KOMMENTIERTE ZUSAMMENFASSUNG Bisher hat Österreich die internationale Finanzkrise besser als andere OECD-Staaten überstanden. Trotzdem steht das Land vor der stärksten Rezession seit einem halben Jahrhundert. Darüber hinaus beinhalten Österreichs umfangreiche Wirtschaftsbeziehungen zu Mittel- und Osteuropa Risiken für das BIP-Wachstum und die finanzielle Stabilität. In der Eurozone wurde die Geldpolitik angesichts der Krise gelockert. In Österreich wurden Maßnahmen ergriffen, um die Liquidität und die Kapitalbasis des Finanzsystems zu stärken, wobei automatische Stabilisatoren in Verbindung mit finanzpolitischen Einzelmaßnahmen ebenfalls zur Abfederung beitragen. Auch wenn in Österreich und anderen Staaten Maßnahmen zur Stabilisierung der Finanzmärkte eingeleitet wurden, ist möglicherweise weitere Unterstützung erforderlich, um auftretenden Gefahren einer weiteren Verschlechterung zügig entgegentreten zu können. Maßnahmen zur Einkommenssicherung sollten weiterhin auf den Schutz von Arbeitern und weniger auf den Schutz von Arbeitsplätzen abzielen sowie in Verbindung mit Programmen zur Verbesserung der langfristigen Arbeitsmarktfähigkeit stehen. Trotzdem kann es in der derzeitigen Phase der Krise sinnvoll sein, bestehende Arbeitsplätze durch Unterstützung für begrenzte Zeit zu erhalten. Die Verschlechterung der Haushaltslage erfordert die baldige Präsentation glaubwürdiger Maßnahmen zur mittelfristigen Konsolidierung, die in Kraft treten, wenn sich die wirtschaftlichen Bedingungen wieder verbessern. Diese Maßnahmen werden durch das neu entwickelte vierjährige System zur Ausgabenbegrenzung und den Übergang zur leistungsbezogenen Finanzplanung unterstützt, erfordern aber auch eine intensivere Mitwirkung der Länder. Wenn die aktuelle Krise überstanden ist, muss die Wirtschaft stärker auf Wachstum ausgerichtet werden. Gegenüber den Ländern, die in der vergangenen Dekade stärker gewachsen sind, muss wieder Boden gut gemacht werden. Maßnahmen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Arbeitskräfteauslastung können und müssen eingeleitet werden. Der Unterschied hinsichtlich der Produktivität zwischen dynamischen, dem internationalen Wettbewerb ausgesetzten Produktionsbranchen und vergleichsweise rückständigen und geschützten Dienstleistungsbranchen sollte durch aktivere Maßnahmen zur Förderung des Binnenwettbewerbs verringert werden. Der weiterhin vorhandene Kontrast zwischen der Arbeitsmarktfähigkeit von Fachkräften jüngeren und mittleren Alters einerseits sowie älteren und weniger gut ausgebildeten Arbeitern andererseits sollte durch Maßnahmen zur Verbesserung des Arbeitskräfteangebots und Steigerung der Nachfrage im Hinblick auf benachteiligte Gruppen verringert werden. Eine hochwertige Ausbildung ist der Schlüssel sowohl für Wachstum als auch für sozialen Zusammenhalt. Österreichs Bildungssystem sollte vom Kindergarten bis zur Universität gestärkt werden. Ehrgeizige Reformen, die bereits in einigen Bereichen eingeleitet wurden, sollten als nationale Priorität angesehen werden. 1 Ab dem Alter von drei Jahren sollten alle Kinder von einer hochwertigen vorschulischen Bildung profitieren. Im Rahmen der Schulpflicht sollten die Ressourcen auf die wichtigsten und innovativsten politischen Initiativen konzentriert werden, etwa auf die Neue Mittelschule. Die Bundesregierung sollte ihre Anstrengungen für eine größere Autonomie der Schulen fortsetzen, wenn im Gegenzug vermehrt Rechenschaft über die Einhaltung nationaler Bildungsstandards nachgewiesen wird. Im tertiären Bildungsbereich muss trotz der steigenden Anzahl an Studienbewerbern gewährleistet sein, dass die Lehrqualität aufrecht erhalten bleibt. Die Universitäten sollten bei der Auswahl ihrer Studenten und der Einhebung von Studiengebühren mehr Freiraum erhalten, wobei ein umfassendes Stipendiensystem und einkommensabhängige Darlehen zur Wahrung der Chancengleichheit notwendig sind. EINSCHÄTZUNG UND EMPFEHLUNGEN Österreich ist von den Auswirkungen der internationalen Krise betroffen... Die wirtschaftliche Expansion Österreichs wurde durch die internationale Finanzkrise gestoppt, die im Sommer 2007 ausbrach und sich im Herbst 2008 ausweitete. Der Abschwung bis Ende 2008 war jedoch weniger dramatisch als in den meisten anderen Ländern der Eurozone mit hohen Einkommen. Der private Konsum und die Investitionen sind stabiler geblieben, ebenso die Exporte, insbesondere in die Länder Mittel- und Osteuropas (MOE). Erste Anzeichen der internationalen Krise in Österreich waren allgemeine Spannungen im Bereich der Bankenfinanzierung und ungünstigere Kreditbedingungen in allen Wirtschaftsbereichen. Als Reaktion darauf ergriff die Regierung Maßnahmen zur Stärkung der Liquidität und Kapitalausstattung von Banken sowie zur Stärkung des Vertrauens von Kontoinhabern und Kreditgebern ein. Der zweite Kanal, durch den sich die Schwäche der Weltwirtschaft auf Österreich auswirkt basiert auf dem anhaltenden Abschwung im internationalen Handel, da die Exporte 60% des österreichischen BIP ausmachen. Werden zusätzlich die Unsicherheiten im Finanzsektor und der Rückgang bei der Erwerbstätigkeit im Inland berücksichtigt, so zeigt sich, dass der private Konsum und die Investitionen von Unternehmen zurückgehen. Vor diesem Hintergrund und ungeachtet nennenswerter politischer Maßnahmen wird Österreich die tiefste und langwierigste Rezession seit Mitte der 1950er Jahre vorausgesagt, die – wenn auch verzögert – zu einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit führen wird. ...und ist Risiken in Mittel- und Osteuropa ausgesetzt Das Finanzsystem wurde weniger stark als in anderen Ländern beeinträchtigt, da es durch die problematischsten internationalen Anlagenklassen oder durch faule inländische Kredite weniger belastet ist. Spannungen traten allerdings im Februar 2009 auf, als das wahrgenommene Risiko von Gläubigerpositionen in einigen MOE-Ländern angesichts schlechterer wirtschaftlicher Aussichten und Problemen im Bereich der Zahlungsbilanz stark anstieg. Österreichische Banken waren in den vergangenen Jahren in zahlreichen Ländern der Region sehr aktiv, insbesondere durch von Tochterunternehmen vergebene grenzüberschreitende Anleihen und Kredite, die einen erheblichen Anteil zum Gesamtumsatz der Banken beitrugen. Da die Vermögen österreichischer Banken in MOE über 60% des österreichischen 2 BIP entsprechen, kamen Befürchtungen über Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte infolge einer möglichen Bankenkrise auf, und die Risikoprämie für österreichische Staatsanleihen stieg Anfang 2009 deutlich um 130 Basispunkte, obgleich sie seitdem wieder gesunken ist. Weiterhin besteht Unsicherheit hinsichtlich der Lage in einigen MOE-Ländern. Tiefe Rezessionen in der Region würden das österreichische Finanzsystem, den regionalen Handel und nationale Aktivitäten weiter belasten. Die dadurch ausgelösten Risiken sind in den verschiedenen MOE-Ländern allerdings unterschiedlich, einerseits aufgrund der jeweils sehr unterschiedlichen ökonomischen Bedingungen, andererseits aufgrund der unterschiedlichen relativen Wichtigkeit als Wirtschaftspartner für Österreich. Aufgrund der Krise wurden einige politische Maßnahmen ergriffen Eine Reihe von währungspolitischen, finanzpolitischen, haushaltsbezogenen arbeitsmarktbezogenen Maßnahmen wurden seit dem vergangenen Herbst ergriffen. und Zusätzlich zum finanzpolitischen Impuls durch das Eurosystem hat die österreichische Regierung ein Paket mit einem Umfang von 100 Milliarden € (36% des BIP) zusammengestellt, einschließlich einer Aufstockung des Einlagensicherungsprogramms um 10 Milliarden €, 15 Milliarden € für Kapitalspritzen in Finanzinstitute sowie 75 Milliarden € zur Unterstützung von Interbankkrediten (über eine neue Clearingbank) und für Regierungsgarantien für die Ausgabe von Bankschuldverschreibungen. Banken, die diese Ressourcen in Anspruch nehmen möchten, müssen Verträge mit den Behörden unterzeichnen und die Kreditgewährung ausweiten. Ein neues Garantieprogramm sichert die Kreditaufnahme von kleinen und mittleren Unternehmen für Investitionen und den Betriebskapitalbedarf ab. Durch diese Maßnahmen wurden die größten Spannungen im Finanzsystem zwischen Oktober 2008 und April 2009 teilweise abgemildert. Auch im Bereich der Steuerpolitik wurde auf die außergewöhnlichen Umstände reagiert. Da der Anteil der Steuern und der öffentlichen Ausgaben am BIP hoch ist und die sozialen Transferleistungen in Österreich umfangreich sind, spielen die automatischen Stabilisatoren eine besonders wichtige Rolle. Durch Einzelmaßnahmen wurden zusätzliche Impulse gesetzt, insbesondere durch Maßnahmen zur Stützung der Kaufkraft von Privathaushalten (unter anderem Anhebungen der Leistungen für Familien, eine Aussetzung der Studiengebühren und eine Absenkung der Mehrwertsteuer für Medikamente), Senkungen der Einkommensteuer (vorgezogen von 2010 auf 2009) und andere Maßnahmen, zum Beispiel neue Investitionen in die Infrastruktur. Das Haushaltsdefizit wird Prognosen zufolge 2009 von fast Null auf ungefähr 4,5% des BIP ansteigen – wobei etwa zwei Drittel dieses Anstiegs die Folge von automatischen Stabilisatoren sind und ein Drittel auf situationsbezogene Impulse zurückgeht. Auch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wurden ergriffen. In Österreich sind die Einkommen von Arbeitern im Fall des Arbeitsplatzverlusts gut gesichert, zunächst durch die Arbeitslosenversicherung, anschließend durch die ebenso unterstützende Sozialhilfe. Alle Empfänger von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe werden grundsätzlich in aktive Arbeitsmarktprogramme eingegliedert, in denen ihre arbeitsmarktrelevanten Fähigkeiten beurteilt und – sofern möglich – adaptiert werden. Vor kurzem wurde ein selten genutztes staatliches Subventionsprogramm erweitert, das Unternehmen unterstützt, die ihre Arbeitnehmer behalten, auch wenn die Geschäftsaktivitäten einbrechen. Das Programm kann nun bis zu 18 Monate in Anspruch genommen werden und gleicht Einkommenseinbußen aufgrund von Arbeitszeitverkürzung bis zu 90% des Grundgehalts aus. Teilnehmende Unternehmen sind angehalten, die subventionierten Stunden für Neuqualifizierungsund Weiterbildungsmaßnahmen zu nutzen. Etwa 50.000 Arbeitnehmer profitierten im April 2009 von diesem Programm und bis Ende 2009 wird erwartet, dass ihre Zahl auf nahezu 70.000 ansteigen wird, was einem Viertel der Zahl der derzeit registrierten Arbeitslosen entspräche. 3 Mehr könnte nötig werden, wobei Verzerrungen zu vermeiden sind Diese unterschiedlichen politischen Eingriffsmöglichkeiten sollten weiterhin zeitnah und flexibel eingesetzt werden, wobei stets bedacht werden muss, dass dauerhafte ungünstige Nebenwirkungen zu vermeiden sind, und dass die politische Unterstützung schrittweise beendet werden muss, wenn sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wieder verbessern. Die großzügige Einkommenssicherung ist grundsätzlich mit Programmen zur Verbesserung der Arbeitsmarktfähigkeit der Empfänger verknüpft. Dabei muss darauf geachtet werden, dass diese Verknüpfung auch während der Krise erhalten bleibt. Weder die jüngsten Steuersenkungen noch die soziale Sicherung scheinen die Marktsignale in unangemessener Weise zu verzerren oder die Anpassung von Unternehmensstrukturen und Arbeitnehmerqualifizierungen zu behindern. Es ist unerlässlich, dass eventuelle weitere Maßnahmen in dieser Hinsicht ebenfalls so neutral wie möglich sind. Maßnahmen zur Sicherung der finanziellen Stabilität scheinen bisher allgemein wirksam zu sein, jedoch kann weitere Unterstützung notwendig werden, falls es zu weiteren regionalen oder globalen Schocks kommt. Maßnahmenpläne sollten vorbereitet werden, für den Fall, dass sich die Finanzkrise in einem oder mehreren MOE-Ländern verschärft. Die österreichische Regierung überwacht die Entwicklungen genau. Sie hat Kontakte zur Vertrauensbildung und Krisenbewältigung innerhalb der MOE-Region und der internationalen Finanzgemeinschaft aktiv betrieben. Darüber hinaus bestehen enge Kontakte mit den jeweiligen Amtskollegen. In Abhängigkeit von den weiteren Entwicklungen könnten weitere grenzüberschreitende Initiativen notwendig werden. Österreich hat die Kooperation in Steuerfragen weiter verbessert. Als Reaktion auf die veränderten Gegebenheiten hat Österreich die OECD-Standards für den Informationsaustausch in Steuersachen übernommen und seine bisherige Ablehnung des entsprechenden Artikels des OECD-Musterabkommens aufgegeben. Sobald der Informationsaustausch gemäß dem OECDModell eingeleitet wird, ist Österreich in der Lage, Auskünfte in allen Steuerangelegenheiten zu geben, die für die Durchführung oder Durchsetzung nationaler Gesetze seiner Vertragspartner in absehbarer Zeit relevant sein werden. Österreich wird darin bestärkt, diese Entscheidung so schnell wie möglich umzusetzen. Die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen muss gewährleistet bleiben Die Verschlechterung der Haushaltslage in Österreich ist zwar weniger dramatisch als in zahlreichen anderen OECD-Ländern, aber trotzdem erheblich und unvermeidbar. Beim weiteren Vorgehen muss allerdings die langfristige Stabilität der öffentlichen Haushalte sichergestellt werden, nicht zuletzt deshalb, weil dies die Voraussetzung für die kurzfristige Wirksamkeit des makroökonomischen Impulses ist. Daher ist es wichtig, bald eine glaubwürdige Marschrichtung zur Haushaltskonsolidierung für die Zeit nach der Rezession festzulegen. Grundlage muss dabei die Ausgabenbeschränkung sein, gegebenenfalls aber auch die Anhebung wenig verzerrender Steuern. Zwei Faktoren sollten in diesem Zusammenhang eine positive Wirkung haben. Erstens sollte die kürzlich erfolgte Einführung von rollenden vierjährigen Obergrenzen für die Staatsausgaben (die zyklische Ausgaben für Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe zulassen) die Ausgaben im Rahmen halten. Zweitens hat Österreich Fortschritte bei der Begrenzung von Ausgaben im Zusammenhang mit der alternden Gesellschaft gemacht, insbesondere bei den Pensionen. Trotzdem müssen in diesem Bereich weitere Anstrengungen unternommen werden, da weiterhin zahlreiche Risiken und Ungewissheiten bestehen. Die Altersversorgung sollte für alle Beamte vollständig harmonisiert, Anreize zur Frühpensionierung beschränkt, die Berufsunfähigkeitspension neu gestaltet, ein neuer Nachhaltigkeitsmechanismus für die Altersversorgung konzipiert und Gesundheitsreformen sollten entschiedener umgesetzt werden. 4 Die Reform der Steuerverwaltung sollte die Konsolidierung nach der Krise unterstützen Vor dem Ausbruch der Krise hat Österreich wichtige institutionelle Reformen im Steuerbereich eingeleitet. Die strategische Planung der öffentlichen Ausgaben und die leistungsbezogene Finanzplanung werden ab 2013 umgesetzt. Dies beinhaltet ausdrückliche Leistungsvorgaben für alle wichtigen öffentlichen Dienste, so dass die Abschätzung der Kosten öffentlicher Aktivitäten gegenüber deren positiven sozialen Auswirkungen erleichtert wird. Derartige Fortschritte hin zu mehr Transparenz sollten die Offenlegung von Bereichen ermöglichen, in denen Ressourcen wirksamer eingesetzt werden können. In Verbindung mit einer wünschenswerten – zugegebenermaßen schwierigen – Reform der Finanzbeziehungen mit den Ländern würde die verbesserte Transparenz hinsichtlich Kosten und Nutzen der Aktivitäten der Länder zu Einsparungen führen. Gemäß einem kürzlich veröffentlichten Bericht des Rechnungshofs gibt es zahlreiche Einsparpotentiale bei den Ausgaben auf subzentraler Ebene. Anstrengungen zur Neuordnung der föderalen Finanzbeziehungen mit dem Ziel einer besseren Abstimmung von Leistung (Ausgaben) und Finanzierung (Steuern) auf föderaler Ebene und Länderebene würden auch eine Gelegenheit bieten, die Struktur des Steuersystems neu zu bewerten und zu ordnen. Dies sollte insbesondere den ökonomisch wünschenswerten, aber bisher unerreichten Übergang von einer „arbeits- und einkommensbasierten“ zu einer „vermögens- und konsumorientierten“ Steuerstruktur fördern. Bei einer Neubeurteilung des Steuersystems sollten alle diese Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Das Wachstumspotential kann weiter gesteigert werden Obgleich die makroökonomische Reaktion der Politik auf die internationale Finanzkrise oberste Priorität hat, sollten Strukturreformen auf dem Produkt- und dem Arbeitsmarkt nicht vernachlässigt werden. Österreich kann weiterhin ein relativ hohes BIP pro Kopf vorweisen, doch in den vergangenen fünfzehn Jahren hat das Land gegenüber den Spitzenreitern an Boden verloren. Dies zeigt weiter bestehende ungenutzte Potentiale bei Arbeitsproduktivität und Arbeitskräfteauslastung auf. Der Produktivitätsrückstand hat sich in den letzten Jahren verringert, bei der Arbeitskräfteauslastung hat sich die Lage hingegen eher verschlechtert. Die am stärksten global ausgerichteten Branchen haben ihre Innovationsanstrengungen verstärkt und nennenswerte Produktivitätssteigerungen erreicht; im geschützteren Dienstleistungsbereich ist dagegen weniger Dynamik zu beobachten. Strukturreformen und Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung, Förderung von Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen würden nicht nur das Wachstumspotential und das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen deutlich steigern, sondern auch den sozialen Zusammenhalt stärken. Die Regulierung des Dienstleistungsmarkts sollte Innovationen und Investitionen stärker unterstützen Trotz wichtiger Liberalisierungsinitiativen, die in den vergangenen Jahren in großen Wirtschaftszweigen wie dem Einzelhandel und dem Telekommunikationsbereich gestartet wurden, ist der gesetzliche Rahmen im Dienstleistungsbereich nach wie vor in Teilen restriktiv. Aufgrund fehlender Wettbewerbsanreize, Vorschriften für den Markteintritt und die Gründung neuer Unternehmen sowie diverser branchenspezifischer Bestimmungen werden Wettbewerb, Innovation und Produktionssteigerungen nicht in ausreichender Weise gefördert. Dies ist ein entscheidender Faktor, der den Kontrast zwischen den positiven Entwicklungen in Bezug auf Produktivität und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der verarbeitenden Industrie einerseits und den schwächeren Daten des Dienstleistungsbereichs im internationalen Vergleich andererseits verstärkt. Obgleich der wettbewerbsrechtliche Rahmen – abgesehen von Ausnahmen in einigen Branchen – wirksam und umfassend ist, sind weitere Maßnahmen zur Verbesserung des Wettbewerbs erforderlich, insbesondere durch eine Stärkung der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB). Die Vorschriften sollten angepasst werden, um in geschützten Märkten mehr Wettbewerb zu erreichen und Markteintritt, Innovationen und 5 Investitionen zu erleichtern. Die BWB sollte beauftragt werden, aktiver als Verfechterin des Wettbewerbs aufzutreten. Dazu sollte sie entsprechend ausgestattet werden. Im Infrastrukturbereich ist mehr Wettbewerb notwendig Mehr Wettbewerb in netzgebundenen Sektoren wie Energie, Transport und Kommunikation würde die Realeinkommen steigern und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft insgesamt verbessern. Diese Industrien zeichnen sich durch große vertikal integrierte Unternehmen aus, die im Vergleich zu anderen OECD-Ländern relativ hohe Staatsbeteiligungen aufweisen. Letztere scheinen als Garantie für Qualität und Versorgungssicherheit in Schlüsselbereichen von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung befürwortet zu werden, doch Kosten und Preise liegen weit über den OECD-Richtwerten. Die Strompreise für die Industrie übersteigen beispielsweise den OECD-Durchschnitt und obgleich die Preise für Telekommunikationsdienstleistungen niedriger als im OECD-Durchschnitt sind, sind sie höher als in anderen europäischen Ländern mit hohen Einkommen. Die branchenspezifischen Regulierungsbehörden und die BWB sollten Marktstrukturen, Entwicklungen und Preise insbesondere in den Bereichen Strom, Gas, Eisenbahnpersonenverkehr, Postdienstleistungen und Telekommunikation genau beobachten. Der Dualismus auf dem Arbeitsmarkt sollte eingeschränkt werden Der österreichische Arbeitsmarkt ist insgesamt robust, die Beschäftigungsquote ist hoch und die Arbeitslosenquote niedrig – ungeachtet des jüngsten Anstiegs der Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig besteht ein großer Unterschied zwischen der Beschäftigungsquote einer großen und erfolgreichen Kerngruppe von Arbeitnehmern mit mindestens höherer Schulbildung einerseits sowie mehreren Problemgruppen, zum Beispiel älteren Arbeitnehmern und Arbeitnehmern mit geringerer Schulbildung andererseits. Im Vergleich zu OECD-Ländern mit hohen Einkommen scheint dieser Unterschied in Österreich besonders ausgeprägt zu sein und ist ein Hemmnis für potentielles Wachstum. Die Herausforderungen des Arbeitsmarkts, denen sich Problemgruppen gegenüber sehen, könnten in der Zukunft noch größer werden, wenn Arbeitnehmer aus Nachbarländern nach der vollständigen Umsetzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für die neuen EUMitgliedstaaten ab 2011 leichter in Österreich arbeiten können. Die Steigerung der Erwerbstätigkeit älterer und gering qualifizierter Arbeitnehmer sollte höhere Priorität erhalten, indem man die verbliebenen Anreize, dem Arbeitsmarkt fernzubleiben, ebenso überdenkt,, wie den Abbau von Hindernissen für eine stärkere Nachfrage nach diesen Arbeitnehmern in den Wirtschaftssektoren fördert. Ein zentrales Ziel der Politik sollte die Qualifizierung dieser Arbeitnehmer und die Förderung ihrer Arbeitsmarktfähigkeit sein. Die Erwerbstätigkeit älterer Arbeitnehmer kann gesteigert werden Die Erwerbstätigenquote unter den älteren Arbeitnehmern ist insbesondere die Folge eines massiven Rückzugs dieser Gruppe aus dem Arbeitsleben, der bis vor einigen Jahren zu beobachten war. Altersversorgung, Frühpensionierung und Berufsunfähigkeitspension waren Anreize für diesen Rückzug. Die Leistungen in diesem Bereich wurden seitdem gekürzt, doch kumulative Kohorteneffekte bestehen nach wie vor. Die Anreize für ältere Arbeitnehmer, eine Tätigkeit aufzunehmen, wurden durch einige politische Maßnahmen in jüngster Zeit abgeschwächt. Der Pensionsabschlag bei Frühpensionierung wurde 2007 verringert, indem die bis dahin für die Frühpensionierung anwendbaren versicherungsmathematisch neutralen Abschlagssätze gekürzt wurden. Um die Erwerbstätigkeit älterer Arbeitnehmer zu steigern, sollten die Systeme zur Frühpensionierung und Berufsunfähigkeitspensionierung neu gestaltet werden. Die Abschlagssätze, die vor dem geregelten Pensionierungsalter anwendbar sind, sollten versicherungsmathematisch neutral sein. Arbeitsanreize für gering Qualifizierte sollten ausgeweitet werden 6 Die Erwerbstätigenquote bei den gering qualifizierten Personen ist eine der niedrigsten unter den OECD-Staaten mit hohen Einkommen. Dies zeigt, dass Arbeitsanreize nicht ausreichend vorhanden sind, und dass nur geringe Nachfrage nach diesen Arbeitskräften besteht. Nehmen gering Qualifizierte eine Arbeit auf oder wechseln von Teilzeit auf Vollzeit, sind sie implizit von höherer Besteuerung betroffen, auch wenn dies teilweise durch die Steuerreform des Jahres 2009 abgemildert wurde. Der implizite Steuersatz für nicht erwerbstätige, gering qualifizierte Frauen mit zwei oder mehr Kindern ist hoch. Auch wenn die Durchsetzung der Regeln bezüglich der Arbeitsmarktverfügbarkeit für die Empfänger von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung im OECD-Vergleich sehr strikt ist, gilt dies nicht für Sozialhilfeempfänger. Die Aufteilung der Zuständigkeiten (die Arbeitslosenversicherung fällt in die Zuständigkeit des Bundes, für die Sozialhilfe sind die Länder verantwortlich) scheint eine Ursache für Ineffizienz zu sein. Die Anreize für gering Qualifizierte zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sollten verstärkt werden, indem die implizite Besteuerung für Personen mit geringem Einkommen, die eine Tätigkeit aufnehmen, verringert wird, indem die Verwaltung von Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe besser verzahnt wird und Sozialleistungen stärker als bisher an die Erwerbsabhängigkeit gebunden werden. Die Nachfrage der Wirtschaft nach gering qualifizierten Arbeitnehmern kann gesteigert werden Die Beschäftigungskosten für gering Qualifizierte sind in Österreich hoch und im Vergleich zum Kernarbeitsmarkt starr, wo die Löhne flexibel gestaltet werden können. Mindestlöhne machen einen Hauptbestandteil der Mindestkosten aus. Einen gesetzlichen Mindestlohn gibt es nicht, allerdings wurden hunderte von Mindestlöhnen in einzelnen Branchen ausgehandelt, und diese liegen im Verhältnis zum allgemeinen Durchschnittslohn deutlich über dem OECD-Mittel. Unter diesen Umständen wird das Regierungsvorhaben zur Festlegung eines nationalen Mindestlohns für alle Gehaltsverhandlungen, der unter den Mindestlöhnen in den größten Branchen liegt, wahrscheinlich nur geringe Wirkung zeigen. Trotzdem kann dieses Vorhaben Einfluss auf die Kosten für die Übernahme von Arbeitern mit untypischen Arbeitsverträgen in die Fixanstellung haben, ebenso auf die potentiellen Arbeitskosten für derzeit inaktive oder arbeitslose Personen. Die Gesamtkosten für die Anstellung von gering Qualifizierten sind auch deshalb hoch, da die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung beträchtlich sind – in nur wenigen OECD-Staaten sind sie noch höher. Die Erfahrungen in anderen OECD-Staaten zeigen, dass die Erwerbstätigkeit von gering Qualifizierten durch eine deutliche Senkung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung gesteigert werden könnten. Dies müßte jedoch zur Gänze durch Ausgabenbeschränkungen in nicht prioritären Bereichen oder durch Anhebung von nur gering verzerrenden Steuern finanziert werden. Die Aufwertung des Humankapitals durch bessere Bildung ist entscheidend Österreichs Wirtschaftswachstum hängt unter anderem von der Qualität seines Bildungssystems ab. Obwohl die Arbeitnehmer lange mit sehr guter Berufsqualifikation ausgestattet werden konnten, steht Österreich nun vor der großen Herausforderung, die Jugend in neuen, anspruchsvolleren und spezifischeren Fähigkeiten zu schulen, die aufgrund des technologischen Wandels, des internationalen Wettbewerbs und der Erfordernis einer gleichmäßigeren Verteilung des Humankapitals erforderlich wurden. Wie in vielen anderen Ländern auch, erweist es sich als schwierig, das Bildungssystem an diese Herausforderungen anzupassen. Bisher ist das Bildungssystem wie eine riesige Behörde organisiert: der Bedarf an Steuergeldern ist hoch, die personellen und materiellen Ressourcen lassen sich nur schwer umstrukturieren, und das Management ist eher ablauf- als ergebnisorientiert. Auch die besonders komplexe föderale Struktur ist ein Problem, denn die Bundesregierung, die Länder und die Gemeinden erfüllen politisch voneinander unabhängige Aufgaben, haben aber sich überschneidende Zuständigkeiten. Reformvorhaben auf verschiedenen Bildungsebenen treffen auf Probleme aus der Vergangenheit aufgrund von Auffassungsunterschieden innerhalb der Gesellschaft, der politischen Parteien, der Lehrkräfte sowie 7 der Bundes- und Landesbehörden in Bezug auf die wichtigsten Herausforderungen und die dringendsten Veränderungen. Die neue Regierung hat einen ehrgeizigen Bildungsreformplan vorgelegt. Entscheidend für den Erfolg des Vorhabens ist es, mindestens teilweise einen Konsens der diversen Interessensgruppen zu finden. Die vorschulische Bildung muss deutlich ausgeweitet werden Die vorschulische Infrastruktur Österreichs weist im internationalen Vergleich einige Schwächen auf. In vorschulischen Einrichtungen sind die Klassen groß und sozioökonomisch benachteiligte Kinder (einschließlich Kinder von Einwandererfamilien) sind nicht ausreichend vertreten. Die Bundesregierung hat sich vor kurzem mit den Ländern, die gemäß der Verfassung für Vorschulen zuständig sind, darauf geeinigt, ein verpflichtendes und gebührenfreies Kindergartenjahr für alle Fünfjährigen auf Halbtagsbasis einzuführen. Die Regelung wird ab September 2009 wirksam und im September 2010 allgemein angewendet. Darüber hinaus werden nennenswerte zusätzliche Ressourcen in die Schaffung neuer Betreuungseinrichtungen, eine bessere deutsche Sprachförderung in den vorschulischen Einrichtungen und die Ausbildung privater Tagesbetreuer investiert. Des weiteren wurde vereinbart, einen Bildungsplan zu erarbeiten, um in ganz Österreich hohe Qualitätsstandards durchzusetzen. Auch wenn dies wichtige Schritte in die richtige Richtung sind, ist das Verbesserungspotential noch immer beträchtlich. Das Grundziel der Politik sollte es sein, allen Kindern ab dem Alter von drei Jahren eine hochwertige vorschulische Bildung zu ermöglichen. Die laufenden Reformen der verpflichtenden Schulbildung erfordern eine umfassendere Neuzuweisung von Ressourcen Im Jahr 2007 wurde die verpflichtende Schulbildung umfassend reformiert, um die zu frühe Festlegung der Schüler auf eine spätere akademische oder „normale“ Berufslaufbahn zu beenden. Aus diesem Grund wurde eine neuartige Gesamtschule eingerichtet, die Neue Mittelschule. Damit diese Maßnahme erfolgreich sein kann, sind ausreichend Lehrer und eine geeignete Infrastruktur notwendig. Gleichzeitig bestehen umfangreiche Potentiale zur Rationalisierung der Schul- und Klasseninfrastruktur sowie bei der Verteilung des Lehrpersonals im Land. Ressourcen sollten da, wo sie weniger benötigt werden, freigesetzt und in die wichtigsten und innovativsten Maßnahmen umgelenkt werden. Bei derartigen Vorhaben müssen allerdings zahlreiche verwaltungsbezogene und politische Hürden überwunden werden. Die Bundesregierung sollte ihre Anstrengungen zur Erneuerung der Strukturen der verpflichtenden Schulbildung fortsetzen, indem die Schulen mehr Autonomie erhalten und im Gegenzug vermehrt Rechenschaft über die Einhaltung nationaler Bildungsstandards ablegen müssen. Die beabsichtigte Einführung einer hochwertigen tertiären Bildung verläuft nicht nach Plan Die Zahl der Studierenden an österreichischen Universitäten ist relativ gering, insbesondere in den naturwissenschaftlichen und technischen Studienfächern. Die Regierung beabsichtigt, mehr jungen Menschen eine hochwertige tertiäre Bildung anzubieten. Die bisherige Organisations- und Finanzierungsstruktur der Universitäten paßt jedoch nicht zu diesen Plänen. Universitäten müssen grundsätzlich alle qualifizierten Bewerber in die Studiengänge und Seminare ihrer Wahl aufnehmen, ohne dass eine Auswahlmöglichkeit für die Universitäten besteht und ohne eine finanzielle Beteiligung der Studenten. Das daraus folgende Missverhältnis zwischen ehrgeizigen Leistungszielen und nur begrenzt verfügbaren Ressourcen hat zu einer Verschlechterung der Bildungsqualität geführt. Alternative tertiäre Bildungseinrichtungen, die ihre Studenten auswählen und Gebühren erheben, bieten mittlerweile offenbar bessere und stärker arbeitsmarktrelevante Studiengänge. Während auf umfassendere Reformen gewartet wird, muss trotz der steigenden Anzahl an Studienbewerbern gewährleistet sein, dass die Lehrqualität erhalten bleibt. Die Universitäten sollten bei der Auswahl ihrer Studenten und der Erhebung von 8 Studiengebühren mehr Freiraum erhalten, wobei ein umfassendes Stipendiensystem einkommensabhängige Darlehen zur Gewährleistung der Chancengleichheit notwendig sind. 9 und