2 Gruppen, Körper, lineare Räume Dieses Kapitel analysiert dasjenige genauer, was man in Zusammenhang mit den elementaren Vektoroperationen (Multiplikation mit einem Skalar, Vektoraddition) benötigt. Bei der Multiplikation mit einem Skalar ist dies zunächst die Menge, der die Skalare entstammen, im klassischen Fall also R. Es lohnt sich, nicht ausschließlich bei R stehen zu bleiben, sondern Bereiche mit ähnlichen Operationen einzubeziehen. Betrachtet man zunächst Addition und Multiplikation jeweils für sich, führt dies zum Begriff der Gruppe, im spezifischen Zusammenhang, in dem sie miteinander stehen, zum Begriff des Körpers. Neben R wird insbesondere der Körper C der komplexen Zahlen im Laufe der Zeit eine tragende Rolle spielen. Für andere Anwendungen, wie z.B. Fragen der Verschlüsselung, sind auch Körper mit endlich vielen Elementen unentbehrlich; wir stellen sie kurz vor. Lineare Räume schließlich sind die Verallgemeinerung dessen, was bisher der Rn gewesen ist. Grundlegende Begriffe wie Dimension oder Koordinatensystem (in unserer Sprechweise: Basis) müssen geklärt werden. Es werden lineare Räume auftreten, deren Elemente Funktionen sind und die – anders als der Rn – unendlichdimensional sind; dennoch lassen sich viele Konzepte aus dem Rn mit Nutzen übertragen. Dies wird im Laufe der späteren Kapitel immer deutlicher hervortreten. Übersicht 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 Gruppen Körper Lineare Räume oder Vektorräume Das Erzeugnis Lineare Abhängigkeit und Unabhängigkeit Basen in endlichdimensionalen Räumen H. J. Muthsam, Lineare Algebra, DOI 10.1007/978-3-642-39025-8_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2006 46 Kapitel 2: Gruppen, Körper, lineare Räume 2.1 Gruppen Gruppenaxiome. Im ersten Kapitel sind wir drei arithmetischen Operationen begegnet, die bei näherer Betrachtung eine sehr ähnliche Struktur aufweisen. Diese Operationen haben jeweils zwei Elementen einer Menge ein drittes Element derselben Menge zugeordnet. Es sind dies i) Menge: R; Operation: Addition (+) ii) Menge: Rn ; Operation: Addition (+) iii) Menge: R\{0}; Operation: Multiplikation (·) Wenn wir uns eine Menge, z.B. R, mit einer Operation, etwa +, ausgestattet denken, schreiben wir dafür (R, +). Da die unter i) und ii) angeführten Fälle von vornherein ziemlich ähnlich aussehen, vergleichen wir explizit i) und iii), wobei wir noch R\{0} =: R0 setzen und die darauf bezüglichen Einträge mit gestrichener Nummerierung versehen: 0) ∀ x, y ∈ R ist x + y ∈ R definiert 0 ) ∀ x, y ∈ R0 ist x · y ∈ R0 definiert 1) ∀ x, y, z ∈ R ist (x + y) + z = x + (y + z) 1 ) ∀ x, y, z ∈ R0 ist (x · y) · z = x · (y · z) 2 ) es gibt mindestens ein Element in R, u. zw. 0 , sodass 0 + x = x ∀ x ∈ R 2 ) es gibt mindestens ein Element in R0 , u. zw. 1 , sodass 1 · x = x ∀ x ∈ R0 3 ) Zu jedem x ∈ R ∃ ein Element (Bezeichnung: −x), sodass x + (−x) = 0. 3 ) Zu jedem x ∈ R0 ∃ ein Element (Bezeichnung: x−1 ), sodass x · x−1 = 1. 4) ∀ x, y ∈ R ist x + y = y + x 4 ) ∀ x, y ∈ R0 ist x · y = y · x Es ist möglich, mit dem Editor die ungestrichenen Einträge in die gestrichenen umzuwandeln; im Wesentlichen hat man die Addition durch die Multiplikation zu ersetzen und die Grundmenge zu modifzieren. In der Tat ist der Text auf diesem Weg geschrieben worden. – Dass die etwa merkwürdige Menge R\{0} auftritt, resultiert natürlich aus dem Bestreben, für jedes x die Existenz von x−1 zu gewährleisten. Mit einer Operation versehene Mengen, die derartige Eigenschaften erfüllen, spielen in der Mathematik eine wichtige Rolle. Für die allgemeine Theorie schreiben wir die Operation multiplikativ und geben dementsprechend die Definition 2.1.1 (Gruppe). Eine nichtleere Menge G, versehen mit einer Abbildung · : G × G → G, also ein Paar (G, ·), heißt Gruppe, wenn die folgenden Eigenschaften, die Gruppenaxiome erfüllt sind: 2.1 Gruppen 47 (G1) Für alle x, y, z ∈ G gilt (x · y) · z = x · (y · z). (Assoziativität) (G2) Es gibt ein neutrales Element e in G, sodass xe = x ∀ x ∈ G. (G3) Für jedes x ∈ G existiert ein inverses Element x−1 , sodass xx−1 = e. Man spricht von einer kommutativen Gruppe, wenn zusätzlich noch gilt: (G4) Für alle x, y ∈ G ist xy = yx (Kommutativität). Bemerkung. Für das Produkt zweier Elemente ist die Schreibweise ·(x, y), wie sie eigentlich der Notation bei Abbildungen entspräche, vollkommen ungebräuchlich; man schreibt x · y oder auch nur xy. Zum neutralen Element: schreibt man die Gruppe multiplikativ, wird das neutrale Element meist mit e, 1, I oder so ähnlich bezeichnet; in der allgemeinen Theorie der Gruppen meist mit e. Schreibt man die Gruppe hingegen additiv, so wird das neutrale Element meist mit 0 o.dgl. bezeichnet. Zum inversen Element: Bei additiver Schreibweise der Gruppe bezeichnet man das inverse Element zu x mit −x. Für x + (−y) schreibt man allgemein x − y. Somit ist die Subtraktion auf die Addition zurückgeführt. – Bei multiplikativen Gruppen hingegen ist es mit Ausnahme der speziellen Fälle reeller (oder komplexer) Zahlen nicht üblich, anstelle von x−1 den Bruch x1 zu setzen. Grundsätzlich ist aber die Division (im Fall reeller oder komplexer Zahlen) auf die Multiplikation in Zusammenhang mit der Inversion zurückgeführt. Offenbar sind alle vorhin besprochenen Mengen kommutative Gruppen. Im Falle des Rn ist das neutrale Element bezüglich der Vektoraddition der Nullvektor 0. Allgemeine Eigenschaften. Es stellt sich sofort die Frage, welche Rechenregeln sich für Elemente einer Gruppe aus den Axiomen ableiten lassen und daher für Elemente einer Gruppe stets gelten. Weist man von einem konkreten Paar (G, ·) nach, dass die Gruppenaxiome erfüllt sind, müssen dann alle daraus abgeleiteten Rechenregeln und sonstige Folgerungen gelten. Bemerkung (axiomatische Methode). Im Verlauf des Buches werden wir vielen Gruppen begegnen. Man verfolge allein an diesen Fällen, welchen Gewinn an Übersichtlichkeit und welche Arbeitsersparnis die axiomatische Methode bedeutet, deren Wesen darin besteht, für häufiger auftretende, wesentliche Strukturen möglichst konzise, kennzeichnende Grundvoraussetzungen (Axiome) zu formulieren, aus denen dann viele allgemein gültige Eigenschaften der jeweils durch das Axiomensystem beschriebenen Struktur folgen. – Der Reduktion auf allgemeine Grundstrukturen ist in vielen Zusammenhängen ein Grundprinzip der Mathematik und daher auch dieser Darstellung. Zu Gruppen zurückkehrend bemerken wir mit Blick auf Axiom G2, dass nur die Existenz eines – und das heißt in der mathematischen Sprechweise: mindestens eines – neutralen Elements gefordert wird. Das neutrale Element muss übrigens seine Eigenschaft xe = x nur als rechter Faktor ausüben (Rechtsneutrales, ebenso das Inverse nur, wenn es im Produkt rechts steht (siehe G3; Rechtsinverses). Die folgenden Lemmata lehren allerdings, dass Inverses und Neutrales (auch ohne Kommutativität G4!) dies stets beidseitig sind: 48 Kapitel 2: Gruppen, Körper, lineare Räume Lemma 2.1.1 (Rechtsinverses = Linksinverses). x−1 x = e ∀ x ∈ G. Beweis. Sei x ∈ G, x−1 rechtsinvers. Dann ist x−1 x = (x−1 x)e = (x−1 x)(x−1 (x−1 )−1 ) = x−1 (xx−1 )(x−1 )−1 = e = (x−1 e)(x−1 )−1 = x−1 (x−1 )−1 = e. Lemma 2.1.2 (Rechtsneutrales=Linksneutrales). Für beliebiges x ∈ G ist ex = x. Beweis. ex = (xx−1 )x = x(x−1 x) = xe = x. Lemma 2.1.3 (Eindeutigkeit des neutralen Elements). Das neutrale Element einer Gruppe ist eindeutig bestimmt. Beweis. e, f seien neutrale Elemente. Fassen wir f als rechtsneutral auf, haben wir e = ef ; interpretieren wir e linksneutral, ef = f , zusammen e = f . Lemma 2.1.4 (Eindeutigkeit des inversen Elements). Für jedes x ∈ G ist das Inverse eindeutig bestimmt. Beweis. Für ein x ∈ G seien y und z inverse Elemente, somit xy = e, xz = e. Es ist zu zeigen, dass mit Notwendigkeit y = z ist. Man multipliziere die Beziehung xy = e (von links!) mit z und erhält zxy = ze = z. Wegen zx = e (Rechtsinverses=Linksinverses) ist zxy = y und somit gilt y = z. Lemma 2.1.5. Für jedes x ∈ G ist (x−1 )−1 = x. Weiterhin ist die Abbildung φ : x → x−1 (G → G) bijektiv. Beweis. (x−1 )−1 ist das Inverse zu x−1 und leistet daher x−1 (x−1 )−1 = e; für x gilt aber ebenfalls x−1 x = e. Da das Inverse (hier: zu x−1 ) eindeutig bestimmt ist, folgt (x−1 )−1 = x. Zu φ: φ ist injektiv; denn gilt x−1 = y −1 , so folgt nach Multiplikation mit y: x−1 y = e und nach Multiplikation mit x: y = x. φ ist aber auch surjektiv. Denn gibt man ein erwünschtes Bild y vor, so kann man es mit φ(y −1 ) = (y −1 )−1 = y auch wirklich erreichen. Definition 2.1.2 (Untergruppe). (G, ·) sei eine Gruppe. Eine Teilmenge H ⊆ G, H = ∅, heißt Untergruppe von G, wenn H, genauer (H, ·), wiederum eine Gruppe ist. Beispiel (Additive Gruppe Z). Die Menge der ganzen Zahlen ist eine Gruppe im Hinblick auf die Addition. Die Gruppenaxiome sind unmittelbar zu verifizieren. Also ist (Z, +) Untergruppe von (R, +); wegen Z ⊂ R ist Z sogar eine echte Untergruppe. Bezüglich der Multiplikation verhält es sich anders. Wohl ist mit m, n ∈ Z stets mn ∈ Z, aber das Inverse m−1 liegt natürlich i.A. nicht in Z. (Das neutrale Element von (Z, ·) ist das selbe wie in (R, ·). Daher müssen eventuelle Inverse in Z und in R übereinstimmen.) 49 2.1 Gruppen Beispiel (Additive und multiplikative Gruppe Q). Man überprüft leicht, dass (Q, +) eine Gruppe ist; ebenso, zum Unterschied von Z, (Q\{0}, ·). Das unterschiedliche Verhalten von Z bzw. Q in Hinblick auf die multiplikative Gruppeneigenschaft lässt es wünschenswert erscheinen, möglichst leicht zu sehen, wann eine Teilmenge einer Gruppe wiederum Gruppe ist. Der folgende Satz leistet dies und lässt sofort erkennen, weshalb zwar Q\{0}, nicht aber Z\{0} Untergruppe hinsichtlich der Multiplikation von R\{0} ist. Satz 2.1.1 (Charakterisierung von Untergruppen). Eine Teilmenge H ⊆ G (G eine Gruppe, H = ∅) ist genau dann eine Gruppe, wenn die Implikation x, y ∈ H ⇒ xy −1 ∈ H (2.1) zutrifft. Beweis. Der Satz beinhaltet eine Charakterisierung von Untergruppen, d.h. eine notwendige und hinreichende Bedingung dafür, dass H Untergruppe von G ist. – Dass jede Untergruppe die in 2.1 genannte Eigenschaft aufweist, ist klar. Es möge daher umgekehrt für H = ∅ die Eigenschaft aus 2.1 gelten. Es ist zu zeigen, dass H Gruppe ist. Wählt man ein x ∈ H, so gilt xx−1 = e ∈ H. Das neutrale Element von G liegt daher in H (und erfüllt natürlich auch dort Axiom G2). Ist x ∈ H beliebig, so ist ex−1 = x−1 ∈ H, da e ∈ H bzw. wegen Eigenschaft 2.1. Also existiert zu jedem x ∈ H ein Rechtsinverses. Die Assoziativität (und ggf. die Kommutativität) gilt für alle Elemente von G, daher auch für alle Elemente von H und somit sind sämtliche Gruppenaxiome für H überprüft. Bemerkung (Produkt – aber keine Gruppe). Nicht jedes so genannte Produkt erzeugt auch schon eine Gruppe. Unmittelbar klar ist das beim skalaren Produkt über Rn . Denn hier liegt doch das Produkt zweier Vektoren p, q ∈ R, also gar nicht in der Menge, der die Faktoren entstammen. Das wäre zwar beim äußeren Produkt ∧ über V = R3 nicht die Schwierigkeit, dennoch ist (V, ∧) keine Gruppe, weil i.A. (p ∧ q) ∧ r = p ∧ (q ∧ r) ist, wie man sich leicht an konkreten Zahlenbeispielen klar macht. Die multiplikative Gruppe komplexer Zahlen. In R(= R1 ) haben wir einerseits die Addition, andererseits eine Multiplikation; wie oben besprochen, bildet R1 \{0} bezüglich der Multiplikation eine Gruppe. (Natürlich gibt es Rechenregeln, die Addition und Multiplikation miteinander verknüpfen, z.B. a(b + c) = ab + ac; sie werden wir im Abschnitt über so genannte Körper besprechen.) Es zeigt sich nun, dass für den R2 neben der Addition (Vektoraddition im R2 ) eine Multiplikation erklärt werden kann, die diejenige in R so verallgemeinert, dass (R2 \{0}, ·) zu einer Gruppe wird. (Auch hier gelten Rechenregeln, die Addition und Multiplikation verknüpfen; diesbezüglich verweisen wir wieder auf den Abschnitt über Körper.) Um es gleich vorwegzunehmen: Ähnlich, wie wir ein Tripel (R, +, ·) betrachten (d.h. die Menge R ausgestattet mit der üblichen Addition und Multiplikation), 50 Kapitel 2: Gruppen, Körper, lineare Räume werden wir den R2 mit derartigen Operationen ausstatten (die Addition ist uns im R2 schon bekannt). Denkt man sich aber den R2 mit Addition und Multiplikation versehen, so schreibt man dafür C und spricht von der Menge der komplexen Zahlen; denn die Elemente nennt man komplexe Zahlen. Wenn man ein Element des R2 , etwa z = (x, y) in der Schreibweise komplexer Zahlen darstellen will, schreibt man z = x + iy; also ist i gleichsam eine Marke, durch welche die zweite Komponente des Vektors kenntlich gemacht wird. (Eigentlich sollten wir für den Vektor z schreiben; da wir aber dieses Objekt viel mehr als Zahl denn als Vektor im R2 ansehen, ist die gewählte Bezeichnung erklärlich.) Die neue Schreibweise wird sich später beim Rechnen mit komplexen Zahlen als viel bequemer erweisen als das Arbeiten mit der Vektordarstellung, woran aber nichts falsch wäre. Der Hauptgrund für die Einführung komplexer Zahlen ist bekanntlich der Wunsch, auch für Gleichungen wie z 2 = −1 zu Lösungen zu kommen. Die angestrebte Multiplikation komplexer Zahlen lässt sich bequem formulieren, wenn wir die oben genannte Marke“ i noch so definieren, dass sie i · i = −1 erfüllt. ” (So lange es nur um die additive Struktur geht, können wir einen beliebigen, lediglich von 1 = e1 linear unabhängigen Vektor in R2 in der Rolle wählen, die i oben spielt. Wollen wir ein solches hypothetisches i für den Moment j nennen. Man mache sich unten nach wirklicher Einführung der Multiplikation klar, wie kompliziert sie auszuführen wäre, wenn man überall dort, wo i2 = −1 auftritt, z.B. j 2 = 5j − 8 zu setzen hätte.) So gewarnt, verlangen wir in der Tat i2 = −1 und gehen im Übrigen davon aus, dass man wie gewohnt multiplizieren kann. Das bedeutet, wir definieren das Produkt zweier komplexer Zahlen z = x + iy, w = u + ivals zw = (x + iy)(u + iv) := (xu − yv) + i(xv + yu) (u, v, x, y ∈ R). (2.2) Mit z = w = i ergibt sich natürlich auch aus dieser allgemeinen Definition i2 = −1. So ist zum Beispiel (3 + 2i)(4 + 5i) = (12 − 10) + i(15 + 8)i = 2 + 23i. Satz 2.1.2 (Multiplikation komplexer Zahlen). C\{0} bildet bezüglich der Multiplikation eine Gruppe. Überdies gilt 0 · z = 0 ∀ z ∈ C. Beweis. Die Behauptung 0 · z = 0 folgt unmittelbar aus der Definition. Es genügt daher im Folgenden, von z = x + iy , w = u + iv und t = r + is ∈ C\{0} auszugehen. Hinsichtlich der Gruppeneigenschaft überprüfen wir zunächst, ob zw = 0, d.h. zw ∈ C\{0}. Dazu betrachten wir die Quadratsumme der Komponenten von zw (nahe liegend, weil dies das Quadrat des Abstandes vom Nullvektor in R2 ist); bei (∗) verschwinden die gemischten Glieder aus den Quadraten wegen des unterschiedlichen Vorzeichens: (∗) (xu − uv)2 + (xv + uy)2 = x2 y 2 + y 2 v 2 + x2 v 2 + y 2 u2 = (x2 + y 2 )(u2 + v 2 ). (2.3) Da jede der zuletzt auftretenden Quadratsummen = 0 ist, muss das Produkt und somit (xu − uv)2 + (xv + uy)2 = 0 sein; es können also nicht beide Komponenten von zw verschwinden, d.h. zw = 0. 51 2.1 Gruppen Die Assoziativität verifiziert man, indem man zunächst (zw)t auswertet: (zw)t = (rux − rvy − suy − svx) + i(ruy + rvx + sux − svy); Berechnung von z(wt) führt zum selben Resultat. 1 = 1 + 0i ist wegen (1 + 0i)(x + iy) = (1 · x − 0 · y) + i(1 · y + 0 · x) = x + iy das neutrale Element. Direktes Nachrechnen zeigt schließlich, dass für z = x + iy = 0 durch z −1 = x 1 y = 2 −i 2 z x + y2 x + y2 (2.4) das multiplikative Inverse zu z gegeben ist. Der Definition der Multiplikation entnimmt man unmittelbar, dass sie kommutativ ist; denn beide Faktoren z und w gehen ganz gleichartig in das Produkt ein. – Eine geometrische Deutung der Multiplikation komplexer Zahlen folgt bei der Besprechung weiterer Eigenschaften (Seite 54). Die symmetrische Gruppe Sn . n sei irgendeine natürliche Zahl und Mn eine Menge von genau n Objekten, am bequemsten Mn = {1, 2, . . . , n}. Wir betrachten die Menge aller Permutationen ihrer Elemente, d.h. die Menge aller bijektiven Abbildungen von Mn in sich. Diese Menge bezeichnet man als die symmetrische Gruppe Sn in n Elementen. Das Wort Gruppe“ erklärt sich hierbei aus folgendem ” Satz 2.1.3 (Sn ist eine Gruppe). Definiert man die Multiplikation in Sn als die Zusammensetzung der Abbildungen, so bildet Sn eine Gruppe (die sogenannte symmetrische Gruppe in n Elementen). Das neutrale Element ist die identische Permutation (Abbildung). Beweis. Bei der anstehenden Überprüfung Gruppenaxiome dürfen wir keineswegs vergessen, auch dasjenige zu beweisen, was vor G1 steht, dass nämlich mit π, σ ∈ Sn auch σπ ∈ Sn ist. – Das ist aber klar, weil die Zusammensetzung zweier bijektiver Abbildungen wieder bijektiv ist. Die Assoziativität ist genau die uns schon bekannte Assoziativität der Zusammensetzung von Abbildungen. Das neutrale Element (das wir im Fall von Sn übrigens standardmäßig mit ι bezeichnen) ist die identische Permutation (Abbildung). Denn für die identische Abbildung gilt πι = π ∀ π ∈ Sn . Das inverse Element (im Sinne der Gruppentheorie) eines π ∈ Sn ist die inverse Abbildung; denn für π −1 (im Sinne der inversen Abbildung) gilt doch ππ −1 = ι, womit π −1 auch gleichzeitig als das Inverse im gruppentheoretischen Sinne erscheint. Die Kommutativität für n = 1, 2 ist durch direktes Nachprüfen der ganz wenigen möglichen Fälle direkt zu bestätigen, aber für n ≥ 3, wie schon oben bemerkt, nicht gegeben. Das heißt also, dass die Sn im Allgemeinen eine nichtkommutative Gruppe ist. Die obigen Betrachtungen sind aber offenbar viel allgemeiner. Nirgends ist eingegangen, dass die Grundmenge endlich war, und daher gilt sogar 52 Kapitel 2: Gruppen, Körper, lineare Räume Satz 2.1.4 (Gruppeneigenschaft bijektiver Abbildungen). Die Menge aller bijektiven Abbildungen von einer beliebigen Menge X = ∅ in sich bildet eine Gruppe. Aufgaben 2.1. Überprüfen Sie explizit, das (Q, +) eine Gruppe ist; ebenso für (Q\{0}, ·). √ / Q, Wir definieren die Menge 2.2. Bekanntlich ist 2 ∈ √ √ p + 2q √ : p, q, r, s ∈ Q, (r, s) = (0, 0)}. Q( 2) = { r + 2s Die Bedingung (r, s) = (0, 0) garantiert, dass der Nenner √ nicht verschwindet (weshalb?). Zeigen Sie, dass man jedes Element von Q( 2) auch in der Form √ u + 2v (u, v ∈ √ Q) schreiben kann. (Man erweitere mit dem Konjugierten“ des √ √ ” Nenners, mit r− 2s. Zeigen Sie, dass sowohl (Q( 2), +) wie auch (Q( 2)\{0}, ·) √ jeweils eine Gruppe bilden. (Da man zeigen kann, dass Q ⊂ Q( 2) ⊂ R, ist dies wirklich jeweils eine neue Gruppe.) 2.3. Schaffen Sie ähnlich wie in der vorangegangenen Aufgabe die imaginäre 1 Einheit i bei 3−4i aus dem Nenner. 2.4. Führen Sie über G = R2 \{(0, 0)} eine Multiplikation ein: (q, r) · (s, t) := (qs, rt). Welche der Gruppenaxiome sind erfüllt welche nicht? Bildet also diese Menge mit dieser Operation eine Gruppe? 2.5. Wir gehen von einem nicht quadratischen Rechteck aus. Es kann durch Spieglung an der horizontalen bzw. vertikalen Achse sowie durch Drehung um den Winkel π um seinen Mittelpunkt in sich übergeführt werden. Nummeriert man die Eckpunkte durch, so entspricht jede dieser Abbildungen einer Permutation dieser Eckpunkte (Zahlen). Die Gesamtheit dieser Permutationen (nebst ι) bildet die Klein’sche Vierergruppe V. Schreiben Sie die Elemente von V taxativ an und zeigen Sie, dass V tatsächlich eine Gruppe ist, also eine Untergruppe von S4 . Geben Sie fernerhin ein Element von S4 an, das nicht in V liegt. Kann man bei einem Quadrat bei sinngemäßem Vorgehen mehr Abbildungen erhalten, die das Quadrat in sich überführen? 2.2 Körper Allgemeines und Beispiele. Die reellen Zahlen bilden sowohl bezüglich der Addition wie auch (nach Ausschluss der Null, d.h. des neutralen Elements der Addition) bezüglich der Multiplikation eine kommutative Gruppe. Fernerhin sind Addition und Multiplikation durch gewisse Rechenregeln verknüpft. Strukturen dieser Art spielen eine große Rolle, und wir geben daher die Definition 2.2.1. Es seien eine nichtleere Menge K gegeben sowie zwei Abbildungen +, · : K × K → K. Es gelte 53 2.2 Körper (K1) K ist bezüglich + eine kommutative Gruppe. (Das neutrale Element bezeichnen wir mit 0.) (K2) K\{0} ist bezüglich · eine kommutative Gruppe. (Das neutrale Element bezeichnen wir mit 1.) Wir verlangen 0 = 1. (K3) Darüberhinaus sei noch x(y + z) = xy + xz ∀ x, y, z ∈ K (Distributivgesetz). (2.5) Dann heißt (K, +, ·) ein Körper. Beispiel. Nachdem die Menge R der reellen Zahlen (mit der üblichen Addition und Multiplikation) bei den Definitionen Pate gestanden hat, ist sie ein Körper. Beispiel. Die Menge Q der rationalen Zahlen ist ebenfalls ein Körper. Denn es ist uns aus dem vorangehenden Paragraphen bekannt, dass (Q, +) und (Q\{0}, ·) jedenfalls Gruppen sind. Das Distributivgesetz erbt Q aber von der größeren Menge R. Bemerkung (Rechenregeln in Körpern). Das Rechnen in einem Körper läuft weit gehend nach den vertrauten Gesetzen ab. Analyisiert man übliche einfache Rechenoperationen, z.B. Umformungen von (a+b)(c+d)(e+f ), so wird man finden, dass man beim Ausmultiplizieren zuerst das distributive Gesetz und in weiterer Folge, je nach genauem Ziel der Umformung, Assoziativität und Kommutativität der Addition, eventuell auch der Multiplikation anwendet. Auch Regeln wie z.B. das Kürzen lassen sich wie vertraut anwenden. Denn der Vorgang des Kürzens lässt sich doch in der Gleichung (px)/(py) = x/y subsumieren. In der Körpersprache: (px)(py)−1 = pxp−1 y −1 = (pp−1 )xy −1 = xy −1 . Dabei hat man von dem kleinen Sätzchen Gebrauch gemacht, wonach (px)−1 = p−1 x−1 . Dies trifft aber wegen (p−1 x−1 )(px) = (p−1 p)(x−1 x) = 1 · 1 = 1 und des Resultates, wonach das Inverse zu einem Element in einer Gruppe, hier der multiplikativen Gruppe des Körpers, eindeutig bestimmt ist, zu. Der Körper der komplexen Zahlen. Die Menge C der komplexen Zahlen bildet einen Körper. Die Gruppeneigenschaft von Addition und Multiplikation ist uns schon bekannt. Es ist also nur noch das Distributivgesetz zu überprüfen. Dazu seien t = r + is, w = u + iv, z = x + iy drei komplexe Zahlen in Standarddarstellung. Die Beziehung t(w + z) = tw + tz ergibt sich aber durch einfaches Nachrechnen. – Dass hier 0 = 1 ist, bedarf kaum der Erwähnung. Damit ist C als Körper erkannt. – Über die allgemeinen Körpereigenschaften hinaus zeichnet sich C durch spezielle Eigenschaften aus. Direkt aus R2 übernehmen wir die Definition des Betrages: |z| := z. Satz 2.2.1 (Eigenschaften des Betrages). Die Betragsfunktion über C hat die Eigenschaften einer Norm (Positivität, Dreiecksungleichung, Homogenität bzgl. reeller Faktoren). Darüber hinaus gilt hier sogar |zw| = |z||w| ∀ z, w ∈ C (Multiplikativität des Betrages). Beweis. Die angesprochenen Eigenschaften einer Norm werden wir erst wesentlich später behandeln. Wir fügen sie für den Fall des komplexen Betrages nur der 54 Kapitel 2: Gruppen, Körper, lineare Räume Vollständigkeit halber hier ein. – Die Positivität |z| = x2 + y 2 ≥ 0 ∀ z und |z| = 0 genau für z = 0 ist unmittelbar einsichtig. Die Dreiecksungleichung |z + w| ≤ |z| + |w| ∀ z, w ∈ C(= R2 ) (vgl. Abbildung 7.2, Definition 7.3.1) werden wir erst in diesem Umfeld beweisen und vorher auch nicht benötigen. Die Homogenität bezüglich reeller Faktoren (z ∈ R) ist in der allgemeineren Aussage von Gleichung 2.6 (z ∈ C) enthalten. Die Arbeit für deren Beweis haben wir aber schon bei Gleichung 2.3 geleistet; denn dort steht ganz links |zw|2 und rechts |z|2 |w|2 . Da die Beträge nicht negativ sind, gilt Gleichheit auch ohne die Quadrate. Bemerkung (Polardarstellung komplexer Zahlen). Wir betrachten zunächst eine Zahl w = u + iv mit |w| = 1; es gilt dann u2 + v 2 = 1. Deshalb gibt es ein eindeutig bestimmtes φ := arg w (Argument von w), −π ≤ φ < π, mit u = cos φ, v = sin φ, m.a.W., es ist w = cos φ + i sin φ. 1 Ist nun z ∈ C, z = 0, so ist wegen der Multiplikativität des Betrages ( |z| |z|) = 1. Wie im letzten Absatz existiert daher wieder ein eindeutig bestimmtes φ =: arg z, 1 z = cos φ + i sin φ oder −π ≤ φ < π, mit |z| z = |z|(cos φ + i sin φ) (φ = arg z; Polardarstellung von z). (2.6) Aus dem ersten Faktor liest man direkt den Betrag ab, aus dem zweiten das Argument. Ist z = 0, so gilt eine derartige Darstellung mit jedem φ; das Argument sieht man für z = 0 als nicht definiert an. Bemerkung (geometrische Deutung der Multiplikation). Die Polardarstellung liefert eine einfache geometrische Deutung der Multiplikation komplexer Zahlen, auf die zuerst Gauß hingewiesen hat (Abb. 2.1). zw w z y+f y f Abbildung 2.1: Multiplikation komplexer Zahlen Mit φ = arg z, ψ = arg w ist nämlich kurz z = |z|(cos φ + i sin φ) = |z|(cφ + isφ ), analog w = |w|(cψ + isψ ) und daher zw = |z||w|(cφ + isφ )(cψ + isψ ) = |z||w| (cφ cψ − sφ sψ ) + i(cφ sψ + cψ sφ ) = = |z||w| cos (φ + ψ) + i sin (φ + ψ) . http://www.springer.com/978-3-642-39024-1