Management Saugferkel retten – was wirklich hilft Hohe Geburtsgewichte, viel Wärme und ausreichend Kolostralmilch: Das ist die beste Lebensversicherung für neu geborene Ferkel. Dr. Eckhard Meyer vom Lehr- und Versuchsgut in Köllitsch erklärt, was noch wichtig ist. D ie Würfe werden immer größer. Sächsische Ferkelerzeuger z. B. er­ reichten im letzten Wirtschaftsjahr im Schnitt 13,88 lebend geborene Ferkel pro Wurf. In anderen Bundesländern sind die Zahlen ähnlich. So erfreulich die Entwicklung auch ist, die großen Würfe stellen die Betriebe vor große Herausforderungen. Mit zunehmender Wurfgröße sinken die Geburtsgewicht, und die Saugferkelverluste können je nach Genetik und Management steigen. Auch die Zahl der tot geborenen Ferkel erhöht sich, was im Wesentlichen auf zunehmend lange Geburten, bei denen den Sauen „die Puste“ ausgeht, zurückzuführen ist. Zusehends problematisch wird in großen Würfen auch die Kolostralmilchversorgung der Ferkel. Die zur Verfügung stehende Menge pro Ferkel sinkt, weil die Sauen nicht in der Lage sind, unendlich viel Kolostralmilch zu produzieren. Das kann sich sogar auf die Zunahmen in der Ferkelaufzucht und Mast auswirken. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, weiterhin alles auf die Karte „lebend geborene Ferkel“ zu setzen, oder ob es nicht nachhaltiger und ethisch besser wäre, bei gleicher Fruchtbarkeitsleistung die Verluste zu senken. Versuche zeigen, was geht. Schnelle Geburten wichtig:Großen Einfluss auf die Überlebensrate der Ferkel hat die Wurfgeschwindigkeit. Bis zum dritten Ferkel dauert die Geburt recht lange. Der zeitliche Abstand zwischen den Ferkeln beträgt jeweils rund 25 bis 30 Minuten, wie Übersicht 1 zeigt. Danach kommen die Ferkel im 12- bis 15-Minutentakt auf die Welt, bevor die Wurfpausen ab dem Übersicht 1: Zeitdauer zwischen der Geburt zweier Ferkel 35 Wurfabstand in Minuten 30 Bis zum dritten Ferkel dauern die Geburten recht lange. Danach kommen die Ferkel schneller auf die Welt, bevor die Geburtsgeschwin­ digkeit am Ende wieder abnimmt. Grafiken: M. Höner 25 20 15 10 5 0 S 14 2 3 4 top agrar 7/2014 5 8 6 7 Ferkel-Nr. 9 10 11 12 >13 Quelle: E. Meyer zehnten Ferkel wieder länger dauern. Der unterschiedlich lange Zeitraum zwischen der Geburt von zwei Ferkeln hat Einfluss auf die Höhe der Verluste. Versuchsergebnisse zeigen, dass die Verlustrate vor allem am Anfang und am Ende der Geburt steigt, während sie zwischen dem vierten und 14. Ferkel unter dem Mittelwert liegt. Praktiker sollten deshalb zu Beginn und am Ende der Geburt Hilfe leisten. Spätestens nach einer halben Stunde sollte man die Ferkel per Hand holen. Dadurch wird die Geburtsdauer insgesamt reduziert, was die Sauen entlastet – vor allem bei großen Würfen. Außerdem führen schnelle Geburten dazu, dass auch die zuletzt geborenen Ferkel eines Wurfes genug Biestmilch erhalten. Denn der Antikörpergehalt der Biestmilch sinkt sehr schnell und die Darmschranke schließt sich rasch. Untersuchungen zeigen, dass die ersten vier geborenen Ferkel eines Wurfes über die Biestmilch 50 % mehr Antikörper erhalten als die letzten vier Ferkel. Das Risiko, mit Geburtshilfe Gebärmutterentzündungen zu forcieren, ist gering, wenn die hygienischen Grundregeln beachtet werden. Dazu zählen die Desinfektion der Hände bzw. Handschuhe und das Säubern der Scham. Neben der klassischen Geburtshilfe kann auch der Einsatz von energiereichen Ergänzungsfuttermitteln dazu beitragen, dass die Geburten zügiger verlaufen. In Versuchen erhielten die Sauen zehn Tage lang täglich 150 g eines Spezialergänzungsfuttermittels (Lachs­öl plus funktionelle Lignocellulose) „on top“. Ziel war, den Energiestoffwechsel zu unterstützen. Ergebnis: Sauen der Versuchsgruppe mit Spezialfutterergänzung ferkelten schneller und der zeitliche Abstand Foto: Heil Neu geborene Ferkel brauchen nach der Geburt Wärme und Kolostralmilch. Und sonst erst einmal nichts. zwischen der Geburt einzelner Ferkel war kürzer. Dadurch war ein größerer Anteil sehr zügiger Geburten (35 % zu 13 %) möglich. Letztlich führten die schnelleren Geburten zu höheren biologischen Leistungen. Der Effekt ist vor allem bei älteren Sauen mit fünf und mehr Würfen zu beobachten. Bei stockenden Geburten muss Geburtshilfe geleistet werden. Wichtig ist, hygie­ nisch einwandfrei zu arbeiten. fluss auf die Verluste hat das Geburtsgewicht. Es wird sehr stark von der Dauer der Trächtigkeit beeinflusst, denn die körperliche Entwicklung der ungeborenen Ferkel braucht Zeit. Gerade in den letzten Tagen der Tragezeit legen die ungeborenen Ferkel noch einmal deutlich an Gewicht zu, pro Tag rund 30 g. Damit die Sauen ausreichend lange tragen, darf die Geburt nicht zu früh eingeleitet werden. Die Geburtseinleitung darf nicht vor dem 115. Trächtigkeitstag erfolgen! Bei hoch fruchtbaren Sauen, die häufig ein bis zwei Tage länger tragen, muss die Maßnahme sogar weiter nach hinten verschoben werden. Das Ziel sind Geburtsgewichte oberhalb von 1 000 g, besser 1 200 g. In Versuchen sanken die Verluste bei entspre- Foto: Heil 1 000 g Geburtsgewicht: Großen Ein- chend hohen Geburtsgewichten auf unter 10 % (s. Übersicht 2, Seite S 16). Bei Ferkeln mit nur 800 g Geburtsgewicht lag die Verlustrate bereits bei satten 50 %, bei unter 600 g hatten die Tiere quasi keine Überlebenschancen mehr. Das größte Problem der leichten Ferkel sind deren geringe Energiereserven sowie die im Verhältnis zum Gewicht relativ große Körperoberfläche. Beides hat zur Folge, dass die Tiere den Weg zum Gesäuge nicht bewältigen und sehr schnell auskühlen. Gewichtsstreuung reduzieren:Insbesondere in großen Würfen bereitet die zunehmende Streuung der Geburtsgewichte Probleme. Bei mehr als 16 insgetop agrar 7/2014 S 15 Management Milch und Wärme wichtig:Neu gebo- rene Ferkel brauchen nach der Geburt zwei Dinge: Kolostralmilch und Wärme. Wie in Übersicht 3 dargestellt, haben Ferkel, die spätestens 40 Minuten nach der Geburt Biestmilch aufnehmen, die größten Überlebenschancen. In diesem Zeitfenster liegt die Verlustrate zwischen 3 und 15 % unter dem Schnitt. Deutlich wird auch der Zusammenhang zwischen der Höhe des Geburtsgewichtes und der Zeitdauer bis zur ersten Biestmilchaufnahme. Je leichter die Ferkel sind, desto später trinken sie Kolostralmilch. Bei einem Geburtsgewicht von etwa 1 100 g findet die Übers. 2: Das Geburtsgewicht zählt 100 Verlustrate, % Ab etwa 1 000 g Geburtsgewicht sinken die Ferkel­ verluste deutlich. Bei nur 800 g Geburtsgewicht sterben bereits 50 % der Ferkel, bei unter 600 g haben die Ferkel kaum Überlebens­ chancen. 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 1,8 1,9 2,0 >2,1 samt geborenen Ferkeln verdoppelt sich der Anteil Ferkel, die leichter als 1 000 g sind, von 10 auf fast 20 %. Die Ursache ist zum einen die zu geringe Uteruskapazität, und zum anderen die oft unzureichende Nährstoffversorgung der heranwachsenden Ferkel über die Plazenta. Dieses Problem lässt sich zwar teilweise mithilfe der richtigen Fütterungsstrategie im Wartestall reduzieren, ganz ausschalten kann man es aber nicht. Bewährt hat es sich, stark abgesäugte Sauen nach dem Absetzen mithilfe eines energiereichen Futters möglichst schnell wieder in Form zu bringen. Ansonsten gilt es, den Sauen gegen Ende der Trächtigkeit reichlich Futter anzubieten, weil damit eine hohe Futteraufnahme in der Säugezeit quasi vorbereitet wird. Zu empfehlen ist der Einsatz eines NT-Futters mit weniger als 12 MJ ME je kg, die Gesamtenergieaufnahme sollte bei ca. 45 MJ ME je Tier und Tag liegen. Das Ziel sind ausreichende Körperfettreserven und keine Mastkondition. Geburtsgewicht, kg erste Biestmilchaufnahme erst 50 bis 60 Minuten nach der Geburt statt. Steigende Verluste sind die Folge. Retten lassen sich die leichteren Ferkel, indem man gezielt Kolostralmilch verabreicht. Entweder setzt man die Ferkel per Hand ans Gesäuge, oder man spritzt ihnen zuvor abgemolkene Biestmilch ins Maul. Dabei ist es egal, ob die Ferkel das Kolostrum der eigenen Mutter oder das einer anderen Sau bekommen. Auch Produkte auf der Basis von Kuhkolostrum funktionieren gut. Entscheidend ist immer, dass mindestens 300 g je Ferkel aufgenommen werden. Denn um zu überleben braucht ein Saugferkel mindestens 200 g Kolostralmilch, optimal sind 300 g oder mehr. Positiv ist, wenn die Ferkel eine zweimalige „Anschubfinanzierung“ in Form von Biestmilch erhalten. Selbst 800 g Quelle: E. Meyer leichte Tiere wiesen dann Verlustraten auf, die rund 7 % unter dem Mittel des Abferkeldurchgangs lagen. Neben der frühzeitigen und ausreichend hohen Gabe von Kolostralmilch dürfen neugeborene Ferkel nicht auskühlen. Die Ferkel gehören nach der Geburt schnell ins beheizte Ferkelnest! Die Nesttemperatur muss dabei knapp unterhalb der Körpertemperatur (36 bis 37 °C) liegen. Kontraproduktiv sind Oberflächentemperaturen von mehr als 40 °C, weil junge Ferkel eine sehr dünne Haut haben. Bei zu hohen Temperaturen meiden sie das Nest, was unweigerlich zu steigenden Verlusten führt. Mit Papier abtrocknen:Je schlechter die Wärmeversorgung in der Abferkelbucht ist, desto wichtiger wird es, nasse Ferkel schnell trocken zu bekommen. Übersicht 3: Zeitdauer bis zur ersten Kolostralmilchaufnahme Verlustrate, % Geburtsgewicht, kg 1,8 20 1,6 15 1,4 10 1,2 5 Ø <10 Min. 11– 20 Min. 21–30 Min. 1,0 31–40 Min. 41–50 Min. -5 51–60 Min. 0,8 >60 Min 0,6 0,4 -10 -15 Quelle: E. Meyer -20 0,2 0 Zeit bis zur Kolostralmilchaufnahme Abweichung von der Ø Verlustrate Geburtsgewicht, kg Geburtsgewicht, kg, linear S 16 top agrar 7/2014 Eine schnelle Kolostralmilchauf­nahme führt zu sinkenden Verlustraten. Geringe Ferkelverluste sind oft nur möglich, wenn die Streuung der Geburtsgewichte reduziert wird. Fotos: Heil Grafiken: M. Höner 25 Im Gegenteil: Eine frühe Gabe der im Wirkstoff hoch konzentrierten Pasten beeinträchtigt sogar die Kolostralmilchaufnahme. Denn der Magen wird mit hoch konzentrierten Produkten (Fett, Vitamin E) gefüllt anstatt mit Muttermilch. Damit können neugeborene Ferkel aber nur wenig anfangen. Power-Pasten sollten frühestens zwölf Stunden nach der Geburt eingesetzt werden. Auch zum Zeitpunkt der Kastration können die Produkte vorteilhaft sein, aber niemals unmittelbar nach der Geburt! Ruhe im Stall wichtig:Die Betreuung Die Gabe abgemolkener Kolostralmilch erhöht die Überlebenschancen deutlich. Neu geborene Ferkel sollten schnellst­ möglich trocken gerieben werden. In Versuchen sanken die Gesamtverluste, wenn die Ferkel mit handelsüblichem Haushaltspapier abgerieben wurden. Gleichzeitig stiegen die Zunahmen in der ersten Lebenswoche an. Es ist davon auszugehen, dass das kräftige Reiben den nach der Geburt schwächelnden Kreislauf der Ferkel anregt. Mögliche Vorteile durch den Einsatz sogenannter Hygienepulver – diese sollen das Abtrocknen der Haut forcieren – waren in den Versuchen nicht eindeutig. Gegenüber der Methode „Papier“ schnitten die Pulver tendenziell sogar schlechter ab, die Gesamtverluste in der „Pulvergruppe“ lagen um 2,2 % höher. Zudem braucht man neu geborene Ferkel nicht zu desinfizieren, die Tiere sind steril. Rückentwicklung des Nabels wurde etwas besser bewertet. Vorsicht ist geboten, wenn mit bestimmten Hochleistungsherkünften gearbeitet wird, die zu Bindegewebsschwäche neigen und Ferkelschutzkörbe mit hinten angebrachten Standfüßen zum Einsatz kommen. Klebt der Nabel an den hinteren Metallfüßen fest und bewegen sich die Ferkel Richtung Gesäuge, wird das empfindliche Gewebe stark belastet und die Gefahr von Nabelbrüchen steigt. Früh oder spät abnabeln?Bei intakter Nabelschnur soll der Blutverlust geringer sein und die Tiere sollen schneller aufstehen, da die Körpertemperatur weniger stark abfällt. Sie sollen dadurch schneller am Gesäuge sein, gleichzeitig hält der intakte Nabel die Ferkel dichter an der Sau, meinen Experten (Gummibandeffekt). Die Empfehlung lautet daher, die Nabelschnur erst mehrere Minuten nach der Geburt ca. 10 cm vom Nabel entfernt mit den Fingern abzutrennen. Soweit zur Theorie. In eigenen Versuchen mit über 1 000 Ferkeln konnten keine statistisch absicherbaren Unterschiede in der Verlustrate, den Säugezunahmen und in der Bonitur der Nabel festgestellt werden, wenn diese direkt nach der Geburt gekürzt wurden. Allerdings war die Verlustrate tendenziell geringer (1 %), wenn die Nabelschnur erst mehrere Stunden nach der Geburt gekürzt wurde, auch die Power-Pasten belasten.Kritisch hin- terfragt werden muss der Einsatz von sogenannten „Power-Pasten“. In Versuchen zeigte sich, dass die Produkte bei entsprechendem Gesundheitsstatus der Ferkel keine Vorteile bringen. Schnell gelesen • Die Wurfgrößen steigen weiter und damit leider oft auch die Saugferkelverluste. • Zügige Geburten senken das Verlustrisiko, der Einsatz von Lachsöl bringt hier Vorteile. • Wichtig sind Geburtsgewichte von mindestens 1 200 g. • Noch wichtiger sind mög- lichst wenig Ferkel mit unter 1 000 g Geburtsgewicht. • Direkt nach der Geburt brau- chen die Ferkel Kolostralmilch und Wärme – sonst nichts! • Bei zunehmend langen Geburten müssen die Sauen aktiv unterstützt werden. der Geburt kann für die Sau enormen Stress bedeuten, wenn das Stallpersonal im Abferkelabteil hektisch und laut agiert. Insbesondere bei Jungsauen kann sich das negativ auf die Ferkelverluste auswirken, weil die Tiere sehr nervös auf Störungen reagieren und immer wieder aufspringen. Arbeiten, die Lärm verursachen, sollten deshalb außerhalb des Abferkelabteils stattfinden. In welchem Umfang – mit oder ohne Nachtwache – die Überwachung der Geburten Sinn macht, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Versuche zeigen aber, dass Sauen, die außerhalb der Arbeits- bzw. Überwachungszeiten abferkeln, mehr als ein Ferkel weniger lebend zur Welt bringen. Die hormonelle Einleitung der Geburten macht also Sinn, da erfahrungsgemäß dann nur 20 % der Sauen zwischen 22 Uhr und 6 Uhr abferkeln. Vorbeuge gegen MMA treffen.In gro- ßen Würfen treten häufiger MMA-Probleme auf. Oft verläuft die Erkrankung subklinisch. Versuche sollten zeigen, ob der Einsatz eines Entzündungshemmers Vorteile bringt, auch wenn man die MMA nicht sieht. Für den Versuch wurde den Sauen 0,4 mg je kg Körpergewicht bzw. 2,7 ml je 100 kg Körpergewicht Metacam oral verabreicht. Ergebnis: Die Sauen der Versuchsgruppe wiesen in den ersten drei Tagen nach der Geburt leicht geringere Körpertemperaturen auf, und sie begannen früher zu fressen. Sehr viel deutlicher waren die Ergebnisse im Hinblick auf die Ferkelverluste. Diese lagen in der Versuchsgruppe um knapp 7 % (!) niedriger, was wiederum deutlich höhere Wurfmassen beim Absetzen zur Folge hatte. Der vorbeugende Einsatz des Entzündungshemmers hatte also deutlich positive Effekte und wirkte auch ohne antibiotische Begleittherapie. -artop agrar 7/2014 S 17