Zur Aufführungspraxis der Brahms-Sonaten für Klarinette und Klavier

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Zur Aufführungspraxis der Brahms-Sonaten
für Klarinette und Klavier
Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Titels
„Master of Arts“
Verfasserin: Helga Palkó, BA, Matrikelnummer: 1473120
Kunstuniversität Graz
Masterstudium Klarinette
Betreuer: Univ. Prof. Dr. Klaus Aringer
Juni 2017
Abstract (deutsch)
Die vorliegende Arbeit befasst sich zum einen mit der Biographie von Johannes Brahms
und seiner Persönlichkeit, seiner musikalischen Sprache und zum anderen mit der
Aufführungspraxis der Klarinettensonaten Op. 120 Nr. 1 und Nr. 2 von Johannes Brahms.
Zur
Untersuchung
mehrerer
auf
Tonträger
vorliegenden
Interpretationen
der
Klarinettensonaten wurde eine Analyse von beiden Sonaten in dieser Arbeit verfasst. Die
Aufführungspraxis der Sonaten wurde durch sieben Tabellen demonstriert. Zu jedem Satz
gehört eine Tabelle, worin die Aspekte der Analyse kurz beschrieben sind.
Abstract (english)
The presented work is considering on the one hand the biography of Johannes Brahms, his
personality and musical language. On the other hand it will also discuss the performing
practice in relation to the Op. 120 Nr. 1 and Nr. 2 clarinet sonatas of Johannes Brahms.
Musical analysis of both of these sonatas is used to help the research of various
interpretations of the sonatas. The performer’s practice guidance is outlined in seven
separate tables-one for each movement-, which also contain comparison points.
Inhaltsverzeichnis
I.
Einleitung .................................................................................................................................... 2
II. Die deutsche Romantik................................................................................................................... 3
III. Biographie von Johannes Brahms ................................................................................................. 5
IV. Musikalische Sprache von Brahms ............................................................................................ 33
Der Ton seiner Werke ................................................................................................................... 37
V. Die Begegnung von Brahms und Mühlfeld .................................................................................. 41
VI. Für Klarinette komponierte Stücke ............................................................................................. 44
VI.1. Klarinettenquintett Op.115................................................................................................... 45
VI.2. Klarinettensonaten Op.120................................................................................................... 47
VI.2.1. Nr. 1 F-moll Sonate........................................................................................................... 47
VI:2.2. Nr.2. Es-Dur Sonate .......................................................................................................... 53
VII. Die formale Analyse der Klarinettensonaten ............................................................................. 58
VII.1. F-moll Sonate ..................................................................................................................... 58
VII.2. Es-Dur Sonate ..................................................................................................................... 66
VIII.Interview mit Béla Kovács ........................................................................................................ 73
IX. Zur Interpretation der Klarinettensonaten ................................................................................... 77
IX.1.1.Sonate in F-Moll Karl Leister und Ferenc Bognár............................................................. 80
IX.1.2. Sonate in Es–Dur Karl Leister und Ferenc Bognár ........................................................... 82
IX.2.1. f-moll Sonate Wenzel Fuchs und Elena Bashkirova ......................................................... 83
IX.2.2 Es-Dur Sonate Wenzel Fuchs und Elena Bashkirova ........................................................ 84
IX.3.1.Sonate in F-Moll Richard Stoltzman und Richard Goode ................................................. 85
IX.3.2.Sonate in Es-Dur Richard Stoltzman und Richard Goode ................................................. 86
IX.4. Florent Heau und Patrick Zygmanowski.............................................................................. 88
IX.4.1.Sonate in F-Moll Florent Heau und Patrick Zygmanowski ............................................... 88
IX.4.2.Sonate in Es-Dur Florent Heau und Patrick Zygmanowski ............................................... 89
IX.5. Michael Collins und Mikhail Pletnev .................................................................................. 91
IX.5.1.Sonate in F-Moll Michael Collins und Mikhail Pletnev .................................................... 91
IX.5.2.Sonate in Es-Dur Michael Collins und Mikhail Pletnev .................................................... 92
IX.6. Béla Kovács und Ferenc Rados ........................................................................................... 94
IX.6.1.Sonate in F-Moll Béla Kovács und Ferenc Rados ............................................................. 94
IX.6.2.Sonate in Es-Dur Béla Kovács und Ferenc Rados ............................................................. 95
X. Zusammenfassende Tabellen für die Untersuchung der Interpretationen der Klarinetten Sonaten
........................................................................................................................................................... 97
XI. Nachwort ................................................................................................................................... 102
Literaturverzeichnis......................................................................................................................... 103
I.
Einleitung
Als Thema meiner wissenschaftlichen Masterarbeit habe ich die Kompositionen von
Johannes Brahms gewählt, die er für Klarinette komponiert hat. Meine Themenwahl wurde
einerseits davon beeinflusst, dass ich selber auch eine Klarinettistin bin. Andererseits bin ich
der Meinung, dass das Klarinettentrio Op. 114, das Klarinettenquintett Op. 115 und die
Klarinettensonaten Op. 120 Nr. 1 und Nr. 2 von Brahms zu den schönsten Stücken der
Klarinettenliteratur gehören. Aus den vier erwähnten Musikwerken habe ich bei drei auch
persönlichen Erfahrungen gesammelt. Ich habe sie vorgetragen, und sie gehören nach wie
vor zu den Lieblingsstücken meines Repertoires. In meiner Masterarbeit möchte ich die
Persönlichkeit von Johannes Brahms anhand seiner Biographie analysieren. Ich halte diese
für wichtig, weil wir die Lebensumstände und die freundschaftlichen Verhältnisse der
Komponisten kennen müssen, um ihre Musikwerke noch vollständiger verstehen zu können.
Es ist wichtig zu wissen, was sie über ihre Vorgänger und Komponistenkollegen gedacht
haben, wen sie besonders geschätzt haben. Nach der Analyse seiner Biographie beschreibt
das nächste Kapitel die Begegnung von Brahms mit Richard Mühlfeld. Dieses Kapitel stellt
eine Verbindung zur Klarinetten-Literatur von Brahms her. Unter den Klarinettenstücken
von Brahms möchte ich den Schwerpunkt auf die Sonaten Op. 120 Nr 1 und Nr 2 für
Klarinette und Klavier legen. Der Leser kann sich über die Entstehungsumstände, die
Struktur, die musikalischen Merkmale dieser Musikwerke einen Überblick machen.
Anschließend, im letzten Kapitel meiner Masterarbeit, werde ich die Aufführungspraxis
dieser zwei Sonaten auf der Grundlage einer Reihe spezifischer Kriterien prüfen. In der
Reihe der Interpretationen wird auch Herr Professor Béla Kovács erwähnt, bei dem ich im
Laufe meines Studiums mehrfach Kurse belegt habe. Ich möchte mich an dieser Stelle bei
ihm für seine Unterstützung und für ein interessantes Interview bedanken. Dieses Interview
ist eine Wiederbelebung einer zuvor losen Verbindung zwischen der Kunstuniversität Graz
und Béla Kovács, der früher als Professor über 15 Jahre an der Universität Graz tätig war.
Mein Interview mit dem international renommierten ungarischen Klarinettisten ist eine
Ergänzung meiner Ansichten über die Klarinetten- und Klaviersonaten von Johannes
Brahms.
2
II.
Die deutsche Romantik
In Deutschland erhob das bürgerliche Publikum Anspruch auf neue Sinfonien, Kantaten,
Kammermusikwerke und Kirchenmusik. Zehntausende von gebildeten jungen Männern,
und Mädchen lernten Klavier, Violine und Cello. Die Streichquartette waren im Rahmen
der Hausmusik sehr beliebt.1 Zu den großen Meistern der Vergangenheit zählen Bach und
Händel, die drei großen klassischen Komponisten Haydn, Mozart und Beethoven, und in
der Romantik Schubert, Dussek, Spohr und Krommer. Die Hausmusik war ein
Schlüsselelement dieser Epoche. Die Werke von Schubert wurden wieder entdeckt, und
Schumanns Musikstücke wurden sehr populär.
Das deutsche romantische musikalische Repertoire untrennbar mit dem Klavier verbunden.
Die Klaviermusik war wegweisend. Neben der Klavierliteratur übernahmen die Lieder eine
wichtige Rolle, wobei das Klavier als Begleitinstrument fungierte. Daneben wurden in der
Hausmusik oder bei der gesellschaftlichen Ereignissen auch die Chorwerke vorgetragen.
Die Klavierkammermusik bildete ein breites Spektrum von musikalischem Repertoire.2 Es
gab grundsätzlich zwei Arten musikalischer Darbietungen mit Klavier: die Komposition für
Klavier zu vier Händen, bei der Frau und Mann oder Geschwister oft zusammen
musizierten und die Sonate, bei der das Klavier mit einer Violine oder Cello zusammen
spielte. Bedeutend waren auch kleine Streichensembles und Orchester. In den deutschen
bürgerlichen Häusern wurden regelmäßig Romane und Gedichte und philosophische Werke
vorgelesen. Es bestand große Nachfrage an Kammermusik für Streicher, speziell etablierte
sich das Streichquartett.
Noch ein Schauplatz der deutschen Musik waren die öffentlichen Konzerte. Fast jede
Kleinstadt hatte ein organisiertes Orchester. Der Bedarf an symphonischen Aufführungen
war groß, problematisch dabei war die schlechte Verfügbarkeit von Noten für Orchester.
Noten waren sehr teuer und es wurde wenig veröffentlicht. Wenn Komponisten keine
besondere gesellschaftliche Bedeutung hatten, oder wenn der Anfangserfolg keine
außerordentliche Nachfrage erzielte, dann blieb das Orchesterstück oft nur Manuskript, und
wurde nicht veröffentlicht. Kantaten und Oratorien hatten die gleichen Umstände. 3 Das
1
Molnár Antal: Brahms, S. 5.
Molnár Antal: Brahms, S. 7.
3
Molnár Antal: Brahms, S. 8.
2
3
starke Interesse des deutschen Publikums hat die Komponisten gefordert. Die Komponisten
wollten vorzugsweise Symphonien und Oratorien komponieren und orientierten sich sehr
an der klassischen Literatur. Natürlich hat auch die Programmmusik mit der Entwicklung
der Orchestertechnik seinen Weg gefunden, aber der breite musikalische Rahmen wurde
nicht von der musikalischen Struktur bestimmt, sondern von einem nicht musikalischen
Thema, das außerhalb der Musik literarisch definiert wurde.
Das Repertoire der berühmten Vertreter der Oratorium-Literatur, Bach und Händel wird
erweitert durch „Paulus und Elias“ von Mendelssohn, „Das Paradies und die Peri“ von
Schumann und das „Deutsche Requiem“ von Brahms. 4
Die romantische musikalische Phantasie wurde nicht vom großen Orchester inspiriert. Die
große, umfassende Leidenschaft, Heldentum, der Kampf für Freiheit, die Tragik der Welt
stehen weit weg von den Komponisten. Ihre reale Welt sind nun die persönlichen
Erfahrungen, Trauer, Freude. Das populäre Klavier hat sich an diese Intimität
angeschlossen. Während Mozart nur einen kleineren Teil seiner Werke für Klavier
komponiert hat, ist dieses Verhältnis in der Romantik umgekehrt. Die Lieder und liedhaften
Zusammensetzungen sind sehr beliebt. Bei Schubert stehen die Lieder im Mittelpunkt. In
der Welt von Schumann und Brahms sind die Lieder und die Klavierwerke auch sehr
ausschlaggebend. 5In der romantischen Musik dominieren nicht die großen Formen, viel
charakteristischer sind Reihen kurzer, detailreicher Musikstücke. Die Romantik ist eine Art
von Detailkunst.6
4
Molnár Antal: Brahms, S. 9.
Wolfgang Sandberger: Brahms Handbuch, S. 218.
6
Molnár Antal: Brahms, S. 11.
5
4
III. Biographie von Johannes Brahms
Hamburg, das Handelszentrum von Norddeutschland kann auf eine reiche künstlerische
Tradition zurückblicken. Hier war das erste deutsche Opernhaus tätig. Hamburg hat eine
günstige geographische Lage, demzufolge hatte der Hamburger Hafen einen besonders
großen Umsatz. Die Stadt entwickelte sich durch den finanziellen Gewinn der Kaufleute.
Hamburg zog die Leute mit unterschiedlichem Beruf aus ganz Deutschland an. 7 So ein
Einwanderer war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts der aus Nordsachsen stammende
Schreiner, Peter Brahms, der sich in der Nähe der Mündung der Elbe angesiedelt hat.
8
„Der alte Peter Brahms war ein rechter passiver, niederdeutscher Träumer, der, wie uns
Claus Groth berichtet hat, im Alter am liebsten vor seines Sohnes Wirtschaft saß und ein
Pfeiflein schmauchte“ 9Sein Sohn war Johann, der ein Kaufmann war. Dessen Sohn Peter
Heinrich, der das Geschäft seines Vaters weiterentwickelt, gründete ein Leihhaus. Sein
jüngerer Bruder, Johann Jakob interessierte sich aber nicht für den Handel, er wollte
Musiker werden. Die Stadtpfeiferei war die offizielle Musikinstitution der Stadt. Der Leiter
der Stadtpfeiferei hat junge Knaben in Musik unterrichtet und organisierte mit ihnen ein
Orchester, welches dann an Musikveranstaltungen und festlichen Veranstaltungen
teilnahm. Die jungen Musiklehrlinge wohnten zusammen mit ihrem Meister, die bezahlten
Geld fürs Studium oder beglichen den Unterricht mit Arbeiten im Haushalt. Sie lernten in
der Regel mehrere Musikinstrumente und versuchten die Musik als ihre Profession zu
erlernen. Johann Jakob Brahms lernte in solch einer Stadtpfeiferei für fünf Jahre, spielte
Geige, Bratsche, Cello, Klarinette und Horn. Seine Lehrer waren Meldorf, Wesselburen
und Theodor Müller. Johann Brahms wurde als Lehrling 1825 mit einem richtigen
Lehrbrief ausgezeichnet. Er zog dann nach Hamburg, wo er in der Bürger Militär
Militärkapelle als Jagdhornist mitwirkte. Neben dem Militärorchester spielte er
Unterhaltungsmusik in verschieden Ensembles und wurde schließlich Kontrabassist im
Stadttheater-und Philharmonischen Orchester.10
Johann Jakob konnte in immer seriöseren Orchestern spielen und sich damit sein
7
Ludwick Erhardt: Brahms, S. 5.
Ludwick Erhardt: Brahms, S. 6.
9
Walter Niemann: Brahms, S. 13.
10
Walter Niemann: Brahms, S. 14.
8
5
Einkommen sichern. Sein zweites Kind, Johannes ist am 7. Mai 1833 geboren. 11Zwei Jahre
später ist das dritte Kind, Fritz geboren. Johann Jakob begann Johannes zu lehren in der
Hoffnung, dass das Kind in den Kreisen seines Vaters gelangen würde. Es gab kein Klavier
im Haus, und Johann Jakob lehrte seinen Sohn auf Instrumenten, die er auch selber spielte.
Es war damit zuerst vorgesehen, dass Johannes Cellist oder Geiger werden würde. Als der
Vater sah, dass das Kind auch Klavier lernen will,12 brachte er ihn zum Pianisten Johannes
Willibald zum Klavierunterricht. Vater Brahms hat die ungewöhnliche musikalische
Begabung seines Johannes früh erkannt. Cossel nahm den Unterricht des Jungen an und
ihre Beziehung entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer Freundschaft. Brahms war bei
Cossel in guten Händen und entwickelte sich sowohl harmonisch, musikalisch, als auch
technisch.13
In Hamburg brach ein Feuer aus und zerstörte mehrere öffentliche Gebäude. Danach wurde
die Musik in Hamburg in den Hintergrund gedrängt. Cossel sah, dass es für Johannes
besser wäre bei Marxen, einem Meister von Altona zu lernen. Cossel ersuchte Marxsen mit
den Worten:“Ich kann ihn nicht weiter bringen“14 Nach mehrerem Einreden hat Marxsen
den Klavierunterricht von Johannes übernommen, und zwar völlig kostenlos. Marxsen
hatte damals großes Ansehen in Altona, er war renommierter Pianist und Pädagoge. Die
Tage des Kindes waren wirklich eingeteilt. Wöchentlich besuchte er Marxsen, er hat bei
Cossel Klavier geübt, er ging zur Schule und war mit seinem Vater zusammen zur Auftritt
gegangen. Er begann zu komponieren, und Marxsen erteilte ihm Unterricht in
Musiktheorie. Marxsen lehrte den Jungen nicht mit herkömmlichen Methoden. Sie
analysierten die Stücke von klassischen Komponisten, hauptsächlich betreffend Form und
Brahms lernte die Kunst der Entfaltung des Themas kennen. Brahms verehrte Marxsen und
er schickte alle seine Kompositionen an Marxsen, auch als er schon ein berühmter
Komponist war. Es war eine regelmäßige Korrespondenz zwischen ihnen, aber die Briefe
sind nicht erhalten geblieben. Nach dem Tod von Marxsen hat Brahms die Briefe zurück
gefordert und vernichtet.15
11
Walter Niemann: Brahms, S. 17.
Hans Gal: J. Brahms: Werk und Persönlichkeit, S.9.
13
Ludwick Erhardt: Brahms, S. 11.
14
M.Kalbeck: J. Brahms Band I.1. Halbband, S. 26.
15
M.Kalbeck: J. Brahms Band I.1. Halbband, S. 30-31.
12
6
In einem Essay, den La Mara in den Illustrierten Deutschen Monatsheften mitgeteilt hat,
schrieb Marxsen über Brahms:„Somit übernahm ich die gänzliche Ausbildung des Jungen.
Rastloser Eifer und Fleiß weckten immer mehr mein Interesse, und die ersichtlich großen
Fortschritte bestärkten meine Ansicht, daß hier ein außergewöhnliches Talent zum Heil
und Segen der Kunst zu bilden sei. Gar gern widmete ich ihm daher auch ohne alle
pekuinäre Entschädigung alle erforderliche Zeit. Beim Beginn des Studiums der Theorie
zeigte sich ein scharf und tief denkender Geist, und dennoch wurde späterhin das
eigentliche Schaffen ihm schwer und erforderte recht viele Ermutigung von meiner Seite.
Auch die Formlehre machte viel zu schaffen. Nichtsdestoweniger entwickelte sich das
Talent nach meiner Ansicht immer schöner und bedeutender, wenngleich vorderhand noch
nichts abgeschlossenes Größere zutage gefördert ward.”16
Johannes Brahms war tief emotional, mitfühlend und sensibel. Er war ein gründliches,
denkfähiges Individuum, das zum Philosophieren neigte. Er versteckte seine Emotionen,
nicht einmal vor seinen engsten Freunden zeigte er sich offen. Er war extrem intelligent,
hatte weitreichende Kenntnisse. Er hat allgemeine Interesse, hat viel gelesen. Hatte viele
Freunde unter den Wissenschaftlern. Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit charakterisierten ihn.
Er mochte die aufrichtige Naivität, Vortäuschung hatte er nicht gern. Er war ruhig, liebte es
in Ruhe zu arbeiten. Er war ein moralischer Mensch, wahrer Christ, aber nicht
dogmatisch.17 Es ärgerte ihn, wenn er aufgrund seiner religiösen Werke für einen gläubigen
religiösen Komponisten gehalten wurde. Er mochte die ruhige Schönheit der Natur, machte
viele Ausflüge und genoss es, in der wunderschönen Natur zu sein. Im Frühling 1847 lud
Adolf Giesemann (Freund von Johann Jakob) Johannes nach Winsen an der Luhe ein.18
Dort traf der Junge aus der Stadt zum ersten Mal auf die Schönheit der Natur. Magisches
Erlebnisse waren für ihn Wiesen, Bäche, Wälder und diese haben seine Seele für immer
gefangen genommen. Dieser Aufenthalt am Lande war lang, weil der Vater des Jungen und
seine Lehrer dachten, dass es dem Jungen zugutekommt, an der frischen Luft zu bleiben.
So blieb er bei Giesemanns bis zum Herbst. Während des Aufenthalts in Winsen besuchte
er weiterhin Marxsen zum Klavierunterricht. Als Chorleiter von Winsen komponierte er
nebenbei auch Chorwerke. Im Alter von fünfzehn besuchte er Winsen wieder, blieb aber
16
Max Kalbeck: Johannes Brahms Band 1, S. 32.
Molnár Antal: Brahms, S. 15.
18
L. Erhardt: Brahms, S. 25.
17
7
nur kurz dort. Als Erwachsener reiste er im Frühjahr oft nach Italien, im Sommer ins
Salzkammergut oder in die Schweiz.
In Winsen verbrachte Brahms viel Zeit mit Lesen: Schiller, Lessing, Eichendorff,
Hoffmann. Sogar während des Essens ging er diese Leidenschaft nach und es wurde zu
einer lebenslangen Gewohnheit.19“ Ich lege all mein Geld in Büchern an, Bücher sind
meine höchste Lust, ich habe von Kindesbeinen an soviel gelesen, wie ich nur konnte, und
bin ohne alle Anleitung aus dem Schlechtesten zum Besten durchgedrungen. Unzählige
Ritterromane hab ich als Kind verschlungen, bis mir die Räuber in die Hände fielen, von
denen ich nicht wußte, daß ein großer Dichter sie geschrieben; ich verlangte aber mehr
von demselben Schiller und kam so aufwärts“20 Am Hamburger Stadttheater war er
Klavierbegleiter. Während er Klavier spielte, hatte er Bücher (statt Noten) vor sich gestellt
um zu lesen.21 In seiner Bibliothek waren die Werke von Sophokles, Cicero, Dante, Tasso,
Lessing, Goethe, Schiller, Pope und Young. Seine Lieblingsautoren waren E. T. Hoffmann
und Jean Paul. Diese Arbeiten hatten einen sehr großen Einfluss auf seine
Persönlichkeitsentwicklung. Die entscheidende für ihn waren natürlich die Romantiker.
Die große deutsche romantische Generation war im Alter von Brahms nicht mehr am
Leben. Deshalb können wir sagen, dass er diese Werke der Poesie wieder entdeckt hat. Die
romantische Poesie hatte einen großen Einfluss auf die musikalische Fruchtbarkeit, und auf
Liedkompositionen von Brahms. 22
Er hat die warme Vertraulichkeit hoch geschätzt, blieb jedoch sein Leben lang ein
Junggeselle. Der Hauptgrund dafür war „die ewige Liebe“, die unsterbliche Liebe. Diese
entdecken wir oft in seiner Kunst, in Werken mit und ohne Text. Die große Liebe für
Brahms war Schumanns Frau, Clara Wieck. Brahms war 14 Jahre jünger als sie. Brahms
hat seine Ehelosigkeit durch die Tatsache gerechtfertigt, dass er in seinen jüngeren Jahren
zu arm für eine Eheschließung. Später war er aber zu alt, um eine Familie zu gründen. „Mit
dem Heiraten, geht’s wie mit den Opern. Hätte ich schon einmal eine Oper komponiert und
meinethalben durchfallen sehen, ich würde gewiß eine zweite schreiben. Zu einer ersten
19
L. Erhardt: Brahms, S. 18.
Zitat von Brahms; Renate Hofmann und Kurt Hofmann: Über Brahms, S. 19.
21
L. Erhardt: Brahms, S. 19.
22
W. Sandberger: Brahms Handbuch, S. 219.
20
8
Oper und einer ersten Heirat kann ich mich aber nicht mehr entschließen.“23 Aber dies
waren nur Ausreden. Der wahre Grund war, seine Liebe zu Clara Wieck. Es war eine
unheilbare Wunde für Brahms, deren Schmerz er für immer in seiner Seele trug. Auf der
anderen Seite, interessierte er sich im Alter von 18 nach wie vor er nicht wirklich für die
Mädels. Er sagte einmal seinem Freund, Joseph Widmann: „Als ich wohl dazu gehabt
hätte, konnte ich es einer Frau nicht so bieten, wie es recht gewesen wäre…In der Zeit, in
der ich am liebsten geheiratet hätte, wurden meine Sachen in den Konzertsälen
ausgepfiffen oder wenigstens mit eisiger Kälte aufgenommen. Das konnte ich nun sehr gut
ertragen, denn ich wußte genau, was sie wert waren und wie sich das Blatt schon noch
wenden würde Und wenn ich nach solchen Mißerfolgen in meine einsame Kammer trat,
war mir nicht schlimm zu Mute. Im Gegenteil! Aber wenn ich in solchen Momenten vor die
Frau hätte hintreten, ihre fragenden Augen ängstlich auf die meinen gerichtet sehen und
ihr hätte sagen müssen: es war wieder nichts!-das hätte ich nicht ertragen. Denn mag eine
Frau den Künstler, den sie zum Manne hat, noch so sehr lieben und auch, was man so
nennt: an ihren Mann glauben- die volle Gewißheit eines endlichen Sieges, wie sie in
seiner Brust liegt, kann sie nicht haben. Und wenn sie mich nun gar hätte trösten
wollen…Mitleid der eigenen Frau bei Mißerfolgen des Mannes…huh! Ich mag nicht daran
denken, was das, sowie ich wenigstens fühle, für eine Hölle gewesen wäre. “ 24
Es gibt verschiedene Meinungen über das Privatleben von Brahms. Eine von ihnen war,
dass vielleicht das Klavierspiel in dem nächtlichen Vergnügungslokal einen solchen
Einfluss auf ihn hatte oder es war seine Zueignung zur Musik, die ihn durch das ständige
Üben am Erfolg des Privatlebens behindert hatte. Eine andere Meinung gibt es von Hans
Gal, nämlich, dass Brahms seine Arbeit hatte, seinen Ehrgeiz, seine Träume. Sein Leben
begann als Künstler. Als solcher hatte er immer neue Aufgaben und konnte sich nicht auf
das private Leben sich konzentrieren.25 Brahms hatte eine treue Freundschaft mit Luise
Japha, einer Pianistin, die ihn sehr gut verstand. Sie war die erste echte
Künstlerfreundschaft in seinem Leben. Sie verbrachten viel Zeit zusammen, spielten Musik
und stritten über die Musik. Johannes besuchte oft die Familie von Luise. 1852 nahmen
23
Zitat von J. Brahms in: Renate Hofmann und Kurt Hofmann: Über Brahms , S. 193; Lebenserinnerungen
von Eduard Hanslick
24
Joseph V. Widmann’s Erinnerungen über Brahms in: Max Kalbeck: J. Brahms Band 1; 2. Halbband, S. 330.
25
Hans Gal: Brahms Werk und Persönlichkeit, S. 63.
9
Robert und Clara Schumann Luise Japha in ihre Musikschule auf. Luise musste dafür nach
Düsseldorf ziehen. Dies traf Brahms schwer, weil er die Meinung von Luise hochgeschätzt
hätte.
Die ersten Konzertreisen, erste Freunde
In den 1850er Jahren wanderten viele Leute nach Hamburg aus, darunter auch viele
Ungarn. Der Geiger Ede Reményi zog auch nach Hamburg, wo er bald Johannes Brahms
traf. Ede Reményi war ein guter Geiger. Sie gaben zusammen Konzerte, respektierten
einander und wurden Freunde. Bald waren sie untrennbar miteinander, waren in Winsen,
wo Reményi die Freunde von Brahms kennenlernte.26 Ihre Freundschaft vorerst dauerte
nicht lange, weil Reményi nach Amerika ausgewanderte. Im Jahr 1852 kehrte er unerwartet
nach Hamburg zurück. Brahms war sehr froh darüber. Sie gaben ein gemeinsames Konzert
in Winsen. Im Repertoire dieses Konzertes waren auch viele ungarische Lieder. Brahms
musste dazu die Begleitungen improvisieren. Der Erfolg war groß, so dass die beiden
beschlossen, auch in anderen Städten Konzerte zu geben. Als Hauptdarsteller der Konzerte
schien Ede Reményi, Brahms war nur Begleiter, seine eigenen Kompositionen hat er bei
diesen Gelegenheiten nie gespielt. Unter anderem hatten sie einen Auftritt in Hannover, wo
der berühmte Geiger, Joseph Joachim lebte. Reményi kannte ihn aus Wien, wo sie die
gleiche Schulklasse besucht hatten. Sie wollten Joachim aufsuchen. Brahms war vor dem
Treffen nervös, da Joachim bereits ein berühmter Geiger war. Im Alter von 27 erlebte
Joachim bereits eine erfolgreiche Karriere, er war im königlichen Hof von Hannover als
Konzertmeister und Solist tätig. Bei dem Zusammentreffen war Joachim von Brahms'
Musik sehr beeindruckt und bot ihm an, bei ihm und bei Franz Liszt ein Besuch
abzustatten, wenn er die Konzertreise mit Reményi beendet hatte. 27 Der berühmte
ungarische Geiger Joseph Joachim sprach von Brahms wie folgt: „Brahms ist ein ganz
ausnahmweises Kompositionstalent und eine Natur, wie sie nur in der verborgensten
Zurückgezogenheit sich in vollster Reine entwickeln konnte rein wie Demant, weich, wie
Schnee.“28 Künstlerisch entdeckte Joachim in seinem Spiel sofort „das intensive Feuer,
jene, ich möchte sagen, fatalistische Energie und Präzision des Rhythmus, welche den
26
Hans Gal: Johannes Brahms Werk und Persönlichkeit, S. 10.
Hans Gal: Johannes Brahms Werk und Persönlichkeit, S. 10 .
28
Hans A.Neunzig:Johannes Brahms in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, S. 23.
27
10
Künstler prophezeien, und seine Kompositionen“29
Die gemeinsame Konzertreise mit Reményi hatte einen großen Erfolg bei dem Publikum,
bis die Polizei von Hannover sie aufforderte, wegen Reményi‘s Beziehungen zu
ungarischen Revolutionären, das Königreich zu verlassen. Sie reisten nach Weimar, wo
Franz Liszt im Palast von Prinzessin Caroline Wittgenstein wohnte. Dank des
Empfehlungsschreibens von Joseph Joachim wurden die beiden im Palast herzlich
empfangen. Die Begegnung mit Franz Liszt war aber weniger von Glück begleitet, weil
Brahms angeblich einschlief, als Liszt ein Musikstück den Gästen vorführte.30 Dies führte
auch zu einer Verschlechterung der Beziehung zwischen Brahms und Reményi. Ihre Wege
trennten sich, auch, da Brahms ohnehin nur ein Begleiter von Reményi war und
zunehmend im Hintergrund stand. Brahms ging daraufhin nach Göttingen zu Joachim, den
er gut kennenlernte und mit dem eine lang anhaltende Freundschaft entstand. Sie waren
sehr unterschiedlich, Joachim kannte den Geschmack des Erfolgs schon, Brahms war
eigentlich noch unerfahren auf diesem Gebiet. Es war dennoch Brahms erste Freundschaft
mit einem angesehenen Künstler. 31
Brahms fasste den Plan, eine Wanderung zu Fuß entlang des Rheintals zu machen. Er brach
im August auf und wollte im Oktober in Hannover ankommen, dabei hatte er nur einen
Wanderstab und einen Rucksack. In Bonn lernte er den Geigerkünstler Wasielewski
kennen, den Joachim gut kannte. Beide ermutigten Brahms, Schumann in Düsseldorf zu
besuchen.
Schumann war damals Dirigent und lebte etwas zurückgezogen. Er hatte Probleme mit
dem Orchester und mit der von ihm gegründeten „Neue Zeitschrift für Musik“, welche die
neue deutsche Schule (Nachfolger von Liszt's Anhängern) unterstützte, wovon Schumann
abgeneigt war. Zu dieser Zeit wurde die deutsche und europäische Musikszene in drei
Gruppen eingeteilt: In Leipzig wollte man Mendelssohn's Traditionen bewahren und
ignorierte die progressiven Strömungen. Die andere Gruppe in Düsseldorf strebte unter der
Leitung von Schumann, die Beibehaltung der alten Formen und Erweiterung der Mittel der
Harmonie und Rhythmus an. Die dritte Gruppe (Anhängern von Franz Liszt) in Weimar
29
Walter Niemann: Brahms, S. 37.
Karl Geiringer:Brahms Sein Leben und Schaffen, S. 42.
31
Karl Geiringer:Brahms Sein Leben und Schaffen, S. 44.
30
11
machte die neue deutsche Schule populär.
32
Die Vertreter dieser Schule (Berlioz und
Wagner) konfrontierten die traditionellen Formen und traditionelle Stilmittel. Die
Begegnung mit Schumann war sehr wichtig für Brahms. Am 30.September macht er seinen
Besuch im Hause Schumann.
33
Als Schumann die Sonate in C-Dur von Brahms angehört
hatte, stellte er gleich fest, dass er es mit einem Genie zu tun hatte. Brahms traf bei
Schumann wieder eine alte Bekannte und Freundin, Luise Japha. Auch Schumanns
Freunde wurden mit ihm bekannt, vor allem die Professoren der Düsseldorfer
Malerakademie und Albert Dietrich, der zeitlebens zu Brahms‘ engstem Kreis zählen
sollte. Sie wurden Freunde und Dietrich führte Brahms in die lokalen Musikkreise ein.
Dietrich schrieb über Brahms:„Seine Natur war kerngesund, selbst die ernsteste
Geistesarbeit strengte ihn kaum an. Er konnte aber auch zu jeder Stunde des Tages fest
einschlafen, wenn er es wollte. Im Verkehr mit seines gleichen war er munter, bis weilen
auch übermütig, derb und voll toller Einfälle. Wenn er zu mir die Treppe herauskam, so
geschah es in jugendlichem Ungestüm, mit beiden Fäusten pochte er an die Tür und ohne
Antwort abzuwarten, stürmte er herein.“34
Brahms Musik und Persönlichkeit hatte einen großen Einfluss auf Schumann, und er
bemühte sich, die Karriere des jungen Komponisten zu unterstützen. Kurz nach ihrer
Bekanntschaft schrieb Schumann ein Artikel, der in der Neuen Zeitschrift für Musik mit
dem Titel „Neue Bahnen“35erschien. Darin hat äußerte sich Schumann, der zu jener Zeit als
einer der größten musikalischen Autorität galt, begeistert über die Kunst von Brahms. Der
Artikel war eine musikalische Sensation, und hatte auf die ganze Karriere von Brahms
einen entscheidenden Einfluss.
Auf der nächsten Seite wird dieser berühmte Artikel im Original gezeigt.
32
Constantin Floros: J.Brahms Frei, aber einsam, S.103-105.
Karl Geringer: J.B.Sein Leben und Schaffen, S. 48.
34
Albert Dietrich: Erinnerungen an J. Brahms in: Max Kalbeck: J. Brahms Band I. 1. Halbband, S. 117.
35
Neue Zeitschrift für Musik Leipzig, 28. Oktober 1853
33
12
Abb. 1: Robert Schumanns Artikel in der Neuen Zeitschrift für Musik vom 28. Oktober 1853
13
„Es sind Jahre verflossen – beinahe ebenso viele als ich der früheren Redaktion dieser
Blätter widmete, nämlich zehn – daß ich mich auf diesem an Erinnerungen so reichen
Terrain einmal hätte vernehmen lassen. Oft, trotz angestrengter produktiver Tätigkeit,
fühlte ich mich angeregt; manche neue, bedeutende Talente erschienen, eine neue Kraft der
Musik schien sich anzukündigen, wie dies viele der hochaufstrebenden Künstler der
jüngsten Zeit bezeugen, wenn auch deren Produktionen mehr einem engeren Kreise bekannt
sind. Ich dachte, die Bahnen dieser Auserwählten mit dem größten Interesse verfolgend, es
würde und müsse nach solchem Vorgang einmal plötzlich einer erscheinen, der den
höchsten Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen berufen wäre, einer, der uns die
Meisterschaft nicht in stufenweiser Entfaltung brächte, sondern wie Minerva, gleich
vollkommen gepanzert aus dem Haupte des Kronion entspränge. Und er ist gekommen, ein
junges Blut, an dessen Wiege Grazien und Helden Wache hielten. Er heißt Johannes
Brahms, kam von Hamburg, dort in dunkler Stille schaffend, aber von einem trefflichen und
begeistert zutragenden Lehrer gebildet in den schwierigsten Satzungen der Kunst, mir kurz
vorher von einem verehrten bekannten Meister empfohlen. Er trug, auch im Äußeren, alle
Anzeichen an sich, die uns ankündigen, das ist ein Berufener. Am Klavier sitzend, fing er
an, wunderbare Regionen zu enthüllen. Wir wurden in immer zauberischere Kreise
hineingezogen. Dazu kam ein ganz geniales Spiel, das aus dem Klavier ein Orchester von
wehklagenden und laut jubelnden Stimmen machte. Es waren Sonaten, mehr verschleierte
Sinfonien – Lieder, deren Poesie man, ohne die Worte zu kennen, verstehen würde, obwohl
eine tiefe Gesangmelodie sich durch alle hindurchzieht – einzelne Klavierstücke, teilweise
dämonischer Natur von der anmutigsten Form, – dann Sonaten für Violine und Klavier, –
Quartette für Saiteninstrumente, – und jedes so abweichend vom andern, daß sie jedes
verschiedenen Quellen zu entströmen schienen. Und dann schien es, als vereinigte er, als
Strom dahinbrausend, alle wie zu einem Wasserfall, über die hinunterstürzenden Wogen
den friedlichen Regenbogen tragend und am Ufer von Schmetterlingen umspielt und von
Nachtigallenstimmen begleitet. Wenn er seinen Zauberstab dahin senken wird, wo ihm die
Mächte der Massen, im Chor und Orchester, ihre Kräfte leihen, so stehen uns noch
wunderbarere Blicke in die Geisterwelt bevor. Möchte ihn der höchste Genius dazu stärken,
wozu die Voraussicht da ist, da ihm auch ein anderer Genius, der der Bescheidenheit,
innewohnt. Seine Mitgenossen begrüßen ihn bei seinem ersten Gang durch die Welt, wo
seiner vielleicht Wunden warten werden, aber auch Lorbeeren und Palmen; wir heißen ihn
14
willkommen als starken Streiter. Es waltet in jeder Zeit ein geheimes Bündnis verwandter
Geister. Schließt, die ihr zusammengehört, den Kreis fester, daß die Wahrheit der Kunst
immer klarer leuchte, überall Freude und Segen verbreitend.“36
Betreffend die Ausgabe seiner Musikwerke, auf Drängen von Schumann, reiste Brahms
nach Leipzig, um sich mit Härtel zu treffen. Der Artikel Neue Bahnen brachte dem jungen
Komponisten mit einem Schlag einen Namen, einen Verleger und die aufmerksamste
Beachtung in der ganzen deutschen Musikwelt.37 Brahms wurde überall mit Interesse und
Respekt empfangen. Seine Angelegenheiten haben sich erfolgreich in Leipzig entwickelt.
Sein Bekannten- und Freundeskreis gewann viele berühmte Menschen. Wegen der
Ausgabe seiner Werke hat er auch mit Bartholf Senff den Kontakt aufgenommen. Bald
danach reiste er wieder nach Leipzig wegen einem im Gewandhaus organisierten Konzert,
wo Berlioz seine eigenen Musikwerke dirigiert hat. Liszt hat auch das Konzert besucht.
Brahms verbrachte drei Wochen diesmal in Leipzig. Während dieser Zeit hat er mit Liszt
den Kontakt aufgenommen. Liszt akzeptierte mit Interesse und Gewogenheit die
Kontaktaufnahme. Brahms‘ Sonate in C-Dur hat ihm gefallen. Brahms wollte an den
Kämpfen der verschiedenen musikalischen Gruppen nicht teilnehmen. Er wollte neutral
bleiben. In Leipzig hat er viele Freunde gewonnen, die Kritik hatte auch gute Meinungen
über seine Konzerte geäußert. Als er aus Leipzig nach Hannover zurückkehrte, waren
sieben Monate vergangen. Als er Hannover zuletzt vor sieben Monaten verlassen hatte, war
er noch ein unbekannter junger Pianist und Komponist. Wieder zurück war er nun als einer
jetzt der größten Musikkünstler anerkannt. In der Ausgabe von Verlag Breitkopf und Härtel
wurden seine ersten Kompositionen (Op. 1,2,3,4) herausgegeben: Der Verlag Senff hat
weitere Musikstücke (Op. 5,6,7) herausgegeben. Unter anderen wurden hier auch Lieder
präsentiert. Bereits mit der ersten Ausgabe seiner Werke geriet Brahms in den Mittelpunkt
der Musikszene. Seine Erfolge haben aber seine Bescheidenheit und tiefe Selbstkritik nicht
geändert.
Am 27. Februar 1854 trat die Katastrophe im Leben Robert Schumanns ein: Nervöse
Störungen. Er fühlt sich von Geistern verfolgt. Sein gesundheitlicher Zustand
verschlechterte sich von Woche zu Woche, von Tag zu Tag. Sein Geist wurde getrübt, und
36
37
Rober Schumann‘s Artikel in der Neuen Zeitschrift für Musik vom 28. Oktober 1853
Hans Gal: Johannes Brahms, S. 12.
15
Schumann versuchte Selbstmord zu begehen. Brahms erfuhr aus der Zeitung über den
Zustand seines Freundes, und verließ sofort Hannover, um Schumann zu besuchen.38
Joachim folgte ihm nach. Clara Schumann war völlig bestürzt, blieb mit sechs Kindern
zurück, sie benötigte die Nähe ihrer Freunde. Brahms komponierte 1854 Die Variationen
über ein Thema von Robert Schumann.39 Er wollte damit den Schmerz von Clara lindern
und begann Schumanns Bücher und Noten zu ordnen. Der Patient hat sich in Endenich
erholt, sein Zustand zeigte eine Besserung. Die Ärzte erlaubten ihm, Briefe auszutauschen.
Es war eine häufige Korrespondenz mit Brahms. Clara hatte seit langem geplant, mit der
Familie irgendwohin zu ziehen, weil ihr Heim zu eng war. Brahms zog mit der Familie. Zu
der Zeit komponierte Brahms nur wenig. Es gab mehrere Gründe dafür. Einerseits wusste
er, dass er nicht ganz gut im Komponieren von Orchesterwerken war, andererseits fühlte er
sich für Schumanns Neue Zeitschrift verantwortlich. Er fühlte, dass er sich keine
mittelmäßigen Werke erlauben konnte und begann „Die Kunst der Fuge“ von Bach, die
Werke von Orlando di Lasso, Palestrina und Marcello zu studieren.
Anfang 1856 verschlechterte sich der Zustand von Schumann, die Krankheit überwältigte
ihn so sehr, dass er hat mit der Korrespondenz aufhörte. Seine Situation war hoffnungslos.
Brahms zog nach Hamburg. Seine Kritiker wiesen darauf hin, dass er die von ihm
vorgetragene Musik für wichtiger hielt, als seine Virtuosität zu zeigen
Um 1856 veröffentlichte der Verlag Breitkopf und Härtel vier Klavierballaden von Brahms
(Op. 10). Einzigartig ist, dass die Stücke Untertitel haben, was bei Brahms nicht typisch
ist, da er seine Instrumentalwerke nicht mit einem Programm verbindet. Der Untertitel von
Ballade Nr. 1. lautet: Nach der schottischen Ballade Edward-in Herders Stimmen der
Völker. Unter keinen Umständen darf dies als Programmmusik gesehen werden, Brahms
war lediglich vom Werk Herders inspiriert. 40
Im Sommer 1856 ist Robert Schumann gestorben. Nach einem langen, zweieinhalb
schmerzhaften Jahren war das eine Art von Erleichterung für seine Familie und Freunde.
Clara, ihre Kinder, Brahms und seine Schwester reisten daraufhin in die Schweiz auf
38
Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S 53.
Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S 55.
40
Max Kalbeck: Johannes Brahms Band 1. 1. Halbband, S. 192.
39
16
Urlaub. Die Ruhepause war gut für sie. 41
Um 1857 Brahms reiste nach Detmold, wo er seine erste Stellung antritt. Nach einem
Probespiel wird er für die Monate September bis Dezember an den Fürstenhof nach
Detmold berufen. Die Stellung erschöpfte darin, dass Brahms der musikliebenden
Prinzessin Friderike Klavierunterricht erteilt, den Hofchor leitet und in den Hofkonzerten
als Pianist auftritt. Dieser Aufenthalt in Detmold war sowohl fachlich, als auch finanziell
vorteilhaft für Brahms Leben.42 Zahlreiche Chorwerke, zwei Serenaden (Op. 11 und 16),
und das Streichquartett Op. 18 komponierte er in Detmold. Er schrieb auch ein Stück mit
dem Titel Variationen über ein ungarisches Lied, was auf die Beziehung von Brahms zur
ungarischen Musik hinweist, die offenbar sehr von seinem Freund Ede Reményi geprägt
wurde.43
Brahms beendete sein D-Moll-Klavierkonzert. Beim Komponieren erhielt er Unterstützung
von Joachim und Grimm. Das Musikwerk erklang zum ersten Mal in Hannover in einer
privaten Veranstaltung. Dank der Instruktionen seiner Freunde erzielte die Orchestrierung
einen positiven Eindruck auf das Publikum, Brahms war damit auch zufrieden. Darauf
begann er mit der Komposition eines Oktetts.
Auf die Einladung von Grimm reiste Brahms nach Göttingen, wo er Agathe von Siebold
traf und hat sich in sie verliebte. Sie waren zusammen glücklich, aber Brahms wollte sich
nicht verpflichten, und heiratete Agathe nicht. Ihre Trennung war stürmisch. In 1859
verließ Brahms Göttingen, wandte sich44wichtigeren Angelegenheiten zu und organisierte
die Aufnahme des Klavierkonzerts in D-Moll ins Konzertprogramm von Hannover. Das
Konzert wurde am 22. Januar veranstaltet, Brahms spielte am Klavier und Joachim war der
Dirigent. Das Publikum verehrte vielmehr die Begabung und künstlerische Klavierspiel
des Komponisten, weniger die Komposition selber. Viele fanden das Werk unverständlich
und anstrengend. Die Neuheit lag in der Verbindung zwischen Klavier und Orchester. Das
Musikwerk wurde als: „Symphonie mit Klavierobligat“bezeichnet. Die virtuosen Effekte
41
Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 61-66.
Max Kalbeck: Johannes Brahms Band 1. 2. Halbband, S. 305.
43
Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 40.
44
Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 68.
42
17
fehlten in dem Stück, Solist und Orchester waren gleichrangig.45
Fünf Tage später wurde das Klavierkonzert in D-Moll in Leipzig aufgeführt, wobei das
Stück eindeutig erfolglos war. Brahms wusste damals die Ursachen des Scheiterns nicht. In
Leipzig waren zwei gegensätzliche musikalische Gruppe tätig. Brahms gehörte zu keinem
von ihnen, und daher war er ein leichter Zielpunkt für diese Leute. Trotz des Scheiterns
von Leipzig wollte Joachim unbedingt Brahms helfen, damit er sein neues Stück auch in
Hamburg spielen konnte. Bei dem Konzert traten auch Stockhausen und Joachim auf.
Brahms erschien vor dem Publikum diesmal nicht als Pianist, sondern als ein großer
Komponist. Er hatte Erfolg. In Hamburg hatte er viele Verehrerinnen.
Brahms reiste wieder nach Detmold zurück. Er war bereits gut in die lokale Gesellschaft
integriert. Aber sein Verhalten ergab sich vielleicht aufgrund seiner Unzufriedenheit. Es
war oft mürrisch und seine Manier war grob. Diese Art von Verhalten ergab sich vielleicht
von Unzufriedenheit. Er konnte in Detmold nicht seine eigenen Stücke aufführen. Der Hof
war zu klein für den Vortrag von monumentalen Chorwerken (Bach, Händel).
In Hamburg beschäftigte sich Brahms gern mit der Leitung eines Frauenchores. Dort lernte
er Bertha Porubszky, das Gründungsmitglied des Chores kennen. Bertha stammte aus Wien
und Brahms beschäftigte sich mit den Gedanken, durch ihre Beziehung nach Wien zu
ziehen. Eine Liebe brach zwischen ihnen aus, die in Richtung Eheschließung deutete. Aber
Brahms wollte sich nicht verpflichten und wich wieder von der Entscheidung zurück.
Bertha reiste alleine nach Wien zurück, und wurde bald mit Arthur Faber verheiratet.
Brahms hatte eine gute Freundschaft mit den Fabers unterhalten, und widmete sein
Wiegenlied dem zweiten Kind der Familie Faber.46
Im Mai 1860 reiste er mit Clara nach Düsseldorf. Sie trafen dort viele ihrer Freunde, unter
anderen Joachim, Hausen, Dietrich, und Hiller. Auf Wunsch von Dietrich verbrachten sie
den Sommer in Bonn, wo Brahms sich mit Simrock befreundete. Simrock war ein
Mitinhaber eines Verlages. Er wurde der wichtigste Herausgeber, Hauptfinanzberater und
Vertrauter von Brahms. Der Komponist komponierte sein Streichsextett in B-Dur (Op. 18),
welches ein wichtiges Musikstück seiner Kammermusikwerke wurde. Clara Schumann
45
46
Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 72.
Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S.75-76.
18
hatte eine sehr gute Meinung davon und Brahms selber schätzte dieses Werk sehr. Es war
das erste Werk von Brahms, bei dem auch Joachim keine Änderungen vorschlug. Im Jahr
1861 wurde das Streichsextett vorgetragen.47 Das Konzert war ein großer Erfolg und wurde
drei Mal wiederholt. Simrock gab das Stück innerhalb eines Jahres heraus und die Ausgabe
wurde später sehr nachgefragt. Brahms wurde in Hamburg zunehmend geehrt und gab
viele Konzerte. Dadurch stieg die Bindung an Hamburg, aber auch in Wien erregte er
Aufmerksamkeit. Eine ausgezeichnete Gelegenheit ergab sich im Zusammenhang mit der
Position des Leiters der Hamburger Philharmoniker und Singakademie, Wilhelm Grund,
dessen Rücktritt sich aufgrund seines Alters abzeichnete. Brahms war jedoch nicht der
einzige Kandidat für diese Position, und an seiner Stelle wurde sein Freund, der talentierte
Sänger, Stockhausen für diese Position gewählt. Brahms war enttäuscht.
Im Jahr 1861 komponierte Brahms die Variationen und Fuge über ein Thema von Händel
(Op. 24). Dies ist einer der beliebtesten und schönsten Klavierwerke von Brahms. Clara
Schumann war die erste, die dieses Werk öffentlich spielte.48 Darin können wir die
Merkmale seines Musikstils, und die Stilmittel seines Klavierspiels erkennen. Die typische
Atmosphäre des Werkes ist lustig, anders als die meisten Werke des Komponisten. Mit
diesem Stück hatte Brahms eine Reihe von erfolgreichen Konzerten. In der Neuen
Zeitschrift für Musik erschien eine Reihe von Artikel über Brahms‘ Werke, die bisher nicht
herausgegeben worden sind. Die Veröffentlichung des Artikels hatte eine sehr gute
Wirkung auf Brahms Stellenwert in Deutschland.49 Zu dieser Zeit begann man auch in
New York Brahms‘ Musik aufmerksam zu verfolgen. Seine kleineren und größeren Werke
wurden mit großem Erfolg vorgetragen. Insbesondere populär war in Amerika seine
Kammermusik.
Im Jahr 1862 reiste Brahms mit Dietrich nach Köln zu den Niederrheinischen Musikfesten.
Hier lernte er Louise Dustmann, Sängerin der Wiener Oper kennen. Dieses Treffen
bekräftigte seine erneute Absicht, nach Wien zu reisen, was er im selben Jahr auch
tatsächlich machte und dabei sogleich neue Freunde kennen lernte. Einer davon war Julius
Epstein, ein ausgezeichneter Pianist und Lehrer. Epstein unterstützte Brahms, indem er in
47
Max Kalbeck: J. Brahms Band 1. 2. Halbband, S. 423.
Max Kalbeck: J. Brahms Band 1. 2. Halbband, S. 461.
49
Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 84.
48
19
seinem Haus eine Anhörung der zwei Klavierquartetten von Brahms mit der
Zusammenarbeit
von
Hellmesberger-Streichquartett
organisierte.
Eine
andere
herausragende Persönlichkeit im Musikleben von Wien war Josef Hellmesberger. Früher
war er der Leiter der Gesellschaft der Musikfreunde, welche das ganze Wiener Musikleben
beeinflusst hatte. Seine Bekanntschaft mit Hellmesberger hat Brahms Aufenthalt in Wien
ebenso positiv beeinflusst. Er gab ein Konzert mit Hellmesbergers Streichquartett. Brahms
nahm an verschiedenen Empfängen und an mehreren Konzerten an verschiedenen Orten
teil, und baute so eine Karriere auf.50 Die Wiener Kritiker äußerten positive Meinungen
über die Variationen, weniger auf Gefallen stieß das Klavierquartett. Die Serenade in DDur war ein großer Erfolg. In Wien traf sich Brahms zum ersten Mal mit Wagner. Brahms
sprach mit großen Respekt über Wagners‘ Musik, er wusste einige Werke von Wagner
auswendig. Die Ansichten des Wagnerkritikers Eduard Hanslick über Brahms waren sehr
positiv, viel mehr, Hanslick äußerte begeistertes Lob für Brahms. Der Aufenthalt in Wien
dauerte acht Monate. Diese Periode hatte einen sehr guten Einfluss auf seine professionelle
Entwicklung. Danach reiste Brahms nach Hamburg zurück, besuchte auf dem Weg in
Hannover seinen Freund, der ihn Amelie Weiss, seine Verlobte vorstellte. Diese sang später
jahrelang hervorragend die Brahms-Lieder. Brahms wollte nach der anstrengenden Zeit in
Wien eigentlich entspannen, er wurde aber bald mit einem Stellenangebot aus Wien
aufgesucht. Der Direktor und Leiter der Singakademie war gestorben und man wollte
Brahms für diese Stelle engagieren. Er zögerte, weil er seine Unabhängigkeit nicht
aufgeben wollte. Leider war aber die Möglichkeit der Hamburger Position nicht mehr offen
für ihn, so beschloss er, die Arbeit in Wien zu übernehmen.51 Das Repertoire der
Singakademie und die Qualität der Konzerte waren sehr schwach. Nach harter Arbeit
organisierte er erfolgreiche Konzerte. Er bezeugte, dass er gute Fähigkeiten zum Dirigieren
hatte. Diese Aufgabe erforderte viel Energie von ihm, er konnte keine Lehrlinge
aufnehmen um mehr zu komponieren. Die folgenden Konzerte waren nicht überragend
erfolgreich, trotzdem wurde ihm eine Verlängerung seines Vertrages angeboten. Brahms
lehnte ab. Es gab mehrere Gründe dafür: er hatte nicht genug Zeit zu komponieren, er
wollte nicht durch die Arbeit an Wien gebunden sein und, er hatte keine Chance die
Freiheit der Reisen genießen. Außerdem wollte er seinen Eltern helfen, die in einer
50
51
Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 85.
Hans Gal: Johannes Brahms, S. 17.
20
schwierigen Lage waren. Er hat seine Mutter und Schwester finanziell unterstützt, so sehr
er konnte. Aufgrund dieser Umstände beschloss Brahms, aus Wien auszuziehen.52
Im Jahr 1864 zog Clara Schumann nach Lichtental, in der Nähe von Karlsruhe. Diese
Umgebung war ein blühendes Kunstzentrum. Brahms kam zu besuch, und wurde hier in
den kommenden Jahren Stammgast. Er traf seine alten Freunde, und lernte neue kennen.
Brahms fühlte sich hier hervorragend, er komponierte viel, unter anderem das Trio in EsDur für Horn, Violine und Klavier. Das F-moll Quintett erlangte nun seine endgültige
Gestalt, ein zweites Streichsextett reifte heran und eine ganze Reihe von Liedern wurden in
dieser Zeit vollendet und an den Verleger geschickt. Er beschäftigte sich mit der Skizze
von neuen Ideen und überarbeitete seine früheren Werke.53 Im Herbst reiste er nach Wien
zurück, da er keinen Anlass mehr sah, nach Hamburg zu ziehen. Nichts band ihn an
Hamburg. In Wien konnte er in einer ruhigen Atmosphäre viel Zeit dem Komponieren
widmen. Im Jahr 1865 musste sein Bruder ihn benachrichtigen, dass ihre Mutter verstorben
war. Der Tod der Mutter berührt den Komponisten tief, der sich seinen Verwandten
zeitlebens eng verbunden Fühlte. Nach dem Tod seiner Mutter komponierte er den ersten
Satz des Deutschen Requiems, das er per Post an Clara schickte. Zu dieser Zeit
komponierte er auch den Liederzyklus Die schöne Magelone Op. 33 Brahms verteilte sie
auf zwei Hefte zu je drei Nummern und ließ sie unter dem Titel „Romanzen aus Tiecks
Magelone“54
Den Sommer verbrachte er in Baden-Baden, komponierte viel und gab viele Konzerte. Für
seine finanzielle Situation war es erforderlich, viele Konzerte aufzuführen.
Nach einer Konzertphase gab sich Brahms völlig ins Komponieren des Deutschen
Requiems hin. Seit langem wollte er schon an diesem Werk arbeiten, die Skizzen waren
schon seit fast einem Jahr fertig. Er reiste in die Schweiz, um sich nur dem Komponieren
zu widmen. In der Gesellschaft rund um ihn waren ein Dichter und ein Chirurg. 55 Clara
hatte positive Meinungen über die ersten gespeilten Teile des Requiems. Joachim war nicht
mehr am dem königlichen Hof in Hannover tätig, weil dieser nicht mehr existierte, seit
König Georg seinen Thron verloren hatte. Joachim begann eine Konzerttour mit Brahms.
52
Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 99.
Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 104.
54
Max Kalbeck: J. Brahms Band 1. 2. Halbband, S. 439.
55
Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 107.
53
21
Die religiösen Überzeugungen von Johannes Brahms sind schon früh Gegenstand von
Diskussionen und Spekulationen gewesen.56 Nach Max Kalbeck sehen wir ein Bild vom
religiösen Brahms, aber im Text Eines Deutsches Requiems der ausdrückliche Hinweis auf
Christus fehlt. Brahms wollte das Deutsche Requiem nicht mit der Liturgie verbinden,
deshalb hatte das Werk den Titel Ein Deutsches Requiem bekommen. In seinem Brief an
Karl Reinthaler können wir erfahren, was er über den Text des Requiems dachte: „…Was
den Text betrifft, will ich bekennen, daß ich recht gern auch das „Deutsche“ fortließe und
einfach den „Menschen“ setzte, auch mit allem Wissen und Willen Stellen wie z. B. Evang.
Joh. Kap. 3 Vers 16 entbehrte. Hinwieder habe ich nun wohl manches genommen, weil ich
Musiker bin, weil ich es gebrauchte, weil ich meinen ehrwürdigen Dichtern auch ein „von
nun an“ nicht abdisputieren oder streichen kann.“57 Jedoch wollte Brahms die ersten drei
Titel bereits im Dezember in Wien vorführen. Das Musikwerk wurde nicht verstanden,
zudem spielte ein Schlagzeuger zu laut, und drückte das ganze Orchester nieder. Brahms
dachte, dass er sich über das Werk von seinem alten Lehrer, Marxsen beraten lassen sollte.
Er reiste zehn Tage vor der Uraufführung des Requiems nach Bremen. Das Werk wurde
dort am 10. April 1868 mit großem Erfolg uraufgeführt. Clara Schumann schrieb folgendes
in ihrem Brief über das Konzert:„…Am Karfreitag die Aufführung des Requiem, außerdem
sang Frau Joachim eine Arie aus Messias von ihrem Manne auf der Geige begleitet
wunderschön, so schön, wie ich sie noch nie gehört. Mich hat dieses Requiem ergriffen,
wie noch nie eine Kirchenmusik….“58 Es wurde als Meisterwerk bezeichnet. Auf Vorschlag
von Marxsen hatte Brahms auch den fünften Satz mit einem Sopran-Solo versehen.59 Er
hatte das Werk sorgfältig auf die Herausgabe vorbereitet. Nach dieser Aufführung wurde
Brahms berühmt und erlangte einen guten Ruf in ganz Europa. Seine finanzielle Situation
stabilisierte sich, er brauchte keine Konzerte mehr zu geben. In Wien wurde das Requiem
zum ersten Mal im Jahr 1871 aufgeführt. Im selben Jahr erklang es in London, ein Jahr
später in Berlin, in München und in Paris.60
Trotz beruflicher Erfolge war Brahms nicht glücklich. Er lebte zurückgezogen, vielleicht
wegen Clara Schumann. Es gab Dissonanzen zwischen Brahms und Clara. Frau Schumann
56
Wolfgang Sandberger: Brahms Handbuch, S. 128.
Brahms‘ Brief an Karl Reinthaler, Wien, 9. October 1867
58
Renate Hofmann und Kurt Hofmann: Über Brahms, S. 43.
59
Ludwick Erhardt: Brahms, S. 182.
60
Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 114.
57
22
fühlte sich von Brahms‘ Benehmen verletz. Eine „große Mauer“ zwischen beiden
erreichtete.61 Claras Welt war die künstlerische, aristokratische Umgebung, während
Brahms sich mit den einfachen Menschen, mit denen er aufgewachsen war, wohl fühlte.
Sie waren voneinander entfremdet, was Brahms sehr bedrückte. Er fühlte sich schuldig,
was ihn auch melancholisch machte. Ihre Beziehung wurde auch dadurch erschwert, dass
Brahms in Claras Tochter, Julie verliebt war.62 Julie verlobte sich später mit einem Grafen.
Zu dieser Zeit schrieb Brahms den Liebeslieder Zyklus.63
Einen neuen Einfluss auf Brahms Musik hatte der Deutsch-Französische Krieg. Bisher
beschäftigte er sich nicht mit der Politik, aber jetzt begann er sich auf die Idee des
Patriotismus zu konzentrieren. Anschaulich beobachtete er die Ereignisse aus Wien. Er
schrieb in seinem Brief an Johann Jakub: „Jetzt bin ich in Salzburg geblieben und warte
begiereig darauf, daß die Franzosengute Schläge kriegen. Ich höre, daß in Hamburg auch
viel Soldaten sind und alle Leute Einquartierung haben, die 300 Mark Miete bezahlen. Nun
laß mich jedenfalls jetzt gleich hören, wie es euch geht.[…]Heute ist die erste
Siegesnachricht gekommen. Ob Ihr da oben wohl auch etwas erlebt?Ich möchte gar zu
gern in Deutschland jetzt sein; man ist hier so draußen und es geht einen doch an.Kann
man auch nicht mitschießen, so möchte man doch die Soldaten-Landsleute sehen und zu
Hause sein, wenn Sieg verkündet wird.“64
Mit tiefer Anteilnahme wegen des Krieges zwischen Deutschland und Frankreich, und mit
unbegrenzter Verehrung für Bismarck, komponierte Brahms das Triumphlied, welches im
5. Mai 1871 in Karlsruhe uraufgeführt wurde. Das Werk wurde bald in ganz Deutschland
bekannt. Kritiker lobten dieses Stück, es wurde auch Siegeshymne genannt. Ab diesem
Triumphlied wurde Brahms als der größte deutsche Komponist betrachtet. Er erfreute sich
großer Beliebtheit und wurde eine prominente Figur der deutschen Musik.65 Etwa in die
gleiche Zeit wie das Triumphlied fällt auch die Vollendung des schon drei Jahre zuvor
begonnenen Schicksalsliedes. In Frankreich aber gab es keine Sympathie für Brahms, weil
61
Karl Laux: Der Einsame, S. 223.
Ludwick Erhardt: Brahms, S. 186-187.
63
Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 118.-119.
64
Brief Von Johannes Brahms an Johann Jakub Salzburg, 5. August 1870
65
Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 120-121.
62
23
dort veständlicherweise eine anti-deutsche Stimmung herrschte.66 Clara Schumann
arbeitete vergeblich daran, die Werke von Brahms in französischen Konzerthallen populär
zu machen. In Frankreich begann ebenso der nationalistische Geist dominieren, die
deutsche Musik wurde abgelehnt. Wagners Lohengrin scheiterte im Jahre 1861 in Paris,
Boulanger organisierte eine Demonstration gegen die Aufführung von Lohengrin. Die
Leitung der Oper hatte das Konzert abgesagt.67 Trotz all dieser anti-deutschen
Bemühungen, hat sich ein Wagner-Kult in Frankreich verbreitet. Brahms hingegen geriet in
den Hintergrund und die schlechte Meinung über ihn blieb erhalten. Seine Musik wurde
auch als zu "nordisch" bezeichnet. Christian Martin Schmidt schrieb in seinem Buch:“ Das
Bewußtsein der mangelnden Sprachkentnisse war einer der Hinderungsgründe für Brahms,
sich in Ländern, in denen man Deutschkenntnisse nicht voraussetzen konnte, dem
Publikum zu präsentieren.“68 Populärer hingegen war seine Musik in Amerika, wo viele
deutsche Musiker tätig waren, und europäische Konflikte hatten dort keine Auswirkungen
auf die Kunstfragen. England war das einzige europäische Land, in dem Brahms Werke
ständig in den Konzertsälen aufgeführt wurden. Freunde von Brahms förderten dort die
Popularität, indem sie mit seinen Werken in London auftraten.69
Im Winter 1871-1872 siedelte Brahms schließlich nach Wien. Er mietete drei Zimmer im
dritten Stock der Karlsgasse 4, und blieb über 25 Jahre in der Wohnung bis zu seinem
Tode.70 Kurz nachdem Umzug nach Wien, im Februar 1872 verstarb sein Vater. Den
Sommer verbrachte er, wie früher, in Lichtental. Für die Saison 1872/73 wurde ihm die
Stelle als Direktor der Gesellschaft der Musikfreunde angeboten. Er nahm das Angebot an,
mit der Aufgabe, sechs Konzerte zu organisieren, die Konzerte zu dirigieren und den Chor
zu unterrichten. Er verbrachte drei Saisons bei der Gesellschaft der Musikfreunde als
Direktor was auch der erfolgreichste Zeitraum des Instituts war. Oft stellte er ins
Programm Bach und Händel Werke, und achtete sehr auf den authentischen
Aufführungsstil. Die Mitglieder des Orchesters verehrten den neuen Dirigenten
außerordentlich, er führte seine Arbeit gewissenhaft durch, aber die Vorbereitung der
Konzerte verlangte so viel Arbeit von ihm, dass wieder keine Zeit zum Komponieren blieb.
66
Max Kalbeck: Brahms. Band 3. 1. Halbband, S. 47.
Ludwick Erhardt: Brahms, S. 195
68
Christian Martin Schmidt: Brahms, S. 63.
69
Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S.138-139.
70
Karl Laux: Der Einsame, S. 247-248.
67
24
Nach dem letzten Konzert der Saison verschwand Brahms einfach, ohne, jemanden seine
Adresse zu hinterlassen.71Er reiste nach Tutzing bei München. Hier konnte er wirklich viel
komponieren und er beendete zwei Streichquartette, Op. 51(in C-Moll, A-Moll). Diese
wurden noch im selben Jahr von Simrock herausgegeben. In Tutzing hatte er ein weiteres
Stück bei sich: Variationen über ein Thema von Haydn. Davon komponierte er zwei
Versionen: Eine für zwei Klaviere und eine Orchester-Version. In der letzteren können wir
feststellen, dass er die Orchestrierung viel besser durchgeführt hat, als früher. 72
Er reiste nach Wien zurück, er sah es als seine Pflicht, zurückzukehren. In diesem Jahr
wurde die Weltausstellung in Wien veranstaltet, die das Publikum aus ganz Europa anzog.
Die neue Saison in der Gesellschaft der Musikfreunde brachte viel Erfolg und
Zufriedenheit für Brahms. Er hatte aber wieder keine Zeit, zu komponieren. 1874 erhielt er
den
Maximiliansorden
von
König
Ludwig
II.
Er
erhielt
eine
Menge
von
Konzerteinladungen aus verschiedenen Orten. Bei dieser Gelegenheit kommt er mit seiner
ehemaligen schönen Schülerin Elisabeth v. Stockhausen zusammen. Danach reiste er in die
Schweiz, um den Sommer dort bei seinen Freunden zu verbringen und erholte sich am
Züricher See. Dort lernte er den Dichter J.V. Widmann aus Bern kennen. In späteren Jahren
war der Bund zwischen beiden Künstlern sehr innig.73 Er hatte viele Musikstücke (z.B.:
Op. 61,62,63,64,65) komponiert, welche später von Simrock, dem exklusiven Herausgeber
des Komponisten veröffentlicht wurden. Simrock versuchte, Brahms zur Komposition
einer Symphonie zu überreden. Niemand wusste davon, dass Brahms am Züricher See den
ersten Satz einer Sinfonie mit ihm war, welchen er vor vielen Jahren komponierte.
Wieder zurück in Wien, begann Brahms seine dritte Saison bei der Gesellschaft der
Musikfreunde. Sein Vorgänger, Johann Herbeck wollte zu seiner früheren Position
zurückkehren, welche Brahms übernommen hatte. Daraufhin beschloss Brahms, seinen
Rücktritt einzureichen. Er hatte wertvolle Erfahrungen im Laufe der Jahre in dieser
Position gesammelt. Im Jahr 1875 wurde er zum Mitglied von dem österreichischen
Unterrichtsministerium in 1863 ins Leben gerufenen Kommission für Erteilung von
Künstlerstipendien an mittellose, talentvolle Künstler. Brahms war auf die Arbeiten eines
Bewerbers aufmerksam geworden, der Antonin Dvořák war, dem Brahms das Stipendium
71
Karl Geiringer: J.B. Sein Leben und Schaffen, S. 124-128.
Karl geiringer: J. Brahms, S. 129.
73
Karl geiringer: J. Brahms, S. 132-133.
72
25
sofort verschafft.74 Brahms hatte auch später Dvořáks Karriere verfolgt, sogar bis zu
seinem Tod waren sie gute Freunde. 75
1875 Brahms verbrachte den Sommer in der Nähe von Heidelberg. Hier stellte er das
Klavierquartett C-Moll Op. 60 in seiner endgültigen Form fertig. Ursprünglich war die
Tonart in Cis-Moll, er in einer Überarbeitung auf C-Moll änderte. Das Musikstück wurde
durch ein Scherzo ergänzt, was eine Änderung des letzten Satzes bedeutete.76 Schließlich
wurde das Stück im Jahr 1875 von Simrock herausgegeben. Am Ende dieses Jahres zum
ersten Mal in Wien aufgeführt.
Inzwischen war das englische Publikum von Brahmsscher Musik sehr begeistert. Bei
mehreren Gelegenheiten wurde er eingeladen Konzerte zu geben, ist aber nie nach England
gereist. Die Gründe sind unbekannt. Vermutet wird, dass er aufgrund seiner
unzureichenden Sprachkenntnisse oder wegen seiner Angst vor der Seereise die Reise nicht
unternommen hat. Karl Geiringer schrieb, dass Brahms Angst vor der Seekrankheit hatte,
und von Clara Schumann mochte er manchen schaurigen Bericht von Unwettern bei der
Farht über den Kanal erhaltet hatte77
In der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre hatte Brahms viele Konzertreisen. Er war vor allen
Seiten eingeladen, seine eigenen Werke zu dirigieren. Er reiste nach zahlreichen Städten.
Im Sommer 1876 arbeitete Brahms an seiner ersten Symphonie. Im November wurde
dieses Musikwerk in Karlsruhe aufgeführt und von der Kritik78 positiv begrüßte. Mehrere
Artikel erschienen über die Symphonie. Hanslick schrieb in der Neuen Freien Presse, dass
dieses Musikwerk gleichartig mit Beethovens Werken aus der letzten Periode ist.79 Die
Symphonie Nr. 2 (D-Dur, Op. 73) entstand kurz nach Symphonie Nr. 1 in vielerlei Hinsicht
ist sie das Gegenteil und die Ergänzung der ersten Symphonie. Brahms war in Pörtschach,
als er begann sie zu komponieren. Dieses Dorf mit schöner Lage befindet sich am
Wörthersee, wohin der Komponist dann regelmäßig wiederkehrte. Diese zweite
Symphonie hat eine fröhliche, sonnige und heitere Atmosphäre. Oft wird sie mit
Beethovens Pastorale Symphonie verglichen. Die Uraufführung fand im Dezember
74
Max Kalbeck: Brahms Band 3. 1. Halbband, S. 154.
Renate Ulm: J. Brahms Das Symphonische Werk Entstehung, Deutung, Wirkung, S. 11.
76
Ludwick Erhardt: Brahms, S. 222-223.
77
Karl Geiringer: Brahms, S. 138.
78
Karl Geiringer: Brahms, S. 142.
79
Siehe Fußnote 99.
75
26
Dezember 1877 in Wien statt. Ein französischer Musikschriftsteller nannte das Werk
Wiener Symphonie.80 1878 wurde sie von Simrock herausgegeben. Zwischen den beiden
Symphonien komponierte Brahms Lieder, die er an Clara schickte, um ihre persönliche
Meinung zu bekommen. Er schrieb an Clara:„…Ich möchte nämlich meine Lieder
herausgeben und hätte gar zu gern, Daß Du sie vorher einmal durchspieltest und mir ein
Wort sagtest. Am liebsten säße ich freilich bei Dir-aber nach Düsseldorf konnte ich doch
nicht, und Berlin hat auch sein so-so.“81Clara schrieb eine detaillierte Stellungnahme über
jedes Lied. Sie erteilte Vorschläge an Brahms, welche Lieder er herausgeben lassen sollte,
und welche nicht. Die 1. Violinsonate wurde (auch in Pörtschach)in nur wenigen Monaten
fertig. Brahms hatte keine Erfahrung auf dem Gebiet des virtuosen Geigenspiels, so bat er
seinen Freund Joachim, seine Vorschläge hinzuzufügen, während das Stück komponiert
wurde. Brahms akzeptierte jedoch in mehreren Fällen die Vorschläge von Joachim
betreffend die technisch schwierigen Teile nicht. Die Uraufführung fand im Januar 1879 in
Leipzig statt.82
Im Herbst 1879 hatte Brahms mit Joachim eine Reise nach Ungarn, wo er sehr viele
interessante Eindrücke bekam. Anfang 1880 besuchte der Komponist Krefeld, wohin er
später mehrmals zurückkehrte. Hier sammelte er neue Freunde. Zu Ehren seines Besuches
wurde ein besonderes Konzert organisiert. Das Repertoire enthielt die Alt-Rhapsodie, die
2. Symphonie, und das Triumphlied. Er versprach Joachim, später eine Konzertreise zu
machen. 83
Im Sommer reiste er nach Bad Ischl. Dort komponierte er die zwei Ouvertüren: Op. 80 und
Op. 81, die Akademische Festouvertüre und die Tragische Ouvertüre. Die Akademische
Festouvertüre entstand anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Brahms durch
die Universität von Breslau am 11. März 1879. Beide Ouvertüren haben eine gemeinsame
Veröffentlichung, und es gibt inhaltliche Beziehungen: sie sind die einzigen
Instrumentalstücke von Brahms mit programmatischem Hintergrund. Für die Op. 80
kommt die Programmatik aus der Genese. Beide Werke ergänzen einander und bedingen
80
Karl Laux: Der Einsame S. 273.
Brahms‘ Brief an Clara Schumann in Wien, den 42. April 1877
82
Karl Geiringer: Johannes Brahms, S. 145.
83
Karl Geiringer: Johannes Brahms, S. 152.
81
27
sich gegenseitig.84Johannes Brahms schrieb so an Carl Reinecke über die Ouvertüren: „Ich
bin bis 6. Januar in Breslau und führe dort zwei Ouvertüren auf. (Die eine weint, die
andere lacht.) Falls Ihnen diese zufällig für den 13. Januar passen sollten, so würde ich
das Vergnügen haben können, sie Ihnen vorzuführen. Es bleibt Ihnen dann genügend Platz
für Besseres, das zu hören sehr erfreuen wird Ihren ganz ergebenen J.Brahms.“85
Im Oktober 1881 besuchte Brahms Meiningen, wo im Hof von Georg II, Hans von Bülow
Musikdirektor war. Bülows äußerst genaue Arbeit mit dem Orchester erweckte die
Aufmerksamkeit von Brahms. „Legendär wurde vielmehr Büllows innovative Verbindung
von ebenso intensiver wie fruchtbarer Probenarbeit mit einer betont subjektiven und
virtuosen Werkinterpretation.“86 Brahms hat das B-Dur (Op. 83) Klavier Konzert mit
Bülows Orchester in Meiningen geprobt. Die Weltpremiere war in Budapest im November
1881. In Meiningen wurde das Stück zusammen mit anderen Brahmsschen Musikwerken
vorgetragen. Viele Respektpersonen saßen im Publikum. Das Konzert hatte einen großen
Erfolg, Georg II. hat Brahms mit dem Verdienstkreuz der Meiningen Dynastie geehrt.
Bülows hat viel daran gearbeitet, um Brahms Musik zu popularisieren.
Mit Wagners Tod (13. Februar 1883) sind die Konflikte zwischen den Wagner Gläubigen
und Brahms nicht abgeflaut. Die Befürworter der innovativen Idee wurden nun Nachfolger
von Bruckner, der kein bisschen als Innovator genannt werden konnte. Bruckner arbeitete
in Wien. Er unterrichtete Kontrapunkt am Konservatorium, und Musiktheorie an der
Universität Wien. Brahms hatte keine gute Meinung von den Kompositionen Bruckners
und er hielt Bruckner für nicht gebildet.87 Der schärfste Gegner von Brahms war der
Komponist und Musikkritiker Hugo Wolf, hatte eine schwierige Natur, er war impulsiv und
rachsüchtig. Er konnte sich nur schwer im Musikleben durchsetzen, bis er, durch seine
Freunde, als „Musikkritiker der Wochenzeitung Wiener Salonblatt“ genannt wurde. Seine
Zielpunkte waren die Wagner Gegner und durch spöttische Angriffe schaffte er Sensation
und eine Erhöhung der Anzahl der Zeitungsleser. So wurde Hugo Wolf in kurzer Zeit
bekannt, und tat alles, um Brahms Musik zu beschimpfen. Er bezeichnete Brahms‘
84
Johannes Brahms-Das Symphonische Werk Entstehung, Deutung, Wirkung, S. 86.
Brief von Johannes Brahms an Carl Reinecke, Wien, 7. Oktober 1880
86
Maren Moltz, Berta Müller: Richard Mühlfeld der Brahms-Klarinettist, S. 20.
87
Ludwick Erhardt: Brahms, S. 277-280.
85
28
Symphonien als „ekelhaft schale, im Grunde der Seele verlogene und verdrehte
Leimsiedereien…in einem einzigen Beckenschlage aus einem Liszt’schen Werke drückt sich
mehr Geist und Empfindung aus, als in allen Brahms’schen drei Symphonien(die vierte war
noch nicht komponiert) und seinen Serenaden obendrein.“88
Die Symphonie Nr. 3 (F-dur, Op. 90) wurde in 1883 komponiert, und hatte einen großen
Erfolg in Wien. Später wurde sie unter Joachim in Berlin aufgeführt und wurde bald auch
in England, Niederlanden, Italien und Amerika bekannt. Im Jahr 1884 reiste Brahms nach
Mürzzuschlag,89 wo er den Sommer verbrachte, und begann an der Symphonie Nr. 4 (Op.
98) zu arbeiten. Er beendete sie im Sommer 1885 und war besorgt, dass das Werk keinen
Erfolg beim Publikum haben würde. Deswegen bat er um Meinung seiner Freunde. Trotz
der Tatsache, dass viele wesentliche Änderungen vorgeschlagen wurden, nahm Brahms nur
am Beginn des ersten Satzes Änderung vor. Die Uraufführung mit dem Orchester von
Bülow war ein riesengroßer Erfolg. Im darauffolgenden Monat wurde das Werk in
Meiningen aufgeführt, und dann später in Frankfurt, Dortmund, Essen, Düsseldorf,
Rotterdam, Utrecht, Amsterdam, Den Haag, Krefeld, und auch in Bonn. 90 Brahms
verbrachte den Sommer 1886 am Thuner See, wo er drei große Kammermusikstücke
komponierte: Op. 99 F-Dur-Sonate für Cello und Klavier, Op. 100 A-Dur Sonate für
Violine und Klavier, und Op. 101 C-Moll Klaviertrio. Das letztgenannte Stück haben seine
Freunde auch sehr geschätzt. Im Jahr 1885 gründeten seine Anhänger den Wiener
Tonkünstlerverein, und Brahms wurde als Ehrenpräsident gewählt. Neben künstlerischen
Aktivitäten organisierten sie Ausflüge und unterstützen die jungen Künstler. Der
Komponist verbrachte mit ihnen viel Zeit, weil die meisten seiner Freunde in dem Verein
auch anwesend waren.
Zu der Zeit änderten sich die Lebensbedingungen von Brahms. Frau Vogt, die in einer
Wohnung auf der Karlgasse wohnte, verstarb. Damit musste er sich um den ganzen
Haushalt sorgen.91 Er hatte für eine lange Zeit keine Haushälterin vorübergehend halfen
ihm seine Freunde bis schließlich eine Witwe bei ihm einzog, die für ihn sorgte. Brahms
war sehr zufrieden mit ihr, und bis zu seinem Tod lebten sie gemeinsam.
88
Karl Geiringer: Johannes Brahms, S. 169.
Max Kalbeck: Johannes Brahms Band 4. 1. Halbband, S. 18.
90
Ludwick Erhard: Brahms, S. 290-291.
91
Ludwick Erhard: Brahms, S.296-297.
89
29
1888 besuchte eine alte Schülerin, Florence May den Komponisten. Sie schrieb eine
Biographie92 über Brahms, von der wir viel erfahren können. Florence May schilderte, dass
Brahms in der letzten Zeit zunehmend den Menschen und zurückgezogen lebte. Nur selten
unternahm er Besuche bei Freunden. Er komponierte immer weniger. Als Dirigent und
Pianist beschäftigte er sich nur mit seinen eigenen Stücken. 1889 wurden die Op.108
Violinsonate III. und drei Liedersammlung Op. 105,106,107 und ein Chorwerk mit dem
Titel Fünf Lieder (Op. 104) herausgegeben. In diesem Jahr verbrachte er den Sommer in
Bad Ischl. Er wurde per Telegramm informiert, dass er als Ehrenbürger von Hamburg,
seine Heimatstadt ernannt wurde.93 Er freute sich sehr über diese Nachricht. Brahms
wusste nicht, dass sein Freund, Bülow die Ehrenbürgerschaft vermittelt hatte. Als Bülow
aus Meiningen nach Hamburg gezogen ist, hatte er alles versucht, Brahms irgendwie von
Hamburg entgelten zu lassen.
Im Jahr 1890 wollte Brahms viel Zeit mit Erholung, Ausflügen und Freunden verbringen.
Er sagte, dass er nicht mehr komponieren wolle und betrachtete das G-Dur Streichquintett
(Op. 111) als sein letztes Werk. Dieses wird als eines den besten Kammermusikwerke von
Brahms betrachtet. Heiterkeit und Fröhlichkeit sind die Merkmale des Stückes. Brahms
fühlte, dass er seine Schaffensperiode beenden sollte und dass die Zeit kam, seine Skizze
zu vernichten. Er machte die letzte Änderungen an Op. 112 Gesangsquartett, und verfasste
sein Testament. Im Jahr 1890 traf Brahms Alice Barbi, eine bekannte italienische Sängerin
in Wien. Ihre Stimme und Musikalität faszinierte Brahms stets. Im Sommer komponierte er
in Bad Ischl zwei Zyklen seiner Klavierstücke, Op. 116, und Op. 117 und er arbeitete an
der Vorbereitung der Herausgabe von Schumanns Werken.
Im März 1891 besuchte Brahms Meiningen. Hier traf er den Klarinettisten Richard
Mühlfeld, der im Orchester des Herzogtums Sachsen-Meiningen während der Regentschaft
Herzog Georg II. spielte. Brahms bewunderte das Klarinettenspiel von Mühlfeld. Seine
Stücke für Klarinette wollte man auch in Berlin vorführen. Brahms hatte eine tolle Zeit in
Berlin, denn das Konzert war ein Erfolg.
92
93
May, Florence: Johannes Brahms, Leipzig, 1911.
Karl Geiringer: J. Brahms, S. 185.
30
Im Februar 1893 wurde darüber informiert, dass Hermine Spies plötzlich jung verstorben
war. Brahms war sehr geschockt. Er reiste mit drei Freunden nach Sizilien. Seine Reise
hatte noch einen weiteren Grund: Brahms wollte nicht in Wien bleiben, und seinen 60.
Geburtstag zu feiern. Brahms reiste dann aus Italien direkt nach Bad Ischl. Dort
komponierte er die Klavierstücke Op. 118. und Op. 119.
Außerdem hat er die Vorbereitung der Ausgabe von Schumanns Werkefertig gemacht. Als
er nach Wien zurückkehrte, begann er deutsche Volkslieder zu sortieren, zu organisieren
und herauszugeben. Im Jahr 1894 starben zwei Freunde: Billroth und Philipp Spitta. Die
Schläge haben ihn schwer getragen, er wusste, bald kommt er an die Reihe.
Im Sommer 1894 in Bad Ischl hat er die zwei Klarinettensonate Op. 120 komponiert. Diese
waren seine letzten Kammermusikwerke.
Im Januar 1895, Brahms war sehr begeistert wegen der Konzerte mit Mühlfeld, deswegen
wollte er die fortsetzen. Am 11. Januar 1895 wurden beiden Klarinettensonaten in Wien
aufgeführt. Brahms und Mühlfeld spielten aus dem Manuscript.94 Er hatte Auftritte in
Frankfurt und Rüdesheim dann reiste er nach Frankfurt, um Clara zu besuchen. Es war ihre
letzte Begegnung. Am 26. März hatte Clara eine Lähmung erlitten, Brahms war sehr
besorgte über sie. Unter dem Eindruck des Schlaganfalls, den Clara Schumann erlitten hat,
komponierte Brahms die Vier ernsten Gesänge Op. 121. Diese Lieder wurden für Basston
geschrieben, und wurden als Meisterwerke bezeichnet. Sie wurden mit biblischen Texten
geschrieben, ihre Tonart ist traurig, sie haben Abschieds-Charakter. Simrock gab die Lieder
im Sommer 1896 heraus. Die Vier ernste Gesänge schließen die vierte kreative Ära von
Brahms, und auch sein ganzes Lebenswerk ab.
Im Mai 1896 erhielt er ein Telegramm über Clara Schumanns Tod. Ihr Tod lies den
Komponisten immer mehr vereinsamen. Auch sein Gesundheitszustand verschlechterte
sich zusehends. Brahms fühlte sich von da an nicht mehr gut. Seine Freunde waren besorgt
um ihn, sein Aussehen und sein Hautton hatten sich verändert. Nach Drängen seiner
Freunde gig auf Kur nach Karlsbad,was ihm aber nicht half. Am 2. Oktober kehrte er nach
Wien zurück. Tag für Tag fühlte er sich schlechter, wollte sich aber nicht der Krankheit
ergeben, er kämpfte dagegen. Er hat noch einige Konzerte besucht und unterstützte Mahler
94
Margit L. McCorkle: J. Brahms Thematisch-Bibliographisches Werkverzeichnis, S. 479.
31
mit alle seinen Kräften, der - mit der Unterstützung von Brahms - zum Leiter der Wiener
Oper gewählt wurde. Johannes Brahms zerstörte die Briefe und Notizen, die er nicht der
Öffentlichkeit übergeben wollte. Er bereitete sein Testament vor und starb am 4. April
1897. Die gleiche Krankheit hat ihm das Leben gekostet wie sein Vater: ein anfangs
latenter und dann schnell zerstörender Leberkrebs. Die Nachzeit würdigt Brahms
menschliche und künstlerische Qualität mit Statuen, Museen, Gedenktafeln, umfangreiche
Literatur und viele Anerkennungen.
32
III. Musikalische Sprache von Brahms
„[…] Nur kurz will ich erwidern, daß ich sehr wohl verstanden, was Du von Deinem
Interesse für meine Kunst schreibst. Auch du hast unmöglich nicht gefühlt, wie gern ein
jeder dankend solches Interesse ablehnte. In meinen Tonen spreche ich“ 95
Brahms wurde von den Deutschen scherzhaft „Synkopen Komponist“96 genannt. Diese
Merkmale seiner Musik konnte man schon in seinem ersten herausgegebenen Musikstück,
in Op. 4 Scherzo entdecken. Daneben können wir die typische Terz, Sext, Oktaven
Reduplikationen und die vielen Stakkatos entdecken.
Im November 1852 beendete Brahms sein erstes Hauptwerk, die Klaviersonate in Fis-Moll
, und widmete sie Clara Schumann. In dieser Arbeit können wir den Einfluss von
Schumann und Chopin fühlen. In den früheren Brahms Klavierwerke ist der Einfluss
Chopins charakteristisch.
Brahms sagte einmal zu Albert Dietrich, dass er sich während des Komponierens gern an
die Volkslieder erinnerte, und ihm dann die Melodien von sich selbst einfielen.97 Brahms
hält das Volkslied, als den wertvollsten Rohstoff zum Komponieren. Seine Favoriten waren
die alten Lieder. Nur wenigen seiner Werke hat er sich mehr gewidmet und überarbeitet, als
seine Serie von Volksliedern.
Der künstlerische Stil von Brahms kann als altmodisch betrachtet werden, ihm ist aber auch
eine hohe Achtung zuzuschreiben. Brahms beharrte auch bei der Größenordnung des
Orchesters der klassischen Tradition. Er meinte, dass laute Bläserpassagen nicht gut für die
Ohren sind und der Seele schaden. Es wurde nicht als Meister der Orchestrierung
betrachtet, was man ihm aber auch nicht vorwerfen kann. Sein Orchesterklang ist grau,
matt, wogend und grob. Aber das hat auch positive Aspekte. Da Brahms eine puritanische
Natur hatte, hasste er die Oberflächlichkeit, und den gestohlenen Glanz. Der Klang
symbolisiert bei ihm Gedankentiefe. Er vermied alles, was von der Reinheit der Gedanken
95
Mathias Hansen: Johannes Brahms Briefe, S. 135 Brief von J. Brahms an Clara Schumann September 1868
Maczelka Noémi: Brahms, der Klavierkünstler und Lehrer in: Parlando online Zeitschrift, März, 2017
/www.parlando.hu/2017/2017-3/Maczelka-Noemi-Brahms.htm/ (22. Juni 2017)
97
Dietrich, Albert: Erinnerungen an Johannes Brahms in Briefen, Leipzig, 1898
96
33
ablenken könnte. Andererseits steht, er mit seinem einzigartigen Klang der Neuromantik
mit ihrer schimmernden Farbenaufstellung gegenüber. Brahms ist das Gegenteil von
Berlioz, der für die virtuose Orchestrierung berühmt war. Vielleicht wäre es sein Vorteil
gewesen, wenn er sich mit der Orchestrierung nicht zu Schumann, sondern Schubert
gestanden angenähert hätte wäre.
Die konstruktiven Talente, wie Brahms und die mit ihm verwandten Seelen, rufen die
großen Geister der Vergangenheit auf entnehmen aus deren Küche das Material und
kombinieren es mit einem neuen Instrumentarium. Brahms erreichte mit seinen
außergewöhnlichen Fähigkeiten das Äußerste, was in seiner Situation möglich war. In
seinem Stil fasst er alles zusammen, was in der Musikkultur der vielen Jahrhunderte Wert
hatte, und in die Romantik verschmolzen werden kann. So schaffte er einen individuellen,
hochspannenden, konzentrierten Stil. Sein Zweck ist langlebig und widerstandsfähig alles
zu komprimieren, was in dem bürgerlichen Verhalten die Moral nähren kann.
Während in der Zeit von Haydn und Mozart die höchsten Ideale des jungen Bürgertums die
Musik konstruktiv beeinflusst hatten, sank in der Zeit von Brahms die bürgerliche Kultur,
sodaß sich einen förmlicher Standpunkt mit einer höheren formalen Position nicht ergeben
konnte. Das künstlerische Verhalten von Brahms war ähnlich, wie jenes der großen
Klassikern: er schöpfte aus fertigem Material, kombinierte es mit einer einzigartigen
Methode und macht daraus eine Synthese. Er sah den Ruhm der Musik in der
Vergangenheit, aber für ihn waren die Kompaktheit und das Wesentliche viel wichtiger, als
die Verherrlichung der Musik. Er griff den Bach und Beethoven Kult gründlich auf, aber
imitierte sie nicht. Dabei wollte er die romantische Musterung noch perfekter machen.
Viele sagen von Brahms, dass er ein klassischer Meister war, in ästhetischen Sinn. So hat
bei ihm die gesamte Form einen Vorrang gegenüber den Details. Brahms setzte sich mit den
Formen ganz besonders auseinander, legte Wert auf die Gewichtsordnung, Steigerungen,
Aspekte des Genres, und in professionellen und theoretischen Fragen war er geübter, als
andere Romantiker. Brahms kann als perfekteste Formgestalter der zweiten Hälfte des XIX.
Jahrhunderts bezeichnet werden. Die immer reicheren Ideen werden nicht überfüllt und
überbesetzt. Jede Idee hat genügend Platz. Von Mozart und Beethoven hat er die
wirtschaftliche, verteilende Ordnung gelernt. Er vermied auffallende Stilmischung, und
achtete darauf, dass die von den Klassikern übernommenen Elemente Änderungen
34
übernehmen, und die Musik wird stimmungsmäßig nicht eintönig wurde. Er war bewusster
und vorsichtiger, als andere romantische Komponisten, aber er ist kein klassischer
Komponist. Brahms Stil war dem klassischen Stil ähnlich, was an den technischen
Lösungen durchgeführter Muster ersichtlich ist. In der Romantik vor Brahms zeigen sich
bereits Beispiele für die Kompaktheit und Wirtschaftlichkeit. Die Großen Formen von
Chopin und Mendelssohn sind frei von Überschwang. Die kleinen Formen werden durch
die Zusammenfassung von Brahms angereichert. Brahms lässt seine Gedanken und Pläne
durch einen ästhetischen Filter. Durch die Studie der klassischen Komponisten formt er
Nähte zur Überbrückung der Brüche zwischen den Themen.
Bei Brahms sind überbrückende Details, die dekorativen (ornamentalen) Läufe, die
eigentlich ohne die formalen Strukturen zu beschädigen ausgelassen werden können,
wichtige Überschüsse in der Musik. Sie betonen die Leidenschaft der Melodienbiegung,
bereiten die Emotion der Fortsetzung des Gesangs vor, und spiegeln den Charakter der
Musik wieder. Die Komponisten versehen solche „Zierfäden“, die sie besonders knuddeln,
hätscheln wollen. Sie sind eine Art von Liebe zur Melodie, zu den Stimmungen des
Stückes, oder was die Stimmung überhaupt hervorgerufen hat. Diese überbrückenden
Details sind bei Brahms sehr wichtig, weil sie die Begeisterung des Autors und die
Zuneigung zur Profession zeigen. In der Romantik hat die Lockerheit des Stils auch die
Gefahr der Entstehung von Dilettantismus mit sich gebracht. Diese Gefahr war in diesem
Zeitalter ständig anwesend. Brahms Mission war es, die Schwachpunkte der Romantik zu
verstärken. Seine Werke wurden zu Schulbeispielen für den Kompositionsunterricht. Die
Bildungsbereiche haben die Merkmale von Brahms angenommen.
Brahms könnte für altmodisch gehalten werden, da er die altmodischen Akkorde und
tonalen Phrasen durchwegs mochte. Er hat diese methodisch und sorgfältig benutzt. Seine
komplexe geistige Welt, sein mit der fließenden Bewegungsart der Neuromantik
entgegengesetzten Bearbeitungsverfahren und gleichzeitig, die Wiederverwendung der
alten Techniken führen zum eigenen Stil von Brahms, auch wie er die rhythmischen
Besonderheiten von Beethoven und Schumann erfasst, steigert und systematisiert.
Versteckte
Rhythmuswechsel
(Hemiolen),
Verschiebungen
des
Schwerpunktes,
Wertaufteilungen und Zusammenziehen sind für seinen Stil charakteristisch. Er erweitert
die Perioden und verengt sie abwechslungsreich. Diese sind die wichtigsten künstlerischen
35
Merkmale der Werke von Brahms. Seine ausgezeichneten sprachlichen Fähigkeiten, was
von vielen Lesen zu danken sind, haben ihn dazu befähigt, dass er die Prosa mit der Musik
gut abzustimmen.
Ebenso, wie der alte Beethoven, der spätere Mozart, hat Brahms auch erkannt, dass die
homophone Formgestaltung, die hohe moralische Kunst nicht zufriedenstellen kann. Daher
geht er zurück zu Bach, um sich mit der Bedeutung der barocken Polyphonie
auseinandersetzen zu können. Die Fuge nimmt seine Aufmerksamkeit gefangen. Mozart
war der erste Komponist (seit Bach), der die meisterlichsten Fugen komponiert hat. In der
Romantik hat Brahms seine Zeitgenossen darin übertroffen. Er verwendete die Fuge, als
oberstes moralisches Symbol, in Händel-Variationen und im Finale der E-Moll CelloSonate. Bei Musikwerken dürfen wir nicht den Fehler begehen, dass wir das Werk auf
Form, Inhalt, Stimmungselemente und Motive aufteilen. Alle diese Parameter zusammen,
ergeben die Authentizität eines Kunstwerks. Alle Werke sind charakterisiert durch die
Gesamtheit, wie ein Gesamtkunstwerk. In der Klassik ist die Zusammensetzung der
Formen geordnet und ausgeglichen. Aus der Formenzusammensetzung kann nichts
weggenommen werden und nichts dazugegeben werden, ohne die Form zu ändern. Das gilt
für die Sätze, und ebenso für die Gesamtheit der zyklischen Werke. Bei den großen
Klassikern, bei Haydn, Mozart und Beethoven sind die Sätze bei mehrsetzigen Werken eng
miteinander verbunden, sie komplementieren und ergänzen einander. In der Klassik wurde
diese Art von Ordnung von einem allgemeinen Gefühl, der Weltanschauung eingefordert.
In der Romantik wird das nicht als harmonische Einheit betrachtet. Romantiker sind im
Grunde genommen pessimistisch, und leben ein unbeständigeres Leben. Die natürliche
Harmonie oder die religiöse Hingabe verlangen keine Regel, sie sind ist nur als Stimmung
im Leben präsent. Die Evidenz des Zweifels bedingt in der Romantik die Nichtbefolgung
von Regeln. Die romantischen Künstler machen eine Aussage von sich selbst, und nicht
von der Allgemeinheit. Ihre Seelenstimmungen benötigen keine großen Formen. Die
kleinen Formen können ausgefüllt und abgewickelt werden. Natürlich waren auch in der
Romantik die größeren Formen, wie Symphonie, Konzert, Oratorium verbreitet. Aber in
den Sonatenformen, großen Rondos der romantischen Symphonien fehlt die organische
Kohärenz, sie erhalten nur die Rahmen der Ausrichtung aufrecht. Der wesentliche
Unterschied ist also, dass die großen romantischen Formen von vielen kleinen Formen
36
zusammengesetzt, und diese Teile sind in sich auch perfekt.
Brahms symphonische und Kammermusikwerke können aus mehreren Gründen als
orchestrierte vierhändige Klavierwerke betrachtet werden. Ihr Klang bietet keine reichen,
vielfältigen Farbmischungen. In den Stimmen sind die klavierähnlichen Figurationen
häufig.
Der Ton seiner Werke
Brahms Kunst wird oft als herbstlich beschrieben, wir können trotzdem nicht sagen, dass
sein Ton düster ist. Der Wiener Dichter Salomon von Mosenthal, mit dem Brahms
verkehrte, zog ihn dann damit auf, indem er scherzte: „Wenn Brahms einmal recht lustig ist,
dann singt er, Das Grab ist meine Freude“.98 Es scheint wahr zu sein, dass Brahms eher
eine resignierte Stimme hatte, als ein jubelnde. Die befreinden Scherzi waren nicht seine
Art. Anstatt der Scherzi verwendete er fast überall weiche, meditierende Intermezzi. Das
Publikum wird direkt von sanften Tönen, und durch die heftigen oder gebrochenen Töne
wie dem Hunger nach Liebe berührt. Diese Eigenschaften sind aus der Einsamkeit von
Brahms entstanden. Davon ernähren sich die sehnenden, verliebten Nebenthemen. Die breit
angelegten Themen vertreten die hohen Ideale. In den Akkordschemen, und
Stimmenleitungen zitiert Brahms die Klassiker. Er ist weniger mutig, als Schubert oder
Chopin und er ist nie so wagemutig, wie Liszt. Er meint, dass der Gesamtklang aus der
Melodienweise entsteht, und nicht die Melodie aus dem Gesamtklang. Er geht immer von
der Melodie aus und die Formen entfaltet er aus der Melodie heraus.
„Er ist gemeinsam mit den Romantikern, vor allem mit Schumann, betreffend die
Inspiration des Geistes, und Impuls des Moments, die blind und ohne Bedenken befolgt
werden sollten. Manchmal treffen wir bei ihm solche Phrasen, die wir "mit der Hilfe der
Logik" nur schwer hinkriegen könnten, die außerhalb aller Folgen und Annahmen fallen,
aber können nicht nur als das Geschenk des Himmels betrachtet werden. Seine Werke sind
deshalb uneben, sie brechen ab und zu, weil er die nicht ganz durchgedacht hat. Vor allem
fehlt es am Stil, der auf objektive Art und Weise den künstlerischen Subjektivismus zum
Ausdruck bringen würde. Er soll nicht als fertiger Meister, sondern als ungeborener
98
Max Kalbeck: Johannes Brahms I-IV. Band 2, 1. Halbband, S. 103.
37
Meister betrachtet werden... jedoch ist es ein seltenes und überraschendes Phänomen, dass
ein junger Komponist, schon in seinen ersten Werken so frei die Formen konstruiert, die
Harmonien und Rhythmen mit solch einer Vielfalt gestaltet, und solchen Reichtum an Ideen
zeigt, die wir nur bei solchen jungen Talenten treffen, die später das Versprechen eines
zukünftigen großen Meister mit sich tragen. "99
Wenn wir diskutieren, ob Brahms ein klassischer, oder eher ein romantischer Komponist
war, müssen wir bedenken, dass die Persönlichkeit von Beethoven alle seine Nachfolger
beeinflusst hat, unabhängig davon, ob sie die klassischen oder romantischen Wege gewählt
haben. Den Weg von Brahms können wir über Beethoven bis zu Bach und bis zur
deutschen Liedertraditionen zurückverfolgen. Brahms I. Symphonie haben seine
Zeitgenossen (scherzhaft) als X. Symphonie von Hans von Bülow genannt100, was eine
Ähnlichkeit mit den letzten Werken von Beethoven vermuten lässt. Hanslick schrieb in
einem in der "Neuen Freien Presse" erscheinenem Artikel: „Die Quartette und die
Symphonie von Brahms hingegen sind nicht zu denken ohne die letzte Periode
Beethovens.[…]Jedoch auch von den Schattenseiten des späteren Beethoven lagert ein
gutes Stück auf Brahms neuesten Werken. Beethovens Styl ist zuletzt häufig unklar,
verworren, willkürlich geworden; […] Zu einseitig scheint auch Brahms das Große und
Ernste, das Schwere und Complicierte zu pflegen auf Kosten der sinnlichen Schönheit"101
Brahms Klaviermusik hat drei Hauptmerkmale102: 1. Seine Bewunderung von Beethoven
und die Sehnsucht danach, in einem großen Stil etwas zu schaffen. 2. Wachsende
Selbstkritik und Begeisterung für Bach, dass wir in seinen Variationen und in der
Einsetzung der strengen Kontrapunkte sehen, 3. Fundamentaler Lyrismus. Brahms war
bereits am Anfang ein bedeutender Pianist. Der Stil und Geschmack seiner Musik war
schon damals unverkennbar. Sein Lehrer, Marxsen unterrichtete ihn mit den Klassikern.
Daher waren bei ihm die kontrapunktischen Mittel, so wie die Kanons, Diminutionen und
Engführungen sehr häufig. Schumann hat die Stärke und Bestrebungen von Brahms
anerkannt, und er hat sich auch dafür eingesetzt. Brahms wollte dies zwar nicht, aber er hat
sich in der damaligen Musikpolitik eingemischt. In den 1850er Jahren standen zwei Trends
gegenüber: auf der einer Seite stand die Liszt-Wagner Partei, welche die Zukunft der Musik
99
Richard Pohl’s Kritik in Neue Zeitschrift für Musik, XLIII,1855, S. 254.
Renate Hofmann und Kurt Hofmann: Über Brahms; Hans von Bülow, S. 55
101
Christian Martin Schmidt: Johannes Brahms und seine Zeit, 1983, S. 164-165
102
Molnár Antal: Brahms, S. 119-135.
100
38
bevorzugte. Auf der anderen Seite waren die AnhängerInnen der gemäßigten Traditionen.
Brahms wollte auf keiner der beiden Seiten stehen. Er hat sich nicht mit der Neuen
Deutschen Schule identifiziert, aber bewunderte Wagner ganz ehrlich. “Ich bin keiner, der
dazu taugt, an die Spitze irgendeiner Partei gestellt zu werden, denn ich muß meinen Weg
allein und in Frieden gehen und habe‘ ihn auch nie mit einem anderen gekreuzt.“103 Er
wusste mehrere Stücke von Wagner auswendig. Brahms hat die Variationsform angezogen.
Er hat seinem Patron, Schumann z B. mit den Schumann Variationen (Op. 9) geehrt.
Reményi hat während der gemeinsamen Konzertreise auch großen Einfluss auf Brahms
ausgeübt. Der Zigeunerstil hat Brahms gefallen, mit dem Terz und Sext der Geige hat er
gern seine Melodielinien verdoppelt. Diese Merkmale sind in mehreren seiner
Kompositionen erschienen. Zum Beispiel auch in dem für Joachim komponierten
Violinkonzert, im letzten Satz vom B-Dur-Klavierkonzert und im deutschen Requiem. Sein
Klavier und Orchester Stil passte perfekt zu seiner Musik. Seine Werke waren dicht. Er
hatte die Oktave, Terz und Sextparallelen sehr gern. Er verwendete gern die großen
Sprünge, jedoch bei den Dreiklängen bevorzugte er die enge Lage. In seiner Musik spiegelt
sich sein Denken wieder, dass Werk wird von seinen Gedanken, und nicht von den externen
formalen Elementen bestimmt. In Brahms Lebenswerk bedeuten die Paganini Etüden die
größte Herausforderung für die virtuosen Musiker. Eine Zusammenfassung seiner
Klaviertechnik
ist
in
den
„Klavierübung
Etuden“
ersichtlich.
Im
Fall
von
Soloklavierwerken verwendete Brahms kleinere Formen, zum Beispiel bei den Op. 76
Klavierstücken. Der Titel dieser kurzen Stücke war oft das Intermezzo, eine einfache,
dreiteilige Form, die den Vorstellungen von Brahms gut diente. Er nutzte mit Vorliebe die
6/8, 3/4 Takte, komplexe Rhythmen, Hemiolen, obwohl in seiner Kunst die Rhythmen nicht
so wichtig sind, wie die Melodie. Am 12. Februar 1933 hielt Arnold Schönberg im
Frankfurter Rundfunk einen Vortrag über Brahms. Er überarbeitete den Vortrag, und
veröffentlichte ihn 1950 unter dem Titel Brahms the progressive in einem Essay-Band Style
and Idea. Das nächste Zitat kommt von Schönberg: „Es ist wichtig, sich klarzumachen,
dass Brahms, ohne auf Schönheit und Gefühl zu verzichten, zu einem Zeitpunkt, als alle an
‚Ausdruck‘ glaubten, sich auf einem Gebiet als fortschrittlich erwies, das seit einem halben
Jahrhundert brachgelegen hatte. Er wäre schon ein Pionier gewesen, wenn er einfach zu
103
Constantin Floros: J. Brahms, S. 105.
39
Mozart zurückgekehrt wäre. Aber er lebte nicht vom ererbten Vermögen; er verdiente selber
eines. Allerdings hat auch Wagner zur Entwicklung struktureller Formulierungen
beigetragen durch seine Technik der variirten oder unveränderten Wiederholungen, denn
diese befreiten ihn von der Verpflichtung, sich länger als notwendig über ein Thema zu
verbreiten, das er schon klar umrissen hatte. So erlaubte diese Sprache, sich anderen
Themen zuzuwenden, wenn es die Handlung auf der Bühne verlangte.“104
Brahms gehöre zu den bedeutendsten Liedkomponisten des 19. Jahrhunderts. Die Angabe
der genauen Zahl der Brahms-Lieder stößt auf bestimmte Abgrenzungsprobleme. Mit Lied
ist die Standardform des 19. Jahrhunderts, das einstimmige Klavierlied gemeint.105 Brahms
hielt sich in seinem ganzen Leben treu an die Musikrichtung der Lieder. Unabhängig von
seinen Umständen hat er immer Lieder komponiert. Interessant daran ist, dass Brahms
diese Musikstücke einmal als Lied, und manchmal als Gesang bezeichnet hat. Das Lied
hatte Strophenstruktur der Volks-Tradition, während der "Gesang" näher war zur
romantischen Lied. „Das Volkslied war ihm Ideal auch insofern, als es Elemente enthielt,
die er für sein Schaffen insgesamt, aber insbesondere für seine Kunstlieder fruchtbar
machen konnte.“106 Unter den Liedern von Brahms gibt es kaum uninteressante
Kreationen. Die Gesangstimme herrscht in ihnen, die Begleitung ist nicht so bestimmend,
nicht so eigenständig, wie bei Schumann. Die Gesangslinie ist einfach, die ist sehr nahe
beim Volkslied, auch dort, wo sie nicht auf volkstümlichem Gefühl beruht. Die Lieder von
Brahms sind hochfliegend, auch ohne Begleitung aussagekräftig.
107
Brahms hat
geschmackvolle Texte für seine Lieder ausgewählt. Seine Gedichtsammlung, die nach
seinem Tod mit dem Titel “Brahms-Texte"108 veröffentlicht wurden, sind die
Schmuckstücke der deutschen Lyrik.
104
Schönberg: Brahms, der Fortschrittliche; S. 69-70.
Peter Jost: Lieder und Gesänge; in: Wolfgang Sandberger: Brahms Handbuch, S. 208.
106
Peter Jost: Lieder und Gesänge; in: Wolfgang Sandberger: Brahms Handbuch, S. 216.
107
Wolfgang Sandberger: Brahms Handbuch, S. 200-203.
108
Brahms-Texte; Vollständige Sammlung der von Johannes Brahms komponierten und musikalisch
bearbeteten Dichtungen, Berlin, 1898
105
40
V. Die Begegnung von Brahms und Mühlfeld
Abb. 2: Meininger Wendling-Quartett mit Richard Mühlfeld , Foto um 1900
109
Mühlfeld starb 1907, er war nur 51 Jahre alt, und hinterließ nur wenige Selbstzeugnisse von
seinem Leben und Wirken. Maren Goltz und Herta Müller schrieben in ihrem MühlfeldBuch, dass die Arbeit der britischen Klarinettistin Pamela Weston, die Band Clarinet
Virtuosi of the Past bis heute die wichtigste biografische Dokumentation zu Mühlfeld ist.
Pamela Weston erhielt verschiedene Text-und Bilddokumente aus dem Familienarchiv
Mühlfeld.110
Mühlfeld wurde 1856 geboren. Seine Familienmitglieder waren keine musikalisch
ausbildeten Musikanten. Sie waren musikalische Handwerker, die auf der Violine, der
Klarinette und dem Klavier spielten. Der junge Mühlfeld wurde als Geiger Mitglied der
Meininger Hofkapelle, und von Beginn spielte er auch Klarinette.111 Mühlfelds
Berühmtheit wurde gesteigert, indem er den Komponisten Johannes Brahms zu vier
Kammermusikwerken inspirierte. Aber Mühlfeld wurde schon vor der Begegnung mit
Johannes Brahms berühmt. Obwohl Brahms Mühlfeld bereits seit seinem ersten
Meiningen-Aufenthalt im Herbst 1881 kannte, vergingen noch zehn Jahre bis zu einer
109
Maren Goltz/Herta Müller: Richard Mühlfeld der Brahms-Klarinettist, S. 24.
Maren Goltz/Herta Müller: Richard Mühlfeld der Brahms-Klarinettist, S. 12.
111
Maren Goltz/Herta Müller: Richard Mühlfeld der Brahms-Klarinettist, S. 18.
110
41
persönlichen Zusammenarbeit. Brahms war im Jahr 1891 zu Besuch in Meiningen, er
Richard Mühlfeld traf. Im Jahr 1886 hinterließ der Klarinettist ernsten Eindruck auf
Brahms, als Mühlfeld das F-moll Klarinettenkonzert von Weber spielte. Wir kennen diese
Information von einem Brief von Elisabet von Herzogenberg an Johannes Brahms, in dem
sie schrieb: „Aber die Meiningensche Klarinette ist fein!“112 Das virtuose Klarinettenspiel
und die schöne Klarinettenstimme hatten Brahms sehr gefallen. Durch dieses Spiel konnte
Brahms die musikalischen Ausdrucksformen und Möglichkeiten der Klarinette besser
kennenlernen. „Man kann nicht schöner Klarinette spielen, als es der hiesige Herr
Mühlfeld tut.“113 Der Komponist bat ihn verschiedene Stücke zu spielen. Die vielen
zusammen verbrachten Stunden hatten den Komponisten wirklich begeistert. Er reiste nach
Bad Ischl zurück, mit vielen Ideen, mit neuer Kraft und er begann mit neuen
Kompositionen. Er traf die Entscheinung, mit dem Komponieren nicht aufzuhören. Das AMoll Trio für Klarinette, Violoncello und Klavier Op. 114 und das andere Musikwerk, das
H-Moll Quintett für Klarinette, zwei Violinen, Viola und Violoncello Op. 115 wurden fast
gleichzeitig komponier. Brahms informierte im August Simrock in einem Brief über die
Fertigstellung der neuen Werke. Brahms wollte, dass seine neuen Werke in Meiningen in
Zusammenarbeit mit Mühlfeld und Hausmann (Cellisten) vorgetragen werden. Am 21.
November wurden das Trio, und drei Tage später das Klarinettenquintett uraufgeführt.
Joachim suchte für eine Zeit Meiningen auf, da er über die neuen Stücke informiert wurde.
Joachim war von den Werken so begeistert, dass er beschloß sie in Berlin uraufzuführen.
Das Konzert fand am 12. Dezember in der Singakademie statt.
114
Durch Brahms‘ Genius
reiften zwischen 1891-1894 vier schöne Kammermusikwerke, deren Entstehung von
Richard Mühlfeld inspiriert wurde, und in denen die Klarinette eine führende Rolle erhielt.
Die Klarinette hatte auch Mozart ermutigt, um seinen tiefsten, letzten Ideengehalt
auszudrücken. Die zwei Klarinettensonaten Op. 120 komponierte Brahms im Jahr 1894.
Die Klarinetten Stimmen hat er auch für Viola übertragen, mit der sie auch hervorragend
gespielt werden können. Diese Werke geben die Tiefe, und das nachdenkliche Konzept vom
alten Brahms wieder und bezeugen den Lebenswillen des Meisters. Von Ende September
1894 bis Ende Februar hatte Brahms mit Mühlfeld zwanzig Aufführungen. Das Publikum
112
Brief von Elisabet von Herzogenberg an Johannes Brahms, 15. März 1882
Brief von Johannes Brahms an Clara Schumann, 17. März 1891
114
Maren Goltz/Herta Müller: Richard Mühlfeld der Brahms-Klarinettist, S. 36
113
42
war hingerissen.115
Seit Anfang seiner Karriere bis zum Ende seines Lebens, blieb Brahms den Volksliedern
treu. Im volkslied artigen Thema im letzten Satz der 2. Klarinettensonate erinnern wir uns
an das altdeutsche Minne-Lied im Andante-Thema der Op. 1 Klaviersonate. Das Trio und
das Klarinettenquartett nahm das Publikum mit großer Begeisterung auf. Brahms
behandelte die Sonatenform sehr gekonnt, er benutzte schöne Melodien, mit denen er die
Herzen des Publikums eroberte. Es besteht kein Zweifel, dass durch den Erfolg auch das
Klarinettenspiel
von
Mühlfeld
gefördert
wurde,
der
hervorragend
Musikinstrument gespielt hat.
115
Maren Goltz/Herta Müller: Richard Mühlfeld der Brahms-Klarinettist, S. 42.
43
an
seinem
VI. Für Klarinette komponierte Stücke
In der Musikgeschichte sind zahlreiche Meisterwerke aus der Begegnung von großen
Komponisten und große Musikkünstlern entstanden. Die beiden Werke von Mozart, das
Klarinettenquintett und das Klarinettenkonzert bewahren die Erinnerung an den
Klarinettisten Anton Stadler. Hundert Jahre nach der Entstehung des Klarinettenkonzerts
von Mozart, im Jahr 1891, traf Brahms bei seinem Besuch in Meiningen mit dem
Klarinettisten, Richard Mühlfeld zusammen. Diese Begegnung inspirierte Brahms das Trio
für Klarinette, Violoncello und Klavier A-Moll (Op.114), das Quintett für Klarinette und
Streichquartett H-Moll (Op.115), und später zwei Sonaten für Klarinette und Klavier (Op.
120) zu komponieren.116 Mozart verliebte sich in die weiche pralle Stimme und glatte
Lebendigkeit der Klarinette. Dieses Instrument ist in der Mozart-Ära sehr populär
geworden, weil sich ihr Klang sehr leicht in den Klang der Streicher und Bläser-Ensembles
einfügte, und daneben einen breiteren Klangumfang bewirkte. In Mozarts Werken
bedeutete die Klarinette eine innige Lyra. Die Meister des 19. Jahrhunderts wie Weber,
Schubert, Schumann und Mendelssohn erweiterten die Rolle des Instruments noch, um
Virtuosität und intime Charaktäre zu zeigen. Brahms kannte gut die Traditionen der
Anwendung des Instruments. Dies können wir in dem Klarinettenquintett sehen, wo er die
Klarinette sicher behandelt, und ihre Möglichkeiten vielseitig einsetzt. Für Brahms war das
Klarinettenquintett von Mozart wahrscheinlich ein Modell betreffend den Charakter des
Musikwerkes. Beide gehören zum Genre Ständchen (Serenade).
116
Karl Geiringer: J. Brahms Sein Leben und Schaffen, S. 201-202.
44
VI.1. Klarinettenquintett Op.115
Abb. 3: Brahms, Op. 115, 1. Satz Klavierauszug
I. Satz: Brahms stellt das erste Thema zuerst auf den vier Saiteninstrumenten vor und erst
dann erscheint die bis zuletzt solistische Klarinette, die mit einem Dreiklang beginnt. Dann
wird sie von oben nach unten absteigend in dem tiefen Register eine das Thema
unterstützende Rolle haben. Nachder lyrischen Stimmung folgt eine stramme, rhythmische
musikalischere Formel, die von Brahms sehr oft benutzt wurde. Die zweite Themengruppe
Exposition erklingt in D-Dur, die uns an den ersten Satz der Symphonie III. erinnert, was in
ähnlicher Stimmung, auch von der Klarinette ertönt. Der mittlere Abschnitt des ersten
Satzes führt das musikalische Material der ersten Hälfte der Exposition durch verschiedene
45
Tonarten. In der zweiten Hälfte des Bearbeitungsabschnittes herrscht das heroische Thema,
welches dann später verstummt. Dann ertönt das Anfangsthema auf der Klarinette in DurTonart und darauf kehrt die Exposition zurück. Der Satz wird mit einer Klausel
vervollständigt, und das letzte Mal hören wir das Hauptthema.
II. Satz: Notturno, d.h. Nachtmusik, welche für die Romantik sehr beliebt war. Der Anfang
erinnert an das Notturno von Mendelssohns Ein Sommernachtstraum. Diese Stimmung
ändert sich, wenn wir die "volksliedartigen" Melodien der Klarinette hören. Diese
Melodienwelt wurde bei Brahms wahrscheinlich von der ungarischen Musik und
Zigeunermusik beeinflusst, denn er hat viele Konzerte mit Ede Reményi gegeben und die
Musik der Zigeunerkapellen hat ihm gefallen. Die Klarinette war ein beliebtes Instrument
der Zigeunerkapellen in Ungarn, vielleicht hat Brahms in zusammenhang mit diesem
Instrument Erinnerungen an diese Kapellen. Der mittlere Teil des Satzes, das Trio ist sehr
interessant. Er ist voll mit Läufen, Verzierungen, und mit dem Tremolo der Streicher.
III. Satz: In volkstümlichen Stil, einfach schön. Der zweite Teil des Satzes ist in Presto, in
Form eines schnellen Tanzes. Dieser schnelle Teil erinnert an die ersten Töne des Satzes.
IV. Satz: Thema mit Variationen. Dabei können wir auch eine Ähnlichkeit mit dem Mozart
Quintett entdecken. Brahms hatte die Bearbeitung mit Variationen sehr gern. Als letzte
Variation wird das Thema in 3/8 Takt gespielt, ebenso wie bei Mozart.
46
VI.2. Klarinettensonaten Op.120
Im Juli 1894, drei Jahre vor seinem Tod komponierte Brahms in einem beliebten Urlaubsort
in Bad Ischl die zwei Klarinettensonaten unter Op. 120 Nr. 1 in F-Moll und Nr. 2 in Es-Dur.
Um die Popularität und Aufführbarkeit der beiden Sonaten zu erleichtern, stellte er mit
kleinen Änderungen auch ein Viola-Analog der Klarinetten Stimme fertig. Idealerweise
werden die Musikwerke im ursprünglichen Klarinette-Klavier Konzept aufgeführt, denn der
besondere Klang der Klarinette ist in beiden Stücken ausschlaggebend. Die Werke wurden
von Simrock, der ein persönlicher Freund und Verleger von Brahms war, in Berlin im
Frühjahr 1895 herausgegeben.117
Beide Sonaten sind relativ kurze Kompositionen im Vergleich zu anderen Werken von
Brahms. Kompaktheit und Bündigkeit sind charakteristisch für diese Musikwerke, die
Durchgänge und die Zurückleitungsabschnitte sind immer relativ kurz. Die ersten Sätze von
Brahms haben in der Regel raffinierte Stimmenstruktur, die sind Meisterwerke von
verschiedenen Rhythmus-Spielen. Der alte Meister verwendete die einfachsten,
natürlichsten Lösungen besonders gern. Nach den sehr ideenreichen Anfangssätzen hat der
langsame Satz oft die einfachste mögliche Form, seine Gliederung ist einfach und klar.
Beim Anhören der fließenden Melodie sind wir wirklich durch die Natürlichkeit der Musik
beeindruckt.
VI.2.1. Nr. 1 F-moll Sonate
Diese Sonate ist größer und effektiver als die Nr. 2 Es-Dur Sonate. Das einführende Thema
des ersten Satzes hat einen dunklen Tonus, und trüben Ton. Die Musikästhetik der 18.
Jahrhundert beschäftigte sich viel mit dem Bedeutungsinhalt der verschiedenen Tonarten.
Ihre Charakteristik und Bedeutungslehre wurde ausgearbeitet. Christian Friedrich Daniel
Schubart hat in seinem Werk mit dem Titel "Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst" über die
Farben, Stimmung, Bedeutung der Tonarten, bzw. über die von ihnen ausgedrückten
Gefühle und Emotionen geschrieben. Diese tonalen Eigenschaften sollte damals jeder
Musiker kennen. Bei Brahms können wir eine Verwandschaft zwischen der Stimmung der
117
Margit L. McCorkle: J. Brahms Thematisch-Bibliographisches Werkverzeichnis, S. 479.
47
Klaviersonate in F-Moll, dem Klavierquintett in F-moll und der Sonate für Klarinette und
Klavier in F-Moll erkennen.
I.Satz
Im ersten Satz der Klarinettensonate in F-Moll fühlen wir die Stimmung und die
Einstellung vom Klavierquintett in F-Moll (Op. 34). Zwischen dem Komponieren beider
Werke sind dreißig Jahre vergangen. Für beide Werk sind der Kampf, und die Zögerlichkeit
charakteristisch, aber im ersten Satz des Klavierquintetts kämpft man gegen die Außenwelt,
in der F-Moll-Sonate ist dieser Kampf schon viel intimer, zurückhaltend, meditativ.118 Der
Letztere blickt in die Vergangenheit, und nicht die Zukunft. Das F-Moll ist einer der
maßgeblichsten Tonarten unter den Moll Tonarten. Die ist die Tonart der Leidenschaften
und Extreme. Aus einer dramatischen Sicht können nur C-Moll und D-Moll noch stärker
sein. Unter den Sätzen der Sonate in F-Moll ist nur der erste Satz in F-Moll, aber es ist
doch so dominant, dass es auf dem gesamten Musikwerk eine große Wirkung hat.
Abb. 3. Hauptthema, I. Satz
Die F-Moll-Sonate ist ein kompakt komponiertes Werk. Die Durchgänge und die
Zurückleitungsabschnitte sind immer relativ kurz, das Material der Themen können in sehr
118
Kristóf Csengeri: Das Musikwerk der Woche, S. 185.
48
kleine Stücke unterteilt werden, die von Brahms nur sequentiell auf die Entwicklung des
Themas verwendet.
Abb. 4.: Nebenthema, I. Satz
Bei der Erscheinung des Nebenthemas des ersten Satzes können wir bemerken, dass im
Bass des Klaviers die Tonintervalle des einleitenden Klangs vorhanden sind. Nach dem
Expositionsabschnitt in der Mitte des Satzes folgt das Schlussthema, dessen Form vom
Komponist interessanter Weise bearbeitet wird.
Abb. 5.
Während die Klarinette drei Stück Viertel Töne in einem Takt spielt, teilt das Klavier
denselben Takt in vier Teile. Damit verschieben sich die Akzente ineinander. Wir fühlen, als
ob der Komponist eine Art von Unsicherheit darstellen wollte.119 (S. Abb. 5.)
119
Kristóf Csengeri: Das Musikwerk der Woche, S. 186.
49
II. Satz „Andante un poco adagio” zeigt eine einfache ABA Form. Der Tonart ist As-Dur,
die parallele Tonart von F- Moll. Trotz der Tatsache, dass es in Dur-Tonart ist, bleibt es der
traurige, leidende Charakter.
Abb. 6.: Hauptthema, II. Satz
Der Satz enthält zwei Themen. Die Coda enthält sowohl das Tonmaterial von "A" und "B"
Melodien. (S. Abb. 6-7)
Abb. 7.
50
III. Satz
„Allegretto Grazioso“ hat auch eine dreiteilige Form. Obwohl Brahms es nicht
angeschrieben hat, ist ein Walzer. Der erste Teil ist weich und biegsam, elastisch, er wird
von dem rohen, robusten Trio gefolgt, dann kehrt der erste Teil variiert zurück. Es ist
interessant, dass das zweite Thema das Spiegelbild des ersten Themas ist. (S. Abb. 8.)
Abb. 8.
Das Trio hat die Merkmale von verschobenen Akzenten und die Verwendung von
Synkopen. Bei Brahms treffen wir oft auf diese Erscheinung. (S. Abb. 9)
Abb. 9.
51
IV. Satz
Abb. 10.
Die Tonart des vierten Satzes ist F-Dur mit Rondo-förmigen, Sonate-ähnlichen Effekten.
Aber es ist auf keinen Fall ein Sonatenrondo. Die Struktur ist: ABACA. Das Interessante
des Satzes ist, dass im Teil "C" auch die Teile "A" und "B" bearbeitet werden. Am Anfang
des Satzes wird das Rondothema durch ein Dreitonmotiv als Signal eingeführt.120 Das
Rondothema (S. Abb.10.) wird bei der Rückkehr in beiden Fällen variiert. Der letzte Satz
ist jubelnd und optimistisch.
Wir fangen mit einem dunklen Tonus des ersten Satzes an, dann kommt die Melancholie
des zweiten Satzes, und dann über den charmanten, humorvollen dritten Satz kommen wir
zum optimistischen letzten Satz.
Abb. 11.
120
Kristóf Csengeri: Das Musikwerk der Woche, S. 193.
52
VI:2.2. Nr.2. Es-Dur Sonate
Diese Sonate ist das letzte Musikwerk von Brahms, welches er für Klarinette komponiert
hat, und auch dies ist seine letzte Sonate. Die letzten Werke von Komponisten sind für uns
immer interessant. Diese Arbeiten sind speziell, weil der Meister mit diesen letzten Werken
von einem bestimmten Genre Abschied nimmt, was er zuletzt zum Ausdruck bringt.121 In
diesen letzten Werken suchen wir immer nach etwas Besonderes, die Gedanken einer
ultimativen Offenbarung. Die Komponisten formulieren in ihren letzten Werken klar und
sauber ihre einzigartige, alles betreffende Botschaft.
Mit der Es-Dur Klarinettensonate nimmt Brahms nicht nur von Genre Sonate, sondern auch
von der Kammermusik Abschied. Brahms hat seine meisten Werke auf dem Gebiet der
Kammermusik geschaffen. Er hat sich auch fast vom Komponieren verabschiedet, denn
nach den Klarinettensonaten hat er nur noch zwei Stücke komponiert. Op.121 (Vier ernste
Gesänge), und Op.122 (Elf Choralvorspiele) waren die letzten unter seinen Werken. Der
Titel "Elf Choralvorspiele" fasst das Gefühl zusammen, welches die Näherung des Endes
des Lebens von Brahms charakterisierte: „O Welt, ich muss dich lassen”.
I. Satz
Das Hauptthema des ersten Satzes (Allegro amabile) verwendet sehr großen Klangumfang
(größer als eine Oktave), und mit der Agilität und Virtuosität werden die musikalischen
Eigenschaften der Klarinette perfekt vorgestellt.
Abb. 12.: Hauptthema, I. Satz
121
Kristóf Csengeri: Das Musikwerk der Woche, S. 403.
53
Das Nebenthema bringt neue Klänge und kann als stille Meditation betrachtet werden. Das
könnte eine Art von Zögerung sein. Brahms hat mehrere Anweisungen hinzugefügt: piano,
pianissimo, sotto voce, dolce. Die kurze Legato Bögen helfen, eine "seufzerartige"
Artikulation zum Ausdruck zu bringen.
Abb. 13.
Ein jubelnder Klarinettenlauf verbindet das Nebenthema mit dem Abschlussthema. Das
Schlussthema zeigt mit seiner Leidenschaftlichkeit eine neuere Seite der Klarinette. (S.
Abb. 14-15.)
Abb. 14.
54
Abb. 15.
II. Satz, Allegro appassionato
Der II. Satz in Es-Moll, liegt zwischen zwei "Dur" Sätzen. Dieser Satz kann in drei Teile
unterteilt werden. Sein zweiter Teil, das Trio ist in H-Dur. Dieser mittlere Teil ist sehr
hymnisch, und strahlt aufgrund des Tempos und des Rhythmus Ruhe aus. Brahms schrieb
als Anweisung in diesem sostenuto Abschnitt: forte ma dolce e ben cantando. Das bedeutet,
mit Stärke, aber süß, singend. Der erste und dritte Teil des II. Satzes in Es-Moll ist wie eine
dunkle, unruhige, heroische Beschwerde sein.122
Abb. 16.: Hauptthema
122
Kristóf Csengeri: Das Musikwerk der Woche, S. 411.
55
Abb. 17.: Trio, II. Satz
III. Satz, Andante con moto
Der Selbstäußerung von Brahms hat in seinem ganzen Leben die Bearbeitung mit
Variationen geholfen. Er hat die Variation sowohl als komplettes Werk, als auch als
zyklisch positioniere Stücke im ganzen Satz verwendet. Diese Tatsache ist begründet durch
seine Ehrerbietung an Beethoven, der die Variationsform auch sehr gern hatte. Der Finale
Satz der Es-Dur Klarinettensonate wurde auch in Variationsform komponiert.
Das Tempo der Melodie ist entspannt, im 6/8 Takt. Wegen der Kette von punktierten
Rhythmen hat dieser Satz einen schaukelnden Charakter.
123
Das Thema kann in drei Zeilen
unterteilt werden. Die ersten beiden Zeilen sind gleich, in den alten deutschen Barform. In
der dritten Zeile kann man die Elemente der ersten beiden Zeilen entdecken, davon werden
vom Komponisten kleine Variationen gemacht. Es ist wichtig zu betonen, dass alle drei
Zeilen mit einer charakteristischen, emotionalen, nach oben abweichenden, melodischen
Wendung enden, die in diesem Satz auch später vorkommen wird. Der Komponist variiert
das Thema auf sechs verschiedene Weisen. Die erste Variation ist eine Art von
"Begleitung". Die Eigenschaften der zweiten Variation sind die Akkordauflösungen, die
sich nach unten, oder nach oben bewegen. Brahms verwendet in dieser Variation wieder
punktierte Rhythmuselemente. Die dritte Variation ist eine virtuose grazioso. In der vierten
Variation wird die Musik leise und fast bewegungslos. Die fünfte und letzte Variation ist ein
reines Allegro mit einem typischen, "Finale" Charakter. Diese wird von der sechsten,
letzten Variation und Coda gefolgt, was dem Satz einen zuversichtlichen Abschluss
verleiht.
123
Kristóf Csengeri: Das Musikwerk der Woche, S. 406.
56
Abb. 18.: Thema, III. Satz
Abb. 19.: Coda
57
VII. Die formale Analyse der Klarinettensonaten
In diesem Kapitel erfolgt die detaillierte Analyse der Klarinettensonaten, welche ich selbst
erstellt habe. Die Analyse unterstützt nicht nur die musikalische Interpretation der Noten,
sondern kann auch Anhaltspunkte für die Vortragsweise geben. Je mehr Einzelheiten der
Komposition wir durch deren Analyse kennenlernen, desto besser verstehen wir die
musikalische Botschaft des Komponisten.
Durch die Analyse werden uns die musikalischen Formen klarer, können wir die
Erscheinung der unterschiedlichen musikalischen Themen beobachten und deren
modifizierte Wiederholungen, erfahren wir die Beziehung des musikalischen Materials der
zwei Instrumente zueinander.
Beim Anhören der verschiedenen Interpretationen können wir feststellen, dass die
Interpreten die gegebene Komposition unterschiedlich deuten und auslegen.
VII.1. F-moll Sonate
I.Satz
Form: Sonatenform; Takt: 3/4
EXPOSITION
1. Takt:
EINLEITUNG Vier Takte Einleitung des Klaviers, was später im Satz eine
wichtige Rolle spielt.
5. Takt: Die Klarinette ertönt mit einem singenden HAUPTTHEMA mit großem
Stimmumfang, in einem melancholischen Walzer-Charakter. Das Thema soll in "poco
forte" erklingen. Die Achtelbewegung im dritten Takt des Themas erinnert uns an den 2.
Takt der Klaviereinleitung. Das Klavier spielt inzwischen ein Arpeggio in den Stimmen der
linken Hand, die rechte Hand spielt einen Akkord mit den zweiten Viertel jedes Taktes. Im
Takt 12 spielt das Klavier straffe, kurze Rhythmen, und lange, gehaltene Töne. Es wird von
einem “hoch und runter Bewegung" charakterisiert, bis die Klarinette das Thema spielt. Bis
zum Takt 24 senken sich beide Instrumente in Bezug auf die Tonhöhe nach unten, und
verlangsamen den Rhythmus.
58
1. DURCHFÜHRUNG 1. Abschnitt. Im Takt 25 erscheint das Hauptthema beim Klavier,
aber diesmal mit mehr Kraft. Die Klarinette begleitet das Klavier mit Klangaufteilungen. 2Takte später verschmilzt das Thema mit Triolen. Die Klarinette spielt arpeggio-mäßig,
während das Klavier das Thema fortsetzt. Im Takt 38 beginnt der 2. Abschnitt der
Durchführung. Am Klavier gibt es synkopierte Akkordbewegung. Ein neues, lyrisches
Element wird in der neuen Tonart Des-Dur vorgestellt. Die Klarinette übernimmt die
Melodielinie mit einem Bogen aufwärts.
Im Takt 53 erscheint das NEBENTHEMA gleichzeitig auf beiden Musikinstrumenten. Die
ersten vier Takte des Themas werden dieses Mal nur bei der Klarinette wiederholt, was vom
Klavier arpeggio-artig mit der gegenseitigen Bewegung der zwei Hände begleitet wird.
Takt 61: Das Klavier erweitert das Nebenthema. Beim zweiten Viertel von Takt 68 spielt
das Klavier ein Arpeggio Schema. Beide Hände bewegen sich gegenseitig. Die ersten Töne
der Vierer sechzehntel Gruppen steigen nacheinander schrittweise über einen Zeitraum von
fünf Viertel nach unten ab. Diese wird kanonartig nach zwei Viertel durch die Klarinette
imitiert.
Im Takt 69 erscheint das SCHLUSSTHEMA
Im Takt 72 übernimmt die Klarinette die Leitung in einem Kanon. Eine Reihe von Seufzern
wird auf Achtelpaaren gespielt, die von Ton zu Ton absteigen. Im Takt 77 beginnt der die
Exposition schließende SCHLUSSABSCHNITT
Bis zum Takt 88 kommen beide Instrumente zur Ruhe, sie werden leiser und wir kommen
in C-Moll an.
Im Takt 90 beginnt die EXPOSITION. Das lyrische Thema erklingt in der Klarinette, das
was wir in dem zweiten Abschnitt der Durchführung in Des-Dur gehört haben. Die
Stimmen beider Instrumente sind mit einer Drei-Achtel Konfiguration verziert. Diese
Verzierung und die tiefe, warme Stimme der Klarinette gibt diesem musikalischen Gebiet
einen sehr ausdrucksvollen Charakter. Im Takt 100 kommen wir in Cis-Moll an. Ab dem
Takt 100 werden die „vier B“ Vorzeichen in „vier Kreuz“ modifiziert, was die Kadenz zu
einem unerwarteten E-Dur führt. Im Takt 114 kommen wir in Cis-Moll an.
Im Takt 116 wird das lyrische Thema zu einem leidenden Schluchzen geändert. Die
Klarinette spielt jammernd die ersten synkopierten Töne, während das Klavier eine nach
59
oben strebende Triolengeste macht. Die musikalische Struktur des Klaviers ist stark und
massiv. Stürmische Oktavensprünge sind bei der linken Hand vorhanden.
Im Takt 120 kehrt das NEBENTHEMA in Cis-Moll. zurück. Der leidenschaftliche
Charakter bleibt erhalten. Im Takt 130 kommt das Klavier zum Höhepunkt in Fis-Moll, und
wir hören wieder die Einleitung des Klaviers in der gleichen Tonart.
Die REPRISE beginn im Takt 138. Beide Instrumente zieren das Hauptthema mit Triolen.
Der erwartete Halbabschluss kommt im Takt 145 an. Im Takt 153 können wir den zweiten
Abschnitt der Phase der Durchführung der Exposition erkennen. Darin erscheint das
Nebenthema unverändert, aber eine Terz tiefer (Takt 168). Der letzte Akkord des
Nebenthemas wird modifiziert, indem wir in F-Moll zurückkehren. Im Takt 183 beginnt das
Klavier zu spielen, die Klarinette spielt die Melodie in Kanon. Im Takt 184 hören wir das
Abschlussthema, wobei Brahms die Klavierarpeggien von vierstimmig auf dreistimmig
geändert hat, so entstand eine Polymetrie. Mit den Schlussakkorden des Abschnittes kehrt
die rhythmische Ordnung zurück. Takt 187: Präsenz von seufzermäßigen Motiven. Hier ist
die Musik wieder isometrisch.
Takt 192: SCHLUSSABSCHLUSS mit dem gleichen Material wie im Takt 77.
Takt 206: CODA Die Klarinette spielt das Hauptthema trauervoll, eine Oktave tiefer als es
zuerst erklang, aber das Thema bekommt unerwartet einen „Dur“ Farbton.
Takt 214: Sostenuto espressivo, das ist ein melancholischer, phantasierender Teil. Im Takt
219 hören wir wieder die erste Phrase von „Sostenuto“, welche in die Kadenz schmilzt.
Takt 231: Die Klarinette ruft die ersten zwei Takte der Klaviereinleitung auf ursprünglicher
Tonhöhe wach, und repetiert auf dem Schluss-Ton des Motivs. Inzwischen „leuchtet“ die
Stimme des Klaviers und wechselt von F- Moll in einem F-Dur Abschluss-Akkord.
II. Satz
Andante un poco adagio, 2/4 Takt, dreiteilige Form, in As-Dur.
Teil „A“
Takt 1: Die Klarinette spielt ein sehr lyrisches, aber energisches Thema, während das
Klavier sie mit absteigenden, langsamen Motiven begleitet. Der Abstieg zieht von Tenor
Lage bis zum Bass. Das Thema ist verziert mit chromatischen Motiven, im Barock Stil. Ab
Takt 5 beginnt eine aktivere Bewegung des Klaviers, es ist eine Imitation des springenden
60
Motivs der Klarinette. Die Klarinette überträgt das Thema im Takt 10 in Es-Dur. Im Takt 13
beginnt wieder das Anfangsthema, aber hier ist die Vortragsweise ist dolce. Das ist das
Gegenteil des früheren stärkeren, lauteren Vortrags. Vom 4. Takt des Themas führt die
Klarinette die Melodie anders, wie beim ersten Auftreten des Themas, weil es diesmal nicht
nach Es-Dur geht, sondern in As-Dur bleibt.
Teil „B”
Beginnt in Des-Dur. Im Takt 23 beginnt das Klavier ein zärtliches, lebendiges Motiv zu
spielen. Im zweiten Takt des Des-Dur-Motivs tritt die Klarinette mit absteigendem Motiv
auf. Dann kommt nach zwei Takten schrittweise das gleiche Motiv in einem Ganzton tiefer
(in Ces-Dur) und leiser. (pp)
Im Takt 27 spielt das Klavier chromatische Aufteilungen, seine Bassstimme bewegt sich
chromatisch. Diese achttaktige Periode führt zu Cis- Moll. Im Takt 31 spielt die Klarinette
die Akkordaufteilungen. Obwohl die Richtung der Bewegung auf dem ersten Schlag
umgekehrt ist, trotzdem ist es leicht zu erkennen. Takt 35: Ähnliche Motive sind hier
vorhanden, wie bei Takt 27. Aber dieses Mal wird nicht ins Cis-Moll hinüber geführt.
Die DURCHFÜHRUNG fängt im Takt 41 an. Das ist ein vorheriger Abschnitt von Teil
„A“. Im Klavier erscheint in 2 Takten das Thema von Teil "A". Die Klarinette spielt in
großen Intervallschritten nach unten absteigende, kurze Motive. Nach zwei Takten
verwandelt sich das Thema dramatisch, sowohl die Richtung betreffend, als auch die
Harmonie. Die Motive mit Triolen und Sextolen erscheinen in verminderten Harmonien.
Mit diesen biegenden Motiven wirkt die Musik dämmerig und unsicher. In der zweiten
Hälfte der 8 Takte der Durchführung erscheint im Klavier das Thema des Teils "A" aus der
Dunkelheit, aber diesmal in C-Dur. In diesen vier Takten bleibt die Klarinette völlig aus.
Das Klavier spielt in der linken Hand die durchführenden, kurzen, absteigenden Motive der
Klarinette (Takte 42-43). Ab Takt 47 spielt das Klavier wieder die Triolen und Sextolen mit
verminderten Harmonien, und nach ihrer Beendigung kehrt der Teil "A" mit einer Dur
Harmonieaufteilung in As- Dur zurück.
REPRISE VON Teil „A”(Takt 49)
Die ersten vier Takte sind espressivo und leise. Die Klarinette bringt das Thema des Teils
"A" eine Oktave tiefer. Im Klavier gibt es diesmal Triolen-Arpeggien statt langer Töne. Im
Takt 61 spielt die Klarinette das Thema des Teils „A“ in ursprünglicher Tonhöhe. Wir hören
61
das gleiche, wie im Takt 13. Die Klavierstimme weicht von den ursprünglichen ab. Dafür
werden in jedem Takt Akkordaufteilungen mit kurzen Sechzehntel Pausen gespielt. Im Takt
65 bewegt sich die Melodielinie der Klarinette ebenso, wie im Takt 17. Die erreicht den
Höhepunkt ebenso, wie vor der Halbkadenz im Takt 68.
CODA Takt 71
Die Coda zeigt die wiegende Art des Arpeggio des Teils „B“, ergänzt mit den Motiven von
punktierten Rhythmen der Klarinette. Sie beginnt in As-Dur, aber schon im ersten Takt
erscheint der "Ges" Ton. Dieser Ton kann sich sowohl auf das Es-Dur, als auch auf Des-Dur
beziehen, aber die Musik bewegt sich auf keine der erwähnten Tonarten hin. Im Takt 75
spielt die Klarinette den Anfang des Hauptthemas. Hier ertönt zum letzten Mal die
ursprüngliche Tonart (As-Dur). Die Melodie biegt nach unten auf "As" Grundton und endet
dort.
III. Satz
Allegretto Grazioso; Takt 3/4, dreiteiliges Form mit Trio (A Trio A) Tonart: As-Dur. Dieser
Satz ist ein walzerartiger Ländler, ein österreichischer Bauerntanz.
TEIL „A”
ERSTES THEMA: Die Melodie und die Begleitung startet mit einem Auftakt. Im Takt 3
und 4 imitiert das Klavier den Rhythmus der Klarinette. Takt 9: Das erste Thema wird variiert wiederholt. Das Thema wird auf die rechte Hand des Klaviers übertragen. Die Klarinette verziert es nur mit kurzen, dreitönigen Motiven. Die Klarinette spielt sie manchmal betont, manchmal unbetont. Takt 17: Das ZWEITES THEMA erscheint, welches die genaue
Spiegelung des ersten Themas darstellt. Brahms gibt diesem Satz einen Scherzo Charakter,
obwohl dieser Satz kein Scherzo ist. Die Stimmung wird hier plötzlich wild. Der Ländler
Rhythmus ist immer noch vorhanden. Im Takt 25 übernimmt das Klavier die Figuren des
zweiten Klarinettenthemas in diesem viertaktigen durchführenden Abschnitt. Im Takt 29
kehrt das erste Thema mit seiner sanften Art und Weise. Zuerst ist das Thema beim Klavier.
Die Klarinette begleitet diesmal verzierter, als beim ersten Mal. Der zweite Teil des ersten
Themas ist vollständig geändert. Die Klarinette füllt die erste zwei Takte mit einer aus
sechs Stimmen bestehenden Melodienphrase aus. In den Takten 39-40 ist die Klarinette
völlig allein. Dann wird die zweite Hälfte des Teils "A" (bis zum Takt 17-46) wiederholt.
62
TEIL „B” oder TRIO
Fängt im Takt 47 an. Die Klavierstimme ist mit einem „molto dolce“ angegeben. Der
musikalische Inhalt beider Hände ist absteigend. Es gibt eine Achtel Verschiebung
zwischen beiden Händen. Die Klarinette spielt lange Töne mit weniger Aktivität im tiefsten
Register des Instruments. Im Takt 55 wird der erste Teil variierend wiederholt. In den ersten
Takten ist die Klarinette überhaupt nicht präsent. Die langen, tiefen Töne in der Stimme der
linken Hand des Klaviers scheinen die zuvor gespielten Töne der Klarinette zu ersetzen.
Dieser Abschnitt soll in „pp“ gespielt werden. Die Klarinette tritt in den letzten vier Takten
der Periode ein. Im Takt 63 folgt der zweite Teil des Trios. Das musikalische Material des
Klaviers ist ähnlich, wie im ersten Teil des Trios. Nun aber spielt der Klavierspieler in der
Nähe der Mittellage des Klaviers. Die Takte 63-88 werden wiederholt. Im Takt 89 ertönt
der doppelte "F" Ton zweimal am Klavier. Als erstes bei einer unbetonten Stelle, eine Art
rhythmische Unsicherheit folgend. Der zweite doppelte "F" Ton ist mit einer "Fermata"
versehen. Es gibt eine kurze Pause, bevor der Teil „A“ zurückkehrt.
Rückkehr von Teil „A”, Takt 91
Der Ländler ertönt wieder, aber etwas variiert. Die Klarinette spielt nur 8 Takte, dann bleibt
das Klavier allein. Im Takt 107 kehrt die zweite Phase des Themas von Teil“ A“ zurück. Im
Takt 115 hören wir das gleiche übergehende Motiv, wie im Takt 25. Im Takt 119 bei
variierter Rückkehr der ersten Hälfte von Teil "A" wird die Melodie vom Klavier gespielt.
Brahms hat im Takt 125 "piú dolce sempre" vorgeschrieben. Die Takte 129-130 bilden eine
CODETTA, wo die Klarinette allein spielt. Im Takt 131 ist für beide Instrumente “calando“
vorgeschrieben. Piú dolce sempre und calando unterstützen einen sensiblen Abschluss des
Satzes.
IV. Satz
Finale, Vivace; 2/2 Takt, Tonart F-Dur
Teil “A“
Takt 1.: EINLEITUNG
Im Klavier ertönt dreimal der "F"-Ton, welcher als dominantes Motiv im Satz dient. Dies
ist ein Motiv einer fanfarenartigen Einleitung. Während dieses Motivs gibt es in der linken
Hand eine kräftige, achtelspielende Begleitung. Das klingende „Glocken“-Signal wird im
Takt 2 in eine Melodie umgewandelt. Im Takt 5 tritt die Klarinette in einem Auftakt, mit
63
einem schwungvollen Dreitonmotiv ein. Gleichzeitig spielt das Klavier drei längere
Akkorde. Das Motiv der Klarinette wird eine Oktave tiefer im nächsten Takt wiederholt.
Diese Wiederholung ertönt schon in piano und bereitet die Einführung des Rondothemas
vor.
Das RONDOTHEMA „a“ ertönt im Takt 9. Seine Stimmung ist fröhlich und mühelos, was
die repetierten Stakkato Töne auch zeigen. Inzwischen hören wir die in der Einleitung
ertönenden F-Signaltöne in der Bassstimme des Klaviers. In den letzten zwei Takten des
Rondothemas weicht die Musik von F- Dur ins A-Moll aus. Im Takt 17 ("b") spielt das
Klavier Akkordaufteilungen mit parallelen Oktaven, die mit einem Auftakt beginnen. Die
Achtelbewegung, und führt von A-Moll zu A-Dur. Die Klarinette imitiert die Arpeggien des
Klaviers ab dem 21 Takt, und kommt dann mit chromatischen Schritte zum F-Dur des
Rondothemas.
Im Takt 25 (”a") erscheint das Rondothema in der Bassstimme des Klaviers mit
glockenartigen F-Tönen. Die zweite Hälfte des Themas erscheint in einer neuen Form, und
öffnet sich dynamisch und im Tonumfang. Der letzte Takt der Phrase verschmilzt mit den
F-Tönen, welche von einem absteigenden Dreitonmotiv gefolgt werden, was die Klarinette
genau aus der Einleitung übernimmt.
DURCHFÜHRUNG: Ab Takt 36 spielt das Klavier 5 Takte lang. Es entnimmt die
Einleitung und geht ins C-Dur über. Das letzte nach unten gehende Arpeggio wird eine
Quart tiefer von der Klarinette imitiert, die im Takt 41 eintritt.
TEIL „B” oder 1. EPISODE
Takt 42 Im Klavier werden die klingenden F-Töne, wegen der Tonart C- Dur, in C- Töne
modifiziert. Das Thema ist in der Tenorstimme des Klaviers. Zugleich spielt die Klarinette
ein Motiv, welches zwei Oktaven springt. Takt 46: Die Klarinette übernimmt die Melodie
der Tenorstimme des Klaviers. Der modifizierte Abschluss der Phrase führt zu einer neuen,
ansteigenden Melodie in der Klarinettenstimme. Takt 54: Die Triolenbewegung des
Klaviers ist plötzlich unterbrochen. Sein fünftoniges, in der rechten Hand gespieltes Motiv,
-mit zwei Viertel Unterschieden, imitiert die Klarinette vier Takte lang. Das Klavier spielt
danach Akkorde in Viertelbewegung und stoppt in G-Dur, der Dominant-Tonart von C-Dur.
Takt 62: REPRISE; die Klarinette spielt die signalartigen, aus der Einleitung genommenen
Töne, aber statt dem Ton "F" spielt sie "C". Im Takt 66 wiederholt sie dann diese Töne eine
64
Oktave tiefer. Zu diesen klingenden Tönen schließt sich auch das Klavier an, allerdings mit
"B" Tönen. Das sagt die Rückkehr von F-Dur voraus. Im Takt 73 tritt die Klarinette mit
einem Fanfarenmotiv ein, welches zweimal gespielt wird: zuerst forte, dann piano.
TEIL „A”
Takt 77: Die Melodie von Teil „A“ ist ebenso präsent, wie bei Takt 9. Takt 85: Die
Klarinette bleibt in der zweiten Hälfte von Teil „B“ aus, das Klavier hat hier eine solistische
Rolle. Takt 93: Im Teil "A" wird die von der Klarinette übernommene Melodie in der
rechten Hand des Klaviers gespielt. Wir hören die klingenden Dreitonmotive wieder. Takt
101: Hier wird der Teil "b" variiert. Das Klavier spielt allein. Es gibt hier C-Dur und A-Dur
Harmonien. Im Takt 105 wechseln wir von A-Dur zu D-Moll. Die Klarinette tritt mit der
Moll Variante des Anfangs des Rondothemas für zwei Takte ein. Inzwischen wiederholt das
Klavier drei "D" Töne in der Bass-Stimme. Den früher leichten Stakkato Teil im
angefangenen Rondothema des Klaviers hören wir diesmal im mittleren Register, welches
an unbetonten Stellen mit Akkorden in der rechten Hand ergänzt wird.
TEIL „C” oder 2. EPISODE
Das Thema, welches einfach bearbeitet wurde, ist mit einer „semplice“ angegeben. Die
erste viertaktige Phrase wird vom Klavier gespielt. Darauf antwortet die Klarinette ab Takt
123. In den Takten 140-141 gibt es eine Kadenz.
TEIL „B'” Tonart F-Dur
Takt 142: Das Thema erscheint analog, wie im Takt 42. Mit dem Unterschied, dass die
(glockenartige klingenden) "F" Töne dieses Mal von der Klarinette gespielt werden. Takt
154: Die Achtelbewegung des Klaviers ist im Vergleich zum Takt 54 unverändert präsent,
aber die Klarinette spielt nichts in diesem Abschnitt. Im Takt 163 beginnt die Rückführung
zum Teil „A“. Das klingende Motiv erklingt zweimal bei der Klarinette. Die Tonstärke
verringert sich auf „pp“.
Teil „A”
Im Takt 174 erklingt plötzlich die Fanfare der Einleitung. Im Takt 184 sind die Harmonien
des Rondothemas gut erkennbar, aber die Struktur ist hier ganz anders. Die zweite
Themaphrase ertönt in "forte", charakteristisch dazu ist ein komplementärer Rhythmus. Im
Takt 192 hören wir den vollständigen musikalischen Inhalt von Teil „B“. Die Arpeggio
65
Elemente werden durch säulenartige Harmonien ersetzt. Die Klarinette spielt bei
unbetonten Stellen Melodienteile. Im Takt 200 hören wir das Rondothema („a“), wie im
Takt 25.
CODA, Takt 207: Die klingenden Töne sind in der Klarinettenstimme zu hören. Im Klavier
ertönen Akkorde und Arpeggien.
Das Stück endet mit einer energischen Coda, die aus der Fanfare der Einleitung entsteht.
Die F-Moll-Sonate für Klarinette und Klavier endet schließlich mit einem F-Dur-Akkord.
VII.2. Es-Dur Sonate
I. Satz Allegro amabile; Takt 4/4, Tonart Es-Dur; Form Sonate.
EXPOSITION
Die Klarinette beginnt mit einem schönen, liedartigen, eingängigen HAUPTTHEMA. Ihre
Charaktereigenschaften sind der sehr große Stimmumfang, die extrem großen
Intervallschritte (über eine Oktave), die beweglichen Arpeggien und die Virtuosität. Das
Klavier begleitet das Hauptthema mit anmutigen Arpeggien und Akkorden. Die
Durchführung im Takt 11 beginnt so, als ob das Hauptthema unformuliert wäre. Die
Anfangsmelodie des Themas ist in der Bassstimme des Klaviers präsent. Im Takt 15 wird
die Klavierstimme leidenschaftlich, und spielt volle Akkordsequenzen, die zum B-Dur
führen. Takt 18: Der erwartete B-Dur Abschluss kommt nicht zustande, weil wir mit einer
Halbkadenz zu Es-Moll kommen. Harmonisch berühren wir das Des-Dur und Ges-Dur. Die
Klarinettenmelodie steigt innerhalb von vier Takten zwei ein-halb Oktaven ab, die
Tonstärke verringert sich deutlich. Die Melodie schließt auf der erweiterten VI. Stufe.
Im Takt 22 erscheint das NEBENTHEMA in B-Dur. Die Klarinette spielt das Thema „sotto
voce“. In der Bassstimme des Klaviers hören wir die Kanon Imitation des Themas, ein
Viertelton später im Vergleich zur Klarinette. Die Phrase ist nicht viertaktig, weil sie mit
zwei echoartigen Takten erweitert wird.
Im Takt 28 zeigt die Klarinette eine lyrische und größere Version des Nebenthemas. Dann
wird die Klarinette im Kanon nicht mehr vom Klavier begleitet. Die gleichmäßige, aus
Triolen bestehende Melodielinie der Klarinette erreicht im Takt 38 den musikalischen
66
Höhepunkt mit einem schnellen Crescendo, und plötzlich mit einem dramatische Arpeggio
(Sechzehntel Wert). Das Klavier imitiert dieses Arpeggio sofort, und kommt mit einer
starken Abschlussgeste auf dem Ton "B" an.
Im Takt 40 beginnt der ABSCHLUSSTHEMA ABSCHNITT. Nach dem B-Dur Abschluss
begleitet das Klavier mit Triolen Dreiklangaufteilungen die mit dem Abschlussthema
ertönende Klarinette. Im Takt 43 erreicht die Klarinette mit einem großen Sprung das
untere Register, und spielt in den letzten zwei Takten des Themas die Töne in Triolen. Ab
Takt 46 geht das Klavier nach D-Dur über. Inzwischen steigt die Klarinette in
Oktavschritten aufwärts. Takt 52: Die Klarinette spielt das Hauptthema in B-Dur. Ihre
Begleitung ist ähnlich, wie die ursprüngliche, aber der Rhythmus ist synkopiert und im Takt
55 kommen wir mit einer Melodieführung mit Triolen in Es-Dur an, wo der Teil der
Exposition beginnt.
BEARBEITUNG
Takt 56 Die Grenze zwischen der Exposition und Bearbeitung ist sehr unsichtbar. Das
Klavier beginnt das Hauptthema in Es-Dur zu spielen, die Klarinette ergänzt es mit kurzen
Arpeggien. Die Harmonie und die Melodie weichen schnell vom Thema und von seiner
Tonart ab. Ein plötzlicher „f“ Ton (Takt 60) kommt, und die Klavierakkorde ertönen wie ein
Ausbruch, und wir berühren die Tonart B-Dur und G-Moll. Im Takt 69 wird das
Nebenthema von der Klarinette transformiert („sotto voce“). Das Klavier ist hier sehr leise
präsent. G-Dur und G-Moll Charakter sind gleichzeitig vorhanden. Im Takt 72 macht die
Klarinette eine Abschlussgeste, dann verstärkt sie mit den chromatischen Akkorden des
Klaviers die G-Dur Tonart. Takt 73: Den Abschluss erweiternd spielt das Klavier das
Hauptthema in G-Dur mit schmerzenden Triolenarpeggien. Die Klarinette tritt bei, um die
Melodie zu ergänzen. In den Klarinettenstimmen gibt es gepaarte Achtelbindungen. Im
Klavier stehen die Tongruppen im 3/8 Takt.
Takt 89: Die Klarinette bedient das Hauptthema espressivo in B-Dur. Die linke Hand
bewegt sich im Klavier nach unten. Ab Takt 90 beginnt die Melodie der Klarinette
unerwartet nach oben zu brechen, und verwandelt sich in ein lebendiges Triolenmotiv. Takt
93: Die Vorzeichen von G-Dur wechseln in Fis-Dur. Dieser Abschnitt vergrößert die Länge
der Bearbeitungsphase. Der „Fis“ Orgelpunkt ist als Dominante von H-Dur präsent.
67
REPRISE
Fängt im Takt 103 an. Das Hauptthema erscheint in der Klarinettenstimme ebenso, wie in
der Exposition. In der ersten Hälfte der Periode sind die Arpeggien des Klaviers mit Triolen
dargestellt. Das ist eine Bekräftigung des Vorhandseins 2/8-iger, oder 3/8-iger
Einteilungsgruppen, eines der Merkmale des Satzes. In der zweiten Hälfte der Periode ist
die Begleitung identisch damit, was wir in der Exposition gehört haben. Es gibt eine
zweittaktige Erweiterung. Im Takt 113 beginnt die DURCHFÜHRUNG, die diesmal mit
vier Takten kürzer ist, als die in der Exposition. Im Takt 120 ertönt die erste Hälfte des
Nebenthemas in Ces- Dur auf der Klarinette. Zwei Achtel später imitiert das Klavier die
Melodie. Die „Echo“ Takte in der Melodie und die Harmonien unterscheiden sich davon,
was wir in der Exposition gehört haben. Im Takt 126 ertönt eine lyrische und erweiterte
Variation des Themas.
Takt 132: Die Klarinette macht mit einem dramatischen, nach oben strebenden
sechzehnteligen Arpeggio eine Abschlussgeste, ebenso, wie im Takt 34.
Takt 138: Anfang des Abschnitts des Schlussthemas. Der Takt beginnt mit einem Es-Dur
Abschluss.
Die
breite,
lyrische
Klarinettenmelodie
begleitet
das
Klavier
mit
triolenförmigen Klangaufteilungen. Takt 142: ebenso, wie im Takt 44, in der rechten Hand
des Klaviers gibt es die zweite Hälfte des Schlussthemas. Innerhalb von 4 Takten steigen
wir zum G-Dur auf, dann führt die rhythmische Begleitung die zweite Hälfte des
Nebenthemas bis zum Es-Dur Abschluss. Takt 150: Das transformierte Hauptthema erklingt
in Es-Dur, die Klarinette führt die Melodie zu As-Dur. Diese Ankunft ist auch der Anfang
der Coda im Takt 154. Von hier ab führt der Komponist die „As“ Töne als "Gis“an. Der
durchführende Abschnitt der Exposition erfolgt hier um einen halben Ton erhöht. In diesem
Bereich sind allen wichtigen Elemente des Satzes präsent: die Elemente des Themas im
Bass,
die Arpeggien
in
der
rechten
Hand,
der
synkopierte
Rhythmus
der
Klarinettenmelodie, und das Vorhandensein von 2/8-igen, oder 3/8-igen Einteilungen. Takt
158: Die Klarinette zitiert noch immer aus dem Nebenthema in E-Dur. Die Musik ist sehr
ruhig. Im Takt 161 tritt der erwartete E-Dur Abschluss noch nicht ein. Im Takt 162 gleitet
die Bassstimme des Klaviers von Ton "H" zu "B", dann erklingt ein Es-Dur Akkord. Damit
kehren wir in die Grundtonart zurück. In diesem "tranquillo" Abschnitt erinnert uns die
Stimme der rechten Hand des Klaviers an die Harmoniewelt des Nebenthemas. Zwischen
68
Klarinette und Klavier erfolgt wieder eine Gegenüberstellung von zweiachtel-dreiachtel
Aufteilungen. Im Takt 170 spielt die Klarinette zum letzten Mal ein Triolenmotiv mit
aufsteigender Klangaufteilung, und fällt dann allmählich bis zum Ton "Es" ab.
II.Satz Allegro appasionato, Trio Form; Tonart: Es-Moll; in 3/4 Takt.
TEIL „A”
Takt 1: Die Klarinette beginnt mit einem Auftakt das tragische, leidenschaftliche und
heroische Hauptthema. Takt 9: Der erste Teil des Hauptthemas wird hier variiert wiederholt.
Das Klavier spielt dieses Musikmaterial allein. Im Takt 17 tritt die Klarinette mit dem
NEBENTHEMA ein. Das Klavier begleitet sie mit dissonanten Akkorden, deren
Bassstimmen sich in Zweiergruppen um den Ton "As" bewegen. Die Musik bewegt sich in
Des-Dur. Dann schreibt der Bass eine Terz tiefer den Ton "F" um. Wir können eine
dreitaktige Erweiterung beobachten, die im Es-Moll Abschluss endet.
Takt 28: Die Klarinette hält einen langen "Ges" Ton mit einem Schritt nach oben, während
dessen kommt das Klavier mit Klangaufteilungen auf ein B-Moll Akkord an. Im Takt 32
wiederholt die Klarinette mit einem Auftakt das vorherige Melodienmotiv. Im Takt 37
beginnt das leidenschaftliche Hauptthema wieder, die Klarinette spielt das gleiche, wie am
Anfang des Satzes, aber kommt eine aufgeregtere Klavierbegleitung dazu. Im Takt 47
kommt das Klavier auf einem Dominant-Sept Akkord an.
Takt 49: Die Klarinette spielt das SCHLUSSTHEMA, welches aus einer Serie von ruhigen,
viertönigen Motiven besteht. Es zeigt eine absteigende Tendenz. Das Klavier übernimmt
das Thema, geht aber zu H-Moll über. Im Takt 66: Nach der Generalpause erklingt die
Klarinette mit einem aufsteigenden Motiv, und spielt Töne in Dreiviertel Werten. Daraus
entwickelt sich eine sehr ausdrucksstarke Version des Abschlussthemas. Die Melodie fällt
von Takt zu Takt, bis schließlich in den Takten 77 und 78 von der Es-Moll Dominanten
("B") bis zum Ton "Es“.
TEIL „B” /TRIO sostenuto
1.Teil. Takt 81: Dieser Teil unterscheidet sich in Tonart, Tempo und Charakter von dem Teil
„A“ des Satzes. Das Klavier präsentiert das majestätische Thema des Trios allein. Die
69
Klarinette bleibt hier 14 Takte lang aus. Das Thema ist reich harmonisiert. Im Takt 89
bekommt das Thema eine "Dis-Moll" Tonalität. Takt 95: Das Thema wiederholt sich in
variierter Form, diesmal spielt die Klarinette die Melodie eine Oktave höher.
2. Teil. (Takt 109)
Die Klarinette tritt im Takt 112 ein, wo wir in der Tonart Cis-Dur sind. Die Phrase, welche
mit zwei Takten erweitert wird, endet in einem Cis-Dur Abschluss. Im Takt 121 erklingt das
Hauptthema des Trios. Die oberen Klaviertöne erklingen eine Oktave höher. Die Klarinette
spielt in ihrem tiefsten Register und verdoppelt die Melodientöne des Klaviers. Im Takt
126-127 berühren wir das A-Dur, wo die Klarinette einen synkopierten Rhythmus spielt.
REPRISE VON TEIL „A” (Takt 139)
Das Hauptthema beginnt mit dem Klavier. Die Klarinette tritt im Takt 141 mit dem gleichen
Thema ein. Takt 149: Die Stelle des vorherigen Hauptthemas wiederholt sich. Im Takt 157
erscheint das Nebenthema, wie im Takt 17. Takt 168: Eine „tonartige Unsicherheit
nachahmende“ Passage geht zu Ces-Moll/H-Moll, so auch im Takt 28.
Takt 177: Das Hauptthema erscheint mit einer aufgeregten Begleitung. Takt 189: Das
Schlussthema (Codetta) kommt, wie im Takt 49. Im Takt 206 hat die Klarinette die Melodie
(ebenso wie ab Takt 66). Ihre Töne klingen vorsichtiger und stärker getrennt. Das Klavier
beginnt mit dem ersten Schlag in diesen Takten mit den begleitenden Akkorden. Die
Melodie fällt schließlich ab, dann schließt auf dem tiefsten Ton der Klarinette.
III.Satz Andante con moto; Form: Thema mit Variationen und Coda. Tonart Es-Dur; 6/8
und 2/4. Takt
Takt 1: Thema, 1. Zeile. Die Klarinette spielt die Melodie mit Auftakt. Das 6/8-ige Thema
ist mit einer punktierten Achtelnote auf der 6. und 3. Achtel im Takt ergänzt.
Das Thema ist viertaktig, die Melodie geht nach oben und nach unten. Auf halbem Weg
wird die Tonart As-Dur, dann kehrt sie sich wieder um. Der Abschluss der Melodie erfolgt
mit einem aufsteigenden Tonintervall, dessen Schlussmelodie auf der Dominanten erklingt.
Dies löst einen „Frage-Effekt“ beim Zuhörer aus. Ab Takt 5 wird die erste Zeile des
Themas am Klavier wiederholt. Im Takt 7 erklingt wieder die Klarinette mit kraftvoller
Stimme, und spielt das "Frage-Motiv.“
Takt 9: Der zweite Teil des Themas ist 6 Takte lang.
Das Klavier spielt die ersten zwei Takte allein, die in G-Moll stehen. Die Klarinette tritt bei
und spielt die vier Takte aus dem ersten Teil des Themas, aber das Ende ist modifiziert. Ein
70
melodischer Höhepunkt kommt zustande, der das As-Dur berührt und das "Frage-Motiv“
erklingt auf der Dominanten. Das „Frage-Motiv“ wird wiederholt, aber dieses Mal wird es
mit einem Es-Dur-Akkord unterstützt.
Takt 15: 1. VARIATION 1. Zeile.
Die Klarinette spielt das Thema ohne punktierte Rhythmen. Inzwischen spielt das Klavier
ein sehr einfaches Material mit synkopiertem Rhythmus, ohne Harmonisierung. Im Takt 19
wird die Variante der ersten Zeile des Themas wiederholt. Das Klavier spielt allein die von
der Klarinette übernommene einfache Melodie. Dieses Mal gibt es Harmoniebegleitung. Ab
dem Takt 23 hören wir die Variante der dritten Zeile.
Takt 29: 2. VARIATION, 1. Zeile.
Die Klarinette bringt die punktierten Rhythmen zurück. Die Variation erklingt im tiefsten
Register des Instruments. Das Thema wird begleitet durch an unbetonten Stellen
anfangenden Arpeggien. Im Takt 33 hören wir die Wiederholung der ersten Zeile des
Themas. Die Rollen werden zwischen beiden Instrumenten getauscht. Im Takt 37 hören wir
die dritte Zeile des Themas in G-Moll. Die punktierten Rhythmen in der Klarinette und die
unbetont startenden Klavierarpeggien sind hier charakteristisch.
Takt 43: 3. VARIATION, 1. Zeile.
Bei dieser grazioso Variation werden die Tonwerte bedeutend verringert. Die Variation ist
aus Zweiunddreißigsteln aufgebaut. Ab dem Takt 47 hören wir die variierte Wiederholung
der ersten Zeile des Themas. Die zwei Instrumente erklingen abwechselnd. Im Takt 51
beginnt das musikalische Material der dritten Zeile des Themas. Hier sind auch die
Zweiunddreißigstel charakteristisch. Die Tonart ist G-Moll
Takt 57: 4. VARIATION, 1. Zeile.
Diese Variation ist diskret, leise und hat statische Natur. Das Klavier im hohen Register
zeigt den Rahmen des Themas mit einer Akkordfolge in synkopiertem Rhythmus. Die
Klarinette spielt in „pp“ in ihrem tiefsten Register eine Basslinie. Im Takt 61 hören wir die
variierte Wiederholung der ersten Zeile des Themas. Die Instrumente wechseln die Rollen.
Das Klavier bewegt sich in das untere Register und betreffend Tonhöhe steht die Klarinette
über dem Klavier. Sie stärkt die Melodie, die auf dem Top der Klavierakkorde zu hören ist.
Im Takt 65 hören wir die dritte Zeile des Themas in G-Moll. Die Melodie verklingt bis zum
Ende der sechstaktigen Phrase. Im Takt 70 auf dem Doppelstrich verwendet Brahms eine
"Fermata", die die fünfte Variation vorbereitet. Diese hat einen ganz anderen Charakter, und
71
kommt in Tempo an.
Takt 71: 5. VARIATION, 1. Zeile.
Obwohl das Thema ursprünglich im 6/8 Takt war und nun im 2/4 Takt erscheint, ist es in
dieser Variation dennoch erkennbar. Den 1/8-igen Auftakt erweitert der Komponist in einen
1/4-igen Auftakt. Das Klavier beherrscht die ganze Variation. Obwohl das Thema sehr
aufgeregt und immer in Bewegung und in Moll Tonart ist, ist es in dieser Variation mit
seinen gewählten Rhythmen noch auffälliger, als in anderen Variationen. Die Rolle der
Klarinette ist zuerst bei der variierten Wiederholung der ersten Zeile bedeutender. Dann
bringt die Klarinette das Thema mit Marcato. Das Klavier spielt sechzehntel Figurationen
in den Stimmen beider Hände. Im Takt 87 hören wir die dritte Zeile des Themas. Die
Klarinette ist in diesem Abschnitt kaum vorhanden. Im Takt 96 erklingen zwei
abschließende Gesten in der Klarinettenstimme. Der Abschluss im Takt 97 wird mit dem
Beginn der Coda zusammengelegt.
Takt 98: CODA piú tranquillo
Die Klarinette begleitet die "Abschluss" Geste des Klaviers mit Triolen-Arpeggien. Vier
Takte später ertönt die Hauptmelodie des Themas in der Klarinette. Ab Takt 108 wird die
Laune des Musikmaterials leidenschaftlicher, und nachdem der musikalische Höhepunkt
erreicht wird, steigt die Melodie in einer chromatischen Tonleiter ab. Im Takt 119 spielt die
Klarinette „p“ Akkordaufteilungen. Das Klavier begleitet sie mit statischen, chromatischen
Schritten. Durch ein plötzliches Crescendo und nach oben strebende verminderte SeptimArpeggi wird die Musik aufgeregt. Im Takt 136 spielt das Klavier eine lustige Version des
Themas. An dieser Stelle gibt es viele Akzentverschiebungen. Ab Takt 143 spielt die
Klarinette Motive, die einen abschließenden Effekt haben. Diese letzte (fünfte) Variation
wird sich von "Moll" zu "Dur" erhellen, und der Abschluss am Ende der Es-Dur Sonate ist
hell und hoffnungsvoll.
72
VIII.Interview mit Béla Kovács124
Frage Nr. 1.: Welche Musik hören Sie gern in der Freizeit? Welche Komponisten haben Sie
inspiriert?
„In meinem Alter habe ich die Stille sehr gern, aber ich höre alle Arten von Musik gern an.
Vor allem die sehr gute Jazzmusik. Ich habe einige Lieblingsdarsteller: Oscar Peterson, Ella
Fitzgerard. Es gibt eine Band, wo vier amerikanische Männer singen. Sie sind ein
Vokalensemble namens „Highrose”. Sie sind unglaublich gut. Sie spielen und singen zum
Beispiel mit dem Orchester von Count Basie, und setzen alle vier auf einem raffinierten
Akkord ein, und singen kristallklar. Wahrscheinlich haben sie ein absolutes Gehör. Sie höre
ich sehr gern. Außerdem gibt es sehr gute Aufnahmen beim Fernsehsender Mezzo. Zum
Beispiel die Konzerte der Berliner Philharmoniker, große Theateraufführungen, Sendungen
aus der Mailänder Scala. Wir sind sehr froh über solche anspruchsvollen Konzerte, weil wir
in einer Zeit leben, in der im Theater manchmal keine Bühnendekorationen verwendet
werden. Es gibt einige sehr schlechte Regisseure in den Theatern. In der Budapester
Staatsoper wurde die Oper La Bohème in zwei Arten von Inszenierung aufgeführt. Einer
war
eine
wunderbare Aufführung
unter
der
Regie
von
Gusztáv
Oláh.
Die
Bühnendekorationen waren sehr ordentlich. Im dritten Satz ein Wald, ein kleines Haus und
die Bühnenkulisse waren sehr schön. Das gleiche Stück wurde an einem anderen Ort
vorgeführt, wo die Darsteller in Mänteln und T-Shirts gespielt haben. Die Musik ist die
gleiche, aber ich interessiere mich auch für das Bühnenbild. „
Frage Nr. 2.: Welchen Einfluss hat die Musik von Brahms auf Sie?
„Ich weiß nicht, ob es noch einen Komponisten gibt, bei dem das “Bauwerk“ so wichtig
war. Er entwickelt seine Musik von einem „Kern“aus. Zum Beispiel, in dem langsamen
Satz der F-Moll-Sonate macht er einen kompletten Satz aus 4 Tönen. Aber was für ein Satz
ist das! Dabei stellt sich heraus, dass es nicht empfehlenswert ist, dieses Stück zu früh zu
spielen. Die jungen Künstler überspielen immer die Vorschläge des Themas im zweiten
Satz. Die anderen Sätze haben die gleichen Elemente. Der letzte Satz in der Es-Dur-Sonate
124
Das Interview fand am 22. März 2017 in Budapest statt
73
ist mein Lieblingsstück. Ich sage immer, dass dieser Satz für mich den Einmarsch des
Königs bedeutet. Das beinhaltet den Samteppich, die Goldschmücke und das Königspaar
mit der Krone. Es ist unser großes Glück, dass Brahms das Klarinettenspiel von Mühlfeld
bemerkte hatte und es ihm gefallen hat. Das ist ebenso wie Stadler bei Mozart. Bei den
Werken von Weber gab der Klarinettist Bärmann eine Inspiration an Weber. „
Frage Nr. 3.: Wird, ihrer Meinung nach, die Art der Darstellung vom Alter des Künstlers
beeinflusst? Braucht man zu den Brahms-Sonaten eine Art von Reife?
„Ja, das ist genau so! Aber nicht nur Brahmsche Musik braucht eine Reife. Ich, zum
Beispiel, wagte kein Mozart-Konzert zu spielen, bis ich 30 Jahre alt war, obwohl ich das
hätte spielen können. Wenn ich das Stück nicht so spielen kann, dass ich mit mir selbst
zufrieden bin, was soll ich dann vom Publikum erwarten? Bei Brahms ist es noch mehr so.
Ich unterrichte seit zweiundvierzig Jahren an der Universität. Die Absolventen sind mehr
als 20 Jahre alt. Als Lehrer könnte ich den Schülern raten, dass sie sich mit der Musik von
Brahms nur im letzten Abschnitt ihrer Studien beschäftigen. Sie werden sicherlich noch
eine Menge interessante Sachen im Lebenswerk von Brahms finden, die noch nicht
„ausgenutzt“ sind. Diese Musik ist so komplex. Wir haben zum Beispiel ein Fall mit dem
Brahms Klarinettenquintett gehabt, wobei am Anfang des langsamen Satzes ein
Dreitonmotiv zweimal wiederholt wird, und dann geht die Klarinette in eine andere
Richtung. In der Reprise scheint es so, als ob vom Thema der Klarinette ein Takt fehlen
würde. Aber es ist nicht so, weil dieser Takt in der Violinstimme enthalten ist. Vielleicht
liegt es daran, wage ich zu sagen, dass nicht jeder Brahms mag. Zum Beispiel, wenn ich
spiele, kommt nie meine Frau zu mir, weil für sie die Brahms Werke ein bisschen
langwierig, langweilig sind. Jedoch ist es sehr gut Brahms Werke zu spielen, das ist sicher
so. Aufgrund meiner Lehrtätigkeit sage ich, dass es ratsam ist, die Musik von Brahms erst
später kennenzulernen. Wenn man darüber nachdenkt, dass ein geschickterer Student eines
musikalischen Konservatoriums die Stücke von Brahms spielen kann, weil die technisch
nicht schwierig sind. Es gibt Viertel, Achtel, halbe Noten. Der Rhythmus dieser Stücke ist
auch nicht schwer. „
Frage Nr. 4. Welche musikalische Richtlinie halten Sie für die wichtigste in den Vorträgen
der Brahms-Sonaten?
„Die wichtigste ist, die Tradition einzuhalten, denn die Welt ist heutzutage sehr
unrealistisch. Ich bin der Abonnent der Zeitung „The Clarinet“, in dem haarsträubende
74
Dinge über die Es-Dur Sonate geschrieben wurden. Der Analyst fand den ersten Klang der
Sonate zu lang, und sofort hat er einen Vorschlag gemacht, dass es mit Vibrato gespielt
werden soll. Nun, so ist es nicht richtig. Und viele übernehmen diese Spielweise. Sie
sagen:„Aber es ist so gut, wir haben es so noch nicht gehört:“ Als Pädagoge sage ich, dass
die Traditionen eingehalten werden sollen. Mozart hat auch eine starke Tradition, und diese
Tradition wird stark von den Österreichern bewahrt.“
Frage Nr. 5: Welche war die beste Brahms Darbietung, die Sie je gehört haben?
„Ich habe sehr viele gehört, aber immer gab es etwas, was mir darin nicht gefallen hat. Bitte
das nicht als Selbstgefälligkeit zu bezeichnen, ich will nichts beurteilen. Entweder kamen
die Phrasen nicht so, oder zum Künstler passte die Brahms-Musik nicht. Deswegen ist diese
Musik schwierig. Sicherlich wird das, was ich mit Ferenc Rados gemacht habe, auch von
anderen kritisiert.“
Frage Nr. 6. Sind Sie mit Ihrer Aufnahme zufrieden?
„Seit langem habe ich sie nicht gehört. Ich mag es nicht, mich selbst zu hören. Ich fühlte
mich dann so, dass ich besser hätte sein können. Bei der Musikaufnahme haben wir einen
gewissen Zeitdruck, wir müssen immer fortfahren, wir haben zeitliche Zwänge und andere
Umständen spielen auch eine Rolle. Obwohl ich mich daran erinnere, dass die Kollegen mir
während der Aufnahme viele Unterstützung gegeben haben, müssen viele Dinge gut
zusammenkommen. Diese Dinge sind leider so. Ich höre einmal eine Aufnahme gern, um
zu wissen, was ich getan habe, und wenn ich jemals die Gelegenheit hätte, was könnte ich
anders machen. Aber es gibt keine andere Gelegenheit. Ich höre übrigens keine Aufnahmen,
denn sie sind wie Konserven „Konservenmusik“. Solche Aufnahmen sind sehr selten,
welche ich mehrmals höre, weil die immer so wirken, wie wenn sie neu wären. Egal, wie
gut das Orchester ist, egal wie gut der Dirigent ist. Da ich die Aufnahme schon einmal
gehört habe, weiß ich, was zu erwarten ist. Daher ist ein Live Konzert so fabelhaft, weil wir
dort noch nicht wissen kann, was wir hören werden. Und außerdem, nichts kann man
zweimal auf die gleiche Art spielen. Wer ein Musiker ist, weiß was ist, was tief berührt.“
Frage Nr. 7: Was denken Sie, ob die Interpretation beeinflusst wird, wenn der Künstler eine
Klarinette mit deutschem System, oder französische (Boehm) Klarinette spielt?
„Ich kenne beide Arten von Klarinette, weil ich zwei Jahre in der Musikschule auf einem
deutsch-basierten Instrument gelernt habe. Mein Lehrer, der Klarinettist der ungarischen
Staatsoper war, hat damals gesagt, dass ich auf ein Boehm-basiertes Instrument wechseln
75
soll, denn es ist das Instrument der Zukunft. Ich habe oft gedacht, dass ich, wenn ich die
Zeit zurückdrehen könnte, nicht von dem Instrument mit deutschem System abweichen
würde. Dieses hat vielmehr solch einen Klang, den ich mag. Es gefällt mir viel besser. Aber
das Instrument mit dem Boehm-System ist technisch viel einfacher. Vielleicht haben die
Boehm Instrumente deshalb einen anderen Klang, weil das Rohr nach unten erweitert ist,
und bei den deutschen Instrumenten aber zylindrisch. Am Anfang leiden die Schüler sehr
mit dem deutschen System wegen der technischen Schwierigkeiten der Tastatur. Die
Boehm Klarinette ist viel klarer in Bezug auf Intonation.“
76
IX. Zur Interpretation der Klarinettensonaten
Wie ich es schon in Kapitel V. erklärt habe, hatte das Klarinettenspiel von Richard
Mühlfeld einen großen Einfluss auf Brahms. Leider wissen wir nicht genau, wie Mühlfeld
diese Stücke vorgetragen hat. Typisch für die Romantik ist, dass die Werke keine
vorgestellte Idealfigur haben. Ich habe mir sechs verschiedene Aufnahmen von beiden
Sonaten angehört, und habe eine beschreibende Analyse davon fertiggestellt. Ich möchte
die Aufnahmen nicht bewerten und einstufen, und werde keine Stellungnahme betreffend
ihrer Qualität geben.
Typisch für alle Aufnahmen ist, dass sie mit markanten Konzeptionen vorgetragen worden
sind. In den Noten von Brahms kommen Metronomangaben sehr selten vor. Er glaubte,
dass es kein absolutes und unveränderliches Tempo in der Musik gibt, und der musikalische
Wert eines vortragenden Künstlers viel wichtiger ist, als die Einhaltung von mechanischen
Anweisungen. Bei einer Probe, als Brahms das Deutsche Requiem dirigierte, fragte er die
Sopranistin um ein Tempo, in dem sie singen will, um ihr dann einfach zu folgen.
Beim Beobachten der verschiedenen Interpretationen habe ich folgende Aspekteke
beachtet:

die Spieldauer,

das Tempo,

die Anwesenheit des
Tempounterschiedes zwischen
Formteilen,
die Amplitude der Dynamik,

Diese Aspekte wurden in den Tabellen 1-7 demonstriert.
77

Zusammenspiel zwischen
Klarinette und Klavier,

Reichtum der Klangfarbe,

welchen Instrumentyp
verwendet der Klarinettist,

Gebrauch von Vibrato, und die
Amplitude des Vibratos
IX.1. Karl Leister und Ferenc Bognár
Karl Leister ist ein deutscher Klarinettist. Von 1953 bis 1956 studierte er bei Heinrich
Geuser an der Hochschule für Musik Berlin und wurde 1957 Solo-Klarinettist an der
Komischen Oper Berlin. In 1959 wurde er Solo-Klarinettist bei den Berliner
Philharmonikern, wo er bis 1993 spielte. Zur selben Zeit begann er seine internationale
Karriere als Solist. Seit 1972 unterrichtet er an der Orchester-Akademie der Berliner
Philharmoniker und veranstaltet internationale Meisterkurse.125
IX.1.1.Sonate in F-Moll Karl Leister und Ferenc Bognár
Typisch für die ganze Sonate ist, dass die beiden Künstler überzeugende Tempi verwenden,
und mit ihrem Spiel authentische Charaktäre darstellen. Die Zuhörer haben Freude am
vollen Klang, am singenden Wohlklang und an der Energie. Die Klarinette hat einen völlig
ausgewogenen Stimmumfang. Die virtuosen Elemente, wie Läufe von Sechzehntelnoten
und die schnellen Klangaufteilungen werden vom Klarinettenspieler immer klar,
gleichmäßig, ohne Angst gespielt. Das Zusammenspiel beider Instrumente ist sehr
ausgearbeitet, sie reagieren empfindlich auf die Gesten voneinander. Es zeigt sich sehr gut,
wo die Klarinette wichtigere Rollen hat, oder wo das Klavier wichtigeres musikalisches
Material hat. Die formalen Grenzen werden von den Künstlern anspruchsvoll getrennt. Ich
habe einen Vortrag gehört, der reich an Agogik und Klangfarbe ist.
Betreffend den Tempowechsel innerhalb der Sätze ist es charakteristisch, dass die Themen
bei der Reprise in einem anderen Tempo ertönen. Zum Beispiel, in der Reprise des ersten
Satzes (Takt 138) wird das Nebenthema in einem langsameren Tempo gespielt, als in der
Exposition. Im zweiten Satz können wir auch beobachten, dass das Thema ab Takt 75
langsamer gespielt wird, als am Anfang des Satzes.
Der Vortrag ist reich an Agogik. Die Formenteile werden gut erkennbar. Im Satz vor den
Takten 74 und 119 wird eine starke Agogik verwendet. Sie bewegen sich sehr genau
miteinander.
Die individuelle, freie Handhabung der Rhythmen ist für den Vortrag nicht besonders
charakteristisch. Der Klarinettenspieler hebt in der Coda des ersten Satzes (Takt 211) den 4.
125
www.die-klarinetten.de/content/deutsch/klarinette-spieler.html (22. Juni 2017)
80
Ton der Achtelgruppe (Absolut Ton "B") ein bisschen verlängert hervor. Im zweiten Teil
der Sequenz macht er das gleiche mit dem auf dem 4. Achtel stehenden Ton. Am Ende des
Satzes im zweiten Takt des letzten Klarinettenspiels wird der Wert des absoluten Tons "D"
leicht verlängert. Die barockartige Zweiunddreißigstel Verzierung im Satz 3 (Teil „A“) wird
vom Klarinettenkünstler schön „gezeichnet“, aber er legt nicht viel Wert auf dekorative
Klänge, im Gegensatz zu Hauptklängen. Der zweite "dolce" Teil am Anfang des Themas
erklingt wirklich sehr empfindlich.
Im Satz 3 wird das 2. Thema des Teils „A“ (Takt 17) während der Wiederholung stärker
gespielt. Die schwebende Natur des Trios wird von den Klarinettisten mit den in der tiefen
Lage erklingenden Tönen sehr gut dargestellt.
4. Satz: Ich sehe keinen großen dynamischen Unterschied zwischen den beiden Teilen der
zweigeteilten Singal, obwohl in dem Notenmaterial forte und piano vorgeschrieben sind.
Im Rondothema ertönen schöne, runde Stakkatos. Der Charakter der Stakkatotöne ist in
beiden Musikinstrumenten homogen.
Für den Vortrag ist die Verwendung von Vibrato nicht charakteristisch, obwohl der
Klarinettenkünstler auf dem dreiviertelwertigen Ton im Takt 41 des ersten Satzes eine
Vibrato benutzt.
81
IX.1.2. Sonate in Es–Dur Karl Leister und Ferenc Bognár
1. Satz : allegro amabile. Der erste Satz ist durch Innigkeit charakterisiert. Die
dynamischen Proportionen sind gut. Betreffend Stimmung ist dieser Satz sehr vielfältig. Er
führt von melancholischen, bis zu energischen Ausbrüchen zurück zum Hauptthema. Die
dreiteilige Struktur des Satzes ist aus musikalischer, dynamischer und emotionaler Hinsicht
gut aufgebaut. Die Spezialität des Satzes ist die Coda, in der das Verhältnis zwischen
Klavier und Klarinette sowohl in Charakter, als auch in Dynamik sehr wichtig sind.
Während des Vortrags beider Künstler erscheint eine reale vertrauliche Atmosphäre. Im
"tranquillo" kommt das Klavier zum Vorschein, die Klarinette spielt nur dekorative Klänge.
Die Künstler präsentieren diese Geste sensibel dem Publikum. Sie sind perfekt aufeinander
angepasst.
2. Satz : Allegro appassionato
Beide Künstler zeigen in authentischer Weise die Gegenüberstellung der “espressivo" und
"dolce espressivo" Charaktären des Satzes, und ihre Koexistenz. Im Trio ist das Tempo
langsamer im Vergleich zum Tempo des Teils „A“. Beide Darsteller schaffen eine elegante,
würdevolle Atmosphäre. Teil „A“ erklingt in gleicher Weise in der Reprise wieder.
3. Satz : Andante con moto
Der Klarinettist spielt die Auftakte der kleinen verlängerten Rhythmen der 6/8-ige Takte
mit Akzenten. 1. Variation: Die Intonation ist perfekt. In der 2. Variation ergänzt die
Klarinette hervorragend die Triolen-Arpeggien des Klaviers. In der 3. Variation erscheint
das Thema im diminuierten Rhythmus. Die Klarinette ist hier virtuos, lebhaft, lebendig,
dann in der 4. Variation mit ihren repetitiven, im tief Register erklingenden Töne scheint es
so, als ob sie die Bewegung der Musik stoppen wollte. Die dynamischen Verhältnisse sind
ausgeglichen und die Agogik wird sensibel umgesetzt. Die Coda des Satzes ist relativ lang.
Sie ist voll mit dynamischen Steigerung und Senkungen. Die Klarinette handelt den
Rhythmus manchmal freier, (Takt 119-120) Jedoch werden die chromatischen Läufe sehr
gleichmäßig, zusammengespielt. Der Satz endet beschwingt, was von der Vortragenden
auch verwirklicht werden kann.
82
IX.2.Wenzel Fuchs und Elena Bashkirova
Wenzel Fuchs ist ein österreichischer Klarinettist. Er gibt internationale Meisterkurse und
ist Soloklarinettist der Berliner Philharmoniker.
Nach einer Ausbildung am Konservatorium Innsbruck bei Walter Kefer studierte er an der
Wiener Musikhochschule bei Peter Schmidl und sammelte während dieser Zeit als Substitut
erste Orchestererfahrungen bei den Wiener Philharmonikern. Seit 1993 gehört er den
Berliner Philharmonikern an. Er ist Dozent an der Orchester-Akademie der Berliner
Philharmoniker. Seit Oktober 2015 ist er Professor am Mozarteum Salzburg.126
IX.2.1. f-moll Sonate Wenzel Fuchs und Elena Bashkirova
1.Satz
Der melancholische Charakter des Hauptthemas ist in diesem Vortag gut realisiert. Das
Klavier ist in dynamischer Hinsicht deutlich präsent. Das Spiel des Pianisten ist energisch.
Manchmal ist er lauter als die Klarinette und erdrückt sie. Temposchwankungen sind
typisch innerhalb des Satzes. Nach der Durchführung nach dem Hauptthema beginn das
Nebenthema ohne Agogik. Die dritte Achtel des Nebenthemas ist vom Klarinettisten
verkürzt, um das legato Motiv von den zwei Marcato Gliedern besser zu trennen. Er spielt
auf dem absolutes "Ges" in Halbnotenwerten ein Vibrato. Ab Takt 61 wird das Tempo
verbreitet, das musikalische Material vor dem Abschlussthema wird etwas langsamer. Vor
Takt 77 hören wir Agogik. Es ist deutlich hörbar, wo der Expositionsteil anfängt, weil die
Künstler in den zwei letzten Takten das Tempo zurückhalten. Im Takt 116 wird das mit
“forte“ ertönende dreitönige Motiv auf unbetonter Stelle vom Klarinettenkünstler verkürzt,
fast Stakkato gespielt. Die Takten 136-137 wird die Reprise deutlich verlangsamt gespielt.
Bei der Rückkehr vom "dolce" Nebenthema (Takt 161-162) spielt der Klarinettenkünstler
auf zwei Halbnotenwertigen Tönen ein Vibrato. Der "G" Ton vor der Coda ist in der
Klarinettenstimme mit dem ersten Ton der Codas fast verbunden. Ab Takt 231 verlangsamt
sich das Tempo deutlich und der Satz wird in diesem Tempo beendet.
In der dekorativen Stimmengruppe des Themas des 2. Satzes, spielt der Klarinettist den
126
https://www.berliner-philharmoniker.de/orchester/musiker/Wenzel-Fuchs/ (22. Juni 2017)
83
ersten Ton eine zweiundachtzigstel Einheit länger. Ab Takt 27 spielen sie das musikalische
Material sehr langsam (Achtel = 52). Bis zum Ende des Satzes wird das Tempo noch
langsamer (Achtel = 48).
Im Satz Nr. 3 hat das erste Thema einen sehr geläufigen, fast himmlischen Charakter. Der
erste Teil des 2. Themas ist im Charakter gut vom 1. Thema getrennt. Der
Klarinettenkünstler akzentuiert in jedem Takt den ersten Ton. Im Takt 63 ertönt der
wiederholte Teil zum zweitem Mal lauter, in mezzoforte. Vor der Rückkehr von Teil „A“ ist
der Ton „F“ mit der Fermate im Klavier kürzer als gewohnt. Die Pause mit der Fermate ist
ganz kurz. Dann plötzlich beginnt die Reprise des ersten Teils von Teil „A“.
Auf den Stakkato-Läufen im Satz 4 erhöht der Klarinettist die Tonstärke, gibt einen Akzent
auf "Eins" des 5. Taktes des Themas.
IX.2.2 Es-Dur Sonate Wenzel Fuchs und Elena Bashkirova
1. Satz allegro amabile
Wenn das Nebenthema ertönt, ist das Klavier meiner Meinung nach dynamisch zu stark.
Die musikalische Forte-Höhepunkt der Klarinette ist vom Klavier ein bisschen bedeckt. Im
Hauptsatz (Exposition) ist die transformierte Version des Nebenthemas nicht ganz
„versteckt“ in Deckung des Klaviers.
2. Satz: Das Thema wird vom tragischen Heldentum, Leidenschaft charakterisiert. Der
Klarinettist verwendet nicht die breite Palette der Dynamik. Die Erscheinung des
Hauptthemas in der Reprise finde ich zu leicht und beiläufig. Im Vergleich zum starken
Pianospiel malt die Klarinette das Thema mit einer weichen Bürste.
3. Satz: andante con moto
Dieser Vortrag ist reich an Tonfarben. Im Takt 37 (2. Variation) verlängert die Klarinette
den punktierten Auftakt, deswegen geht dadurch der Marcato-Charakter verloren. Die dritte
Variante hat einen spielerischen Charakter. Hier können wir einen Dialog zwischen Klavier
und Klarinette beobachten. Entsprechend kann das nur so erreicht werden, wenn beide
sowohl in der Dynamik, Ton, als auch im Charakter in einer homogenen Art und Weise
ertönen. In diesem Satz ist die Homogenität zwischen den beiden Künstlern nicht
vorhanden. In der fünften Variation überspielt das Klavier die Klarinette. Ab Takt 115 bis
zum Ende des Satzes tritt ein hohes Maß an Genauigkeit auf.
84
IX.3. Richard Stoltzman und Richard Goode
Richard Stoltzman ist ein amerikanischer Klarinettist. Er gewann zahlreiche Preise als
Musikkünstler. Es ist sowohl als Solist, als auch als Teilnehmer von Kammerensembles
tätig. Er hat viele Aufnahmen während seiner Karriere gemacht. Neben der klassischen
Musik spielt er auch Jazz Musik.127
IX.3.1.Sonate in F-Moll Richard Stoltzman und Richard Goode
Charakteristisch für die ganze Aufführung ist, dass der Klarinettist viel Vibrato verwendet.
Ab Takt 25 in der Durchführung, beim letzten Klang der nach oben steigenden Arpeggien
werden immer kurz von der Klarinette gespielt. Der „ma ben marcato” Charakter im
Nebenthema wird nicht ganz verwirklicht. Im Takt 105 in der Expositionsphase ist die
Klarinette kaum zu hören, weil das Klavier viel lauter ist, und die Klarinette erdrückt. Ab
Takt 136 beginnt ein neuer Teil, was auch vom Doppelstrich angezeigt wird. Bei diesem
Vortrag halten die Künstler den letzten, halbnotenwertigen Akkord nicht aus, sodaß der
erste Akkord im Takt 136 zu früh kommt. Im Takt 147 in der Serie des „seufzerartigen”
Achtelpaars hebt der Klarinettist das erste und vierte Achtelpaar hervor. Die ersten Töne
diese Achtelpaare werden länger gespielt, die 2., 3 Paare werden in schnellerem Tempo,
ohne Akzent dargestellt. Bei der Wiederholung dieser Zeile mit "Seufzermotiv” wird der
vorherige Gedanke weiter verfolgt. Ab Takt 155 spielt der Klarinettist das Material des
Nebenthemas mit sehr viel Vibrato. Bei der Rückkehr des Schlussthemas spielt die
Klarinette in viel langsameren Tempo als der Pianist. Dadurch wird der ohnehin schon
komplizierte Takt leider verwirrend. Die zweiten Töne des Achtelpaars ab Takt 187 sind
immer kurz gespielt.
Der Klarinettist atmet im Takt 217 vor der absoluten "G-B" Verbindung, wodurch der
musikalische Prozess unterbrochen wird.
2. Satz: Auf die Verzierung des Themas von Teil „A“ wird nicht viel geachtet, eher werden
die wichtigsten Töne der Melodie hervorgehoben. Ab Takt 31 kann keine rhythmische
Freiheit erkannt werden, der Klarinettist spielt viele Vibratos. Beide Künstler zeigen den
Charakter des Satzes in gleichem Stil. In Tonstärke sind sie ausgeglichen.
3. Satz: In diesem Satz haben sie ein entspanntes Tempo gewählt. Die 2 Themen von Teil
127
www.richardstoltzman.com (22. Juni 2017)
85
„A“ werden mit erheblichem Charakterunterschied dargestellt. Die Klarinetten-Kadenz im
Takt 39-40 wird vom Künstler ein bisschen beschleunigt gespielt. Bei der Wiederholung
des zweiten Themas nimmt er die gleiche Tonstärke in Anspruch, wie zuerst. Am Ende des
Satzes, im "calando" Abschnitt werden die Achtelgruppen nach den punktierten Vierteln
vom Künstler betont. Das bedeutet, dass der Akzent nicht auf die "Eins" in dem Takt,
sondern auf die vierte Achtel gelegt wird. In den letzten zwei Takten des Satzes wird das
Tempo sehr verlangsamt.
Das signalartige Motiv wird vom Pianisten und Klavierkünstler in verschiedenen
Charaktern dargestellt. Manchmal gerät das Klavier betreffend der Tonstärke allzu sehr in
den Vordergrund.
IX.3.2.Sonate in Es-Dur Richard Stoltzman und Richard Goode
1. Satz allegro amabile. Der Klarinettenkünstler hat das Hauptthema in authentischem Ton
gezeigt. Im ersten Ton von Takt 5 hören wir zuerst, dass er ein Vibrato verwendet. Ab Takt
18 wird die Tonstärke bedeutend reduzieren. Der Klarinettenkünstler macht Vibrati auf den
Tönen des "sotto voce" Nebenthemas. Vor dem Schlussthema erreichen beide Künstlern
sowohl dynamisch, als auch musikalisch gleichzeitig geschmackvoll den musikalischen
Höhepunkt.
Hauptsatz: ab Takt 63 macht der Klarinettist wieder viele Vibrati auf den Tönen, und
manchmal geht es auf Kosten der reinen Intonation. Im Allgemeinen kann festgestellt
werden, dass die Verwendung der vielen Vibrati die Intonation instabil macht. Das
Haupthema des Hauptsatzes spielt die Klarinette fast zu frei, "chanson"-ähnlich. In der
Reprise wird das Hauptthema wieder mit viel Vibrato gespielt. Das Verhältnis zwischen
dem Pianisten und Klarinettisten ist in diesem Abschnitt durch genaues, atmendes
Zusammenspiel gekennzeichnet. Danach wird in der Coda vom Klarinettenkünstler der
Rhythmus ganz frei behandelt. Die Klarinette steht rhythmisch mit dem Klavier nicht im
Einklang.
2. Satz: appasionato. Der Klarinettist denkt eher in zweitaktiger, anstatt in viertaktiger
Einheiten, der Pianist nimmt dagegen viertaktige Einheiten an. Der zweite Abschnitt des
Satzes ist ein "espressivo", was uns der Klarinettist leider nicht zeigt. Aus der Imitation des
Klaviers hören wir zuerst den Bereich des espressivo. Im Allgemeinen können wir sagen,
dass die zwei Instrumente in deutlich unterschiedlicher Klangqualität auf den Zuhörer
86
wirken. Die Klarinette ist flexibel, aber ihr Ton ist nicht ganz rund und nicht gehaltvoll. Ihr
Ton wird mehrmals dünner, was zu Intonationsproblemen führen kann. So kann sie mit dem
mächtigen, vollen Klang des Klaviers nicht konkurieren.
87
IX.4. Florent Heau und Patrick Zygmanowski
Florent Heau studierte am Pariser Konservatorium (CNSM de Paris) in der Klasse von
Michel Arrignon. Er gewann den ersten Preis in vielen bekannten internationalen
Wettbewerben zwischen 1991-1995. Dank dieser Preise wurde er schnell die dominante
Figur der französischen Klarinettenschule. Er gibt Konzerte und Meisterkurse in der ganzen
Welt. Derzeit unterrichtet er am CRR de Paris und an der Musikhochschule in Osaka.128
IX.4.1.Sonate in F-Moll Florent Heau und Patrick Zygmanowski
1. Satz: Das Tempo der ersten Durchführung ist langsamer, als das des Hauptthemas. Das
Tempo des Schlussthemas ist frei behandelt in den beiden Instrumenten konsequent
schwankend. An einigen Stellen kommt der musikalische Prozess in Bewegung, an anderen
Stellen wird er zurückgehalten. Im Hauptthema ist der Ton bis Takt 116 sehr lyrisch, und
innig. Bei der Rückkehr des Nebenthemas ändert sich die Stimmung des musikalischen
Materials. Die Spielweise ist markant und energisch. Die Grenzen der formalen Einheiten
können gut erkannt werden. Ab Takt 187 werden sich die „seufzerartigen“ Motive parallel
mit der Abwärtsbewegung der Klarinette geringfügig beschleunigen. Die vortragenden
Künstler gestikulieren bei den Imitationsmaterialien homogen. Im letzten Abschnitt des
Satzes (sotto voce) zeichnet die Klarinette schmerzhaft sein letzte Stimme.
2. Satz: Die Klarinette spielt sehr singend. Nach dem Rückkehr von Teil „A“ wird das
Thema espressivo mit mehr Vibrato dargestellt, wie beim ersten Mal. Das Tempo vor der
Coda wird zurückgehalten.
3. Satz: Sie präsentieren den Charakter des Satzes sehr authentisch. Die Künstler spüren
den rhythmischen Charakter der Tanzabschnitte, die folkloristischen Motive werden
sensibel dargestellt. Wir können die reichen Tönungen der Agogik beobachten. Im Takt
119-122 spielt der Klarinettenkünstler den Rhythmus der Achtel-Arpeggien geschmackvoll
frei.
4. Satz: Beim Rondothema wird vom Klarinettenkünstler im Auftakt das Achtelpaar
hervorgehoben, etwas langsamer und aufgegliederter in das Thema eingepasst. Das
Signalmotiv erscheint bei beiden Instrumenten im gleichen Charakter. Bei der Bearbeitung
von Teil „B“, ab Takt 142 mischt sich die Klarinette in das Musikmaterial des Klaviers ein.
128
www.florentheau.com/en/about/ (22. Juni 2017)
88
In diesem Vortrag erschient eine Reihe von lebendigen und melancholischen Charaktären.
Energische Akzente sind zu hören. Anmut und Eleganz erregen die Aufmerksamkeit des
Zuhörers. Die Charaktäre sind überzeugend authentisch. Die Tönung der Klang ist
inhaltsvoll in allen Registern der Klarinette. Das Spiel der Vortragenden ist durch eine
Mischung von Disziplin und Leidenschaft charakterisiert, was eine besondere Intensität mit
sich bringt.
IX.4.2.Sonate in Es-Dur Florent Heau und Patrick Zygmanowski
1.Satz: allegro amabile
Der Anfang des Themas sagt mir alles über die Stimmung des gesamten Satzes. Ich finde er
ist
in
einem
sehr
geläufigen,
sehr
„französischen“
Charakter
gehalten.
Der
Klarinettenkünstler geht mit dem Rhythmus sehr frei um. Der Zuhörer fühlt eine Art von
Rhythmusschwankung, was nicht in jedem Fall glücklich ist. An einigen Stellen wird die
Musik beschleunigt, anderswo wird sie zurückgehalten. Beide Künstler realisieren das sehr
koordiniert. Der Klarinettenkünstler bring viele Vibrati, besonders auf den längeren Tönen.
Die Künstler stellen die breite Skala der dynamischen Ebenen dar. Ab Takt 94
beschleunigen sie das Tempo und setzen dann zum ursprünglichen Tempo des Hauptthemas
zurück. Im Takt 150 nach der Durchführung wird das Hauptthema mit schöner Sensibilität
zurückgebracht.
2. Satz: allegro appassionato
Der Ton und Klangcharakter dieses Vortrags ich ein bisschen zu geläufig. Meiner Meinung
nach ist es wichtig, dass jeder Ton eine Bedeutung (Gewicht) hat. Die einzelnen Töne
dürfen nicht an Inhalt verlieren, auch wenn sie „nur“ Teile einer Melodie sind. Trio: Diesen
Satzteil soll eine würdevolle Atmosphäre charakterisieren, die dann den Hörer auf den
Appassionato-Charakter des Teils „A“ zurückführt. Das Trio hat für mich keinen sostenuto
Charakter. Vielleicht war das Tempo nicht angemessen.
3. Satz: andante con moto
Im Thema setzen die Darsteller den Akzent auf unterschiedliche Stelle. Es gibt Künstler,
die den Akzent auf den gepunkteten Auftakt und andere, die ihn auf die erste Achtel des
Taktes setzen. Bei dieser Aufnahme können wir die letztere Möglichkeit beobachten. Der
Auftakt spielt eine geringere Rolle.
Die Variationen sind durch Agogik getrennt. Der Klarinettist spielt die zweite Variation sehr
89
frei, mit viel Vibrato. In der Abschluss-Periode des Satzes benutzt er besonders viele
Vibratos.
90
IX.5. Michael Collins und Mikhail Pletnev
Michael Collins ist ein britischer Klarinettenkünstler. Als Solist spielt er in den
bedeutendsten
Orchestern
der
Welt.
Er
wird
heutzutage
einer
der
größten
Klarinettenkünstlern betrachtet. 129
IX.5.1.Sonate in F-Moll Michael Collins und Mikhail Pletnev
In dieser Aufführung ertönt die Musik von Brahms dynamisch. Während des Anhörens der
Musik war ich sehr froh über den vollen Klang, singenden Wohlklang und Schwung. Der
Klarinettist spielt die Musik mit einer außergewöhnlich vollen und ausgeglichenen Stimme
formiert im Anfangssatz leidenschaftlichen Charakter, verwendet runde, warme Legati im
singenden langsamen Satz und frische Rhythmen im Finale. Der ausgezeichnete
Klarinettenkünstler spielt nicht nur mit sauberer Intonation und schöner Stimme, er
vermittelt auch die Werte des Werkes mit der nötigen Energie und einer befreiten
Interpretationsweise. Der Ton der Klarinette ist reichhaltig, flexibel, ihre Klangwelt ist
außerordentlich bunt. Aus technischer Hinsicht arbeitet der Klarinettenspieler mit viel Luft,
was so viel Energie zum Musizieren gibt, dass er die Vielzahl aller Charaktäre perfekt
darstellen kann. Das Spiel des Pianisten bleibt im ganzen Satz gegliedert und differenziert,
es ist durch separate Kontrolle und durch die Dynamik und Artikulation der Stimmen
charakterisiert.
1. Satz: Leidenschaftliche, energische Vortragsweise. Das Klavier und die Klarinette sind
ausgeglichen, sie zeigen eine hochkoordinierte Zusammenarbeit. Die Tönung des Satzes ist
sehr bunt. Dieser Vortrag ist reich an Agogik (vor den Takten 187 und 227) Der
musikalische Prozess wird sehr gut geführt. Er hält nie an, und ist nicht langweilig.
Das Hauptthema ist in der Reprise etwas langsamer, als in der Exposition. Die
Durchführung zwischen Hauptthema und Nebenthema wird vom Klarinettenkünstler mit
einer ergreifenden Weichheit gespielt. Das "sotto voce" im Takt 231 wird auch sehr
eindrucksvoll dargestellt.
2. Satz: Im Vergleich zu anderen Aufnahmen wird dieses Satz langsamer gespielt. Das geht
aber nicht zu Lasten der Musik. Die Musik wird wegen des langsamen Tempos nicht
129
www.michael-collins.co.uk (22. Juni 2017)
91
langweilig, der musikalische Prozess ist schön strukturiert. In der Durchführung, ab Takt 45
nimmt der Pianist im Vergleich zum vorherigen Teil ein noch langsameres Tempo an. Wir
hören wunderbare Phrasierung von ihm.
3. Satz: Im Vergleich zu den anderen Vorträgen hat diese Aufnahme ein viel schnelleres
Tempo. Die Gesamtzeit des Satzes bei ihnen ist fast 40 Sekunden kürzer, als bei den
anderen Interpreten. Vor der Rückkehr des Teil „A“ in den Takten 89-90 verlangsamen sie
und werden noch langsamer, in den letzten zwei Takten. Die dynamischen Verhältnisse
zwischen den beiden Instrumenten sind sehr gut.
4. Satz: Auch in diesem Satz sind beide Künstlern sehr gut koordiniert. Das Signal-Motiv
wird in gleichem Charakter dargestellt. In diesem Satz hören wir die Weichheit und
flexibile Kraft beider Instrumentenklänge. Tempoänderungen sind nicht typisch in diesem
Satz. Im Wesentlichen gibt es Tempowechsel nur an zwei Stellen: Ab Takt 169, welcher die
Rückkehr von Teil „A“ vorbereitet, und in der Coda werden die letzten beiden Viertel im
Takt 210 verbreitet gespielt. Das ist einzigartig in diesem Vortrag, denn wir hören dieses
Konzept bei anderen Aufnahmen nicht.
IX.5.2.Sonate in Es-Dur Michael Collins und Mikhail Pletnev
Der Klarinettenkünstler interpretierte ausgezeichnet das musikalische Material des ersten
Satzes. Das Instrument klingt in jedem seinen Register kristallklar, und reichhaltig. Die
Pianos wurden sehr weich, die Espressivos sehr sensibel dargestellt. Ein Gleichklang mit
dem Klavier zeugt von einem Gleichgewicht. Diese Spielweise beider Künstler ist sehr
reich an Tonfarben. Die Grenzen der formalen Einheiten können gut erkannt werden, und
sind klar. Der Ton von 2. Satz (appassionato) ist schon von dem ersten Ton des Auftakts zu
hören. Die Künstler arbeiten in diesem Satz mit großem Energieeinsatz. Wo es nötig ist, im
Teil vor dem Trio, wird die Energie sensibler klingt ab. Das Trio bringt piano, und
reichhaltiges, emotionales musikalisches Material ein. Dieses Material ist völlig das
Gegenteil vom einleitenden Teil „A“. Mit der Rückkehr von Teil „A“ fühlen wir wieder die
Energie des Satzes, womit die Vortragenden treu die Beschwerde des unruhigen einsamen
Helden darstellen.
3. Satz: Das Thema des Satzes enthält ein dreizeiliges Material, wobei wir in der
Darbietung von Collins einen neuen Ton der Klarinette erkennen können. Die zweite
Variation zeigt eine sorgfältige Arbeit zwischen dem Pianisten und Klarinettisten. Die
92
Motive sind aus kleineren Motiven zusammengesetzt, wir spüren die rollen den Melodien,
die sich ähnlich in dem Stück erklimmen, wie die Kletterpflanzen. Die dynamischen
Verhältnisse sind gut etabliert. Für mich ist diese Vortrag wirklich authentisch, weil jeder
Ton eine Bedeutung hat. Die Coda bringt das Gefühl der Lebensfreude, mit der der Satz
endet.
93
IX.6. Béla Kovács und Ferenc Rados
Béla Kovács ist ein ungarischer Klarinettenkünstler. Er hat sein Studium ab 1951 an der
Franz Liszt Musikakademie in Budapest vollbracht. Im Jahr 1956 wurde er der
Soloklarinettist der Ungarischen Staatsoper und der Budapester Philharmonischen
Gesellschaft. Seit 1975 unterrichtet er an der Franz Liszt Musikakademie. In mehreren
Ländern der Welt ist er als Solist oder als Mitglied eines Kammerensembles aufgetreten,
und hat vielen Aufnahmen gemacht. 130
IX.6.1.Sonate in F-Moll Béla Kovács und Ferenc Rados
Charakteristisch für den Vortrag ist, dass die Künstler den Rhythmus nicht frei behandeln,
und definitiv den vorgeschriebenen Anweisungen folgen. Wir können bloß an einigen
Stellen eine individuelle Umsetzung der Rhythmen beobachten. Die Künstler verwenden
Agogik zwischen den formalen Teilen. Die künstlerische Gestaltung spiegelt die Vielfalt
des Satzes wieder. Unzählige Tönungen und die breite Skala der dynamischen Ebene
werden verwendet. Der Klarinettenkünstler spielt mit einer schönen Stimme, und reinen
Intonation.
In dieser Aufnahme habe ich eine direkte, verständliche Darbietung gehört, was das
Wesentliche des Musikwerkes nähergebracht hat.
1. Satz: Ab Takt 13 und ab Takt 43 wird das Tempo von den Künstlern ausgebreitet. An
diesen Stellen ist die Melodie in der Klarinettenstimme präsent. Der Ton des Haupthemas
ist innig, die Klarinette ertönt weich. Dieser weichere Charakter ändert sich aber ab Takt
116. Bevor die Instrumente den Takt 214 (sostenuto Teil) erreichen, spielt die Klarinettist
die Achteltöne langsamer.
2. Satz: Eine freie Spielweise ist hier nichterkennbar, der Rhythmus wird nach Noten
gespielt. Der Klarinettist macht keinen Unterschied zwischen Haupt- und dekorativen
Klängen des Anfangsthemas. Er behandelt sie auf gleiche Weise. Das Tempo wird im Takt
70 langsamer. Die Vortragenden ändern das Tempo, so dass sie miteinander völlig
kooperieren. Sie sind miteinander in voller Übereinstimmung.
3. Satz: Im Charakter des 1. und 2. Themas habe ich keinen signifikanten Unterschied
erkannt. Beide Themen ertönen relativ weich und in mittlerer Tonstärke. Am Ende des
130
www.kovacsclarinet.hu (22. Juni 2017)
94
Taktes 122 halten sie den musikalischen Prozess an, bevor sie im Takt 123 weiterspielen.
4. Satz: Das Rondothema ist etwas umständlich und hat keinen geläufigen Charakter. Das
Signalmotiv wird bei beiden Instrumenten im gleichen Charakter gespielt. Die
dynamischen Steigerungen werden koordiniert implementiert. Innerhalb des Satzes ist ein
Tempowechsel nicht charakteristisch.
IX.6.2.Sonate in Es-Dur Béla Kovács und Ferenc Rados
1. Satz: allegro amabile
Der Klarinettist spielt das Hauptthema sehr schön und liedhaft. Seine Tonfarbe ist
melancholisch und innig. Der Takt 9 wird durch einer Agogik vom vorherigen
musikalischen Abschnitt abgetrennt. Es ist deutlich erkennbar, wann das Nebenthema
kommt. Die Dolce-Melodie wird sehr schön geformt. Das Schlussthema kommt energisch
an. Im Hauptsatz imitiert die Klarinette sehr genau den mächtigen Klang des Klaviers, dann
ab Takt 63 mischt sich mit den klingenden (glockenartigen) Akkorden in das musikalische
Material des Klaviers. In den Takten vor der Reprise wird die Rückkehr des Hauptthemas
mit einer gut ausgearbeiteten Verzögerung vorbereitet. Das Nebenthema wird von den
Künstlern im gleichen "dolce" Charakter dargestellt. Das Ende des Satzes wird mit starkkoordinierter Verzögerung beendet.
2. Satz: appasionato.
Die Klarinette stellt den Appassionato-Charakter effektiv und authentisch dar. In der
Reprise spielt die Klarinette das Hauptthema genauso wie in der Exposition. Ab Takt 206
erklingen, in der lyrischen Melodie der Klarinette die Töne zurückhaltend, von sich besser
isoliert. Als ob mein Konzept verwirklicht worden wäre, hat jeder Ton hat seine eigene
wichtige Bedeutung. Es gibt gute dynamische Verhältnisse zwischen den Instrumenten,
trotz der Tatsache, dass die Klarinette in ihrem tiefsten Register spielt. (Nämlich in diesem
Register ist es schwerer, einen vibrierten, gut hörbaren Ton zu erzeugen).
3. Satz: Andante con moto
Dieser Satz ist relativ langsam. Die Künstlern nehmen ein Tempo von Achtel=78 zur
Darstellung dieses Variationsteils. Ich denke, dass es nicht zu Lasten der Musik geht. Das
Klavier imitiert sehr gut den Charakter des Klarinettenklangs.
Vor der ersten Variation des Themas verbreiten die Vortragenden das Thema, um die
95
Ankunft des neuen Materials vorzubereiten. Das Tempo der ersten Variation ist schneller,
als die vorherigen Abschnitte. In der zweiten Variation spielt die Klarinette fast mit piano
Dynamik, in ihrem tiefen Register. Wir können die frischen, grazioso, zweiunddreißigstel
Arpeggien der 3. Variation beobachten, die von den Künstlern anmutig, in perfekter
Synchronisation dem Publikum dargestellt werden. Die statische Natur der 4. Variation
zeigt hervorragend die langen, im tiefen Register gespielten Töne der Klarinette. Die 5.
Variation wird wieder leidenschaftlich. Das Klavier dominiert die ganze Variation. Coda:
Ab Takt 108 wird die Atmosphäre des musikalischen Materials leidenschaftlicher. Das
plötzlich, nach oben steigende Crescendo im verminderten 7-Arpeggio macht Aufregung,
bis schließlich der Satz (und auch das Musikstück) von Moll zu Dur aufleuchtet. Diese
vertrauensvolle Atmosphäre, die der Komponist für das Publikum vorgebracht hat, wird
von dem beiden Künstler überzeugend vermittelt.
96
X. Zusammenfassende Tabellen für die Untersuchung der
Interpretationen der Klarinetten Sonaten
97
Name der
Künstler
Dauer
Tempo
Tempounterschied
zwischen
Formteilen
Dynamische
Amplitude
Agogik
Bezogenheit
zwischen
Klarinette
und Klavier
Klangfarbef
ülle
System des
Instruments
Frequenz
des
Vibratos
Vibratoamplitude
Deutsch
selten
klein/mäßig
Karl Leister
Ferenc
Bognár
8‘16“
=108
vorhanden
pp-ff
viel
gleichrangig
ermäßigt/rei
ch/sehr
reich
sehr reich
Wenzel
Fuchs
Elena
Bashkirova
8‘10“
=104
vorhanden
p-ff
wenig
Klavier
reich
Deutsch
keine
Richard
Stoltzman
Richard
Goode
8‘
ermäßigt
Boehm
sehr viel
Michael
Collins
Mikhail
Pletnev
8‘06“
=108
vorhanden
pp-ff
viel
gleichrangig
sehr reich
Boehm
keine
Béla
Kovács
Ferenc
Rados
7‘31“
=120
vorhanden
p-f
wenig
gleichrangig
ermäßigt
Boehm
keine
Florent
Héau
Patrick
Zygmanow
ski
7‘43“
=112
vorhanden
p-ff
viel
gleichrangig
sehr reich
Boehm
sehr viel
ist
manchmal
solistisch
=104
vorhanden
p-ff
wenig
gleichrangig
groß/
sehr
groß
Tabelle 1. No.1 f-Moll Sonate I.Satz
95
mäßig/groß
Name
der
Künstlern
Dauer
Tempo
Tempounterschied
zwischen
Formteilen
Dynamische
Amplitude
Agogik
Bezogenheit
zwischen
Klarinette und
Klavier
Klangfarbefülle
System des
Instruments
Frequenz
des
Vibratos
Vibratoamplitude
klein/mäßig
mäßig/reich/sehr
reich
Karl Leister
Ferenc
Bognár
5‘02“
=66
vorhanden
mp-mf
wenig
gleichrangig
sehr reich
Deutsch
selten
Wenzel Fuchs
Elena
Bashkirova
5‘38“
=66
vorhanden
p-mf
wenig
Klavier
sehr reich
Deutsch
keine
mäßig reich
Boehm
sehr viel
ist
manchmal
solistisch
=66
Richard
Stoltzman
Richard
Goode
5‘26“
Michael
Collins
Mikhail
Pletnev
5‘40“
=60
vorhanden
pp-mf
wenig
gleichrangig
reich
Boehm
selten
Béla Kovács
Ferenc Rados
4‘17“
=80
vorhanden
p-mf
wenig
gleichrangig
mäßig reich
Boehm
keine
Florent Héau
Patrick
Zygmanowski
5‘10“
=69
vorhanden
pp-mf
wenig
gleichrangig
sehr reich
Boehm
sehr viel
vorhanden
p-mf
wenig
gleichrangig
groß/
sehr
groß
Tabelle 2. No.1 f-Moll Sonate II.Satz
96
klein
mäßig/groß
Name
der
Künstlern
Dauer
Tempo
Tempounterschied
zwischen
Formteilen
Dynamische
Amplitude
Agogik
Bezogenheit
zwischen
Klarinette
und Klavier
Klangfarbefülle
System des
Instruments
Frequenz
des
Vibratos
mäßig/reich/seh
r reich
Karl Leister
Ferenc
Bognár
4‘43“
=132
vorhanden
mp-f
viel
gleichrangig
reich
Deutsch
keine
Wenzel Fuchs
Elena
Bashkirova
4‘08“
=152
vorhanden
p-f
wenig
Klavier
reich
Deutsch
keine
ist
Vibratoamplitude
manchmal
solistisch
Richard
Stoltzman
Richard
Goode
4‘46“
=126
vorhanden
p-ff
wenig
gleichrangig
sehr reich
Boehm
sehr viel
Michael
Collins
Mikhail
Pletnev
3‘40“
=160
vorhanden
mp-ff
viel
gleichrangig
sehr reich
Boehm
keine
Béla Kovács
Ferenc Rados
4‘07“
=138
vorhanden
p-ff
wenig
gleichrangig
reich
Boehm
keine
Florent Héau
Patrick
Zygmanowski
4‘05“
=138
vorhanden
pp-f
wenig
gleichrangig
sehr reich
Boehm
sehr viel
Tabelle 3. No.1 f-Moll Sonate III.Satz
97
mäßig/groß
klein/mäßig
Name
der
Künstlern
Dauer
Tempo
Tempounterschied
zwischen
Formteilen
Dynamische
Amplitude
Agogik
Bezogenheit
zwischen
Klarinette und
Klavier
Klangfarbefülle
Karl Leister
Ferenc
Bognár
5‘39“
=92
vorhanden
p-ff
viel
gleichrangig
Wenzel Fuchs
Elena
Bashkirova
5‘21“
=96
vorhanden
mp-ff
viel
Klavier
System des
Instruments
Frequenz
des
Vibratos
sehr reich
Deutsch
keine
ist
sehr reich
Deutsch
keine
ist
sehr reich
Boehm
viel
mäßig/reich/sehr
reich
Vibratoamplitude
manchmal
solistisch
=96
Richard
Stoltzman
Richard
Goode
5‘04“
Michael
Collins
Mikhail
Pletnev
5‘
=96
vorhanden
p-ff
viel
gleichrangig
sehr reich
Boehm
keine
Béla Kovács
Ferenc Rados
4‘58“
=96
vorhanden
p-f
wenig
gleichrangig
sehr reich
Boehm
keine
Florent Héau
Patrick
Zygmanowski
5‘
=104
vorhanden
pp-ff
sehr viel
gleichrangig
sehr reich
Boehm
sehr viel
vorhanden
mp-fff
wenig
Klavier
mäßig/groß
manchmal
solistisch
1. No.1 f-Moll Sonate IV.Satz
98
klein/mäßig
Name
der
Künstlern
Dauer
Tempo
=92
Tempounterschied
zwischen
Formteilen
Dynamische
Amplitude
vorhanden
p-f
Agogik
Bezogenheit zwischen
Klarinette und Klavier
Klangfarbefülle
System des
Instruments
Frequenz
des
Vibratos
Vibratoamplitude
sehr reich
Deutsch
—
—
sehr reich
Deutsch
—
—
reich
Boehm
sehr viel
groß/ sehr
mäßig/reich/sehr
reich
Karl Leister
Ferenc
Bognár
8‘39“
Wenzel Fuchs
Elena
Bashkirova
8‘55“
Richard
Stoltzman
Richard
Goode
8‘39“
Michael
Collins
Mikhail
Pletnev
8‘08“
Béla Kovács
Ferenc Rados
8‘37“
=100
vorhanden
p-f
viel
gleichrangig
sehr reich
Boehm
—
—
Florent Héau
Patrick
Zygmanowski
8‘23“
=94
vorhanden
p-f
sehr
gleichrangig
sehr reich
Boehm
sehr viel
mäßig/gro
Klavier ist manchmal
viel
solistisch
=96
=96
vorhanden
vorhanden
pp-f
mf-ff
sehr
Klavier ist manchmal
viel
solistisch
viel
gleichrangig
groß
=100
vorhanden
p-ff
viel
gleichrangig
sehr reich
Boehm
sehr
klein
selten
ß
viel
Tabelle 5. No.2 Esz-Dur Sonate I.Satz
99
Name
der
Künstlern
Karl Leister
Ferenc
Bognár
Dauer
5‘27“
Tempo
=152
Tempounterschied
zwischen
Formteilen
Dynamische
Amplitude
vorhanden
p-ff
Agogik
viel
Bezogenheit
zwischen
Klarinette
und Klavier
Klangfarbefülle
Klavier
ist
System des
Instruments
Frequenz
des
Vibratos
Vibratoamplitude
sehr reich
Deutsch
—
—
ist
reich
Deutsch
—
—
ist
reich
Boehm
sehr viel
groß/
mäßig/reich/sehr
reich
manchmal
solistisch
Wenzel Fuchs
Elena
Bashkirova
5‘34“
=140
vorhanden
p-f
sehr
Klavier
viel
manchmal
solistisch
=152
sehr
Richard
Stoltzman
Richard
Goode
5‘16“
Michael
Collins
Mikhail
Pletnev
5‘09“
Béla Kovács
Ferenc Rados
5‘17“
=152
vorhanden
mf-f
wenig
gleichrangig
reich
Boehm
—
—
Florent Héau
Patrick
Zygmanowski
5‘11“
=160
vorhanden
mf-ff
sehr
gleichrangig
sehr reich
Boehm
sehr viel
mäßig/groß
vorhanden
mf-f
wenig
Klavier
groß
manchmal
solistisch
=160
vorhanden
mf-ff
viel
gleichrangig
sehr reich
Boehm
sehr
klein
selten
viel
Tabelle 6. No.2 Esz-Dur Sonate II.Satz
100
Name
der
Künstlern
Karl Leister
Ferenc
Bognár
Dauer
7‘46“
Tempo
=72
Tempounterschie
d zwischen
Formteilen
Dynamische
Amplitude
vorhanden
mf-f
Agogik
viel
Bezogenheit
zwischen
Klarinette
und Klavier
Klangfarbefülle
Klavier
ist
System des
Instruments
Frequenz
des
Vibratos
Vibratoamplitude
reich
Deutsch
—
—
ist
sehr reich
Deutsch
—
—
ist
reich
Boehm
sehr viel
groß/
mäßig/reich/sehr
reich
manchmal
solistisch
Wenzel Fuchs
Elena
Bashkirova
7‘48“
=72
vorhanden
mp-f
sehr
Klavier
viel
manchmal
solistisch
=76
sehr
Richard
Stoltzman
Richard
Goode
7‘35“
Michael
Collins
Mikhail
Pletnev
7‘51“
=63
vorhanden
mp-f
viel
gleichrangig
sehr reich
Boehm
sehr selten
klein
Béla Kovács
Ferenc Rados
6‘44“
=78
vorhanden
mf-f
wenig
gleichrangig
reich
Boehm
—
—
Florent Héau
Patrick
Zygmanowski
7‘
=86
vorhanden
p-ff
sehr
gleichrangig
sehr reich
Boehm
wenig
mäßig/groß
vorhanden
mf-f
viel
Klavier
groß
manchmal
solistisch
viel
Tabelle 7. No.2 Esz-Dur Sonate III.Satz
101
XI. Nachwort
Bei den Vergleichen der verschiedenen musikalischen Darbietungen ist es nicht nötig, festzustellen, welche Darbietung wirklich authentisch ist. Das habe auch ich nicht versucht.
Eine grundlegende Frage ist, ob das Musikwerk eine „ideale Form“ hat? Wenn diese ideale
Form existieren würde, dann könnte man eine qualitative Reihenfolge der einzelnen Realisierungen feststellen, je nachdem, wie sehr sich die einzelne Realisierung dieser idealen
Form annähert. Die Praxis der musikalischen Darbietungen des 18. Jahrhunderts basiert
darauf, dass im Vergleich zum nachfolgenden Jahrhundert mehrere stereotypisch angenommene Interpretationen von Notationen vorhanden sind. Das Notenbild des 19. Jahrhundert gibt mehr Darstellungsfreiheit für die Musiker. Die künstlerische Persönlichkeit, das
Temperament, der persönliche Habitus des Musikers ist noch stärker in der Darbietung präsent. Das habe ich auch erfahren, während ich die Darbietungen von sechs verschiedenen
Künstlern angehörte. Aus einer Äußerung von Brahms ist klar auszulesen, dass er in der
Hinsicht selbst ein „Liberaler“ war. Das heißt, dass er verschiedene Arten von Realisierungen betreffend Tempo für denkbar hielt. Wie er gegenüber George Henschel bemerkte, notierte er entsprechende Angaben nur dann, wenn ”gute Freunde mich überredeten, sie einzufügen, denn ich selbst habe nie daran geglaubt, dass mein Blut und ein mechanisches
Instrument gut zusammenpassen.„131 So eine Attitüde des romantischen Komponisten
kommt in einer Bemerkung von Mahler zum Ausdruck. Er hat bei einer Orchesterprobe
dem Konzertmeister den folgenden Satz gesagt, und die Bemerkung gleich in seine Noten
geschrieben: „Nach meinem Tod kann alles geändert werden.” So erfährt jedes Meisterwerk
mit den zeitlichen Änderungen, mit der Entstehung von neuen Lebensgefühlen, auch ein
geniales Meisterwerk unterschiedliche Interpretationen. Es ist sicher, dass die heutigen
Menschen die Stücke von Brahms, mit ihren heutigen Gesten, mit dem Zeitgefühl des Menschen des 20-21. Jahrhundert interpretieren.
Die Musikwerke von Brahms mit ihren brillanten Tiefen der Interpretation, die ihre Zeiten
weit überdauern, bieten die Möglichkeit für die Musiker der 20-21. Jahrhundert zu einem
authentischen Selbstausdruck.
131
George Henschel, Personal Recollections of Johannes Brahms, S. 78.
102
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Stoltzman, Richard: www.richardstoltzman.com (22. Juni 2017)
Tonaufnahmen:
Collins, Michael und Mikhail Pletnev: Brahms Sonaten:
https://www.youtube.com/watch?v=IcpQsAyTBngt=810s ( 22. Juni 2017)
https://www.youtube.com/watch?v=uW7WDIFKL-1070s (22. Juni 2017)
Complete Chamber Musik of Johannes Brahms, Hamburg Philips.cop.1996.
Fuchs, Wenzel und Elena Bashkirova: Brahms Sonaten:
https://www.youtube.com/watch?v=9Qe8wFpBRE-st=1136s (22. Juni 2017)
https://www.youtube.com/watch?v=Pb2D79GjeAK (22. Juni 2017)
Héau, Florent und Patrick Zygmanowski: Johannes Brahms Op. 120, Zebra, 2002.
Kovács, Béla und Rados Ferenc: Johannes Brahms Op. 120, Budapest, 1988.
104
Leister, Karl und Bognár Ferenc: Johannes Brahms Op. 120, Berlin, 1997.
Stoltzman, Richard und Richard Goode: Brahms Sonatas, BMG, 1982.
105
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