Das Bayer Kultur-Magazin Dorion Weickmann | Glauben und Wissen im TANZ TANZ | Uraufführung aus Berlin In der Kulisse | Ben Redelings über den Ernst des Fußballs KUNST | Fotografien von Giorgia Fiorio MUSIK | Grenzüberschreitendes und CD-Aufnahmen SCHAUSPIEL | Schnitzler ganz heutig 12 Editorial Das Ensemble unter der Leitung von Werner Ehrhardt feiert zunehmend auch internationale Erfolge und wurde erst kürzlich im Rahmen des Israel-Festivals in Jerusalem für seine Israel in Egypt-Aufführung stürmisch gefeiert. Koproduzent dieses ambitionierten „interreligiösen Projekts“ ist einmal mehr Bayer Kultur. Israelische, arabische und europäische Musiker formulieren in diesem Konzert ein überwältigendes Plädoyer für Toleranz zwischen den Religionen und Kulturen. In der Sparte Musik fokussiert diese Aufführung unser Spielzeit-Thema Glauben und Wissen in geradezu idealtypischer Weise. Auf keinen Fall versäumen sollten Sie die zweite OpernAusgrabung unserer Reihe mit unbekannten Opern aus der Mozart-Zeit. Pasquale Anfossi (1727-1797) war im Unterschied zum Salzburger Genius zu Lebzeiten ein internationaler „Topstar“. Seine Finta giardiniera wurde in ganz Europa umjubelt, während die ein Jahr später komponierte Version Mozarts nach nur drei Münchner Aufführungen abgesetzt wurde. WDR und Sony zeichnen diese konzertante Aufführung auf. Liebe Freunde von Bayer Kultur! Seit einiger Zeit intensiviert Bayer Kultur seine Angebote im Bereich Tanz. In dieser Spielzeit gibt es in der AboReihe eine zusätzliche Produktion zu sehen, nämlich die Uraufführung No one escapes the spectacle of happiness der jungen finnischen Choreographin Milla Koistinen (übrigens schon die dritte Koproduktion mit der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin). Wir haben das Jugend-Abo durch eine Tanz-Aufführung ergänzt (in dieser Saison Sideways Rain) und auch für die Kinder gibt es eine eigene Tanzproduktion (Der Seelenvogel). Hinzu kommen altersgerechte Workshops, Kurse oder Exkursionen für Kinder und Jugendliche im Rahmen unseres Education-Projekts Mitmachen!. l’arte del mondo ist durch die Funktion als permanentes orchestra in residence von Bayer Kultur neben der Westdeutschen Sinfonia und den Bayer Philharmonikern längst zum dritten „festen“ Orchester in Leverkusen avanciert. 2 A propos „Aufzeichnung“: Das Bayer Kulturhaus etabliert sich immer mehr zum gefragten Aufnahme-Ort für renommierte CD-Labels wie Sony oder MDG. Der Musikjournalist Pascal Morché geht in diesem Heft den Ursachen nach. Seine Begeisterung für die Einspielung des ersten Klavierkonzerts von Johannes Brahms mit Hardy Rittner und l’arte del mondo kann ich nur teilen. Sie sollten sich diese Weltersteinspielung auf Originalinstrumenten unbedingt anhören! Ihr Dr. Volker Mattern Leiter Bayer Kultur 12 November/Dezember 11 Essay Tanz-Journalistin Dorion Weickmann über die Bedeutung von Glauben und Wissen in der Geschichte des Tanzes Seite 4 Milla Koistinen Erste TANZ-Uraufführung im Rahmen der Kulturachse Leverkusen-Berlin Seite 8 MUSIK Grenzüberschreitende Klänge – Israel in Egypt ist „das“ MUSIK-Projekt zu Glauben und Wissen. Seite 10 KUNST Die italienische Fotografin Giorgia Fiorio in einer beeindruckenden Einzelausstellung Seite 12 In der Kulisse Fußball ernster als das Leben – Ben Redelings’ persönliche Zitatesammlung Seite 14 MUSIK Das Bayer Kulturhaus auf Scheibe – immer mehr CD-Produktionen entstehen in Leverkusen. Seite 16 SCHAUSPIEL Arthur Schnitzler gar nicht österreichisch: Der Reigen in der Inszenierung von Verena Buss Seite 18 Das Bayer Kultur-Magazin 3 Dorion Weickmann, Dr. phil., M.A., arbeitet als Tanzkritikerin und Autorin u. a. für Süddeutsche Zeitung, ZEIT, verschiedene Stiftungen und Theater; sie hat Geschichte studiert, ihre Magister-Arbeit über das Phänomen der Hysterie geschrieben (Rebellion der Sinne, Campus Verlag) und wurde mit einer kulturhistorischen Studie über den Tanz promoviert (Der dressierte Leib, Campus Verlag); sie arbeitet und lebt mit ihrer Familie in Berlin. 4 Die Inderin Shantala Shivalingappa ist mit Namasya zu Gast in Leverkusen. Wissen in Bewegung Text: Dorion Weickmann · Fotos: Laurent Philippe, Holger Badekow Auf den ersten Blick wirken sie wie feindliche Brüder: Glauben und Wissen gelten uns, den aufgeklärten Bürgern der Informationsgesellschaft, als absolute Antipoden. Wer glaubt, der weiß nicht(s), und wer weiß, der glaubt nicht(s) – so heißt es zumindest in der westlichen Hemisphäre, seit die Philosophie des 18. Jahrhunderts alle Tröstungen der Religion hinweg gefegt und durch die Autonomie des Denkens ersetzt hat. Immanuel Kants Diktum vom Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit gilt bis heute als revolutionärer Akt der Emanzipation. Doch der Tod Gottes zeichnete sich am Horizont des Abendlandes schon früher ab und kam mit René Descartes’ bahnbrechender Ich-Formel endgültig in Sichtweite: „Cogito ergo sum“. Auf welche Seite schlägt sich die Kunst in dieser Zerreißprobe? Muss sie sich angesichts der scheinbar festgefahrenen Frontstellung überhaupt verhalten? Was hat sie dem Wesen nach mit Glauben und Wissen zu schaffen, da sie doch gemeinhin für stolze Unabhängigkeit, für Freiheit im Denken, Handeln und Fühlen steht und als gesellschaftliches Antitoxin firmiert? Tatsächlich ist die Physiognomie der Kunst von der Metaphysik nicht zu trennen. Giottos Fresken in der Basilika von Assisi, die Kantaten Johann Sebastian Bachs oder Heinrich Bölls katholizismuskritische Ansichten eines Clowns sind nur drei besonders eingängige Beispiele für den weit gespannten Radius des Glaubens im Feld der Kunst. Ohne handwerkliches Wissen aber, ohne Ahnung von Farbauftrag, Kontrapunkt und poetischer Komposition hätten die Urheber dieser Werke nichts zustande gebracht. Bleibt festzuhalten: In der Kunst können Glauben und Wissen höchst einträchtig Hand in Hand gehen. Für den Tanz scheinen gleichwohl andere Regeln zu gelten, zehrt er doch vollkommen von der Materie des Leibes und bleibt schicksalhaft an sie gefesselt. Wo also wäre er je ans Transzendente gestoßen? Und inwiefern hätte er als Hort des Wissens von sich reden gemacht? Die Wahrheit ist, dass der Tanz, historisch betrachtet, bei den letzten Fragen des Menschen seinen Anfang nahm. Zugleich speichert er ein exklusives Wissen, und zwar in doppelter Hinsicht: exklusiv zum einen, weil jenseits eingeweihter Zirkel nur wenige Experten von den eingelagerten Wissensbe- ständen Notiz genommen haben; exklusiv zum anderen, weil nirgendwo sonst so viele Informationen über Bewegungsgesetze, über Körperbilder und deren Ausdrucksvermögen zusammenfließen wie eben in der Phänomenologie des Tanzes. Entsprechend wird jeder, der seinen Fuß in urzeitliche Höhlen setzt oder mit dem Spaten auf archäologische Spurensuche geht, eine überraschende Entdeckung machen. Nicht singend, sprechend oder musizierend, sondern tanzend haben die Jäger und Sammler der späten Eiszeit sich auf Felswänden und Schiefertafeln verewigt. Kaum wurden die Nomaden sesshaft und damit abhängig vom lebensspendenden Zyklus der Jahreszeiten, huldigten sie der Natur in beschwingten Reigen und festigten ihre Gemeinschaft durch ähnlich abgezirkelte Stammesrituale. Noch später wiesen die antiken Hochkulturen dem Tanz einen prominenten Platz in ihren Mysterien zu und trieben den Seitenzweig der Pantomime zu erster Blüte, bis rund um den Erdball keine kultische, ekstatische oder sakrale Weihehandlung ohne tanzendes Blendwerk auskam, sofern nicht gleich tanzfreudige Gottheiten im Mittelpunkt standen. Ob Dionysos, Shiva oder die Bajaderen, jene indischen Tempeltänzerinnen, die das Ballett des 19. Jahrhunderts adoptierte: Sie alle bezeugen, dass Glauben und Tanz einander über Jahrtausende hinweg alles andere als feindlich begegneten. Das änderte sich im Okzident mit dem Aufstieg des Christentums, dessen kirchliche Vertreter das Tanzen als sündigen Zeitvertreib und ketzerische Unzucht verdammten. Obwohl die Saltatio ebenso wie Reiten und Fechten an den Fürstenhöfen zusehends in Mode kam und ein bleifüßiger Ritter keine gute Figur machte, blieben die Kleriker auf Abstand. Weshalb nur ein erzkatholischer Monarch die Ehrenrettung dieses Exerzitiums vollbringen konnte, einer, dem auch der Papst kaum zu widersprechen wagte. Ludwig XIV., selbst ambitionierter danseur, setzte die Rehabilitation in Gang, indem er den Tanz einerseits als Machtinstrument in Anspruch nahm und andererseits zur akademischen Wissenschaft kürte. 1661 gründete er die Académie Royale de la Danse, deren maîtres dafür sorgten, dass die zum Lobpreis des Sonnenkönigs veranstalteten ballets du Das Bayer Kultur-Magazin 5 cour stets mit wohl präparierten Solisten glänzten. Zugleich trieben sie die Kanonisierung der Tanzkunst voran, beschnitten bis dato anarchisch wuchernde Triebe und vereinheitlichten die Ausbildung ebenso wie das ästhetische Niveau. Die Gründung der Akademie markiert die Geburtsstunde des klassischen Balletts, jener hohen Schule des Tanzes, die bis zum Anbruch der Moderne die gesamte Gattung dominiert hat. Dabei haben sich ihre gebildeten Vertreter von Anbeginn an mit religiösen Sujets auseinandergesetzt. Auf der Tanzbühne des 18. Jahrhunderts tummelte sich die antike Götterschar als Sinnbild für Glanz und Gloria des absolutistischen Souveräns. Nach der Französischen Revolution schwärmten naturreligiös verklärte Elementargeister und orientalische Priesterinnen auf die Szene, zum Wohlgefallen eines Bürgertums, das nunmehr nach romantischen Mystizismen lechzte. Und selbst das 20. Jahrhundert blieb den Glaubensformeln treu: Ob Isadora Duncan, Serge Diaghilew, George Balanchine oder Martha Graham, um nur vier epochale Tanz-Reformer zu nennen: Wer das Alte zerbrach oder zuinnerst verwandelte, besann sich auf die Wurzeln des Metiers, auf jene antiken Epen, Bibelfiguren und fernöstlichen Legenden, in denen sich die Heils- und Unheilsgeschichte der Menschheit spiegelt. So hat sich die Säkularisierung im Tanztheater bis heute nicht flächendeckend durchgesetzt. Im Gegenteil: In den letzten Jahren und Jahrzehnten ist die Zahl der Choreografen, die sich, wie verfremdet auch immer, mit den letzten Dingen beschäftigen, erstaunlich konstant geblieben, und zwar quer durch sämtliche Stilrichtungen des Genres. Der Hamburger Ballettchef John Neumeier etwa, ein bekennender Christ, hat geistliche Partituren von Bach bis Mozart adaptiert und sich nicht zuletzt mit einer ebenso expressiven wie formbewussten Umsetzung der MatthäusPassion in die Annalen des Fachs eingeschrieben. Auch Neumeiers jüngere Kollegen schöpfen gern aus dem Sakralfundus, um Himmel und Erde, Gott und Mensch einander näher zu bringen. Martin Schläpfer nahm in Düsseldorf bildmächtige Exegesen von Mendelssohn-Bartholdys Reformationssinfonie und Brahms Deutschem Requiem vor, der russische Senkrechtstarter Alexej Ratmansky hat 6 soeben für das Pariser Opernballett die Psyché-Sage neu ausgedeutet, und der britische Newcomer Liam Scarlett brachte kürzlich die Asphodel Meadows des Hades zu fahlschimmerndem Leuchten. In den zeitgenössischen Tanz-Varianten stehen religiöse Motive ebenfalls hoch im Kurs und liefern das Gerüst einer vielgliedrigen choreografischen Architektur. Nicht selten strömen hier Einflüsse aus allen Weltregionen und -religionen zusammen und verlängern so die multikulturelle Prägung der Akteure auf das Theater. Sidi Larbi Cherkaoui etwa, Sohn muslimisch-katholischer Eltern und flämisch-marokkanischer Herkunft, hat mit Foi, Myth und Babel eine komplette Trilogie im Zeichen der Vertikalen geschaffen und für Sutra meditationsgestählte Shaolin Mönche aufgeboten. Fattoumi-Lamoureux’ Manta seziert die Verheerungen der Glaubenshörigkeit und zeigt, wie Fundamentalismus und weibliches Fatum kollidieren. Sideways Rain von Guilherme Botelho wiederum porträtiert einen gottlosen Kosmos – eine Evolutionsparabel, die den Allmächtigen ausspart und eben deshalb nur umso schärfer auf ihn verweist. Shantala Shivalingappa schließlich vertritt den Gegenentwurf zur christlichen Verteufelung des Tanzes: eine Kunst, die den Indern heilig ist, weil sie sich demütig und anmutig zugleich dem Jenseits nähert. So gesehen gilt im Tanz tatsächlich die abgegriffene Weisheit: Der Weg ist das Ziel. Die prozesshafte Dimension macht ihn im Zeitalter der Prozessoren, das allenthalben nach logischen Operationen, Schnittstellen und „intelligent design“ fahndet, zum begehrten Forschungsobjekt. Natürlich haben Anthropo-, Ethno-, Sozio- und Psychologen seine fachrelevanten Facetten längst vermessen und beschrieben. Dass Tanz als Therapeutikum vielfach Wunder bewirkt, dass sich die Mentalität ganzer Völkerschaften und Gesellschaftsformationen in der öffentlichen Tanzetikette niederschlägt und die Jugend dabei ihren eigenen Jargon kreiert, ist hinlänglich bekannt. Neuerdings stoßen jedoch auch Neurobiologen und Kognitionswissenschaftler, Biomechaniker und Mediziner zum Tross der Interessierten und analysieren das systemische Potenzial dieser Kunst. Wie entsteht Bewegung und wie wird sie erinnert? Auf welche Weise arbeiten Gehirn und Körperperipherie dabei zusammen, welche Reize steuern das Geschehen und welche Reflexe stellen sich naturwüchsig ein? Was passiert, wenn Ego und Kollektiv aufeinander stoßen und spontan reagieren müssen? Wie flexibel verhält sich der Körper zu Raum und Rhythmus, sobald sich äußere Parameter verändern? Inwieweit gleicht der Profitänzer dem Hochleistungssportler, was Laufbahn und Berufsrisiken betrifft? Und schließlich: nach welchen Prinzipien wird der eigentliche Schöpfungsvorgang organisiert, wird eine Choreografie erdacht, gefertigt und vervielfältigt? Zahllose Fragen dieser Art sind im neuen Jahrtausend an den Tanz heran getragen worden, jenes unverwechselbare „Wissen in Bewegung“, das Seinesgleichen nicht hat und deshalb landauf landab Symposien beschäftigt. Eine Entwicklung so recht nach dem Geschmack des einstigen Herrschers von Versailles, dessen akademischer Tanzfunke bis heute nachglüht. Gleichwohl hat auch der glaubensmagnetische Pol kein Quäntchen seiner Anziehungskraft eingebüßt. Tanz, hat John Neumeier einmal gesagt, sei „Sehnsucht nach der Ewigkeit“. René Descartes hätte es nicht schöner formulieren können. Die legendäre Matthäus-Passion von John Neumeier Das Bayer Kultur-Magazin 7 Mehr als Tanz Seit drei Jahren besteht die Kooperation mit der „Ernst Busch“-Hochschule im Rahmen der Kulturachse Leverkusen-Berlin. Nun kommt zum ersten Mal eine Tanzproduktion im Kulturhaus zur Uraufführung. Text: Gabi Beier · Fotos: Lennart Laberenz Milla Koistinen absolvierte ihr Masterstudium Tanz an der Theaterakademie in Helsinki (Abschluss 2004). Danach arbeitete sie u. a. mit Kristian Smeds, Hiroaki Umeda, Peter Verhelst (NTGent/Johan Simons), Compagnie Heddy Maalem, Christine Gaigg, Hans van den Broeck und Les Ballets du Grand Maghreb. 2010 war sie danceWEBStipendiatin beim Impulstanz-Festival in Wien. Seit Herbst 2010 studiert sie Choreographie an der Hochschule für Schauspielkunst Milla Koistinen Im Rahmen der Kulturachse Leverkusen-Berlin besteht die Zusammenarbeit mit der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ und Bayer Kultur nun schon im dritten Jahr. Nach den vergangenen erfolgreichen Uraufführungen im Bayer Kulturhaus aus den Bereichen Puppenspiel und Schauspiel wurde in diesem Jahr der Bereich Tanz/Choreographie damit beauftragt, ein Stück zum Spielzeitthema Glauben und Wissen von Bayer Kultur zu kreieren. Gabi Beier, Dramaturgin und Produktionsleiterin, sprach am Rande der Proben von No one escapes the spectacle of happiness, die zur Zeit in Berlin stattfinden, mit Choreographin Milla Koistinen. 8 „Ernst Busch”/Hochschulzentrum Tanz in Berlin. Gabi Beier: Joan Didions Buch Das Jahr magischen Denkens von 2005 stellt die Grundlage für Dein Stück dar. Sie beschreibt darin das Jahr nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes. Wie bist Du auf dieses Buch gestoßen? Was genau daran hat Dich zu Deinem Stück inspiriert? Milla Koistinen: Eine Freundin hat mir das Buch empfohlen. Nachdem ich es gelesen hatte, war mir sofort klar, dass ich damit etwas machen wollte. Also ging ich ins Studio und choreographierte ein kurzes Solo. Die Art, wie Didion über dieses Jahr schreibt, dieser analytische Ton, hat mich fasziniert. Sie beschreibt, wie die Trauer ihre Physis, ihr körperliches Befinden beeinflusst. Darüber hatte ich noch No one escapes the spectacle of happiness nie intensiv nachgedacht. Ich glaube, es war zum einen das Physische und zum anderen diese analytische Beschreibung des Unfassbaren. Ich wollte diesen Konflikt zwischen dem Analytischen und dem Emotionalen auf die Bühne bringen. Wobei ich kein rein emotionales Stück machen möchte, sondern immer auch den analytischen Blick auf den Körper und was mit ihm im Prozess der Trauer geschieht, mit inszeniere. Dies ist das Inspirierende an Joan Didions Buch. Wieviel am Ende davon tatsächlich übrig bleiben wird, weiß ich nicht genau. Es wird jedoch unser Begleiter bleiben. No one escapes the spectacle of happiness ist ein Tanzstück für zwei Tänzer und einen Schauspieler. Warum hast Du Dich für diese Besetzung entschieden? Ich wollte schon immer einmal mit einer gemischten Besetzung arbeiten. Es kommen mehr Elemente in der Arbeit zusammen, wenn nicht jeder den gleichen beruflichen Hintergrund hat. Ich arbeite gern mit Nicht-Tänzern, weil deren Bewegungsqualität und Präsenz so anders ist als die von Tänzern. Ich hatte auch das Gefühl, dass ich für die Vermittlung des Themas andere Mittel als ausschließlich tänzerische brauche. Mit Soile Voima und Sérgio Mendes zu arbeiten, die vom Tanz kommen, und mit Krijn Hermans, dem Schauspieler, ist bereichernd. Sie verfügen über unterschiedliche Mittel und verschiedene Arbeitsweisen. Auch ich muss anders denken, wenn ich mit ihnen probe, ich muss eine andere Sprache finden, um mich verständlich zu machen. Das führt mich zu mehr Präzision und gleichzeitig werden wir kreativer. Es ist das erste Mal, dass ich als Choreographin mit einem Schauspieler arbeite. Du arbeitest im Stück mit Bewegung, Text, Film und Musik. Wie bringst Du die verschiedenen Genres zusammen? Diese Arbeit macht mir großen Spaß. Irgendwie reicht mir der Tanz nicht und ich suche immer nach anderen Ausdrucksmöglichkeiten, um das sichtbar zu machen, was ich mir vorstelle. Ich bin froh, dass ich neben den drei Performern noch drei professionelle Mitarbeiter habe, die mich inspirieren und Ideen liefern. Wir alle zusammen kreieren das Stück. Lennart Laberenz macht den Film, David Lipp komponiert die Musik und Julien Brun konzipiert das Licht. So bekommt das Stück viele Facetten. Ich kann nicht alles allein schaffen. Dieses Stück ist wirklich eine gemeinsame Arbeit, auch wenn ich das letzte Wort habe. Das ist für mich nach der jahrelangen Arbeit als Tänzerin neu und ich muss sagen, ich finde das gut (lacht). Das Motto Deines Stücks, „Die Kindheit ist das einzige Königreich, in dem keiner stirbt.“, stammt von der amerikanischen Lyrikerin Edna St. Vincent Millay. Kannst Du erklären, worin für Dich die Verbindung zwischen Kindheit und Tod besteht und worin die Bedeutung für das Stück liegt? Für mich ist die Kindheit ein Ort, an dem man noch sicher ist und wo es (hoffentlich) jemanden gibt, der dafür sorgt, dass es einem gut geht und einem nichts weh tut. Für mich ist Kindheit das Reich der Fantasie, wo man frei von Sorgen ist, wenngleich natürlich längst nicht jedes Kind dieses Privileg genießt. In Zeiten der Trauer möchte man sich in diesen kindlichen Zustand fallen lassen, um der Traurigkeit zu entfliehen. Es wäre schön, als Erwachsener manchmal einen Schnitt machen zu können, um wieder Kind zu sein, um die Sorgen abzuschütteln in dem Wissen und dem Vertrauen, dass die Erwachsenen zuständig sind. In meinem Stück haben die Figuren diese Chance. Wie bist Du zu dem Titel des Stücks gekommen? Letzten Herbst habe ich ein Buch von Maurice Blanchot gelesen und der Satz stand in einem Essay von ihm. Je länger ich an dem Stück arbeite, desto mehr Bedeutungen finde ich für den Titel. Es gibt so viele Möglichkeiten, ihn in Verbindung mit unserem Thema zu interpretieren. Dies würde ich aber gern der Fantasie des Publikums überlassen. No one escapes the spectacle of happiness UA MO 14.11 | 20:00 | Bayer Kulturhaus, Leverkusen Das Bayer Kultur-Magazin 9 Ein musikalisches Plädoyer für Toleranz Yair Dalal, Werner Ehrhardt und l’arte del mondo feiern beim diesjährigen Israel-Festival einen großen Triumph Text: Volker Mattern · Fotos: Linda Ehrhardt, peuserdesign.de „Maqam“ ist der Name für die Melodiemodelle der arabischen Musik, die der Ausgangspunkt sind für oft mehrere Stunden dauernde, eine große Ruhe und Konzentration ausstrahlende Improvisationen. Die Strukturen und die Funktionsweise dieser nicht notierten, sondern nur mündlich tradierten Musik zu beschreiben, würde hier zu weit führen. Um eine ungefähre Vorstellung davon zu bekommen, hilft vielleicht der Verweis auf den indischen Raga, der vom Grundsatz auf sehr ähnlichen Gesetzmäßigkeiten basiert und der in Europa einen größeren Bekanntheitsgrad genießt. Als sich Werner Ehrhardt und Yair Dalal zu ersten konzeptionellen Gesprächen zu Israel in Egypt in Leverkusen trafen, stellte der große israelisch-irakische Oud- und Violinspieler fest, dass ein europäischer Musiker (wie Werner Ehrhardt) den Kern dieser Musik nur am Originalschauplatz ihrer Entstehung wirklich „verstehen“ könne. Gesagt, getan: Werner Ehrhardt fuhr zum Gegenbesuch in die Negev-Wüste, um mit Hilfe seines Kollegen in der Stille und Ruhe dieser Landschaft das Wesen der arabischen Musik zu erkunden und zu erleben. Erwachsen ist daraus ein Projekt, das es in dieser Form noch nie gegeben hat. Zwar bleibt das dramaturgische Grundgerüst und der Handlungsverlauf von Georg Friedrich Händels berühmtem Oratorium Israel in Egypt erhalten. Neben dem Orchester, dem Chor und einem Countertenor wirkt jedoch anstelle des Solo-Soprans das Ensemble von Yair Dalal – David Yosef Menahem, Eyal Yizhak Sela, Elad Reuven Gabay, Erez Shmuel Mounk, Sharon Kolton, Yotam Haimovitch – und die Sänger bzw. Kantoren Netanel Yitshak Zalevxky, Ghassan Manasra und Lubna Salame mit. Alle Arien – außer denen des Countertenors – wurden durch traditionelle bzw. von Yair Dalal neu komponierte israelische und arabische Musik ersetzt. Ganz besondere Klangeindrücke entstehen aber insbesondere dann, wenn das Instrumentarium des Abendlandes mit dem – jedenfalls für westliche Ohren – ungewöhnlichen des Morgenlandes (wie etwa Oud, Nay, Kanun oder Sitar) zu einer wunderbaren Einheit verschmilzt. Von den Musikerinnen und Musikern gelebtes und in Klang transformiertes Einverständnis der Religionen und Kulturen sozusagen! 10 In Jerusalem hat nicht allen Konzertbesuchern gefallen, dass auch arabische Musik – ausgeführt von arabischen Musikern – erklang. Aber auf der Bühne lebten und demonstrierten die Musikerinnen und Musiker aus Europa, Israel und aus arabischen Ländern das harmonische und friedliche Miteinander im Geiste Georg Friedrich Händels in idealtypischer Form: „Das Konzert war ein politischmusikalischer Beweis des kulturellen Miteinanders, ein Aufruf zum Zusammenleben, zur Anerkennung verschiedener religiöser und kultureller Interessen, zu uneingeschränkter Toleranz anstelle von religiösem Fanatismus.“ (Chagai Chitron, Haaretz, 14.6.2011) Das Publikum und die Presse feierten die Aufführung von Israel in Egypt und die beiden künstlerischen Protagonisten Werner Ehrhardt und Yair Dalal daher am Ende auch frenetisch: „Das beste Konzert des Israel Festival war Israel in Egypt, das Barockgesang und Händels Violinen mit traditionellen irakischen liturgischen Chorälen verband. Yair Dalal, das Orchester l’arte del mondo und der Tölzer Knabenchor erschufen eine wunderbare Kombination von Ost und West. Wenn ich nur einen Abend aus allen Vorstellungen des diesjährigen Israel Festivals wählen dürfte, würde ich mich für dieses fantastische, überraschende und mitreißende Konzert Israel in Egypt entscheiden. Es war ein Abend voller musikalischer und menschlicher Brüderschaft, der nationale und religiöse Grenzen einriss (…).“ (Yon Feder, y net, 14.6.2011) Wenn man bedenkt, dass beim Israel Festival regelmäßig auch Weltstars wie Daniel Barenboim auftreten, kann man ermessen, welch hohe Ehre diese Einordnung bedeutet. l’arte del mondo – „Die Kunst der (ganzen) Welt“. Vielleicht haben Sie sich ja schon immer gefragt, warum das Ensemble diesen Namen trägt bzw. was es denn eigentlich damit auf sich hat. Mit dem Projekt Israel in Egypt wird diese Frage sehr plastisch beantwortet: Neben dem Kernbereich der künstlerischen Arbeit von Werner Ehrhardt und seinem Orchester, der historischen Aufführungspraxis in Barock, Klassik und Romantik, verweist der Name auf die Tatsache, dass auch Projekte, die sich mit anderen (Musik)Kulturen der Welt auseinandersetzen bzw. sie mit der abendländischen „klassischen“ Musik konfrontieren oder zusammenführen, einen zentralen Aspekt der ge- Yair Dalal und Werner Ehrhardt, Negev-Wüste, Frühjahr 2011 meinsamen künstlerischen Arbeit einnehmen. Hier wäre als weiteres Beispiel etwa das türkische Pera-Ensemble zu nennen, mit dem l’arte del mondo den bekannten ArmidaStoff aus Tassos Gerusalemme liberata völlig neu und aufregend zum Leben erweckt hat. Die live aufgenommene CD aus der Berliner Philharmonie unter dem Titel Amor oriental macht zur Zeit gerade in den einschlägigen Fachmagazinen Furore. In Leverkusen können wir uns aber jetzt auf die Live-Aufführung von Israel in Egypt – von der Sklaverei zur Freiheit freuen, musikalisch neu und mitreißend, inhaltlich ein Appell für Toleranz und Frieden in der Welt. Israel in Egypt – von der Sklaverei zur Freiheit DO 17.11 | 20:00 | Forum, Leverkusen Das Kultur-Magazin 11 Israel in Egypt – Aufführung beiBayer den Händel-Festspielen Halle Yaum al-jum‘a, Freitagsgebet. Balakhauz-Moschee. Bukhara, Usbekistan, 2008 Der unersättlichen Weltseele gewidmet Auf der Suche nach der göttlichen Gabe reiste Giorgia Fiorio um die Welt, um sie in Religion und spirituellen Riten zu finden. Ihre poetischen Bilder laden ein, sich mit unterschiedlichen Kulturen und ihrem Glauben auseinanderzusetzen. Im Bayer Kulturhaus sind 90 Arbeiten von ihr zu sehen. Text: Olga Rykova · Fotos: Giorgia Fiorio Faszinierende Schwarzweiß-Fotografien der mehrfach preisgekrönten Fotokünstlerin Giorgia Fiorio präsentiert das Bayer Kulturhaus ab November. Fernab der bunten Glitzerwelt konzentrieren sich ihre Bilder auf das Wesentliche und entführen den Betrachter in eine Welt voller Besinnung und Spiritualität. Ihren feinsinnigen Blick richtet die Künstlerin auf wundersame Wirklichkeitsausschnitte voller Ruhe und Harmonie, die zum Verweilen einladen. Aber auch spannende Momente voller Energie hat sie gekonnt eingefangen. 1967 in Turin geboren, ging Fiorio 1989 in die USA, um in New York am International Center of Photography zu studieren. In ihren mehrjährigen Projekten erforscht sie Menschen in ihrer alltäglichen Umgebung. Nachdem sie sich mit Männergesellschaften auseinandergesetzt hat, beschäftigt sich die renommierte Fotografin mit Ritualen. Sie untersucht, wie Menschen aus verschiedenen Kulturen ihren Glauben ausüben und stößt dabei auf unterschiedlich gelebte Glaubensbekenntnisse. In allen Teilen der Erde werden immer noch viele traditionelle, religiöse Handlungsweisen praktiziert. Neun Jahre lang reiste sie quer durch Europa, Amerika, Asien und Afrika, besuchte insgesamt 38 Länder. Das Ergebnis ist ein breites Spekt12 rum facettenreicher Religiosität. So zeigen ihre Aufnahmen beispielsweise ein populäres Reinigungsritual in Haiti. Im Juli eines jeden Jahres findet in der Pilgerstätte Saut d’Eau (frz. für Wasserfall) ein Voodoo-Fest statt, bei dem die Menschen im eisigen Wasser baden. Der Wasserfall soll die Seele reinigen und Wünsche erfüllen. Das Ritual kann sich über fünf Tage erstrecken und die Gläubigen in einen tranceähnlichen Zustand versetzen, in dem sie sich in Kontakt mit göttlichen Wesen wähnen. In einer anderen Bildfolge zeigt sie eine religiöse Zeremonie von Derwischen. Fiorio hat in der Türkei dem über siebenhundert Jahre alten Sema-Ritual beigewohnt, bei dem Mönche des Mevlevi-Ordens durch ständige Drehbewegungen einen ekstatischen Trancetanz vollführen. Zunächst sind sie in schwarze Umhänge gekleidet, die alles Irdische verkörpern. Diese werden vor dem Tanz abgelegt, darunter tragen sie weiße Gewänder und Jacken mit weiten Ärmeln, die Leichentücher symbolisieren. Auch die braunen Filzhüte sind ein fester Bestandteil ihres Erscheinungsbildes, sie stehen für Grabsteine. Mit ihrer Kleidung befolgen die Derwische Mohammeds Aufforderung: „Stirb bevor du stirbst!“. Während der kreisenden Bewegungen hält der Tänzer die rechte Hand nach oben, um mit Allah Kontakt aufzunehmen. Mit der linken Hand, deren Handfläche nach unten gerichtet ist, leitet er die Liebe an die Erde weiter. Musikalisch begleitet werden die Mevlevi von geistlichem Gesang mit Koranversen, der Nay-Flöte und Trommeln. Dass durch Glaube und Bewusstseinsveränderung auch Schmerzen unterdrückt werden können, bezeugen mitreißende Fotografien aus Thailand. Zu Beginn des neunten Mondmonats werden zuerst die Götter gebeten, sich an den Feierlichkeiten des neun Tage dauernden Reinigungsfestes Jia Chai zu beteiligen. Danach entrücken die von den Göttern auserwählten Gläubigen (Masong) weltlichem Empfinden und peinigen sich selbst, indem sie Metallspieße oder andere Gegenstände durch ihren Mundraum stechen. Auf diese Weise sollen ihre Sünden vergolten werden. Die Zeremonie wird durch weitere Reinigungsvorschriften unterstützt, wie strengem Fasten, Enthaltsamkeit und das Tragen weißer Kleidung. Ihre tiefgründigen Erfahrungen hält die Künstlerin mit der Fotokamera fest, mit der sie im richtigen Moment nicht nur Bilder einfängt, sondern auch Geschichten erzählt. Die Fotografien entwickeln eine solche Kraft, dass sie die Situation ohne Worte erklären sowie Gefühle als auch Gedanken übermitteln. Nachdem die Ausstellung vergangenes Jahr im internationalen Forum für Visuelle Dialoge, C/O Berlin präsentiert wurde, können Fiorios Bilder ab dem 13.11. im Bayer Kulturhaus besichtigt werden. Das zugehörige Buch steht unter der Schirmherrschaft der UNESCO. Giorgia Fiorio – Ritus. Die Gabe 13.11-22.01 SO 13.11 | 11:00 | Vernissage | Bayer Kulturhaus, Leverkusen Die Vernissage wird von der Künstlerin mit einer Lesung und Filmvorführung gestaltet. Musikalische Umrahmung: Pre-College Cologne Das Bayer Kultur-Magazin 13 Voodoo-Fest. Aguas Blancas-Fälle, Saut d’Eau, Haiti, 2000 Ernster als das Leben Kaum ein Sport bewegt Menschen so sehr wie Fußball. Er ist Lebensmittelpunkt, Ersatzreligion, Leidenschaft. Bayer Kultur hat Ben Redelings gebeten, dazu seine persönliche Zitate-Mannschaft aufzustellen. Der Fußballsport kann nicht verschwinden, höchstens, dass die ganze Welt verschwindet. Pelé Es ist beim Fußball wie im wirklichen Leben: Liebe, was du tust, und tu, was du liebst. Wenn du Lust auf etwas hast, kannst du es auch zehn Stunden lang tun, und du wirst Erfolg haben. Karl-Heinz Rummenigge Wer den Fußball so liebt wie ich, der hat nirgendwo auf der Welt Probleme. Lothar Matthäus Keine Angst, im Himmel wird auch Fußball gespielt. Uwe Seeler Ich habe die vielen Nächte noch nicht vergessen, in denen ich auf der Straße schlafen musste. Wenn ich zurückblicke auf das, was passiert ist, dann hört es sich an wie die Sportversion von Aschenputtel. Letztlich waren all die Opfer nicht umsonst, sondern haben sich gelohnt. Der Fußball kann Leben verändern. Lieber so ein Tor als eine wilde Nacht mit Pamela Anderson. Bebé – vom Obdachlosen zum Profi bei Manchester United Gonzalo Higuain, Profi bei Real Madrid über sein entscheidendes 4:3 in der 89. Minute gegen Espanyol Barcelona Trainer Wenn du Fußball machst, dann lässt dich der Beruf nicht mehr frei. Man entwurzelt sozial ein bisschen. Geh mal abends ins Theater, wenn du drei mal verloren hast. Da bist du ein Laune-Schreck. Hans Meyer Fußball ist, wenn man in der Halbzeit für ein Würstchen in der Schlange stehen muss. Yves Eigenrauch Wenn du früher zum Trainer gesagt hast, du hast Kopfschmerzen, hat der gesagt: ‚Geh ans Kopfballpendel, dann gehen die weg.‘ Und heute? Da schickt er dich zur Kernspintomografie... Walter Frosch, Kultkicker Im Spiel habe ich immer Angst, dass ich die zehn anderen in die Pfanne haue, wenn ich nicht vor meinem Gewissen mein Bestes gegeben habe. Bernard Dietz, Europameister 1980 Torhüter sind einfach tragische Figuren. Die Menschen kommen ins Stadion, um Tore zu sehen und Torhüter sind da, um genau die zu verhindern. Vor ein paar Tagen wollte ich eine Pizza kaufen, und während ich wartete, traf ich einen Freund, den ich schon viele Jahre nicht mehr gesehen hatte und der dort als Pizza-Bote arbeitete. Er fragte mich, ob ich nicht Arbeit für ihn hätte. Er sagte: „Ich halte diesen Druck nicht mehr aus. In 30 Minuten muss ich ausliefern, über rote Ampeln fahren, wütende Kunden bedienen. Das ist einfach zu viel für mich!“ Da habe ich gemerkt, wie gut ich es doch mit meinem wundervollen Job habe. Hans van Breukelen, ehem. niederländischer Nationalkeeper Slaven Bilic, ehem. kroatischer Nationalspieler Ben Redelings | Manni Breuckmann DO 10.11 | 20:00 | Bayer Kulturhaus, Leverkusen Ben Redelings gilt als „Mister Ruhrgebietsfußball“ (WAZ) und ist „mittlerweile in den Olymp der satirischen Fußball-Literatur aufgestiegen“ (IN-Stadtmagazin). Nach Meinung der Jungen Welt ist er sogar „um Längen besser als Nick Hornby“. Redelings lebt in Bochum als freier Autor und Filmemacher. Er studierte Deutsch, Sozialwissenschaften und Niederländisch in Bochum und Amsterdam auf Lehramt. Nach dem ersten Staatsexamen siegte jedoch die Liebe zum runden Leder. Seine kulturellen Fußballabende SCUDETTO genießen mittlerweile Kultstatus. Fülle des Wohllauts Das Bayer Kulturhaus wird immer öfter zum Ort für preisgekrönte CD-Aufnahmen. Musikjournalist und CD-Kritiker Pascal Morché erläutert, warum der Saal so exzellente Voraussetzungen dafür bietet. Text: Pascal Morché · Foto: peuserdesign.de Nur unter optimalen Voraussetzungen kann wirklich große Kunst entstehen. Wer sich heute auf die Suche nach singulären Klassik-CD-Einspielungen aus neuerer Zeit macht, wird dabei häufig auf das Bayer Kulturhaus in Leverkusen als Ort der Aufnahme stoßen. So zum Beispiel beim ersten Klavierkonzert d-Moll von Johannes Brahms in der phänomenalen Interpretation des Pianisten Hardy Rittner. Der vom renommierten Label MDG mitgeschnittene Konzertabend erhielt sofort international hymnische Kritiken und ist auf dieser CD tatsächlich eine Weltpremiere: Rittner spielt auf einem historischen ÉrardFlügel von 1854. Begleitet wird der Pianist von l’arte del mondo, dem orchestra in residence von Bayer Kultur, unter Werner Ehrhardt. Nicht weniger beeindruckend, die bei Sony ‚Deutsche Harmonia Mundi’ eingespielte Wiedererweckung und Neuentdeckung der Oper Medonte des Mozart-Zeitgenossen Joseph Myslivecek. Zwei Beispiele, wie mit Unterstützung von Bayer Kultur anspruchsvolle künstlerische Projekte verwirklicht wurden, an die sich Stadt und Staat mitunter nicht (mehr) trauen. Verwirklicht allerdings auch an einem Ort, der gerade jene optimalen Voraussetzungen bietet, die musikalische Raritäten und künstlerische Sternstunden zu Silberscheiben – prosaisch zu CDs werden lässt: Das Bayer Kulturhaus. Seit mehr als 100 Jahren steht die Nutzung des 1908 als „Erholungshaus“ gegründeten Konzert- und Theatergebäudes im Fokus der Musik. Der markante Bau mit seiner Architektur aus Neobarock und Jugendstilelementen im Äußeren beherbergt in seinem Innern einen Konzertsaal, von dessen exzellenter Akustik Musikliebhaber in vielen anderen, auch oftmals größeren deutschen Städten nur träumen können. Für Musiker und Publikum ereignet sich im Bayer Kulturhaus buchstäblich, was Thomas Mann als die „Fülle des Wohllauts“ bezeichnete. Doch, warum und wodurch kommt diese „Fülle des Wohllauts“ hier in so großartiger Weise zur Entfaltung? Da ist zunächst die rechteckige „Schuhkarton“-Form des Saales mit seinen gut 700 Plätzen. Musiker, Toningenieure, Akustikfachleute und Architekten sind sich längst einig, dass diese rechteckige Saalform (wie sie auch das Concertgebouw in Amsterdam, der Herkulessaal in München oder der Große Musikvereinssaal in Wien haben) Garant optimaler Akustik ist. 16 Beim Bayer Kulturhaus schafft die darüber gewölbte hohe Decke einen transparenten und warmen Klang, der über diverse Umbauten bis hin zur letzten Renovierung 1997 immer bewahrt und verbessert wurde. Werner Ehrhardt, künstlerischer Leiter von l’arte del mondo, wird hier als nächstes Opernjuwel Pasquale Anfossis La finta giardiniera der Vergessenheit entreißen. Wieder steht Bayer Kultur dabei Seite an Seite mit dem WDR und dem international renommierten Klassik-Label Sony. Ersteinspielungen „live aus dem Bayer Kulturhaus“ sind ein Prädikat, das auf der CD-Hülle höchste künstlerische und aufnahmetechnische Qualität garantiert. „Im Bayer Kulturhaus zu spielen“, erklärt Werner Ehrhardt, „bedeutet für einen Musiker an einem Ort zu sein, an dem man sich absolut wohlfühlt. Die Akustik ist fantastisch. Alle Ansprüche, die man an Resonanz und Rückkopplung des Klangs stellt, sind hier erfüllt. Es schaukeln sich keine Vibrationen auf, es herrscht einfach eine schöne, aber nicht künstliche Ausgeglichenheit“, schwärmt Ehrhardt und lobt die Neutralität des Raums, die aber niemals in Sterilität umschlage. „Für uns Musiker einfach ideal.“ Ähnlich euphorisch äußern sich Tonmeister der im Bayer Kulturhaus eingespielten CD-Aufnahmen; unisono sind sie „immer wieder begeistert, weil der Raum des Konzertsaals sie nicht festlegt.“ Perfekt für „das klassische und romantische Repertoire“, so Ehrhardt „für Mozart, Beethoven, Schubert, Brahms und Schumann.“ Für größere Orchesterformationen von Bruckner, Mahler oder Richard Strauss sei das Haus sicher nicht angelegt. Vor allem aber ist der, in seiner Mitte nochmals teilbare und somit variabel zu gestaltende Saal ein wunderbarer Ort intimen Musizierens und somit ideal für Kammermusikabende, Liederabende, Solistenkonzerte oder Recitals. Die neueste Einspielung der Klavierquartette von Robert Schumann (bei dem Label audite) durch das Mandelring Quartett, mit Claire-Marie Le Guay am Klavier, macht dies ebenso deutlich hörbar wie Bachs Goldberg-Variationen in den selten gespielten Rheinberger- und Reger-Bearbeitungen der, ebenfalls hier im Bayer Kulturhaus entstandenen, CD des berühmten Klavierduos Yaara Tal und Andreas Groethuysen. So wird der hörbare Schönklang, der sich aufgrund der Akustik bei den Konzerten im Bayer Kulturhaus entfaltet, l’arte del mondo und Werner Ehrhardt bei den Aufnahmen zu Brahms’ 1. Klavierkonzert. Im Vordergrund ein Flügel von Pierre Érard aus dem Jahre 1854. gewiss zu weiteren außergewöhnlichen CD-Einspielungen beitragen. Doch sollte man beim Loben der Mauern des akustischen Kleinods in der Nobelstraße 37 nicht vergessen, dass diesen Klang immer Menschen hörbar machen. Und dass diese Menschen nicht nur jene hochkarätigen Künstler sind, die oft neue Wege jenseits der ausgetretenen Klassikpfade gehen, sondern auch die professionellen Kunst-Ermöglicher im Hintergrund, die mit Begeisterung, Kompetenz und Geschick Spielpläne erstellen, Medienpartner für Kooperationen finden und renommierte KlassikCD-Label für die Projekte gewinnen. Auf diese Weise ver- steht es Bayer Kultur optimale Voraussetzungen für große Kunst zu schaffen, indem dispositionelle Freiräume im Spielplan des Kulturhauses klug genutzt werden, um hier kostenfrei und in Kombination mit stattfindenden Opern und Konzerten CD-Produktionen zu ermöglichen. Künstlerisch und musikalisch werden dabei Ergebnisse erzielt, die derart hochkarätig sind, dass sie inzwischen weltweit auf CD von sich hören lassen. Das Bayer Kultur-Magazin 17 Werden, Leben, Liebe und Tod Im November kommt Schnitzlers Der Reigen als Vier-Personen-Stück nach Leverkusen. Schauspielreferent Reiner Ernst Ohle sprach mit Regisseurin Verena Buss über den Autor, die Musik und den Verzicht auf das Österreichische in der Inszenierung. Text: Reiner Ernst Ohle · Foto: Helmut Förnbacher Theater Company Der Schauspieler und Film- und Theaterregisseur Helmut Förnbacher ist seit der Gründung im Jahr 1980 der Kopf einer der ältesten, freien, nicht subventionierten Theatergruppen der Schweiz. Seit über zehn Jahren ist die ehemalige Zollhalle im Badischen Bahnhof Basel das feste Zuhause dieses Ensembles. Rund 150 Vorstellungen finden dort 15000 bis 17000 Besucher. Der Reigen ist eine Zusammenarbeit mit Verena Buss. Als Schauspielerin stand sie in Köln, Basel, Zürich, Frankfurt, Berlin, Hamburg, und Düsseldorf auf der Bühne und war zuletzt fünf Jahre festes Ensemblemitglied am Stuttgarter Staatstheater unter Friedrich Schirmer. Neben Inszenierungen in Darmstadt, Freiburg, Stuttgart, Basel, Zürich arbeitet sie als Dozentin für Schauspiel in der Stuttgarter Hochschule für Theater. Reiner Ernst Ohle: Wie sind Sie auf den Text gestoßen? Verena Buss: Schon früh bin ich auf Schnitzler gestoßen: in einer Inszenierung von Horst Zankl spielte ich die Erna in Das weite Land, ein typisches Schnitzler-Mädchen, die häufig eine Mischung aus Sehnsucht und Aufbruch bestimmt. Der Partner war damals Karlheinz Böhm – ein „Herr“. Vor Jahren dann inszenierte ich Liebelei, es war eine Koproduktion am Staatstheater Kassel mit der Hessischen Theaterakademie. Kurz darauf nochmals in Basel bei der Helmut Förnbacher Company. Welche Leitideen haben Ihre Inszenierung bestimmt? Als das Angebot für Der Reigen kam, war ich zunächst unsicher, ob sich das Stück aus weiblicher Sicht erzählen lässt. Ohne feministischen Angang… Es kam mir der Gedanke, das Stück statt mit zehn nur mit vier Schauspielern zu machen. Das Motiv des Reigens ließ sich so deutlicher 18 herausarbeiten. Von den vier Schauspielern waren mir drei aus früheren Arbeiten bekannt. Aus den sich immer neu ergebenden Zweierkonstellationen tritt eine Person ab, die von einer dazu kommenden ersetzt wird. Über diesem Wechselspiel schweben große Schwarz-Weiß-Portraits der vier Schauspieler, in deren Spannungsfeld die stumm anwesende Figur sich begibt. Eine zentrale Rolle spielt die Musik: Musik von heute (Leonhard Cohen) trifft auf Liebeslieder von Franz Schubert oder auf Arnold Schönbergs Transkription von einem Johann-Strauß-Walzer. Der von Schnitzler unbenannte Ort der Lust ist ein billiges Gewächshaus aus Plastik, wo pflanzliches Leben gedeihen sollte, dahin zieht es die sich immer neu bildenden Paare. Kontrapunktisch erklingen die Schubert-Lieder. Der Schauspieler, der den Soldaten spielt, ist am Ende der Graf. Die Dirne wird zur Schauspielerin, der Graf ist für sie der Kollege Schauspieler, der ihr mehrere Rollen vorspielt und zu einer Art Todesboten wird. Ich hatte das Motiv des „Basler Totentanzes“ im Kopf. Ein Reigen von Werden, Leben, Liebe und Tod. Welche Fassung vom Reigen haben Sie verwendet? Die vom Fischer Verlag herausgegebene. Es wurde daraus eine gestraffte, vom österreichischen Kolorit freie Arbeitsgrundlage, es ergaben sich viele Striche, Texteinschübe, (aus Schnitzler-Briefen und Tagebüchern) und einige Verschiebungen. Das Österreichische schien mir zu viel mit der Entstehungszeit des Stückes zu tun zu haben und könnte so befremdlich sein. Der Reigen SA 19.11 | 20:00 | Bayer Kulturhaus, Leverkusen Impressum 12 November/Dezember 11 Kulturkalender November.11 DO 03.11 20:00 Gorelovka Film Fo FR 04.11 20:00Anfossi: La finta giardiniera Pas BK SO 06.11 19:00Randy Crawford | Joe Sample… Jazz Fo MO 07.11 20:00 Der Seefahrer SCHm BK DO 10.11 20:00 Ben Redelings | Manni Breuckmann Lit BK SO 13.11 11:00 Vernissage: Giorgia Fiorio KUNST BK MO 14.11 20:00 Koistinen: No one escapes… UA TANZ BK DO 17.11 20:00 Israel in Egypt SK FO DO 17.11 20:00 Die göttliche Komödie Studio BK SA 19.11 20:00 Der Reigen SCHk BK DI 22.11 09:30 Piccolo & Co. -8+x BK DI 22.11 11:00 Piccolo & Co. -8+x BK MI 23.11 20:00 Dracula -16+x BK DO 24.11 20:00 Midori | Özgür Aydin KM BK DO 24.11 20:00 Samaria Film Fo FR 25.11 20:00 Midori | Özgür Aydin KM Kr SA 26.11 20:00 Brand-Stiftung BB BK SA 26.11 22:15 Sebastian Sternal Trio Jam BK SO 27.11 18:00 Brand-Stiftung BB BK SO 04.12 11:00 Caspar van Meel Quintett Jazz BK DO 08.12 20:00 Lebanon Film Fo FR 09.12 20:00 Weißer Rabe, schwarzes Lamm Zugabe BK SO 11.12 16:00 Friedrich-Wilhelm Junge Talk BK SO 11.12 17:00 Wenn es Abend wird… KLM BK MO 12.12 20:00Russische Nationalphilharmonie SK FO DO 15.12 19:30 Von Menschen und Göttern Film FO FR 16.12 20:00 Genfer Ballett: Sed Lux Permanet TANZ FO SO 18.12 14:00 Die Hirtin und der Schornsteinfeger -8+x BK SO 18.12 16:00 Die Hirtin und der Schornsteinfeger -8+x BK Dezember.11 Herausgeber: Bayer AG Communications | Bayer Kultur Verantwortlich: Dr. Volker Mattern Redaktion: Silke Schenk Texte: Dorion Weickmann Wissen in Bewegung (Originalbeitrag); Pascal Morché Fülle des Wohllauts (Originalbeitrag); Weitere Texte: Volker Mattern, Reiner Ernst Ohle, Ben Redelings, Olga Rykova, Bettina Welzel Redaktionelle Mitarbeit: Regina Bernt, Carolin Sturm, Birgit Veddeler, Rike Zoebelein Designkonzept: Büro Kubitza, Leverkusen Layout und Realisation: wedeldesign, Bochum Titelbild: Giorgia Fiorio: Sema-Zeremonie.Türkei 2004 Bildnachweis S. 2: Pedro Malinowski Bildnachweis S. 3 (Redelings): Philipp Wente Druck: Ollig-Druck, Köln Auflage: 3.000 © Bayer AG Communications | Bayer Kultur 2011 Redaktion KUNSTstoff c/o Bayer Kultur Kaiser-Wilhelm-Allee | Gebäude Q 26 | 51368 Leverkusen Telefon 0214.30-41277 | Telefax 0214.30-41282 Änderungen vorbehalten! Karten Karten-/Abonnementbüro im Bayer Kulturhaus, Leverkusen Öffnungszeiten: MO-DO 9:00-16:00 | FR 9:00-13:00 Telefon 0214.30-41283/84 | Telefax 0214.30-41285 Kurzparkmöglichkeit (15 Min.) für Kunden des Kartenbüros vor der Kulisse. Abendkassen je 1 Std. vor Veranstaltungsbeginn Bayer Kulturhaus, Nobelstraße 37, 51373 Leverkusen | Telefon 0214.30-65973 Forum, Am Büchelter Hof, 51373 Leverkusen | Telefon 0214.406-4157 kultur.bayer.de