Das Geschäft mit dem Tod

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BURGTHEATER
Das Geschäft
mit dem Tod
MARIA HAPPEL.
Der Publikumsliebling spielt
am Burgtheater die Titelrolle in
Bertolt Brechts „Mutter Courage
und ihre Kinder“. David Bösch
inszeniert die Chronik aus dem
30-jährigen Krieg als Western.
S
ie treibt Handel mit dem Tod, die Marketenderin Anna
Fierling, besser bekannt unter dem Namen Mutter Courage, die versucht, aus dem Krieg Profit zu schlagen, dabei fast alles verliert und doch unbelehrbar weitermacht. Bertolt Brecht schrieb sein mittlerweile zum AntiKriegs-Klassiker avanciertes Lehrdrama Mutter Courage und
ihre Kinder in den 1938/39er-Jahren auf der Flucht vor den Nazis im schwedischen Exil und konzipierte es als Warnung vor
dem Krieg als „Fortführung der Geschäfte mit anderen Mitteln“ und dass diese „großen Geschäfte, aus denen der Krieg
besteht“, ganz sicher nicht von den kleinen Leuten gemacht
werden. Am Burgtheater inszeniert nun David Bösch die
„Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg“, in der die Mutter
Courage mit ihrem Planwagen und anfangs noch mit allen
drei Kindern im Gefolge verfeindeter Truppen durch die
Lande zieht und unter widrigsten Umständen versucht, ihr
Stück vom Kuchen des Kriegs abzuschneiden.
Für den Jungstar unter den Regisseuren, der zuletzt Nestroys Talisman in eine amüsante Rocky-Horror-KettensägenMassaker-Show verwandelt hat und jetzt seinen ersten Brecht
angeht, bedeutet das Stück eine „Reise“: „Gar nicht so sehr in
die ‚Abgründe der menschlichen Seele‘, wie es bei den meisten Theaterstücken immer so hübsch heißt, sondern vielmehr
in die Nebensächlichkeiten einer abgründigen Situation. Darüber, wie man weitermacht, wie man weiterfährt, auch wenn
schon alle Achsen gebrochen und alle Kinder gestorben sind.
Wie man den Humor bewahrt und die moralische Überlegenheit ablegt. Und dabei ist es vielleicht kein heutiges Stück,
aber ganz bestimmt ein menschliches.“ Für das Menschliche
in der Titelrolle sorgt Maria Happel und der Publikumsliebling
bestätigt im Interview in ihrer Garderobe gerne, dass es sich
um eine sogenannte Traum- und Paraderolle handelt, „weil
das Stück mit einem ganz anderen Tiefgang aufwartet, den
man nicht so oft bekommt. Das ist schon die KöniginnenKlasse und ich kann es kaum fassen, welcher Reihe ich mich
BURGTHEATER
Bertolt Brecht
Mutter Courage und
ihre Kinder
Fr., 8. November, 19.30
Regie: David Bösch
Ausstattung: Patrick Bannwart
Besetzung: Maria Happel (Mutter
Courage), Sarah Viktoria Frick
(Kattrin), André Meyer (Eilif),
Tino Hillebrand (Schweizerkas),
Stefan Wieland (Der Werber)
12., 19., 23. Nov., 19.30 Uhr
da anschließen darf.“ Die Reihe, das ist Theatergeschichte, das
ist die legendäre Helene Weigel, die noch in Brechts eigener
Modell-Inszenierung den Planwagen der Mutter Courage
lenkte, oder Therese Giehse oder zuletzt Angela Winkler in
Peter Zadeks Version aus dem Jahr 2003.
HARTGESOTTENE GESCHÄFTSFRAU
Maria Happel sieht in der Mutter Courage eine hartgesottene Geschäftsfrau, die zugleich „als alleinerziehende Mutter
einen schweren Stand hat in Zeiten, in denen es manchmal
um das nackte Überleben geht und man nie weiß, wem man
vertrauen kann und wer gerade gegen wen ist. In dieser Unsicherheit und Orientierungslosigkeit verliert sie dann auch
noch das Liebste, das sie hat, ihre Kinder.“ Aber genau das
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FOTO: GEORG SOULEK
MUTTER COURAGE: Maria Happel mit ihren Kindern (v. l.) Eilif (André Meyer), Kattrin (Sarah Viktoria
Frick) und Schweizerkas (Tino Hillebrand) unterwegs zu neuen Geschäften.
wollte Brecht natürlich zeigen, dass jemand, der nichts gegen
den Krieg unternimmt, sondern sogar von ihm leben will, Tribut, und zwar den höchsten Tribut, zollen muss. Dabei stellt
sich natürlich die Frage, wo und wie Maria Happel in der
neuen Inszenierung ihren Tribut entrichtet, ob tatsächlich auf
den Schlachtfeldern des 30-jährigen Kriegs, mit Planwagen
oder ohne. Der verstorbene Theatermagier Jérôme Savary
etwa hat in seiner spektakulären, auch bei den Wiener Festwochen 1995 gezeigten Version mit Katharina Thalbach als
Courage das Geschehen in den Bosnienkrieg verlegt, den
Planwagen in einen schrottreifen Lieferwagen verwandelt
und die Marketenderin Cola und Pornoheftchen verkaufen
lassen. „Es wird einen Planwagen geben“, erklärt Maria Happel, „aber keinen historisch identifizierbaren Krieg. Das Set-
ting ist eher das eines klassischen Western mit seinen endlosen Weiten, in denen eine etwas andere Version von Spiel mir
das Lied vom Tod abläuft“.
Was Maria Happel andeutet, bestätigt die Vermutung, dass
David Bösch keine brave, kanonische Brecht-Interpretation abliefern wird. Und man kann sich auf eine Maria Happel im feurigen Western-Look freuen, deren Kraft, Temperament, Komödiantik, Spiellust und schlitzohriger Witz auf eine dafür ideale
Rolle trifft. Die Karriere der Maria Happel wäre ja fast verhindert
worden. In ihrer sich sehr erfolgreich verkaufenden Autobiografie Das Schnitzel ist umbesetzt erzählt sie die wunderbare
Anekdote, dass sie 1982 zwar auf Anhieb die Aufnahmeprüfung für das Hamburger Bühnenstudio Hedi Höpfner bestand,
aufgrund ihres „ländlich-unverbrauchten Gefühlsempfindens“,
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BURGTHEATER
LUMPAZIVAGABUNDUS. Maria Happel liefert als Glücksfee Fortuna eine fröhliche Angela-Merkel-Persiflage.
aber dann nach einem halben Jahr bei der ersten paritätischen
Prüfung durchfiel. Die Vorsitzende sagte zur fassungslosen, total geschockten Elevin: „Was wollen Sie denn am Theater?
Heutzutage muss man als Schauspielerin entweder temperamentvoll sein oder zumindest originell. Leider sind Sie von beidem gar nichts. Und zudem sind Sie ja gar kein deutscher Typ.
Was wollen Sie denn am Theater spielen?“
NATURTALENT
Heute löst diese krasse Fehleinschätzung eines Naturtalents fröhliches Gelächter aus, damals aber war es bitterer
Ernst. Auf Intervention ihrer Klasse durfte Maria Happel die
Prüfung ein halbes Jahr später wiederholen und kam mit Müh
und Not durch, sie solle sich aber im Klaren sein, so der Bescheid, dass sie „immer eine Schauspielerin weit unter dem
Durchschnitt bleiben würde“. Das war Maria Happel dann
wieder egal, Hauptsache sie konnte eine werden. Diese Prüfung summierte sich zu einem „Schlüsselerlebnis“ ihres Berufslebens, „ab sofort hatte ich immer das Gefühl, nicht zu genügen, mehr tun zu müssen als die anderen“. Und ist diese
Angst im Lauf der glorreichen Karriere dann verschwunden?
Maria Happel lächelt: „Wenn einmal keine Angst mehr da
wäre, würde etwas nicht stimmen. Die Furcht vor dem Nichtgenügen und dem Durchfallen zählt zu den Urängsten des
Schauspielers. Ich habe für mein Buch auch den Titel erwogen: Nur wer Angst hat, kann auch mutig sein. Das ist der
Punkt: Im Überwinden der Angst und des Lampenfiebers
liegt auch der Reiz des Spielens, wobei man bei jeder Produktion wieder bei Null anfängt. Aber wenn dieser Sprung geschafft ist, dann handelt es sich nach wie vor um den schönsten Beruf der Welt.“
Und dann sieht man auf der Bühne eine variantenreiche
Könnerin, die stets eine unbändige Lust am Spiel ausstrahlt
wie zur Zeit in Matthias Hartmanns Inszenierung von Nestroys
Lumpazivagabundus, in der sie Furore damit macht, dass sie
DER TALISMAN. Maria Happel als Kammerfrau Konstantia
mit Johannes Krisch in der strengen Kammer.
die Glücksfee Fortuna als Persiflage auf die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel anlegt und es damit als Foto in alle
Zeitungen geschafft hat. Weiters zeigt sie in David Böschs Version des Talisman die Kammerfrau Konstantia atemberaubend komisch als schwarze Domina der strengen Kammer:
„Deshalb lieben wir den Beruf auch, weil uns auf der Bühne
Dinge gestattet sind, die man zu Hause nicht darf.“ Und ein
weiteres Highlight in ihrem Repertoire ist diesen Herbst dazugekommen: Spatz und Engel, die gefeierte Uraufführung, in
der Maria Happel als Piaf und Sona MacDonald als Marlene
Dietrich die mit Liedern unterlegte Geschichte einer Freundschaft zwischen Weltstars erzählen (siehe auch Seite 29). Hier
schlägt die Stunde zweier glänzender Sängerinnen, wobei
Maria Happel für die Piaf nicht viel Aufwand treiben musste,
denn der Spatz von Paris war immer schon ein wesentlicher
Teil ihrer Karriere: „Ich habe sie schon fünfmal abgeschüttelt,
und jetzt hat sie mich wieder eingeholt“.
Eine ganz andere, neue Rolle könnte Maria Happel bald
übernehmen, wenn das stimmt, was auf der Gerüchtebörse
gehandelt wird, dass sie als Direktorin das Volkstheater übernimmt. Maria Happel lacht ihr glockenhelles Lachen und sagt
dezidiert, dass sie sich nicht beworben hat. Andererseits dementiert sie aber keineswegs, dass es sie durchaus reizen
würde, ein Theater zu leiten: „Es schwankt immer, an einem
Tag führe ich so eine große Klappe und weiß, wie es geht und
was die anderen falsch machen. Dann wache ich nachts
schweißgebadet auf und denke: so ein Quatsch. Es reicht
schon, dass ich jeden Tag die Disposition für eine fünfköpfige
Familie auf die Reihe kriegen muss. Warum soll ich mir dann
noch ein Theater ans Bein binden. Das ist eine Riesenaufgabe,
das verändert das ganze Leben. Ich absolviere da so Achterbahnfahrten. Aber es sprechen mich viele Menschen darauf
an. Einerseits schmeichelt mir das, andererseits irritiert es
B
mich. Das muss ich alles erst sortieren.“
LOTHAR LOHS
FOTOS: REINHARD WERNER (2), GEORG SOULEK
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