Zur Aufführungspraxis der Brahms-Sonaten für Klarinette und Klavier Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Titels „Master of Arts“ Verfasserin: Helga Palkó, BA, Matrikelnummer: 1473120 Kunstuniversität Graz Masterstudium Klarinette Betreuer: Univ. Prof. Dr. Klaus Aringer Juni 2017 Abstract (deutsch) Die vorliegende Arbeit befasst sich zum einen mit der Biographie von Johannes Brahms und seiner Persönlichkeit, seiner musikalischen Sprache und zum anderen mit der Aufführungspraxis der Klarinettensonaten Op. 120 Nr. 1 und Nr. 2 von Johannes Brahms. Zur Untersuchung mehrerer auf Tonträger vorliegenden Interpretationen der Klarinettensonaten wurde eine Analyse von beiden Sonaten in dieser Arbeit verfasst. Die Aufführungspraxis der Sonaten wurde durch sieben Tabellen demonstriert. Zu jedem Satz gehört eine Tabelle, worin die Aspekte der Analyse kurz beschrieben sind. Abstract (english) The presented work is considering on the one hand the biography of Johannes Brahms, his personality and musical language. On the other hand it will also discuss the performing practice in relation to the Op. 120 Nr. 1 and Nr. 2 clarinet sonatas of Johannes Brahms. Musical analysis of both of these sonatas is used to help the research of various interpretations of the sonatas. The performer’s practice guidance is outlined in seven separate tables-one for each movement-, which also contain comparison points. Inhaltsverzeichnis I. Einleitung .................................................................................................................................... 2 II. Die deutsche Romantik................................................................................................................... 3 III. Biographie von Johannes Brahms ................................................................................................. 5 IV. Musikalische Sprache von Brahms ............................................................................................ 33 Der Ton seiner Werke ................................................................................................................... 37 V. Die Begegnung von Brahms und Mühlfeld .................................................................................. 41 VI. Für Klarinette komponierte Stücke ............................................................................................. 44 VI.1. Klarinettenquintett Op.115................................................................................................... 45 VI.2. Klarinettensonaten Op.120................................................................................................... 47 VI.2.1. Nr. 1 F-moll Sonate........................................................................................................... 47 VI:2.2. Nr.2. Es-Dur Sonate .......................................................................................................... 53 VII. Die formale Analyse der Klarinettensonaten ............................................................................. 58 VII.1. F-moll Sonate ..................................................................................................................... 58 VII.2. Es-Dur Sonate ..................................................................................................................... 66 VIII.Interview mit Béla Kovács ........................................................................................................ 73 IX. Zur Interpretation der Klarinettensonaten ................................................................................... 77 IX.1.1.Sonate in F-Moll Karl Leister und Ferenc Bognár............................................................. 80 IX.1.2. Sonate in Es–Dur Karl Leister und Ferenc Bognár ........................................................... 82 IX.2.1. f-moll Sonate Wenzel Fuchs und Elena Bashkirova ......................................................... 83 IX.2.2 Es-Dur Sonate Wenzel Fuchs und Elena Bashkirova ........................................................ 84 IX.3.1.Sonate in F-Moll Richard Stoltzman und Richard Goode ................................................. 85 IX.3.2.Sonate in Es-Dur Richard Stoltzman und Richard Goode ................................................. 86 IX.4. Florent Heau und Patrick Zygmanowski.............................................................................. 88 IX.4.1.Sonate in F-Moll Florent Heau und Patrick Zygmanowski ............................................... 88 IX.4.2.Sonate in Es-Dur Florent Heau und Patrick Zygmanowski ............................................... 89 IX.5. Michael Collins und Mikhail Pletnev .................................................................................. 91 IX.5.1.Sonate in F-Moll Michael Collins und Mikhail Pletnev .................................................... 91 IX.5.2.Sonate in Es-Dur Michael Collins und Mikhail Pletnev .................................................... 92 IX.6. Béla Kovács und Ferenc Rados ........................................................................................... 94 IX.6.1.Sonate in F-Moll Béla Kovács und Ferenc Rados ............................................................. 94 IX.6.2.Sonate in Es-Dur Béla Kovács und Ferenc Rados ............................................................. 95 X. Zusammenfassende Tabellen für die Untersuchung der Interpretationen der Klarinetten Sonaten ........................................................................................................................................................... 97 XI. Nachwort ................................................................................................................................... 102 Literaturverzeichnis......................................................................................................................... 103 I. Einleitung Als Thema meiner wissenschaftlichen Masterarbeit habe ich die Kompositionen von Johannes Brahms gewählt, die er für Klarinette komponiert hat. Meine Themenwahl wurde einerseits davon beeinflusst, dass ich selber auch eine Klarinettistin bin. Andererseits bin ich der Meinung, dass das Klarinettentrio Op. 114, das Klarinettenquintett Op. 115 und die Klarinettensonaten Op. 120 Nr. 1 und Nr. 2 von Brahms zu den schönsten Stücken der Klarinettenliteratur gehören. Aus den vier erwähnten Musikwerken habe ich bei drei auch persönlichen Erfahrungen gesammelt. Ich habe sie vorgetragen, und sie gehören nach wie vor zu den Lieblingsstücken meines Repertoires. In meiner Masterarbeit möchte ich die Persönlichkeit von Johannes Brahms anhand seiner Biographie analysieren. Ich halte diese für wichtig, weil wir die Lebensumstände und die freundschaftlichen Verhältnisse der Komponisten kennen müssen, um ihre Musikwerke noch vollständiger verstehen zu können. Es ist wichtig zu wissen, was sie über ihre Vorgänger und Komponistenkollegen gedacht haben, wen sie besonders geschätzt haben. Nach der Analyse seiner Biographie beschreibt das nächste Kapitel die Begegnung von Brahms mit Richard Mühlfeld. Dieses Kapitel stellt eine Verbindung zur Klarinetten-Literatur von Brahms her. Unter den Klarinettenstücken von Brahms möchte ich den Schwerpunkt auf die Sonaten Op. 120 Nr 1 und Nr 2 für Klarinette und Klavier legen. Der Leser kann sich über die Entstehungsumstände, die Struktur, die musikalischen Merkmale dieser Musikwerke einen Überblick machen. Anschließend, im letzten Kapitel meiner Masterarbeit, werde ich die Aufführungspraxis dieser zwei Sonaten auf der Grundlage einer Reihe spezifischer Kriterien prüfen. In der Reihe der Interpretationen wird auch Herr Professor Béla Kovács erwähnt, bei dem ich im Laufe meines Studiums mehrfach Kurse belegt habe. Ich möchte mich an dieser Stelle bei ihm für seine Unterstützung und für ein interessantes Interview bedanken. Dieses Interview ist eine Wiederbelebung einer zuvor losen Verbindung zwischen der Kunstuniversität Graz und Béla Kovács, der früher als Professor über 15 Jahre an der Universität Graz tätig war. Mein Interview mit dem international renommierten ungarischen Klarinettisten ist eine Ergänzung meiner Ansichten über die Klarinetten- und Klaviersonaten von Johannes Brahms. 2 II. Die deutsche Romantik In Deutschland erhob das bürgerliche Publikum Anspruch auf neue Sinfonien, Kantaten, Kammermusikwerke und Kirchenmusik. Zehntausende von gebildeten jungen Männern, und Mädchen lernten Klavier, Violine und Cello. Die Streichquartette waren im Rahmen der Hausmusik sehr beliebt.1 Zu den großen Meistern der Vergangenheit zählen Bach und Händel, die drei großen klassischen Komponisten Haydn, Mozart und Beethoven, und in der Romantik Schubert, Dussek, Spohr und Krommer. Die Hausmusik war ein Schlüsselelement dieser Epoche. Die Werke von Schubert wurden wieder entdeckt, und Schumanns Musikstücke wurden sehr populär. Das deutsche romantische musikalische Repertoire untrennbar mit dem Klavier verbunden. Die Klaviermusik war wegweisend. Neben der Klavierliteratur übernahmen die Lieder eine wichtige Rolle, wobei das Klavier als Begleitinstrument fungierte. Daneben wurden in der Hausmusik oder bei der gesellschaftlichen Ereignissen auch die Chorwerke vorgetragen. Die Klavierkammermusik bildete ein breites Spektrum von musikalischem Repertoire.2 Es gab grundsätzlich zwei Arten musikalischer Darbietungen mit Klavier: die Komposition für Klavier zu vier Händen, bei der Frau und Mann oder Geschwister oft zusammen musizierten und die Sonate, bei der das Klavier mit einer Violine oder Cello zusammen spielte. Bedeutend waren auch kleine Streichensembles und Orchester. In den deutschen bürgerlichen Häusern wurden regelmäßig Romane und Gedichte und philosophische Werke vorgelesen. Es bestand große Nachfrage an Kammermusik für Streicher, speziell etablierte sich das Streichquartett. Noch ein Schauplatz der deutschen Musik waren die öffentlichen Konzerte. Fast jede Kleinstadt hatte ein organisiertes Orchester. Der Bedarf an symphonischen Aufführungen war groß, problematisch dabei war die schlechte Verfügbarkeit von Noten für Orchester. Noten waren sehr teuer und es wurde wenig veröffentlicht. Wenn Komponisten keine besondere gesellschaftliche Bedeutung hatten, oder wenn der Anfangserfolg keine außerordentliche Nachfrage erzielte, dann blieb das Orchesterstück oft nur Manuskript, und wurde nicht veröffentlicht. Kantaten und Oratorien hatten die gleichen Umstände. 3 Das 1 Molnár Antal: Brahms, S. 5. Molnár Antal: Brahms, S. 7. 3 Molnár Antal: Brahms, S. 8. 2 3 starke Interesse des deutschen Publikums hat die Komponisten gefordert. Die Komponisten wollten vorzugsweise Symphonien und Oratorien komponieren und orientierten sich sehr an der klassischen Literatur. Natürlich hat auch die Programmmusik mit der Entwicklung der Orchestertechnik seinen Weg gefunden, aber der breite musikalische Rahmen wurde nicht von der musikalischen Struktur bestimmt, sondern von einem nicht musikalischen Thema, das außerhalb der Musik literarisch definiert wurde. Das Repertoire der berühmten Vertreter der Oratorium-Literatur, Bach und Händel wird erweitert durch „Paulus und Elias“ von Mendelssohn, „Das Paradies und die Peri“ von Schumann und das „Deutsche Requiem“ von Brahms. 4 Die romantische musikalische Phantasie wurde nicht vom großen Orchester inspiriert. Die große, umfassende Leidenschaft, Heldentum, der Kampf für Freiheit, die Tragik der Welt stehen weit weg von den Komponisten. Ihre reale Welt sind nun die persönlichen Erfahrungen, Trauer, Freude. Das populäre Klavier hat sich an diese Intimität angeschlossen. Während Mozart nur einen kleineren Teil seiner Werke für Klavier komponiert hat, ist dieses Verhältnis in der Romantik umgekehrt. Die Lieder und liedhaften Zusammensetzungen sind sehr beliebt. Bei Schubert stehen die Lieder im Mittelpunkt. In der Welt von Schumann und Brahms sind die Lieder und die Klavierwerke auch sehr ausschlaggebend. 5In der romantischen Musik dominieren nicht die großen Formen, viel charakteristischer sind Reihen kurzer, detailreicher Musikstücke. Die Romantik ist eine Art von Detailkunst.6 4 Molnár Antal: Brahms, S. 9. Wolfgang Sandberger: Brahms Handbuch, S. 218. 6 Molnár Antal: Brahms, S. 11. 5 4 III. Biographie von Johannes Brahms Hamburg, das Handelszentrum von Norddeutschland kann auf eine reiche künstlerische Tradition zurückblicken. Hier war das erste deutsche Opernhaus tätig. Hamburg hat eine günstige geographische Lage, demzufolge hatte der Hamburger Hafen einen besonders großen Umsatz. Die Stadt entwickelte sich durch den finanziellen Gewinn der Kaufleute. Hamburg zog die Leute mit unterschiedlichem Beruf aus ganz Deutschland an. 7 So ein Einwanderer war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts der aus Nordsachsen stammende Schreiner, Peter Brahms, der sich in der Nähe der Mündung der Elbe angesiedelt hat. 8 „Der alte Peter Brahms war ein rechter passiver, niederdeutscher Träumer, der, wie uns Claus Groth berichtet hat, im Alter am liebsten vor seines Sohnes Wirtschaft saß und ein Pfeiflein schmauchte“ 9Sein Sohn war Johann, der ein Kaufmann war. Dessen Sohn Peter Heinrich, der das Geschäft seines Vaters weiterentwickelt, gründete ein Leihhaus. Sein jüngerer Bruder, Johann Jakob interessierte sich aber nicht für den Handel, er wollte Musiker werden. Die Stadtpfeiferei war die offizielle Musikinstitution der Stadt. Der Leiter der Stadtpfeiferei hat junge Knaben in Musik unterrichtet und organisierte mit ihnen ein Orchester, welches dann an Musikveranstaltungen und festlichen Veranstaltungen teilnahm. Die jungen Musiklehrlinge wohnten zusammen mit ihrem Meister, die bezahlten Geld fürs Studium oder beglichen den Unterricht mit Arbeiten im Haushalt. Sie lernten in der Regel mehrere Musikinstrumente und versuchten die Musik als ihre Profession zu erlernen. Johann Jakob Brahms lernte in solch einer Stadtpfeiferei für fünf Jahre, spielte Geige, Bratsche, Cello, Klarinette und Horn. Seine Lehrer waren Meldorf, Wesselburen und Theodor Müller. Johann Brahms wurde als Lehrling 1825 mit einem richtigen Lehrbrief ausgezeichnet. Er zog dann nach Hamburg, wo er in der Bürger Militär Militärkapelle als Jagdhornist mitwirkte. Neben dem Militärorchester spielte er Unterhaltungsmusik in verschieden Ensembles und wurde schließlich Kontrabassist im Stadttheater-und Philharmonischen Orchester.10 Johann Jakob konnte in immer seriöseren Orchestern spielen und sich damit sein 7 Ludwick Erhardt: Brahms, S. 5. Ludwick Erhardt: Brahms, S. 6. 9 Walter Niemann: Brahms, S. 13. 10 Walter Niemann: Brahms, S. 14. 8 5 Einkommen sichern. Sein zweites Kind, Johannes ist am 7. Mai 1833 geboren. 11Zwei Jahre später ist das dritte Kind, Fritz geboren. Johann Jakob begann Johannes zu lehren in der Hoffnung, dass das Kind in den Kreisen seines Vaters gelangen würde. Es gab kein Klavier im Haus, und Johann Jakob lehrte seinen Sohn auf Instrumenten, die er auch selber spielte. Es war damit zuerst vorgesehen, dass Johannes Cellist oder Geiger werden würde. Als der Vater sah, dass das Kind auch Klavier lernen will,12 brachte er ihn zum Pianisten Johannes Willibald zum Klavierunterricht. Vater Brahms hat die ungewöhnliche musikalische Begabung seines Johannes früh erkannt. Cossel nahm den Unterricht des Jungen an und ihre Beziehung entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer Freundschaft. Brahms war bei Cossel in guten Händen und entwickelte sich sowohl harmonisch, musikalisch, als auch technisch.13 In Hamburg brach ein Feuer aus und zerstörte mehrere öffentliche Gebäude. Danach wurde die Musik in Hamburg in den Hintergrund gedrängt. Cossel sah, dass es für Johannes besser wäre bei Marxen, einem Meister von Altona zu lernen. Cossel ersuchte Marxsen mit den Worten:“Ich kann ihn nicht weiter bringen“14 Nach mehrerem Einreden hat Marxsen den Klavierunterricht von Johannes übernommen, und zwar völlig kostenlos. Marxsen hatte damals großes Ansehen in Altona, er war renommierter Pianist und Pädagoge. Die Tage des Kindes waren wirklich eingeteilt. Wöchentlich besuchte er Marxsen, er hat bei Cossel Klavier geübt, er ging zur Schule und war mit seinem Vater zusammen zur Auftritt gegangen. Er begann zu komponieren, und Marxsen erteilte ihm Unterricht in Musiktheorie. Marxsen lehrte den Jungen nicht mit herkömmlichen Methoden. Sie analysierten die Stücke von klassischen Komponisten, hauptsächlich betreffend Form und Brahms lernte die Kunst der Entfaltung des Themas kennen. Brahms verehrte Marxsen und er schickte alle seine Kompositionen an Marxsen, auch als er schon ein berühmter Komponist war. Es war eine regelmäßige Korrespondenz zwischen ihnen, aber die Briefe sind nicht erhalten geblieben. Nach dem Tod von Marxsen hat Brahms die Briefe zurück gefordert und vernichtet.15 11 Walter Niemann: Brahms, S. 17. Hans Gal: J. Brahms: Werk und Persönlichkeit, S.9. 13 Ludwick Erhardt: Brahms, S. 11. 14 M.Kalbeck: J. Brahms Band I.1. Halbband, S. 26. 15 M.Kalbeck: J. Brahms Band I.1. Halbband, S. 30-31. 12 6 In einem Essay, den La Mara in den Illustrierten Deutschen Monatsheften mitgeteilt hat, schrieb Marxsen über Brahms:„Somit übernahm ich die gänzliche Ausbildung des Jungen. Rastloser Eifer und Fleiß weckten immer mehr mein Interesse, und die ersichtlich großen Fortschritte bestärkten meine Ansicht, daß hier ein außergewöhnliches Talent zum Heil und Segen der Kunst zu bilden sei. Gar gern widmete ich ihm daher auch ohne alle pekuinäre Entschädigung alle erforderliche Zeit. Beim Beginn des Studiums der Theorie zeigte sich ein scharf und tief denkender Geist, und dennoch wurde späterhin das eigentliche Schaffen ihm schwer und erforderte recht viele Ermutigung von meiner Seite. Auch die Formlehre machte viel zu schaffen. Nichtsdestoweniger entwickelte sich das Talent nach meiner Ansicht immer schöner und bedeutender, wenngleich vorderhand noch nichts abgeschlossenes Größere zutage gefördert ward.”16 Johannes Brahms war tief emotional, mitfühlend und sensibel. Er war ein gründliches, denkfähiges Individuum, das zum Philosophieren neigte. Er versteckte seine Emotionen, nicht einmal vor seinen engsten Freunden zeigte er sich offen. Er war extrem intelligent, hatte weitreichende Kenntnisse. Er hat allgemeine Interesse, hat viel gelesen. Hatte viele Freunde unter den Wissenschaftlern. Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit charakterisierten ihn. Er mochte die aufrichtige Naivität, Vortäuschung hatte er nicht gern. Er war ruhig, liebte es in Ruhe zu arbeiten. Er war ein moralischer Mensch, wahrer Christ, aber nicht dogmatisch.17 Es ärgerte ihn, wenn er aufgrund seiner religiösen Werke für einen gläubigen religiösen Komponisten gehalten wurde. Er mochte die ruhige Schönheit der Natur, machte viele Ausflüge und genoss es, in der wunderschönen Natur zu sein. Im Frühling 1847 lud Adolf Giesemann (Freund von Johann Jakob) Johannes nach Winsen an der Luhe ein.18 Dort traf der Junge aus der Stadt zum ersten Mal auf die Schönheit der Natur. Magisches Erlebnisse waren für ihn Wiesen, Bäche, Wälder und diese haben seine Seele für immer gefangen genommen. Dieser Aufenthalt am Lande war lang, weil der Vater des Jungen und seine Lehrer dachten, dass es dem Jungen zugutekommt, an der frischen Luft zu bleiben. So blieb er bei Giesemanns bis zum Herbst. Während des Aufenthalts in Winsen besuchte er weiterhin Marxsen zum Klavierunterricht. Als Chorleiter von Winsen komponierte er nebenbei auch Chorwerke. Im Alter von fünfzehn besuchte er Winsen wieder, blieb aber 16 Max Kalbeck: Johannes Brahms Band 1, S. 32. Molnár Antal: Brahms, S. 15. 18 L. Erhardt: Brahms, S. 25. 17 7 nur kurz dort. Als Erwachsener reiste er im Frühjahr oft nach Italien, im Sommer ins Salzkammergut oder in die Schweiz. In Winsen verbrachte Brahms viel Zeit mit Lesen: Schiller, Lessing, Eichendorff, Hoffmann. Sogar während des Essens ging er diese Leidenschaft nach und es wurde zu einer lebenslangen Gewohnheit.19“ Ich lege all mein Geld in Büchern an, Bücher sind meine höchste Lust, ich habe von Kindesbeinen an soviel gelesen, wie ich nur konnte, und bin ohne alle Anleitung aus dem Schlechtesten zum Besten durchgedrungen. Unzählige Ritterromane hab ich als Kind verschlungen, bis mir die Räuber in die Hände fielen, von denen ich nicht wußte, daß ein großer Dichter sie geschrieben; ich verlangte aber mehr von demselben Schiller und kam so aufwärts“20 Am Hamburger Stadttheater war er Klavierbegleiter. Während er Klavier spielte, hatte er Bücher (statt Noten) vor sich gestellt um zu lesen.21 In seiner Bibliothek waren die Werke von Sophokles, Cicero, Dante, Tasso, Lessing, Goethe, Schiller, Pope und Young. Seine Lieblingsautoren waren E. T. Hoffmann und Jean Paul. Diese Arbeiten hatten einen sehr großen Einfluss auf seine Persönlichkeitsentwicklung. Die entscheidende für ihn waren natürlich die Romantiker. Die große deutsche romantische Generation war im Alter von Brahms nicht mehr am Leben. Deshalb können wir sagen, dass er diese Werke der Poesie wieder entdeckt hat. Die romantische Poesie hatte einen großen Einfluss auf die musikalische Fruchtbarkeit, und auf Liedkompositionen von Brahms. 22 Er hat die warme Vertraulichkeit hoch geschätzt, blieb jedoch sein Leben lang ein Junggeselle. Der Hauptgrund dafür war „die ewige Liebe“, die unsterbliche Liebe. Diese entdecken wir oft in seiner Kunst, in Werken mit und ohne Text. Die große Liebe für Brahms war Schumanns Frau, Clara Wieck. Brahms war 14 Jahre jünger als sie. Brahms hat seine Ehelosigkeit durch die Tatsache gerechtfertigt, dass er in seinen jüngeren Jahren zu arm für eine Eheschließung. Später war er aber zu alt, um eine Familie zu gründen. „Mit dem Heiraten, geht’s wie mit den Opern. Hätte ich schon einmal eine Oper komponiert und meinethalben durchfallen sehen, ich würde gewiß eine zweite schreiben. Zu einer ersten 19 L. Erhardt: Brahms, S. 18. Zitat von Brahms; Renate Hofmann und Kurt Hofmann: Über Brahms, S. 19. 21 L. Erhardt: Brahms, S. 19. 22 W. Sandberger: Brahms Handbuch, S. 219. 20 8 Oper und einer ersten Heirat kann ich mich aber nicht mehr entschließen.“23 Aber dies waren nur Ausreden. Der wahre Grund war, seine Liebe zu Clara Wieck. Es war eine unheilbare Wunde für Brahms, deren Schmerz er für immer in seiner Seele trug. Auf der anderen Seite, interessierte er sich im Alter von 18 nach wie vor er nicht wirklich für die Mädels. Er sagte einmal seinem Freund, Joseph Widmann: „Als ich wohl dazu gehabt hätte, konnte ich es einer Frau nicht so bieten, wie es recht gewesen wäre…In der Zeit, in der ich am liebsten geheiratet hätte, wurden meine Sachen in den Konzertsälen ausgepfiffen oder wenigstens mit eisiger Kälte aufgenommen. Das konnte ich nun sehr gut ertragen, denn ich wußte genau, was sie wert waren und wie sich das Blatt schon noch wenden würde Und wenn ich nach solchen Mißerfolgen in meine einsame Kammer trat, war mir nicht schlimm zu Mute. Im Gegenteil! Aber wenn ich in solchen Momenten vor die Frau hätte hintreten, ihre fragenden Augen ängstlich auf die meinen gerichtet sehen und ihr hätte sagen müssen: es war wieder nichts!-das hätte ich nicht ertragen. Denn mag eine Frau den Künstler, den sie zum Manne hat, noch so sehr lieben und auch, was man so nennt: an ihren Mann glauben- die volle Gewißheit eines endlichen Sieges, wie sie in seiner Brust liegt, kann sie nicht haben. Und wenn sie mich nun gar hätte trösten wollen…Mitleid der eigenen Frau bei Mißerfolgen des Mannes…huh! Ich mag nicht daran denken, was das, sowie ich wenigstens fühle, für eine Hölle gewesen wäre. “ 24 Es gibt verschiedene Meinungen über das Privatleben von Brahms. Eine von ihnen war, dass vielleicht das Klavierspiel in dem nächtlichen Vergnügungslokal einen solchen Einfluss auf ihn hatte oder es war seine Zueignung zur Musik, die ihn durch das ständige Üben am Erfolg des Privatlebens behindert hatte. Eine andere Meinung gibt es von Hans Gal, nämlich, dass Brahms seine Arbeit hatte, seinen Ehrgeiz, seine Träume. Sein Leben begann als Künstler. Als solcher hatte er immer neue Aufgaben und konnte sich nicht auf das private Leben sich konzentrieren.25 Brahms hatte eine treue Freundschaft mit Luise Japha, einer Pianistin, die ihn sehr gut verstand. Sie war die erste echte Künstlerfreundschaft in seinem Leben. Sie verbrachten viel Zeit zusammen, spielten Musik und stritten über die Musik. Johannes besuchte oft die Familie von Luise. 1852 nahmen 23 Zitat von J. Brahms in: Renate Hofmann und Kurt Hofmann: Über Brahms , S. 193; Lebenserinnerungen von Eduard Hanslick 24 Joseph V. Widmann’s Erinnerungen über Brahms in: Max Kalbeck: J. Brahms Band 1; 2. Halbband, S. 330. 25 Hans Gal: Brahms Werk und Persönlichkeit, S. 63. 9 Robert und Clara Schumann Luise Japha in ihre Musikschule auf. Luise musste dafür nach Düsseldorf ziehen. Dies traf Brahms schwer, weil er die Meinung von Luise hochgeschätzt hätte. Die ersten Konzertreisen, erste Freunde In den 1850er Jahren wanderten viele Leute nach Hamburg aus, darunter auch viele Ungarn. Der Geiger Ede Reményi zog auch nach Hamburg, wo er bald Johannes Brahms traf. Ede Reményi war ein guter Geiger. Sie gaben zusammen Konzerte, respektierten einander und wurden Freunde. Bald waren sie untrennbar miteinander, waren in Winsen, wo Reményi die Freunde von Brahms kennenlernte.26 Ihre Freundschaft vorerst dauerte nicht lange, weil Reményi nach Amerika ausgewanderte. Im Jahr 1852 kehrte er unerwartet nach Hamburg zurück. Brahms war sehr froh darüber. Sie gaben ein gemeinsames Konzert in Winsen. Im Repertoire dieses Konzertes waren auch viele ungarische Lieder. Brahms musste dazu die Begleitungen improvisieren. Der Erfolg war groß, so dass die beiden beschlossen, auch in anderen Städten Konzerte zu geben. Als Hauptdarsteller der Konzerte schien Ede Reményi, Brahms war nur Begleiter, seine eigenen Kompositionen hat er bei diesen Gelegenheiten nie gespielt. Unter anderem hatten sie einen Auftritt in Hannover, wo der berühmte Geiger, Joseph Joachim lebte. Reményi kannte ihn aus Wien, wo sie die gleiche Schulklasse besucht hatten. Sie wollten Joachim aufsuchen. Brahms war vor dem Treffen nervös, da Joachim bereits ein berühmter Geiger war. Im Alter von 27 erlebte Joachim bereits eine erfolgreiche Karriere, er war im königlichen Hof von Hannover als Konzertmeister und Solist tätig. Bei dem Zusammentreffen war Joachim von Brahms' Musik sehr beeindruckt und bot ihm an, bei ihm und bei Franz Liszt ein Besuch abzustatten, wenn er die Konzertreise mit Reményi beendet hatte. 27 Der berühmte ungarische Geiger Joseph Joachim sprach von Brahms wie folgt: „Brahms ist ein ganz ausnahmweises Kompositionstalent und eine Natur, wie sie nur in der verborgensten Zurückgezogenheit sich in vollster Reine entwickeln konnte rein wie Demant, weich, wie Schnee.“28 Künstlerisch entdeckte Joachim in seinem Spiel sofort „das intensive Feuer, jene, ich möchte sagen, fatalistische Energie und Präzision des Rhythmus, welche den 26 Hans Gal: Johannes Brahms Werk und Persönlichkeit, S. 10. Hans Gal: Johannes Brahms Werk und Persönlichkeit, S. 10 . 28 Hans A.Neunzig:Johannes Brahms in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, S. 23. 27 10 Künstler prophezeien, und seine Kompositionen“29 Die gemeinsame Konzertreise mit Reményi hatte einen großen Erfolg bei dem Publikum, bis die Polizei von Hannover sie aufforderte, wegen Reményi‘s Beziehungen zu ungarischen Revolutionären, das Königreich zu verlassen. Sie reisten nach Weimar, wo Franz Liszt im Palast von Prinzessin Caroline Wittgenstein wohnte. Dank des Empfehlungsschreibens von Joseph Joachim wurden die beiden im Palast herzlich empfangen. Die Begegnung mit Franz Liszt war aber weniger von Glück begleitet, weil Brahms angeblich einschlief, als Liszt ein Musikstück den Gästen vorführte.30 Dies führte auch zu einer Verschlechterung der Beziehung zwischen Brahms und Reményi. Ihre Wege trennten sich, auch, da Brahms ohnehin nur ein Begleiter von Reményi war und zunehmend im Hintergrund stand. Brahms ging daraufhin nach Göttingen zu Joachim, den er gut kennenlernte und mit dem eine lang anhaltende Freundschaft entstand. Sie waren sehr unterschiedlich, Joachim kannte den Geschmack des Erfolgs schon, Brahms war eigentlich noch unerfahren auf diesem Gebiet. Es war dennoch Brahms erste Freundschaft mit einem angesehenen Künstler. 31 Brahms fasste den Plan, eine Wanderung zu Fuß entlang des Rheintals zu machen. Er brach im August auf und wollte im Oktober in Hannover ankommen, dabei hatte er nur einen Wanderstab und einen Rucksack. In Bonn lernte er den Geigerkünstler Wasielewski kennen, den Joachim gut kannte. Beide ermutigten Brahms, Schumann in Düsseldorf zu besuchen. Schumann war damals Dirigent und lebte etwas zurückgezogen. Er hatte Probleme mit dem Orchester und mit der von ihm gegründeten „Neue Zeitschrift für Musik“, welche die neue deutsche Schule (Nachfolger von Liszt's Anhängern) unterstützte, wovon Schumann abgeneigt war. Zu dieser Zeit wurde die deutsche und europäische Musikszene in drei Gruppen eingeteilt: In Leipzig wollte man Mendelssohn's Traditionen bewahren und ignorierte die progressiven Strömungen. Die andere Gruppe in Düsseldorf strebte unter der Leitung von Schumann, die Beibehaltung der alten Formen und Erweiterung der Mittel der Harmonie und Rhythmus an. Die dritte Gruppe (Anhängern von Franz Liszt) in Weimar 29 Walter Niemann: Brahms, S. 37. Karl Geiringer:Brahms Sein Leben und Schaffen, S. 42. 31 Karl Geiringer:Brahms Sein Leben und Schaffen, S. 44. 30 11 machte die neue deutsche Schule populär. 32 Die Vertreter dieser Schule (Berlioz und Wagner) konfrontierten die traditionellen Formen und traditionelle Stilmittel. Die Begegnung mit Schumann war sehr wichtig für Brahms. Am 30.September macht er seinen Besuch im Hause Schumann. 33 Als Schumann die Sonate in C-Dur von Brahms angehört hatte, stellte er gleich fest, dass er es mit einem Genie zu tun hatte. Brahms traf bei Schumann wieder eine alte Bekannte und Freundin, Luise Japha. Auch Schumanns Freunde wurden mit ihm bekannt, vor allem die Professoren der Düsseldorfer Malerakademie und Albert Dietrich, der zeitlebens zu Brahms‘ engstem Kreis zählen sollte. Sie wurden Freunde und Dietrich führte Brahms in die lokalen Musikkreise ein. Dietrich schrieb über Brahms:„Seine Natur war kerngesund, selbst die ernsteste Geistesarbeit strengte ihn kaum an. Er konnte aber auch zu jeder Stunde des Tages fest einschlafen, wenn er es wollte. Im Verkehr mit seines gleichen war er munter, bis weilen auch übermütig, derb und voll toller Einfälle. Wenn er zu mir die Treppe herauskam, so geschah es in jugendlichem Ungestüm, mit beiden Fäusten pochte er an die Tür und ohne Antwort abzuwarten, stürmte er herein.“34 Brahms Musik und Persönlichkeit hatte einen großen Einfluss auf Schumann, und er bemühte sich, die Karriere des jungen Komponisten zu unterstützen. Kurz nach ihrer Bekanntschaft schrieb Schumann ein Artikel, der in der Neuen Zeitschrift für Musik mit dem Titel „Neue Bahnen“35erschien. Darin hat äußerte sich Schumann, der zu jener Zeit als einer der größten musikalischen Autorität galt, begeistert über die Kunst von Brahms. Der Artikel war eine musikalische Sensation, und hatte auf die ganze Karriere von Brahms einen entscheidenden Einfluss. Auf der nächsten Seite wird dieser berühmte Artikel im Original gezeigt. 32 Constantin Floros: J.Brahms Frei, aber einsam, S.103-105. Karl Geringer: J.B.Sein Leben und Schaffen, S. 48. 34 Albert Dietrich: Erinnerungen an J. Brahms in: Max Kalbeck: J. Brahms Band I. 1. Halbband, S. 117. 35 Neue Zeitschrift für Musik Leipzig, 28. Oktober 1853 33 12 Abb. 1: Robert Schumanns Artikel in der Neuen Zeitschrift für Musik vom 28. Oktober 1853 13 „Es sind Jahre verflossen – beinahe ebenso viele als ich der früheren Redaktion dieser Blätter widmete, nämlich zehn – daß ich mich auf diesem an Erinnerungen so reichen Terrain einmal hätte vernehmen lassen. Oft, trotz angestrengter produktiver Tätigkeit, fühlte ich mich angeregt; manche neue, bedeutende Talente erschienen, eine neue Kraft der Musik schien sich anzukündigen, wie dies viele der hochaufstrebenden Künstler der jüngsten Zeit bezeugen, wenn auch deren Produktionen mehr einem engeren Kreise bekannt sind. Ich dachte, die Bahnen dieser Auserwählten mit dem größten Interesse verfolgend, es würde und müsse nach solchem Vorgang einmal plötzlich einer erscheinen, der den höchsten Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen berufen wäre, einer, der uns die Meisterschaft nicht in stufenweiser Entfaltung brächte, sondern wie Minerva, gleich vollkommen gepanzert aus dem Haupte des Kronion entspränge. Und er ist gekommen, ein junges Blut, an dessen Wiege Grazien und Helden Wache hielten. Er heißt Johannes Brahms, kam von Hamburg, dort in dunkler Stille schaffend, aber von einem trefflichen und begeistert zutragenden Lehrer gebildet in den schwierigsten Satzungen der Kunst, mir kurz vorher von einem verehrten bekannten Meister empfohlen. Er trug, auch im Äußeren, alle Anzeichen an sich, die uns ankündigen, das ist ein Berufener. Am Klavier sitzend, fing er an, wunderbare Regionen zu enthüllen. Wir wurden in immer zauberischere Kreise hineingezogen. Dazu kam ein ganz geniales Spiel, das aus dem Klavier ein Orchester von wehklagenden und laut jubelnden Stimmen machte. Es waren Sonaten, mehr verschleierte Sinfonien – Lieder, deren Poesie man, ohne die Worte zu kennen, verstehen würde, obwohl eine tiefe Gesangmelodie sich durch alle hindurchzieht – einzelne Klavierstücke, teilweise dämonischer Natur von der anmutigsten Form, – dann Sonaten für Violine und Klavier, – Quartette für Saiteninstrumente, – und jedes so abweichend vom andern, daß sie jedes verschiedenen Quellen zu entströmen schienen. Und dann schien es, als vereinigte er, als Strom dahinbrausend, alle wie zu einem Wasserfall, über die hinunterstürzenden Wogen den friedlichen Regenbogen tragend und am Ufer von Schmetterlingen umspielt und von Nachtigallenstimmen begleitet. Wenn er seinen Zauberstab dahin senken wird, wo ihm die Mächte der Massen, im Chor und Orchester, ihre Kräfte leihen, so stehen uns noch wunderbarere Blicke in die Geisterwelt bevor. Möchte ihn der höchste Genius dazu stärken, wozu die Voraussicht da ist, da ihm auch ein anderer Genius, der der Bescheidenheit, innewohnt. Seine Mitgenossen begrüßen ihn bei seinem ersten Gang durch die Welt, wo seiner vielleicht Wunden warten werden, aber auch Lorbeeren und Palmen; wir heißen ihn 14 willkommen als starken Streiter. Es waltet in jeder Zeit ein geheimes Bündnis verwandter Geister. Schließt, die ihr zusammengehört, den Kreis fester, daß die Wahrheit der Kunst immer klarer leuchte, überall Freude und Segen verbreitend.“36 Betreffend die Ausgabe seiner Musikwerke, auf Drängen von Schumann, reiste Brahms nach Leipzig, um sich mit Härtel zu treffen. Der Artikel Neue Bahnen brachte dem jungen Komponisten mit einem Schlag einen Namen, einen Verleger und die aufmerksamste Beachtung in der ganzen deutschen Musikwelt.37 Brahms wurde überall mit Interesse und Respekt empfangen. Seine Angelegenheiten haben sich erfolgreich in Leipzig entwickelt. Sein Bekannten- und Freundeskreis gewann viele berühmte Menschen. Wegen der Ausgabe seiner Werke hat er auch mit Bartholf Senff den Kontakt aufgenommen. Bald danach reiste er wieder nach Leipzig wegen einem im Gewandhaus organisierten Konzert, wo Berlioz seine eigenen Musikwerke dirigiert hat. Liszt hat auch das Konzert besucht. Brahms verbrachte drei Wochen diesmal in Leipzig. Während dieser Zeit hat er mit Liszt den Kontakt aufgenommen. Liszt akzeptierte mit Interesse und Gewogenheit die Kontaktaufnahme. Brahms‘ Sonate in C-Dur hat ihm gefallen. Brahms wollte an den Kämpfen der verschiedenen musikalischen Gruppen nicht teilnehmen. Er wollte neutral bleiben. In Leipzig hat er viele Freunde gewonnen, die Kritik hatte auch gute Meinungen über seine Konzerte geäußert. Als er aus Leipzig nach Hannover zurückkehrte, waren sieben Monate vergangen. Als er Hannover zuletzt vor sieben Monaten verlassen hatte, war er noch ein unbekannter junger Pianist und Komponist. Wieder zurück war er nun als einer jetzt der größten Musikkünstler anerkannt. In der Ausgabe von Verlag Breitkopf und Härtel wurden seine ersten Kompositionen (Op. 1,2,3,4) herausgegeben: Der Verlag Senff hat weitere Musikstücke (Op. 5,6,7) herausgegeben. Unter anderen wurden hier auch Lieder präsentiert. Bereits mit der ersten Ausgabe seiner Werke geriet Brahms in den Mittelpunkt der Musikszene. Seine Erfolge haben aber seine Bescheidenheit und tiefe Selbstkritik nicht geändert. Am 27. Februar 1854 trat die Katastrophe im Leben Robert Schumanns ein: Nervöse Störungen. Er fühlt sich von Geistern verfolgt. Sein gesundheitlicher Zustand verschlechterte sich von Woche zu Woche, von Tag zu Tag. Sein Geist wurde getrübt, und 36 37 Rober Schumann‘s Artikel in der Neuen Zeitschrift für Musik vom 28. Oktober 1853 Hans Gal: Johannes Brahms, S. 12. 15 Schumann versuchte Selbstmord zu begehen. Brahms erfuhr aus der Zeitung über den Zustand seines Freundes, und verließ sofort Hannover, um Schumann zu besuchen.38 Joachim folgte ihm nach. Clara Schumann war völlig bestürzt, blieb mit sechs Kindern zurück, sie benötigte die Nähe ihrer Freunde. Brahms komponierte 1854 Die Variationen über ein Thema von Robert Schumann.39 Er wollte damit den Schmerz von Clara lindern und begann Schumanns Bücher und Noten zu ordnen. Der Patient hat sich in Endenich erholt, sein Zustand zeigte eine Besserung. Die Ärzte erlaubten ihm, Briefe auszutauschen. Es war eine häufige Korrespondenz mit Brahms. Clara hatte seit langem geplant, mit der Familie irgendwohin zu ziehen, weil ihr Heim zu eng war. Brahms zog mit der Familie. Zu der Zeit komponierte Brahms nur wenig. Es gab mehrere Gründe dafür. Einerseits wusste er, dass er nicht ganz gut im Komponieren von Orchesterwerken war, andererseits fühlte er sich für Schumanns Neue Zeitschrift verantwortlich. Er fühlte, dass er sich keine mittelmäßigen Werke erlauben konnte und begann „Die Kunst der Fuge“ von Bach, die Werke von Orlando di Lasso, Palestrina und Marcello zu studieren. Anfang 1856 verschlechterte sich der Zustand von Schumann, die Krankheit überwältigte ihn so sehr, dass er hat mit der Korrespondenz aufhörte. Seine Situation war hoffnungslos. Brahms zog nach Hamburg. Seine Kritiker wiesen darauf hin, dass er die von ihm vorgetragene Musik für wichtiger hielt, als seine Virtuosität zu zeigen Um 1856 veröffentlichte der Verlag Breitkopf und Härtel vier Klavierballaden von Brahms (Op. 10). Einzigartig ist, dass die Stücke Untertitel haben, was bei Brahms nicht typisch ist, da er seine Instrumentalwerke nicht mit einem Programm verbindet. Der Untertitel von Ballade Nr. 1. lautet: Nach der schottischen Ballade Edward-in Herders Stimmen der Völker. Unter keinen Umständen darf dies als Programmmusik gesehen werden, Brahms war lediglich vom Werk Herders inspiriert. 40 Im Sommer 1856 ist Robert Schumann gestorben. Nach einem langen, zweieinhalb schmerzhaften Jahren war das eine Art von Erleichterung für seine Familie und Freunde. Clara, ihre Kinder, Brahms und seine Schwester reisten daraufhin in die Schweiz auf 38 Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S 53. Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S 55. 40 Max Kalbeck: Johannes Brahms Band 1. 1. Halbband, S. 192. 39 16 Urlaub. Die Ruhepause war gut für sie. 41 Um 1857 Brahms reiste nach Detmold, wo er seine erste Stellung antritt. Nach einem Probespiel wird er für die Monate September bis Dezember an den Fürstenhof nach Detmold berufen. Die Stellung erschöpfte darin, dass Brahms der musikliebenden Prinzessin Friderike Klavierunterricht erteilt, den Hofchor leitet und in den Hofkonzerten als Pianist auftritt. Dieser Aufenthalt in Detmold war sowohl fachlich, als auch finanziell vorteilhaft für Brahms Leben.42 Zahlreiche Chorwerke, zwei Serenaden (Op. 11 und 16), und das Streichquartett Op. 18 komponierte er in Detmold. Er schrieb auch ein Stück mit dem Titel Variationen über ein ungarisches Lied, was auf die Beziehung von Brahms zur ungarischen Musik hinweist, die offenbar sehr von seinem Freund Ede Reményi geprägt wurde.43 Brahms beendete sein D-Moll-Klavierkonzert. Beim Komponieren erhielt er Unterstützung von Joachim und Grimm. Das Musikwerk erklang zum ersten Mal in Hannover in einer privaten Veranstaltung. Dank der Instruktionen seiner Freunde erzielte die Orchestrierung einen positiven Eindruck auf das Publikum, Brahms war damit auch zufrieden. Darauf begann er mit der Komposition eines Oktetts. Auf die Einladung von Grimm reiste Brahms nach Göttingen, wo er Agathe von Siebold traf und hat sich in sie verliebte. Sie waren zusammen glücklich, aber Brahms wollte sich nicht verpflichten, und heiratete Agathe nicht. Ihre Trennung war stürmisch. In 1859 verließ Brahms Göttingen, wandte sich44wichtigeren Angelegenheiten zu und organisierte die Aufnahme des Klavierkonzerts in D-Moll ins Konzertprogramm von Hannover. Das Konzert wurde am 22. Januar veranstaltet, Brahms spielte am Klavier und Joachim war der Dirigent. Das Publikum verehrte vielmehr die Begabung und künstlerische Klavierspiel des Komponisten, weniger die Komposition selber. Viele fanden das Werk unverständlich und anstrengend. Die Neuheit lag in der Verbindung zwischen Klavier und Orchester. Das Musikwerk wurde als: „Symphonie mit Klavierobligat“bezeichnet. Die virtuosen Effekte 41 Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 61-66. Max Kalbeck: Johannes Brahms Band 1. 2. Halbband, S. 305. 43 Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 40. 44 Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 68. 42 17 fehlten in dem Stück, Solist und Orchester waren gleichrangig.45 Fünf Tage später wurde das Klavierkonzert in D-Moll in Leipzig aufgeführt, wobei das Stück eindeutig erfolglos war. Brahms wusste damals die Ursachen des Scheiterns nicht. In Leipzig waren zwei gegensätzliche musikalische Gruppe tätig. Brahms gehörte zu keinem von ihnen, und daher war er ein leichter Zielpunkt für diese Leute. Trotz des Scheiterns von Leipzig wollte Joachim unbedingt Brahms helfen, damit er sein neues Stück auch in Hamburg spielen konnte. Bei dem Konzert traten auch Stockhausen und Joachim auf. Brahms erschien vor dem Publikum diesmal nicht als Pianist, sondern als ein großer Komponist. Er hatte Erfolg. In Hamburg hatte er viele Verehrerinnen. Brahms reiste wieder nach Detmold zurück. Er war bereits gut in die lokale Gesellschaft integriert. Aber sein Verhalten ergab sich vielleicht aufgrund seiner Unzufriedenheit. Es war oft mürrisch und seine Manier war grob. Diese Art von Verhalten ergab sich vielleicht von Unzufriedenheit. Er konnte in Detmold nicht seine eigenen Stücke aufführen. Der Hof war zu klein für den Vortrag von monumentalen Chorwerken (Bach, Händel). In Hamburg beschäftigte sich Brahms gern mit der Leitung eines Frauenchores. Dort lernte er Bertha Porubszky, das Gründungsmitglied des Chores kennen. Bertha stammte aus Wien und Brahms beschäftigte sich mit den Gedanken, durch ihre Beziehung nach Wien zu ziehen. Eine Liebe brach zwischen ihnen aus, die in Richtung Eheschließung deutete. Aber Brahms wollte sich nicht verpflichten und wich wieder von der Entscheidung zurück. Bertha reiste alleine nach Wien zurück, und wurde bald mit Arthur Faber verheiratet. Brahms hatte eine gute Freundschaft mit den Fabers unterhalten, und widmete sein Wiegenlied dem zweiten Kind der Familie Faber.46 Im Mai 1860 reiste er mit Clara nach Düsseldorf. Sie trafen dort viele ihrer Freunde, unter anderen Joachim, Hausen, Dietrich, und Hiller. Auf Wunsch von Dietrich verbrachten sie den Sommer in Bonn, wo Brahms sich mit Simrock befreundete. Simrock war ein Mitinhaber eines Verlages. Er wurde der wichtigste Herausgeber, Hauptfinanzberater und Vertrauter von Brahms. Der Komponist komponierte sein Streichsextett in B-Dur (Op. 18), welches ein wichtiges Musikstück seiner Kammermusikwerke wurde. Clara Schumann 45 46 Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 72. Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S.75-76. 18 hatte eine sehr gute Meinung davon und Brahms selber schätzte dieses Werk sehr. Es war das erste Werk von Brahms, bei dem auch Joachim keine Änderungen vorschlug. Im Jahr 1861 wurde das Streichsextett vorgetragen.47 Das Konzert war ein großer Erfolg und wurde drei Mal wiederholt. Simrock gab das Stück innerhalb eines Jahres heraus und die Ausgabe wurde später sehr nachgefragt. Brahms wurde in Hamburg zunehmend geehrt und gab viele Konzerte. Dadurch stieg die Bindung an Hamburg, aber auch in Wien erregte er Aufmerksamkeit. Eine ausgezeichnete Gelegenheit ergab sich im Zusammenhang mit der Position des Leiters der Hamburger Philharmoniker und Singakademie, Wilhelm Grund, dessen Rücktritt sich aufgrund seines Alters abzeichnete. Brahms war jedoch nicht der einzige Kandidat für diese Position, und an seiner Stelle wurde sein Freund, der talentierte Sänger, Stockhausen für diese Position gewählt. Brahms war enttäuscht. Im Jahr 1861 komponierte Brahms die Variationen und Fuge über ein Thema von Händel (Op. 24). Dies ist einer der beliebtesten und schönsten Klavierwerke von Brahms. Clara Schumann war die erste, die dieses Werk öffentlich spielte.48 Darin können wir die Merkmale seines Musikstils, und die Stilmittel seines Klavierspiels erkennen. Die typische Atmosphäre des Werkes ist lustig, anders als die meisten Werke des Komponisten. Mit diesem Stück hatte Brahms eine Reihe von erfolgreichen Konzerten. In der Neuen Zeitschrift für Musik erschien eine Reihe von Artikel über Brahms‘ Werke, die bisher nicht herausgegeben worden sind. Die Veröffentlichung des Artikels hatte eine sehr gute Wirkung auf Brahms Stellenwert in Deutschland.49 Zu dieser Zeit begann man auch in New York Brahms‘ Musik aufmerksam zu verfolgen. Seine kleineren und größeren Werke wurden mit großem Erfolg vorgetragen. Insbesondere populär war in Amerika seine Kammermusik. Im Jahr 1862 reiste Brahms mit Dietrich nach Köln zu den Niederrheinischen Musikfesten. Hier lernte er Louise Dustmann, Sängerin der Wiener Oper kennen. Dieses Treffen bekräftigte seine erneute Absicht, nach Wien zu reisen, was er im selben Jahr auch tatsächlich machte und dabei sogleich neue Freunde kennen lernte. Einer davon war Julius Epstein, ein ausgezeichneter Pianist und Lehrer. Epstein unterstützte Brahms, indem er in 47 Max Kalbeck: J. Brahms Band 1. 2. Halbband, S. 423. Max Kalbeck: J. Brahms Band 1. 2. Halbband, S. 461. 49 Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 84. 48 19 seinem Haus eine Anhörung der zwei Klavierquartetten von Brahms mit der Zusammenarbeit von Hellmesberger-Streichquartett organisierte. Eine andere herausragende Persönlichkeit im Musikleben von Wien war Josef Hellmesberger. Früher war er der Leiter der Gesellschaft der Musikfreunde, welche das ganze Wiener Musikleben beeinflusst hatte. Seine Bekanntschaft mit Hellmesberger hat Brahms Aufenthalt in Wien ebenso positiv beeinflusst. Er gab ein Konzert mit Hellmesbergers Streichquartett. Brahms nahm an verschiedenen Empfängen und an mehreren Konzerten an verschiedenen Orten teil, und baute so eine Karriere auf.50 Die Wiener Kritiker äußerten positive Meinungen über die Variationen, weniger auf Gefallen stieß das Klavierquartett. Die Serenade in DDur war ein großer Erfolg. In Wien traf sich Brahms zum ersten Mal mit Wagner. Brahms sprach mit großen Respekt über Wagners‘ Musik, er wusste einige Werke von Wagner auswendig. Die Ansichten des Wagnerkritikers Eduard Hanslick über Brahms waren sehr positiv, viel mehr, Hanslick äußerte begeistertes Lob für Brahms. Der Aufenthalt in Wien dauerte acht Monate. Diese Periode hatte einen sehr guten Einfluss auf seine professionelle Entwicklung. Danach reiste Brahms nach Hamburg zurück, besuchte auf dem Weg in Hannover seinen Freund, der ihn Amelie Weiss, seine Verlobte vorstellte. Diese sang später jahrelang hervorragend die Brahms-Lieder. Brahms wollte nach der anstrengenden Zeit in Wien eigentlich entspannen, er wurde aber bald mit einem Stellenangebot aus Wien aufgesucht. Der Direktor und Leiter der Singakademie war gestorben und man wollte Brahms für diese Stelle engagieren. Er zögerte, weil er seine Unabhängigkeit nicht aufgeben wollte. Leider war aber die Möglichkeit der Hamburger Position nicht mehr offen für ihn, so beschloss er, die Arbeit in Wien zu übernehmen.51 Das Repertoire der Singakademie und die Qualität der Konzerte waren sehr schwach. Nach harter Arbeit organisierte er erfolgreiche Konzerte. Er bezeugte, dass er gute Fähigkeiten zum Dirigieren hatte. Diese Aufgabe erforderte viel Energie von ihm, er konnte keine Lehrlinge aufnehmen um mehr zu komponieren. Die folgenden Konzerte waren nicht überragend erfolgreich, trotzdem wurde ihm eine Verlängerung seines Vertrages angeboten. Brahms lehnte ab. Es gab mehrere Gründe dafür: er hatte nicht genug Zeit zu komponieren, er wollte nicht durch die Arbeit an Wien gebunden sein und, er hatte keine Chance die Freiheit der Reisen genießen. Außerdem wollte er seinen Eltern helfen, die in einer 50 51 Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 85. Hans Gal: Johannes Brahms, S. 17. 20 schwierigen Lage waren. Er hat seine Mutter und Schwester finanziell unterstützt, so sehr er konnte. Aufgrund dieser Umstände beschloss Brahms, aus Wien auszuziehen.52 Im Jahr 1864 zog Clara Schumann nach Lichtental, in der Nähe von Karlsruhe. Diese Umgebung war ein blühendes Kunstzentrum. Brahms kam zu besuch, und wurde hier in den kommenden Jahren Stammgast. Er traf seine alten Freunde, und lernte neue kennen. Brahms fühlte sich hier hervorragend, er komponierte viel, unter anderem das Trio in EsDur für Horn, Violine und Klavier. Das F-moll Quintett erlangte nun seine endgültige Gestalt, ein zweites Streichsextett reifte heran und eine ganze Reihe von Liedern wurden in dieser Zeit vollendet und an den Verleger geschickt. Er beschäftigte sich mit der Skizze von neuen Ideen und überarbeitete seine früheren Werke.53 Im Herbst reiste er nach Wien zurück, da er keinen Anlass mehr sah, nach Hamburg zu ziehen. Nichts band ihn an Hamburg. In Wien konnte er in einer ruhigen Atmosphäre viel Zeit dem Komponieren widmen. Im Jahr 1865 musste sein Bruder ihn benachrichtigen, dass ihre Mutter verstorben war. Der Tod der Mutter berührt den Komponisten tief, der sich seinen Verwandten zeitlebens eng verbunden Fühlte. Nach dem Tod seiner Mutter komponierte er den ersten Satz des Deutschen Requiems, das er per Post an Clara schickte. Zu dieser Zeit komponierte er auch den Liederzyklus Die schöne Magelone Op. 33 Brahms verteilte sie auf zwei Hefte zu je drei Nummern und ließ sie unter dem Titel „Romanzen aus Tiecks Magelone“54 Den Sommer verbrachte er in Baden-Baden, komponierte viel und gab viele Konzerte. Für seine finanzielle Situation war es erforderlich, viele Konzerte aufzuführen. Nach einer Konzertphase gab sich Brahms völlig ins Komponieren des Deutschen Requiems hin. Seit langem wollte er schon an diesem Werk arbeiten, die Skizzen waren schon seit fast einem Jahr fertig. Er reiste in die Schweiz, um sich nur dem Komponieren zu widmen. In der Gesellschaft rund um ihn waren ein Dichter und ein Chirurg. 55 Clara hatte positive Meinungen über die ersten gespeilten Teile des Requiems. Joachim war nicht mehr am dem königlichen Hof in Hannover tätig, weil dieser nicht mehr existierte, seit König Georg seinen Thron verloren hatte. Joachim begann eine Konzerttour mit Brahms. 52 Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 99. Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 104. 54 Max Kalbeck: J. Brahms Band 1. 2. Halbband, S. 439. 55 Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 107. 53 21 Die religiösen Überzeugungen von Johannes Brahms sind schon früh Gegenstand von Diskussionen und Spekulationen gewesen.56 Nach Max Kalbeck sehen wir ein Bild vom religiösen Brahms, aber im Text Eines Deutsches Requiems der ausdrückliche Hinweis auf Christus fehlt. Brahms wollte das Deutsche Requiem nicht mit der Liturgie verbinden, deshalb hatte das Werk den Titel Ein Deutsches Requiem bekommen. In seinem Brief an Karl Reinthaler können wir erfahren, was er über den Text des Requiems dachte: „…Was den Text betrifft, will ich bekennen, daß ich recht gern auch das „Deutsche“ fortließe und einfach den „Menschen“ setzte, auch mit allem Wissen und Willen Stellen wie z. B. Evang. Joh. Kap. 3 Vers 16 entbehrte. Hinwieder habe ich nun wohl manches genommen, weil ich Musiker bin, weil ich es gebrauchte, weil ich meinen ehrwürdigen Dichtern auch ein „von nun an“ nicht abdisputieren oder streichen kann.“57 Jedoch wollte Brahms die ersten drei Titel bereits im Dezember in Wien vorführen. Das Musikwerk wurde nicht verstanden, zudem spielte ein Schlagzeuger zu laut, und drückte das ganze Orchester nieder. Brahms dachte, dass er sich über das Werk von seinem alten Lehrer, Marxsen beraten lassen sollte. Er reiste zehn Tage vor der Uraufführung des Requiems nach Bremen. Das Werk wurde dort am 10. April 1868 mit großem Erfolg uraufgeführt. Clara Schumann schrieb folgendes in ihrem Brief über das Konzert:„…Am Karfreitag die Aufführung des Requiem, außerdem sang Frau Joachim eine Arie aus Messias von ihrem Manne auf der Geige begleitet wunderschön, so schön, wie ich sie noch nie gehört. Mich hat dieses Requiem ergriffen, wie noch nie eine Kirchenmusik….“58 Es wurde als Meisterwerk bezeichnet. Auf Vorschlag von Marxsen hatte Brahms auch den fünften Satz mit einem Sopran-Solo versehen.59 Er hatte das Werk sorgfältig auf die Herausgabe vorbereitet. Nach dieser Aufführung wurde Brahms berühmt und erlangte einen guten Ruf in ganz Europa. Seine finanzielle Situation stabilisierte sich, er brauchte keine Konzerte mehr zu geben. In Wien wurde das Requiem zum ersten Mal im Jahr 1871 aufgeführt. Im selben Jahr erklang es in London, ein Jahr später in Berlin, in München und in Paris.60 Trotz beruflicher Erfolge war Brahms nicht glücklich. Er lebte zurückgezogen, vielleicht wegen Clara Schumann. Es gab Dissonanzen zwischen Brahms und Clara. Frau Schumann 56 Wolfgang Sandberger: Brahms Handbuch, S. 128. Brahms‘ Brief an Karl Reinthaler, Wien, 9. October 1867 58 Renate Hofmann und Kurt Hofmann: Über Brahms, S. 43. 59 Ludwick Erhardt: Brahms, S. 182. 60 Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 114. 57 22 fühlte sich von Brahms‘ Benehmen verletz. Eine „große Mauer“ zwischen beiden erreichtete.61 Claras Welt war die künstlerische, aristokratische Umgebung, während Brahms sich mit den einfachen Menschen, mit denen er aufgewachsen war, wohl fühlte. Sie waren voneinander entfremdet, was Brahms sehr bedrückte. Er fühlte sich schuldig, was ihn auch melancholisch machte. Ihre Beziehung wurde auch dadurch erschwert, dass Brahms in Claras Tochter, Julie verliebt war.62 Julie verlobte sich später mit einem Grafen. Zu dieser Zeit schrieb Brahms den Liebeslieder Zyklus.63 Einen neuen Einfluss auf Brahms Musik hatte der Deutsch-Französische Krieg. Bisher beschäftigte er sich nicht mit der Politik, aber jetzt begann er sich auf die Idee des Patriotismus zu konzentrieren. Anschaulich beobachtete er die Ereignisse aus Wien. Er schrieb in seinem Brief an Johann Jakub: „Jetzt bin ich in Salzburg geblieben und warte begiereig darauf, daß die Franzosengute Schläge kriegen. Ich höre, daß in Hamburg auch viel Soldaten sind und alle Leute Einquartierung haben, die 300 Mark Miete bezahlen. Nun laß mich jedenfalls jetzt gleich hören, wie es euch geht.[…]Heute ist die erste Siegesnachricht gekommen. Ob Ihr da oben wohl auch etwas erlebt?Ich möchte gar zu gern in Deutschland jetzt sein; man ist hier so draußen und es geht einen doch an.Kann man auch nicht mitschießen, so möchte man doch die Soldaten-Landsleute sehen und zu Hause sein, wenn Sieg verkündet wird.“64 Mit tiefer Anteilnahme wegen des Krieges zwischen Deutschland und Frankreich, und mit unbegrenzter Verehrung für Bismarck, komponierte Brahms das Triumphlied, welches im 5. Mai 1871 in Karlsruhe uraufgeführt wurde. Das Werk wurde bald in ganz Deutschland bekannt. Kritiker lobten dieses Stück, es wurde auch Siegeshymne genannt. Ab diesem Triumphlied wurde Brahms als der größte deutsche Komponist betrachtet. Er erfreute sich großer Beliebtheit und wurde eine prominente Figur der deutschen Musik.65 Etwa in die gleiche Zeit wie das Triumphlied fällt auch die Vollendung des schon drei Jahre zuvor begonnenen Schicksalsliedes. In Frankreich aber gab es keine Sympathie für Brahms, weil 61 Karl Laux: Der Einsame, S. 223. Ludwick Erhardt: Brahms, S. 186-187. 63 Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 118.-119. 64 Brief Von Johannes Brahms an Johann Jakub Salzburg, 5. August 1870 65 Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 120-121. 62 23 dort veständlicherweise eine anti-deutsche Stimmung herrschte.66 Clara Schumann arbeitete vergeblich daran, die Werke von Brahms in französischen Konzerthallen populär zu machen. In Frankreich begann ebenso der nationalistische Geist dominieren, die deutsche Musik wurde abgelehnt. Wagners Lohengrin scheiterte im Jahre 1861 in Paris, Boulanger organisierte eine Demonstration gegen die Aufführung von Lohengrin. Die Leitung der Oper hatte das Konzert abgesagt.67 Trotz all dieser anti-deutschen Bemühungen, hat sich ein Wagner-Kult in Frankreich verbreitet. Brahms hingegen geriet in den Hintergrund und die schlechte Meinung über ihn blieb erhalten. Seine Musik wurde auch als zu "nordisch" bezeichnet. Christian Martin Schmidt schrieb in seinem Buch:“ Das Bewußtsein der mangelnden Sprachkentnisse war einer der Hinderungsgründe für Brahms, sich in Ländern, in denen man Deutschkenntnisse nicht voraussetzen konnte, dem Publikum zu präsentieren.“68 Populärer hingegen war seine Musik in Amerika, wo viele deutsche Musiker tätig waren, und europäische Konflikte hatten dort keine Auswirkungen auf die Kunstfragen. England war das einzige europäische Land, in dem Brahms Werke ständig in den Konzertsälen aufgeführt wurden. Freunde von Brahms förderten dort die Popularität, indem sie mit seinen Werken in London auftraten.69 Im Winter 1871-1872 siedelte Brahms schließlich nach Wien. Er mietete drei Zimmer im dritten Stock der Karlsgasse 4, und blieb über 25 Jahre in der Wohnung bis zu seinem Tode.70 Kurz nachdem Umzug nach Wien, im Februar 1872 verstarb sein Vater. Den Sommer verbrachte er, wie früher, in Lichtental. Für die Saison 1872/73 wurde ihm die Stelle als Direktor der Gesellschaft der Musikfreunde angeboten. Er nahm das Angebot an, mit der Aufgabe, sechs Konzerte zu organisieren, die Konzerte zu dirigieren und den Chor zu unterrichten. Er verbrachte drei Saisons bei der Gesellschaft der Musikfreunde als Direktor was auch der erfolgreichste Zeitraum des Instituts war. Oft stellte er ins Programm Bach und Händel Werke, und achtete sehr auf den authentischen Aufführungsstil. Die Mitglieder des Orchesters verehrten den neuen Dirigenten außerordentlich, er führte seine Arbeit gewissenhaft durch, aber die Vorbereitung der Konzerte verlangte so viel Arbeit von ihm, dass wieder keine Zeit zum Komponieren blieb. 66 Max Kalbeck: Brahms. Band 3. 1. Halbband, S. 47. Ludwick Erhardt: Brahms, S. 195 68 Christian Martin Schmidt: Brahms, S. 63. 69 Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S.138-139. 70 Karl Laux: Der Einsame, S. 247-248. 67 24 Nach dem letzten Konzert der Saison verschwand Brahms einfach, ohne, jemanden seine Adresse zu hinterlassen.71Er reiste nach Tutzing bei München. Hier konnte er wirklich viel komponieren und er beendete zwei Streichquartette, Op. 51(in C-Moll, A-Moll). Diese wurden noch im selben Jahr von Simrock herausgegeben. In Tutzing hatte er ein weiteres Stück bei sich: Variationen über ein Thema von Haydn. Davon komponierte er zwei Versionen: Eine für zwei Klaviere und eine Orchester-Version. In der letzteren können wir feststellen, dass er die Orchestrierung viel besser durchgeführt hat, als früher. 72 Er reiste nach Wien zurück, er sah es als seine Pflicht, zurückzukehren. In diesem Jahr wurde die Weltausstellung in Wien veranstaltet, die das Publikum aus ganz Europa anzog. Die neue Saison in der Gesellschaft der Musikfreunde brachte viel Erfolg und Zufriedenheit für Brahms. Er hatte aber wieder keine Zeit, zu komponieren. 1874 erhielt er den Maximiliansorden von König Ludwig II. Er erhielt eine Menge von Konzerteinladungen aus verschiedenen Orten. Bei dieser Gelegenheit kommt er mit seiner ehemaligen schönen Schülerin Elisabeth v. Stockhausen zusammen. Danach reiste er in die Schweiz, um den Sommer dort bei seinen Freunden zu verbringen und erholte sich am Züricher See. Dort lernte er den Dichter J.V. Widmann aus Bern kennen. In späteren Jahren war der Bund zwischen beiden Künstlern sehr innig.73 Er hatte viele Musikstücke (z.B.: Op. 61,62,63,64,65) komponiert, welche später von Simrock, dem exklusiven Herausgeber des Komponisten veröffentlicht wurden. Simrock versuchte, Brahms zur Komposition einer Symphonie zu überreden. Niemand wusste davon, dass Brahms am Züricher See den ersten Satz einer Sinfonie mit ihm war, welchen er vor vielen Jahren komponierte. Wieder zurück in Wien, begann Brahms seine dritte Saison bei der Gesellschaft der Musikfreunde. Sein Vorgänger, Johann Herbeck wollte zu seiner früheren Position zurückkehren, welche Brahms übernommen hatte. Daraufhin beschloss Brahms, seinen Rücktritt einzureichen. Er hatte wertvolle Erfahrungen im Laufe der Jahre in dieser Position gesammelt. Im Jahr 1875 wurde er zum Mitglied von dem österreichischen Unterrichtsministerium in 1863 ins Leben gerufenen Kommission für Erteilung von Künstlerstipendien an mittellose, talentvolle Künstler. Brahms war auf die Arbeiten eines Bewerbers aufmerksam geworden, der Antonin Dvořák war, dem Brahms das Stipendium 71 Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 124-128. Karl geiringer: J. Brahms, S. 129. 73 Karl geiringer: J. Brahms, S. 132-133. 72 25 sofort verschafft.74 Brahms hatte auch später Dvořáks Karriere verfolgt, sogar bis zu seinem Tod waren sie gute Freunde. 75 1875 Brahms verbrachte den Sommer in der Nähe von Heidelberg. Hier stellte er das Klavierquartett C-Moll Op. 60 in seiner endgültigen Form fertig. Ursprünglich war die Tonart in Cis-Moll, er in einer Überarbeitung auf C-Moll änderte. Das Musikstück wurde durch ein Scherzo ergänzt, was eine Änderung des letzten Satzes bedeutete.76 Schließlich wurde das Stück im Jahr 1875 von Simrock herausgegeben. Am Ende dieses Jahres zum ersten Mal in Wien aufgeführt. Inzwischen war das englische Publikum von Brahmsscher Musik sehr begeistert. Bei mehreren Gelegenheiten wurde er eingeladen Konzerte zu geben, ist aber nie nach England gereist. Die Gründe sind unbekannt. Vermutet wird, dass er aufgrund seiner unzureichenden Sprachkenntnisse oder wegen seiner Angst vor der Seereise die Reise nicht unternommen hat. Karl Geiringer schrieb, dass Brahms Angst vor der Seekrankheit hatte, und von Clara Schumann mochte er manchen schaurigen Bericht von Unwettern bei der Farht über den Kanal erhaltet hatte77 In der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre hatte Brahms viele Konzertreisen. Er war vor allen Seiten eingeladen, seine eigenen Werke zu dirigieren. Er reiste nach zahlreichen Städten. Im Sommer 1876 arbeitete Brahms an seiner ersten Symphonie. Im November wurde dieses Musikwerk in Karlsruhe aufgeführt und von der Kritik78 positiv begrüßte. Mehrere Artikel erschienen über die Symphonie. Hanslick schrieb in der Neuen Freien Presse, dass dieses Musikwerk gleichartig mit Beethovens Werken aus der letzten Periode ist.79 Die Symphonie Nr. 2 (D-Dur, Op. 73) entstand kurz nach Symphonie Nr. 1 in vielerlei Hinsicht ist sie das Gegenteil und die Ergänzung der ersten Symphonie. Brahms war in Pörtschach, als er begann sie zu komponieren. Dieses Dorf mit schöner Lage befindet sich am Wörthersee, wohin der Komponist dann regelmäßig wiederkehrte. Diese zweite Symphonie hat eine fröhliche, sonnige und heitere Atmosphäre. Oft wird sie mit Beethovens Pastorale Symphonie verglichen. Die Uraufführung fand im Dezember 74 Max Kalbeck: Brahms Band 3. 1. Halbband, S. 154. Renate Ulm: J. Brahms Das Symphonische Werk Entstehung, Deutung, Wirkung, S. 11. 76 Ludwick Erhardt: Brahms, S. 222-223. 77 Karl Geiringer: Brahms, S. 138. 78 Karl Geiringer: Brahms, S. 142. 79 Siehe Fußnote 99. 75 26 Dezember 1877 in Wien statt. Ein französischer Musikschriftsteller nannte das Werk Wiener Symphonie.80 1878 wurde sie von Simrock herausgegeben. Zwischen den beiden Symphonien komponierte Brahms Lieder, die er an Clara schickte, um ihre persönliche Meinung zu bekommen. Er schrieb an Clara:„…Ich möchte nämlich meine Lieder herausgeben und hätte gar zu gern, Daß Du sie vorher einmal durchspieltest und mir ein Wort sagtest. Am liebsten säße ich freilich bei Dir-aber nach Düsseldorf konnte ich doch nicht, und Berlin hat auch sein so-so.“81Clara schrieb eine detaillierte Stellungnahme über jedes Lied. Sie erteilte Vorschläge an Brahms, welche Lieder er herausgeben lassen sollte, und welche nicht. Die 1. Violinsonate wurde (auch in Pörtschach)in nur wenigen Monaten fertig. Brahms hatte keine Erfahrung auf dem Gebiet des virtuosen Geigenspiels, so bat er seinen Freund Joachim, seine Vorschläge hinzuzufügen, während das Stück komponiert wurde. Brahms akzeptierte jedoch in mehreren Fällen die Vorschläge von Joachim betreffend die technisch schwierigen Teile nicht. Die Uraufführung fand im Januar 1879 in Leipzig statt.82 Im Herbst 1879 hatte Brahms mit Joachim eine Reise nach Ungarn, wo er sehr viele interessante Eindrücke bekam. Anfang 1880 besuchte der Komponist Krefeld, wohin er später mehrmals zurückkehrte. Hier sammelte er neue Freunde. Zu Ehren seines Besuches wurde ein besonderes Konzert organisiert. Das Repertoire enthielt die Alt-Rhapsodie, die 2. Symphonie, und das Triumphlied. Er versprach Joachim, später eine Konzertreise zu machen. 83 Im Sommer reiste er nach Bad Ischl. Dort komponierte er die zwei Ouvertüren: Op. 80 und Op. 81, die Akademische Festouvertüre und die Tragische Ouvertüre. Die Akademische Festouvertüre entstand anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Brahms durch die Universität von Breslau am 11. März 1879. Beide Ouvertüren haben eine gemeinsame Veröffentlichung, und es gibt inhaltliche Beziehungen: sie sind die einzigen Instrumentalstücke von Brahms mit programmatischem Hintergrund. Für die Op. 80 kommt die Programmatik aus der Genese. Beide Werke ergänzen einander und bedingen 80 Karl Laux: Der Einsame S. 273. Brahms‘ Brief an Clara Schumann in Wien, den 42. April 1877 82 Karl Geiringer: Johannes Brahms, S. 145. 83 Karl Geiringer: Johannes Brahms, S. 152. 81 27 sich gegenseitig.84Johannes Brahms schrieb so an Carl Reinecke über die Ouvertüren: „Ich bin bis 6. Januar in Breslau und führe dort zwei Ouvertüren auf. (Die eine weint, die andere lacht.) Falls Ihnen diese zufällig für den 13. Januar passen sollten, so würde ich das Vergnügen haben können, sie Ihnen vorzuführen. Es bleibt Ihnen dann genügend Platz für Besseres, das zu hören sehr erfreuen wird Ihren ganz ergebenen J.Brahms.“85 Im Oktober 1881 besuchte Brahms Meiningen, wo im Hof von Georg II, Hans von Bülow Musikdirektor war. Bülows äußerst genaue Arbeit mit dem Orchester erweckte die Aufmerksamkeit von Brahms. „Legendär wurde vielmehr Büllows innovative Verbindung von ebenso intensiver wie fruchtbarer Probenarbeit mit einer betont subjektiven und virtuosen Werkinterpretation.“86 Brahms hat das B-Dur (Op. 83) Klavier Konzert mit Bülows Orchester in Meiningen geprobt. Die Weltpremiere war in Budapest im November 1881. In Meiningen wurde das Stück zusammen mit anderen Brahmsschen Musikwerken vorgetragen. Viele Respektpersonen saßen im Publikum. Das Konzert hatte einen großen Erfolg, Georg II. hat Brahms mit dem Verdienstkreuz der Meiningen Dynastie geehrt. Bülows hat viel daran gearbeitet, um Brahms Musik zu popularisieren. Mit Wagners Tod (13. Februar 1883) sind die Konflikte zwischen den Wagner Gläubigen und Brahms nicht abgeflaut. Die Befürworter der innovativen Idee wurden nun Nachfolger von Bruckner, der kein bisschen als Innovator genannt werden konnte. Bruckner arbeitete in Wien. Er unterrichtete Kontrapunkt am Konservatorium, und Musiktheorie an der Universität Wien. Brahms hatte keine gute Meinung von den Kompositionen Bruckners und er hielt Bruckner für nicht gebildet.87 Der schärfste Gegner von Brahms war der Komponist und Musikkritiker Hugo Wolf, hatte eine schwierige Natur, er war impulsiv und rachsüchtig. Er konnte sich nur schwer im Musikleben durchsetzen, bis er, durch seine Freunde, als „Musikkritiker der Wochenzeitung Wiener Salonblatt“ genannt wurde. Seine Zielpunkte waren die Wagner Gegner und durch spöttische Angriffe schaffte er Sensation und eine Erhöhung der Anzahl der Zeitungsleser. So wurde Hugo Wolf in kurzer Zeit bekannt, und tat alles, um Brahms Musik zu beschimpfen. Er bezeichnete Brahms‘ 84 Johannes Brahms-Das Symphonische Werk Entstehung, Deutung, Wirkung, S. 86. Brief von Johannes Brahms an Carl Reinecke, Wien, 7. Oktober 1880 86 Maren Moltz, Berta Müller: Richard Mühlfeld der Brahms-Klarinettist, S. 20. 87 Ludwick Erhardt: Brahms, S. 277-280. 85 28 Symphonien als „ekelhaft schale, im Grunde der Seele verlogene und verdrehte Leimsiedereien…in einem einzigen Beckenschlage aus einem Liszt’schen Werke drückt sich mehr Geist und Empfindung aus, als in allen Brahms’schen drei Symphonien(die vierte war noch nicht komponiert) und seinen Serenaden obendrein.“88 Die Symphonie Nr. 3 (F-dur, Op. 90) wurde in 1883 komponiert, und hatte einen großen Erfolg in Wien. Später wurde sie unter Joachim in Berlin aufgeführt und wurde bald auch in England, Niederlanden, Italien und Amerika bekannt. Im Jahr 1884 reiste Brahms nach Mürzzuschlag,89 wo er den Sommer verbrachte, und begann an der Symphonie Nr. 4 (Op. 98) zu arbeiten. Er beendete sie im Sommer 1885 und war besorgt, dass das Werk keinen Erfolg beim Publikum haben würde. Deswegen bat er um Meinung seiner Freunde. Trotz der Tatsache, dass viele wesentliche Änderungen vorgeschlagen wurden, nahm Brahms nur am Beginn des ersten Satzes Änderung vor. Die Uraufführung mit dem Orchester von Bülow war ein riesengroßer Erfolg. Im darauffolgenden Monat wurde das Werk in Meiningen aufgeführt, und dann später in Frankfurt, Dortmund, Essen, Düsseldorf, Rotterdam, Utrecht, Amsterdam, Den Haag, Krefeld, und auch in Bonn. 90 Brahms verbrachte den Sommer 1886 am Thuner See, wo er drei große Kammermusikstücke komponierte: Op. 99 F-Dur-Sonate für Cello und Klavier, Op. 100 A-Dur Sonate für Violine und Klavier, und Op. 101 C-Moll Klaviertrio. Das letztgenannte Stück haben seine Freunde auch sehr geschätzt. Im Jahr 1885 gründeten seine Anhänger den Wiener Tonkünstlerverein, und Brahms wurde als Ehrenpräsident gewählt. Neben künstlerischen Aktivitäten organisierten sie Ausflüge und unterstützen die jungen Künstler. Der Komponist verbrachte mit ihnen viel Zeit, weil die meisten seiner Freunde in dem Verein auch anwesend waren. Zu der Zeit änderten sich die Lebensbedingungen von Brahms. Frau Vogt, die in einer Wohnung auf der Karlgasse wohnte, verstarb. Damit musste er sich um den ganzen Haushalt sorgen.91 Er hatte für eine lange Zeit keine Haushälterin vorübergehend halfen ihm seine Freunde bis schließlich eine Witwe bei ihm einzog, die für ihn sorgte. Brahms war sehr zufrieden mit ihr, und bis zu seinem Tod lebten sie gemeinsam. 88 Karl Geiringer: Johannes Brahms, S. 169. Max Kalbeck: Johannes Brahms Band 4. 1. Halbband, S. 18. 90 Ludwick Erhard: Brahms, S. 290-291. 91 Ludwick Erhard: Brahms, S.296-297. 89 29 1888 besuchte eine alte Schülerin, Florence May den Komponisten. Sie schrieb eine Biographie92 über Brahms, von der wir viel erfahren können. Florence May schilderte, dass Brahms in der letzten Zeit zunehmend den Menschen und zurückgezogen lebte. Nur selten unternahm er Besuche bei Freunden. Er komponierte immer weniger. Als Dirigent und Pianist beschäftigte er sich nur mit seinen eigenen Stücken. 1889 wurden die Op.108 Violinsonate III. und drei Liedersammlung Op. 105,106,107 und ein Chorwerk mit dem Titel Fünf Lieder (Op. 104) herausgegeben. In diesem Jahr verbrachte er den Sommer in Bad Ischl. Er wurde per Telegramm informiert, dass er als Ehrenbürger von Hamburg, seine Heimatstadt ernannt wurde.93 Er freute sich sehr über diese Nachricht. Brahms wusste nicht, dass sein Freund, Bülow die Ehrenbürgerschaft vermittelt hatte. Als Bülow aus Meiningen nach Hamburg gezogen ist, hatte er alles versucht, Brahms irgendwie von Hamburg entgelten zu lassen. Im Jahr 1890 wollte Brahms viel Zeit mit Erholung, Ausflügen und Freunden verbringen. Er sagte, dass er nicht mehr komponieren wolle und betrachtete das G-Dur Streichquintett (Op. 111) als sein letztes Werk. Dieses wird als eines den besten Kammermusikwerke von Brahms betrachtet. Heiterkeit und Fröhlichkeit sind die Merkmale des Stückes. Brahms fühlte, dass er seine Schaffensperiode beenden sollte und dass die Zeit kam, seine Skizze zu vernichten. Er machte die letzte Änderungen an Op. 112 Gesangsquartett, und verfasste sein Testament. Im Jahr 1890 traf Brahms Alice Barbi, eine bekannte italienische Sängerin in Wien. Ihre Stimme und Musikalität faszinierte Brahms stets. Im Sommer komponierte er in Bad Ischl zwei Zyklen seiner Klavierstücke, Op. 116, und Op. 117 und er arbeitete an der Vorbereitung der Herausgabe von Schumanns Werken. Im März 1891 besuchte Brahms Meiningen. Hier traf er den Klarinettisten Richard Mühlfeld, der im Orchester des Herzogtums Sachsen-Meiningen während der Regentschaft Herzog Georg II. spielte. Brahms bewunderte das Klarinettenspiel von Mühlfeld. Seine Stücke für Klarinette wollte man auch in Berlin vorführen. Brahms hatte eine tolle Zeit in Berlin, denn das Konzert war ein Erfolg. 92 93 May, Florence: Johannes Brahms, Leipzig, 1911. Karl Geiringer: J. Brahms, S. 185. 30 Im Februar 1893 wurde darüber informiert, dass Hermine Spies plötzlich jung verstorben war. Brahms war sehr geschockt. Er reiste mit drei Freunden nach Sizilien. Seine Reise hatte noch einen weiteren Grund: Brahms wollte nicht in Wien bleiben, und seinen 60. Geburtstag zu feiern. Brahms reiste dann aus Italien direkt nach Bad Ischl. Dort komponierte er die Klavierstücke Op. 118. und Op. 119. Außerdem hat er die Vorbereitung der Ausgabe von Schumanns Werkefertig gemacht. Als er nach Wien zurückkehrte, begann er deutsche Volkslieder zu sortieren, zu organisieren und herauszugeben. Im Jahr 1894 starben zwei Freunde: Billroth und Philipp Spitta. Die Schläge haben ihn schwer getragen, er wusste, bald kommt er an die Reihe. Im Sommer 1894 in Bad Ischl hat er die zwei Klarinettensonate Op. 120 komponiert. Diese waren seine letzten Kammermusikwerke. Im Januar 1895, Brahms war sehr begeistert wegen der Konzerte mit Mühlfeld, deswegen wollte er die fortsetzen. Am 11. Januar 1895 wurden beiden Klarinettensonaten in Wien aufgeführt. Brahms und Mühlfeld spielten aus dem Manuscript.94 Er hatte Auftritte in Frankfurt und Rüdesheim dann reiste er nach Frankfurt, um Clara zu besuchen. Es war ihre letzte Begegnung. Am 26. März hatte Clara eine Lähmung erlitten, Brahms war sehr besorgte über sie. Unter dem Eindruck des Schlaganfalls, den Clara Schumann erlitten hat, komponierte Brahms die Vier ernsten Gesänge Op. 121. Diese Lieder wurden für Basston geschrieben, und wurden als Meisterwerke bezeichnet. Sie wurden mit biblischen Texten geschrieben, ihre Tonart ist traurig, sie haben Abschieds-Charakter. Simrock gab die Lieder im Sommer 1896 heraus. Die Vier ernste Gesänge schließen die vierte kreative Ära von Brahms, und auch sein ganzes Lebenswerk ab. Im Mai 1896 erhielt er ein Telegramm über Clara Schumanns Tod. Ihr Tod lies den Komponisten immer mehr vereinsamen. Auch sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends. Brahms fühlte sich von da an nicht mehr gut. Seine Freunde waren besorgt um ihn, sein Aussehen und sein Hautton hatten sich verändert. Nach Drängen seiner Freunde gig auf Kur nach Karlsbad,was ihm aber nicht half. Am 2. Oktober kehrte er nach Wien zurück. Tag für Tag fühlte er sich schlechter, wollte sich aber nicht der Krankheit ergeben, er kämpfte dagegen. Er hat noch einige Konzerte besucht und unterstützte Mahler 94 Margit L. McCorkle: J. Brahms Thematisch-Bibliographisches Werkverzeichnis, S. 479. 31 mit alle seinen Kräften, der - mit der Unterstützung von Brahms - zum Leiter der Wiener Oper gewählt wurde. Johannes Brahms zerstörte die Briefe und Notizen, die er nicht der Öffentlichkeit übergeben wollte. Er bereitete sein Testament vor und starb am 4. April 1897. Die gleiche Krankheit hat ihm das Leben gekostet wie sein Vater: ein anfangs latenter und dann schnell zerstörender Leberkrebs. Die Nachzeit würdigt Brahms menschliche und künstlerische Qualität mit Statuen, Museen, Gedenktafeln, umfangreiche Literatur und viele Anerkennungen. 32 III. Musikalische Sprache von Brahms „[…] Nur kurz will ich erwidern, daß ich sehr wohl verstanden, was Du von Deinem Interesse für meine Kunst schreibst. Auch du hast unmöglich nicht gefühlt, wie gern ein jeder dankend solches Interesse ablehnte. In meinen Tonen spreche ich“ 95 Brahms wurde von den Deutschen scherzhaft „Synkopen Komponist“96 genannt. Diese Merkmale seiner Musik konnte man schon in seinem ersten herausgegebenen Musikstück, in Op. 4 Scherzo entdecken. Daneben können wir die typische Terz, Sext, Oktaven Reduplikationen und die vielen Stakkatos entdecken. Im November 1852 beendete Brahms sein erstes Hauptwerk, die Klaviersonate in Fis-Moll , und widmete sie Clara Schumann. In dieser Arbeit können wir den Einfluss von Schumann und Chopin fühlen. In den früheren Brahms Klavierwerke ist der Einfluss Chopins charakteristisch. Brahms sagte einmal zu Albert Dietrich, dass er sich während des Komponierens gern an die Volkslieder erinnerte, und ihm dann die Melodien von sich selbst einfielen.97 Brahms hält das Volkslied, als den wertvollsten Rohstoff zum Komponieren. Seine Favoriten waren die alten Lieder. Nur wenigen seiner Werke hat er sich mehr gewidmet und überarbeitet, als seine Serie von Volksliedern. Der künstlerische Stil von Brahms kann als altmodisch betrachtet werden, ihm ist aber auch eine hohe Achtung zuzuschreiben. Brahms beharrte auch bei der Größenordnung des Orchesters der klassischen Tradition. Er meinte, dass laute Bläserpassagen nicht gut für die Ohren sind und der Seele schaden. Es wurde nicht als Meister der Orchestrierung betrachtet, was man ihm aber auch nicht vorwerfen kann. Sein Orchesterklang ist grau, matt, wogend und grob. Aber das hat auch positive Aspekte. Da Brahms eine puritanische Natur hatte, hasste er die Oberflächlichkeit, und den gestohlenen Glanz. Der Klang symbolisiert bei ihm Gedankentiefe. Er vermied alles, was von der Reinheit der Gedanken 95 Mathias Hansen: Johannes Brahms Briefe, S. 135 Brief von J. Brahms an Clara Schumann September 1868 Maczelka Noémi: Brahms, der Klavierkünstler und Lehrer in: Parlando online Zeitschrift, März, 2017 /www.parlando.hu/2017/2017-3/Maczelka-Noemi-Brahms.htm/ (22. Juni 2017) 97 Dietrich, Albert: Erinnerungen an Johannes Brahms in Briefen, Leipzig, 1898 96 33 ablenken könnte. Andererseits steht, er mit seinem einzigartigen Klang der Neuromantik mit ihrer schimmernden Farbenaufstellung gegenüber. Brahms ist das Gegenteil von Berlioz, der für die virtuose Orchestrierung berühmt war. Vielleicht wäre es sein Vorteil gewesen, wenn er sich mit der Orchestrierung nicht zu Schumann, sondern Schubert gestanden angenähert hätte wäre. Die konstruktiven Talente, wie Brahms und die mit ihm verwandten Seelen, rufen die großen Geister der Vergangenheit auf entnehmen aus deren Küche das Material und kombinieren es mit einem neuen Instrumentarium. Brahms erreichte mit seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten das Äußerste, was in seiner Situation möglich war. In seinem Stil fasst er alles zusammen, was in der Musikkultur der vielen Jahrhunderte Wert hatte, und in die Romantik verschmolzen werden kann. So schaffte er einen individuellen, hochspannenden, konzentrierten Stil. Sein Zweck ist langlebig und widerstandsfähig alles zu komprimieren, was in dem bürgerlichen Verhalten die Moral nähren kann. Während in der Zeit von Haydn und Mozart die höchsten Ideale des jungen Bürgertums die Musik konstruktiv beeinflusst hatten, sank in der Zeit von Brahms die bürgerliche Kultur, sodaß sich einen förmlicher Standpunkt mit einer höheren formalen Position nicht ergeben konnte. Das künstlerische Verhalten von Brahms war ähnlich, wie jenes der großen Klassikern: er schöpfte aus fertigem Material, kombinierte es mit einer einzigartigen Methode und macht daraus eine Synthese. Er sah den Ruhm der Musik in der Vergangenheit, aber für ihn waren die Kompaktheit und das Wesentliche viel wichtiger, als die Verherrlichung der Musik. Er griff den Bach und Beethoven Kult gründlich auf, aber imitierte sie nicht. Dabei wollte er die romantische Musterung noch perfekter machen. Viele sagen von Brahms, dass er ein klassischer Meister war, in ästhetischen Sinn. So hat bei ihm die gesamte Form einen Vorrang gegenüber den Details. Brahms setzte sich mit den Formen ganz besonders auseinander, legte Wert auf die Gewichtsordnung, Steigerungen, Aspekte des Genres, und in professionellen und theoretischen Fragen war er geübter, als andere Romantiker. Brahms kann als perfekteste Formgestalter der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts bezeichnet werden. Die immer reicheren Ideen werden nicht überfüllt und überbesetzt. Jede Idee hat genügend Platz. Von Mozart und Beethoven hat er die wirtschaftliche, verteilende Ordnung gelernt. Er vermied auffallende Stilmischung, und achtete darauf, dass die von den Klassikern übernommenen Elemente Änderungen 34 übernehmen, und die Musik wird stimmungsmäßig nicht eintönig wurde. Er war bewusster und vorsichtiger, als andere romantische Komponisten, aber er ist kein klassischer Komponist. Brahms Stil war dem klassischen Stil ähnlich, was an den technischen Lösungen durchgeführter Muster ersichtlich ist. In der Romantik vor Brahms zeigen sich bereits Beispiele für die Kompaktheit und Wirtschaftlichkeit. Die Großen Formen von Chopin und Mendelssohn sind frei von Überschwang. Die kleinen Formen werden durch die Zusammenfassung von Brahms angereichert. Brahms lässt seine Gedanken und Pläne durch einen ästhetischen Filter. Durch die Studie der klassischen Komponisten formt er Nähte zur Überbrückung der Brüche zwischen den Themen. Bei Brahms sind überbrückende Details, die dekorativen (ornamentalen) Läufe, die eigentlich ohne die formalen Strukturen zu beschädigen ausgelassen werden können, wichtige Überschüsse in der Musik. Sie betonen die Leidenschaft der Melodienbiegung, bereiten die Emotion der Fortsetzung des Gesangs vor, und spiegeln den Charakter der Musik wieder. Die Komponisten versehen solche „Zierfäden“, die sie besonders knuddeln, hätscheln wollen. Sie sind eine Art von Liebe zur Melodie, zu den Stimmungen des Stückes, oder was die Stimmung überhaupt hervorgerufen hat. Diese überbrückenden Details sind bei Brahms sehr wichtig, weil sie die Begeisterung des Autors und die Zuneigung zur Profession zeigen. In der Romantik hat die Lockerheit des Stils auch die Gefahr der Entstehung von Dilettantismus mit sich gebracht. Diese Gefahr war in diesem Zeitalter ständig anwesend. Brahms Mission war es, die Schwachpunkte der Romantik zu verstärken. Seine Werke wurden zu Schulbeispielen für den Kompositionsunterricht. Die Bildungsbereiche haben die Merkmale von Brahms angenommen. Brahms könnte für altmodisch gehalten werden, da er die altmodischen Akkorde und tonalen Phrasen durchwegs mochte. Er hat diese methodisch und sorgfältig benutzt. Seine komplexe geistige Welt, sein mit der fließenden Bewegungsart der Neuromantik entgegengesetzten Bearbeitungsverfahren und gleichzeitig, die Wiederverwendung der alten Techniken führen zum eigenen Stil von Brahms, auch wie er die rhythmischen Besonderheiten von Beethoven und Schumann erfasst, steigert und systematisiert. Versteckte Rhythmuswechsel (Hemiolen), Verschiebungen des Schwerpunktes, Wertaufteilungen und Zusammenziehen sind für seinen Stil charakteristisch. Er erweitert die Perioden und verengt sie abwechslungsreich. Diese sind die wichtigsten künstlerischen 35 Merkmale der Werke von Brahms. Seine ausgezeichneten sprachlichen Fähigkeiten, was von vielen Lesen zu danken sind, haben ihn dazu befähigt, dass er die Prosa mit der Musik gut abzustimmen. Ebenso, wie der alte Beethoven, der spätere Mozart, hat Brahms auch erkannt, dass die homophone Formgestaltung, die hohe moralische Kunst nicht zufriedenstellen kann. Daher geht er zurück zu Bach, um sich mit der Bedeutung der barocken Polyphonie auseinandersetzen zu können. Die Fuge nimmt seine Aufmerksamkeit gefangen. Mozart war der erste Komponist (seit Bach), der die meisterlichsten Fugen komponiert hat. In der Romantik hat Brahms seine Zeitgenossen darin übertroffen. Er verwendete die Fuge, als oberstes moralisches Symbol, in Händel-Variationen und im Finale der E-Moll CelloSonate. Bei Musikwerken dürfen wir nicht den Fehler begehen, dass wir das Werk auf Form, Inhalt, Stimmungselemente und Motive aufteilen. Alle diese Parameter zusammen, ergeben die Authentizität eines Kunstwerks. Alle Werke sind charakterisiert durch die Gesamtheit, wie ein Gesamtkunstwerk. In der Klassik ist die Zusammensetzung der Formen geordnet und ausgeglichen. Aus der Formenzusammensetzung kann nichts weggenommen werden und nichts dazugegeben werden, ohne die Form zu ändern. Das gilt für die Sätze, und ebenso für die Gesamtheit der zyklischen Werke. Bei den großen Klassikern, bei Haydn, Mozart und Beethoven sind die Sätze bei mehrsetzigen Werken eng miteinander verbunden, sie komplementieren und ergänzen einander. In der Klassik wurde diese Art von Ordnung von einem allgemeinen Gefühl, der Weltanschauung eingefordert. In der Romantik wird das nicht als harmonische Einheit betrachtet. Romantiker sind im Grunde genommen pessimistisch, und leben ein unbeständigeres Leben. Die natürliche Harmonie oder die religiöse Hingabe verlangen keine Regel, sie sind ist nur als Stimmung im Leben präsent. Die Evidenz des Zweifels bedingt in der Romantik die Nichtbefolgung von Regeln. Die romantischen Künstler machen eine Aussage von sich selbst, und nicht von der Allgemeinheit. Ihre Seelenstimmungen benötigen keine großen Formen. Die kleinen Formen können ausgefüllt und abgewickelt werden. Natürlich waren auch in der Romantik die größeren Formen, wie Symphonie, Konzert, Oratorium verbreitet. Aber in den Sonatenformen, großen Rondos der romantischen Symphonien fehlt die organische Kohärenz, sie erhalten nur die Rahmen der Ausrichtung aufrecht. Der wesentliche Unterschied ist also, dass die großen romantischen Formen von vielen kleinen Formen 36 zusammengesetzt, und diese Teile sind in sich auch perfekt. Brahms symphonische und Kammermusikwerke können aus mehreren Gründen als orchestrierte vierhändige Klavierwerke betrachtet werden. Ihr Klang bietet keine reichen, vielfältigen Farbmischungen. In den Stimmen sind die klavierähnlichen Figurationen häufig. Der Ton seiner Werke Brahms Kunst wird oft als herbstlich beschrieben, wir können trotzdem nicht sagen, dass sein Ton düster ist. Der Wiener Dichter Salomon von Mosenthal, mit dem Brahms verkehrte, zog ihn dann damit auf, indem er scherzte: „Wenn Brahms einmal recht lustig ist, dann singt er, Das Grab ist meine Freude“.98 Es scheint wahr zu sein, dass Brahms eher eine resignierte Stimme hatte, als ein jubelnde. Die befreinden Scherzi waren nicht seine Art. Anstatt der Scherzi verwendete er fast überall weiche, meditierende Intermezzi. Das Publikum wird direkt von sanften Tönen, und durch die heftigen oder gebrochenen Töne wie dem Hunger nach Liebe berührt. Diese Eigenschaften sind aus der Einsamkeit von Brahms entstanden. Davon ernähren sich die sehnenden, verliebten Nebenthemen. Die breit angelegten Themen vertreten die hohen Ideale. In den Akkordschemen, und Stimmenleitungen zitiert Brahms die Klassiker. Er ist weniger mutig, als Schubert oder Chopin und er ist nie so wagemutig, wie Liszt. Er meint, dass der Gesamtklang aus der Melodienweise entsteht, und nicht die Melodie aus dem Gesamtklang. Er geht immer von der Melodie aus und die Formen entfaltet er aus der Melodie heraus. „Er ist gemeinsam mit den Romantikern, vor allem mit Schumann, betreffend die Inspiration des Geistes, und Impuls des Moments, die blind und ohne Bedenken befolgt werden sollten. Manchmal treffen wir bei ihm solche Phrasen, die wir "mit der Hilfe der Logik" nur schwer hinkriegen könnten, die außerhalb aller Folgen und Annahmen fallen, aber können nicht nur als das Geschenk des Himmels betrachtet werden. Seine Werke sind deshalb uneben, sie brechen ab und zu, weil er die nicht ganz durchgedacht hat. Vor allem fehlt es am Stil, der auf objektive Art und Weise den künstlerischen Subjektivismus zum Ausdruck bringen würde. Er soll nicht als fertiger Meister, sondern als ungeborener 98 Max Kalbeck: Johannes Brahms I-IV. Band 2, 1. Halbband, S. 103. 37 Meister betrachtet werden... jedoch ist es ein seltenes und überraschendes Phänomen, dass ein junger Komponist, schon in seinen ersten Werken so frei die Formen konstruiert, die Harmonien und Rhythmen mit solch einer Vielfalt gestaltet, und solchen Reichtum an Ideen zeigt, die wir nur bei solchen jungen Talenten treffen, die später das Versprechen eines zukünftigen großen Meister mit sich tragen. "99 Wenn wir diskutieren, ob Brahms ein klassischer, oder eher ein romantischer Komponist war, müssen wir bedenken, dass die Persönlichkeit von Beethoven alle seine Nachfolger beeinflusst hat, unabhängig davon, ob sie die klassischen oder romantischen Wege gewählt haben. Den Weg von Brahms können wir über Beethoven bis zu Bach und bis zur deutschen Liedertraditionen zurückverfolgen. Brahms I. Symphonie haben seine Zeitgenossen (scherzhaft) als X. Symphonie von Hans von Bülow genannt100, was eine Ähnlichkeit mit den letzten Werken von Beethoven vermuten lässt. Hanslick schrieb in einem in der "Neuen Freien Presse" erscheinenem Artikel: „Die Quartette und die Symphonie von Brahms hingegen sind nicht zu denken ohne die letzte Periode Beethovens.[…]Jedoch auch von den Schattenseiten des späteren Beethoven lagert ein gutes Stück auf Brahms neuesten Werken. Beethovens Styl ist zuletzt häufig unklar, verworren, willkürlich geworden; […] Zu einseitig scheint auch Brahms das Große und Ernste, das Schwere und Complicierte zu pflegen auf Kosten der sinnlichen Schönheit"101 Brahms Klaviermusik hat drei Hauptmerkmale102: 1. Seine Bewunderung von Beethoven und die Sehnsucht danach, in einem großen Stil etwas zu schaffen. 2. Wachsende Selbstkritik und Begeisterung für Bach, dass wir in seinen Variationen und in der Einsetzung der strengen Kontrapunkte sehen, 3. Fundamentaler Lyrismus. Brahms war bereits am Anfang ein bedeutender Pianist. Der Stil und Geschmack seiner Musik war schon damals unverkennbar. Sein Lehrer, Marxsen unterrichtete ihn mit den Klassikern. Daher waren bei ihm die kontrapunktischen Mittel, so wie die Kanons, Diminutionen und Engführungen sehr häufig. Schumann hat die Stärke und Bestrebungen von Brahms anerkannt, und er hat sich auch dafür eingesetzt. Brahms wollte dies zwar nicht, aber er hat sich in der damaligen Musikpolitik eingemischt. In den 1850er Jahren standen zwei Trends gegenüber: auf der einer Seite stand die Liszt-Wagner Partei, welche die Zukunft der Musik 99 Richard Pohl’s Kritik in Neue Zeitschrift für Musik, XLIII,1855, S. 254. Renate Hofmann und Kurt Hofmann: Über Brahms; Hans von Bülow, S. 55 101 Christian Martin Schmidt: Johannes Brahms und seine Zeit, 1983, S. 164-165 102 Molnár Antal: Brahms, S. 119-135. 100 38 bevorzugte. Auf der anderen Seite waren die AnhängerInnen der gemäßigten Traditionen. Brahms wollte auf keiner der beiden Seiten stehen. Er hat sich nicht mit der Neuen Deutschen Schule identifiziert, aber bewunderte Wagner ganz ehrlich. “Ich bin keiner, der dazu taugt, an die Spitze irgendeiner Partei gestellt zu werden, denn ich muß meinen Weg allein und in Frieden gehen und habe‘ ihn auch nie mit einem anderen gekreuzt.“103 Er wusste mehrere Stücke von Wagner auswendig. Brahms hat die Variationsform angezogen. Er hat seinem Patron, Schumann z B. mit den Schumann Variationen (Op. 9) geehrt. Reményi hat während der gemeinsamen Konzertreise auch großen Einfluss auf Brahms ausgeübt. Der Zigeunerstil hat Brahms gefallen, mit dem Terz und Sext der Geige hat er gern seine Melodielinien verdoppelt. Diese Merkmale sind in mehreren seiner Kompositionen erschienen. Zum Beispiel auch in dem für Joachim komponierten Violinkonzert, im letzten Satz vom B-Dur-Klavierkonzert und im deutschen Requiem. Sein Klavier und Orchester Stil passte perfekt zu seiner Musik. Seine Werke waren dicht. Er hatte die Oktave, Terz und Sextparallelen sehr gern. Er verwendete gern die großen Sprünge, jedoch bei den Dreiklängen bevorzugte er die enge Lage. In seiner Musik spiegelt sich sein Denken wieder, dass Werk wird von seinen Gedanken, und nicht von den externen formalen Elementen bestimmt. In Brahms Lebenswerk bedeuten die Paganini Etüden die größte Herausforderung für die virtuosen Musiker. Eine Zusammenfassung seiner Klaviertechnik ist in den „Klavierübung Etuden“ ersichtlich. Im Fall von Soloklavierwerken verwendete Brahms kleinere Formen, zum Beispiel bei den Op. 76 Klavierstücken. Der Titel dieser kurzen Stücke war oft das Intermezzo, eine einfache, dreiteilige Form, die den Vorstellungen von Brahms gut diente. Er nutzte mit Vorliebe die 6/8, 3/4 Takte, komplexe Rhythmen, Hemiolen, obwohl in seiner Kunst die Rhythmen nicht so wichtig sind, wie die Melodie. Am 12. Februar 1933 hielt Arnold Schönberg im Frankfurter Rundfunk einen Vortrag über Brahms. Er überarbeitete den Vortrag, und veröffentlichte ihn 1950 unter dem Titel Brahms the progressive in einem Essay-Band Style and Idea. Das nächste Zitat kommt von Schönberg: „Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass Brahms, ohne auf Schönheit und Gefühl zu verzichten, zu einem Zeitpunkt, als alle an ‚Ausdruck‘ glaubten, sich auf einem Gebiet als fortschrittlich erwies, das seit einem halben Jahrhundert brachgelegen hatte. Er wäre schon ein Pionier gewesen, wenn er einfach zu 103 Constantin Floros: J. Brahms, S. 105. 39 Mozart zurückgekehrt wäre. Aber er lebte nicht vom ererbten Vermögen; er verdiente selber eines. Allerdings hat auch Wagner zur Entwicklung struktureller Formulierungen beigetragen durch seine Technik der variirten oder unveränderten Wiederholungen, denn diese befreiten ihn von der Verpflichtung, sich länger als notwendig über ein Thema zu verbreiten, das er schon klar umrissen hatte. So erlaubte diese Sprache, sich anderen Themen zuzuwenden, wenn es die Handlung auf der Bühne verlangte.“104 Brahms gehöre zu den bedeutendsten Liedkomponisten des 19. Jahrhunderts. Die Angabe der genauen Zahl der Brahms-Lieder stößt auf bestimmte Abgrenzungsprobleme. Mit Lied ist die Standardform des 19. Jahrhunderts, das einstimmige Klavierlied gemeint.105 Brahms hielt sich in seinem ganzen Leben treu an die Musikrichtung der Lieder. Unabhängig von seinen Umständen hat er immer Lieder komponiert. Interessant daran ist, dass Brahms diese Musikstücke einmal als Lied, und manchmal als Gesang bezeichnet hat. Das Lied hatte Strophenstruktur der Volks-Tradition, während der "Gesang" näher war zur romantischen Lied. „Das Volkslied war ihm Ideal auch insofern, als es Elemente enthielt, die er für sein Schaffen insgesamt, aber insbesondere für seine Kunstlieder fruchtbar machen konnte.“106 Unter den Liedern von Brahms gibt es kaum uninteressante Kreationen. Die Gesangstimme herrscht in ihnen, die Begleitung ist nicht so bestimmend, nicht so eigenständig, wie bei Schumann. Die Gesangslinie ist einfach, die ist sehr nahe beim Volkslied, auch dort, wo sie nicht auf volkstümlichem Gefühl beruht. Die Lieder von Brahms sind hochfliegend, auch ohne Begleitung aussagekräftig. 107 Brahms hat geschmackvolle Texte für seine Lieder ausgewählt. Seine Gedichtsammlung, die nach seinem Tod mit dem Titel “Brahms-Texte"108 veröffentlicht wurden, sind die Schmuckstücke der deutschen Lyrik. 104 Schönberg: Brahms, der Fortschrittliche; S. 69-70. Peter Jost: Lieder und Gesänge; in: Wolfgang Sandberger: Brahms Handbuch, S. 208. 106 Peter Jost: Lieder und Gesänge; in: Wolfgang Sandberger: Brahms Handbuch, S. 216. 107 Wolfgang Sandberger: Brahms Handbuch, S. 200-203. 108 Brahms-Texte; Vollständige Sammlung der von Johannes Brahms komponierten und musikalisch bearbeteten Dichtungen, Berlin, 1898 105 40 V. Die Begegnung von Brahms und Mühlfeld Abb. 2: Meininger Wendling-Quartett mit Richard Mühlfeld , Foto um 1900 109 Mühlfeld starb 1907, er war nur 51 Jahre alt, und hinterließ nur wenige Selbstzeugnisse von seinem Leben und Wirken. Maren Goltz und Herta Müller schrieben in ihrem MühlfeldBuch, dass die Arbeit der britischen Klarinettistin Pamela Weston, die Band Clarinet Virtuosi of the Past bis heute die wichtigste biografische Dokumentation zu Mühlfeld ist. Pamela Weston erhielt verschiedene Text-und Bilddokumente aus dem Familienarchiv Mühlfeld.110 Mühlfeld wurde 1856 geboren. Seine Familienmitglieder waren keine musikalisch ausbildeten Musikanten. Sie waren musikalische Handwerker, die auf der Violine, der Klarinette und dem Klavier spielten. Der junge Mühlfeld wurde als Geiger Mitglied der Meininger Hofkapelle, und von Beginn spielte er auch Klarinette.111 Mühlfelds Berühmtheit wurde gesteigert, indem er den Komponisten Johannes Brahms zu vier Kammermusikwerken inspirierte. Aber Mühlfeld wurde schon vor der Begegnung mit Johannes Brahms berühmt. Obwohl Brahms Mühlfeld bereits seit seinem ersten Meiningen-Aufenthalt im Herbst 1881 kannte, vergingen noch zehn Jahre bis zu einer 109 Maren Goltz/Herta Müller: Richard Mühlfeld der Brahms-Klarinettist, S. 24. Maren Goltz/Herta Müller: Richard Mühlfeld der Brahms-Klarinettist, S. 12. 111 Maren Goltz/Herta Müller: Richard Mühlfeld der Brahms-Klarinettist, S. 18. 110 41 persönlichen Zusammenarbeit. Brahms war im Jahr 1891 zu Besuch in Meiningen, er Richard Mühlfeld traf. Im Jahr 1886 hinterließ der Klarinettist ernsten Eindruck auf Brahms, als Mühlfeld das F-moll Klarinettenkonzert von Weber spielte. Wir kennen diese Information von einem Brief von Elisabet von Herzogenberg an Johannes Brahms, in dem sie schrieb: „Aber die Meiningensche Klarinette ist fein!“112 Das virtuose Klarinettenspiel und die schöne Klarinettenstimme hatten Brahms sehr gefallen. Durch dieses Spiel konnte Brahms die musikalischen Ausdrucksformen und Möglichkeiten der Klarinette besser kennenlernen. „Man kann nicht schöner Klarinette spielen, als es der hiesige Herr Mühlfeld tut.“113 Der Komponist bat ihn verschiedene Stücke zu spielen. Die vielen zusammen verbrachten Stunden hatten den Komponisten wirklich begeistert. Er reiste nach Bad Ischl zurück, mit vielen Ideen, mit neuer Kraft und er begann mit neuen Kompositionen. Er traf die Entscheinung, mit dem Komponieren nicht aufzuhören. Das AMoll Trio für Klarinette, Violoncello und Klavier Op. 114 und das andere Musikwerk, das H-Moll Quintett für Klarinette, zwei Violinen, Viola und Violoncello Op. 115 wurden fast gleichzeitig komponier. Brahms informierte im August Simrock in einem Brief über die Fertigstellung der neuen Werke. Brahms wollte, dass seine neuen Werke in Meiningen in Zusammenarbeit mit Mühlfeld und Hausmann (Cellisten) vorgetragen werden. Am 21. November wurden das Trio, und drei Tage später das Klarinettenquintett uraufgeführt. Joachim suchte für eine Zeit Meiningen auf, da er über die neuen Stücke informiert wurde. Joachim war von den Werken so begeistert, dass er beschloß sie in Berlin uraufzuführen. Das Konzert fand am 12. Dezember in der Singakademie statt. 114 Durch Brahms‘ Genius reiften zwischen 1891-1894 vier schöne Kammermusikwerke, deren Entstehung von Richard Mühlfeld inspiriert wurde, und in denen die Klarinette eine führende Rolle erhielt. Die Klarinette hatte auch Mozart ermutigt, um seinen tiefsten, letzten Ideengehalt auszudrücken. Die zwei Klarinettensonaten Op. 120 komponierte Brahms im Jahr 1894. Die Klarinetten Stimmen hat er auch für Viola übertragen, mit der sie auch hervorragend gespielt werden können. Diese Werke geben die Tiefe, und das nachdenkliche Konzept vom alten Brahms wieder und bezeugen den Lebenswillen des Meisters. Von Ende September 1894 bis Ende Februar hatte Brahms mit Mühlfeld zwanzig Aufführungen. Das Publikum 112 Brief von Elisabet von Herzogenberg an Johannes Brahms, 15. März 1882 Brief von Johannes Brahms an Clara Schumann, 17. März 1891 114 Maren Goltz/Herta Müller: Richard Mühlfeld der Brahms-Klarinettist, S. 36 113 42 war hingerissen.115 Seit Anfang seiner Karriere bis zum Ende seines Lebens, blieb Brahms den Volksliedern treu. Im volkslied artigen Thema im letzten Satz der 2. Klarinettensonate erinnern wir uns an das altdeutsche Minne-Lied im Andante-Thema der Op. 1 Klaviersonate. Das Trio und das Klarinettenquartett nahm das Publikum mit großer Begeisterung auf. Brahms behandelte die Sonatenform sehr gekonnt, er benutzte schöne Melodien, mit denen er die Herzen des Publikums eroberte. Es besteht kein Zweifel, dass durch den Erfolg auch das Klarinettenspiel von Mühlfeld gefördert wurde, der hervorragend Musikinstrument gespielt hat. 115 Maren Goltz/Herta Müller: Richard Mühlfeld der Brahms-Klarinettist, S. 42. 43 an seinem VI. Für Klarinette komponierte Stücke In der Musikgeschichte sind zahlreiche Meisterwerke aus der Begegnung von großen Komponisten und große Musikkünstlern entstanden. Die beiden Werke von Mozart, das Klarinettenquintett und das Klarinettenkonzert bewahren die Erinnerung an den Klarinettisten Anton Stadler. Hundert Jahre nach der Entstehung des Klarinettenkonzerts von Mozart, im Jahr 1891, traf Brahms bei seinem Besuch in Meiningen mit dem Klarinettisten, Richard Mühlfeld zusammen. Diese Begegnung inspirierte Brahms das Trio für Klarinette, Violoncello und Klavier A-Moll (Op.114), das Quintett für Klarinette und Streichquartett H-Moll (Op.115), und später zwei Sonaten für Klarinette und Klavier (Op. 120) zu komponieren.116 Mozart verliebte sich in die weiche pralle Stimme und glatte Lebendigkeit der Klarinette. Dieses Instrument ist in der Mozart-Ära sehr populär geworden, weil sich ihr Klang sehr leicht in den Klang der Streicher und Bläser-Ensembles einfügte, und daneben einen breiteren Klangumfang bewirkte. In Mozarts Werken bedeutete die Klarinette eine innige Lyra. Die Meister des 19. Jahrhunderts wie Weber, Schubert, Schumann und Mendelssohn erweiterten die Rolle des Instruments noch, um Virtuosität und intime Charaktäre zu zeigen. Brahms kannte gut die Traditionen der Anwendung des Instruments. Dies können wir in dem Klarinettenquintett sehen, wo er die Klarinette sicher behandelt, und ihre Möglichkeiten vielseitig einsetzt. Für Brahms war das Klarinettenquintett von Mozart wahrscheinlich ein Modell betreffend den Charakter des Musikwerkes. Beide gehören zum Genre Ständchen (Serenade). 116 Karl Geiringer: J. Brahms Sein Leben und Schaffen, S. 201-202. 44 VI.1. Klarinettenquintett Op.115 Abb. 3: Brahms, Op. 115, 1. Satz Klavierauszug I. Satz: Brahms stellt das erste Thema zuerst auf den vier Saiteninstrumenten vor und erst dann erscheint die bis zuletzt solistische Klarinette, die mit einem Dreiklang beginnt. Dann wird sie von oben nach unten absteigend in dem tiefen Register eine das Thema unterstützende Rolle haben. Nachder lyrischen Stimmung folgt eine stramme, rhythmische musikalischere Formel, die von Brahms sehr oft benutzt wurde. Die zweite Themengruppe Exposition erklingt in D-Dur, die uns an den ersten Satz der Symphonie III. erinnert, was in ähnlicher Stimmung, auch von der Klarinette ertönt. Der mittlere Abschnitt des ersten Satzes führt das musikalische Material der ersten Hälfte der Exposition durch verschiedene 45 Tonarten. In der zweiten Hälfte des Bearbeitungsabschnittes herrscht das heroische Thema, welches dann später verstummt. Dann ertönt das Anfangsthema auf der Klarinette in DurTonart und darauf kehrt die Exposition zurück. Der Satz wird mit einer Klausel vervollständigt, und das letzte Mal hören wir das Hauptthema. II. Satz: Notturno, d.h. Nachtmusik, welche für die Romantik sehr beliebt war. Der Anfang erinnert an das Notturno von Mendelssohns Ein Sommernachtstraum. Diese Stimmung ändert sich, wenn wir die "volksliedartigen" Melodien der Klarinette hören. Diese Melodienwelt wurde bei Brahms wahrscheinlich von der ungarischen Musik und Zigeunermusik beeinflusst, denn er hat viele Konzerte mit Ede Reményi gegeben und die Musik der Zigeunerkapellen hat ihm gefallen. Die Klarinette war ein beliebtes Instrument der Zigeunerkapellen in Ungarn, vielleicht hat Brahms in zusammenhang mit diesem Instrument Erinnerungen an diese Kapellen. Der mittlere Teil des Satzes, das Trio ist sehr interessant. Er ist voll mit Läufen, Verzierungen, und mit dem Tremolo der Streicher. III. Satz: In volkstümlichen Stil, einfach schön. Der zweite Teil des Satzes ist in Presto, in Form eines schnellen Tanzes. Dieser schnelle Teil erinnert an die ersten Töne des Satzes. IV. Satz: Thema mit Variationen. Dabei können wir auch eine Ähnlichkeit mit dem Mozart Quintett entdecken. Brahms hatte die Bearbeitung mit Variationen sehr gern. Als letzte Variation wird das Thema in 3/8 Takt gespielt, ebenso wie bei Mozart. 46 VI.2. Klarinettensonaten Op.120 Im Juli 1894, drei Jahre vor seinem Tod komponierte Brahms in einem beliebten Urlaubsort in Bad Ischl die zwei Klarinettensonaten unter Op. 120 Nr. 1 in F-Moll und Nr. 2 in Es-Dur. Um die Popularität und Aufführbarkeit der beiden Sonaten zu erleichtern, stellte er mit kleinen Änderungen auch ein Viola-Analog der Klarinetten Stimme fertig. Idealerweise werden die Musikwerke im ursprünglichen Klarinette-Klavier Konzept aufgeführt, denn der besondere Klang der Klarinette ist in beiden Stücken ausschlaggebend. Die Werke wurden von Simrock, der ein persönlicher Freund und Verleger von Brahms war, in Berlin im Frühjahr 1895 herausgegeben.117 Beide Sonaten sind relativ kurze Kompositionen im Vergleich zu anderen Werken von Brahms. Kompaktheit und Bündigkeit sind charakteristisch für diese Musikwerke, die Durchgänge und die Zurückleitungsabschnitte sind immer relativ kurz. Die ersten Sätze von Brahms haben in der Regel raffinierte Stimmenstruktur, die sind Meisterwerke von verschiedenen Rhythmus-Spielen. Der alte Meister verwendete die einfachsten, natürlichsten Lösungen besonders gern. Nach den sehr ideenreichen Anfangssätzen hat der langsame Satz oft die einfachste mögliche Form, seine Gliederung ist einfach und klar. Beim Anhören der fließenden Melodie sind wir wirklich durch die Natürlichkeit der Musik beeindruckt. VI.2.1. Nr. 1 F-moll Sonate Diese Sonate ist größer und effektiver als die Nr. 2 Es-Dur Sonate. Das einführende Thema des ersten Satzes hat einen dunklen Tonus, und trüben Ton. Die Musikästhetik der 18. Jahrhundert beschäftigte sich viel mit dem Bedeutungsinhalt der verschiedenen Tonarten. Ihre Charakteristik und Bedeutungslehre wurde ausgearbeitet. Christian Friedrich Daniel Schubart hat in seinem Werk mit dem Titel "Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst" über die Farben, Stimmung, Bedeutung der Tonarten, bzw. über die von ihnen ausgedrückten Gefühle und Emotionen geschrieben. Diese tonalen Eigenschaften sollte damals jeder Musiker kennen. Bei Brahms können wir eine Verwandschaft zwischen der Stimmung der 117 Margit L. McCorkle: J. Brahms Thematisch-Bibliographisches Werkverzeichnis, S. 479. 47 Klaviersonate in F-Moll, dem Klavierquintett in F-moll und der Sonate für Klarinette und Klavier in F-Moll erkennen. I.Satz Im ersten Satz der Klarinettensonate in F-Moll fühlen wir die Stimmung und die Einstellung vom Klavierquintett in F-Moll (Op. 34). Zwischen dem Komponieren beider Werke sind dreißig Jahre vergangen. Für beide Werk sind der Kampf, und die Zögerlichkeit charakteristisch, aber im ersten Satz des Klavierquintetts kämpft man gegen die Außenwelt, in der F-Moll-Sonate ist dieser Kampf schon viel intimer, zurückhaltend, meditativ.118 Der Letztere blickt in die Vergangenheit, und nicht die Zukunft. Das F-Moll ist einer der maßgeblichsten Tonarten unter den Moll Tonarten. Die ist die Tonart der Leidenschaften und Extreme. Aus einer dramatischen Sicht können nur C-Moll und D-Moll noch stärker sein. Unter den Sätzen der Sonate in F-Moll ist nur der erste Satz in F-Moll, aber es ist doch so dominant, dass es auf dem gesamten Musikwerk eine große Wirkung hat. Abb. 3. Hauptthema, I. Satz Die F-Moll-Sonate ist ein kompakt komponiertes Werk. Die Durchgänge und die Zurückleitungsabschnitte sind immer relativ kurz, das Material der Themen können in sehr 118 Kristóf Csengeri: Das Musikwerk der Woche, S. 185. 48 kleine Stücke unterteilt werden, die von Brahms nur sequentiell auf die Entwicklung des Themas verwendet. Abb. 4.: Nebenthema, I. Satz Bei der Erscheinung des Nebenthemas des ersten Satzes können wir bemerken, dass im Bass des Klaviers die Tonintervalle des einleitenden Klangs vorhanden sind. Nach dem Expositionsabschnitt in der Mitte des Satzes folgt das Schlussthema, dessen Form vom Komponist interessanter Weise bearbeitet wird. Abb. 5. Während die Klarinette drei Stück Viertel Töne in einem Takt spielt, teilt das Klavier denselben Takt in vier Teile. Damit verschieben sich die Akzente ineinander. Wir fühlen, als ob der Komponist eine Art von Unsicherheit darstellen wollte.119 (S. Abb. 5.) 119 Kristóf Csengeri: Das Musikwerk der Woche, S. 186. 49 II. Satz „Andante un poco adagio” zeigt eine einfache ABA Form. Der Tonart ist As-Dur, die parallele Tonart von F- Moll. Trotz der Tatsache, dass es in Dur-Tonart ist, bleibt es der traurige, leidende Charakter. Abb. 6.: Hauptthema, II. Satz Der Satz enthält zwei Themen. Die Coda enthält sowohl das Tonmaterial von "A" und "B" Melodien. (S. Abb. 6-7) Abb. 7. 50 III. Satz „Allegretto Grazioso“ hat auch eine dreiteilige Form. Obwohl Brahms es nicht angeschrieben hat, ist ein Walzer. Der erste Teil ist weich und biegsam, elastisch, er wird von dem rohen, robusten Trio gefolgt, dann kehrt der erste Teil variiert zurück. Es ist interessant, dass das zweite Thema das Spiegelbild des ersten Themas ist. (S. Abb. 8.) Abb. 8. Das Trio hat die Merkmale von verschobenen Akzenten und die Verwendung von Synkopen. Bei Brahms treffen wir oft auf diese Erscheinung. (S. Abb. 9) Abb. 9. 51 IV. Satz Abb. 10. Die Tonart des vierten Satzes ist F-Dur mit Rondo-förmigen, Sonate-ähnlichen Effekten. Aber es ist auf keinen Fall ein Sonatenrondo. Die Struktur ist: ABACA. Das Interessante des Satzes ist, dass im Teil "C" auch die Teile "A" und "B" bearbeitet werden. Am Anfang des Satzes wird das Rondothema durch ein Dreitonmotiv als Signal eingeführt.120 Das Rondothema (S. Abb.10.) wird bei der Rückkehr in beiden Fällen variiert. Der letzte Satz ist jubelnd und optimistisch. Wir fangen mit einem dunklen Tonus des ersten Satzes an, dann kommt die Melancholie des zweiten Satzes, und dann über den charmanten, humorvollen dritten Satz kommen wir zum optimistischen letzten Satz. Abb. 11. 120 Kristóf Csengeri: Das Musikwerk der Woche, S. 193. 52 VI:2.2. Nr.2. Es-Dur Sonate Diese Sonate ist das letzte Musikwerk von Brahms, welches er für Klarinette komponiert hat, und auch dies ist seine letzte Sonate. Die letzten Werke von Komponisten sind für uns immer interessant. Diese Arbeiten sind speziell, weil der Meister mit diesen letzten Werken von einem bestimmten Genre Abschied nimmt, was er zuletzt zum Ausdruck bringt.121 In diesen letzten Werken suchen wir immer nach etwas Besonderes, die Gedanken einer ultimativen Offenbarung. Die Komponisten formulieren in ihren letzten Werken klar und sauber ihre einzigartige, alles betreffende Botschaft. Mit der Es-Dur Klarinettensonate nimmt Brahms nicht nur von Genre Sonate, sondern auch von der Kammermusik Abschied. Brahms hat seine meisten Werke auf dem Gebiet der Kammermusik geschaffen. Er hat sich auch fast vom Komponieren verabschiedet, denn nach den Klarinettensonaten hat er nur noch zwei Stücke komponiert. Op.121 (Vier ernste Gesänge), und Op.122 (Elf Choralvorspiele) waren die letzten unter seinen Werken. Der Titel "Elf Choralvorspiele" fasst das Gefühl zusammen, welches die Näherung des Endes des Lebens von Brahms charakterisierte: „O Welt, ich muss dich lassen”. I. Satz Das Hauptthema des ersten Satzes (Allegro amabile) verwendet sehr großen Klangumfang (größer als eine Oktave), und mit der Agilität und Virtuosität werden die musikalischen Eigenschaften der Klarinette perfekt vorgestellt. Abb. 12.: Hauptthema, I. Satz 121 Kristóf Csengeri: Das Musikwerk der Woche, S. 403. 53 Das Nebenthema bringt neue Klänge und kann als stille Meditation betrachtet werden. Das könnte eine Art von Zögerung sein. Brahms hat mehrere Anweisungen hinzugefügt: piano, pianissimo, sotto voce, dolce. Die kurze Legato Bögen helfen, eine "seufzerartige" Artikulation zum Ausdruck zu bringen. Abb. 13. Ein jubelnder Klarinettenlauf verbindet das Nebenthema mit dem Abschlussthema. Das Schlussthema zeigt mit seiner Leidenschaftlichkeit eine neuere Seite der Klarinette. (S. Abb. 14-15.) Abb. 14. 54 Abb. 15. II. Satz, Allegro appassionato Der II. Satz in Es-Moll, liegt zwischen zwei "Dur" Sätzen. Dieser Satz kann in drei Teile unterteilt werden. Sein zweiter Teil, das Trio ist in H-Dur. Dieser mittlere Teil ist sehr hymnisch, und strahlt aufgrund des Tempos und des Rhythmus Ruhe aus. Brahms schrieb als Anweisung in diesem sostenuto Abschnitt: forte ma dolce e ben cantando. Das bedeutet, mit Stärke, aber süß, singend. Der erste und dritte Teil des II. Satzes in Es-Moll ist wie eine dunkle, unruhige, heroische Beschwerde sein.122 Abb. 16.: Hauptthema 122 Kristóf Csengeri: Das Musikwerk der Woche, S. 411. 55 Abb. 17.: Trio, II. Satz III. Satz, Andante con moto Der Selbstäußerung von Brahms hat in seinem ganzen Leben die Bearbeitung mit Variationen geholfen. Er hat die Variation sowohl als komplettes Werk, als auch als zyklisch positioniere Stücke im ganzen Satz verwendet. Diese Tatsache ist begründet durch seine Ehrerbietung an Beethoven, der die Variationsform auch sehr gern hatte. Der Finale Satz der Es-Dur Klarinettensonate wurde auch in Variationsform komponiert. Das Tempo der Melodie ist entspannt, im 6/8 Takt. Wegen der Kette von punktierten Rhythmen hat dieser Satz einen schaukelnden Charakter. 123 Das Thema kann in drei Zeilen unterteilt werden. Die ersten beiden Zeilen sind gleich, in den alten deutschen Barform. In der dritten Zeile kann man die Elemente der ersten beiden Zeilen entdecken, davon werden vom Komponisten kleine Variationen gemacht. Es ist wichtig zu betonen, dass alle drei Zeilen mit einer charakteristischen, emotionalen, nach oben abweichenden, melodischen Wendung enden, die in diesem Satz auch später vorkommen wird. Der Komponist variiert das Thema auf sechs verschiedene Weisen. Die erste Variation ist eine Art von "Begleitung". Die Eigenschaften der zweiten Variation sind die Akkordauflösungen, die sich nach unten, oder nach oben bewegen. Brahms verwendet in dieser Variation wieder punktierte Rhythmuselemente. Die dritte Variation ist eine virtuose grazioso. In der vierten Variation wird die Musik leise und fast bewegungslos. Die fünfte und letzte Variation ist ein reines Allegro mit einem typischen, "Finale" Charakter. Diese wird von der sechsten, letzten Variation und Coda gefolgt, was dem Satz einen zuversichtlichen Abschluss verleiht. 123 Kristóf Csengeri: Das Musikwerk der Woche, S. 406. 56 Abb. 18.: Thema, III. Satz Abb. 19.: Coda 57 VII. Die formale Analyse der Klarinettensonaten In diesem Kapitel erfolgt die detaillierte Analyse der Klarinettensonaten, welche ich selbst erstellt habe. Die Analyse unterstützt nicht nur die musikalische Interpretation der Noten, sondern kann auch Anhaltspunkte für die Vortragsweise geben. Je mehr Einzelheiten der Komposition wir durch deren Analyse kennenlernen, desto besser verstehen wir die musikalische Botschaft des Komponisten. Durch die Analyse werden uns die musikalischen Formen klarer, können wir die Erscheinung der unterschiedlichen musikalischen Themen beobachten und deren modifizierte Wiederholungen, erfahren wir die Beziehung des musikalischen Materials der zwei Instrumente zueinander. Beim Anhören der verschiedenen Interpretationen können wir feststellen, dass die Interpreten die gegebene Komposition unterschiedlich deuten und auslegen. VII.1. F-moll Sonate I.Satz Form: Sonatenform; Takt: 3/4 EXPOSITION 1. Takt: EINLEITUNG Vier Takte Einleitung des Klaviers, was später im Satz eine wichtige Rolle spielt. 5. Takt: Die Klarinette ertönt mit einem singenden HAUPTTHEMA mit großem Stimmumfang, in einem melancholischen Walzer-Charakter. Das Thema soll in "poco forte" erklingen. Die Achtelbewegung im dritten Takt des Themas erinnert uns an den 2. Takt der Klaviereinleitung. Das Klavier spielt inzwischen ein Arpeggio in den Stimmen der linken Hand, die rechte Hand spielt einen Akkord mit den zweiten Viertel jedes Taktes. Im Takt 12 spielt das Klavier straffe, kurze Rhythmen, und lange, gehaltene Töne. Es wird von einem “hoch und runter Bewegung" charakterisiert, bis die Klarinette das Thema spielt. Bis zum Takt 24 senken sich beide Instrumente in Bezug auf die Tonhöhe nach unten, und verlangsamen den Rhythmus. 58 1. DURCHFÜHRUNG 1. Abschnitt. Im Takt 25 erscheint das Hauptthema beim Klavier, aber diesmal mit mehr Kraft. Die Klarinette begleitet das Klavier mit Klangaufteilungen. 2Takte später verschmilzt das Thema mit Triolen. Die Klarinette spielt arpeggio-mäßig, während das Klavier das Thema fortsetzt. Im Takt 38 beginnt der 2. Abschnitt der Durchführung. Am Klavier gibt es synkopierte Akkordbewegung. Ein neues, lyrisches Element wird in der neuen Tonart Des-Dur vorgestellt. Die Klarinette übernimmt die Melodielinie mit einem Bogen aufwärts. Im Takt 53 erscheint das NEBENTHEMA gleichzeitig auf beiden Musikinstrumenten. Die ersten vier Takte des Themas werden dieses Mal nur bei der Klarinette wiederholt, was vom Klavier arpeggio-artig mit der gegenseitigen Bewegung der zwei Hände begleitet wird. Takt 61: Das Klavier erweitert das Nebenthema. Beim zweiten Viertel von Takt 68 spielt das Klavier ein Arpeggio Schema. Beide Hände bewegen sich gegenseitig. Die ersten Töne der Vierer sechzehntel Gruppen steigen nacheinander schrittweise über einen Zeitraum von fünf Viertel nach unten ab. Diese wird kanonartig nach zwei Viertel durch die Klarinette imitiert. Im Takt 69 erscheint das SCHLUSSTHEMA Im Takt 72 übernimmt die Klarinette die Leitung in einem Kanon. Eine Reihe von Seufzern wird auf Achtelpaaren gespielt, die von Ton zu Ton absteigen. Im Takt 77 beginnt der die Exposition schließende SCHLUSSABSCHNITT Bis zum Takt 88 kommen beide Instrumente zur Ruhe, sie werden leiser und wir kommen in C-Moll an. Im Takt 90 beginnt die EXPOSITION. Das lyrische Thema erklingt in der Klarinette, das was wir in dem zweiten Abschnitt der Durchführung in Des-Dur gehört haben. Die Stimmen beider Instrumente sind mit einer Drei-Achtel Konfiguration verziert. Diese Verzierung und die tiefe, warme Stimme der Klarinette gibt diesem musikalischen Gebiet einen sehr ausdrucksvollen Charakter. Im Takt 100 kommen wir in Cis-Moll an. Ab dem Takt 100 werden die „vier B“ Vorzeichen in „vier Kreuz“ modifiziert, was die Kadenz zu einem unerwarteten E-Dur führt. Im Takt 114 kommen wir in Cis-Moll an. Im Takt 116 wird das lyrische Thema zu einem leidenden Schluchzen geändert. Die Klarinette spielt jammernd die ersten synkopierten Töne, während das Klavier eine nach 59 oben strebende Triolengeste macht. Die musikalische Struktur des Klaviers ist stark und massiv. Stürmische Oktavensprünge sind bei der linken Hand vorhanden. Im Takt 120 kehrt das NEBENTHEMA in Cis-Moll. zurück. Der leidenschaftliche Charakter bleibt erhalten. Im Takt 130 kommt das Klavier zum Höhepunkt in Fis-Moll, und wir hören wieder die Einleitung des Klaviers in der gleichen Tonart. Die REPRISE beginn im Takt 138. Beide Instrumente zieren das Hauptthema mit Triolen. Der erwartete Halbabschluss kommt im Takt 145 an. Im Takt 153 können wir den zweiten Abschnitt der Phase der Durchführung der Exposition erkennen. Darin erscheint das Nebenthema unverändert, aber eine Terz tiefer (Takt 168). Der letzte Akkord des Nebenthemas wird modifiziert, indem wir in F-Moll zurückkehren. Im Takt 183 beginnt das Klavier zu spielen, die Klarinette spielt die Melodie in Kanon. Im Takt 184 hören wir das Abschlussthema, wobei Brahms die Klavierarpeggien von vierstimmig auf dreistimmig geändert hat, so entstand eine Polymetrie. Mit den Schlussakkorden des Abschnittes kehrt die rhythmische Ordnung zurück. Takt 187: Präsenz von seufzermäßigen Motiven. Hier ist die Musik wieder isometrisch. Takt 192: SCHLUSSABSCHLUSS mit dem gleichen Material wie im Takt 77. Takt 206: CODA Die Klarinette spielt das Hauptthema trauervoll, eine Oktave tiefer als es zuerst erklang, aber das Thema bekommt unerwartet einen „Dur“ Farbton. Takt 214: Sostenuto espressivo, das ist ein melancholischer, phantasierender Teil. Im Takt 219 hören wir wieder die erste Phrase von „Sostenuto“, welche in die Kadenz schmilzt. Takt 231: Die Klarinette ruft die ersten zwei Takte der Klaviereinleitung auf ursprünglicher Tonhöhe wach, und repetiert auf dem Schluss-Ton des Motivs. Inzwischen „leuchtet“ die Stimme des Klaviers und wechselt von F- Moll in einem F-Dur Abschluss-Akkord. II. Satz Andante un poco adagio, 2/4 Takt, dreiteilige Form, in As-Dur. Teil „A“ Takt 1: Die Klarinette spielt ein sehr lyrisches, aber energisches Thema, während das Klavier sie mit absteigenden, langsamen Motiven begleitet. Der Abstieg zieht von Tenor Lage bis zum Bass. Das Thema ist verziert mit chromatischen Motiven, im Barock Stil. Ab Takt 5 beginnt eine aktivere Bewegung des Klaviers, es ist eine Imitation des springenden 60 Motivs der Klarinette. Die Klarinette überträgt das Thema im Takt 10 in Es-Dur. Im Takt 13 beginnt wieder das Anfangsthema, aber hier ist die Vortragsweise ist dolce. Das ist das Gegenteil des früheren stärkeren, lauteren Vortrags. Vom 4. Takt des Themas führt die Klarinette die Melodie anders, wie beim ersten Auftreten des Themas, weil es diesmal nicht nach Es-Dur geht, sondern in As-Dur bleibt. Teil „B” Beginnt in Des-Dur. Im Takt 23 beginnt das Klavier ein zärtliches, lebendiges Motiv zu spielen. Im zweiten Takt des Des-Dur-Motivs tritt die Klarinette mit absteigendem Motiv auf. Dann kommt nach zwei Takten schrittweise das gleiche Motiv in einem Ganzton tiefer (in Ces-Dur) und leiser. (pp) Im Takt 27 spielt das Klavier chromatische Aufteilungen, seine Bassstimme bewegt sich chromatisch. Diese achttaktige Periode führt zu Cis- Moll. Im Takt 31 spielt die Klarinette die Akkordaufteilungen. Obwohl die Richtung der Bewegung auf dem ersten Schlag umgekehrt ist, trotzdem ist es leicht zu erkennen. Takt 35: Ähnliche Motive sind hier vorhanden, wie bei Takt 27. Aber dieses Mal wird nicht ins Cis-Moll hinüber geführt. Die DURCHFÜHRUNG fängt im Takt 41 an. Das ist ein vorheriger Abschnitt von Teil „A“. Im Klavier erscheint in 2 Takten das Thema von Teil "A". Die Klarinette spielt in großen Intervallschritten nach unten absteigende, kurze Motive. Nach zwei Takten verwandelt sich das Thema dramatisch, sowohl die Richtung betreffend, als auch die Harmonie. Die Motive mit Triolen und Sextolen erscheinen in verminderten Harmonien. Mit diesen biegenden Motiven wirkt die Musik dämmerig und unsicher. In der zweiten Hälfte der 8 Takte der Durchführung erscheint im Klavier das Thema des Teils "A" aus der Dunkelheit, aber diesmal in C-Dur. In diesen vier Takten bleibt die Klarinette völlig aus. Das Klavier spielt in der linken Hand die durchführenden, kurzen, absteigenden Motive der Klarinette (Takte 42-43). Ab Takt 47 spielt das Klavier wieder die Triolen und Sextolen mit verminderten Harmonien, und nach ihrer Beendigung kehrt der Teil "A" mit einer Dur Harmonieaufteilung in As- Dur zurück. REPRISE VON Teil „A”(Takt 49) Die ersten vier Takte sind espressivo und leise. Die Klarinette bringt das Thema des Teils "A" eine Oktave tiefer. Im Klavier gibt es diesmal Triolen-Arpeggien statt langer Töne. Im Takt 61 spielt die Klarinette das Thema des Teils „A“ in ursprünglicher Tonhöhe. Wir hören 61 das gleiche, wie im Takt 13. Die Klavierstimme weicht von den ursprünglichen ab. Dafür werden in jedem Takt Akkordaufteilungen mit kurzen Sechzehntel Pausen gespielt. Im Takt 65 bewegt sich die Melodielinie der Klarinette ebenso, wie im Takt 17. Die erreicht den Höhepunkt ebenso, wie vor der Halbkadenz im Takt 68. CODA Takt 71 Die Coda zeigt die wiegende Art des Arpeggio des Teils „B“, ergänzt mit den Motiven von punktierten Rhythmen der Klarinette. Sie beginnt in As-Dur, aber schon im ersten Takt erscheint der "Ges" Ton. Dieser Ton kann sich sowohl auf das Es-Dur, als auch auf Des-Dur beziehen, aber die Musik bewegt sich auf keine der erwähnten Tonarten hin. Im Takt 75 spielt die Klarinette den Anfang des Hauptthemas. Hier ertönt zum letzten Mal die ursprüngliche Tonart (As-Dur). Die Melodie biegt nach unten auf "As" Grundton und endet dort. III. Satz Allegretto Grazioso; Takt 3/4, dreiteiliges Form mit Trio (A Trio A) Tonart: As-Dur. Dieser Satz ist ein walzerartiger Ländler, ein österreichischer Bauerntanz. TEIL „A” ERSTES THEMA: Die Melodie und die Begleitung startet mit einem Auftakt. Im Takt 3 und 4 imitiert das Klavier den Rhythmus der Klarinette. Takt 9: Das erste Thema wird variiert wiederholt. Das Thema wird auf die rechte Hand des Klaviers übertragen. Die Klarinette verziert es nur mit kurzen, dreitönigen Motiven. Die Klarinette spielt sie manchmal betont, manchmal unbetont. Takt 17: Das ZWEITES THEMA erscheint, welches die genaue Spiegelung des ersten Themas darstellt. Brahms gibt diesem Satz einen Scherzo Charakter, obwohl dieser Satz kein Scherzo ist. Die Stimmung wird hier plötzlich wild. Der Ländler Rhythmus ist immer noch vorhanden. Im Takt 25 übernimmt das Klavier die Figuren des zweiten Klarinettenthemas in diesem viertaktigen durchführenden Abschnitt. Im Takt 29 kehrt das erste Thema mit seiner sanften Art und Weise. Zuerst ist das Thema beim Klavier. Die Klarinette begleitet diesmal verzierter, als beim ersten Mal. Der zweite Teil des ersten Themas ist vollständig geändert. Die Klarinette füllt die erste zwei Takte mit einer aus sechs Stimmen bestehenden Melodienphrase aus. In den Takten 39-40 ist die Klarinette völlig allein. Dann wird die zweite Hälfte des Teils "A" (bis zum Takt 17-46) wiederholt. 62 TEIL „B” oder TRIO Fängt im Takt 47 an. Die Klavierstimme ist mit einem „molto dolce“ angegeben. Der musikalische Inhalt beider Hände ist absteigend. Es gibt eine Achtel Verschiebung zwischen beiden Händen. Die Klarinette spielt lange Töne mit weniger Aktivität im tiefsten Register des Instruments. Im Takt 55 wird der erste Teil variierend wiederholt. In den ersten Takten ist die Klarinette überhaupt nicht präsent. Die langen, tiefen Töne in der Stimme der linken Hand des Klaviers scheinen die zuvor gespielten Töne der Klarinette zu ersetzen. Dieser Abschnitt soll in „pp“ gespielt werden. Die Klarinette tritt in den letzten vier Takten der Periode ein. Im Takt 63 folgt der zweite Teil des Trios. Das musikalische Material des Klaviers ist ähnlich, wie im ersten Teil des Trios. Nun aber spielt der Klavierspieler in der Nähe der Mittellage des Klaviers. Die Takte 63-88 werden wiederholt. Im Takt 89 ertönt der doppelte "F" Ton zweimal am Klavier. Als erstes bei einer unbetonten Stelle, eine Art rhythmische Unsicherheit folgend. Der zweite doppelte "F" Ton ist mit einer "Fermata" versehen. Es gibt eine kurze Pause, bevor der Teil „A“ zurückkehrt. Rückkehr von Teil „A”, Takt 91 Der Ländler ertönt wieder, aber etwas variiert. Die Klarinette spielt nur 8 Takte, dann bleibt das Klavier allein. Im Takt 107 kehrt die zweite Phase des Themas von Teil“ A“ zurück. Im Takt 115 hören wir das gleiche übergehende Motiv, wie im Takt 25. Im Takt 119 bei variierter Rückkehr der ersten Hälfte von Teil "A" wird die Melodie vom Klavier gespielt. Brahms hat im Takt 125 "piú dolce sempre" vorgeschrieben. Die Takte 129-130 bilden eine CODETTA, wo die Klarinette allein spielt. Im Takt 131 ist für beide Instrumente “calando“ vorgeschrieben. Piú dolce sempre und calando unterstützen einen sensiblen Abschluss des Satzes. IV. Satz Finale, Vivace; 2/2 Takt, Tonart F-Dur Teil “A“ Takt 1.: EINLEITUNG Im Klavier ertönt dreimal der "F"-Ton, welcher als dominantes Motiv im Satz dient. Dies ist ein Motiv einer fanfarenartigen Einleitung. Während dieses Motivs gibt es in der linken Hand eine kräftige, achtelspielende Begleitung. Das klingende „Glocken“-Signal wird im Takt 2 in eine Melodie umgewandelt. Im Takt 5 tritt die Klarinette in einem Auftakt, mit 63 einem schwungvollen Dreitonmotiv ein. Gleichzeitig spielt das Klavier drei längere Akkorde. Das Motiv der Klarinette wird eine Oktave tiefer im nächsten Takt wiederholt. Diese Wiederholung ertönt schon in piano und bereitet die Einführung des Rondothemas vor. Das RONDOTHEMA „a“ ertönt im Takt 9. Seine Stimmung ist fröhlich und mühelos, was die repetierten Stakkato Töne auch zeigen. Inzwischen hören wir die in der Einleitung ertönenden F-Signaltöne in der Bassstimme des Klaviers. In den letzten zwei Takten des Rondothemas weicht die Musik von F- Dur ins A-Moll aus. Im Takt 17 ("b") spielt das Klavier Akkordaufteilungen mit parallelen Oktaven, die mit einem Auftakt beginnen. Die Achtelbewegung, und führt von A-Moll zu A-Dur. Die Klarinette imitiert die Arpeggien des Klaviers ab dem 21 Takt, und kommt dann mit chromatischen Schritte zum F-Dur des Rondothemas. Im Takt 25 (”a") erscheint das Rondothema in der Bassstimme des Klaviers mit glockenartigen F-Tönen. Die zweite Hälfte des Themas erscheint in einer neuen Form, und öffnet sich dynamisch und im Tonumfang. Der letzte Takt der Phrase verschmilzt mit den F-Tönen, welche von einem absteigenden Dreitonmotiv gefolgt werden, was die Klarinette genau aus der Einleitung übernimmt. DURCHFÜHRUNG: Ab Takt 36 spielt das Klavier 5 Takte lang. Es entnimmt die Einleitung und geht ins C-Dur über. Das letzte nach unten gehende Arpeggio wird eine Quart tiefer von der Klarinette imitiert, die im Takt 41 eintritt. TEIL „B” oder 1. EPISODE Takt 42 Im Klavier werden die klingenden F-Töne, wegen der Tonart C- Dur, in C- Töne modifiziert. Das Thema ist in der Tenorstimme des Klaviers. Zugleich spielt die Klarinette ein Motiv, welches zwei Oktaven springt. Takt 46: Die Klarinette übernimmt die Melodie der Tenorstimme des Klaviers. Der modifizierte Abschluss der Phrase führt zu einer neuen, ansteigenden Melodie in der Klarinettenstimme. Takt 54: Die Triolenbewegung des Klaviers ist plötzlich unterbrochen. Sein fünftoniges, in der rechten Hand gespieltes Motiv, -mit zwei Viertel Unterschieden, imitiert die Klarinette vier Takte lang. Das Klavier spielt danach Akkorde in Viertelbewegung und stoppt in G-Dur, der Dominant-Tonart von C-Dur. Takt 62: REPRISE; die Klarinette spielt die signalartigen, aus der Einleitung genommenen Töne, aber statt dem Ton "F" spielt sie "C". Im Takt 66 wiederholt sie dann diese Töne eine 64 Oktave tiefer. Zu diesen klingenden Tönen schließt sich auch das Klavier an, allerdings mit "B" Tönen. Das sagt die Rückkehr von F-Dur voraus. Im Takt 73 tritt die Klarinette mit einem Fanfarenmotiv ein, welches zweimal gespielt wird: zuerst forte, dann piano. TEIL „A” Takt 77: Die Melodie von Teil „A“ ist ebenso präsent, wie bei Takt 9. Takt 85: Die Klarinette bleibt in der zweiten Hälfte von Teil „B“ aus, das Klavier hat hier eine solistische Rolle. Takt 93: Im Teil "A" wird die von der Klarinette übernommene Melodie in der rechten Hand des Klaviers gespielt. Wir hören die klingenden Dreitonmotive wieder. Takt 101: Hier wird der Teil "b" variiert. Das Klavier spielt allein. Es gibt hier C-Dur und A-Dur Harmonien. Im Takt 105 wechseln wir von A-Dur zu D-Moll. Die Klarinette tritt mit der Moll Variante des Anfangs des Rondothemas für zwei Takte ein. Inzwischen wiederholt das Klavier drei "D" Töne in der Bass-Stimme. Den früher leichten Stakkato Teil im angefangenen Rondothema des Klaviers hören wir diesmal im mittleren Register, welches an unbetonten Stellen mit Akkorden in der rechten Hand ergänzt wird. TEIL „C” oder 2. EPISODE Das Thema, welches einfach bearbeitet wurde, ist mit einer „semplice“ angegeben. Die erste viertaktige Phrase wird vom Klavier gespielt. Darauf antwortet die Klarinette ab Takt 123. In den Takten 140-141 gibt es eine Kadenz. TEIL „B'” Tonart F-Dur Takt 142: Das Thema erscheint analog, wie im Takt 42. Mit dem Unterschied, dass die (glockenartige klingenden) "F" Töne dieses Mal von der Klarinette gespielt werden. Takt 154: Die Achtelbewegung des Klaviers ist im Vergleich zum Takt 54 unverändert präsent, aber die Klarinette spielt nichts in diesem Abschnitt. Im Takt 163 beginnt die Rückführung zum Teil „A“. Das klingende Motiv erklingt zweimal bei der Klarinette. Die Tonstärke verringert sich auf „pp“. Teil „A” Im Takt 174 erklingt plötzlich die Fanfare der Einleitung. Im Takt 184 sind die Harmonien des Rondothemas gut erkennbar, aber die Struktur ist hier ganz anders. Die zweite Themaphrase ertönt in "forte", charakteristisch dazu ist ein komplementärer Rhythmus. Im Takt 192 hören wir den vollständigen musikalischen Inhalt von Teil „B“. Die Arpeggio 65 Elemente werden durch säulenartige Harmonien ersetzt. Die Klarinette spielt bei unbetonten Stellen Melodienteile. Im Takt 200 hören wir das Rondothema („a“), wie im Takt 25. CODA, Takt 207: Die klingenden Töne sind in der Klarinettenstimme zu hören. Im Klavier ertönen Akkorde und Arpeggien. Das Stück endet mit einer energischen Coda, die aus der Fanfare der Einleitung entsteht. Die F-Moll-Sonate für Klarinette und Klavier endet schließlich mit einem F-Dur-Akkord. VII.2. Es-Dur Sonate I. Satz Allegro amabile; Takt 4/4, Tonart Es-Dur; Form Sonate. EXPOSITION Die Klarinette beginnt mit einem schönen, liedartigen, eingängigen HAUPTTHEMA. Ihre Charaktereigenschaften sind der sehr große Stimmumfang, die extrem großen Intervallschritte (über eine Oktave), die beweglichen Arpeggien und die Virtuosität. Das Klavier begleitet das Hauptthema mit anmutigen Arpeggien und Akkorden. Die Durchführung im Takt 11 beginnt so, als ob das Hauptthema unformuliert wäre. Die Anfangsmelodie des Themas ist in der Bassstimme des Klaviers präsent. Im Takt 15 wird die Klavierstimme leidenschaftlich, und spielt volle Akkordsequenzen, die zum B-Dur führen. Takt 18: Der erwartete B-Dur Abschluss kommt nicht zustande, weil wir mit einer Halbkadenz zu Es-Moll kommen. Harmonisch berühren wir das Des-Dur und Ges-Dur. Die Klarinettenmelodie steigt innerhalb von vier Takten zwei ein-halb Oktaven ab, die Tonstärke verringert sich deutlich. Die Melodie schließt auf der erweiterten VI. Stufe. Im Takt 22 erscheint das NEBENTHEMA in B-Dur. Die Klarinette spielt das Thema „sotto voce“. In der Bassstimme des Klaviers hören wir die Kanon Imitation des Themas, ein Viertelton später im Vergleich zur Klarinette. Die Phrase ist nicht viertaktig, weil sie mit zwei echoartigen Takten erweitert wird. Im Takt 28 zeigt die Klarinette eine lyrische und größere Version des Nebenthemas. Dann wird die Klarinette im Kanon nicht mehr vom Klavier begleitet. Die gleichmäßige, aus Triolen bestehende Melodielinie der Klarinette erreicht im Takt 38 den musikalischen 66 Höhepunkt mit einem schnellen Crescendo, und plötzlich mit einem dramatische Arpeggio (Sechzehntel Wert). Das Klavier imitiert dieses Arpeggio sofort, und kommt mit einer starken Abschlussgeste auf dem Ton "B" an. Im Takt 40 beginnt der ABSCHLUSSTHEMA ABSCHNITT. Nach dem B-Dur Abschluss begleitet das Klavier mit Triolen Dreiklangaufteilungen die mit dem Abschlussthema ertönende Klarinette. Im Takt 43 erreicht die Klarinette mit einem großen Sprung das untere Register, und spielt in den letzten zwei Takten des Themas die Töne in Triolen. Ab Takt 46 geht das Klavier nach D-Dur über. Inzwischen steigt die Klarinette in Oktavschritten aufwärts. Takt 52: Die Klarinette spielt das Hauptthema in B-Dur. Ihre Begleitung ist ähnlich, wie die ursprüngliche, aber der Rhythmus ist synkopiert und im Takt 55 kommen wir mit einer Melodieführung mit Triolen in Es-Dur an, wo der Teil der Exposition beginnt. BEARBEITUNG Takt 56 Die Grenze zwischen der Exposition und Bearbeitung ist sehr unsichtbar. Das Klavier beginnt das Hauptthema in Es-Dur zu spielen, die Klarinette ergänzt es mit kurzen Arpeggien. Die Harmonie und die Melodie weichen schnell vom Thema und von seiner Tonart ab. Ein plötzlicher „f“ Ton (Takt 60) kommt, und die Klavierakkorde ertönen wie ein Ausbruch, und wir berühren die Tonart B-Dur und G-Moll. Im Takt 69 wird das Nebenthema von der Klarinette transformiert („sotto voce“). Das Klavier ist hier sehr leise präsent. G-Dur und G-Moll Charakter sind gleichzeitig vorhanden. Im Takt 72 macht die Klarinette eine Abschlussgeste, dann verstärkt sie mit den chromatischen Akkorden des Klaviers die G-Dur Tonart. Takt 73: Den Abschluss erweiternd spielt das Klavier das Hauptthema in G-Dur mit schmerzenden Triolenarpeggien. Die Klarinette tritt bei, um die Melodie zu ergänzen. In den Klarinettenstimmen gibt es gepaarte Achtelbindungen. Im Klavier stehen die Tongruppen im 3/8 Takt. Takt 89: Die Klarinette bedient das Hauptthema espressivo in B-Dur. Die linke Hand bewegt sich im Klavier nach unten. Ab Takt 90 beginnt die Melodie der Klarinette unerwartet nach oben zu brechen, und verwandelt sich in ein lebendiges Triolenmotiv. Takt 93: Die Vorzeichen von G-Dur wechseln in Fis-Dur. Dieser Abschnitt vergrößert die Länge der Bearbeitungsphase. Der „Fis“ Orgelpunkt ist als Dominante von H-Dur präsent. 67 REPRISE Fängt im Takt 103 an. Das Hauptthema erscheint in der Klarinettenstimme ebenso, wie in der Exposition. In der ersten Hälfte der Periode sind die Arpeggien des Klaviers mit Triolen dargestellt. Das ist eine Bekräftigung des Vorhandseins 2/8-iger, oder 3/8-iger Einteilungsgruppen, eines der Merkmale des Satzes. In der zweiten Hälfte der Periode ist die Begleitung identisch damit, was wir in der Exposition gehört haben. Es gibt eine zweittaktige Erweiterung. Im Takt 113 beginnt die DURCHFÜHRUNG, die diesmal mit vier Takten kürzer ist, als die in der Exposition. Im Takt 120 ertönt die erste Hälfte des Nebenthemas in Ces- Dur auf der Klarinette. Zwei Achtel später imitiert das Klavier die Melodie. Die „Echo“ Takte in der Melodie und die Harmonien unterscheiden sich davon, was wir in der Exposition gehört haben. Im Takt 126 ertönt eine lyrische und erweiterte Variation des Themas. Takt 132: Die Klarinette macht mit einem dramatischen, nach oben strebenden sechzehnteligen Arpeggio eine Abschlussgeste, ebenso, wie im Takt 34. Takt 138: Anfang des Abschnitts des Schlussthemas. Der Takt beginnt mit einem Es-Dur Abschluss. Die breite, lyrische Klarinettenmelodie begleitet das Klavier mit triolenförmigen Klangaufteilungen. Takt 142: ebenso, wie im Takt 44, in der rechten Hand des Klaviers gibt es die zweite Hälfte des Schlussthemas. Innerhalb von 4 Takten steigen wir zum G-Dur auf, dann führt die rhythmische Begleitung die zweite Hälfte des Nebenthemas bis zum Es-Dur Abschluss. Takt 150: Das transformierte Hauptthema erklingt in Es-Dur, die Klarinette führt die Melodie zu As-Dur. Diese Ankunft ist auch der Anfang der Coda im Takt 154. Von hier ab führt der Komponist die „As“ Töne als "Gis“an. Der durchführende Abschnitt der Exposition erfolgt hier um einen halben Ton erhöht. In diesem Bereich sind allen wichtigen Elemente des Satzes präsent: die Elemente des Themas im Bass, die Arpeggien in der rechten Hand, der synkopierte Rhythmus der Klarinettenmelodie, und das Vorhandensein von 2/8-igen, oder 3/8-igen Einteilungen. Takt 158: Die Klarinette zitiert noch immer aus dem Nebenthema in E-Dur. Die Musik ist sehr ruhig. Im Takt 161 tritt der erwartete E-Dur Abschluss noch nicht ein. Im Takt 162 gleitet die Bassstimme des Klaviers von Ton "H" zu "B", dann erklingt ein Es-Dur Akkord. Damit kehren wir in die Grundtonart zurück. In diesem "tranquillo" Abschnitt erinnert uns die Stimme der rechten Hand des Klaviers an die Harmoniewelt des Nebenthemas. Zwischen 68 Klarinette und Klavier erfolgt wieder eine Gegenüberstellung von zweiachtel-dreiachtel Aufteilungen. Im Takt 170 spielt die Klarinette zum letzten Mal ein Triolenmotiv mit aufsteigender Klangaufteilung, und fällt dann allmählich bis zum Ton "Es" ab. II.Satz Allegro appasionato, Trio Form; Tonart: Es-Moll; in 3/4 Takt. TEIL „A” Takt 1: Die Klarinette beginnt mit einem Auftakt das tragische, leidenschaftliche und heroische Hauptthema. Takt 9: Der erste Teil des Hauptthemas wird hier variiert wiederholt. Das Klavier spielt dieses Musikmaterial allein. Im Takt 17 tritt die Klarinette mit dem NEBENTHEMA ein. Das Klavier begleitet sie mit dissonanten Akkorden, deren Bassstimmen sich in Zweiergruppen um den Ton "As" bewegen. Die Musik bewegt sich in Des-Dur. Dann schreibt der Bass eine Terz tiefer den Ton "F" um. Wir können eine dreitaktige Erweiterung beobachten, die im Es-Moll Abschluss endet. Takt 28: Die Klarinette hält einen langen "Ges" Ton mit einem Schritt nach oben, während dessen kommt das Klavier mit Klangaufteilungen auf ein B-Moll Akkord an. Im Takt 32 wiederholt die Klarinette mit einem Auftakt das vorherige Melodienmotiv. Im Takt 37 beginnt das leidenschaftliche Hauptthema wieder, die Klarinette spielt das gleiche, wie am Anfang des Satzes, aber kommt eine aufgeregtere Klavierbegleitung dazu. Im Takt 47 kommt das Klavier auf einem Dominant-Sept Akkord an. Takt 49: Die Klarinette spielt das SCHLUSSTHEMA, welches aus einer Serie von ruhigen, viertönigen Motiven besteht. Es zeigt eine absteigende Tendenz. Das Klavier übernimmt das Thema, geht aber zu H-Moll über. Im Takt 66: Nach der Generalpause erklingt die Klarinette mit einem aufsteigenden Motiv, und spielt Töne in Dreiviertel Werten. Daraus entwickelt sich eine sehr ausdrucksstarke Version des Abschlussthemas. Die Melodie fällt von Takt zu Takt, bis schließlich in den Takten 77 und 78 von der Es-Moll Dominanten ("B") bis zum Ton "Es“. TEIL „B” /TRIO sostenuto 1.Teil. Takt 81: Dieser Teil unterscheidet sich in Tonart, Tempo und Charakter von dem Teil „A“ des Satzes. Das Klavier präsentiert das majestätische Thema des Trios allein. Die 69 Klarinette bleibt hier 14 Takte lang aus. Das Thema ist reich harmonisiert. Im Takt 89 bekommt das Thema eine "Dis-Moll" Tonalität. Takt 95: Das Thema wiederholt sich in variierter Form, diesmal spielt die Klarinette die Melodie eine Oktave höher. 2. Teil. (Takt 109) Die Klarinette tritt im Takt 112 ein, wo wir in der Tonart Cis-Dur sind. Die Phrase, welche mit zwei Takten erweitert wird, endet in einem Cis-Dur Abschluss. Im Takt 121 erklingt das Hauptthema des Trios. Die oberen Klaviertöne erklingen eine Oktave höher. Die Klarinette spielt in ihrem tiefsten Register und verdoppelt die Melodientöne des Klaviers. Im Takt 126-127 berühren wir das A-Dur, wo die Klarinette einen synkopierten Rhythmus spielt. REPRISE VON TEIL „A” (Takt 139) Das Hauptthema beginnt mit dem Klavier. Die Klarinette tritt im Takt 141 mit dem gleichen Thema ein. Takt 149: Die Stelle des vorherigen Hauptthemas wiederholt sich. Im Takt 157 erscheint das Nebenthema, wie im Takt 17. Takt 168: Eine „tonartige Unsicherheit nachahmende“ Passage geht zu Ces-Moll/H-Moll, so auch im Takt 28. Takt 177: Das Hauptthema erscheint mit einer aufgeregten Begleitung. Takt 189: Das Schlussthema (Codetta) kommt, wie im Takt 49. Im Takt 206 hat die Klarinette die Melodie (ebenso wie ab Takt 66). Ihre Töne klingen vorsichtiger und stärker getrennt. Das Klavier beginnt mit dem ersten Schlag in diesen Takten mit den begleitenden Akkorden. Die Melodie fällt schließlich ab, dann schließt auf dem tiefsten Ton der Klarinette. III.Satz Andante con moto; Form: Thema mit Variationen und Coda. Tonart Es-Dur; 6/8 und 2/4. Takt Takt 1: Thema, 1. Zeile. Die Klarinette spielt die Melodie mit Auftakt. Das 6/8-ige Thema ist mit einer punktierten Achtelnote auf der 6. und 3. Achtel im Takt ergänzt. Das Thema ist viertaktig, die Melodie geht nach oben und nach unten. Auf halbem Weg wird die Tonart As-Dur, dann kehrt sie sich wieder um. Der Abschluss der Melodie erfolgt mit einem aufsteigenden Tonintervall, dessen Schlussmelodie auf der Dominanten erklingt. Dies löst einen „Frage-Effekt“ beim Zuhörer aus. Ab Takt 5 wird die erste Zeile des Themas am Klavier wiederholt. Im Takt 7 erklingt wieder die Klarinette mit kraftvoller Stimme, und spielt das "Frage-Motiv.“ Takt 9: Der zweite Teil des Themas ist 6 Takte lang. Das Klavier spielt die ersten zwei Takte allein, die in G-Moll stehen. Die Klarinette tritt bei und spielt die vier Takte aus dem ersten Teil des Themas, aber das Ende ist modifiziert. Ein 70 melodischer Höhepunkt kommt zustande, der das As-Dur berührt und das "Frage-Motiv“ erklingt auf der Dominanten. Das „Frage-Motiv“ wird wiederholt, aber dieses Mal wird es mit einem Es-Dur-Akkord unterstützt. Takt 15: 1. VARIATION 1. Zeile. Die Klarinette spielt das Thema ohne punktierte Rhythmen. Inzwischen spielt das Klavier ein sehr einfaches Material mit synkopiertem Rhythmus, ohne Harmonisierung. Im Takt 19 wird die Variante der ersten Zeile des Themas wiederholt. Das Klavier spielt allein die von der Klarinette übernommene einfache Melodie. Dieses Mal gibt es Harmoniebegleitung. Ab dem Takt 23 hören wir die Variante der dritten Zeile. Takt 29: 2. VARIATION, 1. Zeile. Die Klarinette bringt die punktierten Rhythmen zurück. Die Variation erklingt im tiefsten Register des Instruments. Das Thema wird begleitet durch an unbetonten Stellen anfangenden Arpeggien. Im Takt 33 hören wir die Wiederholung der ersten Zeile des Themas. Die Rollen werden zwischen beiden Instrumenten getauscht. Im Takt 37 hören wir die dritte Zeile des Themas in G-Moll. Die punktierten Rhythmen in der Klarinette und die unbetont startenden Klavierarpeggien sind hier charakteristisch. Takt 43: 3. VARIATION, 1. Zeile. Bei dieser grazioso Variation werden die Tonwerte bedeutend verringert. Die Variation ist aus Zweiunddreißigsteln aufgebaut. Ab dem Takt 47 hören wir die variierte Wiederholung der ersten Zeile des Themas. Die zwei Instrumente erklingen abwechselnd. Im Takt 51 beginnt das musikalische Material der dritten Zeile des Themas. Hier sind auch die Zweiunddreißigstel charakteristisch. Die Tonart ist G-Moll Takt 57: 4. VARIATION, 1. Zeile. Diese Variation ist diskret, leise und hat statische Natur. Das Klavier im hohen Register zeigt den Rahmen des Themas mit einer Akkordfolge in synkopiertem Rhythmus. Die Klarinette spielt in „pp“ in ihrem tiefsten Register eine Basslinie. Im Takt 61 hören wir die variierte Wiederholung der ersten Zeile des Themas. Die Instrumente wechseln die Rollen. Das Klavier bewegt sich in das untere Register und betreffend Tonhöhe steht die Klarinette über dem Klavier. Sie stärkt die Melodie, die auf dem Top der Klavierakkorde zu hören ist. Im Takt 65 hören wir die dritte Zeile des Themas in G-Moll. Die Melodie verklingt bis zum Ende der sechstaktigen Phrase. Im Takt 70 auf dem Doppelstrich verwendet Brahms eine "Fermata", die die fünfte Variation vorbereitet. Diese hat einen ganz anderen Charakter, und 71 kommt in Tempo an. Takt 71: 5. VARIATION, 1. Zeile. Obwohl das Thema ursprünglich im 6/8 Takt war und nun im 2/4 Takt erscheint, ist es in dieser Variation dennoch erkennbar. Den 1/8-igen Auftakt erweitert der Komponist in einen 1/4-igen Auftakt. Das Klavier beherrscht die ganze Variation. Obwohl das Thema sehr aufgeregt und immer in Bewegung und in Moll Tonart ist, ist es in dieser Variation mit seinen gewählten Rhythmen noch auffälliger, als in anderen Variationen. Die Rolle der Klarinette ist zuerst bei der variierten Wiederholung der ersten Zeile bedeutender. Dann bringt die Klarinette das Thema mit Marcato. Das Klavier spielt sechzehntel Figurationen in den Stimmen beider Hände. Im Takt 87 hören wir die dritte Zeile des Themas. Die Klarinette ist in diesem Abschnitt kaum vorhanden. Im Takt 96 erklingen zwei abschließende Gesten in der Klarinettenstimme. Der Abschluss im Takt 97 wird mit dem Beginn der Coda zusammengelegt. Takt 98: CODA piú tranquillo Die Klarinette begleitet die "Abschluss" Geste des Klaviers mit Triolen-Arpeggien. Vier Takte später ertönt die Hauptmelodie des Themas in der Klarinette. Ab Takt 108 wird die Laune des Musikmaterials leidenschaftlicher, und nachdem der musikalische Höhepunkt erreicht wird, steigt die Melodie in einer chromatischen Tonleiter ab. Im Takt 119 spielt die Klarinette „p“ Akkordaufteilungen. Das Klavier begleitet sie mit statischen, chromatischen Schritten. Durch ein plötzliches Crescendo und nach oben strebende verminderte SeptimArpeggi wird die Musik aufgeregt. Im Takt 136 spielt das Klavier eine lustige Version des Themas. An dieser Stelle gibt es viele Akzentverschiebungen. Ab Takt 143 spielt die Klarinette Motive, die einen abschließenden Effekt haben. Diese letzte (fünfte) Variation wird sich von "Moll" zu "Dur" erhellen, und der Abschluss am Ende der Es-Dur Sonate ist hell und hoffnungsvoll. 72 VIII.Interview mit Béla Kovács124 Frage Nr. 1.: Welche Musik hören Sie gern in der Freizeit? Welche Komponisten haben Sie inspiriert? „In meinem Alter habe ich die Stille sehr gern, aber ich höre alle Arten von Musik gern an. Vor allem die sehr gute Jazzmusik. Ich habe einige Lieblingsdarsteller: Oscar Peterson, Ella Fitzgerard. Es gibt eine Band, wo vier amerikanische Männer singen. Sie sind ein Vokalensemble namens „Highrose”. Sie sind unglaublich gut. Sie spielen und singen zum Beispiel mit dem Orchester von Count Basie, und setzen alle vier auf einem raffinierten Akkord ein, und singen kristallklar. Wahrscheinlich haben sie ein absolutes Gehör. Sie höre ich sehr gern. Außerdem gibt es sehr gute Aufnahmen beim Fernsehsender Mezzo. Zum Beispiel die Konzerte der Berliner Philharmoniker, große Theateraufführungen, Sendungen aus der Mailänder Scala. Wir sind sehr froh über solche anspruchsvollen Konzerte, weil wir in einer Zeit leben, in der im Theater manchmal keine Bühnendekorationen verwendet werden. Es gibt einige sehr schlechte Regisseure in den Theatern. In der Budapester Staatsoper wurde die Oper La Bohème in zwei Arten von Inszenierung aufgeführt. Einer war eine wunderbare Aufführung unter der Regie von Gusztáv Oláh. Die Bühnendekorationen waren sehr ordentlich. Im dritten Satz ein Wald, ein kleines Haus und die Bühnenkulisse waren sehr schön. Das gleiche Stück wurde an einem anderen Ort vorgeführt, wo die Darsteller in Mänteln und T-Shirts gespielt haben. Die Musik ist die gleiche, aber ich interessiere mich auch für das Bühnenbild. „ Frage Nr. 2.: Welchen Einfluss hat die Musik von Brahms auf Sie? „Ich weiß nicht, ob es noch einen Komponisten gibt, bei dem das “Bauwerk“ so wichtig war. Er entwickelt seine Musik von einem „Kern“aus. Zum Beispiel, in dem langsamen Satz der F-Moll-Sonate macht er einen kompletten Satz aus 4 Tönen. Aber was für ein Satz ist das! Dabei stellt sich heraus, dass es nicht empfehlenswert ist, dieses Stück zu früh zu spielen. Die jungen Künstler überspielen immer die Vorschläge des Themas im zweiten Satz. Die anderen Sätze haben die gleichen Elemente. Der letzte Satz in der Es-Dur-Sonate 124 Das Interview fand am 22. März 2017 in Budapest statt 73 ist mein Lieblingsstück. Ich sage immer, dass dieser Satz für mich den Einmarsch des Königs bedeutet. Das beinhaltet den Samteppich, die Goldschmücke und das Königspaar mit der Krone. Es ist unser großes Glück, dass Brahms das Klarinettenspiel von Mühlfeld bemerkte hatte und es ihm gefallen hat. Das ist ebenso wie Stadler bei Mozart. Bei den Werken von Weber gab der Klarinettist Bärmann eine Inspiration an Weber. „ Frage Nr. 3.: Wird, ihrer Meinung nach, die Art der Darstellung vom Alter des Künstlers beeinflusst? Braucht man zu den Brahms-Sonaten eine Art von Reife? „Ja, das ist genau so! Aber nicht nur Brahmsche Musik braucht eine Reife. Ich, zum Beispiel, wagte kein Mozart-Konzert zu spielen, bis ich 30 Jahre alt war, obwohl ich das hätte spielen können. Wenn ich das Stück nicht so spielen kann, dass ich mit mir selbst zufrieden bin, was soll ich dann vom Publikum erwarten? Bei Brahms ist es noch mehr so. Ich unterrichte seit zweiundvierzig Jahren an der Universität. Die Absolventen sind mehr als 20 Jahre alt. Als Lehrer könnte ich den Schülern raten, dass sie sich mit der Musik von Brahms nur im letzten Abschnitt ihrer Studien beschäftigen. Sie werden sicherlich noch eine Menge interessante Sachen im Lebenswerk von Brahms finden, die noch nicht „ausgenutzt“ sind. Diese Musik ist so komplex. Wir haben zum Beispiel ein Fall mit dem Brahms Klarinettenquintett gehabt, wobei am Anfang des langsamen Satzes ein Dreitonmotiv zweimal wiederholt wird, und dann geht die Klarinette in eine andere Richtung. In der Reprise scheint es so, als ob vom Thema der Klarinette ein Takt fehlen würde. Aber es ist nicht so, weil dieser Takt in der Violinstimme enthalten ist. Vielleicht liegt es daran, wage ich zu sagen, dass nicht jeder Brahms mag. Zum Beispiel, wenn ich spiele, kommt nie meine Frau zu mir, weil für sie die Brahms Werke ein bisschen langwierig, langweilig sind. Jedoch ist es sehr gut Brahms Werke zu spielen, das ist sicher so. Aufgrund meiner Lehrtätigkeit sage ich, dass es ratsam ist, die Musik von Brahms erst später kennenzulernen. Wenn man darüber nachdenkt, dass ein geschickterer Student eines musikalischen Konservatoriums die Stücke von Brahms spielen kann, weil die technisch nicht schwierig sind. Es gibt Viertel, Achtel, halbe Noten. Der Rhythmus dieser Stücke ist auch nicht schwer. „ Frage Nr. 4. Welche musikalische Richtlinie halten Sie für die wichtigste in den Vorträgen der Brahms-Sonaten? „Die wichtigste ist, die Tradition einzuhalten, denn die Welt ist heutzutage sehr unrealistisch. Ich bin der Abonnent der Zeitung „The Clarinet“, in dem haarsträubende 74 Dinge über die Es-Dur Sonate geschrieben wurden. Der Analyst fand den ersten Klang der Sonate zu lang, und sofort hat er einen Vorschlag gemacht, dass es mit Vibrato gespielt werden soll. Nun, so ist es nicht richtig. Und viele übernehmen diese Spielweise. Sie sagen:„Aber es ist so gut, wir haben es so noch nicht gehört:“ Als Pädagoge sage ich, dass die Traditionen eingehalten werden sollen. Mozart hat auch eine starke Tradition, und diese Tradition wird stark von den Österreichern bewahrt.“ Frage Nr. 5: Welche war die beste Brahms Darbietung, die Sie je gehört haben? „Ich habe sehr viele gehört, aber immer gab es etwas, was mir darin nicht gefallen hat. Bitte das nicht als Selbstgefälligkeit zu bezeichnen, ich will nichts beurteilen. Entweder kamen die Phrasen nicht so, oder zum Künstler passte die Brahms-Musik nicht. Deswegen ist diese Musik schwierig. Sicherlich wird das, was ich mit Ferenc Rados gemacht habe, auch von anderen kritisiert.“ Frage Nr. 6. Sind Sie mit Ihrer Aufnahme zufrieden? „Seit langem habe ich sie nicht gehört. Ich mag es nicht, mich selbst zu hören. Ich fühlte mich dann so, dass ich besser hätte sein können. Bei der Musikaufnahme haben wir einen gewissen Zeitdruck, wir müssen immer fortfahren, wir haben zeitliche Zwänge und andere Umständen spielen auch eine Rolle. Obwohl ich mich daran erinnere, dass die Kollegen mir während der Aufnahme viele Unterstützung gegeben haben, müssen viele Dinge gut zusammenkommen. Diese Dinge sind leider so. Ich höre einmal eine Aufnahme gern, um zu wissen, was ich getan habe, und wenn ich jemals die Gelegenheit hätte, was könnte ich anders machen. Aber es gibt keine andere Gelegenheit. Ich höre übrigens keine Aufnahmen, denn sie sind wie Konserven „Konservenmusik“. Solche Aufnahmen sind sehr selten, welche ich mehrmals höre, weil die immer so wirken, wie wenn sie neu wären. Egal, wie gut das Orchester ist, egal wie gut der Dirigent ist. Da ich die Aufnahme schon einmal gehört habe, weiß ich, was zu erwarten ist. Daher ist ein Live Konzert so fabelhaft, weil wir dort noch nicht wissen kann, was wir hören werden. Und außerdem, nichts kann man zweimal auf die gleiche Art spielen. Wer ein Musiker ist, weiß was ist, was tief berührt.“ Frage Nr. 7: Was denken Sie, ob die Interpretation beeinflusst wird, wenn der Künstler eine Klarinette mit deutschem System, oder französische (Boehm) Klarinette spielt? „Ich kenne beide Arten von Klarinette, weil ich zwei Jahre in der Musikschule auf einem deutsch-basierten Instrument gelernt habe. Mein Lehrer, der Klarinettist der ungarischen Staatsoper war, hat damals gesagt, dass ich auf ein Boehm-basiertes Instrument wechseln 75 soll, denn es ist das Instrument der Zukunft. Ich habe oft gedacht, dass ich, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, nicht von dem Instrument mit deutschem System abweichen würde. Dieses hat vielmehr solch einen Klang, den ich mag. Es gefällt mir viel besser. Aber das Instrument mit dem Boehm-System ist technisch viel einfacher. Vielleicht haben die Boehm Instrumente deshalb einen anderen Klang, weil das Rohr nach unten erweitert ist, und bei den deutschen Instrumenten aber zylindrisch. Am Anfang leiden die Schüler sehr mit dem deutschen System wegen der technischen Schwierigkeiten der Tastatur. Die Boehm Klarinette ist viel klarer in Bezug auf Intonation.“ 76 IX. Zur Interpretation der Klarinettensonaten Wie ich es schon in Kapitel V. erklärt habe, hatte das Klarinettenspiel von Richard Mühlfeld einen großen Einfluss auf Brahms. Leider wissen wir nicht genau, wie Mühlfeld diese Stücke vorgetragen hat. Typisch für die Romantik ist, dass die Werke keine vorgestellte Idealfigur haben. Ich habe mir sechs verschiedene Aufnahmen von beiden Sonaten angehört, und habe eine beschreibende Analyse davon fertiggestellt. Ich möchte die Aufnahmen nicht bewerten und einstufen, und werde keine Stellungnahme betreffend ihrer Qualität geben. Typisch für alle Aufnahmen ist, dass sie mit markanten Konzeptionen vorgetragen worden sind. In den Noten von Brahms kommen Metronomangaben sehr selten vor. Er glaubte, dass es kein absolutes und unveränderliches Tempo in der Musik gibt, und der musikalische Wert eines vortragenden Künstlers viel wichtiger ist, als die Einhaltung von mechanischen Anweisungen. Bei einer Probe, als Brahms das Deutsche Requiem dirigierte, fragte er die Sopranistin um ein Tempo, in dem sie singen will, um ihr dann einfach zu folgen. Beim Beobachten der verschiedenen Interpretationen habe ich folgende Aspekteke beachtet: die Spieldauer, das Tempo, die Anwesenheit des Tempounterschiedes zwischen Formteilen, die Amplitude der Dynamik, Diese Aspekte wurden in den Tabellen 1-7 demonstriert. 77 Zusammenspiel zwischen Klarinette und Klavier, Reichtum der Klangfarbe, welchen Instrumentyp verwendet der Klarinettist, Gebrauch von Vibrato, und die Amplitude des Vibratos IX.1. Karl Leister und Ferenc Bognár Karl Leister ist ein deutscher Klarinettist. Von 1953 bis 1956 studierte er bei Heinrich Geuser an der Hochschule für Musik Berlin und wurde 1957 Solo-Klarinettist an der Komischen Oper Berlin. In 1959 wurde er Solo-Klarinettist bei den Berliner Philharmonikern, wo er bis 1993 spielte. Zur selben Zeit begann er seine internationale Karriere als Solist. Seit 1972 unterrichtet er an der Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker und veranstaltet internationale Meisterkurse.125 IX.1.1.Sonate in F-Moll Karl Leister und Ferenc Bognár Typisch für die ganze Sonate ist, dass die beiden Künstler überzeugende Tempi verwenden, und mit ihrem Spiel authentische Charaktäre darstellen. Die Zuhörer haben Freude am vollen Klang, am singenden Wohlklang und an der Energie. Die Klarinette hat einen völlig ausgewogenen Stimmumfang. Die virtuosen Elemente, wie Läufe von Sechzehntelnoten und die schnellen Klangaufteilungen werden vom Klarinettenspieler immer klar, gleichmäßig, ohne Angst gespielt. Das Zusammenspiel beider Instrumente ist sehr ausgearbeitet, sie reagieren empfindlich auf die Gesten voneinander. Es zeigt sich sehr gut, wo die Klarinette wichtigere Rollen hat, oder wo das Klavier wichtigeres musikalisches Material hat. Die formalen Grenzen werden von den Künstlern anspruchsvoll getrennt. Ich habe einen Vortrag gehört, der reich an Agogik und Klangfarbe ist. Betreffend den Tempowechsel innerhalb der Sätze ist es charakteristisch, dass die Themen bei der Reprise in einem anderen Tempo ertönen. Zum Beispiel, in der Reprise des ersten Satzes (Takt 138) wird das Nebenthema in einem langsameren Tempo gespielt, als in der Exposition. Im zweiten Satz können wir auch beobachten, dass das Thema ab Takt 75 langsamer gespielt wird, als am Anfang des Satzes. Der Vortrag ist reich an Agogik. Die Formenteile werden gut erkennbar. Im Satz vor den Takten 74 und 119 wird eine starke Agogik verwendet. Sie bewegen sich sehr genau miteinander. Die individuelle, freie Handhabung der Rhythmen ist für den Vortrag nicht besonders charakteristisch. Der Klarinettenspieler hebt in der Coda des ersten Satzes (Takt 211) den 4. 125 www.die-klarinetten.de/content/deutsch/klarinette-spieler.html (22. Juni 2017) 80 Ton der Achtelgruppe (Absolut Ton "B") ein bisschen verlängert hervor. Im zweiten Teil der Sequenz macht er das gleiche mit dem auf dem 4. Achtel stehenden Ton. Am Ende des Satzes im zweiten Takt des letzten Klarinettenspiels wird der Wert des absoluten Tons "D" leicht verlängert. Die barockartige Zweiunddreißigstel Verzierung im Satz 3 (Teil „A“) wird vom Klarinettenkünstler schön „gezeichnet“, aber er legt nicht viel Wert auf dekorative Klänge, im Gegensatz zu Hauptklängen. Der zweite "dolce" Teil am Anfang des Themas erklingt wirklich sehr empfindlich. Im Satz 3 wird das 2. Thema des Teils „A“ (Takt 17) während der Wiederholung stärker gespielt. Die schwebende Natur des Trios wird von den Klarinettisten mit den in der tiefen Lage erklingenden Tönen sehr gut dargestellt. 4. Satz: Ich sehe keinen großen dynamischen Unterschied zwischen den beiden Teilen der zweigeteilten Singal, obwohl in dem Notenmaterial forte und piano vorgeschrieben sind. Im Rondothema ertönen schöne, runde Stakkatos. Der Charakter der Stakkatotöne ist in beiden Musikinstrumenten homogen. Für den Vortrag ist die Verwendung von Vibrato nicht charakteristisch, obwohl der Klarinettenkünstler auf dem dreiviertelwertigen Ton im Takt 41 des ersten Satzes eine Vibrato benutzt. 81 IX.1.2. Sonate in Es–Dur Karl Leister und Ferenc Bognár 1. Satz : allegro amabile. Der erste Satz ist durch Innigkeit charakterisiert. Die dynamischen Proportionen sind gut. Betreffend Stimmung ist dieser Satz sehr vielfältig. Er führt von melancholischen, bis zu energischen Ausbrüchen zurück zum Hauptthema. Die dreiteilige Struktur des Satzes ist aus musikalischer, dynamischer und emotionaler Hinsicht gut aufgebaut. Die Spezialität des Satzes ist die Coda, in der das Verhältnis zwischen Klavier und Klarinette sowohl in Charakter, als auch in Dynamik sehr wichtig sind. Während des Vortrags beider Künstler erscheint eine reale vertrauliche Atmosphäre. Im "tranquillo" kommt das Klavier zum Vorschein, die Klarinette spielt nur dekorative Klänge. Die Künstler präsentieren diese Geste sensibel dem Publikum. Sie sind perfekt aufeinander angepasst. 2. Satz : Allegro appassionato Beide Künstler zeigen in authentischer Weise die Gegenüberstellung der “espressivo" und "dolce espressivo" Charaktären des Satzes, und ihre Koexistenz. Im Trio ist das Tempo langsamer im Vergleich zum Tempo des Teils „A“. Beide Darsteller schaffen eine elegante, würdevolle Atmosphäre. Teil „A“ erklingt in gleicher Weise in der Reprise wieder. 3. Satz : Andante con moto Der Klarinettist spielt die Auftakte der kleinen verlängerten Rhythmen der 6/8-ige Takte mit Akzenten. 1. Variation: Die Intonation ist perfekt. In der 2. Variation ergänzt die Klarinette hervorragend die Triolen-Arpeggien des Klaviers. In der 3. Variation erscheint das Thema im diminuierten Rhythmus. Die Klarinette ist hier virtuos, lebhaft, lebendig, dann in der 4. Variation mit ihren repetitiven, im tief Register erklingenden Töne scheint es so, als ob sie die Bewegung der Musik stoppen wollte. Die dynamischen Verhältnisse sind ausgeglichen und die Agogik wird sensibel umgesetzt. Die Coda des Satzes ist relativ lang. Sie ist voll mit dynamischen Steigerung und Senkungen. Die Klarinette handelt den Rhythmus manchmal freier, (Takt 119-120) Jedoch werden die chromatischen Läufe sehr gleichmäßig, zusammengespielt. Der Satz endet beschwingt, was von der Vortragenden auch verwirklicht werden kann. 82 IX.2.Wenzel Fuchs und Elena Bashkirova Wenzel Fuchs ist ein österreichischer Klarinettist. Er gibt internationale Meisterkurse und ist Soloklarinettist der Berliner Philharmoniker. Nach einer Ausbildung am Konservatorium Innsbruck bei Walter Kefer studierte er an der Wiener Musikhochschule bei Peter Schmidl und sammelte während dieser Zeit als Substitut erste Orchestererfahrungen bei den Wiener Philharmonikern. Seit 1993 gehört er den Berliner Philharmonikern an. Er ist Dozent an der Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker. Seit Oktober 2015 ist er Professor am Mozarteum Salzburg.126 IX.2.1. f-moll Sonate Wenzel Fuchs und Elena Bashkirova 1.Satz Der melancholische Charakter des Hauptthemas ist in diesem Vortag gut realisiert. Das Klavier ist in dynamischer Hinsicht deutlich präsent. Das Spiel des Pianisten ist energisch. Manchmal ist er lauter als die Klarinette und erdrückt sie. Temposchwankungen sind typisch innerhalb des Satzes. Nach der Durchführung nach dem Hauptthema beginn das Nebenthema ohne Agogik. Die dritte Achtel des Nebenthemas ist vom Klarinettisten verkürzt, um das legato Motiv von den zwei Marcato Gliedern besser zu trennen. Er spielt auf dem absolutes "Ges" in Halbnotenwerten ein Vibrato. Ab Takt 61 wird das Tempo verbreitet, das musikalische Material vor dem Abschlussthema wird etwas langsamer. Vor Takt 77 hören wir Agogik. Es ist deutlich hörbar, wo der Expositionsteil anfängt, weil die Künstler in den zwei letzten Takten das Tempo zurückhalten. Im Takt 116 wird das mit “forte“ ertönende dreitönige Motiv auf unbetonter Stelle vom Klarinettenkünstler verkürzt, fast Stakkato gespielt. Die Takten 136-137 wird die Reprise deutlich verlangsamt gespielt. Bei der Rückkehr vom "dolce" Nebenthema (Takt 161-162) spielt der Klarinettenkünstler auf zwei Halbnotenwertigen Tönen ein Vibrato. Der "G" Ton vor der Coda ist in der Klarinettenstimme mit dem ersten Ton der Codas fast verbunden. Ab Takt 231 verlangsamt sich das Tempo deutlich und der Satz wird in diesem Tempo beendet. In der dekorativen Stimmengruppe des Themas des 2. Satzes, spielt der Klarinettist den 126 https://www.berliner-philharmoniker.de/orchester/musiker/Wenzel-Fuchs/ (22. Juni 2017) 83 ersten Ton eine zweiundachtzigstel Einheit länger. Ab Takt 27 spielen sie das musikalische Material sehr langsam (Achtel = 52). Bis zum Ende des Satzes wird das Tempo noch langsamer (Achtel = 48). Im Satz Nr. 3 hat das erste Thema einen sehr geläufigen, fast himmlischen Charakter. Der erste Teil des 2. Themas ist im Charakter gut vom 1. Thema getrennt. Der Klarinettenkünstler akzentuiert in jedem Takt den ersten Ton. Im Takt 63 ertönt der wiederholte Teil zum zweitem Mal lauter, in mezzoforte. Vor der Rückkehr von Teil „A“ ist der Ton „F“ mit der Fermate im Klavier kürzer als gewohnt. Die Pause mit der Fermate ist ganz kurz. Dann plötzlich beginnt die Reprise des ersten Teils von Teil „A“. Auf den Stakkato-Läufen im Satz 4 erhöht der Klarinettist die Tonstärke, gibt einen Akzent auf "Eins" des 5. Taktes des Themas. IX.2.2 Es-Dur Sonate Wenzel Fuchs und Elena Bashkirova 1. Satz allegro amabile Wenn das Nebenthema ertönt, ist das Klavier meiner Meinung nach dynamisch zu stark. Die musikalische Forte-Höhepunkt der Klarinette ist vom Klavier ein bisschen bedeckt. Im Hauptsatz (Exposition) ist die transformierte Version des Nebenthemas nicht ganz „versteckt“ in Deckung des Klaviers. 2. Satz: Das Thema wird vom tragischen Heldentum, Leidenschaft charakterisiert. Der Klarinettist verwendet nicht die breite Palette der Dynamik. Die Erscheinung des Hauptthemas in der Reprise finde ich zu leicht und beiläufig. Im Vergleich zum starken Pianospiel malt die Klarinette das Thema mit einer weichen Bürste. 3. Satz: andante con moto Dieser Vortrag ist reich an Tonfarben. Im Takt 37 (2. Variation) verlängert die Klarinette den punktierten Auftakt, deswegen geht dadurch der Marcato-Charakter verloren. Die dritte Variante hat einen spielerischen Charakter. Hier können wir einen Dialog zwischen Klavier und Klarinette beobachten. Entsprechend kann das nur so erreicht werden, wenn beide sowohl in der Dynamik, Ton, als auch im Charakter in einer homogenen Art und Weise ertönen. In diesem Satz ist die Homogenität zwischen den beiden Künstlern nicht vorhanden. In der fünften Variation überspielt das Klavier die Klarinette. Ab Takt 115 bis zum Ende des Satzes tritt ein hohes Maß an Genauigkeit auf. 84 IX.3. Richard Stoltzman und Richard Goode Richard Stoltzman ist ein amerikanischer Klarinettist. Er gewann zahlreiche Preise als Musikkünstler. Es ist sowohl als Solist, als auch als Teilnehmer von Kammerensembles tätig. Er hat viele Aufnahmen während seiner Karriere gemacht. Neben der klassischen Musik spielt er auch Jazz Musik.127 IX.3.1.Sonate in F-Moll Richard Stoltzman und Richard Goode Charakteristisch für die ganze Aufführung ist, dass der Klarinettist viel Vibrato verwendet. Ab Takt 25 in der Durchführung, beim letzten Klang der nach oben steigenden Arpeggien werden immer kurz von der Klarinette gespielt. Der „ma ben marcato” Charakter im Nebenthema wird nicht ganz verwirklicht. Im Takt 105 in der Expositionsphase ist die Klarinette kaum zu hören, weil das Klavier viel lauter ist, und die Klarinette erdrückt. Ab Takt 136 beginnt ein neuer Teil, was auch vom Doppelstrich angezeigt wird. Bei diesem Vortrag halten die Künstler den letzten, halbnotenwertigen Akkord nicht aus, sodaß der erste Akkord im Takt 136 zu früh kommt. Im Takt 147 in der Serie des „seufzerartigen” Achtelpaars hebt der Klarinettist das erste und vierte Achtelpaar hervor. Die ersten Töne diese Achtelpaare werden länger gespielt, die 2., 3 Paare werden in schnellerem Tempo, ohne Akzent dargestellt. Bei der Wiederholung dieser Zeile mit "Seufzermotiv” wird der vorherige Gedanke weiter verfolgt. Ab Takt 155 spielt der Klarinettist das Material des Nebenthemas mit sehr viel Vibrato. Bei der Rückkehr des Schlussthemas spielt die Klarinette in viel langsameren Tempo als der Pianist. Dadurch wird der ohnehin schon komplizierte Takt leider verwirrend. Die zweiten Töne des Achtelpaars ab Takt 187 sind immer kurz gespielt. Der Klarinettist atmet im Takt 217 vor der absoluten "G-B" Verbindung, wodurch der musikalische Prozess unterbrochen wird. 2. Satz: Auf die Verzierung des Themas von Teil „A“ wird nicht viel geachtet, eher werden die wichtigsten Töne der Melodie hervorgehoben. Ab Takt 31 kann keine rhythmische Freiheit erkannt werden, der Klarinettist spielt viele Vibratos. Beide Künstler zeigen den Charakter des Satzes in gleichem Stil. In Tonstärke sind sie ausgeglichen. 3. Satz: In diesem Satz haben sie ein entspanntes Tempo gewählt. Die 2 Themen von Teil 127 www.richardstoltzman.com (22. Juni 2017) 85 „A“ werden mit erheblichem Charakterunterschied dargestellt. Die Klarinetten-Kadenz im Takt 39-40 wird vom Künstler ein bisschen beschleunigt gespielt. Bei der Wiederholung des zweiten Themas nimmt er die gleiche Tonstärke in Anspruch, wie zuerst. Am Ende des Satzes, im "calando" Abschnitt werden die Achtelgruppen nach den punktierten Vierteln vom Künstler betont. Das bedeutet, dass der Akzent nicht auf die "Eins" in dem Takt, sondern auf die vierte Achtel gelegt wird. In den letzten zwei Takten des Satzes wird das Tempo sehr verlangsamt. Das signalartige Motiv wird vom Pianisten und Klavierkünstler in verschiedenen Charaktern dargestellt. Manchmal gerät das Klavier betreffend der Tonstärke allzu sehr in den Vordergrund. IX.3.2.Sonate in Es-Dur Richard Stoltzman und Richard Goode 1. Satz allegro amabile. Der Klarinettenkünstler hat das Hauptthema in authentischem Ton gezeigt. Im ersten Ton von Takt 5 hören wir zuerst, dass er ein Vibrato verwendet. Ab Takt 18 wird die Tonstärke bedeutend reduzieren. Der Klarinettenkünstler macht Vibrati auf den Tönen des "sotto voce" Nebenthemas. Vor dem Schlussthema erreichen beide Künstlern sowohl dynamisch, als auch musikalisch gleichzeitig geschmackvoll den musikalischen Höhepunkt. Hauptsatz: ab Takt 63 macht der Klarinettist wieder viele Vibrati auf den Tönen, und manchmal geht es auf Kosten der reinen Intonation. Im Allgemeinen kann festgestellt werden, dass die Verwendung der vielen Vibrati die Intonation instabil macht. Das Haupthema des Hauptsatzes spielt die Klarinette fast zu frei, "chanson"-ähnlich. In der Reprise wird das Hauptthema wieder mit viel Vibrato gespielt. Das Verhältnis zwischen dem Pianisten und Klarinettisten ist in diesem Abschnitt durch genaues, atmendes Zusammenspiel gekennzeichnet. Danach wird in der Coda vom Klarinettenkünstler der Rhythmus ganz frei behandelt. Die Klarinette steht rhythmisch mit dem Klavier nicht im Einklang. 2. Satz: appasionato. Der Klarinettist denkt eher in zweitaktiger, anstatt in viertaktiger Einheiten, der Pianist nimmt dagegen viertaktige Einheiten an. Der zweite Abschnitt des Satzes ist ein "espressivo", was uns der Klarinettist leider nicht zeigt. Aus der Imitation des Klaviers hören wir zuerst den Bereich des espressivo. Im Allgemeinen können wir sagen, dass die zwei Instrumente in deutlich unterschiedlicher Klangqualität auf den Zuhörer 86 wirken. Die Klarinette ist flexibel, aber ihr Ton ist nicht ganz rund und nicht gehaltvoll. Ihr Ton wird mehrmals dünner, was zu Intonationsproblemen führen kann. So kann sie mit dem mächtigen, vollen Klang des Klaviers nicht konkurieren. 87 IX.4. Florent Heau und Patrick Zygmanowski Florent Heau studierte am Pariser Konservatorium (CNSM de Paris) in der Klasse von Michel Arrignon. Er gewann den ersten Preis in vielen bekannten internationalen Wettbewerben zwischen 1991-1995. Dank dieser Preise wurde er schnell die dominante Figur der französischen Klarinettenschule. Er gibt Konzerte und Meisterkurse in der ganzen Welt. Derzeit unterrichtet er am CRR de Paris und an der Musikhochschule in Osaka.128 IX.4.1.Sonate in F-Moll Florent Heau und Patrick Zygmanowski 1. Satz: Das Tempo der ersten Durchführung ist langsamer, als das des Hauptthemas. Das Tempo des Schlussthemas ist frei behandelt in den beiden Instrumenten konsequent schwankend. An einigen Stellen kommt der musikalische Prozess in Bewegung, an anderen Stellen wird er zurückgehalten. Im Hauptthema ist der Ton bis Takt 116 sehr lyrisch, und innig. Bei der Rückkehr des Nebenthemas ändert sich die Stimmung des musikalischen Materials. Die Spielweise ist markant und energisch. Die Grenzen der formalen Einheiten können gut erkannt werden. Ab Takt 187 werden sich die „seufzerartigen“ Motive parallel mit der Abwärtsbewegung der Klarinette geringfügig beschleunigen. Die vortragenden Künstler gestikulieren bei den Imitationsmaterialien homogen. Im letzten Abschnitt des Satzes (sotto voce) zeichnet die Klarinette schmerzhaft sein letzte Stimme. 2. Satz: Die Klarinette spielt sehr singend. Nach dem Rückkehr von Teil „A“ wird das Thema espressivo mit mehr Vibrato dargestellt, wie beim ersten Mal. Das Tempo vor der Coda wird zurückgehalten. 3. Satz: Sie präsentieren den Charakter des Satzes sehr authentisch. Die Künstler spüren den rhythmischen Charakter der Tanzabschnitte, die folkloristischen Motive werden sensibel dargestellt. Wir können die reichen Tönungen der Agogik beobachten. Im Takt 119-122 spielt der Klarinettenkünstler den Rhythmus der Achtel-Arpeggien geschmackvoll frei. 4. Satz: Beim Rondothema wird vom Klarinettenkünstler im Auftakt das Achtelpaar hervorgehoben, etwas langsamer und aufgegliederter in das Thema eingepasst. Das Signalmotiv erscheint bei beiden Instrumenten im gleichen Charakter. Bei der Bearbeitung von Teil „B“, ab Takt 142 mischt sich die Klarinette in das Musikmaterial des Klaviers ein. 128 www.florentheau.com/en/about/ (22. Juni 2017) 88 In diesem Vortrag erschient eine Reihe von lebendigen und melancholischen Charaktären. Energische Akzente sind zu hören. Anmut und Eleganz erregen die Aufmerksamkeit des Zuhörers. Die Charaktäre sind überzeugend authentisch. Die Tönung der Klang ist inhaltsvoll in allen Registern der Klarinette. Das Spiel der Vortragenden ist durch eine Mischung von Disziplin und Leidenschaft charakterisiert, was eine besondere Intensität mit sich bringt. IX.4.2.Sonate in Es-Dur Florent Heau und Patrick Zygmanowski 1.Satz: allegro amabile Der Anfang des Themas sagt mir alles über die Stimmung des gesamten Satzes. Ich finde er ist in einem sehr geläufigen, sehr „französischen“ Charakter gehalten. Der Klarinettenkünstler geht mit dem Rhythmus sehr frei um. Der Zuhörer fühlt eine Art von Rhythmusschwankung, was nicht in jedem Fall glücklich ist. An einigen Stellen wird die Musik beschleunigt, anderswo wird sie zurückgehalten. Beide Künstler realisieren das sehr koordiniert. Der Klarinettenkünstler bring viele Vibrati, besonders auf den längeren Tönen. Die Künstler stellen die breite Skala der dynamischen Ebenen dar. Ab Takt 94 beschleunigen sie das Tempo und setzen dann zum ursprünglichen Tempo des Hauptthemas zurück. Im Takt 150 nach der Durchführung wird das Hauptthema mit schöner Sensibilität zurückgebracht. 2. Satz: allegro appassionato Der Ton und Klangcharakter dieses Vortrags ich ein bisschen zu geläufig. Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass jeder Ton eine Bedeutung (Gewicht) hat. Die einzelnen Töne dürfen nicht an Inhalt verlieren, auch wenn sie „nur“ Teile einer Melodie sind. Trio: Diesen Satzteil soll eine würdevolle Atmosphäre charakterisieren, die dann den Hörer auf den Appassionato-Charakter des Teils „A“ zurückführt. Das Trio hat für mich keinen sostenuto Charakter. Vielleicht war das Tempo nicht angemessen. 3. Satz: andante con moto Im Thema setzen die Darsteller den Akzent auf unterschiedliche Stelle. Es gibt Künstler, die den Akzent auf den gepunkteten Auftakt und andere, die ihn auf die erste Achtel des Taktes setzen. Bei dieser Aufnahme können wir die letztere Möglichkeit beobachten. Der Auftakt spielt eine geringere Rolle. Die Variationen sind durch Agogik getrennt. Der Klarinettist spielt die zweite Variation sehr 89 frei, mit viel Vibrato. In der Abschluss-Periode des Satzes benutzt er besonders viele Vibratos. 90 IX.5. Michael Collins und Mikhail Pletnev Michael Collins ist ein britischer Klarinettenkünstler. Als Solist spielt er in den bedeutendsten Orchestern der Welt. Er wird heutzutage einer der größten Klarinettenkünstlern betrachtet. 129 IX.5.1.Sonate in F-Moll Michael Collins und Mikhail Pletnev In dieser Aufführung ertönt die Musik von Brahms dynamisch. Während des Anhörens der Musik war ich sehr froh über den vollen Klang, singenden Wohlklang und Schwung. Der Klarinettist spielt die Musik mit einer außergewöhnlich vollen und ausgeglichenen Stimme formiert im Anfangssatz leidenschaftlichen Charakter, verwendet runde, warme Legati im singenden langsamen Satz und frische Rhythmen im Finale. Der ausgezeichnete Klarinettenkünstler spielt nicht nur mit sauberer Intonation und schöner Stimme, er vermittelt auch die Werte des Werkes mit der nötigen Energie und einer befreiten Interpretationsweise. Der Ton der Klarinette ist reichhaltig, flexibel, ihre Klangwelt ist außerordentlich bunt. Aus technischer Hinsicht arbeitet der Klarinettenspieler mit viel Luft, was so viel Energie zum Musizieren gibt, dass er die Vielzahl aller Charaktäre perfekt darstellen kann. Das Spiel des Pianisten bleibt im ganzen Satz gegliedert und differenziert, es ist durch separate Kontrolle und durch die Dynamik und Artikulation der Stimmen charakterisiert. 1. Satz: Leidenschaftliche, energische Vortragsweise. Das Klavier und die Klarinette sind ausgeglichen, sie zeigen eine hochkoordinierte Zusammenarbeit. Die Tönung des Satzes ist sehr bunt. Dieser Vortrag ist reich an Agogik (vor den Takten 187 und 227) Der musikalische Prozess wird sehr gut geführt. Er hält nie an, und ist nicht langweilig. Das Hauptthema ist in der Reprise etwas langsamer, als in der Exposition. Die Durchführung zwischen Hauptthema und Nebenthema wird vom Klarinettenkünstler mit einer ergreifenden Weichheit gespielt. Das "sotto voce" im Takt 231 wird auch sehr eindrucksvoll dargestellt. 2. Satz: Im Vergleich zu anderen Aufnahmen wird dieses Satz langsamer gespielt. Das geht aber nicht zu Lasten der Musik. Die Musik wird wegen des langsamen Tempos nicht 129 www.michael-collins.co.uk (22. Juni 2017) 91 langweilig, der musikalische Prozess ist schön strukturiert. In der Durchführung, ab Takt 45 nimmt der Pianist im Vergleich zum vorherigen Teil ein noch langsameres Tempo an. Wir hören wunderbare Phrasierung von ihm. 3. Satz: Im Vergleich zu den anderen Vorträgen hat diese Aufnahme ein viel schnelleres Tempo. Die Gesamtzeit des Satzes bei ihnen ist fast 40 Sekunden kürzer, als bei den anderen Interpreten. Vor der Rückkehr des Teil „A“ in den Takten 89-90 verlangsamen sie und werden noch langsamer, in den letzten zwei Takten. Die dynamischen Verhältnisse zwischen den beiden Instrumenten sind sehr gut. 4. Satz: Auch in diesem Satz sind beide Künstlern sehr gut koordiniert. Das Signal-Motiv wird in gleichem Charakter dargestellt. In diesem Satz hören wir die Weichheit und flexibile Kraft beider Instrumentenklänge. Tempoänderungen sind nicht typisch in diesem Satz. Im Wesentlichen gibt es Tempowechsel nur an zwei Stellen: Ab Takt 169, welcher die Rückkehr von Teil „A“ vorbereitet, und in der Coda werden die letzten beiden Viertel im Takt 210 verbreitet gespielt. Das ist einzigartig in diesem Vortrag, denn wir hören dieses Konzept bei anderen Aufnahmen nicht. IX.5.2.Sonate in Es-Dur Michael Collins und Mikhail Pletnev Der Klarinettenkünstler interpretierte ausgezeichnet das musikalische Material des ersten Satzes. Das Instrument klingt in jedem seinen Register kristallklar, und reichhaltig. Die Pianos wurden sehr weich, die Espressivos sehr sensibel dargestellt. Ein Gleichklang mit dem Klavier zeugt von einem Gleichgewicht. Diese Spielweise beider Künstler ist sehr reich an Tonfarben. Die Grenzen der formalen Einheiten können gut erkannt werden, und sind klar. Der Ton von 2. Satz (appassionato) ist schon von dem ersten Ton des Auftakts zu hören. Die Künstler arbeiten in diesem Satz mit großem Energieeinsatz. Wo es nötig ist, im Teil vor dem Trio, wird die Energie sensibler klingt ab. Das Trio bringt piano, und reichhaltiges, emotionales musikalisches Material ein. Dieses Material ist völlig das Gegenteil vom einleitenden Teil „A“. Mit der Rückkehr von Teil „A“ fühlen wir wieder die Energie des Satzes, womit die Vortragenden treu die Beschwerde des unruhigen einsamen Helden darstellen. 3. Satz: Das Thema des Satzes enthält ein dreizeiliges Material, wobei wir in der Darbietung von Collins einen neuen Ton der Klarinette erkennen können. Die zweite Variation zeigt eine sorgfältige Arbeit zwischen dem Pianisten und Klarinettisten. Die 92 Motive sind aus kleineren Motiven zusammengesetzt, wir spüren die rollen den Melodien, die sich ähnlich in dem Stück erklimmen, wie die Kletterpflanzen. Die dynamischen Verhältnisse sind gut etabliert. Für mich ist diese Vortrag wirklich authentisch, weil jeder Ton eine Bedeutung hat. Die Coda bringt das Gefühl der Lebensfreude, mit der der Satz endet. 93 IX.6. Béla Kovács und Ferenc Rados Béla Kovács ist ein ungarischer Klarinettenkünstler. Er hat sein Studium ab 1951 an der Franz Liszt Musikakademie in Budapest vollbracht. Im Jahr 1956 wurde er der Soloklarinettist der Ungarischen Staatsoper und der Budapester Philharmonischen Gesellschaft. Seit 1975 unterrichtet er an der Franz Liszt Musikakademie. In mehreren Ländern der Welt ist er als Solist oder als Mitglied eines Kammerensembles aufgetreten, und hat vielen Aufnahmen gemacht. 130 IX.6.1.Sonate in F-Moll Béla Kovács und Ferenc Rados Charakteristisch für den Vortrag ist, dass die Künstler den Rhythmus nicht frei behandeln, und definitiv den vorgeschriebenen Anweisungen folgen. Wir können bloß an einigen Stellen eine individuelle Umsetzung der Rhythmen beobachten. Die Künstler verwenden Agogik zwischen den formalen Teilen. Die künstlerische Gestaltung spiegelt die Vielfalt des Satzes wieder. Unzählige Tönungen und die breite Skala der dynamischen Ebene werden verwendet. Der Klarinettenkünstler spielt mit einer schönen Stimme, und reinen Intonation. In dieser Aufnahme habe ich eine direkte, verständliche Darbietung gehört, was das Wesentliche des Musikwerkes nähergebracht hat. 1. Satz: Ab Takt 13 und ab Takt 43 wird das Tempo von den Künstlern ausgebreitet. An diesen Stellen ist die Melodie in der Klarinettenstimme präsent. Der Ton des Haupthemas ist innig, die Klarinette ertönt weich. Dieser weichere Charakter ändert sich aber ab Takt 116. Bevor die Instrumente den Takt 214 (sostenuto Teil) erreichen, spielt die Klarinettist die Achteltöne langsamer. 2. Satz: Eine freie Spielweise ist hier nichterkennbar, der Rhythmus wird nach Noten gespielt. Der Klarinettist macht keinen Unterschied zwischen Haupt- und dekorativen Klängen des Anfangsthemas. Er behandelt sie auf gleiche Weise. Das Tempo wird im Takt 70 langsamer. Die Vortragenden ändern das Tempo, so dass sie miteinander völlig kooperieren. Sie sind miteinander in voller Übereinstimmung. 3. Satz: Im Charakter des 1. und 2. Themas habe ich keinen signifikanten Unterschied erkannt. Beide Themen ertönen relativ weich und in mittlerer Tonstärke. Am Ende des 130 www.kovacsclarinet.hu (22. Juni 2017) 94 Taktes 122 halten sie den musikalischen Prozess an, bevor sie im Takt 123 weiterspielen. 4. Satz: Das Rondothema ist etwas umständlich und hat keinen geläufigen Charakter. Das Signalmotiv wird bei beiden Instrumenten im gleichen Charakter gespielt. Die dynamischen Steigerungen werden koordiniert implementiert. Innerhalb des Satzes ist ein Tempowechsel nicht charakteristisch. IX.6.2.Sonate in Es-Dur Béla Kovács und Ferenc Rados 1. Satz: allegro amabile Der Klarinettist spielt das Hauptthema sehr schön und liedhaft. Seine Tonfarbe ist melancholisch und innig. Der Takt 9 wird durch einer Agogik vom vorherigen musikalischen Abschnitt abgetrennt. Es ist deutlich erkennbar, wann das Nebenthema kommt. Die Dolce-Melodie wird sehr schön geformt. Das Schlussthema kommt energisch an. Im Hauptsatz imitiert die Klarinette sehr genau den mächtigen Klang des Klaviers, dann ab Takt 63 mischt sich mit den klingenden (glockenartigen) Akkorden in das musikalische Material des Klaviers. In den Takten vor der Reprise wird die Rückkehr des Hauptthemas mit einer gut ausgearbeiteten Verzögerung vorbereitet. Das Nebenthema wird von den Künstlern im gleichen "dolce" Charakter dargestellt. Das Ende des Satzes wird mit starkkoordinierter Verzögerung beendet. 2. Satz: appasionato. Die Klarinette stellt den Appassionato-Charakter effektiv und authentisch dar. In der Reprise spielt die Klarinette das Hauptthema genauso wie in der Exposition. Ab Takt 206 erklingen, in der lyrischen Melodie der Klarinette die Töne zurückhaltend, von sich besser isoliert. Als ob mein Konzept verwirklicht worden wäre, hat jeder Ton hat seine eigene wichtige Bedeutung. Es gibt gute dynamische Verhältnisse zwischen den Instrumenten, trotz der Tatsache, dass die Klarinette in ihrem tiefsten Register spielt. (Nämlich in diesem Register ist es schwerer, einen vibrierten, gut hörbaren Ton zu erzeugen). 3. Satz: Andante con moto Dieser Satz ist relativ langsam. Die Künstlern nehmen ein Tempo von Achtel=78 zur Darstellung dieses Variationsteils. Ich denke, dass es nicht zu Lasten der Musik geht. Das Klavier imitiert sehr gut den Charakter des Klarinettenklangs. Vor der ersten Variation des Themas verbreiten die Vortragenden das Thema, um die 95 Ankunft des neuen Materials vorzubereiten. Das Tempo der ersten Variation ist schneller, als die vorherigen Abschnitte. In der zweiten Variation spielt die Klarinette fast mit piano Dynamik, in ihrem tiefen Register. Wir können die frischen, grazioso, zweiunddreißigstel Arpeggien der 3. Variation beobachten, die von den Künstlern anmutig, in perfekter Synchronisation dem Publikum dargestellt werden. Die statische Natur der 4. Variation zeigt hervorragend die langen, im tiefen Register gespielten Töne der Klarinette. Die 5. Variation wird wieder leidenschaftlich. Das Klavier dominiert die ganze Variation. Coda: Ab Takt 108 wird die Atmosphäre des musikalischen Materials leidenschaftlicher. Das plötzlich, nach oben steigende Crescendo im verminderten 7-Arpeggio macht Aufregung, bis schließlich der Satz (und auch das Musikstück) von Moll zu Dur aufleuchtet. Diese vertrauensvolle Atmosphäre, die der Komponist für das Publikum vorgebracht hat, wird von dem beiden Künstler überzeugend vermittelt. 96 X. Zusammenfassende Tabellen für die Untersuchung der Interpretationen der Klarinetten Sonaten 97 Name der Künstler Dauer Tempo Tempounterschied zwischen Formteilen Dynamische Amplitude Agogik Bezogenheit zwischen Klarinette und Klavier Klangfarbef ülle System des Instruments Frequenz des Vibratos Vibratoamplitude Deutsch selten klein/mäßig Karl Leister Ferenc Bognár 8‘16“ =108 vorhanden pp-ff viel gleichrangig ermäßigt/rei ch/sehr reich sehr reich Wenzel Fuchs Elena Bashkirova 8‘10“ =104 vorhanden p-ff wenig Klavier reich Deutsch keine Richard Stoltzman Richard Goode 8‘ ermäßigt Boehm sehr viel Michael Collins Mikhail Pletnev 8‘06“ =108 vorhanden pp-ff viel gleichrangig sehr reich Boehm keine Béla Kovács Ferenc Rados 7‘31“ =120 vorhanden p-f wenig gleichrangig ermäßigt Boehm keine Florent Héau Patrick Zygmanow ski 7‘43“ =112 vorhanden p-ff viel gleichrangig sehr reich Boehm sehr viel ist manchmal solistisch =104 vorhanden p-ff wenig gleichrangig groß/ sehr groß Tabelle 1. No.1 f-Moll Sonate I.Satz 95 mäßig/groß Name der Künstlern Dauer Tempo Tempounterschied zwischen Formteilen Dynamische Amplitude Agogik Bezogenheit zwischen Klarinette und Klavier Klangfarbefülle System des Instruments Frequenz des Vibratos Vibratoamplitude klein/mäßig mäßig/reich/sehr reich Karl Leister Ferenc Bognár 5‘02“ =66 vorhanden mp-mf wenig gleichrangig sehr reich Deutsch selten Wenzel Fuchs Elena Bashkirova 5‘38“ =66 vorhanden p-mf wenig Klavier sehr reich Deutsch keine mäßig reich Boehm sehr viel ist manchmal solistisch =66 Richard Stoltzman Richard Goode 5‘26“ Michael Collins Mikhail Pletnev 5‘40“ =60 vorhanden pp-mf wenig gleichrangig reich Boehm selten Béla Kovács Ferenc Rados 4‘17“ =80 vorhanden p-mf wenig gleichrangig mäßig reich Boehm keine Florent Héau Patrick Zygmanowski 5‘10“ =69 vorhanden pp-mf wenig gleichrangig sehr reich Boehm sehr viel vorhanden p-mf wenig gleichrangig groß/ sehr groß Tabelle 2. No.1 f-Moll Sonate II.Satz 96 klein mäßig/groß Name der Künstlern Dauer Tempo Tempounterschied zwischen Formteilen Dynamische Amplitude Agogik Bezogenheit zwischen Klarinette und Klavier Klangfarbefülle System des Instruments Frequenz des Vibratos mäßig/reich/seh r reich Karl Leister Ferenc Bognár 4‘43“ =132 vorhanden mp-f viel gleichrangig reich Deutsch keine Wenzel Fuchs Elena Bashkirova 4‘08“ =152 vorhanden p-f wenig Klavier reich Deutsch keine ist Vibratoamplitude manchmal solistisch Richard Stoltzman Richard Goode 4‘46“ =126 vorhanden p-ff wenig gleichrangig sehr reich Boehm sehr viel Michael Collins Mikhail Pletnev 3‘40“ =160 vorhanden mp-ff viel gleichrangig sehr reich Boehm keine Béla Kovács Ferenc Rados 4‘07“ =138 vorhanden p-ff wenig gleichrangig reich Boehm keine Florent Héau Patrick Zygmanowski 4‘05“ =138 vorhanden pp-f wenig gleichrangig sehr reich Boehm sehr viel Tabelle 3. No.1 f-Moll Sonate III.Satz 97 mäßig/groß klein/mäßig Name der Künstlern Dauer Tempo Tempounterschied zwischen Formteilen Dynamische Amplitude Agogik Bezogenheit zwischen Klarinette und Klavier Klangfarbefülle Karl Leister Ferenc Bognár 5‘39“ =92 vorhanden p-ff viel gleichrangig Wenzel Fuchs Elena Bashkirova 5‘21“ =96 vorhanden mp-ff viel Klavier System des Instruments Frequenz des Vibratos sehr reich Deutsch keine ist sehr reich Deutsch keine ist sehr reich Boehm viel mäßig/reich/sehr reich Vibratoamplitude manchmal solistisch =96 Richard Stoltzman Richard Goode 5‘04“ Michael Collins Mikhail Pletnev 5‘ =96 vorhanden p-ff viel gleichrangig sehr reich Boehm keine Béla Kovács Ferenc Rados 4‘58“ =96 vorhanden p-f wenig gleichrangig sehr reich Boehm keine Florent Héau Patrick Zygmanowski 5‘ =104 vorhanden pp-ff sehr viel gleichrangig sehr reich Boehm sehr viel vorhanden mp-fff wenig Klavier mäßig/groß manchmal solistisch 1. No.1 f-Moll Sonate IV.Satz 98 klein/mäßig Name der Künstlern Dauer Tempo =92 Tempounterschied zwischen Formteilen Dynamische Amplitude vorhanden p-f Agogik Bezogenheit zwischen Klarinette und Klavier Klangfarbefülle System des Instruments Frequenz des Vibratos Vibratoamplitude sehr reich Deutsch — — sehr reich Deutsch — — reich Boehm sehr viel groß/ sehr mäßig/reich/sehr reich Karl Leister Ferenc Bognár 8‘39“ Wenzel Fuchs Elena Bashkirova 8‘55“ Richard Stoltzman Richard Goode 8‘39“ Michael Collins Mikhail Pletnev 8‘08“ Béla Kovács Ferenc Rados 8‘37“ =100 vorhanden p-f viel gleichrangig sehr reich Boehm — — Florent Héau Patrick Zygmanowski 8‘23“ =94 vorhanden p-f sehr gleichrangig sehr reich Boehm sehr viel mäßig/gro Klavier ist manchmal viel solistisch =96 =96 vorhanden vorhanden pp-f mf-ff sehr Klavier ist manchmal viel solistisch viel gleichrangig groß =100 vorhanden p-ff viel gleichrangig sehr reich Boehm sehr klein selten ß viel Tabelle 5. No.2 Esz-Dur Sonate I.Satz 99 Name der Künstlern Karl Leister Ferenc Bognár Dauer 5‘27“ Tempo =152 Tempounterschied zwischen Formteilen Dynamische Amplitude vorhanden p-ff Agogik viel Bezogenheit zwischen Klarinette und Klavier Klangfarbefülle Klavier ist System des Instruments Frequenz des Vibratos Vibratoamplitude sehr reich Deutsch — — ist reich Deutsch — — ist reich Boehm sehr viel groß/ mäßig/reich/sehr reich manchmal solistisch Wenzel Fuchs Elena Bashkirova 5‘34“ =140 vorhanden p-f sehr Klavier viel manchmal solistisch =152 sehr Richard Stoltzman Richard Goode 5‘16“ Michael Collins Mikhail Pletnev 5‘09“ Béla Kovács Ferenc Rados 5‘17“ =152 vorhanden mf-f wenig gleichrangig reich Boehm — — Florent Héau Patrick Zygmanowski 5‘11“ =160 vorhanden mf-ff sehr gleichrangig sehr reich Boehm sehr viel mäßig/groß vorhanden mf-f wenig Klavier groß manchmal solistisch =160 vorhanden mf-ff viel gleichrangig sehr reich Boehm sehr klein selten viel Tabelle 6. No.2 Esz-Dur Sonate II.Satz 100 Name der Künstlern Karl Leister Ferenc Bognár Dauer 7‘46“ Tempo =72 Tempounterschie d zwischen Formteilen Dynamische Amplitude vorhanden mf-f Agogik viel Bezogenheit zwischen Klarinette und Klavier Klangfarbefülle Klavier ist System des Instruments Frequenz des Vibratos Vibratoamplitude reich Deutsch — — ist sehr reich Deutsch — — ist reich Boehm sehr viel groß/ mäßig/reich/sehr reich manchmal solistisch Wenzel Fuchs Elena Bashkirova 7‘48“ =72 vorhanden mp-f sehr Klavier viel manchmal solistisch =76 sehr Richard Stoltzman Richard Goode 7‘35“ Michael Collins Mikhail Pletnev 7‘51“ =63 vorhanden mp-f viel gleichrangig sehr reich Boehm sehr selten klein Béla Kovács Ferenc Rados 6‘44“ =78 vorhanden mf-f wenig gleichrangig reich Boehm — — Florent Héau Patrick Zygmanowski 7‘ =86 vorhanden p-ff sehr gleichrangig sehr reich Boehm wenig mäßig/groß vorhanden mf-f viel Klavier groß manchmal solistisch viel Tabelle 7. No.2 Esz-Dur Sonate III.Satz 101 XI. Nachwort Bei den Vergleichen der verschiedenen musikalischen Darbietungen ist es nicht nötig, festzustellen, welche Darbietung wirklich authentisch ist. Das habe auch ich nicht versucht. Eine grundlegende Frage ist, ob das Musikwerk eine „ideale Form“ hat? Wenn diese ideale Form existieren würde, dann könnte man eine qualitative Reihenfolge der einzelnen Realisierungen feststellen, je nachdem, wie sehr sich die einzelne Realisierung dieser idealen Form annähert. Die Praxis der musikalischen Darbietungen des 18. Jahrhunderts basiert darauf, dass im Vergleich zum nachfolgenden Jahrhundert mehrere stereotypisch angenommene Interpretationen von Notationen vorhanden sind. Das Notenbild des 19. Jahrhundert gibt mehr Darstellungsfreiheit für die Musiker. Die künstlerische Persönlichkeit, das Temperament, der persönliche Habitus des Musikers ist noch stärker in der Darbietung präsent. Das habe ich auch erfahren, während ich die Darbietungen von sechs verschiedenen Künstlern angehörte. Aus einer Äußerung von Brahms ist klar auszulesen, dass er in der Hinsicht selbst ein „Liberaler“ war. Das heißt, dass er verschiedene Arten von Realisierungen betreffend Tempo für denkbar hielt. Wie er gegenüber George Henschel bemerkte, notierte er entsprechende Angaben nur dann, wenn ”gute Freunde mich überredeten, sie einzufügen, denn ich selbst habe nie daran geglaubt, dass mein Blut und ein mechanisches Instrument gut zusammenpassen.„131 So eine Attitüde des romantischen Komponisten kommt in einer Bemerkung von Mahler zum Ausdruck. Er hat bei einer Orchesterprobe dem Konzertmeister den folgenden Satz gesagt, und die Bemerkung gleich in seine Noten geschrieben: „Nach meinem Tod kann alles geändert werden.” So erfährt jedes Meisterwerk mit den zeitlichen Änderungen, mit der Entstehung von neuen Lebensgefühlen, auch ein geniales Meisterwerk unterschiedliche Interpretationen. Es ist sicher, dass die heutigen Menschen die Stücke von Brahms, mit ihren heutigen Gesten, mit dem Zeitgefühl des Menschen des 20-21. Jahrhundert interpretieren. Die Musikwerke von Brahms mit ihren brillanten Tiefen der Interpretation, die ihre Zeiten weit überdauern, bieten die Möglichkeit für die Musiker der 20-21. Jahrhundert zu einem authentischen Selbstausdruck. 131 George Henschel, Personal Recollections of Johannes Brahms, S. 78. 102 Literaturverzeichnis Brown, Clive, Kate Bennett Wadsworth: Aufführungspraktische Hinweise zu Johannes Brahms Kammermusik, Basel, 2015. Brahms, Johannes: 2 Sonaten für Klarinette (oder Viola) und Klavier, Berlin, 1895. Brahms-Texte. Vollständige Sammlung der von Johannes Brahms komponierten und musikalisch bearbeiteten Dichtungen, Berlin, 1898. Chissel, Joan: Brahms, the great composer, London, 1977. Creuzburg, Eberhard: Johannes Brahms Leben und Werk, Leipzig, 1947. Kristóf Csengeri: Das Musikwerk der Woche, Budapest, 1983. 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