteswissenschaften, mit den objektiven Beschreibungsleistungen der Naturwissenschaften verknüpfen möchte. Auch Klaus Mainzer verbindet in seinem Beitrag diese beiden wissenschaftlichen Betrachtung in seiner Beleuchtung zur Komplexität, die ein Schlüsselbegriff der modernen Lebenswissenschaften für den inneren Aufbau des Lebens ist, das nicht mehr als linearer Kausalzusammenhang, sondern als dynamischer Prozess aufgefasst wird. Die Eigenschaften, die ein Organismus entwickelt, sind also das Ergebnis von Wechselwirkung zahlreicher Elemente und Subsysteme. Das stellt erhebliche Anforderungen an die Planbarkeit und Vorausberechenbarkeit von synthetisch hergestellten Organismen. Dieser selbst wieder komplexe Zusammenhang von „evolvability“ und „engineerability“ spielt dann eine wichtige Rolle in der Debatte der Differenz von „natürlich“ und „synthetisch“ in den Beiträgen von Nedilijko Budisa und Kristian Köchy. Dieser Aspekt führt insofern direkt in die aktuellen ethischen Debatten hinein, weil damit auch die Frage der Beherrschbarkeit der synthetisch-biologischen Forschung und ihrer Folgen angesprochen ist. Es ist jedoch auch deutlich, dass die innere komplexe, evolutive Kraft des Lebens einschließlich des zu ihm gehörigen Bereichs des menschlichen Geistes und also der Wissenschaft selbst von der Ethik begriffen werden muss und nicht autoritativ begrenzt werden kann. Insofern führen die hermeneutischen Überlegungen zu Leben, Komplexität und Natürlichkeit über den Objektbereich des Lebens hinaus und wenden sich reflexiv auf ihren Gebrauch in ethischen Debatten, wie Daniel Falkner abschließend zeigt, der die Überlegungen der in diesem Band versammelten Autoren in den Zusammenhang der ethischen Debatte zur Synthetischen Biologie einordnet. Dieser Band mag insgesamt ein Beitrag dazu sein, die Zukunftstechnologie Synthetische Biologie mit ihrer Herkunft in Wissenschaft und Gesellschaft so in Verbindung zu bringen, dass das Neue, das sie zu bringen vermag, als etwas zu verstehen und verantworten ist, das nicht ohne die Verbindung zum Bestehenden und Gegebenen wirken kann.